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Bücher, die unser Leben verändern: Der Weisheitsklassiker von Alan Watts Alan Watts galt zu Recht als Genie in der Vermittlung der Essenz der großen spirituellen Traditionen. Sein spirituelles Weisheitsbuch ist eine radikale Bestandsaufnahme unseres Lebens und Bewusstseins. Watts deckt all die falschen Annahmen über das auf, was wir für die Realität halten. Er verschweigt auch nicht die individuellen und kollektiven Machtimpulse und Ängste, die zu diesen Glaubenssätzen führen. Wir wollen das Leben immer stärker planen und kontrollierbar machen. Wir treiben einen unglaublichen technischen Aufwand, nur um uns sicherer zu fühlen. Doch dahinter steckt ein ängstliches Ich, das sich von der Welt bedroht fühlt. Alan Watts zeigt uns den Weg in eine tiefere Dimension des Bewusstseins. Wir lernen, wie wir dem Leben vollkommen offen und furchtlos begegnen können. Dabei zieht der berühmte Religionsphilosoph auf eine ganz eigene und inspirierende Weise die Quintessenz aus den spirituellen Traditionen des Zen und des Taoismus. Achtsamkeit und das lebendige Gewahrsein von Augenblick zu Augenblick ist der Schlüssel zum Umgang mit Schmerz jeglicher Art. Denn der Widerstand gegen den Schmerz ist der eigentliche Schmerz. Alan Watts macht die »Weisheit des ungesicherten Lebens« ist von Alan Watts zu einem ebenso lebensweisen wie hilfreichen Buch für die persönliche Weiterentwicklung.
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Seitenzahl: 172
Alan Watts
Weisheit des ungesicherten Lebens
Aus dem Englischen von E. Rothe
Knaur e-books
Der heutige Mensch will das Leben immer stärker planen und kontrollierbar machen. Er treibt einen unglaublichen technischen Aufwand, nur um sich sicherer zu fühlen. Doch dahinter steckt ein ängstliches Ich, das sich von der Welt bedroht fühlt.
Alan Watts deckt all die fälschlichen Annahmen über das auf, was man für die Realität hält. Er zeigt den Weg in eine tiefere Dimension des Bewusstseins, wo man dem Leben vollkommen offen und furchtlos zu begegnen lernt.
Das Gesetz von Wirkung und Gegenwirkung hat mich schon immer fasziniert. Manchmal nenne ich es das »Gesetz der Umkehrung«. Wenn du versuchst, auf der Oberfläche des Wassers zu bleiben, so versinkst du; wenn du jedoch zu sinken versuchst, so trägt dich das Wasser. Wenn du deinen Atem anhältst, so verlierst du ihn – wobei einem sofort ein altes und sehr vernachlässigtes Bibelwort einfällt: »Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?«
(Lukas 16,33)
Dieses Buch dient der Erforschung dieses Gesetzes in seiner Beziehung zu dem Suchen des Menschen nach psychologischer Sicherheit und zu seinem Bestreben, geistige und verstandesmäßige Gewissheit in Religion und Philosophie zu finden. Es ist in der Überzeugung geschrieben, dass kein Thema geeigneter sein könnte in einer Zeit, in der das menschliche Leben so besonders unsicher und ungewiss zu sein scheint. Es vertritt die These, dass diese Unsicherheit das Resultat des Versuches ist, sicher sein zu wollen, und dass, im Gegenteil, Erlösung und geistige Gesundung letztlich nur in der grundlegenden Einsicht bestehen: Es gibt keinen Weg, uns selber zu retten.
Das klingt wie irgendetwas aus »Alice im Zerrspiegel«, zu dem das Buch eine Art philosophisches Gegenstück ist. Denn der Leser wird sich des Öfteren in einer Welt wiederfinden, in der das Unterste zuoberst gekehrt ist, in der die normale Ordnung der Dinge völlig verkehrt und der gesunde Menschenverstand auf den Kopf gestellt scheint. Diejenigen, die einige meiner früheren Bücher gelesen haben, wie z.B. »Behold the Spirit« und »The Supreme Identity«, werden auf Dinge stoßen, die in völligem Widerspruch zu vielem zu stehen scheinen, was ich vorher gesagt habe. Das ist jedoch nur in unwesentlichen Punkten der Fall. Denn ich habe entdeckt, dass das Wesentliche und der Kern dessen, was ich in diesen Büchern habe erklären wollen, selten verstanden worden ist; der Rahmen und der Zusammenhang meiner Gedanken verbargen häufig den Sinn. Es ist meine Absicht, hierin denselben Sinn von völlig unterschiedlichen Blickpunkten anzugehen und in Wendungen, die das Denken nicht mit der Unzahl unwesentlicher Gedankenverbindungen, die Zeit und Überlieferung ihm aufgebürdet haben, verwirren.
