Wendepunkte der Liebe - Markus Nüsseler - E-Book

Wendepunkte der Liebe E-Book

Markus Nüsseler

0,0

Beschreibung

Vier Paare, die sich finden, und ein Paar, dessen Liebesgeschichte fortgeschrieben wird. Martin, der Protagonist aus dem Erstlingswerk des Autors Carola - es begann nach dem Oktoberfest - findet nach dem Tod seiner Frau Lydia zurück zu Carola, seiner ehemaligen Geliebten. Rico, sein Sohn, ist mit Aiva befreundet, die ihm aus Liebe von Lettland nach München gefolgt ist. Aiva löst die Verbindung mit Rico, als sie hinter Ricos Untreue kommt. Rico verliebt sich in Dragica, eine alleinerziehende Mutter mit einer kleinen Tochter. Tom ist Gymnasiallehrer und gewinnt das Herz seiner Kollegin Lisa. Er betreut den Schüleraustausch mit einer englischen Partnerschule und baut diesen Kontakt im English-German Club weiter aus. Tom wird Mitglied der Theatergruppe seiner Schule und Co-Autor eines englischsprachigen Theaterstücks. Aiva lebt auch nach ihrer Trennung von Rico bei Martin und Lydia und wird für Martin wie eine Tochter. Die ehrgeizige und selbstbewusste junge Frau heiratet Leon. Uwe ist Rechtsanwalt und leidenschaftlicher Klavierspieler. Aus seiner Ehe mit Martina geht Svenja hervor.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 356

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Markus Nüsseler wurde 1954 in Bern/Schweiz geboren. Sein Erstlingswerk Carola – es begann nach dem Oktoberfest erschien im März 2022 und wurde im Verlag BoD – Books on Demand, Norderstedt, veröffentlicht. Im Mai 2022 erschien sein zweiter Liebesroman Lea – zwei Freundinnen und ein Ehemann. Der dritte Roman Wendepunkte der Liebe führt die Geschichte um die Hauptpersonen des Erstlingswerks zu Ende.

Zentrales Thema dieses Romans ist die Suche nach einem erfüllten Leben.

Markus Nüsseler studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München und an der Hochschule für Philosophie SJ München. Der Autor ist verheiratet und hat einen Sohn. Er lebt seit 1976 in Deutschland.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

1

Das Thermometer hatte die 30 - Gradmarke überschritten, und es war erst Mittag. Bei diesem klaren, wolkenlosen Himmel würden die Temperaturen an diesem Tag Ende Mai noch weiter steigen. Tom machte sich in Polohemd und Jeans auf den Weg zur Bushaltestelle. Heute war er ohne Jacke in sein Gymnasium gekommen. Auf dem Rücken trug er einen schwarzen Rucksack. Vier Schulstunden Englisch hatte er am Vormittag unterrichtet. Er war froh, dass er den ersten Teil seines Pensums geschafft hatte. „Heute ist Biergartenwetter“, dachte Tom. Versonnen sah er vor sich hin. Ein japanischer Kleinwagen hielt. „Kann ich dich ein Stück mitnehmen?“ Es war Lisa, die Kollegin aus der Fachschaft Englisch, die sich zu ihm rüber beugte und mit einem fragenden Blick zu ihm hochsah. „Oh ja, gerne.“ Tom stieg ein. Er freute sich, dass ihm die Fahrt mit dem vollen Bus erspart blieb.

Die junge Frau mit dem blonden Pferdeschwanz lächelte ihn an. „Kein Wetter für Korrekturarbeiten. Leider habe ich keine Zeit für eine Abkühlung. Schade!“ – „Mir geht es auch nicht besser“, tröstete Tom die junge Frau. „Aber du musst nicht auch noch eine Lehrprobe vorbereiten!“ – „Oh, da bist du nicht zu beneiden. Gehst du im Herbst wieder zurück an deine Stammschule?“ – „Ja. Im Februar schließe ich die Referendarzeit ab.“ Lisa betätigte den Blinker, verlangsamte die Fahrt und hielt vor dem Eingang zum S-Bahnhof. „Schade, dass die Fahrt schon zu Ende ist, Lisa. Vielleicht haben wir ein andermal wieder Zeit für einen Ratsch.“ – „Ja, gerne. Tschüss!“

2

In seiner Wohnung angekommen, holte Tom aus dem Kühlschrank eine Flasche Mineralwasser und ein Glas. Beides stellte er auf den Wohnzimmertisch, auf dem ein Stapel mit gehefteten DIN A 4 - Blättern lag. Die Blätter hatte Tom mit einem Stein beschwert, den er auf einer Wanderung dem Bachbett entnommen hatte. Er hatte die Gewohnheit, Korrekturarbeiten auf dem Wohnzimmertisch liegen zu lassen, bis die Korrektur abgeschlossen war. Da er Junggeselle war, störte das auch niemanden. Tom setzte sich und nahm die Korrekturarbeit an der Englischschulaufgabe der Klasse 6 c wieder auf. Die Units 1 bis 3 hatte er am Wochenende korrigiert. Jetzt war Unit 4 dran, die Mediation. Eben hatte er ein falsch gesteigertes Adjektiv rot unterstrichen. „Hier geht die Steigerung nur mit more und most“, murmelte er vor sich hin. Die richtige Version schrieb er darüber. „Die Korrektur der Schulaufgabe will ich noch hinter mich bringen. Dann nix wie raus! Bei dem schönen Wetter! Der Biergarten ruft!“, dachte er. Fehlerzählen und Noten eintragen wollte er später. Oder vielleicht auch morgen. Das war davon abhängig, wie viel Zeit er für die Vorbereitungen für den Unterricht in Geschichte, seinem Zweitfach, noch brauchte. Und davon, wie lange er im Biergarten verweilte.

Tom wohnte in einer Altbauwohnung im Münchener Stadtteil Neuhausen, die er von seiner Mutter übernommen hatte, als sie den Haushalt nicht mehr selbst führen konnte und in das Altenheim zog. Die U-Bahnstation Rotkreuzplatz lag fast vor der Türe, doch die Fahrt an sein Gymnasium am südöstlichen Stadtrand von München führte Tom täglich durch die ganze Münchner Innenstadt, genauer gesagt, unter der Münchener Innenstadt hindurch. Sein Arbeitsplatz lag diametral auf der anderen Seite der Stadt. Das bedeutete rund 40 Minuten Weg, bis er seinen Arbeitsplatz erreichte. Diesen Nachteil nahm Tom gerne in Kauf, denn hier in Neuhausen war er aufgewachsen. Er fühlte sich hier nicht nur zu Hause, er genoss auch die Nähe mehrerer Gaststätten und Biergärten, in denen er Stammgast war. „Mich alten Neuhauser bringt hier keiner freiwillig weg“, hatte er kürzlich einer Kollegin gesagt.

