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Es klingelt an der Eingangstür in der Wohnung in Aachen. Wer kommt denn da jetzt noch so spät am Abend? Es ist Gott, dem die Gesellschaft der smarten Pastoralreferentin offenbar richtig gut gefällt. Bei einer Tasse Kaffee und auch mal einem Alt diskutieren sie "über das Leben und so". Autorin Annette Jantzen geht in ihren kurzweiligen Dialogen auf aktuelle Themen in Kirche, Gemeinden und Gesellschaft ein. Diese fiktiven Zwiegespräche mit Gott zeigen, welche Fragen Kirche und Menschen bewegen. → Gespräche mit Gott bei Kaffee und Bier
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Seitenzahl: 104
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Annette Jantzen
Der Umwelt zuliebe verzichten wir bei diesem Buch auf Folienverpackung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2022 Echter Verlag GmbH, Würzburg
www.echter.de
Umschlag: Vogelsang Design, Jens Vogelsang, Aachen(Umschlagfoto: Shutterstock 664918360/Anna Efetova)Innengestaltung: CrossmediabureauDruck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg
ISBN
978-3-429-05701-5
978-3-429-05184-6 (PDF)
978-3-429-06571-3 (ePub)
Einleitung
Das erste Gespräch
Ein dickes Brett
Revolutionärin Maria
Bratkartoffeln
Handschmeichler
So stolz, dass es kracht
Was der Johannes so erzählt
Vor vierzig Jahren
Frohe Weihnachten
Heldinnentaten
Gott, die Liebe und die Freiheit
Kerzchen im Dom
Goldene Zeiten – Missbrauchsskandal I
Niemand hätte mir geglaubt – Missbrauchsskandal II
Wohin denn damit? – Missbrauchsskandal III
Parole Mandelzweig
Das Streuselbrötchen
Regensterne
Katholisch, offen, frei
Große Entfernungen
Weltwunder
Expedition Dankbarkeit
Glaubenskommunikation
Das vorerst letzte Gespräch
Ein kleines Was ist was
„Gott und ich“ begleitet mich nun schon einige Jahre. Ich bin Theologin und arbeite als Geistliche Leiterin des BDKJ (Bund der Deutschen Katholischen Jugend) – das ist der Dachverband der katholischen Kinder- und Jugendverbände – und als regionale Frauenseelsorgerin im Bistum Aachen. Privat bin ich in der 2010 gegründeten katholischen Aachener Gemeinde „Zeitfenster“ unterwegs. In dieser weitgehend ehrenamtlich gestalteten Gemeinde suchen wir vor allem nach einer verständlichen, relevanten Glaubenssprache für heute. In all diesen Zusammenhängen entstehen immer wieder Gott-und-ich-Geschichten. Als Ursprungstext sprechen sie jeweils in eine konkrete Situation hinein und spielen an einem bestimmten Ort. Diese Situationen kommen mehr oder weniger explizit in den Geschichten zur Sprache, wenn ich aufgreife, was die Menschen beschäftigt, die so ein Zwiegespräch dann als Impulstext vor einer Tagung, bei einer Aktion oder auch in einem Gottesdienst hören.
Die folgenden Geschichten sind in einem katholischen Kontext entstanden. Die Benachteiligung von Frauen in der Kirche, die Diskriminierung von gleichgeschlechtlich liebenden Menschen, auch der Skandal um sexualisierte Gewalt bilden mehrfach den Hintergrund, vor dem die Dialoge spielen, ebenso wie bei den späteren Geschichten die Pandemie-Situation.
Auch Aachener Orte scheinen immer wieder durch: Die Topographie, wenn der Boxgraben als eine der Straßen mit großer Steigung benannt wird, auf der man beim Herunterfahren mit dem Rad richtig schnell werden kann, der Dom, und natürlich die Magnolie am Dom, deren Blühen zum Frühling in Aachen einfach dazugehört. Aachener Lokalereignisse wie die Diskussionen um die Verkehrssituation kommen vor, ebenso der Braunkohletagebau ganz in der Nähe.
Und es gibt Settings, die sich durch das Buch ziehen: dass ich nahezu ausschließlich mit dem Fahrrad unterwegs bin, dass Gott gern Kerzchen in der Kirche anzündet und bei mir meistens auf dem Küchentisch sitzt, am liebsten Espresso oder Altbier trinkt und Kekse mag, und Gottes Lieblingskaffeebecher, der einen festen Platz in meinem Küchenschrank hat.
