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Wahres Glück gibt's nur umsonst! Dieses Buch lädt zu einem alternativen Lebensstil und Lebensgefühl ein. Hier und jetzt im Sinne Jesu zu leben. Nicht ohnmächtig auf die Mechanismen einer globalisierten Wirtschaftswelt zu starren, sondern selbst anders zu wirtschaften. Sich nicht lähmen lassen von negativen Meldungen, sondern an die gute Nachricht, an die Frohe Botschaft zu glauben. Andreas Knapp folgt dabei den Spuren von Charles de Foucauld, der am 15. Mai 2022 von Papst Franziskus heilig gesprochen wurde. Ende des 19. Jahrhunderts vollzog Charles de Foucauld eine radikale Lebenswende: vom Partylöwen und Offizier zum Einsiedler. Im Einsatz für andere Menschen fand er zu seiner wahren Berufung. Andreas Knapp gehört zur Gemeinschaft der Kleinen Brüder Jesu, die sich dem einfachen Leben verschrieben hat. Für sich selbst hat er erfahren, dass Glück nichts ist, was wir uns durch immer mehr Leistung erarbeiten müssen, sondern vielmehr etwas, das uns das Leben einfach schenken möchte – wenn es uns denn gelingt, die Hände frei zu haben!
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Seitenzahl: 153
Andreas Knapp
Mit Charles de Foucauld einfach leben lernen
Knaur eBooks
Wahres Glück gibt's nur umsonst! Dieses Buch lädt zu einem alternativen Lebensstil und Lebensgefühl ein. Hier und jetzt im Sinne Jesu zu leben. Nicht ohnmächtig auf die Mechanismen einer globalisierten Wirtschaftswelt zu starren, sondern selbst anders zu wirtschaften. Sich nicht lähmen lassen von negativen Meldungen, sondern an die gute Nachricht, an die Frohe Botschaft zu glauben.
Andreas Knapp folgt dabei den Spuren von Charles de Foucauld, der Ende des 19. Jahrhunderts eine radikale Lebenswende vollzog: vom Partylöwen und Offizier zum Einsiedler. Im Einsatz für andere Menschen fand er zu seiner wahren Berufung.
Andreas Knapp gehört zur Gemeinschaft der Kleinen Brüder Jesu, die sich dem einfachen Leben verschrieben hat. Für sich selbst hat er erfahren, dass Glück nichts ist, was wir uns durch immer mehr Leistung erarbeiten müssen, sondern vielmehr etwas, das uns das Leben einfach schenken möchte – wenn es uns denn gelingt, die Hände frei zu haben!
Motto
Zitat
Hier schon das Schlusswort?
1. Eine Zeitreise
2. Protokolle aus dem Prätorium
3. »De la vaca – a la boca!«
4. Ein Marokko-Forscher entdeckt Nazaret
5. »Nur das Gewohnte ist um uns«
6. Wer integriert hier wen?
7. Schwarzarbeit – ganz in Weiß
8. Kopfstand der Pyramiden
9. Auf dem Weg zur Großfamilie
10. Grenzwerte beachten!
11. Das wahre Glück gibt es nur gratis
12. Wir sind die echten Kommunisten!
13. Wüste: Was die Leere lehrt
14. Psst! Ruhebereich!
15. Beim Anblick einer Fledermaus
16. Die Absteige Gottes
17. »Wozu seid ihr eigentlich nützlich?«
18. Nazaret als Antiresignativum
Zum Weiterlesen
Wir befinden uns im Jahr 27 nach Christus. Ganz Galiläa ist von den Römern besetzt. Ganz Galiläa? Nein! In einem kleinen Dorf, weitab in der Provinz, nimmt eine neue Form von Freiheit ihren Anfang. Denn dort in Nazaret zeigt sich Gott im Leben eines einfachen Handwerkers. Und daher kann Gott überall, selbst in den kleinen und alltäglichsten Dingen gefunden werden. Lassen Sie sich mitnehmen auf eine spirituelle Entdeckungsreise!