Zwanzig Minuten nach vier. Unit 4 war zu Ende korrigiert. Tom stand auf und trug noch das Material für die Geschichtsstunde zusammen.

Kurz nach 5 verließ er die Wohnung und ging gut gelaunt die Treppe hinunter, denn das Haus hatte keinen Lift. Durch die Nymphenburger Straße schlenderte er in Richtung Rotkreuzplatz. Vorne, am Rotkreuzplatz, war der kleine Biergarten, in dem Tom Schweinswürstel mit Kraut und ein Helles bestellte. Entspannt lehnte er sich zurück und beobachtete von seinem Platz aus die Passanten und die vorbeifahrenden Trambahnen und Busse. Denn der Rotkreuzplatz war auch ein Knotenpunkt des öffentlichen Nahverkehrs. „Die Lisa ist wirklich nett“, dachte Tom. „Schade, dass sie im September an ihre Stammschule zurückgeht. Aber vielleicht kommt sie ja wieder?“ In der Fachschaft Englisch fehlten die Fachlehrer. Viele Englischlehrer hatten drei oder sogar vier Englischklassen und unterrichteten nur wenig in ihrem zweiten Fach. Das bedeutete sehr viel Korrekturarbeit. Englisch war ein korrekturintensives Fach. Schularbeiten in Geschichte waren viel schneller korrigiert. Einige Englischlehrer murrten über die hohe Belastung durch ihre vielen Englischklassen, in denen sie unterrichten mussten.

Leider wurden der Schule vom Kultusministerium nur selten die Lehrer mit den Fächerkombinationen zugeteilt, die der Schulleiter angefordert hatte. Benötigte die Schule einen weiteren Englischlehrer mit Deutsch als zweitem Fach, kam es vor, dass das Kultusministerium einen Französischlehrer mit Zweitfach Latein zuwies. Das führte dazu, dass die Mitarbeiter im Direktorat zum Halbjahreswechsel wahre Jonglierkünste vollbringen mussten, um mit dem zugeteilten Lehrpersonal die Stundentafel abdecken zu können und einen Unterricht ohne Stundenausfall zu garantieren.

Tom winkte der Kellnerin. Er bestellte sich noch ein Helles. „Es wäre schön, wenn jeder Arbeitstag so entspannt ausklingen könnte.“ Er beschloss, nach dem zweiten Bier noch einen kleinen Spaziergang am Grünwaldpark vorbei an den Nymphenburger Kanal zu machen. Rechts wird er den Hubertusbrunnen begrüßen, und am westlichen Ende des Kanals, jenseits der Brücke, wird er in der Ferne Schloss Nymphenburg sehen können. „Wenn ich zurück bin, setze ich mich zum Lesen vielleicht noch etwas auf den Balkon“, sinnierte er. „Die Noten könnte ich eigentlich auch auf dem Balkon ausrechnen. Wind, der die Schülerarbeiten mitnimmt, haben wir heute keinen.“

Tom war mit Leib und Seele Lehrer. Er hatte Freude, den Schülern eine fremde Sprache beizubringen und war gerne unter jungen Menschen. In seiner Art war er streng und konsequent, aber gerecht. Aber er hatte auch Sinn für den spielerischen Blödsinn und den Schabernack, den er nach der Schulstunde gelegentlich beobachtete. Gerne lachte er auch mit seinen Schülern. Einen Grundgedanken, den er von einem pensionierten Kollegen übernommen hatte, lautete: „Eine Schulstunde, in der nicht mindestens ein Mal gelacht wird, ist keine gute Schulstunde.“

Tom hatte ausgetrunken. Ein drittes Bier wollte er nicht trinken, denn er fühlte schon jetzt eine angenehme Müdigkeit. Dennoch trat er seinen Spaziergang an. Als er den Nymphenburger Kanal erreichte, sah er in der Ferne das Schloss Nymphenburg. Auf der gegenüberliegenden Seite verkehrten die Autos auf der Nördlichen Auffahrtsallee. Die Häuserzeilen dort gehörten schon zum Stadtteil Gern.

Als Tom den Flur hinter dem Hauseingang betrat, bemerkte er eine junge Frau in einem dunkelblauen Hosenanzug und Pumps. Sie leerte gerade ihren Briefkasten aus. War sie frisch eingezogen? Als sie sich umdrehte, sahen ihn hinter einer randlosen Brille zwei blaue Augen an. Ihre Wangen waren rosa geschminkt. Diese Frau hatte Tom noch nie gesehen. Und sie passte in ihrem modischen Outfit und durch ihr sehr gepflegtes Äußeres so gar nicht in dieses alte Haus ohne Aufzug. Tom sprach sie an. „Guten Abend. So spät noch von der Arbeit?“ – „Das kommt bei mir leider oft vor. Für heute habe ich es geschafft.“ Ein erleichtertes Lächeln zeigte sich auf einem nachdenklichen Gesicht. „Müssen Sie auch Überstunden machen?“ Die junge Frau machte eine abwägende Bewegung mit ihrem Kopf. Ihre Locken spielten auf der Schulter. „Müssen nicht. Aber es ergibt sich immer wieder, und morgen bin ich bei Gericht. Ich bin Anwältin.“ Tom streckte ihr die Hand entgegen. „Ich bin Tom. Lehrer am Gymnasium.“ – „Anja.“ Er drückte Anjas Hand. Beide lächelten.

„Schönen Abend noch, Anja!“, wünschte er. „Gleichfalls.“ Toms Neugierde war geweckt. Obwohl er die Post schon mit nach oben genommen hatte, öffnete er seinen Briefkasten erneut. Jetzt las er das Schild seiner Nachbarin. Er sah nur einen Namen auf dem Schild. Anja bewohnte die Wohnung zwei Stockwerke unter ihm. Und sie lebte dort allein.

3

Martina, Toms Kollegin aus der Fachschaft Englisch, hatte, als sie an diesem heißen Tag die schützende Kühle ihrer Wohnung erreicht hatte, als erstes den Wasserkessel aufgesetzt. Sie wollte zweierlei Tee ansetzen: grünen Tee gegen den Durst und als Stimulans für den Nachmittag, und beruhigenden Lavendeltee für den Abend. Dafür hatte sie zwei große Teekannen auf den Küchentisch gestellt. Während sie auf das Pfeifen des Wasserkessels wartete, zog sich Martina um. Als sie in die Küche kam und den Teekessel vom Herd hob, trug sie einen grauen Jogging-Anzug.

Während sie den Tee ziehen ließ, studierte Martina die Post. Die Fachzeitung ihres Berufsverbandes behandelte im Titelthema den Gesundheitsschutz. Das zentrale Stichwort fiel auf Seite 12: „Lehrergesundheit.“

Martina lag die eigene Gesundheit sehr am Herzen. Samstags und sonntags ging sie bei Wind und Wetter zum Joggen, und gesunde, fettarme, aber ballaststoffreiche Ernährung waren ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Erstellung des Essensplanes. Biologisch angebauten Produkten gab Martina stets den Vorzug. Sie war froh, dass auch die Lebensmitteldiscounter biologische Produkte anboten.