In den früheren Büchern war mir daran gelegen, gewisse Prinzipien der Religion, der Philosophie und Metaphysik zu rechtfertigen, indem ich sie erneut deutete. Dieses wäre jedoch, als ob man einer Schlange Beine gäbe – unnötig und verwirrend, denn nur die zweifelhafte Wahrheit bedarf der Verteidigung. Dieses Buch ist im Geiste des chinesischen Weisen Laotse, des Meisters des Gesetzes von »Wirkung und Gegenwirkung«, geschrieben, der erklärte, dass diejenigen, die sich selbst rechtfertigen, nicht überzeugen, dass man, um die Wahrheit zu wissen, sich des Wissens entledigen muss und dass nichts mächtiger und schöpferischer ist als Leere – vor der die Menschen zurückschrecken. Mein Vorhaben hier ist, von rückwärts aufzuzeigen, dass jene wesentlichen Realitäten der Religion und Metaphysik gerechtfertigt werden, indem man ohne sie auskommt und sie offenbart, indem man sie zerstört.
Es ist mir eine erfreuliche Aufgabe, anerkennen zu dürfen, dass die Vorbereitungen dieses Buches durch die Großzügigkeit der Stiftung des verstorbenen Franklin J. Matchette, New York, ermöglicht wurden, eines Mannes, der einen großen Teil seines Lebens den Problemen der Wissenschaft und Metaphysik widmete und der einer jener sehr seltenen Geschäftsmänner war, die nicht völlig in dem Circulus vitiosus aufgingen: zu verdienen, um zu verdienen und wieder zu verdienen. Die Matchette-Stiftung ist daher metaphysischen Studien gewidmet, und ich brauche kaum zu sagen, dass es mir Beweis ihrer Einsicht und Vorstellungskraft ist, dass sie sich so bereitwillig für einen derart »gegensätzlichen« Versuch, sich dem metaphysischen Wissen zu nähern, interessiert.
San Francisco, Mai 1951
Alan W. Watts
Dem äußeren Schein nach ist unser Leben ein Lichtfunke zwischen einem ewigen Dunkel und dem nächsten. Doch liegt zwischen diesen zwei Nächten nicht ein wolkenloser Tag; denn je mehr Freude wir empfinden können, desto verwundbarer sind wir – und ob entrückt oder gegenwärtig, immer ist der Schmerz mit uns. Wir haben uns daran gewöhnt, dieses unser Dasein lohnend zu machen durch unsere Annahme, dass es über den äußeren Schein hinaus etwas gibt – dass wir für eine Zukunft leben, die über dies Dasein hinausgeht. Denn die äußere Erscheinungsform offenbart keinen Sinn. Wenn das Leben in Schmerz, Unvollkommenheit und Nichts endet, scheint es eine grausame, nutzlose Erfahrung für Wesen, die geboren sind, zu denken, zu schaffen und zu lieben. Der Mensch, als ein Geschöpf der Vernunft, wünscht, dass auch sein Leben einen vernünftigen Sinn hat, und findet es schwer, zu glauben, dass es einen solchen habe, solange es nicht über das hinausgeht, was er sieht – es sei denn, es gäbe eine ewige Ordnung und ein ewiges Leben hinter dieser ungewissen und vergänglichen Erfahrung von Leben und Tod.
Vielleicht wird man mir verübeln, wenn ich scheinbar frivol nüchterne Tatsachen einführend zur Sprache bringe; aber das Problem, aus dem augenscheinlichen Chaos der Erfahrung einen Sinn zu machen, erinnert mich an meinen kindhaften Wunsch, jemandem ein Postpaket mit Wasser zu senden. Der Empfänger löst die Schnur, und die Sintflut ergießt sich in seinen Schoß. Aber das Spiel würde nie gelingen, da es aufreizenderweise unmöglich ist, ein Pfund Wasser in Papier zu wickeln und zu verschnüren. Es gibt Papierarten, die zwar nicht wasserdurchlässig sind, jedoch besteht die Schwierigkeit darin, das Wasser in eine brauchbare Form zu bringen und so verschnüren zu können, dass das Paket nicht aufgeht.
