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Wie soll ich mich verhalten, wenn ich nicht weiß, was ich tun soll? Welche Argumente helfen mir weiter? Können Bibel und Kirche eine Hilfe sein? Im vierten Band seiner Erläuterungen versucht der ehemalige Religionslehrer Axel Burghausen, Kriterien für unser Verhalten, aber keine festen Regeln zu entwickeln.
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Seitenzahl: 100
Das Titelbild: Wolfgang Michalke- Leicht - Clauß Peter Sajak (Hrsg.), Vernünftig glauben, Braunschweig 2020, 392.
Vorab: (Un)genügen an der Kirche
Kirche – Erfahrungsraum der Gegenwart Gottes
1.1 Gemeinschaft des Heiligen Geistes
1.2 Freude und Hoffnung, Tränen und Angst
1.3 Die Schule von Ivry
1.4 Schweigen und dienen: die Frau in der Kirche
Wem nützt das Gute? (Grundlagen der Ethik)
2.1 Der Mensch zwischen Eigennutz und Altruismus
2.2 Werte, Normen und Gewissen – Wegweiser des Handelns
2.3 Zehn Worte der Freiheit
2.4 Der Andere ist anders. Er ist wie du. (Liebesgebot, goldene Regel)
2.5 Handlungen und ihre Folgen
2.6 „Der Zweck heiligt die Mittel“ oder „Pflicht ist Pflicht"
Auf Leben und Tod (Konfliktfelder der Bioethik)
3.1 Menschliches Leben (Ethische Standpunkte)
3.2 Leben vernichten? (Schwangerschaftsabbruch)
3.3 Leben werten? (Pränatale Diagnostik)
3.4 Leben planen? (Präimplantationsdiagnostik)
3.5 Leben reparieren? (Organtransplantation)
3.6 Leben beenden? (Sterbehilfe)
Das Eigene und der Andere (Konfliktfelder der Sozialethik
4.1 Ist Geiz geil? (Wirtschaftsethik und Armut)
4.2 Und für die Enkel? (Globalisierung und Klimawandel)
4.3 Damit Grenzen nicht über Menschen wandern (Migration)
4.4 Gott will es? (Krieg und Friedensethik)
Sind wir alle (Getaufte und Glaubende) Kirche? Ja, das sind wir. Und nein, das sind wir nicht. Das Problem besteht darin, dass sehr Unterschiedliches unter dem Begriff Kirche verstanden werden kann. Und wenn man innerkirchlich Kirche kritisiert, wechseln die Gesprächspartner gerne die Ebene: Du bist doch selber Teil der Kirche.
Kirche ist eine theologische Zentralkategorie. Im großen Glaubensbekenntnis sprechen wir: „Wir glauben an … die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“. Aber gibt es diese Kirche tatsächlich? Nur eine ist sie seit frühester Zeit nicht mehr. Katholisch (allgemein, umfassend) ist sie aus demselben Grunde auch nicht, wenn sie sich auch so nennt. Heilig kann sie immer mal wieder sein, meistens aber nicht. Und dass sie in der Tradition der Apostel steht, will ich hoffen, aber was das heißt, wird mindestens sehr unterschiedlich interpretiert. Diese Kirche ist ein theologisches Konstrukt, sicher eine Zielvorstellung, manchmal auch gelebte Wirklichkeit.
Kirche ist die konkrete, sich versammelnde und Gemeinschaft erfahrende Ortsgemeinde. Auch auf dieser Ebene kann es Ärger geben, auf ihr werden aber auch echter Mitvollzug, Geborgenheit, praktischer Glaube sowie notwendige Hilfe erfahren. Hier kann sich (fast) jeder mit seinen Fähigkeiten einbringen. Eine Grenze wird allerdings sofort gezogen, wenn diese Fähigkeiten in den Bereich hineinragen, der dem geweihten Priester vorbehalten werden soll (z.B. Predigen).