Gewissenhaft nahm Martina auch alle Vorsorgetermine beim Arzt wahr. Sie führte einen eigenen Gesundheitskalender, in dem sie sogar die nächsten fälligen Termine vormerkte. Gelegentlich notierte sie neben den vorgemerkten Terminen auch Stichworte, die sie bei ihrem Internisten ansprechen wollte. „Und ich will über alle meine Werte Bescheid wissen, damit ich meine Ess- und Lebensgewohnheiten danach ausrichten kann.“

Zum Glück hatte Martina einen niedrigen Blutdruck. „Ein Risikofaktor weniger!“, dachte sie stolz, als wären ihre niedrigen Blutdruckwerte ihr persönliches Verdienst. Da sie fett- und kalorienarm aß, Nichtraucherin war und auf ihr Gewicht achtete, fühlte sie sich gesundheitlich auf der sicheren Seite. Ob sie dank ihrer ausgezeichneten Blut- und Blutdruckwerte glücklich war, konnten ihre Bekannten oder Menschen aus ihrem Familienkreis nicht bestätigen. Denn wer ihr begegnete, schaute in ein ernstes, fast besorgtes Gesicht. Martina lächelte nur bei der Begrüßung. Sonst war sie ernst. Sie war berufstätig und beschäftigt. Wenn nicht mit ihrer Arbeit, dann war sie mit sich selbst und ihrer Gesundheit beschäftigt.

Jetzt stand Martina auf. Bevor sie die Teebeutel aus den Teekannen entfernt hatte, holte sie im Arbeitszimmer einen roten Korrekturstift. Sie markierte den Artikel in der Zeitschrift ihres Berufsverbandes mit einem roten Ausrufezeichen. Als sie die Zeitschrift zugeschlagen hatte, schrieb sie auf das Deckblatt, ebenfalls mit dem roten Korrekturstift: „S. 12: lesen!“

Martina goss sich eine Tasse von dem grünen Tee ein. Da der Tee noch heiß war, entschloss sich Martina, erst noch etwas für ihre Gesundheit zu tun. Sie ging in das Schlafzimmer, holte ihre Liegematte und breitete diese auf dem Teppich des Wohnzimmers aus. Sie legte sich der Länge nach auf die Matte und begann das nachmittägliche autogene Training, eine Kombination aus Entspannungstechniken mit Hypnosemethoden.

Zunächst achtete Martina darauf, dass sie bequem und entspannt auf der Matte lag. Dann schloss sie die Augen. Die Arme streckte sie neben ihrem Körper aus, ohne diesen jedoch zu berühren. Bei der ersten Übung konzentrierte sich Martina auf die Wahrnehmung ihres Körpers. Ihre Aufmerksamkeit galt zuerst dem rechten Arm. Bei geschlossenen Augen dachte Martina: „Mein rechter Arm ist schwer und warm.“ Diesen Vorgang wiederholte Martina zehn Mal. Darauf folgte zehn Mal: „Mein linker Arm ist schwer und warm.“ Die zweite Übung galt der Atmung. Bei geschlossenen Augen verfolgte Martina ihre Atemzüge. Immer wieder dachte sie: „Es atmet mich.“ Ungefähr zehn Mal verfolgte Martina ihren Atem. Die nächste Übung lautete: „Sonnengeflecht strömend warm.“ Die Wahrnehmung galt der Region ihres Magens. Ungefähr zehn Mal nahm Martina die Wärme ihres Unterleibs wahr.

Den Abschluss bildete der Satz: „Ich bin ganz bei mir.“

Eine innere Gelöstheit und Ruhe hatten Martina ergriffen.

Um das Training abzuschließen und wieder zurückzufinden, versuchte Martina, sich bei geschlossenen Augen den Raum vorzustellen, in dem sie die letzten zwanzig Minuten gelegen hatte. Der Aufschlag ihrer Augen brachte Martina wieder zurück. Zurück zu sich selbst, in ihre Wohnung, zu ihrer Arbeit, zu ihren Problemen…

Martina stand auf, streckte sich, indem sie beide Arme in Richtung Zimmerdecke hob und setzte sich an ihren Schreibtisch. Links lagen zwei unkorrigierte Schulaufgaben. Rechts duftete es nach dem grünen Tee, den Martina zur Stärkung vorbereitet hatte. Ihr Beruf hatte sie wieder.

4

Nachtschwester Silvia sperrte die Wohnungstüre auf. Es war zwanzig Minuten vor sieben. Auf leisen Sohlen ging sie durch den Gang zum Zimmer ihres Sohnes. Sachte öffnete sie die Türe. „Guten Morgen, Leon. Ich bin wieder da.“ Zum Zeichen, dass für Leon die Zeit zum Aufstehen gekommen war, zog Silvia die Gardinen auf. „In einer Viertelstunde gibt es Frühstück!“

Aus dem Bett hörte man ein unbestimmtes Grummeln. Leon drehte sich seiner Mutter zu und murmelte „Morgen.“

Silvia war seit vier Jahren von ihrem Mann Max geschieden. Max war Mechatroniker und arbeitete in der Werkstatt eines Stuttgarter Automobilkonzerns. Ihre Tochter Lara hatte sich bald entschieden, zu ihrem Vater und seiner neuen Frau Ulla zu ziehen. Wider Erwarten hatte es Ulla geschafft, ein sehr gutes Verhältnis zu Lara aufzubauen. Max war froh, dass er nach der Scheidung nicht alles verloren hatte, wofür er gelebt und gearbeitet hatte: seine Frau und seine Kinder. Über Laras Wunsch, zu ihrem Papa zu ziehen, hatte sich Max damals riesig gefreut. Max war ein Familienmensch. Wann immer es möglich war, machte er mit Ulla und Lara am Wochenende einen Ausflug, oft sogar verbunden mit einer Wanderung. Und wie oft war er letztes Jahr an heißen Tagen mit Ulla und Lara ins Schwimmbad gegangen!

Silvia zog den Toaster von der Wand und steckte zwei Scheiben Toastbrot hinein. Aus dem Kühlschrank entnahm sie die Margarine und das Glas mit der Aprikosenmarmelade. Dann wandte sie sich dem Kaffeeautomaten zu. Als sie den zweiten Kaffeetopf auf den Tisch stellte, erschien Leon. Silvia hielt Leon das Körbchen mit den beiden Toastscheiben hin. „Wenn du noch mehr Toast willst, steck dir noch mal was in den Toaster. Ich habe gestern eine neue Tüte mit Toastbrot beim Discounter gekauft.“ Aufmunternd nickte sie Leon zu. „Bediene dich einfach!“

Sonntags oder wenn Leon Geburtstag hatte, brachte Silvia Semmeln mit. Aber Semmeln waren teurer als Toastbrot. Und als geschiedene Frau schaute Silvia beim Einkauf auf die Preise. Es war ein Glück, dass unweit des Rotkreuzplatzes die Filiale einer Discountkette zum Einkaufen einlud. Von dort stammte auch das Glas mit der Marmelade.