Die Anordnung der Geschichten folgt annähernd der Reihenfolge ihres Entstehens. Gott und ich haben eine Weile gebraucht, um uns an regelmäßige Gespräche zu gewöhnen. (Ich höre Gott schon ergänzen, dass ja wohl ich diejenige gewesen sei, die eine Weile gebraucht habe. Das mag stimmen) Daraus erklärt sich, warum manche vor allem der vorderen Geschichten traumähnliche Anklänge haben und eher grundsätzliche Fragen behandeln und die hinteren Gespräche alltäglicher daherkommen.
Offen geblieben ist bislang, ob für Gott männliche oder weibliche grammatikalische Formen gelten. Darum kommen solche eindeutigen Formen in der Verschriftlichung der Gespräche auch nicht vor.
„Hallo“, sagt Gott.
Ich stehe auf dem Aussichtsturm am Dreiländereck und Gott lehnt ziemlich lässig neben mir am Geländer.
„Oh, hallo Gott“, sag ich. „Das ist ja mal eine Überraschung.“
„Wieso?“, fragt Gott.
„Na dich so nah hier bei mir zu haben“, sag ich.
„Für dich vielleicht“, sagt Gott. „Für mich nicht, ich war immer schon da.“
„Guck mal“, sag ich und zeige Richtung Stadt. „Da wohne ich.“
„Ich weiß“, sagt Gott.
„Hätte ich drauf kommen können“, sag ich.
„Ja“, sagt Gott. „Lass uns doch mal häufiger treffen. Zum Reden und so.“
„Und worüber kann ich so mit dir reden?“, frag ich.
„Über alles natürlich“, sagt Gott.
„Oh“, sag ich. „Das stell ich mir schön vor.“
Gott lächelt.
„Ich mir auch“, sagt Gott.
„Bist du so eine Art imaginärer Freund?“, frag ich.
„Nee“, sagt Gott. „Ich bin doch Gott.“
„Aber …“, setze ich an.
„Mach dir mal keine Sorgen um meine Wirklichkeit“, sagt Gott. „Da kannst du Löffel drum biegen, wenn du Lust dazu hast.“
„Also ich denk mir das nicht nur aus“, sag ich.
„Du wirst es herausfinden“, sagt Gott.
„Erstaunlich, dass ich mit dir reden kann“, sag ich.
„Wie gesagt – für mich nicht“, sagt Gott.
„Ich denke mir manchmal, wir sagen das zwar immer so mit dem gottebenbildlich“, sag ich, „aber es gibt doch so viele verschiedene Menschen, welche Gestalt hast du denn?“
„Dir ist aber schon klar, dass es dabei nicht ums Aussehen geht, oder?“, fragt Gott. „Aber um deine Frage zu beantworten: Ich bin da flexibel.“
„Weil, du bist ja kein Mensch“, sag ich.
„Nee“, sagt Gott.
„Aber du redest mit mir wie ein Mensch“, sag ich.
„Ja“, sagt Gott. „Weil du einer bist. Damit du mich hören kannst. Wenn du eine Fledermaus wärst, würde ich halt mit Ultraschall-Stimme sprechen.“
„Aber eigentlich höre ich dich ja nicht mit den Ohren“, sag ich.
„Hauptsache, du verstehst mich trotzdem“, sagt Gott.
„Also du bist da, und ich kann mit dir reden, und du bist gleichzeitig Gottüber-allem“, sag ich.
„Prima, du machst Fortschritte“, sagt Gott. „Wenn das mal kein guter Anfang ist.“
Ich lasse meinen Blick über den Wald und die Stadt schweifen.
„Du musst so groß sein“, sag ich, „wenn du uns alle kennst.“
„Klar“, sagt Gott. „Und für dich bin ich genau richtig. Und bevor du fragst: Du bist für mich auch genau richtig.“
„Danke“, sag ich.
„Dann mach es mal gut“, sagt Gott. „Wir sprechen uns dann in Zukunft öfter.“
„Ich freue mich drauf“, sag ich.
„Ich mich auch“, sagt Gott. „Bis bald mal wieder, und Amen.“
„Boah, das hat aber lange gedauert“, sagt Gott, als ich in die Küche komme, und prostet mir mit einer Flasche Alt zu.