Je mehr man sich mit den vorgenommenen Versuchen, Probleme der Politik und Wirtschaft, der Kunst, Philosophie und Religion zu lösen, beschäftigt, desto mehr bekommt man den Eindruck, dass ungewöhnlich begabte Leute ihren ganzen Scharfsinn in der unmöglichen und unlösbaren Aufgabe erschöpfen, das Wasser des Lebens in saubere und dauerhafte Pakete bringen zu wollen.
Es gibt viele Gründe, warum gerade dieses einem heutzutage lebenden Menschen besonders einleuchtend sein müsste. Wir wissen so viel über Geschichte, über all die Pakete, die gepackt wurden und prompt und folgerichtig auseinanderfielen. Wir wissen so viele Einzelheiten über die Probleme des Lebens, dass sie sich nicht mehr auf einen einfachen Nenner bringen lassen und noch verwickelter und ungeformter denn je erscheinen. Darüber hinaus haben sowohl Wissenschaft wie Industrie Tempo und Intensität so stark erhöht, dass unsere Pakete mit jedem Tag schneller und schneller auseinanderzufallen drohen.
Das ist es, woraus uns das Gefühl erwächst, dass wir in einer Zeit ungewöhnlicher Unsicherheit leben. In den letzten hundert Jahren sind so viele fundierte Überlieferungen zusammengebrochen, Überlieferungen im familiären und sozialen Leben, in Regierungsformen, in wirtschaftlicher Hinsicht und im religiösen Glauben. Im Laufe der Jahre scheinen die Felsen immer weniger zu werden, an die wir uns klammern können – weniger auch die Dinge, die wir als absolut richtig, wahr und allzeit gültig betrachten können.
Für einige ist dies eine willkommene Loslösung von Bindungen moralischer, sozialer und geistiger Dogmen. Für andere wiederum eine gefährliche und abschreckende Abwendung von Vernunft und gesundem Geist, geeignet, menschliches Leben in ein hoffnungsloses Chaos zu stürzen.
Den meisten hat vielleicht das Gefühl der Befreiung eine kurze Erleichterung gegeben, dem tiefste Angst folgte. Denn wenn alles relativ ist, wenn das Leben ein reißender Strom, ohne Ordnung und Ziel ist, in dessen Fluten absolut nichts beständig ist, außer dem ewigen Wechsel, dann erscheint es wie etwas, in dem es keine Zukunft und dadurch keine Hoffnung gibt.
Die Menschen scheinen nur glücklich zu sein, wenn sie auf eine Zukunft hinblicken können – sei dies ein »angenehmes Morgen« oder ein ewiges Leben über das Grab hinaus. Aus zahlreichen Gründen fällt es mehr und mehr Leuten schwer, an das zweite zu glauben; jedoch sind jene, die an das erste glauben, im Nachteil, denn wenn die »angenehme« Zeit kommt, ist es schwer, diese auszukosten, wenn nicht die Aussicht besteht, dass sie sich fortsetzt. Hängt Glücklichsein immer von etwas ab, das in der Zukunft erwartet wird, dann jagen wir nach einem Irrlicht, das so lange unserem Zugriff entweicht, bis die Zukunft und wir selbst im Abgrund des Todes verschwinden.
Tatsächlich ist unser Zeitalter nicht unsicherer als andere zuvor. Armut, Krankheit, Krieg, Wechsel und Tod sind nichts Neues. Auch in den besten Zeiten war »Sicherheit« nie mehr als vorübergehend und scheinbar. Jedoch war es möglich, die Unsicherheit des menschlichen Lebens dadurch erträglich zu machen, dass man an jene unwandelbaren Dinge außerhalb der Reichweite allen Unheils glaubte – an Gott, an die unsterbliche menschliche Seele und an die Herrschaft ewiger Gesetze im Weltall.
Heutzutage sind solche Überzeugungen selten, selbst in religiös gesinnten Kreisen. Es gibt kaum eine gesellschaftliche Ebene, sogar nur wenige Einzelpersönlichkeiten, die – von neuzeitlicher Erziehung berührt – nicht Spuren der Saat des Zweifels in sich tragen. Es ist nur allzu augenscheinlich, dass im letzten Jahrhundert die Autorität der Wissenschaft im Denken des Volkes den Platz der Autorität der Religion eingenommen hat und dass Skeptizismus, zumindest in Fragen des Glaubens, allgemeiner geworden ist als Gläubigkeit.