Der verschlafene Leon war beim Frühstück nicht sehr gesprächig. Von sich aus erzählte er nie von der Schule. „Hat euer Mathelehrer die Schulaufgabe schon korrigiert?“, wollte Silvia wissen. „Nein.“ – „Wie ist es dir denn ergangen?“ – „Geht schon.“ – „Hast du ein Gefühl?“ – „Alle sagen, sie war schwer. Aber ich bin rechtzeitig fertig geworden. Etwas anderes: am Freitagnachmittag wollen wir ins Dantebad gehen. Mit Udo und Felix. Jetzt muss ich aber gehen. Tschüss!“

5

Auf dem Lehrerparkplatz traf Tom Martina. Er grüßte sie und fragte, wie es ihr gehe: „Hast du auch so viel zu korrigieren, Martina?“ – „Ja. Ich bin voll im Stress. Gestern habe ich bis halb elf Uhr nachts korrigiert. Da blieb nicht viel Zeit, die Stunden für heute vorzubereiten. Zum Glück habe ich in der zweiten Stunde unterrichtsfrei, dann kann ich noch einen Blick in das Englischbuch werfen. Und den Lehrerkommentar zur Hand nehmen. Ich werde froh sein, wenn dieses Schuljahr zu Ende ist.“ – „Aber du hast doch kleinere Klassen in der Oberstufe. Wieso brauchst du so viel Zeit für Korrekturarbeiten?“ – „Ich lese jede Arbeit drei Mal durch. Und dann muss ich noch vergleichen, ob ich alle Fehler gleich gewichtet habe.“ Martina seufzte.

Tom entgegnete: „In der Unterstufe lese ich die Sätze nur einmal durch. Bei Mediationen allerdings zwei Mal. Das eine Mal achte ich auf Rechtschreibung und Grammatik, das zweit Mal auf den Inhalt. Und ich korrigiere wegen der Vergleichbarkeit die Schulaufgaben quer. Manchmal vergleichen die Schüler ihre Arbeiten untereinander, und das ist ein gutes Korrektiv. Wer sich nicht gerecht behandelt fühlt, kann zu mir kommen, und ich schaue mir die Arbeiten dann erneut durch.“ – „Ich möchte sehr gerecht sein, und wenn ich das dritte Mal drüber schaue, entdecke ich gelegentlich Ungleichheiten.“

Sie erreichten den Eingang des Schulgebäudes. Tom dachte: „So wie Martina könnte ich nicht korrigieren. Das führt zu einer 50 - Stundenwoche. Mindestens in der Zeit vor dem Zeugnis. „Sag mal, Martina, gehst du mit auf den Betriebsausflug?“ – „Eher nicht. Ich möchte am Mittwochnachmittag lieber korrigieren.“ – „Na, der Betriebsausflug ist doch immer eine willkommene Ablenkung. Gönn dir doch mal was!“ – „Ich mache jeden Nachmittag erst mal autogenes Training. Auf der Matte liegend. Etwas mehr als zwanzig Minuten. Danach lege ich los mit der Arbeit. Das tut mir gut.“ – „Machst du danach auch Pausen?“ – „Zur Brotzeit. Meist Obst oder Quark.“ – „So könnte ich nicht leben“, dachte Tom, sagte aber nichts, weil er die etwas ältere Kollegin nicht entmutigen oder kränken wollte.

„Ich bin froh, dass ich zwei schöne Biergärten in der Nachbarschaft habe“, sagte Tom. „Wenn ich fertig bin, gehe ich gelegentlich nach den Korrekturen und den Vorbereitungen auf ein Bier in einen Biergarten. Das kann sehr entspannend sein.“

Im Lehrerzimmer angekommen, entdeckte Tom Lisa. Er ging zu ihr hin, setzte sich kurz neben sie und sagte: „Viel Glück in der Lehrprobe!“ – „Danke. Sie ist aber erst morgen.“ – „Wollen wir mal zusammen essen gehen?“ – „Gerne. Nach der Lehrprobe!“

Tom stand auf und ging zur Kaffeemaschine. Er setzte sich wieder und sah versonnen im Lehrerzimmer in die Runde. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Da immer mehr Kollegen und Kolleginnen in Teilzeit gingen, war das Lehrerzimmer für die große Anzahl der Lehrkräfte zu klein. Es war eng. Ein richtiger Taubenschlag.

Eigene Büros haben nur die Mitglieder des Direktorats, gelegentlich auch Mitglieder der erweiterten Schulleitung. Die wenigsten Gymnasiallehrer bereiten ihre künftigen Schulstunden in der Schule vor. Auch die Korrekturen werden zu Hause gemacht.

Tom war gerne Lehrer. Es machte ihm Spaß, die Schüler der 5. Klasse in die Grundlagen der englischen Sprache einzuführen. Er war streng, aber gleichzeitig humorvoll und schlagfertig. Nebenbei betreute er noch den Schüleraustausch mit einer englischen Schule. Das brachte es mit sich, dass er zusätzlich Elternabende gestalten, die Reise und die Unterbringung der Schüler organisieren musste.

6

Am Freitag gab Tom die korrigierte Englischschulaufgabe in der ersten Stunde an seine Schüler zurück. Die war nun abgehakt. Doch ein freies Wochenende würde es trotzdem nicht werden. In der fünften Stunde wurden die Schüler der 8. Klasse auf ihr Wissen geprüft: Tom nahm eine neue Schulaufgabe zum Korrigieren mit nach Hause.

Da er heute keinen Nachmittagsunterricht hatte, wollte er sich nach einem Espresso an die Korrektur setzen. Er hatte in der zweiten Pause eine Wurstsemmel gegessen. Bis sechs Uhr abends wollte er konzentriert die ersten beiden Units seiner Englischschulaufgabe korrigieren. Danach, vielleicht gegen halb sieben, wollte er sich im Biergarten am Rotkreuzplatz eine Brotzeit leisten. Mit zwei oder drei Halben. Wieder war das Wetter sommerlich warm.