»In dieser Zeit, wo Gewalttätigkeit in Lüge gekleidet so unheimlich wie noch nie auf dem Throne der Welt sitzt, bleibe ich dennoch überzeugt, dass Wahrheit, Liebe, Friedfertigkeit, Sanftmut und Güte die Gewalten sind, die über allen anderen Gewalten stehen. Ihnen wird die Welt gehören, wenn nur genug Menschen die Gedanken der Liebe, der Wahrheit und der Friedfertigkeit rein und stark und stetig genug denken und leben.«
Albert Schweitzer
Dopp! … Dopp! … Dopp! Dieser verdammte Wasserhahn! Dopp! … Dopp! … Dopp! Obwohl ich nun schon länger an ihm herumschraube, tropft er noch immer. Derart in die Arbeit versunken, habe ich gar nicht bemerkt, dass das Wasser in der Kajüte weiter angestiegen ist. Dabei ist es bitterkalt! Vorhin stand das Wasser nur so hoch, dass es mir in die Schuhe lief. Nun stehe ich schon knietief in der eisigen Flut. Und war da nicht draußen auf dem Gang etwas gewesen? Doch! Jetzt erinnere ich mich an ferne Stimmen: »Die Titanic sinkt!« – Egal! Ich muss noch den Wasserhahn hier in der Kajüte reparieren. An dem, was draußen passiert, kann ich sowieso nichts ändern. Der Kapitän auf der Brücke, der hat die Verantwortung. Und ich bin nur ein kleiner Klempner auf einem gigantischen Ozeanriesen …
Welch absurde Situation: auf einem untergehenden Luxusliner einen tropfenden Wasserhahn reparieren zu wollen! Und doch begleitet mich dieses Bild schon lange. In ihm spiegelt sich mein Erleben von Ohnmacht und Sinnlosigkeit wider: Was kann ich denn schon tun angesichts der Bedrohung unserer Welt? Seit über 25 Jahren besitze ich kein Auto mehr. Für Kurzstrecken nutze ich das Fahrrad, sonst nehme ich Bahn oder Bus. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass ich mich im Blick auf die Klimaveränderung vergeblich abstrample. Ich spende für Greenpeace. Doch dann lese ich, mit welch gigantischen Summen die Ölkonzerne in Brüssel das politische Räderwerk schmieren. Und was ist aus dem großen Traum der einen Menschheitsfamilie geworden; aus gerechtem Handel und internationaler Solidarität? Ich demonstriere in Leipzig gegen Rassismus. Doch bei Wahlen (nicht nur bei uns in Ostdeutschland) demonstriert zunehmend die AfD ihre Stärke. Bin ich nur ein armer Tropf auf einem heißen Stein?
Denn was kann ich schon ausrichten gegen die große Politik? Was tun, wenn selbst Präsidenten auf allen Regeln von Anstand und Fairness herumtrampeln? Machen die da oben nicht einfach, was sie wollen? Oder sind sie am Ende vielleicht auch nur Gefangene von wirtschaftlichen Zwängen, bloße Marionetten an den Fäden der Megakonzerne und Multimilliardäre?
Manchmal spüre ich die Versuchung, mich ganz ins Private zurückzuziehen. In meinen eigenen vier Wänden könnte ich es mir ja gemütlich machen. Und so viele Sonderangebote für Ablenkung versprechen Spaß und Genuss! Allerdings lassen sich auch hier die Lecks nicht leugnen: Immer mehr zu besitzen und anzuhäufen wird als »Glück« angepriesen. Doch man läuft wie ein Esel einer Karotte hinterher, ohne sie je zu erreichen. Viele hungern nach einer neuen Freiheit und wollen aus dem Hamsterrad des »immer höher« und »immer schneller« aussteigen. Erfolg, Leistung, Karriere, Besitz fühlen sich für viele irgendwann hohl und schal an. Denn selbst wenn wir alles haben, werden wir den leisen Verdacht nicht los, dass uns das Wichtigste noch fehlt …
Nicht erst durch Covid-19 haben viele Menschen den Geschmack am Leben verloren, denn in der modernen Massengesellschaft breitet sich das Gefühl der Einsamkeit und Verlassenheit immer virulenter aus. Die Grenzen des Wachstums und der Machbarkeit werden spürbarer, aber auch die eigene Zerbrechlichkeit. Welche Möglichkeiten bleiben mir noch, wenn ich mir wie auf einem untergehenden Dampfer vorkomme: zynisch reagieren? Ohnmächtig resignieren? Verzweifelt rebellieren? – Dies würde das Aus für mein Engagement bedeuten! Und diese Zeilen wären dann auch schon das Schlusswort!
