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Wenn der wichtigste Mensch in deinem Leben zur Gefahr wird... Christiane ist froh von Zuhause weg zu sein. Endlich Unabhängigkeit und eine eigene Wohnung. Und dann trifft sie die Liebe ihres Lebens. Oder? Nichts ist so perfekt, wie es scheint. Im Wald wird aufgebahrt eine Frauenleiche entdeckt, die Christiane erschreckend ähnlich sieht. Und ihr Verlobter Rudolph benimmt sich plötzlich sehr eigenartig. Die Polizei ermittelt, und Christiane ahnt, dass irgendetwas nicht stimmt …
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Die AutorinGisela Garnschröder ist 1949 in Herzebrock/Ostwestfalen geboren und aufgewachsen auf einem westfälischen Bauernhof. Sie erlangte die Hochschulreife und studierte Betriebswirtschaft. Nach dem Vordiplom entschied sie sich für eine Tätigkeit in einer Justizvollzugsanstalt. Immer war das Schreiben ihre Lieblingsbeschäftigung. Die berufliche Tätigkeit in der Justizvollzugsanstalt brachte den Anstoß zum Kriminalroman. Gisela Garnschröder wohnt in Ostwestfalen, ist verheiratet und hat Kinder und Enkelkinder. Sie ist Mitglied bei der Krimivereinigung Mörderische Schwestern, beim Syndikat und bei DeLiA.
Das BuchChristiane ist froh von Zuhause weg zu sein. Endlich Unabhängigkeit und eine eigene Wohnung. Und dann trifft sie die Liebe ihres Lebens. Oder? Nichts ist so perfekt, wie es scheint. Im Wald wird aufgebahrt eine Frauenleiche entdeckt, die Christiane erschreckend ähnlich sieht. Und ihr Verlobter Rudolph benimmt sich plötzlich sehr eigenartig. Die Polizei ermittelt, und Christiane ahnt, dass irgendetwas nicht stimmt … Von Gisela Garnschröder sind bei Midnight erschienen: Ein-Steif-und-Kantig-Krimi: Steif und Kantig Kühe, Konten und Komplotte Landluft und Leichenduft Außerdem: Winterdiebe Weiß wie Schnee, schwarz wie Ebenholz
Gisela Garnschröder
Weiß wie Schnee, schwarz wie Ebenholz
Roman
Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de
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Mord im Münsterland
Manchmal ist das Glücknur ein zerbroch’nes StückScherbe in der Hand.Du spiegelst dich darin und denkst,du hast das große Los gezogen,schneidest dich und merkst:Es war alles nur gelogen!
Gisela Garnschröder
»Mama, bitte!« Melanie umarmte ihre Mutter und beschwor sie: »Alle gehen heute zu der Party von Ines. Meine ganze Klasse ist da!«
Ihre Mutter seufzte. »Muss das denn sein, ausgerechnet am Weihnachtsabend? Kind, ich weiß nicht …« Sie warf ihrem Mann einen fragenden Blick zu, der mit verärgertem Gesicht im Sessel saß. »Ich finde, du könntest den Abend ruhig mit uns verbringen, Melanie. Maik ist auch da.«
»Papa, alle gehen da hin. Bitte.«
»Nein! Du bleibst hier!«, sagte ihr Vater bestimmt und schaltete den Fernseher ein, um sich die Achtzehn-Uhr-Nachrichten anzusehen. In diesem Moment öffnete sich die Tür und Melanies Bruder Maik erschien. Er war wesentlich älter als seine siebzehnjährige Schwester und lebte und arbeitete in Bielefeld. Für die Weihnachtstage hatte er sich Urlaub genommen und bewohnte sein altes Zimmer im Haus seiner Eltern.
»Gibt’s Ärger?«, fragte er, als er Melanies enttäuschtes Gesicht sah.
Melanie zuckte die Schultern. »Ich möchte zu Ines heute Abend, aber Papa erlaubt es nicht.«
»Warum denn nicht?«, fragte Maik arglos. »Ines wohnt doch ganz in der Nähe. Ich kann dich hinbringen!«
»Also bitte, Maik«, fuhr sein Vater verärgert auf. »Endlich bist du mal zu Hause, da wollen wir doch den Abend zusammen genießen!«
Maik lächelte. »Morgen bin ich auch noch da. Gönn Melanie doch den Spaß.«
»Bis Ines ist es nicht weit. Ich fahr mit dem Fahrrad«, warf Melanie ein. »Dann könnt ihr hier gemütlich plaudern.«
»Ich weiß nicht«, sagte Maik. »Es ist sicher besser, wenn ich dich hinbringe.«
»Wenn sie unbedingt zu dieser Party will, kann sie auch mit dem Fahrrad fahren«, sagte ihr Vater verärgert. »Die Straße ist beleuchtet und es sind kaum zehn Minuten zu fahren.« Er stand auf und fuhr fort: »Punkt ein Uhr bist du wieder zu Hause. Verstanden!«
»Ja, Papa. Ganz bestimmt!« Melanie strahlte und fiel ihrem Vater um den Hals.
Sie hatte ihren neuen blauen Hosenanzug angezogen und das schwarze Haar fiel ihr lockig und weich bis auf die Schultern. Sie kam gut gelaunt die Treppe herunter und schlüpfte in ihren Steppmantel.
»Soll ich dich nicht doch wegbringen?«, fragte Maik, der wohl plötzlich Bedenken hatte.
Melanie lachte. »So kalt ist es doch gar nicht.« Sie umarmte ihren Bruder stürmisch, gab ihm einen Kuss auf die Wange und sagte: »Danke!«
Sie winkte ihm fröhlich lachend zu, während er mit skeptischer Miene in der Tür stand und ihrem Rad nachblickte.
Die Party war in vollem Gange. Melanie tanzte selbstvergessen inmitten ihrer Freundinnen. Plötzlich stieß Ines sie an und schrie ihr gegen die laute Musik zu: »Schon gleich eins, lass uns noch ein wenig nach draußen gehen zu den Jungs!«
Melanie schrak zusammen und sah auf ihre Uhr. »Oh, Mist! Ich muss um eins zu Hause sein.« Sie zog Ines am Ärmel und bugsierte sie von der Tanzfläche in den Vorraum des Zeltes.
»Ich muss sofort weg!«
»Jetzt wird’s doch erst richtig interessant!«, protestierte Ines.
»Egal, ich muss weg, ich hab es meinem Vater versprochen!« Melanie ging zu dem großen Stapel von Mänteln, die die Partygäste alle aufeinander geworfen hatten, zog ihren Steppmantel darunter hervor und schlüpfte hinein.
Sie schlug den Kragen hoch, zog die warmen Handschuhe aus der Tasche und streifte sie über. Der Himmel war klar, als sie ihr Fahrrad hinter zwei anderen hervorholte und schnell aufstieg. Sie hatte keine Mütze mitgenommen, weil sie sich ihre Frisur nicht verderben wollte, aber der Weg war nur kurz und ihr langes schwarzes Haar wehte warm um ihr Gesicht.
Sie trat heftig in die Kette, während sie die Melodie summte, die hinter ihr von dem geheizten Partyzelt herüberwehte. Es war ein wunderschöner Abend gewesen mit ihren Freunden, aber jetzt freute sie sich auf zu Hause. Bestimmt saßen Vater und Mutter noch unterm Weihnachtsbaum und plauderten mit ihrem Bruder.