Nach dem Espresso versank er in die Arbeit, so sehr, dass er um sich herum Raum und Zeit vergaß. Ein wahrer Workflow hatte ihn ergriffen. Seine ganze Aufmerksamkeit, alle seine Gedanken gehörten der Arbeit. Als es an der Türe läutete, erschrak er und schaute auf die Uhr. Erstaunt über die fortgeschrittene Uhrzeit stand er auf und ging zur Wohnungstüre. Er öffnete und sah eine blonde junge Frau mit Lockenkopf vor sich. Es war Carina, die ein Stockwerk über ihm wohnte. „Hallo Tom!“, flötete Carina. Zwei helle blaue Augen waren auf ihn gerichtet. Tom nickte. „Grüß dich Carina!“

„Ich wollte dich etwas fragen. Silvia und ich überlegen, im Hof ein Gartenfest für die Hausbewohner zu organisieren. Ich wollte hören, wie du darüber denkst. Und ob du uns dabei unterstützen kannst.“ Tom bat Carina in seine Wohnung. „Setzen wir uns kurz.“

Carina begann: „Einige von uns sind ganz frisch hier. Anja, mein Mann Uli und ich. Du bist schon jahrelang hier im Haus. Vielleicht wäre das eine gute Gelegenheit, uns etwas besser kennenzulernen.“ Carina hatte den Kopf gehoben und schaute Tom mit erwartungsvollen Augen an. „Das ist eine großartige Idee. Ich mache gerne mit. Was kann ich dafür tun?“ – „Ich muss erst noch Anja fragen. Aber die ist wohl noch in der Arbeit.“ – „Ja, die erreichst du sicher später oder morgen Samstag.“ – „Wenn Anja auch mitmacht, wären wir komplett. Bleibt nur noch die Frage, wer bringt was mit. Dann melde ich mich wieder bei dir. Ich gehe dann jetzt wieder.“

Jetzt erst fiel Tom ein, dass er Carina nichts angeboten hatte. „Möchtest du etwas trinken?“ – „Danke für dein Angebot. Ein andermal gerne.“

Carina war aufgestanden. Tom begleitete sie in den Flur. „Noch etwas, Carina. Was ist mit der Bestuhlung?“ Carina lachte herzhaft. „Bestuhlung? Wir geben doch kein Konzert. Jeder bringt einen Campingstuhl mit. Sie öffnete die Tür. „Tschüss!“

Tom rieb sich die Hände. „Das ist wirklich eine feine Sache. Und Carina ist reizend. Und hübsch obendrein. So wie es aussieht, werde ich mir einen Campingstuhl kaufen müssen.“

Halb sieben Uhr. Tom holte das Portemonnaie aus dem Schlafzimmer und machte sich auf den Weg in den Garten des Lokals am Rotkreuzplatz. Er hatte Lust auf ein typisch bayrisches Gericht.

Nachdem er gegessen hatte, blickte er wieder versonnen auf den Rotkreuzplatz hinaus und sah die Trambahn in Richtung Romanplatz vorbeifahren. „Aus Neuhausen bringt mich keiner weg!“, dachte er und bestellte sich noch ein Bier.

7

Samstagabend, und Carina ging die Treppen hinunter. Sie wollte mit Silvia über das Sommerfest im Hof reden. Nachdem sie geläutet hatte, dauerte es nicht lange, bis ein schlankes Mädchen öffnete. Es war Lara, das zweite Kind von Silvia und Max. Seitdem sich Silvia und Max hatten scheiden lassen, lebte Lara bei ihrem Vater. Ihr Vater Max und Uli waren beide Kollegen und arbeiteten als Mechatroniker bei einem Stuttgarter Autokonzern. Max hatte ihren Mann Uli auf die frei werdende Wohnung hingewiesen und ihnen durch ein Empfehlungsschreiben beim Eigentümer des Hauses zum Abschluss des Mietvertrags verholfen.

Das war der Grund, warum Carina und ihr Mann Uli Max unendlich dankbar waren. Mittlerweile war zwischen Max und Uli eine tiefe Freundschaft entstanden. Sie machten unter der Woche in der Arbeit immer gemeinsam Pause und Mittag.

Carina und Silvia verstanden sich blendend, aber anders als ihre Männer konnten sie keine Zeit in der Arbeit miteinander verbringen. Sichtlich überrascht grüßte Carina. „Hallo Lara, besuchst du die Mama?“ – „Hallo Carina. Ja. Komm rein.“

Da zeigte sich auch schon Silvia. Sie freute sich über Carinas Besuch. Silvia sagte zu Carina: „Geh schon mal auf den Balkon. Ich mach uns beiden einen Espresso. Etwas Koffein tut mir vor der Arbeit gut.“

Lara war in ihrem ehemaligen Kinderzimmer verschwunden. Carina trat auf den Balkon. Sie schaute hinunter auf die Straße und staunte. Bei gleicher Aussicht war die Perspektive hier, in der zweiten Etage völlig anders als in ihrer Wohnung in der vierten Etage. Carina setzte sich auf den Balkonstuhl. Etwas überrascht stellte sie fest, dass es ein alter, in die Jahre gekommener Campingstuhl war.

„Also, ich habe heute Vormittag Anja erreicht. Sie war ganz begeistert von unserer Idee. Sie hat auch gleich zugesagt, einen italienischen Nudelsalat zu machen. Sie will sogar drei Flaschen Rotwein stiften.“ – „Oh!“, entfuhr es Silvia. Sie war beeindruckt, aber nicht verwundert. „Klar, als Anwältin…“, dachte Silvia.

„Wie findest du Tom?“, wollte sie von Carina wissen. „Der scheint ganz in Ordnung zu sein. Was macht er denn beruflich?“ – „Er ist Lehrer am Gymnasium. Er sagt, er mag seinen Beruf.“ – „Ja, jetzt verstehe ich auch die vielen Blätter auf seinem Wohnzimmertisch. Er hat wohl grad korrigiert, als ich ihn überfallen habe.“

Carina sah Silvia nachdenklich an. Silvia trug ihre kastanienfarbenen, schulterlangen Haare noch offen. Für den Dienst in der Klinik band sie ihre Haare immer zu einem Pferdeschwanz zusammen. „Wann beginnt dein Dienst im Krankenhaus?“ – „Um zwanzig Uhr. Eine Stunde vorher esse ich hier noch eine Kleinigkeit. Um halb acht Uhr gehe ich dann los.“ – „Ist deine Station voll?“ – „Momentan nicht. Aber vorübergehend betreue ich zwei Stationen. Auf diese Weise bin ich nachts auch unterwegs, von der Station 7a in die 9a.“ – „Das ist sicher ermüdend?“ – „Nicht, dass ich von der einen Station in die andere gehen muss. Das Gehen bin ich ja gewöhnt vom Wandern. Aber zwei Stationen zu betreuen, bedeutet die doppelte Verantwortung. Und es bedeutet zwei Mal Übernahme, wenn ich den Dienst beginne und in der Früh zwei Mal Übergabe.“ Anerkennend sah Carina Silvia an. „Da erfüllst du eine wichtige Aufgabe. Und sie ist sicher abwechslungsreicher als mein Beruf als Sachbearbeiterin bei der Krankenkasse.“ Liebevoll sahen zwei blaue Augen aus Carinas breitem Gesicht zu Silvia auf.