Kirche ist die hierarchisch gegliederte Institution, die Amtskirche. Auch wenn das letzte Konzil den Begriff des allgemeinen Priestertums geprägt und die Befugnisse der Nicht-Geweihten (der „Laien“) vergrößert hat, bleibt das Gefälle an Entscheidungsmöglichkeiten immer noch groß. Entsprechend leben viele Christen ihren Glauben, ohne sich um die Amtskirche zu scheren. „Wir müssten heucheln, wenn wir sagen würden, wir fühlten uns als geliebte Söhne und Töchter des Papstes oder der Bischöfe“, formulierte schon der Theologe Karl Rahner.
Kirche ist die gemeinsam gelebte Nachfolge Christi in der Kraft des Heiligen Geistes. Hierarchie und Bürokratie bilden aber ein Ventil, um den Geist mal mehr, mal weniger zuzulassen. Als Papst Johannes XXIII. ein Konzil einberief, um frische Luft in die Kirche zu lassen, sagte der damals einflussreiche Kardinal Ottaviani, die Kirche brauche kein geistbewegtes Konzil, sie habe die Kurie. Seither tanzt die Kirche unbeholfen: mal zwei Schritte vor, einen zurück, mal einen Schritt vor, zwei zurück. Die Hoffnung, dass es weitere Änderungen an der Struktur gibt, z.B. im Hinblick auf das Priesteramt der Frau, hat sich immer noch nicht erfüllt, obwohl längst theologisch erwiesen ist, dass sich die herkömmliche Tradition nicht auf die Praxis Jesu und das Leben der ersten Gemeinden berufen kann.
Als Religionslehrer fühle ich mich primär an die Erkenntnisse der Theologie, nicht an die kirchliche Lehre gebunden. Beides überschneidet sich zwar erheblich, ist aber nicht identisch. Da in meinem Unterricht viele muslimische Schüler und sehr wenig gemeindlich aktive Christen saßen, hat das Thema Kirche immer eine Nebenrolle gespielt. Andere Aspekte, z.B. der Ethik, aber vor allem auch Gottesfrage und Eschatologie (vgl. Jgst. 12), waren für meine Schüler entscheidender. Daher steht auch in diesem Band der thematische Bezug im Mittelpunkt. Die Ekklesiologie habe ich der ethischen Thematik untergeordnet und auf die beiden Halbjahre der 13 aufgeteilt.
Ich gehe daher kaum auf die Frage ein, inwieweit das Christentum das Leben der Menschen in der Geschichte positiv verändert hat oder inwieweit man die Geschichte der Kirche(n) als Kriminalgeschichte lesen kann. Auch auf aktuelle Entwicklungen gehe ich nicht ein. Missbrauch ist das, was der Name sagt: Missbrauch von Macht. Keineswegs fördert der christliche Glaube diese Praxis, im Gegenteil. Und auch der Zölibat provoziert nicht eine solche sexuelle Fehlform, er kann den Trieb höchstens verstärken. Das sieht man schon daran, dass evangelische Geistliche und auch Lehrer in nicht konfessionellen Einrichtungen ebenfalls betroffen sind. Skandalös ist allerdings, wie die Kirche lange Zeit den Missbrauch vertuscht hat.
Ich ärgere mich seit Jahrzehnten in vielfacher Form über „die Kirche“, ich fühle mich aber gleichzeitig in ihr zu Hause. Die sonntägliche Eucharistie als der Ort, an dem der Glaube gefeiert und verlebendigt wird, gleichsam als „Tankstelle“ des Lebens, ist und bleibt mir ein notwendiges Anliegen. Und auch, wenn ich die Struktur der katholischen Kirche kritisch sehe, ist die katholische Eucharistie meine Form der Feier. Die orthodoxe Liturgie wäre mir zu überfrachtet, der evangelische Gottesdienst zu wortlastig. Die katholische Eucharistie ist dagegen die harmonische Synthese von Wort und Geste.
Aus den Themen der speziellen Ethik (Teil 3 und 4) habe ich meine Schüler jeweils auswählen lassen. Alle angegebenen Themen habe ich unterrichtet, allerdings mit unterschiedlicher Häufigkeit.