Oder öffnet sich vielleicht doch noch eine Perspektive? Ein Kirchenlied provoziert: »Hoffen wider alle Hoffnung; glauben, dass es dennoch weitergeht; lieben, wo es beinah nicht mehr möglich, damit die Welt auch morgen noch besteht.«1
Als Christ versuche ich, auf einem derart riskierten inneren Weg zu bleiben: mir meinen eigenen Unkenrufen zum Trotz die Hoffnung nicht rauben zu lassen. Im Glauben den Halt zu finden, mich einer oft traurigen und tragischen Realität zu stellen, vor der ich am liebsten die Augen verschließen möchte. Und schließlich auf die Kraft der Liebe zu vertrauen, die sogar Menschen und Situationen verwandeln kann, die ich fast schon aufgegeben hatte.
Was bestärkt mich auf diesem Weg, sodass meine Hoffnung nicht versiegt? Die Spuren zu meinen spirituellen Quellen führen nach Nazaret. Und so möchte ich Sie, liebe Leserin, lieber Leser, zu einer kleinen Reise in die Zeit Jesu einladen – an den Ort, in dem er aufwuchs und der ihn prägte. In einem nächsten Schritt will ich dann davon erzählen, was mir in meinem konkreten Alltag hilft, um Hoffnung zu schöpfen.
Jesus hat in Nazaret ein ganz normales Leben geführt, mit seinen Herausforderungen und Aufgaben. Er tat dies im Licht der Hoffnung, dass hier und jetzt Gottes neue Welt beginnt, obwohl die politischen und sozialen Umstände alles andere als rosig waren.
Wir befinden uns im Jahr 27 nach Christus. Ganz Galiläa ist von den Römern besetzt. Ganz Galiläa? Nein! In einem kleinen Dorf, weitab in der Provinz, nimmt eine neue Form von Freiheit ihren Anfang. Und zwar ohne Zaubertrank und Waffengewalt. Ganz im Gegenteil: Unscheinbar und leise beginnt ein neues Zeitalter der Hoffnung.
Auf der großen Weltbühne hingegen inszeniert sich das Römische Reich in pompösen Triumphzügen und herrscht mit eiserner Faust über Nordafrika, den Nahen Osten und einen großen Teil Europas. In Rom dienen goldglänzende Tempel und Paläste als Regierungssitz von Menschen und Göttern. Die wohlhabende Oberschicht schwelgt in einem unglaublichen Luxus, während viele Bevölkerungsgruppen brutal ausgepresst werden. Legionen von Söldnern und Steuereintreibern halten die Unterworfenen in Schach und Schuldknechtschaft. Wer aufbegehrt, wird gnadenlos ausgelöscht. Der Ruhm des gewaltigen Roms ist auf einem Höhepunkt angekommen.
Weitab vom Zentrum der Macht jedoch beginnt ein anderes Reich. In einem armseligen Dorf namens Nazaret wächst ein Mann auf, der sich nicht in die herrschenden gesellschaftlichen und religiösen Zwänge einfügt. Während sich viele Zeitgenossen in eine Weltuntergangsstimmung flüchten, widersteht Jesus der Versuchung zu resignieren. Er tritt auch nicht als politischer Rebell gegen das herrschende System auf, sondern geht ganz selbstverständlich seinen eigenen Weg. Er setzt auf Nächstenliebe und Barmherzigkeit, auf Gerechtigkeit und Hoffnung. Und er ist davon überzeugt, dass überall dort eine neue Welt anfängt, wo Menschen auf diese Alternative bauen. Dort beginnt das Reich Gottes.