„Aber deine Aufgabe ist doch auch wichtig!“, merkte Silvia an. Carina nickte. „Ja, und ich bin dankbar, dass ich diese gutbezahlte und sichere Stelle habe. Diese Dankbarkeit, die ich in mir empfinde, hilft mir immer wieder. Aus dem Gefühl der Dankbarkeit für das, was mir geschenkt wurde, sehe ich alles mit anderen Augen. Jeden neuen Tag.“ Carina strahlte.

Silvia hatte nachdenklich zugehört. Doch, ihre Arbeit war wichtig. Ja, sie war sogar heute noch stolz, dass sie die Ausbildung zur Krankenschwester geschafft hatte. Und am Anfang, als sie noch tagsüber gearbeitet hatte, war es im Schwesternzimmer auf der Station manchmal recht lustig gewesen. Aber sie hatte auch traurige Situationen erlebt. Nicht nur Patienten, die es nicht geschafft hatten und auf der Station verstorben waren. Auch Patienten, die keine Angehörigen mehr hatten oder demente Patienten machten Silvia nachdenklich. Sie erinnerte sich an eine demente ältere Frau, die sie mit der Frage überrascht hatte: “Bin ich hier bei Air Holiday?“ Von Angehörigen wusste Silvia, dass ihre Patientin Flugbegleiterin gewesen war. Silvia hatte ein Lachen nur mühsam unterdrücken können. „Hoffentlich werde ich nie dement!“, dachte sie auf dem Weg in ihre Wohnung.

8

Martina kam mit ihrem schweren Aktenkoffer ins Lehrerzimmer. Sie stellte den Aktenkoffer auf den Boden und ließ sich auf einen Stuhl an einem der Lehrerzimmertische fallen. „Geschafft! War das wieder ein Vormittag gewesen. Und die 8 a hat sich wieder einmal aufgeführt!“, dachte Martina. Es war Freitag, und das Wochenende stand bevor. In Gedanken sehnte sie die halbe Stunde auf der Liegematte herbei, auf die sie sich schon freute. Sie hatte Durst und wollte, bevor sie sich in ihr Auto setzte, noch eine Tasse grünen Tee trinken.

Versonnen saß sie kurz darauf vor ihrer Teetasse. Reglos saß sie da. Ihr Blick ging ins Leere. „Martina, was ist mit dir?“ Martinas Sinnieren wurde von Iris unterbrochen. „Ach Iris, die Schüler haben mich geschafft. Wieder einmal. Und zu Hause warten die Korrekturen auf mich. Ich bin froh, dass ich jetzt zwei Tage die Schüler nicht sehen muss.“ – „So schlimm?“, fragte Iris, die Musikpädagogin. Martina nickte stumm und schaute ihre Kollegin ernst an. „Hast du etwas, das dich auf andere Gedanken bringen kann? Konzert- oder Kinokarten, eine Freundin, mit der du dich triffst?“ Martina schüttelte den Kopf. Durch diese persönlichen Fragen fühlte sie sich etwas in die Enge getrieben, verunsichert. Sie wollte sich verteidigen. „Doch, ich habe eine Freundin in Augsburg.“ – „Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?“ – „Auf dem Weihnachtsmarkt.“

Iris senkte den Blick. Sie musste schlucken, als sie das hörte. Sie beugte sich zu Martina vor. „Hast du schon etwas zu Mittag gegessen?“ – „Noch nicht.“ Iris sah Martina auffordernd an. „Hättest du Lust, mit mir auf eine Pizza zu gehen? Vorne im Ort ist ein prima Italiener. Wir können sogar draußen sitzen. Du kannst bei mir mitfahren. Und nachher bringe ich dich wieder hierher zurück.“ – „Das würdest du für mich tun?“, fragte Martina ungläubig. „Klar! Martina, Komm!“ Beide gingen zum Parkplatz.

So gut hatte Martina schon lange nicht mehr eine Pizza geschmeckt. Und die beiden Frauen unterhielten sich prächtig. Privat, nicht über den Beruf.

Auf dem Weg zurück zum Parkplatz des Gymnasiums lehnte sich Iris im Auto zu Martina hinüber. „Wenn du willst, können wir das wieder einmal machen!“ Martina war ganz glücklich. „Gerne!“

Zu Hause angekommen, stellte Martina den Aktenkoffer in ihr Arbeitszimmer. Danach rollte sie die Liegematte auf dem Wohnzimmerteppich aus, legte sich bequem hin und schloss die Augen. Bald arbeitete es in ihr: „Mein rechter Arm ist schwer und warm.“

Die erste Übung war noch nicht zu Ende, und Martina schlief ein. Ihr Körper schenkte ihr, was er brauchte.

Als Martina nach einer Stunde wieder wach wurde, fühlte sie sich wie neugeboren. Sie stand auf, goss sich ein Glas kohlensäurehaltiges Mineralwasser ein und setzte sich auf ihre Couch. Danach holte sie ihr Handy und rief ihre Freundin Lia in Augsburg an. „Lia, wollen wir uns morgen treffen?“ – „Kommst du zu mir nach Augsburg oder soll ich zu dir kommen?“ Lia zog es vor, nach München zu kommen.

„Wann willst du denn kommen?“, fragte Martina.“ – „Ich bin am Vormittag noch in der Redaktion. Darum wäre mir später Nachmittag recht. Nachher habe ich Zeit. Auch den Abend halte ich mir frei. Bist du weit vom Hauptbahnhof entfernt?“ – „Nein, ich brauche mit der U-Bahn nur eine halbe Stunde bis zum Hauptbahnhof.“ – „Dann melde ich mich bei dir, sobald ich hier losfahre.“ – „Okay, ich freue mich! Tschüss!“

Martina hätte ihre Freundin Lia beinahe nicht wiedererkannt, als sie am Münchner Hauptbahnhof auf sie zukam: weiße Rüschenbluse, eng anliegende Jeans und rote hochhackige Pumps. Die beiden Frauen umarmten sich. „Schick bist du, Lia! Hast du heute noch etwas vor?“ – „Das kommt ganz darauf an, was wir aus dem gemeinsamen Abend machen!“, meine Lia grinsend und puffte sie. Kein Zweifel, Lia war bester Laune.

„Ich habe für uns zwei beim Chinesen reserviert. Die haben leichte Küche.“ – „Das ist ein Vorteil. Aber selbst eine Pizza vom Italiener tanze ich nachher locker wieder runter.“ Lia kicherte.

Beim Chinesen erfuhr Martina, dass es der Job ihrer Freundin Lia in sich hatte. Vor allem außerhalb des Dienstgebäudes, in dem die Räume der Redaktion lagen. Gewiss, es gab das morgendliche Update, die tägliche Teamsitzung von 9 – 10 Uhr im Großraumbüro. Danach setzten sich die Redakteure hinter ihre Bildschirme oder schwärmten aus. Bei kulturellen und politischen Ereignissen oft bis spät in die Nacht. „Open End“, nannte Lia solche Events.

