Wenn die Mauern niederbrechen, werden noch die Trümmer sprechen - Rainer Werner - E-Book

Wenn die Mauern niederbrechen, werden noch die Trümmer sprechen E-Book

Rainer Werner

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Beschreibung

Die Staatsführung der DDR war 1949 angetreten, das bessere Deutschland zu schaffen, einen Staat, der friedfertig, gerecht und wohlhabend sein sollte. Von Anfang an lasteten auf dem ostdeutschen Teilstaat schwere Hypotheken. Länger als die Westmächte führte die Sowjetunion umfassende Demontagen von Industrieanlagen durch, die die industrielle Basis schwächten. Am 17. Juni 1953 entlud sich der Volkszorn über niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen in einem Volksaufstand, der die ganze DDR erschütterte. Nur mit Hilfe sowjetischer Panzer konnte er niedergeschlagen werden. Die verschärfte Repression trieb immer mehr Menschen über die Berliner Sektorengrenze in den freien Westen. Am 13. August 1961 zog die Staatsführung der DDR die Notbremse. Von der KPdSU abgesegnet, riegelte sie die Sektorengrenzen zwischen der sowjetischen Zone und den drei Westzonen ab. Nach dem Bau der Mauer erlebte die DDR eine Phase relativer Ruhe und bescheidener Prosperität. Den Freiheitsdrang der Bürger konnte das SED-Regime zu keinem Zeitpunkt unterdrücken. Im Sommer 1989 kam es zu Protestaktionen der Bürgerbewegung und zur Massenflucht über Ungarn und die CSSR in den Westen. In der Nacht des 9. November 1989 wurde die Mauer geöffnet. Zehntausende Ost-Berliner strömten nach West-Berlin, wo sich die Freude in einer spontanen Wiedersehensfeier entlud. "Wahnsinn" war das Wort der Stunde. Dieses Buch schildert den Bau der Mauer, die Folgen, die das monströse Bauwerk für die Bürger in Ost und West hatte, und schließlich die Überwindung der Mauer durch die friedliche Revolution der Bürger in der DDR. Der Wille der Menschen, in Freiheit zu leben, hatte über ein politisches System gesiegt, das seine Bürger nur als Manövriermasse für eine menschenverachtende Ideologie betrachtete.

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Seitenzahl: 63

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Der Titel ist ein Zitat aus dem Gedicht „Berlin“ von Gottfried Benn. Das Aquarell auf dem Cover stammt vom Autor. Es zeigt die Mauer in Berlin-Kreuzberg. Als es im Sommer 1981 entstand, konnte sich kein Mensch vorstellen, dass dieses monströse Bauwerk schon acht Jahre später Geschichte sein würde.

Inhalt

Vorwort

Vom Bauwerk der Furcht zum Ort der Freude

Bau und Fall der Berliner Mauer (1961-1989)

Exodus aus dem „Arbeiter-und-Bauern-Staat“

Die Lüge wird Wirklichkeit

Alle Lebensadern der Großstadt gekappt

Fantasievolle Fluchten

Kommunismus als Gefängnis

Entspannungspolitik und friedliche Koexistenz

Der Sommer des Missvergnügens

Mauerfall aus Versehen?

Historische Informationen

Der Unterdrückungsapparat der DDR:

„Im Mittelpunkt steht der Mensch, nicht der Einzelne“

(Reiner Kunze)

Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi

Spionage

Haftanstalten Bautzen, Hohenschönhausen, Hoheneck

Häftlingsfreikauf

Betriebskampfgruppen

Flucht aus der DDR:

„Der Letzte macht das Licht aus“

(DDR-Volksmund)

Initialzündung Ungarn

Deutsche Botschaft in Prag

Knebelung der Kultur:

„Mit dem Je-Je-Je sollte man Schluss machen“

(Walter Ulbricht)