Ich lege das Handy ab und massiere mir mein Ohr.
„Ich hab mich schon mal bedient“, sagt Gott.
„Hast du nachgelegt?“, frag ich.
„Klar“, sagt Gott. „Worum ging es denn so lange?“
„Ach, kirchliche Veränderungsprozesse“, sag ich und fange an, das Geschirr neben der Spüle einzuräumen.
Gott legt sich eine Hand über die Augen.
„Nicht schon wieder“, sagt Gott. „Beziehungsweise nicht immer noch. Ist euch langweilig?“
„Wir versuchen deine Kirche gerechter zu machen“, sag ich. „Das ist halt ein dickes Brett.“
„Das ist kein dickes Brett, das ist ein ewiger Stuhlkreis*“, sagt Gott. „Dabei geht es doch eigentlich nur um die Fähigkeit zum Brotbrechen, oder? Das solltest du doch können.“
„Darf ich aber nicht“, sag ich, stelle Gottes Lieblingskaffeebecher in den Küchenschrank und schließe die Tür.
„Warum nicht?“, fragt Gott.
„Ich habe doch Blutgruppe 0“, sag ich über die Schulter, während ich mir auch ein Bier hole.
„Du redest wirr“, sagt Gott und verschluckt sich fast.
„Na ja“, sag ich, „das ist ein bisschen kompliziert“, und setze mich zu Gott auf den Küchentisch.
„Davon gehe ich aus“, sagt Gott.
„Du kennst doch Hostienwunder“, fange ich an. „Prost.“
Gott guckt verwirrt.
„Da klingelt leise was“, sagt Gott. „Aber das ist eher etwas für die Bühne der großen peinlichen Erinnerung von der Betriebsweihnachtsfeier.“
„Hostienwunder sind, wenn die Hostie in der Messe anfängt zu bluten“, sag ich.
„Das ist ein bisschen eklig“, sagt Gott. „Muss das sein?“
„Ich glaub nicht“, sag ich. „Aber die Kirche hat solche Wunder untersucht und als Wunder anerkannt.“
„Wunder untersuchen“, sagt Gott kopfschüttelnd. „So was kriegt auch nur ihr hin. Entweder ihr glaubt an ein Wunder oder ihr untersucht es. Aber ein Wunder untersuchen, wozu soll das denn gut sein? Wollt ihr Beweise? Und wenn ihr sie habt, braucht ihr dann nicht mehr zu glauben?“
„Also“, sag ich, „bei allen Hostienwundern hatte das Blut die Blutgruppe AB. Die ist voll selten, nur 4 Prozent der Menschen laufen damit rum. Und das kann ja nur heißen, dass Jesus die Blutgruppe AB hatte. Und dann können auch nur Menschen mit der Blutgruppe AB an seiner Stelle das Brot brechen.“
„Das ist nicht dein Ernst“, sagt Gott.
„Nein, nein“, sag ich.
„Boah, echt mal“, sagt Gott. „Mir so einen Schreck einzujagen. Du hast mich echt voll hochgenommen, was?“
„Nicht ganz“, sag ich. „Die Blutgruppe muss nicht stimmen, aber der Chromosomensatz. Menschen mit zwei X-Chromosomen dürfen nicht Priester sein. Nur die mit XY. Weil Jesus auch XY hatte. Und ich hab halt zwei X.“
„Ich habe das dumpfe Gefühl“, sagt Gott, „dass dieses Argument weniger zwingend wäre, wenn ich mit zwei X Mensch geworden wäre.“
„Warum bist du nicht?“, frag ich.
„Heimatland“, sagt Gott. „Menschwerden ist kompliziert genug und irgendwer meckert hinterher immer.“
„Das mag sein“, sag ich.
„Chromosomensätze“, grummelt Gott vor sich hin. „Das ist doch alles völlig abgespaced.“
„Es ist ja wohl deine Kirche“, setze ich an.
„Ja, ja“, sagt Gott. „Wirf mir nicht schon wieder vor, dass ich mich halt mehr hätte kümmern müssen. Ich weiß es doch. Ich dachte halt, ihr seid selber groß und kriegt das schon hin. Aber ehrlich, ihr seid auch echt gut drin, komplett zu ignorieren, was sehr eindeutig in der Bibel steht, und euch dafür minutiös an das zu halten, was nicht drinsteht.“
„Meinst du das mit dem ‚Ihr sollt keinen Eid schwören‘?“, frag ich.