„Und damit kommst du klar?“, frage Martina ihre Freundin ungläubig. „Solange ich solo bin und keine Familie habe, passt das für mich. Es hat seinen eigenen Kick. Aber eben nicht bei jedem Event. „Und wie ist es bei dir?“, wollte Lia wissen.

Martina berichtete über ihre Situation vor der Klasse, die vielen Korrekturen und Konferenzen. Und dass sie froh sei, dass das Schuljahr dem Ende entgegenginge. „Hast du es gut. Beamtengehalt, Beamtenpension und einen sicheren Arbeitsplatz.“ Martina hörte so etwas wie Neid in Lias Worten.

Martina wurde nachdenklich. „Ja, das stimmt. Und ich weiß, wann ich abends nach Hause komme.“

Lia trank einen Schluck Rotwein. Als sie das Glas wieder abgestellt hatte, fragte sie Martina: „Was machen wir aus dem angefangenen Abend? Hättest du Lust, tanzen zu gehen?“ – „Das hättest du mir aber vorher sagen müssen! Dann hätte ich mich anders angezogen! Jetzt verstehe ich auch, warum du so chic bist!“ – „Unter der Woche tragen wir Journalisten und Redakteure Casual Look. Da bin ich froh, wenn ich am Wochenende meine besseren Stücke ausführen kann.“ Lia lächelte. „Kennst du die Stella Bar?“ – „Ist die nicht in Schwabing?“ – „Ja. Und, gehst du mit in die Stella Bar?“

Martina zögerte. Wie lange war sie nicht mehr tanzen gewesen? Das waren gefühlte Ewigkeiten. Da sie allein lebte und keinen Partner hatte, fehlte der Anstoß zum Eintauchen in das Münchner Nachtleben. Jetzt fiel ihr ein, dass sie mit ihrer Freundin Lia während des Studiums drei oder vier Mal auf einen Faschingsball der Studentenschaft gegangen war. Angenehme Erinnerungen wurden in ihrem Kopf wach. Wie fröhlich und entspannt war sie damals zum Tanzen gegangen, sogar noch im Prüfungssemester! Und sie erinnerte sich, dass es damals schon ihre Freundin Lia gewesen war, die sie mitgenommen hatte. Und immer war es an Lias Seite lustig gewesen! Dankbar dachte sie an ihre Studentenzeit zurück. Im Hinblick auf die Prüfungen in ihren beiden Studienfächern Deutsch und Englisch hatte sie sehr viel lesen müssen, und Seminare und Prüfungsvorbereitungen hatten zu Nachtschichten geführt. Nein, weniger hatte sie als Studentin nicht gearbeitet als heute. Und trotz der langen Nächte hinter dem Laptop und des Prüfungsstresses erschien ihr die Studienzeit unbeschwerter, sorgloser. Wie war das nur möglich?

Martina nickte. „Einverstanden!“ – „Dann machen wir das wie in alten Zeiten!“ Lia lachte.

Die Bar war noch fast leer, als sie dort eintrafen. Sie fanden ein Tischchen an der Wand und bestellten ihre Getränke. Bald überließen sie ihre Körper den heißen Rhythmen der Musik. Als sie wieder saßen, brachte der Kellner ein Glas Sekt und stellte es vor Martina hin. Martina machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand und versuchte, dem Kellner ins Ohr zu brüllen. „Den Sekt habe ich nicht bestellt! Nehmen Sie ihn wieder mit!“ Der Kellner machte eine Bewegung mit der Hand und zeigte auf einen Mann, der zwei Tische weiter saß. „Der Sekt ist eine Spende von dem Herrn dort!“ Martina drehte den Kopf und sah, wie der Mann ihr zuzwinkerte und nickte. Jetzt stand er auf und kam an ihr Tischchen. Er nickte Lia und Martina zu und setzte sich neben Martina. „Uwe“, stellte er sich vor.

Bald darauf tanzte Martina mit Uwe. Uwe hatte blondes Haar und ein breites Gesicht, aus dem zwei grüne Augen mal fixierend, mal versonnen blickten. Er hatte seinen bisherigen Platz im Lokal aufgegeben und schien die Gesellschaft der beiden Freundinnen sehr zu genießen. Abwechselnd lächelte er Lia und Martina an. Die Blicke, die er Martina schenkte, verrieten ein warmes Interesse an ihr. Immer wieder zog er Martina auf die Tanzfläche.

Als Lia das Zeichen für den Aufbruch gab, erhob sich auch Uwe. Ungefragt, als wäre er der Dritte im Bunde, schlenderte er neben den beiden Freundinnen zum U-Bahnhof Münchner Freiheit. In einem lockeren Gespräch unterhielten sie sich. „Was macht ihr zwei Schönen denn, wenn ihr gerade nicht tanzt? Ich meine beruflich?“ Lia gab sich als Journalistin und Redakteurin bei einer Augsburger Zeitung zu erkennen, und Martina erwähnte, dass sie an einem Gymnasium im Landkreis München unterrichtete. „In welchem?“ Martina nannte den Standort ihrer Schule. „Was machst du?“, wollte Martina von Uwe wissen. „Hier steht es drauf!“, antwortete Uwe lächelnd und steckte Martina ein Kärtchen zu.

Als die U-Bahn einfuhr, verabschiedete sich Uwe per Handschlag. „Vielleicht sehen wir uns wieder, das würde mich freuen. Ich bin regelmäßig am Samstag in der Stella Bar.“

„Nun zeig schon, was steht auf der Karte?“, drängte Lia ihre Freundin. Martina wollte es selbst wissen, und las die Visitenkarte: „Uwe Z., Rechtsanwalt.“

„Da machst du aber einen guten Fang, Martina!“, witzelte Lia. Errötend steckte Martina die Visitenkarte in ihre Handtasche. Sie lenkte ab. „Wann geht dein Zug nach Augsburg?“, wollte sie von ihrer Freundin wissen. „Kurz vor zwei.“

Als sich die beiden Freundinnen trennten, bedankte sich Martina: „Danke, Lia, dass du gekommen bist. Danke auch für deine Idee mit der Stella Bar. Hat es dir auch gefallen?“ – „Ja, es war super! Ich denke, das sollten wir wieder mal machen!“ Lia puffte ihre Freundin in den Arm. Danach umarmten sich die beiden Frauen.

Auf der Fahrt nach Hause sinnierte Martina vor sich hin. In so kurzer Zeit hatte sie zwei schöne Erlebnisse gehabt, die ihr Herz erwärmt hatten: am Freitag das Mittagessen beim Italiener mit Iris, die ihr über ihren momentanen Frust hinweggeholfen hatte, und am Samstagabend das Treffen mit ihrer Freundin Lia, die von Augsburg zu ihr nach München gekommen war. Danach das Tanzen in der Bar.