Zum Verfall des Glaubens ist es durch ehrlichen Zweifel, durch sorgfältiges und furchtloses Denken geistig hochstehender Wissenschaftler und Philosophen gekommen. Ihr Eifer und ihre Ehrfurcht für Tatsachen drängte sie, das Leben so zu sehen, zu verstehen und ihm so ins Auge zu blicken, wie es ist, ohne beschönigendes Denken. Doch trotz allem, was sie taten, um die Lebensbedingungen zu verbessern, scheint ihr Bild des Weltalls dem Einzelnen letztlich keine Hoffnung zu lassen. Der Preis ihrer Zauberkunststücke im Diesseits ist das Verschwinden eines Jenseits, und man ist geneigt, die alte Frage zu stellen: »Was hilft es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?« Logik, Intelligenz und Verstand sind befriedigt, aber das Herz verhungert. Denn das Herz hat fühlen gelernt, dass wir für die Zukunft leben. Die Wissenschaft mag uns langsam und ungewiss eine bessere Zukunft bringen – für einige Jahre. Aber dann wird das Ende kommen – für jeden von uns. Alles wird enden. Wie lange es sich auch hinausschiebt – alles Zusammengefügte muss zerfallen.
Trotz einiger gegenteiliger Meinungen ist dies immer noch die grundsätzliche Ansicht der Wissenschaft. In literarischen und religiösen Kreisen wird jetzt häufig angenommen, dass der Konflikt zwischen Wissenschaft und Glauben der Vergangenheit angehört. Einige Wissenschaftler versuchen sich sogar einzureden, dass mit der Aufgabe des rohen atomistischen Materialismus durch die moderne Physik die Hauptursache dieses Konfliktes beseitigt wurde.
Aber das ist durchaus nicht der Fall. In den meisten unserer großen Bildungskreise sind diejenigen, die es sich zur Aufgabe machen, die Vielfalt der Wissenschaft und ihrer Methoden zu studieren, weiter denn je von dem entfernt, was sie unter einem religiösen Gesichtspunkt verstehen.
Die Erkenntnisse der Kernphysik und der Relativitätslehre haben tatsächlich mit dem alten Materialismus ein Ende gemacht; jetzt aber geben sie uns das Bild eines Weltalls, in dem fast noch weniger Raum ist für Ideen mit irgendwelchem absoluten Ziel oder Plan.
Der moderne Wissenschaftler ist nicht etwa so naiv, Gott zu leugnen, weil dieser sich nicht mit einem Teleskop finden oder die Seele sich nicht durch ein Skalpell freilegen lässt. Er hat lediglich festgestellt, dass die Idee eines Gottes von der Logik her unnötig ist. Er zweifelt sogar, dass sie irgendeine Bedeutung habe. Er will nichts auf andere als rein logische Weise erklärt haben.
Er argumentiert, dass die Behauptung, alles Geschehen unterliege der Vorsehung und der Kontrolle Gottes, tatsächlich nicht mehr bedeute, als wenn man nichts sagt. Zu behaupten, dass alles von Gott erschaffen und regiert sei, hieße nichts anderes, als zu sagen: »Alles liegt bei ihm«, was wiederum gar nichts bedeutet. Diese Meinung hilft uns nicht, irgendwelche beweisbaren Vorhersagen machen zu können, und ist daher vom wissenschaftlichen Standpunkt aus von keinerlei Wert. Wissenschaftler mögen in dieser Hinsicht recht oder unrecht haben. Es ist nicht unsere Aufgabe, diesen Punkt zu diskutieren. Wir müssen nur feststellen, dass solcher Skeptizismus von ungeheurem Einfluss und tonangebend für die Stimmung des Zeitalters ist.
Was die Wissenschaft alles in allem sagt, ist dies: Wir wissen nicht – und aller Wahrscheinlichkeit nach können wir auch nie wissen –, ob Gott existiert oder nicht. Nichts, was wir wissen, lässt darauf schließen, dass er existiert, und alle Argumente, die behaupten, seine Existenz beweisen zu können, erweisen sich ohne logischen Rückhalt. Tatsächlich lässt sich aber auch nicht beweisen, dass es Gott nicht gibt, doch die Last dieses Beweises liegt bei denen, die solche Behauptungen aufstellen. Wenn du an Gott glaubst – so sagt der Wissenschaftler –, so musst du das gänzlich gefühlsmäßig, ohne logische oder tatsächliche Grundlage tun. Praktisch gesprochen ist dieses Atheismus; theoretisch ist es einfach Agnostizismus.