Eilig, in Gedanken schon zu Hause, fuhr sie an der Landstraße entlang, als sie plötzlich vor sich ein geparktes Auto sah. Gleich dahinter konnte sie schon ihr Elternhaus erkennen, denn wie immer, wenn sie des Abends unterwegs war, hatte die Mutter die Außenbeleuchtung angelassen. Es waren kaum mehr als hundert Meter bis nach Hause, als sie das geparkte Auto passierte. Es stand halb auf dem Grasstreifen, der den Wassergraben von der Straße trennte.
Melanie fuhr schnell daran vorbei, als plötzlich wie aus dem nichts eine dunkle Gestalt hinter dem Wagen auftauchte, ohne das geringste Geräusch zu machen.
»Hallo«, erklang eine heisere Stimme. Melanie schrak zusammen. Sie antwortete nicht und fuhr mit klopfendem Herzen an dem Mann vorbei. Sekunden später spürte sie einen heftigen Ruck an ihrem Fahrrad, kam ins Schwanken, fiel und rutschte seitlich die Böschung hinunter.
»He, was soll das?«, rief sie empört und gleichzeitig ängstlich aus.
Er stürzte sich auf sie und vergrub die Hände in ihren Haaren. »Schneewittchen«, flüsterte er und presste sie mit seinem ganzen Gewicht auf den Boden.
Melanie schnappte nach Luft. »Lassen Sie das«, keuchte sie, bäumte sich unter ihm auf und wollte ihn von sich stoßen. Aber er war stark.
»Du gehörst mir«, flüsterte er. Sie schrie auf, laut und schrill. Er schlug ihr heftig mit der Faust auf den Kopf und drückte ihr Gesicht ins eisige Gras. Melanie stemmte die Knie in den Boden und versuchte vergeblich ihn abzuschütteln.
»Sei still«, herrschte er sie an, stand auf und zog sie hoch. Sie war etwas benommen, aber dennoch froh, wieder auf den Beinen zu stehen. Sie hob ihr Knie und stieß zu. Sie traf nur seinen Oberschenkel. Er griff fluchend in ihr Haar, schleuderte sie von sich, dass sie vollends im Graben landete. Das dünne Eis zerbrach und ihr Mantel saugte sich mit Wasser voll.
Sekunden später zog er sie wieder hoch. Sie trat um sich, schlug mit den Händen, wollte ihm durchs Gesicht kratzen, aber ihre Handschuhe hinderten sie daran. Verzweifelt trommelte sie mit den Fäusten auf seine Brust, wehrte sich gegen seinen Griff und trat ihn mit den Füßen. Er fasste sie an den Armen und schleuderte sie zur Seite. Beide stolperten sie über das Fahrrad, das noch am Straßenrand lag, und sie schlug mit dem Kopf auf den Asphalt.
Der Schmerz schoss wie ein brennender Pfeil durch ihren Kopf. Sie schrie um Hilfe, doch ihre Stimme war dünn und flach, ihr Atem ging stoßweise und für Sekunden war sie einer Ohnmacht nahe, dann versuchte sie sich aufzurichten. Er aber ließ nicht locker, warf sich erneut auf sie, presste seine Hände an ihren Hals und drückte ihre Kehle zu.
Sie röchelte. Tausend schwarze Punkte tanzten in ihrem Kopf. Noch einmal versuchte sie sich hochzustemmen, dann erschlafften ihre Glieder und ein dunkler Nebel senkte sich über ihr Bewusstsein.
Der Tag war wundervoll. Es schneite ununterbrochen. Fasziniert stand ich am Fenster meiner kleinen Wohnung und starrte auf den Rasen vor meinem Haus. Überall um mich herum standen Kisten und Kästen, aufgerollte Teppiche und diverser anderer Kram lag auf dem Boden.
Mich erschütterte das nicht. Schnee war genau das, wonach ich mich sehnte. Schnee, viel Schnee! Ich bin ein Naturmensch. Ich liebe das Extreme. Kälte, nicht die hier im Münsterland übliche nasse Kälte, sondern richtiger Frost, das ist mein Lebenselixier. Na ja, eines davon zumindest. Sobald das Thermometer im Winter unter null Grad sinkt, werde ich munter. Wenn dann noch Schnee dazukommt, reichlich Schnee, fühle ich mich wie ausgetauscht. Sooft es meine Zeit zulässt, halte ich mich im Freien auf. Wenn der Frost mir die Nase rötet und mir in die Ohren kneift, laufe ich mit dem Wind um die Wette, mache lange Märsche durch Feld und Flur und vergesse alles um mich herum.
Nur jetzt gerade war es ein wenig unpassend, aus diesem Chaos heraus in warme Sachen zu schlüpfen und draußen Schneeflocken zu fangen.
Ich zog nämlich um, das heißt, ich war zu Hause ausgezogen. Endlich!
Es war der zweite November, so früh hatte es hier nie geschneit. Und es war so viel zu tun! Schließlich hatte ich nur eine Woche Urlaub. Und wenn Mutter morgen käme und sähe, dass ich noch nichts geschafft hatte! Diese Blöße wollte ich mir nicht geben.
Aber trotzdem, ein Stündchen Schnee konnte nicht schaden. Nachher ginge es mit dem Einräumen umso besser.
Gedacht, getan.
Kaum war ich draußen, wirbelten mir die Flocken ins Gesicht. Herrlich!
Das Haus, in dem meine Eigentumswohnung lag, selbst bezahlt und ausgesucht, kleiner Kredit inbegriffen, sah aus wie gepudert.
Die Wohnung war unter dem Dach. Das Haus bestand aus zwei Wohnungen, einer im Erdgeschoss und einer im Dachgeschoss mit einem geräumigen Balkon.
In dem kleinen Ort, in dem ich wohnte, war solcher Luxus gerade bezahlbar. Da ich bei einer Bankfiliale arbeitete, griff ich gleich zu, als die Wohnung angeboten wurde.
Meine Mutter war entsetzt, dass ich als alleinstehende, junge unverheiratete Frau zu Hause ausziehen wollte. Aber ich setzte mich durch, allem Gerede der Dörfler zum Trotz, denn der Dorfklatsch hatte mich immer schon kaltgelassen. Ja, es gab Momente, da liebte ich diese wunderbare Einrichtung. Es war doch herrlich, wenn man den alten Damen, die in gesetztem Ernst moralische Bedenken gegen den Lebenswandel der jungen Generation erhoben, mit bauchfreiem Top und superkurzem Minirock die Wichtigkeit ihrer Empörung vor Augen führte. Ich hatte schließlich die Figur dafür! Obwohl ich bereits neunundzwanzig war, gab es an meiner Figur nichts auszusetzen. Und das war erst recht das Dilemma. Ich wurde nämlich im nächsten Jahr dreißig. Im Juli 2002! Meine Mutter glaubte allen Ernstes, ich wäre noch nie mit einem Mann zusammen gewesen.
Wenn die wüsste!
Ich würde ihr nichts sagen, es war ohnehin alles schlimm genug für Mutter. Ihre einzige Tochter noch unverheiratet, und das in dem Alter. Lange hatte sie gehofft und mir alle Junggesellen der Umgebung in leuchtenden Farben geschildert. Nichts hatte gefruchtet. Und an den Männern hatte es auch nicht gelegen. Nein, die hatten sich alle Mühe gegeben, nachdem meine Mutter überall hatte verlauten lassen, welch gute Partie ich war. Damit meinte sie wahrscheinlich die mir zustehende Abfindung des Hofes, mit der ich nun zum Teil meine neue Wohnung finanziert hatte. Mutter hatte wirklich alles unternommen, um mich unter die Haube zu bringen. Alles zwecklos.
Und natürlich hatte ich mir die Wohnung gekauft, um Mutters schützender Hand zu entkommen. Stimmte zwar nicht, aber Mutter dachte so.