Grundlage: Anthony de Mello: Die Stationen der Lebensretter Osnabrücker Altarbild Dimitry Merenich: Grundprinzipien der Eucharistischen Ekklesiologie bei N. Afanasiev
Anthony de Mello vergleicht in seinem Text aus dem Jahre 2001 die Kirche mit einer Rettungsstation für Schiffbrüchige, die zunächst unter einfachsten Verhältnissen und unter Einsatz des eigenen Lebens der Helfer an einer felsigen Küste agiert und viele Leben rettet. Da die Station berühmt und reich wird, werden neue, moderne Gebäude errichtet, und es entwickelt sich ein reiches Klubleben. Die eigentliche Aufgabe der Einrichtung wird dabei immer mehr vergessen. So gründen einige Mitglieder in der Nähe eine neue Rettungsstation, die aber im Laufe der Zeit dasselbe Schicksal ereilt. Inzwischen befinden sich eine Reihe exklusiver Clubs an der Küste, jeder stolz auf seine humane Tradition, doch keiner kümmert sich mehr wirklich um Schiffbrüchige.
Die Parabel des Jesuiten de Mello ist Kritik und Appell zugleich. Kritisiert wird eine Kirche, die sich eingerichtet hat, der die Verwaltung ihres Besitzstandes und ihres Glaubens, aber auch die Abhaltung feierlicher Gottesdienste und kuscheliger Gemeindefeste wichtiger geworden ist als ihre ursprüngliche Aufgabe. Mello appelliert an die Kirche(n), sie sollten die Sorge um das Heil der Menschen wieder mehr in den Blick nehmen. Jesus ist konkreten Menschen begegnet und hat ihnen neue Lebensperspektiven eröffnet und sie so von ihren inneren und äußeren Begrenzungen befreit. Er hat sie mit ihrer Schuld angenommen und seine Gemeinschaft mit ihnen nie aufgegeben. Ihm hier nachzufolgen, ist immer die Aufgabe der Kirche gewesen, aber als Großinstitution neigt sie dazu, zu verwalten, zu verurteilen, auszuschließen, zu ritualisieren.
Auf einer Tafel des Osnabrücker Altarbildes (ca. 1380) sitzen dreizehn Personen, zwölf Männer und eine Frau, auf einer Rundbank, eng aneinandergedrängt, um einen runden Tisch. Ihre gefalteten Hände verdeutlichen eine andächtige, konzentrierte Haltung, dennoch sehen sie sich gegenseitig an und kommunizieren miteinander. Die Personen sind als die zwölf Apostel und Maria zu erkennen, die am Pfingsttag zusammensitzen. Als Ersatz für Judas Iskariot ist allerdings Paulus eingebunden, der zu dem Zeitpunkt noch kein Anhänger Jesu war, später aber eine wichtige Rolle als Missionar im griechischen Kulturkreis spielte. Im oberen Zentrum des Bildes, zwischen Maria und Johannes, sieht man den Heiligen Geist, eine Taube mit einer Hostie im Schnabel. Auch im Zentrum des runden Tisches liegt eine Hostie. Von ihr führen rote Strahlen zu den Mündern der am Tisch Sitzenden.
Dort, wo bei Abbildungen des Abendmahls Jesus sitzt, schwebt nun also der Heilige Geist.
Er füllt die Lücke aus, die entstanden ist, weil Jesus nicht mehr in irdischer Gestalt unter den Menschen lebt. Aber was Jesus sprach und tat, bleibt der Kirche im Geist lebendig (wenn sie sich auf diesen Geist einlässt). Deshalb muss sich die Kirche immer wieder auf das Handeln Jesu beziehen.