Denn wissenschaftliche Ehrlichkeit bedingt vor allem, dass du nichts zu wissen vorgibst, was du nicht weißt, und das Wesen wissenschaftlicher Lehre fordert, dass du keine Hypothesen anwendest, die nicht nachgeprüft werden können.
Die unmittelbaren Resultate sind zutiefst beunruhigend und deprimierend gewesen. Denn dem Menschen scheint es unmöglich zu sein, ohne einen Mythos zu leben, ohne den Glauben, dass Gewohnheit und Plagerei, Furcht und Schmerzen dieses Lebens nicht irgendeine Bedeutung und ein Ziel in der Zukunft haben. Sofort tauchen neue Mythen auf – politische und wirtschaftliche Mythen mit verschwenderischen Versprechungen der besten aller Zukünfte in diesem Dasein. Diese Mythen üben bei dem Einzelnen eine gewisse Wirkung dadurch aus, dass er zum Teil einer gewaltigen sozialen Kraftanstrengung wird, in welcher er etwas von seiner eigenen inneren Leere und Verlassenheit vergisst. Jedoch verrät gerade die Heftigkeit solcher politischer Religionen die unter ihnen schlummernde Angst. Sie gleichen einer Herde Menschen, die dicht zusammengedrängt einander zurufen, um sich im Dunkeln Mut zu machen.
Sobald der Verdacht entsteht, dass eine Religion Mythos sei, ist ihre Macht vergangen. Es mag für den Menschen nötig sein, einen Mythos zu haben, aber er kann sich nicht bewusst einen solchen verschreiben, wie er sich eine Tablette für sein Kopfweh verordnet. Ein Mythos kann nur wirken, wenn er als Wahrheit angesehen wird; Menschen können sich nicht lange bewusst und absichtlich zum Narren halten.
Selbst die besten neuzeitlichen Apostel der Religion scheinen diese Tatsache zu übersehen. Denn ihre stärksten Argumente für irgendeine Art Rückkehr zur Orthodoxie sind diejenigen, die soziale und moralische Vorzüge des Glaubens an Gott aufzeigen. Jedoch beweist dieses nicht, dass Gott eine Wirklichkeit ist. Es beweist bestenfalls, dass an Gott glauben nützlich ist. »Und gäbe es keinen Gott, man müsste ihn erfinden.« Vielleicht. Wenn aber die Masse irgendeinen Verdacht hat, dass er nicht existiert, ist die Erfindung vergeblich.
Aus diesem Grund hat die derzeitige Rückkehr mancher intellektueller Kreise zur Orthodoxie in vielen Fällen einen recht hohlen Klang. So vieles ist dabei mehr ein Glauben an den Glauben als ein Glaube an Gott. Der Kontrast zwischen den unsicheren neurotischen, gelehrten »Modernen« und der ruhigen Würde, dem inneren Frieden des Gläubigen vom alten Schlag lässt einen den Letzteren beneiden.
Jedoch ist es eine ernste Fehlanwendung der Psychologie, das Vorliegen oder Fehlen einer Neurose zum Prüfstein der Wahrheit zu machen und anzunehmen, dass, wenn eines Menschen Philosophie ihn neurotisch macht, diese Philosophie falsch sein müsse. »Die meisten Atheisten und Agnostiker sind neurotisch, während die meisten einfachen Katholiken glücklich sind und in Frieden mit sich selbst. Daher sind die Ansichten der Ersten falsch und die der Letzten richtig.«
Selbst wenn diese Beobachtung richtig wäre, ist doch die Folgerung daraus falsch. Das ist, wie wenn du sagen würdest: »Du sagst, es brennt im Erdgeschoss. Du bist bestürzt darüber. Aber da du bestürzt bist, ist offenbar gar kein Feuer vorhanden.« Der Agnostiker, der Skeptiker ist neurotisch, jedoch bedingt das nicht, dass seine Philosophie falsch ist; es schließt nur die Aufdeckung von Tatsachen ein, denen er sich nicht anzupassen vermag. Der Intellektuelle, der der Neurose zu entgehen versucht, indem er vor den Tatsachen flieht, handelt nur nach dem Prinzip: »Wo Unwissenheit selig macht, wäre es Torheit, weise sein zu wollen.«
Wenn Glaube an Ewiges unmöglich wird und es nur den kleinen Ersatz von Glauben an den Glauben gibt, suchen Menschen ihr Glück in den Freuden der Zeit. Wie sehr sie auch immer versuchen mögen, es tief in ihrem Hirn zu begraben, so sind sie sich doch immer bewusst, dass diese Freuden sowohl ungewiss wie kurz sind. Das zeitigt zwei Ergebnisse: Auf der einen Seite hat man Angst, man könnte etwas versäumen, so dass der Geist gierig und nervös von einem Vergnügen zum anderen flattert, ohne in einem davon Ruhe und Befriedigung zu finden. Auf der anderen Seite gibt die fruchtlose Mühe, dauernd nach einem zukünftigen Heil in einem Morgen, das niemals kommt, zu jagen, in einer Welt, in der alles zerfällt, dem Menschen die Haltung des »Was hat es denn überhaupt für einen Zweck?«.