Was sollte es? Ich hatte endlich mein eigenes Reich. Und wenn ich einen Mann wollte, suchte ich ihn mir selbst.
Ich stapfte begeistert durch den Schnee. Erst nach einer ganzen Stunde, es war fast vier Uhr, ging ich nach Hause.
Nach Hause! Dieser Ausdruck bekam für mich eine ganz andere Bedeutung. Meine Wohnung, mein absolut eigenes Reich!
Vor dem Haus wurde ich von meiner Nachbarin freundlich begrüßt:
»Hallo, na, alles eingeräumt, Frau Steinheim?«
»Hallo, danke der Nachfrage, Frau Wagner. Ich habe erst einmal einen Spaziergang gemacht, gleich geht’s weiter mit dem Einräumen.«
Meine Nachbarin war eine liebenswerte junge Frau etwa in meinem Alter, blond und hübsch. Ihr Mann war ebenfalls sehr nett. Ich kannte sie nun schon einige Zeit.
Die Wagners hatten sich beim Bau ihres Häuschens finanziell etwas übernommen. Als die Bank ihnen den Vorschlag machte, die obere Etage als Eigentumswohnung zu verkaufen, sind sie gleich darauf eingegangen.
So kam ich zu meiner Wohnung mit Stellplatz und Balkon, und die Wagners hatten noch immer eine Wohnung mit zwei Kinderzimmern, einem großen Garten und einer Garage. Zudem hatte ich ihnen ein Vorkaufsrecht auf meine Wohnung eingeräumt. Ich dachte, das sei eine gute Basis für eine Freundschaft, und startete gleich einen Versuch.
»Frau Wagner, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir, ich meine …«
Verflixt, warum wurde ich trotz meiner schwarzen Haare ständig puterrot? Sie aber hatte mich gleich verstanden.
»Natürlich, wir könnten eigentlich ›du’ zueinander sagen. Ich heiße Gerda.«
»Danke, ich heiße Christiane. Wie wär’s, wenn du mit deinem Mann auf einen Begrüßungsschluck heute Abend vorbeikommst?«
»Wunderbar, wir kommen gerne«, antwortete meine neue Freundin. Ich verabschiedete mich schnell, schließlich sollte meine Wohnung ein wenig nett aussehen bis heute Abend.
Als meine Nachbarn eintrafen, war es schon fast gemütlich im Wohnzimmer, und einen kleinen Imbiss hatte ich ebenfalls zu Stande gebracht. Manchmal war es doch gut, eine Bäuerin zur Mutter zu haben!
Der Abend war nicht so berauschend, schließlich mussten wir alle am anderen Tag arbeiten. Aber es war der Beginn einer Freundschaft mit Gerda Wagner, die ich nie mehr missen mochte. Auch Gerdas Mann Georg war einfach liebenswert. Die beiden waren in meinen Augen ein ideales Paar.
Am nächsten Morgen stand ich sehr früh auf und legte gleich richtig los. Ich hämmerte und bohrte, ich räumte ein und wieder aus, und gegen Mittag war mein Schlafzimmer fertig und das Bad komplett eingeräumt. Ich zog mich schnell an, um einen Einkaufsbummel zu machen.
Mein Wagen, ein knallroter Golf, war richtig schön eingeschneit und musste erst freigelegt werden. Aber bald ging es los in die Kreisstadt und dort besorgte ich alles zum Abendessen und einige Kleinigkeiten für die Wohnung.
Als ich alles beisammen hatte, machte ich einen Blitzbesuch im Reisebüro und ließ mir Infomaterial über die sicheren Skigebiete in den Alpen geben. Ich hatte mir vorgenommen, im Februar einen Skiurlaub zu machen. Wie ich das meiner Mutter beibringen würde, musste ich mir erst überlegen.
Endlich wieder zu Hause, setzte ich mich an die Nähmaschine und nähte eine Gardine fürs Wohnzimmer. Nach einer Stunde konnte ich sie aufhängen und mein Wohnzimmer war absolut gemütlich.
Da Mutter um acht Uhr kommen wollte, hatte ich volle zwei Stunden Zeit, um alles vorzubereiten.
Meine Wohnung hatte drei Zimmer und es war ein Leichtes, den dritten Raum vorerst als Abstellraum zu nutzen. So holte ich jetzt den Staubsauger und nach einer Viertelstunde waren die übrigen Räume blitzblank. Dann legte ich mich gemütlich in die Badewanne und genoss das herrliche neue Gefühl, von niemandem gestört zu werden.
In der Wanne, eingelullt in heißen Dampf und den Duft meines Schaumbades, kamen mir immer die besten Gedanken. Zu Hause hätte schon nach kurzer Zeit jemand nach mir gerufen, aber hier, in der neuen Wohnung, war ich ungestört.
Mein Zuhause war ein großer Bauernhof. Ein riesiges Haus mit vielen Stallungen, mit Pferden und Schweinen, mit zwei wunderschönen Schäferhunden, Senta und Hasso, mit Hühnern und Kühen. Zu dem Hof gehörten viele Felder und Wälder und eine eigene Jagd. Mein verstorbener Vater war leidenschaftlicher Jäger gewesen und mein Bruder Georg war es ebenfalls. Seit mein Vater vor drei Jahren gestorben war, gehörte der Hof meinem Bruder und seiner Frau Dorothee. Die beiden hatten zwei Kinder, den fünfjährigen Markus und die dreijährige Birgit.
Die beiden Irrwische hätten mich sicher beim Baden gestört und versucht, mit in die Wanne zu kommen. Sie waren ganz traurig, als ich auszog.
Mir fehlten die beiden Racker ein wenig, aber wenn ich geheiratet hätte, wäre ich schließlich auch nicht auf dem Hof geblieben.
Mit leichtem Bedauern tauchte ich noch einmal in der Wanne unter, zog den Stöpsel heraus und stieg aus dem Wasser.
Der riesige Spiegel an der Tür meines Badezimmers war echt spitze, ich konnte mich von oben bis unten darin sehen. Kritisch betrachtete ich nun meine Figur. Absolut in Ordnung! Nur meine Haut gefiel mir nicht, sie war kalkweiß, und selbst wenn ich im Sommer tagelang in der Sonne briet, bekam sie höchstens, nachdem sie krebsrot angelaufen war, einen leichten bräunlichen Schimmer.
Ja, ich hatte die helle Haut meiner rothaarigen Mutter geerbt und die dunkelbraunen, fast schwarzen Haare meines Vaters. Meine Augen waren blau. Meine helle Haut habe ich schon oft verflucht, besonders weil ich bei jeder Gelegenheit krebsrot wurde. Nur mein Haar fand ich schön, denn es war so toll gelockt, dass fast jeder dachte, ich hätte Dauerwellen.
Hier vor dem großen Badespiegel fand ich mich eigentlich ganz passabel, wrang mein schulterlanges Haar aus, cremte mich gründlich ein, zog mich an und holte die Weingläser hervor. Ich hatte extra einen guten Rotwein besorgt.
Kaum war ich fertig, klingelte es und Mutters warme Stimme ertönte aus der Gegensprechanlage.
Ich wartete in der Tür. Schnellen Schrittes eilte meine Mutter die Treppe hinauf. Mit beiden Händen überreichte sie mir einen riesigen Blumenkorb mit herrlichen weißen und roten Azaleen.
»Zum Einzug, extra von Dorothee zusammengestellt. Sie lässt dich herzlich grüßen. Sie und Georg kommen morgen mit den Kindern vorbei.«
Sie stand mit kritischem Blick im Eingang und musterte meine kleine Diele.