Als sie in ihrer Wohnung die Handtasche auspackte, fiel ihr wieder die Visitenkarte in die Hände, die ihr Uwe zugesteckt hatte: „Uwe Z., Rechtsanwalt.“ Darunter las Martina: „Familienrecht – Vermögensrecht.“ – „Warum hat er mir bloß seine Visitenkarte gegeben? Erwartet Uwe einen Anruf von mir?“ Im Stillen schüttelte Martina über dieses Verhalten den Kopf. „Eine berufliche Visitenkarte nach dem Discobesuch? Irre! Was soll ich mit der Visitenkarte machen? Weder zerbricht meine Ehe, noch habe ich Eltern mit Vermögen, über die ich mich mit meinen Geschwistern streiten könnte.“ Unschlüssig ging sie zu ihrem Schreibtisch im Arbeitszimmer. Sie zog die zweite Schublade auf und legte die Visitenkarte hinein.

Als Martina wach wurde, stellte sie überrascht fest, dass der Vormittag schon fast zu Ende war. Elf Uhr war schon vorbei. Sie sah zur Zimmerdecke empor. Draußen gaben die Vögel ihr Konzert. Martina setzte sich auf die Bettkante und ließ ihre Augen durch das halbdunkle Zimmer gleiten. „Auf! Ich habe ja noch was vor.“ Dabei dachte sie an die Korrekturarbeiten. Sie wollte erst duschen und dann bei dem Café unten an der Ecke brunchen.

Als Martina vom erweiterten Frühstück zurückkam, setzte sie sich an die Arbeit. Obwohl sie nicht lange geschlafen hatte, fühlte sie sich pudelwohl und voller Energie. Schnell vertiefte sie sich in die Arbeiten ihrer Schüler und merkte nicht, wie die Zeit verging. Sie vergaß Raum und Zeit um sich. Um halb sechs schaute sie überrascht auf die Uhr. Die Schulaufgabe war durchkorrigiert. Erster Teil geschafft. Sogar ohne vorheriges autogenes Training.

Martina setzte sich mit einem Glas Mineralwasser auf den Balkon. Sie fühlte sich leicht und beschwingt.

„Der Abend gehört jetzt mir.“ Vor drei Wochen hatte sie begonnen, eine spannende Familiensaga zu lesen. „ich möchte endlich wissen, ob aus Maria und Jakob doch noch ein Liebespaar wird!“

9

Uli und Carina saßen beim Frühstück. „Wie läuft bei euch das Geschäft mit dem Verkauf?“ – „Wir haben wegen Störung der Lieferketten weniger produziert. Damit konnten wir weniger Neuwagen verkaufen. Dafür sind bei den Gebrauchten die Preise gestiegen. Die Nachfrage ist nach wie vor hoch.“ Uli biss in sein Croissant. Interessiert blickte Carina Uli ins Gesicht. „Wohin fährt eigentlich der Max in Urlaub?“ – „Er hat was von Kreta erzählt. Ich glaube, der Ort heißt Rethymno.“ – „Kreta, oh! Da möchte ich auch gerne mal hin! Wäre das nicht auch was für uns?“ Zärtlich sah Carina zu Uli auf. „Ich kann den Max ja mal fragen, wie es dort ist“, bemerkte Uli unverbindlich. „Wann fliegt Max denn mit Ulla und Lara nach Kreta?“ – „Soweit ich weiß, schon Ende Juli. Ab Himmelfahrt können wir dann in Urlaub fahren.“

Carina fixierte Uli mit ihren blauen Augen. Herausfordernd sah sie ihren Mann an. „Da wir noch kein konkretes Urlaubsziel haben, wollen wir uns nicht einmal Kreta näher anschauen?“ – „Von mir aus gerne!“ Uli lächelte seine Frau an. „Ich bin froh über jeden Vorschlag!“ Carina beugte sich etwas vor. „Aber wenn wir gegen Ende August in Urlaub fahren wollen, dann können wir mit der Buchung nicht warten, bis Max und Ulla zurück sind und er dir berichtet hat. Hättest du Lust, Rethymno mal näher anzuschauen?“ Carina war aufgestanden und holte ihr Tablet. Auch Uli griff nach seinem Notebook.

„Rethymno ist die drittgrößte Stadt der Insel Kreta und hat eine sehenswerte Altstadt mit venezianischem Flair. Auch Ausflüge kann man von dort aus bestens machen. Suchst du uns mal ein Vier-Sterne-Hotel aus?“ Uli nickte und versank über seinem Notebook. Carina deckte den Tisch ab, setzte sich danach auf das Sofa und suchte ein Angebot für die zwei schönsten Wochen des Jahres.

„War Max eigentlich schon einmal auf Kreta?“ Carina durchschnitt das Schweigen. „Ich glaube schon.“- „Dann frage ihn doch mal, wie ihr Hotel hieß und ob sie damit zufrieden waren?“ Uli stand auf, griff nach seinem Handy und ging auf den Balkon. Als er zurückkam, berichtete er ausgiebig. Es war offensichtlich, dass Max für Kreta geschwärmt hatte. Und er hatte ein 4-Sterne-Hotel Plus empfohlen. Uli nannte den Namen.

Carina und Uli entschieden sich, vom 15. August bis zum 29. August in dem 4-Sterne-Hotel Plus in Rethymno Urlaub zu machen, das Max in den höchsten Tönen gelobt hatte. „Dann beantragen wir nächste Woche unsere Urlaube“, schlug Uli vor. „Fein. Wenn’s klappt, freue ich mich!“ Carina rieb sich die Hände. „Und als Vorbereitung darauf essen wir abends mal Zaziki und Gyros.“ Uli ließ sich nicht lumpen: „Und ich lade dich mal zum Griechen ein.“

10

Als Tom die Tasche bei seinem Platz im Lehrerzimmer abgestellt hatte, fiel ihm Lisa ein. Mit seinen Augen suchte er das Lehrerzimmer nach der blonden Referendarin mit dem Pferdeschwanz ab. Er wollte ihr für die bevorstehende Lehrprobe viel Erfolg wünschen. An seine eigene Referendarzeit dachte er mit gemischten Gefühlen zurück. Da war auf der einen Seite der menschliche Zusammenhalt an der Stammschule, in der Gruppe der Referendare, der persönliche Austausch vor und nach den Sitzungen, das gemeinsame Pizzaessen beim Italiener und die gegenseitigen Tipps, die die Referendare austauschten. Diese Solidarität gab es in dieser intensiven Form nachher nicht mehr. Und dennoch halfen sich die Kollegen des gleichen Unterrichtsfachs oft gegenseitig durch den Austausch von Arbeitsblättern, Materialien oder Tipps.