„Zum Beispiel“, sagt Gott. „Oder dass ihr immer so tut, als sei ich als Mensch ein Einzelkind gewesen, dabei steht in der Bibel, dass Maria mindestens siebenfache Mutter war. Aber ‚du sollst keine Frauen weihen‘ steht da nirgendwo, und was ist? Da werdet ihr dann auf einmal ganz-ganz genau.“
„Hm“, sag ich.
„Weißt du, was ich nicht verstehe?“, fragt Gott.
„Sag an“, sag ich.
„Warum arbeitet ihr euch daran noch ab?“, fragt Gott.
„Wer wir?“, frag ich.
„Ihr Ladys“, sagt Gott. „Ihr könntet so froh sein, dass ihr wählen dürft und selbst entscheiden könnt, ob und wann ihr Kinder bekommt, ob und wen ihr heiraten wollt, welchen Beruf ihr haben wollt. Ihr könntet Bundeskanzlerin werden oder Kapitänin auf einem Seenotrettungsboot. Und dann lasst ihr euch in der Kirche auf die hinteren Plätze verweisen.“
„In der Kirche sitzen immer alle zuerst auf den hinteren Plätzen“, sag ich.
„Ja, ja“, sagt Gott ungeduldig. „Ich weiß. Das ist übrigens ziemlich nervig. Aber echt mal, ihr könnt so viel mehr sein als die drei Aggregatzustände, die die Jungs für euch vorgesehen haben.“
„Häh?“, frag ich.
„Die Intelligenz eines Menschen erkennt man daran, wie sie ihre Fragen stellt“, sagt Gott.
„Na du bist heute ja mal ein Sonnenschein“, sag ich. „Was für Aggregatzustände?“
„Jungfrau, Braut und Mutter“, sagt Gott. „Mehr gibt’s da doch nicht für euch, so offiziell.“
„Ey, es gibt auch voll berühmte Frauen in der Kirche, die echt was erreicht haben“, sag ich. „Katharina von Siena, Theresa von Avila …“
Gott macht ein Geräusch zwischen Husten und Lachen.
„Da weiß man echt nicht, ob man lachen oder weinen soll“, sagt Gott. „Wenn es danach geht, wer in solchen Aufzählungen vorkommt, dann gab es in den letzten 2000 Jahren in der Kirche ungefähr fünf Frauen! Und ihr feiert es ab, wenn mal versehentlich eine sechste ausgegraben wird.“
Gott holt sich ein neues Alt aus dem Kühlschrank.
„Nachlegen!“, sag ich.
„Jaja“, sagt Gott und setzt sich zurück auf den Tisch.
„Meinst du echt, wir sollten sie vor die Wand fahren lassen?“, frag ich.
„Ich weiß nicht, ob ihr eine Wahl habt“, sagt Gott, „wenn ihr bei einem großen Tanker den Kurs ändern wollt, ohne auf die Brücke zu dürfen. Um es mal einfach auszudrücken, ihr seid echt voll co-abhängig von diesem Männerzirkus in Frauenkleidern.“
Gott fischt einen zerbrochenen Keks aus der fast leeren Packung, die auf dem Tisch liegt.
„Vielleicht hat das was mit der religiösen Muttersprache zu tun“, sag ich. „Versuch mal erst, aus einer Sprache auszuziehen.“
„Wie meinst du das?“, fragt Gott kauend.
„Katholisch ist die Sprache, in der ich mit dir reden kann“, sag ich. „Und das lass ich mir nicht wegnehmen.“
„O.k.“, sagt Gott. „Das ist ein Geltungsbereich.“
Gott steht auf und legt tatsächlich ein Alt nach in den Kühlschrank. Ich gucke anerkennend, das tut Gott nämlich nur sehr selten.
„Aber die Welt ist so groß und es gibt so viel zu entdecken“, sagt Gott und nimmt den letzten Schluck aus der Flasche. „Und ich rede mit dir auch echt gern über anderes als immer nur über mich und meine Kirche.“
Unter dem Fenster fängt ein Straßenmusiker an zu spielen. Gott hält inne.