Nazaret, im Jahr 27 nach meiner Geburt
Liebe Tante Elisabet,
schon länger habe ich nichts mehr von mir hören lassen. Die tägliche Arbeit nimmt mich sehr in Anspruch. Seit Monaten verdinge ich mich mit meinem Vater auf den Baustellen von Sephoris, das nur wenige Meilen von Nazaret entfernt liegt. Ich habe zwar auch gelernt, Steine zu behauen und Mauern hochzuziehen, aber hier arbeiten wir vor allem als Zimmerleute.
Stell dir vor: Die von den Römern niedergebrannte Stadt wird wieder aufgebaut, herrlicher noch als vorher. Ich kann mich nicht an den Krieg erinnern, weil ich noch zu klein war, als der berüchtigte Varus mit seinen Truppen Sephoris in Schutt und Asche legte. Abba erzählt oft davon, wie er damals auf den Hügel gelaufen ist, an dessen Fuß unsere Hütten erbaut sind. Dort habe er in der Ferne ein riesiges Flammenmeer gesehen, aus dem Rauchwolken aufstiegen und den Himmel schwarz färbten.
Nazaret hatte damals Glück, weil es so arm und unbedeutend ist. Denn die römischen Legionäre machten nicht nur Sephoris platt, sondern auch alle größeren Dörfer in der Umgebung. Meine Mutter hat dir sicher davon erzählt: Marodierende Söldner zogen durchs Land. Sie plünderten die Häuser, vergewaltigten die Frauen und verschleppten viele junge Frauen und Männer in die Sklaverei. Unser Dorf hingegen haben sie verschont. Man sieht ja schon von Weitem, dass bei uns nichts zu holen ist. So sind sie lieber Richtung Magdala weitergezogen, weil die Dörfer am See Genezareth eine fette Beute versprachen.
Jetzt haben die Römer unser Land fest im Griff und lassen uns durch Herodes Antipas aussaugen. Herodes will natürlich protzen und lässt neben der Stadt Tiberias auch Sephoris mit großen Palästen und breiten Straßen ausstatten. Ich kannte bis vor Kurzem nur die Arbeit an strohgedeckten Lehmhütten, wie sie in Nazaret üblich sind. In Sephoris decken wir Dächer mit richtigen Ziegeln. Und auch sonst wird an nichts gespart. Die Wände in den Häusern werden bunt bemalt und die Fußböden mit Mosaiken ausgeschmückt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie der Marmor der Säulen in der Sonne glänzt. Nur unsere verschwitzten Körper glänzen noch mehr …
Was für ein Gegensatz zwischen Sephoris, das auf einem Hügel thront und alles beherrscht – und unserem mickrigen Nazaret. Es ist wirklich ein Kaff: keine befestigte Straße, kein schönes Haus und nur eine armselige Synagoge. In den Heiligen Schriften, die dort am Sabbat vorgelesen werden, tauchen viele Namen von Städten und Dörfern auf. Nazaret wird nicht ein einziges Mal erwähnt. Und so spottet man über unser Dorf: »Was kann denn aus Nazaret schon Gutes kommen …«
Ich ärgere mich ja selbst manchmal über die Enge unserer Sippe. Alle meinen, ganz genau zu wissen, wie ich zu leben und was ich zu tun habe. Dabei interessiere ich mich für so vieles und würde gerne durch die Welt wandern. Aber das würden meine Verwandten nie verstehen!
So arbeite ich weiter mit meinem Vater in Sephoris. Als Tagelöhner, wie die meisten hier. Den Herren in den Villen gehören die großen Getreidefelder in der Ebene, die Ölbäume und die Weinberge. Sie lassen andere für sich schuften und beuten sie aus, um ihren Reichtum noch zu vermehren. Du weißt, dass uns wie allen Bewohnern von Nazaret nur noch winzige Ackerflächen geblieben sind, wo wir anbauen, was wir zum Überleben brauchen. Weil die Ernte oft nicht reicht, müssen sich viele verschulden und verlieren dann auch noch das letzte Stück Boden unter den Füßen.