Als Folge davon ist unsere Zeit eine der Fruchtlosigkeit, der Angst, der Aufregung und der Neigung zu »Betäubung«. Irgendwie müssen wir zu erhaschen versuchen, was wir nur können, solange wie es können, und die Erkenntnis betäuben, dass alles nichtig und sinnlos ist. Diese Betäubung nennen wir dann unseren hohen Lebensstandard, eine gewaltsame und vielfältige Anregung der Sinne, die sie fortschreitend immer weniger empfindsam macht, so dass sie eines stets noch stärkeren Anreizes bedürfen.
Wir dürsten nach Ablenkung – nach Anblicken, Tönen, Aufregungen und Nervenkitzeln –, nach einem Panorama, in das möglichst viel von all dem in kürzester Zeit hineingezwängt werden soll.
Um diesen »Standard« aufrechtzuerhalten, sind die meisten von uns bereit, ein Leben hinzunehmen, das vorwiegend darin besteht, mit langweiligen Betätigungen genügend Mittel zu erwerben, um in der Zwischenzeit hektischen und teuren Vergnügungen nachzugehen, die vorübergehende Erleichterung der Langeweile mit sich bringen. Diese Unterbrechungen hält man für das richtige Leben, für den eigentlichen Zweck, dem das notwendige Übel der Arbeit dient. Oder wir bilden uns ein, dass eine Arbeit durch die Gründung einer Familie ihre Rechtfertigung findet, die dann ihrerseits auf der gleichen Linie fortfährt, um eine weitere Familie zu errichten … und dies ad infinitum.
Das ist keine Karikatur. Es ist die nackte Wirklichkeit von Millionen Leben, so allgemein, dass wir uns kaum mit Einzelheiten zu befassen brauchen, außer die Angst und Hoffnungslosigkeit derer festzustellen, die sich damit abfinden müssen, weil sie nichts anderes zu tun wissen.
Aber was sollen wir tun? Es scheint zwei Lösungen zu geben. Erstens auf diesem oder jenem Weg einen neuen Mythos zu entdecken oder überzeugend einen alten wiederzuerwecken. Wenn die Wissenschaft nicht beweisen kann, dass es keinen Gott gibt, so können wir versuchen, auf die bloße Chance hin, dass es ihn schließlich doch gibt, zu leben und zu handeln. In einem solchen Spiel scheint man nicht verlieren zu können; denn wenn am Ende der Tod steht, werden wir nie erfahren, dass wir verloren haben. Doch offenbar wird dieses nie zu einem lebendigen Vertrauen führen, denn es ist in Wirklichkeit kaum mehr, als wenn man sagt: »Da die ganze Sache sowieso nutzlos ist, wollen wir tun, als ob sie es nicht wäre!« Die zweite Lösung wäre, zu versuchen, grimmig der nackten Wirklichkeit ins Auge zu sehen, als ob das Leben »ein Märchen sei, von einem Irren erzählt«, und daraus das Bestmögliche zu machen, und uns dabei auf unserer Reise vom Nichts zum Nichts von Wissenschaft und Technik, so gut sie es können, helfen zu lassen.
Doch sind dies nicht die einzigen Lösungen. Wir können damit anfangen, den Agnostizismus der kritischen Wissenschaft anzunehmen. Wir können ehrlich zugeben, dass wir keinerlei wissenschaftliche Grundlagen haben, an Gott, Unsterblichkeit oder an irgendetwas Absolutes zu glauben. Wir können ganz und gar Abstand nehmen von dem Versuch, zu glauben, das Leben einfach so nehmen, wie es ist, und als nichts anderes. Doch gibt es bei diesem Ausgangspunkt noch einen anderen Kurs des Lebens, der weder Mythos noch Verzweiflung erfordert, jedoch eine totale Umwälzung in unserem normalen gewohnten Denken und Fühlen.