Beatmusik in der DDR

Verkehrswege: Keine freie Fahrt für freie Bürger

Transitverkehr

Interzonenzüge, Transitzüge

Einreisen in die DDR

Binnenschifffahrt in der DDR

Historischer Hafen Berlin

Weiße Flotte

Bankrotterklärung eines Wirtschaftssystems

Mauer-Blüten: Skurriles im Schatten der Mauer

Ost-Pakete in den Westen

Eine neue Mauer

Wie ich den Mauerfall erlebte:

„Wahnsinn! Wahnsinn!“

Quellen

Fotoanhang

Vorwort

Als ich 1970 von Tübingen nach Berlin übersiedelte, um an der Freien Universität mein Studium der Germanistik und Geschichte abzuschließen, war mir bewusst, dass ich mich in eine ummauerte Stadt begab. Damals gab es das Bonmot, West-Berlin sei die einzige Stadt der Welt, in der in jeder Himmelsrichtung Osten sei. Trotz der Einschränkungen der Reise- und Bewegungsfreiheit lockte mich der freie Geist, der in der Frontstadt West-Berlin herrschte. Hier war in den 1960er Jahren ein Soziotop aus studentischen Rebellen, Wehrdienstverweigerern, Hippies und Lebenskünstlern aller Art entstanden. Wenn das Wort vom „alternativen Leben“ irgendwo seine Berechtigung hatte, dann in West-Berlin. Durch den Wegzug vieler Menschen, denen es zu mühsam war, ständig bei den Grenzkontrollen der Nationalen Volksarmee mit dem Auto in der Schlange zu stehen, waren viele große Altbauwohnungen in bester Lage verfügbar – auch für Studenten. So wurde Berlin zur Stadt der Wohngemeinschaften. In ihnen wollten die Bewohner neue Lebensformen ausprobieren, gemeinsam Politik machen, privat solidarisch zusammenleben und durch sparsamen Konsum dem Kapitalismus ein Schnippchen schlagen. In Berlin wurden die ersten Kinderläden gegründet, in denen eine antiautoritäre Erziehung praktiziert wurde. Auch die Montessori-Schulen nahmen von Berlin ihren Ausgangspunkt. Durch die Studentenbewegung war die Stimmung in der Stadt stark aufgeheizt. Die Arbeiter waren eher rechts eingestellt. Sie hassten alles, was nur entfernt mit Sozialismus zu tun hatte. Kein Wunder – hatten doch fast alle Berliner Familien unter der Trennung durch die Mauer zu leiden. Bei Demonstrationen bekamen die Studenten oft zu hören: "Geht doch rüber!" und "Ihr seid Ulbrichts Fünfte Kolonne!". Sonst lebte es sich aber gut in West-Berlin. Die Lebenshaltungskosten waren niedrig, die Löhne und Gehälter wegen der Berlinzulage, die Durchhalteprämie genannt wurde, relativ hoch.

Studentenbude im Schatten der Mauer (Berlin-Kreuzberg)

Mit der Mauer hat man sich im Lauf der Jahre arrangiert. In Kreuzberg und im Wedding spielten die Kinder im Schatten der Mauer Fußball, Familien hängten an Leinen, die sie mit Dübel und Schraube an der Mauer befestigt hatten, ihre Wäsche auf. Umso ungläubiger reagierten die West-Berliner, als sie am 9. November 1989 in den Abendnachrichten vernahmen, dass die DDR-Regierung den DDR-Bürgern die Ausreise nach West-Berlin und in die BRD ohne besondere Anlässe gestatten wolle. Die Regelung gelte „ab sofort, unverzüglich“, wie Regierungssprecher Günter Schabowski nuschelnd in die Mikrophone sprach. Als der Sender Freies Berlin in den Abendnachrichten meldete, dass die ersten Ost-Berliner die Grenzübergangspunkte passiert hätten, machten sich viele West-Berliner auf den Weg, um die „Brüder und Schwestern“ (so die feierliche Diktion des West-Berliner Senats) an der Grenze in Empfang zu nehmen. In dieser Nacht kam das Trabi-Klopfen in Mode: Wessis begrüßten Ossis, indem sie mit der flachen Hand auf das Dach ihres Trabant klopften. In dieser legendären Nacht fluteten über 100.000 Ost-Berliner Bürger Kurfürstendamm und Tauentzien. West-Berlin versank im Freudentaumel. Zwei Tage später, am 11. November, saß ein älterer Herr mit seinem Stradivari-Cello am Grenzübergangspunkt Checkpoint Charlie und spielte die Cellosuiten von Johann Sebastian Bach. Es war der weltberühmte Cellist Mstislaw Rostropowitsch, der 1974 aus der Sowjetunion in den Westen geflohen war. Sein Cellospiel an der gefallenen Mauer war eine Homage an die Freiheit. Denn auch für ihn bedeutete der Fall der Mauer das Ende eines unterdrückerischen Regimes. Er sagte in die Mikrofone: „Die Mauer war ein Symbol für mein geteiltes Leben.“ Das Bild vom Cello-spielenden Dissidenten ging um die Welt. Wer das Gänsehautgefühl auch 32 Jahre später noch einmal auskosten will, kann sich das Video bei YouTube ansehen.