Der Lohn auf der Baustelle ist karg, und die hohen Steuern zwacken noch einmal ziemlich viel davon ab. Die Zolleinnehmer sind deshalb verhasst. Manchmal tun sie mir leid. Sie müssen ja auch überleben. Wenigstens brauchen wir hier in Galiläa keine Tempelsteuern zu bezahlen. Wir sind halt weit weg von Jerusalem. Und weil das Geld knapp ist, kann ich auch dieses Jahr nicht an der großen Wallfahrt nach Jerusalem teilnehmen. Schade, denn ich hätte euch gerne wiedergesehen.
Erinnerst du dich noch an den Schrecken, den ich vor vielen Jahren meinen Eltern eingejagt habe? Ich war gerade zwölf Jahre alt und bin ausgebüxt: Denn ich war von Jerusalem und dem gewaltigen Tempelbau so fasziniert, dass ich nicht wieder zurückwollte. Ich blieb einfach in der Stadt und diskutierte mit den Gesetzeslehrern im Tempel. Damals glaubte ich noch, dass Gott im Tempel wohnt und ich dort bei ihm bleiben müsse. Inzwischen spüre ich, dass Gott in meinem Herzen wohnt. Und wenn ich still werde und bete, kann ich ganz eins mit ihm sein. Den Weg nach innen kann ich überall gehen, selbst in Nazaret. Verstehst du, was ich meine? Jedenfalls ist für mich die Wallfahrt nach Jerusalem nicht mehr so wichtig. Allerdings würde ich dich gerne mal wiedersehen. Und ich hoffe, dass ich nächstes Jahr nach Jerusalem reisen kann.
Grüße Onkel Zacharias herzlich von mir, wenn er vom Tempeldienst zurückkommt. (Von meinen Gedanken, dass man den Tempel nicht mehr unbedingt braucht, erzähle ihm lieber nichts!) Und grüße natürlich Johannes, der mir in seiner Suche nach Gott ein Vorbild ist.
Dein Jeshua aus Nazaret
Lieber Jeshua,
danke für deinen Brief aus Nazaret. Ich freue mich, dass ihr Arbeit gefunden habt. Auch hier in Judäa spürt man die harte Unterdrückung durch die Römer und Herodes Antipas. Der Bau der gewaltigen Festungen und luxuriösen Paläste für die Großen verschlingt das Geld der kleinen Leute, die ausgepresst werden wie eine Zitrone.
Aus Empörung über dieses Unrecht hat unser Sohn Johannes seine Heimat verlassen und ist an den Jordan gezogen, wo dieser mitten durch das Ödland fließt. Ich mache mir große Sorgen um ihn. Er deutet die brutale Unterdrückung und Ausbeutung durch die Römer als ein Zeichen, dass das Ende der Welt vor der Tür steht. Und darum predigt er in der Wüste mit ziemlich harten Worten, dass die Menschen sich für das Gericht Gottes bereit machen sollen. Wie ich höre, ziehen viele Leute zu ihm hinaus. Er lässt sie in das Wasser des Jordans eintauchen als Zeichen, dass ihr altes Leben zu Ende geht. Sie sollen dann rein gewaschen und wie neugeboren wieder auftauchen und ein anderes Leben beginnen. Ich bewundere seinen Mut, mit dem er das Unrecht der Mächtigen anprangert. Aber mich quält auch die Angst, dass Herodes oder die Römer den unbequemen Mahner zum Verstummen bringen könnten.
Lieber Jeshua, bete für uns und für Johannes und grüße die ganze Verwandtschaft, besonders deine Mutter Myriam.
Deine Elisabet
Liebe Elisabet,
du hast vor einiger Zeit an Jeshua geschrieben, und seither ist viel passiert. Deine Nachricht über Johannes hat Jeshua derart aufgewühlt, dass er zu ihm an den Jordan gezogen ist. Dort blieb er freilich nur kurze Zeit. Jetzt zieht er durch unsere Dörfer und predigt ebenfalls. Allerdings verkündet er eine andere Botschaft als Johannes.