»Danke, Mama. Die Azaleen sind wunderschön, ich werde sie gleich ins Wohnzimmer stellen. Komm doch herein, der Flur ist sowieso noch nicht richtig fertig.«
Ich nahm den Azaleenkorb mit ins Wohnzimmer und stellte ihn auf ein kleines Tischchen ans Fenster. Er sah toll aus, wie extra bestellt. Meine Schwägerin hatte wie immer einen absolut sicheren Geschmack.
Mutter ging im Zimmer auf und ab. »Besser, als ich dachte. Du hast ja sogar schon Gardinen. Sieht hübsch aus.«
»Oh, danke, Mama. Komm, ich zeig dir auch die anderen Zimmer.«
Nach der Besichtigung ließ sich Mutter gemütlich auf der Couch nieder.
»Also wirklich, Kind, du warst recht fleißig! Nur den Eingang musst du etwas verschönern.«
»Ich habe doch noch bis Montag Urlaub. Das wird schon.«
Erleichtert über Mutters positive Reaktion holte ich die vorbereiteten Häppchen und goss den Wein ein.
Gerade als ich es mir neben Mutter auf der neuen Couch bequem gemacht hatte, klingelte es an der Haustür.
»Ach, das wird sicher Rudolph sein!«, meinte Mutter triumphierend.
»Wieso Rudolph? Was will der denn hier?«
Zornig stand ich auf, um zur Tür zu gehen.
»Aber Kind! Sei nicht so unfreundlich. Ich meine es nur gut mit dir!«
Vielsagend lächelnd schüttelte Mutter den Kopf. Ich ignorierte ihren tadelnden Blick und ging zur Tür.
Als ich öffnete, sah ich nur einen riesengroßen Rosenstrauß mit zwei Beinen.
»Hallo, äh, hm, ja, herzlichen Glückwunsch zum Einzug, Christiane!«, sprach eine verlegene Stimme aus dem Gebüsch. »Ich wollte nur grad mal so vorbeischauen.«
»Ach, und da hast du sicher diesen herrlichen Strauß am Wegrand gepflückt«, entgegnete ich spöttisch. »Und eine Vase hast du auch gleich gefunden.«
Ich öffnete die Tür sehr weit, damit er hindurch kam. Etwas außer Atem warf er mir den Strauß in den Arm und setzte die dazu passende, ebenso wuchtige Vase im Flur ab. Rudolph drückte mir einen leichten Kuss auf die Wange und meinte: »Also deine Mutter hat, nein, ich habe gedacht, ich könnte dich überraschen.«
»Ich habe gesagt … Rudolph, habe ich gesagt, die Christiane braucht dringend jemand, der ihr beim Einzug hilft. Komm herein, Junge, Christiane holt noch ein paar Gläser, sie freut sich ja so«, pflichtete Mutter ihm bei.
Sie war aus dem Wohnzimmer gekommen, um meinen Besucher liebevoll zu unterstützen. Ich griff nach der überdimensionalen Vase und ging in die Küche. Verdammt, was hatte Mutter nur an diesem Typen gefressen?
Ich füllte die Vase mit Wasser und stellte die Blumen hinein. Es waren wunderschöne Rosen. Dunkelrote Baccararosen, langstielig und genau neunundzwanzig. Die Vase war absolut passend dazu, schlicht weiß und etwa einen halben Meter hoch. Geschmack hatte Rudolph, das musste man ihm lassen. Und kleinlich war er auch nicht, der Strauß war sicher nicht billig.
Rudolph und ich waren Nachbarskinder. Die Höfe unserer Eltern lagen etwa zwei Kilometer auseinander. Da zu beiden Höfen eine eigene Jagd gehörte, war die Entfernung nicht ungewöhnlich.
Rudolph war der jüngste von drei Brüdern und hatte noch eine jüngere Schwester. Er war fünf Jahre älter als ich, groß und schlank, blond und bei objektiver Betrachtung recht gutaussehend. Er war gebildet und wohlhabend und würde sicher mancher Frau gefallen.
Mit vollem Namen hieß er Rudolph Heinrich Meier zu Homberg, ein Name, den meine Mutter zu gern für ihre Tochter, also für mich, gehabt hätte.
Ich nahm die Vase in beide Hände und trug sie ins Wohnzimmer. An der Tür vernahm ich die Stimme meiner Mutter.
»Es wäre so schön, wenn du uns beide mitnehmen könntest.«
»Gerne, wenn Christiane möchte«, gab Rudolph zur Antwort.
Ich trat schnell ein und fragte: »Was möchte ich denn?«
»Oh, Rudolph meinte, er könnte uns wohl zum Reiterball fahren, du willst doch auch hin, nicht wahr, Christiane?«
»Reiterball? Aber, Mutter! Du weißt doch, dass ich im Skiurlaub bin«, gab ich zur Antwort. Betroffene Gesichter auf beiden Seiten.
»Skiurlaub? Ich wusste gar nicht, dass du wegfährst.« Ratlos schaute Rudolph mich an.
»Das geht dich auch gar nichts an!«, gab ich zurück.
Mutter schaute mich wegen meiner Offenheit empört an und kurz darauf stand sie auf, um zu gehen. Sie verabschiedete sich von Rudolph mit einem Augenzwinkern und gab mir an der Haustür den guten Rat, Rudolph höflich zu behandeln. Ich nickte resignierend und überlegte krampfhaft, wie ich diesen lästigen Eindringling schnellstens wieder loswerden könnte.
Im Wohnzimmer war Rudolph ans Fenster getreten. Er stand da, die Hände auf dem Rücken verschränkt, und wartete auf mich. Auch als ich mich schon gesetzt hatte, blieb er stehen.
»Warum hasst du mich? Ich habe dir doch gesagt, dass es mir leid tut.« Er drehte sich nicht um, während er sprach.
»Ich hasse dich nicht. Aber warum musstest du herkommen? Kannst du mich nicht in Ruhe lassen?«
Seine übergroße Höflichkeit und seine leise Stimme machten mich verlegen. »Deine Mutter hat so gedrängelt. Und ich wollte, Himmel Herrgott noch einmal! Ich will dich immer noch, Christiane.«
»Welch großartige Worte, mir kommen die Tränen!«, spottete ich.
Er drehte sich mit verärgertem Gesicht zu mir um: »Es stimmt. Du bedeutest mir wirklich etwas. Wann begreifst du das endlich?«
Ich versuchte gelassen zu bleiben. Aber so wie er da stand, hatte er plötzlich etwas, was mir nie zuvor aufgefallen war. Irgendwo war da ein Quäntchen Sympathie in mir. Woher? Ich weiß es nicht.
»Komm, setz dich«, meinte ich versöhnlich gestimmt, fügte aber hinzu: »Wir passen einfach nicht zusammen.«
Ich reichte ihm das Glas und er setzte sich mir gegenüber. Nachdem er ausgetrunken hatte, stand er abrupt auf und verabschiedete sich. Jetzt, mit dem Wein im Magen, bedauerte ich sein Fortgehen und bat ihn zu bleiben, er aber wurde zornig.
»Auch ich habe Gefühle, und dich werde ich nie wieder anrühren, auch nicht, wenn du mich auf Knien darum bittest. Der heutige Abend hat mir den Rest gegeben. Ich mache mich nicht zum Narren. Gute Nacht!«, fauchte er und schon fiel die Wohnungstür ins Schloss.
Resigniert und uneins mit mir selbst trank ich den Rest des Weins und legte mich ins Bett. Aber an Schlaf war nicht zu denken, obwohl es ein langer Tag gewesen war.
