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Operation Heartbreaker: Besiege die Gefahr, vertraue deinen Freunden - und verschenke nie dein Herz. Für Navy SEAL Wes Skelly ist Los Angeles die Stadt der Engel. Denn hier lebt Lana, die er liebt und niemals haben kann, weil sie bereits verheiratet ist. Kein Wunder, dass Wes die City meidet - bis er Lanas Schwester in L.A. vor einem Stalker beschützen muss und sich jeden Tag aufs neue mit seinem Dilemma konfrontiert sieht. Frustriert lässt er sich schließlich zu einem Blind Date mit einer anderen überreden. Und findet in der hübschen Brittany überraschend eine mitfühlende, herzliche Freundin, auch wenn von Romantik zwischen ihnen keine Rede sein kann. Aber dann ist Lana plötzlich frei für die Liebe. Und Wes erkennt, dass manche Entscheidungen viel komplizierter sind, als er gestern noch geschworen hätte.
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Seitenzahl: 345
Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich
Suzanne Brockmann
Operation Heartbreaker 11: Wes – Wächter der Nacht
Roman
Aus dem Amerikanischen von
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH, Valentinskamp 24, 20354 Hamburg Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch in der Harlequin Enterprises GmbH
Titel der nordamerikanischen Originalausgabe: Night Watch
Copyright © 2003 by Suzanne Brockman erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with
HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln
Redaktion: Stefanie Kruschandl
Titelabbildung: Corbis GmbH, Düsseldorf Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN (eBook, PDF) 978-3-86278-133-1 ISBN (eBook, EPUB) 978-3-86278-132-4
www.mira-taschenbuch.de
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Brittany Evans verabscheute es, zu spät zu kommen. Aber die Parkplatzsuche gestaltete sich schwierig, und schon vorher hatte sie viel zu lange gebraucht, um sich zu entscheiden, was sie anziehen sollte. Als ob das eine Rolle spielte …
Sie trat aus der Tür, die von den Umkleideräumen des College-Baseballstadions aufs Spielfeld führte, und ließ den Blick über die Leute am Hotdogstand schweifen.
Da stand er.
Unter dem Vordach, gegen den Nieselregen geschützt, lehnte er mit dem Rücken zu ihr an der Wand und schaute den Spielern auf dem Spielfeld zu.
Zumindest glaubte sie, dass er es war. Sie waren sich noch nie begegnet. Halt, doch, ein Mal. Aber da hatten sie sich höchstens zweieinhalb Sekunden gesehen. Brittany, darf ich vorstellen, Wes Skelly – die Rangbezeichnung war ihr sofort wieder entfallen. Wes, das ist Melody Jones’ Schwester Britt.
Hallo, wie geht’s. Nett, Sie kennenzulernen. Ich muss weg.
Der Mann, der vielleicht oder vielleicht auch nicht Wes Skelly war, warf einen Blick auf seine Uhr und schaute dann hinüber zum Haupteingang des Stadions. Seine Haare waren länger und heller, als sie es in Erinnerung hatte. Wobei man wohl kaum einer Erinnerung trauen konnte, die sich auf eine Begegnung von kaum zweieinhalb Sekunden Dauer stützte.
Er drehte sich leicht; jetzt konnte sie sein Gesicht besser sehen. Wes lächelte nicht. Im Gegenteil. Er wirkte ein wenig angespannt, verärgert. Hoffentlich war er nicht sauer, weil sie sich verspätet hatte. Nein, vermutlich ärgerte es ihn, dass er sich überhaupt auf dieses Treffen mit ihr eingelassen hatte. Sie hatte in den letzten Jahren eine Menge über diesen Mann gehört. Wenn dieser Mann denn Wes Skelly war.
Er musste es einfach sein. Niemand sonst sah auch nur ansatzweise so aus, als könnte er ein Navy-SEAL sein.
Der Mann war etwa eins achtundsiebzig, nicht gerade groß für einen Navy-SEAL – ganz anders als ihr Schwager oder dessen guter Freund Senior Chief Harvard Becker. Aber Wesley Skelly hatte etwas an sich, das ihm den Anschein gab, zu allem fähig und vielleicht ein wenig gefährlich zu sein.
Er trug Zivilkleidung: eine kakifarbene Hose, Hemd, Krawatte und einen dunklen Blazer. Der Ärmste. Wenn man Mel glauben durfte, dann schwamm Wes lieber in haiverseuchten Gewässern herum, als sich herauszuputzen.