Thema des Bildes ist die Geistsendung zu Pfingsten, aber auch die Eucharistie. Was Pfingsten bedeutet, wird in der Feier des sonntäglichen Herrenmahls deutlich. Der Geist bewirkt in dieser Feier Wandlung, der Gestalten von Brot und Wein und auch der feiernden Gemeinde, die zu einer Gemeinschaft „zusammengeschweißt“ wird. Das wird im Rahmen des Eucharistischen Hochgebets, des zentralen „Tischgebets“ der Feier, in den Epiklesen (Anrufung Gottes über etwas) deutlich, der Wandlungs- und der Kommunionepiklese. Ich zitiere Beispiele aus dem dritten Hochgebet: „Durch ihn (Christus) … bitten wir dich, allmächtiger Gott: Heilige unsere Gaben durch deinen Geist, damit sie uns werden Leib und Blut deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, der uns aufgetragen hat, dieses Geheimnis zu feiern...Stärke uns durch den Leib und das Blut deines Sohnes und erfülle uns mit seinem Heiligen Geist, damit wir ein Leib und ein Geist werden in Christus.“ Die Eucharistie vermittelt also Kommunikation: Gemeinschaft mit Christus und der Gemeinde untereinander. Sie öffnet damit den Einzelnen für alles, was ihm außen begegnet und ihn „anruft“, es bricht jede Form von Selbstbezogenheit auf. In der liturgischen Feier verdichtet sich, was Christsein bedeutet, sie ist „Quelle und Gipfel“ allen kirchlichen Tuns.
Konsequenzen aus diesen Überlegungen zog der orthodoxe Theologe Nikolai Afanasiev (1820-1898) mit seinem Entwurf einer eucharistischen Ekklesiologie. (Ekklesiologie ist die Lehre von der Kirche.) Mit dem Verzehr des eucharistischen Brotes ist der ganze Christus gegenwärtig, nicht nur ein Teil von ihm. Er konstituiere in dieser Feier seine Kirche. Also sei auch die feiernde Gemeinschaft in der sonntäglichen Ortsgemeinde Kirche als Ganze. Übergeordnete Strukturen der Kirche seien aus praktischen Gründen unerlässlich, sie konstituierten und legitimierten Kirche aber nicht, das geschehe durch den Vollzug der Eucharistie. Die eine Kirche Christi äußere sich im konkreten Leben einer Vielzahl von Ortsgemeinden, die unter sich in brüderlicher Liebe verbunden seien (was eben auch die Anerkennung der Verschiedenheit einschließt).
Josef Blank, Peter Hünermann und Paul Michael Zulehner veröffentlichten 1978 ihr Buch „Das Recht der Gemeinde auf Eucharistie“.Angesichts immer weniger geweihter Priester argumentieren die Autoren dafür, in der Gemeinde bewährten Männern das Recht zur Leitung der eucharistischen Feier zu geben. Grundlage dieser Überlegungen war ebenso wie bei Afanasiev die Überzeugung, dass die Eucharistie und nicht die Amtsideologie die Kirche konstituiere und präge. Die wöchentliche Osterfeier müsse jeder Gemeinde am Sonntag ermöglicht werden. In einem Gegensatz zu diesen Überlegungen steht die Vorstellung der katholischen Kirche von der sogenannten apostolischen Sukzession. Demnach wird jeder Bischof von einem gültig geweihten Bischof geweiht, so dass die Linie der dadurch entstehenden Einsetzungen ohne Unterbrechung bis zu den Aposteln zurückreicht. Dieses Konzept legitimiert Kirche vom Bischofsamt her und spricht Gemeinschaften ohne diese Sukzession (z.B. der Evangelischen Kirche in Deutschland) den Status einer Kirche ab.
Grundlage: Lied: Ein Haus voll Glorie schauet (2 Fassungen) Konzilsdokument: Gaudium et spes Karl Rahner: Dienst an der Welt
Das Kirchenlied „Ein Haus voll Glorie schauet“ wurde ca. 1873 von Joseph Mohr gedichtet und komponiert. Es ist seine Antwort auf den Kulturkampf im Deutschen Reich und die 1872 erlassenen Jesuitengesetze. Der 1871 entstandene Nationalstaat versuchte mit seiner protestantischen Mehrheit eine einheitliche deutsche Nationalkultur durchzusetzen und den Einfluss der katholischen Kirche zu begrenzen. Da die Katholiken ihren „Chef“ in Rom haben, wurden sie als nationale Gefahr angesehen. Daher wurden Niederlassungen des Jesuiten-Ordens verboten und Einrichtungen der katholischen Kirche (z.B. Schulen) unter staatliche Aufsicht gestellt.