Meine Gedanken wanderten zurück zu Rudolph und damit zu einem Ereignis, welches nun über neun Jahre zurücklag.
Es war ein herrlicher Sommertag gewesen. Alle waren wir zu einem Frühschoppen bei Bauer Osthaus eingeladen. Es herrschte Volksfeststimmung. Gegen drei Uhr nachmittags ging ich zu Fuß nach Hause. Mein Bruder und meine Eltern blieben dort. Auf halbem Wege überholte mich ein Radfahrer. Es war Rudolph.
»Hallo, Christiane! Warum bist du so früh gegangen?«, fragte er und stieg ab.
»Ich hatte keine Lust mehr.« Ich zuckte die Schultern und strich mit beiden Händen mein Haar zurück. Er schaute mich fasziniert an, legte den Arm um mich und lachte. »Ich find’s einfach toll, wie du dein Haar zurückstreichst. Wirklich, dein Haar ist wunderschön.«
Er hatte einiges getrunken und wirkte gelöster als sonst. Sein blondes Haar fiel ihm in die Stirn, und das weiße Oberhemd war oben aufgeknöpft, so dass man seine Brustbehaarung sehen konnte, auch die Ärmel hatte er lässig gerollt.
Er legte einen Arm über meine Schulter und schob mit der anderen Hand das Rad, so gingen wir einträchtig nebeneinander her. Wir waren noch über einen Kilometer von unserem Haus entfernt, als plötzlich ein heftiger Wind aufkam. Ohne dass wir es bemerkt hatten, waren dichte Wolken aufgezogen, und in Kürze würde es ein richtiges Gewitter geben. Rudolph schlug vor, gleich in eine nahe gelegene Scheune zu gehen und das Gewitter abzuwarten. Ich hielt es für eine gute Idee, und gemeinsam schoben wir das breite Tor zur Seite. Kaum waren wir drinnen, begann es zu regnen. Nebeneinander standen wir im Tor und schauten in den Regen hinaus. Rudolph hatte seinen Arm um meine Schulter gelegt. Er strich wie geistesabwesend über meinen Rücken. Ich empfand das als durchaus angenehm und rührte mich nicht. Plötzlich rückte er näher an mich heran.
»Eigentlich zu schade, dass wir die Wartezeit so nutzlos verstreichen lassen. Ich wüsste etwas Besseres«, raunte er.
Seine Hand wanderte meinen Rücken hinunter und umfasste meine Taille. Ich schob ihn weg. »He, lass das!«
»Aber Christiane, wo wir endlich einmal allein sind, der Regen wird noch eine ganze Stunde dauern.«
»Spinnst du?!«
Zornig wandte ich mich von ihm ab. Er aber ließ sich nicht abweisen.
Lächelnd kam er auf mich zu. »So gefällst du mir am besten. Hab dich immer schon gemocht.«
Er streckte die Arme aus, um mich an sich zu ziehen. Als ich zurückwich, sprang er auf mich zu, riss mich in seine Arme und presste seinen Mund fest auf meinen.
Verdammt, küssen konnte er! Für einen Moment wurde ich schwach, und erwiderte den Kuss, doch dann versuchte ich, ihn von mir zu stoßen. Prustend ließ er von mir ab, hielt mich aber an den Schultern fest und lächelte mich an.
»Warum sträubst du dich so? Ich mag dich wirklich!«
Ich entwand mich ihm und schüttelte den Kopf: »Rudolph, bitte, lass mich los, ich kann nicht, ich …«
Mir kamen plötzlich die die Tränen. Eigentlich mochte ich ihn, aber das hier ging mir einfach zu weit. Er aber fasste mein Bitten wohl als Aufforderung auf. Sein Griff wurde fester, und er drückte mich in einen Heuhaufen.
»Was soll das? Was hast du vor? Rudolph, lass mich los!«
Er lachte leise, und strich mit seinen Händen durch mein Haar. »Weich wie Seide«, flüsterte er, riss mich wieder an sich,küsste mich heftig und griff mit einer Hand unter meinen Minirock.
Jetzt hatte ich genug! »Lass mich!«, schrie ich ihn an und stieß ihn so heftig von mir, dass er mit einem erstaunten: »Aber, Christiane?!« von mir abließ.
In meiner Wut rannte ich, so schnell ich konnte, hinaus in den strömenden Gewitterregen. Rudolph rief etwas hinter mir her, ich reagierte nicht. Auf meinem Weg kam ich an einem Wäldchen vorbei, und plötzlich war er wieder hinter mir. Es war mir schleierhaft, wie er das geschafft hatte! Er umklammerte mich am Hals, dass ich kaum noch Luft bekam. Starr vor Angst konnte ich ihn durch meinen Tränenschleier und die vom Regen feuchten Haare gar nicht erkennen. Sah nur ein weißes Hemd, trat um mich, kratzte über seine Hände, bis sie sich von meinem Hals lösten, stolperte weiter und konnte ihn endlich abschütteln.
Quer übers Feld lief ich nach Hause. Hoffentlich bemerkt es keiner, wenn ich komme, dachte ich. Ich schlich durch den Stall ins Haus. Dort lief ich der Wirtschafterin direkt in die Arme. Bevor sie etwas sagen konnte, war ich an ihr vorbei und ins Bad gehuscht. Ich drehte den Schlüssel herum und blieb, nach Luft schnappend, an die Tür gelehnt stehen. Ich zog meine Sachen aus und stieg unter die Dusche.
Nachher fühlte ich mich etwas besser, holte mir frische Sachen, rollte mein Haar in ein Handtuch und legte mich auf mein Bett, um über alles nachzudenken. Anfangs wollte ich meiner Mutter davon erzählen, überlegte es mir aber anders. Mutter hätte Rudolph in Schutz genommen und noch mehr versucht, mich mit ihm zu verheiraten.
Am nächsten Tag kam Rudolph. Er hatte eine rote Rose mitgebracht. Am liebsten hätte ich ihm die Tür vor der Nase zugeknallt, aber er war so schlau gewesen, erst bei meiner Mutter nach mir zu fragen. So brachte ihn Mutter zu mir.
»Schau mal, Christiane, wer da ist. Und so eine schöne Rose hat er für dich mitgebracht.«
Lächelnd zog sie sich zurück. Ich ging mit Rudolph auf die Terrasse. Als Mutter außer Reichweite war, fauchte ich ihn an.
»Was fällt dir ein, hierher zu kommen? Oder treibt dich das schlechte Gewissen?«
Er war ehrlich zerknirscht und stotterte leise: »Christiane, bitte. Ich wollte das nicht. Ich …«
»Du wolltest nicht! Du Mistkerl, wenn du mich noch einmal anrührst!« Ich war wütend und schon kamen mir die Tränen. Er trat vor mich, schaute mich bittend an.
»Es tut mir leid. Ich war betrunken. Ich … Verzeih mir, bitte. Ich will’s wiedergutmachen.«
»Gutmachen, wie denn?« Der Spott in meiner Stimme war schwach, mir war nach Weinen zu Mute. Er aber verstand es als Einlenkung.
»Ich möchte dich heiraten, Christiane, bitte. Was ich gestern getan habe, war nicht richtig, aber ich wollte dich, ich liebe dich!«
Jetzt war es um meine Fassung geschehen. »Ach, so hast du dir das gedacht. Du fällst über mich her und anschließend heiratest du mich als Wiedergutmachung, und dafür soll ich dir dann auch noch dankbar sein! Ich will dich nicht heiraten!«
Mein Zorn war so groß, dass ich die Beherrschung verlor. Mit voller Kraft schlug ich ihm ins Gesicht und rannte durch den Garten davon. Als ich nach einer Stunde zurückkehrte, war er fort. Nun kam meine Mutter und wies mich zurecht.