Andererseits ging es ihr gar nicht so viel anders. Hatte sie doch extra diese dummen hochhackigen Sandalen angezogen statt die bequemen flachen, die sie üblicherweise bevorzugte. Sogar deutlich mehr Make-up als sonst hatte sie aufgelegt.
Sie hatten sich verabredet, sich zum Spiel zu treffen und dann essen zu gehen, nicht in der örtlichen Pizzeria, sondern in ein nettes Restaurant.
Beide hatten nicht mit dem Regen gerechnet, der ihnen ihren schönen Plan verdarb.
Wes schaute schon wieder auf die Uhr und seufzte.
Und Brittany erkannte, dass er nur so unbeteiligt und gelassen tat. Er stand scheinbar still, war aber trotzdem irgendwie ständig in Bewegung, trommelte mit den Fingern, verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, suchte in seinen Taschen nach irgendetwas, schaute auf die Uhr. Am liebsten wäre er wohl wie ein Tiger im Käfig auf und ab gewandert, aber er beherrschte sich.
Du meine Güte, so sehr hatte sie sich doch gar nicht verspätet!
Natürlich konnte es sein, dass ihre fünf Minuten gar nicht das Problem waren. Vielleicht stand dieser Mann einfach nie still. Na toll, genau das, was sie brauchte: eine Verabredung mit einem Kerl, der am Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom litt.
Im Stillen verfluchte Brittany ihre Schwester, als sie sich dem Mann näherte und ein Lächeln aufsetzte. „In Ihren Augen steht dasselbe wie in meinen: Himmlischer Vater, bewahre mich davor, Freunden und Verwandten jemals wieder einen Gefallen zu tun!“, sagte sie. „Also müssen Sie Wes Skelly sein.“
Er lachte, und dieses Lachen veränderte sein Gesicht völlig. Sämtliche harten Linien wurden weicher, und seine blauen Augen funkelten plötzlich.
Ire. Verdammt, der Mann hatte garantiert Iren unter seinen Vorfahren.
„Dann sind Sie Brittany Evans“, erwiderte er und streckte ihr seine Hand entgegen. Sie war warm, sein Händedruck fest. „Schön, Sie endlich mal kennenzulernen.“
Schöne Hände. Ein sympathisches Lächeln. Ein angenehmer, direkter Blick. Ein netter Kerl. Obendrein ein geschickter Lügner. Sie mochte ihn sofort, trotz eines möglichen ADS.
„Tut mir leid, dass ich mich ein paar Minuten verspätet habe“, entschuldigte sie sich. „Ich musste fast bis nach Arizona fahren, um einen Parkplatz zu finden.“
„Ja, mir ist auch aufgefallen, dass es hier Parkplatzprobleme gibt“, gab er zurück und musterte ihr Gesicht. Wahrscheinlich fragte er sich, wie um alles in der Welt sie mit der umwerfend schönen Melody Jones verwandt sein konnte.
„Wir sehen uns nicht sehr ähnlich“, erklärte sie, „meine Schwester und ich.“
Ihre Direktheit überraschte ihn, aber er fing sich schnell wieder. „Wie bitte? So ein Unsinn! Ihre Augenfarbe ist ein wenig anders – ein anderer Blauton. Aber ansonsten sind Sie eine … Variation derselben schönen Melody.“
Ach du Schande! Was hatte ihr Schwager diesem Mann bloß erzählt? Dass sie leicht zu haben war? Mach ihr ordentlich den Hof, Skelly, und sie wird Wachs in deinen Händen sein, denn sie ist einsam und bedauernswert und hatte schon fast zehn Jahre keinen Mann mehr im Bett?
Warum war sie nur so dumm gewesen, Melodys Drängen nachzugeben? Ein Blind Date. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?
Okay, sie wusste, was sie sich dabei gedacht hatte. Mel hatte sie um den Gefallen gebeten, mit Wes Skelly auszugehen. Mel, ihre kleine Schwester, die es in ihrer typischen manipulativen Art mit ihren großen blauen Augen wieder und wieder schaffte, Brittany um den kleinen Finger zu wickeln. Mein einziger Geburtstagswunsch, hatte sie gesagt. Bitte, bitte, bitte …
Statt nachzugeben, hätte Brittany sich rundheraus weigern und ihr eine CD von Dave Matthews schenken sollen.