Für die West-Berliner erschloss sich nach dem Mauerfall ein unverhofftes Reich der Freiheit. Viele junge Berliner lernten jetzt eine Stadthälfte kennen, die sie noch nie betreten hatten. Man sah West-Berliner mit dem Stadtplan in der Hand durch Ost-Berlin flanieren, als wären sie Touristen aus dem Ausland. Auch das Brandenburger Umland wurde neugierig erkundet. An der Seenplatte von Mecklenburg-Vorpommern oder auf der Insel Rügen konnten West-Berliner jetzt ihren Urlaub verbringen. Wassersportler tobten sich auf den Seen Brandenburgs aus. Naturliebhaber wanderten durch unberührte Naturlandschaften, die im Schatten der Mauer und der innerdeutschen Sperranlagen entstanden waren. Mit dem „Grünen Band Deutschland“ entstand entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze ein bis zu 200 m breiter Grüngürtel, der von Travemünde an der Ostsee bis nach Hof in Franken reicht. Das Band umfasst 150 Naturschutzgebiete, in denen mehr als 1.200 in Deutschland bedrohte Arten vorkommen.

Das wiedervereinte Berlin wuchs schneller zusammen, als Pessimisten vorhergesagt hatten. Bei der Wahl des Wohnorts war bald nur noch die Höhe der Miete entscheidend und nicht mehr die Himmelsrichtung. Arbeit fand man im Osten wie im Westen. Heiraten von Wessis und Ossis wurden selbstverständlich. In den Lehrerkollegien und Angestelltenbüros konnte man bald nicht mehr erkennen, ob jemand im Osten oder Westen geboren war. So schnell glichen sich die Lebensstile an. Der Kapitalismus zeigte wieder einmal mehr seine gleichmacherische Kraft. Vor allem die Jugend profitierte von der neuen Reisefreiheit. Kaum ein Jugendlicher, der nicht nach dem Abitur eine kleine Weltreise unternommen hätte. Bei Lehrern war die Rate derer, die ein Sabbatjahr nahmen, im Osten deutlich höher als im Westen. Der Nachholbedarf an Fernreisen war groß. Es gab auch viele ehemalige West-Berliner, die aus „Westdeutschland“, wie die BRD damals genannt wurde, in ihre Geburtsstadt zurückkehrten. Sie wollten den Wandel, der im wiedervereinten Berlin mit Händen zu greifen war, aus nächster Nähe erleben. Nach der Wahl Berlins zur Bundeshauptstadt am 20. Juni 1991 setzte ein enormer Bauboom ein. Viele Verlage, Verbände und Firmen verlegten ihre Zentralen nach Berlin. Die Stadt im Aufbruch lockte viele junge Menschen aus ganz Europa an, die sich von dem unfertigen Zustand der Stadt, dem Improvisierten und Experimentellen begeistern ließen. 32 Jahre nach dem Fall der Mauer hat sich bewahrheitet, dass die Freiheit der wichtigste Motor für eine Lebensgestaltung ist, die es einem erlaubt, die eigenen Wünsche und Pläne Wirklichkeit werden zu lassen.