»Christiane, ich weiß nicht, was in dir vorgeht, aber der Rudolph ist doch wirklich ein netter Junge, und so gebildet. Warum bist du nur so unfreundlich zu ihm? Er wäre genau der Richtige für dich.«
Das gab mir den Rest. Ich brach in Tränen aus, lief davon und schloss mich in meinem Schlafzimmer ein. Nicht einmal meine Mutter war auf meiner Seite.
Mit der Zeit versuchte ich, das Ganze einfach zu vergessen. Aber Rudolph hatte eigene Pläne. Bei jedem Fest im Umkreis war er anwesend. Er forderte mich zum Tanz auf und machte allen anderen Männern klar, dass ich sein Mädchen sei. Anfangs war ich empört, aber später fand ich mich damit ab und fühlte mich sogar geschmeichelt. Außerdem war er ein hervorragender Tänzer und ich tanzte leidenschaftlich gern. Ich fühlte mich wohl in Rudolphs Gegenwart, wenn ich es auch nie zugegeben hätte. Meine Freiräume nahm ich mir, indem ich weit außerhalb unseres Dorfes zu Festlichkeiten ging. Ich machte viele neue Bekanntschaften, aber niemals war etwas Ernstes dabei. Irgendwie wartete ich auf einen Mann, den es wohl nicht gab.
Und heute, nachdem Rudolph gegangen war, empfand ich zum ersten Mal eine nie zuvor gekannte Sehnsucht nach Geborgenheit und Zärtlichkeit.
Da ich ohnehin nicht schlafen konnte, stand ich auf, um noch ein Glas Wein zu trinken. In diesem Moment klingelte es. Ich schaute zur Uhr. Es war halb zwölf, wer mochte das sein? In meinem dunkelblauen Pyjama ging ich zur Wohnungstür und lugte durch den Spion. Draußen stand Rudolph. Er klingelte erneut.
»Was willst du?«, fragte ich, ohne die Tür zu öffnen.
»Christiane, Gott sei Dank, du schläfst noch nicht, ich habe meinen Hausschlüssel bei dir verloren. Bitte mach auf«, kam die zerknirschte Antwort.
»Eine bessere Ausrede fiel dir wohl nicht ein«, erwiderte ich und öffnete vorsichtig die Tür. Irgendwie war ich plötzlich froh, dass er zurückgekommen war.
»Danke«, sagte er nur und ging gleich ins Wohnzimmer. Ich folgte ihm und sah ihn vor dem Sofa auf dem Boden liegen und mit den Händen den Teppich abtasten. Er hatte sein Jackett auf den Sessel gelegt, sein blondes Haar war wirr und er begann leise, ohne den Kopf zu heben, zu reden, so als spräche er zu sich selbst: »Christiane, bitte lass mich einmal erklären, warum es damals geschah. Immer, wenn ich davon angefangen habe, bist du gleich fortgelaufen. Ich weiß, dass ich mich damals unmöglich benommen habe, aber ich wollte dir nicht wehtun. Ich möchte dir zeigen, dass ich dich liebe. Aber wie, wenn du mich nicht lässt? Damals war ich nur eifersüchtig, ich wollte …«
»Du warst eifersüchtig? Warum?«
Erstaunt unterbrach ich seine Beichte. Er schaute mich an und zuckte resignierend die Schultern.
»Wie das so ist, in der Kneipe werden die tollsten Dinge erzählt. Du warst und bist eines der hübschesten Mädchen des Ortes und deine Miniröcke waren damals alles andere als sittsam.«
Jetzt musste ich wirklich lachen. »Es macht mir einfach Freude, mich nett anzuziehen.«
»Heute weiß ich das auch, aber damals erzählte man, du gingest mit jedem ins Bett. Ich Trottel hab es geglaubt. Dass es nicht stimmte, hab ich dann ja gemerkt.« Verlegen kniete er vor dem Sofa und sah mich an. Ich stand auf, goss für uns beide ein Glas Wein ein und hielt es ihm hin.
»Prost, Rudolph, es ist gut, dass du gekommen bist.« Schmunzelnd setzte ich hinzu: »Hast du den Schlüssel gefunden?«
Er nahm das Glas, prostete mir zu und hielt triumphierend seinen Hausschlüssel hoch.
»Er war unters Sofa gefallen. Du glaubst, das war ein Trick, nicht wahr?«
Ich nickte, trank mein Glas leer und ließ mich neben ihn auf die Knie nieder. Als auch er sein Glas ausgetrunken hatte, setzte er es ab und sprach stockend: »Habe ich dich so sehr verletzt?«
Als Antwort nickte ich nur.
Da nahm er ganz zart meinen Kopf in seine Hände und strich langsam und behutsam durch mein Haar. Seine Hände tasteten über mein Gesicht, erforschten jeden Zentimeter bis zum Hals. Fragend schauten seine Augen mich an, dann öffnete er ganz vorsichtig die Knöpfe meines Pyjamas. Seine Berührungen waren so sanft, dass mir kalte Schauer über den ganzen Körper liefen. Ich wollte ihn abwehren, konnte es aber nicht, ich war wie erstarrt. Seine Finger glitten über meinen Körper und brachten ihn zum Klingen, wie die Hände eines Pianisten den Flügel zum Klingen bringen. Seine Lippen berührten meine Brüste mit einer Zärtlichkeit, die mich schier zur Verzweiflung brachte. Alle Fasern meines Körpers verlangten nach mehr und ich stöhnte auf. Er bearbeitete mein Fleisch mit so unermüdlicher Sanftheit, bis ich ihn zitternd bat: »Rudolph, bitte hör auf.«
Er schaute mich ratlos an, bemühte sich um äußerste Selbstbeherrschung, erhob sich und flüsterte: »Ja, du hast Recht, ich muss gehen.«
Als er nach seinem Jackett griff, flehte ich: »Rudolph, bitte, so habe ich es nicht gemeint!« Ich war so aufgewühlt, und jeder Nerv in mir schrie nach ihm.
»Spiel nicht mit mir, lange halte ich das nicht aus«, meinte er unschlüssig. Ich stand auf, drängte mich an ihn und küsste ihn. Erst verhalten und dann heftig, als ob er lange darauf gewartet hätte, erwiderte er meinen Kuss. Er trug mich ohne ein weiteres Wort ins Schlafzimmer. Sein Körper roch angenehm, und er ging unwahrscheinlich lieb vor. Als wir nach dem gemeinsamen Höhepunkt nebeneinander auf dem Bett lagen, stützte er sich auf seinen Ellbogen und schaute mich an.
»Damals, hattest du da Angst vor mir oder warum bist du weggelaufen?«
»Ich weiß nicht. Warum hast du weitergemacht, als ich dich gebeten habe aufzuhören?«
»Warum?« Er zuckte die Schultern. »Ich war wie in einem Rausch, und betrunken war ich wohl auch, ich konnte einfach nicht aufhören. Aber irgendwo war da der Stolz, dich ganz zu besitzen. Aber ich wollte dir nicht wehtun. Erst als du fortliefst, kam ich zur Besinnung. Ich rief dir nach, aber du hast nicht reagiert.«
Nachdenklich blickte ich ihn an. »Ich hatte danach häufig Albträume, ich weiß nicht, ob ich dich wirklich lieben kann. Und mich besitzen kann niemand.«
Seine grauen Augen schauten mich eindringlich an und seine Hand spielte mit meinem Haar. Dann beugte er sich zu mir und küsste mich wieder. Schweigend glitten seine Hände über meinen Körper, unermüdlich taten sie ihr Werk und mein Inneres erbebte. All meine Schmerzen vergangener Tage verloren sich im Taumel einer gemeinsamen Erfüllung. Eng umschlungen, voller Erschöpfung schliefen wir ein.