Jeshua droht nicht mit dem Gericht Gottes, sondern erzählt Geschichten von Gottes Barmherzigkeit. Für ihn ist Gott wie ein Vater: ein guter Abba, der seinen davongelaufenen Sohn mit offenen Armen erwartet. Wie kommt er nur darauf, so von Gott zu reden, als würde der bei uns in Nazaret wohnen? Die Geschichten Jeshuas kommen mir alle sehr bekannt vor. Er redet von Gott wie von einem Weinbergbesitzer oder einem Hirten. Oder wie von einer Frau, die eine Münze verloren hat und dann das ganze Haus auf den Kopf stellt (so wie mir das einmal passiert ist). Und dann predigt Jeshua davon, dass eine neue Welt beginnt, aber nicht mit einem Gericht, sondern durch Güte und Barmherzigkeit. Er behauptet sogar, dass Gott schon mitten unter den Menschen wohnt und alle zu einem großen Gastmahl einlädt. Vor allem diejenigen, die ausgegrenzt und verachtet sind. Und wie zum Beweis setzt sich Jeshua mit den unmöglichsten Leuten an den Tisch. Dabei ist er in den letzten 30 Jahren hier im Dorf nie unangenehm aufgefallen. Ich geniere mich ein wenig, es dir zu schreiben: Er feiert sogar Feste mit den verhassten Zöllnern und mit Prostituierten. Unsere Familie hat er verlassen und mich einmal sogar vor der Tür abblitzen lassen, als ich ihn besuchen wollte. Alle Menschen, so versichert er, seien für ihn wie eine Mutter oder wie Geschwister.
Das hat mich damals sehr getroffen. Inzwischen frage ich mich jedoch, ob Jeshua vielleicht sogar recht hat. Warum sollte Gott nicht in unseren Dörfern, ja sogar in Nazaret wohnen? Neulich erzählte Jeshua den Leuten vom Sauerteig, den ich daheim immer wieder angesetzt habe. Man sieht nichts. Und doch wirkt der Sauerteig im Verborgenen. Sollte es wirklich stimmen, dass Gottes neue Welt schon begonnen hat und wie ein Sauerteig alles durchdringt und verändert? Schön wäre es! Vor allem, wenn wahr würde, dass Gott die Mächtigen vom Thron stößt und diejenigen in die Mitte stellt, die erniedrigt und kleingehalten werden.
Ich mache mir freilich auch große Sorgen um Jeshua. Denn er kritisiert öffentlich den Luxus der Reichen. Er hat in Sephoris gesehen, wie krass die Gegensätze zwischen der herrschenden Oberschicht und den vielen ausgebeuteten Tagelöhnern und Landlosen geworden sind. Jetzt verurteilt er das Geld als Götzen und zieht umher wie ein Vagabund, ohne Sandalen und Geld oder ein zweites Hemd. Und dann lädt er auch noch andere Männer und Frauen ein, seinem Beispiel zu folgen und alles zurückzulassen. Unsere Verwandten halten Jeshua daher für übergeschnappt. Ich habe Angst, dass ihm das gleiche Schicksal droht wie Johannes. Hast du Nachricht, wie es ihm im Gefängnis geht? Dürft ihr ihn besuchen?
Bitte grüße ihn und Zacharias von mir und auch von Josef.
Deine Myriam
Das Ansehen von Pontius Pilatus war angekratzt. Sogar dem Kaiser in Rom waren bereits heftige Klagen über die Amtsführung seines Statthalters in Palästina zu Ohren gekommen. Pilatus wusste, dass sein Regierungs- und Richterstuhl wackelte. Daher durfte er sich keine Blöße geben, als im 16. Regierungsjahr des Kaisers Tiberius in Jerusalem am 14. Nisan eine öffentliche Gerichtsverhandlung vor großer Volksmenge anstand. Vielmehr musste alles gut präpariert und gekonnt inszeniert sein – auch auf die Gefahr hin, dass es ein bloßer Schauprozess werden würde.