Als ich am Morgen erwachte, war ich allein im Zimmer. Die Tür war angelehnt und ein zarter Kaffeeduft drang zu mir herein. Ich schlüpfte in meinen Morgenmantel und ordnete mein Haar. Rudolph stand hemdsärmelig in der Küche und bereitete das Frühstück.
»Guten Morgen!« Erstaunt betrachtete ich ihn.
»Guten Morgen, Langschläferin«, meinte er schmunzelnd und küsste mich auf die Wange.
»Ich wusste nicht, dass du kochen kannst.«
»Wenn du Frühstück machen kochen nennst, muss ich gestehen, dass ich seit Jahren allein lebe und daher selbst zur Tat schreiten musste.« Mit einem schelmischen Lachen fuhr er fort: »Aber es bestehen mittlerweile einige Aussichten in absehbarer Zeit eine Bauerntochter als lebenslängliche Hausherrin zu bekommen.« Ich lachte ebenfalls und unser erstes gemeinsames Frühstück war einfach köstlich.
Anschließend half mir Rudolph beim Einrichten meines Eingangsflurs. Ich war erstaunt, wie geschickt er mit dem Werkzeug umzugehen verstand.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du so handwerklich begabt bist!«, meinte ich anerkennend.
Er lachte. »Nicht nur du bist auf einem Bauernhof aufgewachsen!«
»Na ja, aber du bist schließlich Anwalt. In deiner Kanzlei kannst du das bestimmt nicht gebrauchen.«
»Ach, aber dir sind deine handwerklichen Kenntnisse bei der Bank sicher sehr hilfreich«, frotzelte er.
»Hast Recht. Aber es ist praktisch, wenn man so etwas kann.« In stillem Einvernehmen arbeiteten wir weiter. Hin und wieder sah ich Rudolph an, er arbeitete geschickt und sicher. Sein Körper war muskulös und durchtrainiert. Langsam bedauerte ich, dass ich nicht schon eher mit ihm zusammengekommen war. Ich war erstaunt, wie leicht es mir fiel, ihn neben mir zu haben. Was war mit mir los? Ja, jetzt nach so vielen Jahren hatten seine Hände meine Ängste, meine Zweifel ausgelöscht. Ich fuhr mir durchs Haar und stöhnte auf.
»Ist es so schwer? Weißt du noch immer nicht, ob du mir trauen kannst? Ich dachte, das hätte ich letzte Nacht bewiesen.« Seine Stimme war sanft und er schaute mich durchdringend an. Konnte er Gedanken lesen? Verflixt, nun stieg mir die Röte ins Gesicht. Rudolph stand direkt vor mir, den Hammer hatte er zur Seite gelegt. Er umfasste meine Schultern und seine grauen Augen blickten mich ernst an.
»Du musst mir nichts vormachen. Ich verstehe dich doch sehr gut. Weißt du, wie schwer es mir gefallen ist, damals zu dir zu kommen? Ich hatte schreckliche Angst, du hättest etwas erzählt, darum bin ich auch zu deiner Mutter gegangen. Sie war so nett zu mir, da wusste ich, dass du nichts gesagt hattest, und so hoffte ich, du würdest mir verzeihen oder wenigstens meine Entschuldigung annehmen. Als du so heftig reagiertest, dachte ich, ich hätte dich für immer verloren.«
Seine Stimme war zuletzt ganz leise, aber ich legte ihm die Hand auf den Mund und lenkte ein: »Still, ich will nichts mehr hören. Es ist jetzt vorbei, nicht wahr?«
Er antwortete mit einem Kuss. Eng aneinander geschmiegt spürte ich, wie meine Lust erwachte, und presste mich enger an ihn. Nur nicht grübeln, denn es war eine Leidenschaft, die ich noch nie erlebt hatte. Ich wollte keine Sekunde davon versäumen. Aber Rudolph dachte anders, er schob mich von sich und neckte:
»Gegessen wird erst, wenn der Flur fertig eingerichtet ist.«
Nach einer Stunde, gegen vierzehn Uhr, war auch meine Garderobe perfekt aufgestellt. Rudolph hatte sich sein Oberhemd aufgeknöpft und ließ es aus der Hose hängen. Ich holte ihm ein Bier aus dem Kühlschrank, wischte den Flur sauber und war endlich reif für die Dusche. Rudolph hatte noch einmal Bier geholt. Gemeinsam auf dem Teppich im Wohnzimmer sitzend, betrachteten wir unser Werk durch die geöffnete Tür.
»Toll, allein wäre ich nie so schnell fertig geworden!«
Rudolph trug eines der alten Oberhemden meines Bruders, die mir Dorothee für die Malerarbeiten gegeben hatte. Jetzt hatte er es ausgezogen und saß mir nun mit freiem Oberkörper gegenüber. Er hatte muskulöse Arme, und seine Brustbehaarung zog sich üppig bis fast zum Hals hin. Eine Halskette würde auf seiner nackten Brust sicher gut aussehen, dachte ich gerade, als ich spürte, dass er mich ebenso intensiv musterte. Ich errötete bis an die Haarwurzeln und wandte verlegen meinen Blick ab. Er stellte seine leere Bierflasche zur Seite, rutschte auf den Knien zu mir und küsste mich ganz zart. Seine rechte Hand fuhr unter meine Bluse.
»Sollten wir nicht jetzt unter die Dusche, mein Schatz?«, schlug er leise vor und streifte meine Bluse von den Armen. Er zog mich hoch und bugsierte mich vor sich her ins Bad.
Bisher hatte ich stets allein geduscht, und wenn ich badete, waren höchstens die kleinen Rangen meines Bruders mit im Wasser und plantschten, was das Zeug hielt. Als Rudolph wie selbstverständlich mit mir in die Duschkabine kam, war mir nicht klar, ob ich es als angenehm oder unangenehm empfinden würde. Unter dem warmen Wasserstrahl von zwei kräftigen Händen eingeseift zu werden, war für mich neu. Aber noch nie war ein Duschbad so kurzweilig. Ich stellte fest, dass ich Rudolph total falsch eingeschätzt hatte. Er war lustig und unterhaltsam, und immer zu Späßen aufgelegt. Nach dem Bad wurde ich liebevoll trockengerubbelt, und obwohl ich lachend protestierte, trug er mich ins Schlafzimmer. Noch nie hatte ich mit einem Mann am helllichten Tag Stunden im Bett verbracht, aber mit Rudolph könnte ich mich direkt daran gewöhnen! Danach sprang er erfrischt und locker auf, öffnete meinen Kleiderschrank, zog mein dunkelrotes Shift-Kleid heraus und sagte:
»Christiane, rasch, zieh dich an, wir kaufen ein.«
»Puh«, maulte ich erschöpft, »du hast vielleicht ein Tempo drauf. Und ich habe dich für einen Langweiler gehalten!«
»Nur keine Müdigkeit vorschützen«, gab er schmunzelnd zurück. »Ich lade dich danach zum Essen ein.«
Nun sprang auch ich auf, ordnete mein Haar, legte ein leichtes Make-up auf und schlüpfte in das rote Kleid. Mein Kavalier war startbereit und hielt mir meinen Wollmantel hin. Mit Rudolphs Wagen fuhren wir in die Stadt, und in einer der teuersten Boutiquen fand Rudolph ein Kleid für mich. Er war bei seiner Suche so zielstrebig vorgegangen, dass ich mein Erstaunen nicht verbergen konnte.
»Sag mal, wusstest du, dass wir hierher fahren?«
Er lachte, gab mir aber keine Antwort. Das Kleid war ein Traum, und wahnsinnig teuer.
»Nein«, sagte ich der Verkäuferin. »Es ist mir zu teuer, haben Sie nicht etwas Günstigeres?«
Mit einem Blick auf Rudolph und dann auf mich bemerkte sie spitz: »Das ist ein Modellkleid, aber wenn Ihnen Massenware lieber ist, haben wir sicher nicht das Richtige für Sie.«
Bei einer derartigen Bemerkung hätte ich sonst postwendend den Laden verlassen, aber Rudolph blieb freundlich: »Selbstverständlich nimmt sie das Kleid.« Und mit einem Blick zu mir: »Bitte zieh es einmal über, du siehst darin bestimmt traumhaft aus.«
Etwas verärgert verschwand ich in der Kabine. Wie konnte er nur eine so schnippische Person wie diese Verkäuferin unterstützen? Hastig warf ich mir das Kleid über, in der Hoffnung, es würde nicht passen, aber weit gefehlt, es saß wie angegossen. Das dunkle Blau ließ die Farbe meiner Augen leuchten, der etwas glockig geschnittene Rock umschmeichelte meine Figur. Der Ausschnitt war sanft geschwungen und betonte meinen Busen.
»Es steht Ihnen ausgezeichnet!« Das Kompliment der Verkäuferin klang ehrlich und Rudolph schaute mich anerkennend an.
»Gut, ich nehme es«, erklärte ich und schlüpfte in die Kabine. Als ich herauskam und meine Börse zückte, schüttelte die Verkäuferin den Kopf.
»Danke, der Herr hat schon gezahlt.« Sie packte das Kleid in eine Tüte und reichte sie mir.
Im Wagen machte ich Rudolph Vorwürfe: »Du sollst meine Sachen nicht bezahlen, ich verdiene mein eigenes Geld.« Er äußerte sich nicht und tat, als müsse er sich ganz auf den Verkehr konzentrieren. Ich kramte in meinem Portmonee, holte einen Hundertmarkschein heraus und legte ihn auf das Armaturenbrett.
»Mehr habe ich im Moment nicht dabei, den Rest gebe ich dir später.«
»Tu, was du nicht lassen kannst«, knurrte er und achtete weiter auf den Verkehr. Ich betrachtete die Sache als erledigt und stellte fest, dass wir weit außerhalb der Stadt unterwegs waren.
»Wohin fahren wir eigentlich?«
»Zu mir nach Hause«, kam die knappe Antwort. Belustigt schaute ich Rudolph von der Seite an. Er liebte es wohl, großzügig zu sein, aber mit emanzipierten Frauen schien er nicht zurechtzukommen. Trotzdem genoss ich die Fahrt, er fuhr elegant und sicher. Nach geraumer Zeit glitt der Wagen durch ein riesiges schmiedeeisernes Tor, welches sich wie von Geisterhand vor uns geöffnet hatte. Auf dem Bauernhof von Rudolphs Eltern war ich oft gewesen, aber dieses herrliche Anwesen war mir völlig unbekannt. Ich war einfach überwältigt. Bewundernd schaute ich mich um.
Vom Tor aus glitt der Wagen über einen geschwungenen Kiesweg, gesäumt von hohen alten Kastanienbäumen, zu einem altehrwürdigen Herrenhaus. Dort parkte Rudolph den Wagen und wir stiegen aus. Hier verstärkte sich mein positiver Eindruck. Das Haus war hervorragend renoviert und wirkte äußerst gepflegt. Das Portal bestand aus vier breiten Granitstufen, die zu einer großen verglasten Eingangshalle führten. In der Halle blieb ich stehen und bestaunte die hohe Stuckdecke, die mit viel Liebe zum Detail restauriert worden war.
Rudolph war hinter mich getreten und legte mir den Arm um die Schultern.
»Dieses Haus war total verkommen, als ich es vor fünf Jahren erwarb. Ich hoffe, es gefällt dir, wie ich es fertigstellen ließ.«
»Gefallen?«, gab ich zurück. »Ich bin einfach hingerissen, solch ein Haus war schon immer mein Traum.« Verflixt, das war mir so herausgerutscht, aber leider wahr.
Rudolph grinste frech. »Aber sicher wirst du wohl deine Probleme haben, wenn du es mir abkaufen möchtest, es sei denn, du springst über deinen Schatten und nimmst es als Geschenk von mir an!« Ich wurde rot, tat aber, als hätte ich den Seitenhieb nicht bemerkt.
»Christiane, schau dich ein wenig um. Ich möchte mich umziehen, bevor wir zum Essen gehen. Ach, und wenn du dich ein wenig erfrischen möchtest, das Gästebad ist dort hinten in dem kleinen Flur.« Mit diesen Worten verschwand Rudolph, ganz Gentleman, über eine breite geschwungene Treppe aus Palisanderholz nach oben.
Ich schaute mich um und entdeckte einen kleinen separaten Flur hinter einem riesigen Gummibaum. Das Gästebad war so groß wie mein Wohnzimmer und enthielt alles, was eine Frau zum Schönsein brauchte. Ob Rudolph oft Damenbesuch hatte? Ich schob diese Gedanken beiseite. Mir konnte es eigentlich egal sein, schließlich war er mir keine Rechenschaft schuldig. Trotzdem, ein Hauch von Eifersucht machte sich in mir breit. Und was tat man dagegen? Nun, ich versuchte, mich so schön wie möglich zu machen. Um allem die Krone aufzusetzen, zog ich gleich mein neues blaues Kleid an.
Das Bad verfügte nicht nur über ein ganzes Sortiment von Kosmetikartikeln, sondern auch über einen enormen Spiegel, in dem man sich von Kopf bis Fuß bewundern konnte. Ja, Rudolph hatte Recht, das Kleid war einfach schön. Mit mir zufrieden verließ ich das Bad, um ein wenig von dem Haus sehen zu können.
Alles war perfekt. Die wiederhergestellten Decken, der Anstrich, die üppigen Vorhänge, die alten Hölzer, selbst die Blumenarrangements waren geschickt aufgestellt. Es fehlte weder an teuren Teppichen noch an guten Bildern aus verschiedenen Epochen. Dass Rudolph nicht arm war, wusste ich, aber diese teure Vornehmheit seines Hauses hatte ich nicht erwartet. Wenn man von der Einrichtung auf den Hausherrn schließen konnte, war er ein Liebhaber der Perfektion, besaß einen guten Geschmack, liebte schlichte Schönheit und war sehr konservativ.
Die Frau, die hier Herrin wurde, musste gebildet und schön sein, in der Lage, solch ein Haus zu führen und ihren Mann stets als Mittelpunkt ihres Lebens zu betrachten. Keine leichte Aufgabe. Und keine Aufgabe für mich!
Nun, aber das konnte ich ihm später beibringen, jetzt versprach der Abend harmonisch zu werden, und ich wollte ihn genießen.
Als ich wieder in der Halle war, kam Rudolph gerade die Treppe herunter. Er trug einen taubenblauen Anzug und das weiße Oberhemd wurde durch eine passende Seidenkrawatte ergänzt. Er sah einfach fabelhaft aus, und ich war froh, das neue Kleid angezogen zu haben. Anerkennend schaute Rudolph mich an.