„Lassen Sie uns von vornherein etwas klarstellen“, erklärte Brittany entschlossen. „Ein paar Grundregeln. Regel Nummer eins: Wir schenken uns den ganzen Unfug. Klar? Keine Übertreibungen, keine Schmeicheleien. Ich erwarte Ehrlichkeit. Meine Schwester und Ihr Freund Cowboy haben uns dazu gebracht, uns diesen Höllentrip anzutun, aber die Regeln in diesem Spiel bestimmen wir. Einverstanden?“
„Ja“, gab er zurück, „natürlich, aber …“
„Ich habe nicht die Absicht, mit Ihnen zu schlafen“, informierte sie ihn kurz. „Ich bin weder einsam noch zu bedauern. Ich weiß genau, wie ich aussehe und wer ich bin, und bin ganz glücklich und zufrieden mit mir, vielen Dank. Ich bin hier, weil ich meine kleine Schwester liebe, obwohl ich ihr im Augenblick am liebsten den Hals umdrehen würde für das, was sie mir – und Ihnen – hiermit antut.“
Er öffnete den Mund, aber sie war noch nicht fertig und ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Ich kenne mein Schwesterchen, und ich weiß, was sie sich davon erhofft: dass wir einander tief in die Augen schauen, uns hoffnungslos ineinander verlieben und noch vor Jahresende heiraten.“ Sie hielt einen Sekundenbruchteil inne, um ihm prüfend in die Augen zu schauen. Schöne blaue Augen hatte er, aber ihre Freundin Julia hatte einen Alaska-Husky mit ebenso schönen blauen Augen. „Nein“, fuhr sie fort. „Hat bei mir nicht geklappt. Wie steht es mit Ihnen?“
Er lachte. „Tut mir leid, aber …“
„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen“, unterbrach sie ihn erneut. „Die Leute glauben, wer allein lebt, ist einsam. Ist Ihnen das schon mal aufgefallen?“
Er antwortete nicht sofort, sondern wartete ab, bis er sicher sein konnte, dass sie endlich alles gesagt hatte, was sie sagen wollte, und ihm jetzt wirklich das Wort erteilte.
„Ja“, erklärte er dann. „Und Leute, die nicht allein leben – Paare –, versuchen ständig, all ihre alleinstehenden Freunde zu verkuppeln. Ganz schön lästig.“
„Gut gemeint“, stimmte Brittany ihm zu, „aber ausgesprochen ärgerlich. Es tut mir leid, dass Sie meinetwegen in diese Situation geraten sind.“
„Kein Problem“, erwiderte er. „Ich meine, ich wollte sowieso nach L.A. kommen. Und wie oft hat Lieutenant Jones mich schon um einen Gefallen gebeten? Zweimal vielleicht. Wie oft hat er mir den Arsch gerettet? Unzählige Male. Er ist ein ausgezeichneter Offizier und ein guter Freund, und wenn er möchte, dass ich mit Ihnen essen gehe, okay, dann gehe ich eben mit Ihnen essen. Er hatte übrigens recht.“
Brittany war sich nicht sicher, ob ihr das Funkeln in seinen Augen oder sein Grinsen gefiel. Ihre Augen wurden schmal. „Womit?“
„Ich hatte tatsächlich Mühe, auch mal zu Wort zu kommen.“
Sie öffnete den Mund – und klappte ihn wieder zu. Öffnete ihn erneut. „Sie sind bei den SEALs aber auch nicht gerade als stilles Wasser bekannt.“
Sein Grinsen wurde breiter. „Das macht das Ganze umso erstaunlicher. Und Regel Nummer drei?“
Sie blinzelte überrascht. „Regel Nummer drei?“ Sie hatte keine drei Regeln im Sinn, nur diese zwei.
„Nummer eins lautet: keinen Sch… ähm, keinen Käse erzählen“, erklärte er. „Nummer zwei lautet: kein Sex. Das geht in Ordnung, denn daran liegt mir sowieso nichts. Ich bin einfach noch nicht so weit, mich mit wem auch immer so intensiv einzulassen, und nebenbei bemerkt: Obwohl Sie sehr hübsch sind – ich erzähle Ihnen keinen Käse, sondern meine das absolut ernst gemäß Regel Nummer eins –, sind Sie einfach nicht mein Typ.“
„Ihr Typ.“ Wow, das wurde immer besser. „Was oder wer wäre denn Ihr Typ?“
Er öffnete den Mund, aber sie boxte ihm in die Rippen, weil das Geschehen auf dem Spielfeld plötzlich ihre Aufmerksamkeit verlangte. Er hatte einen sehr massiven Brustkorb, obwohl sie in ihren hochhackigen Schuhen fast genauso groß war wie er.
„Merken Sie sich, was Sie sagen wollten“, befahl sie. „Andy ist dran.“
Gehorsam klappte Wes den Mund wieder zu. Sie wusste, dass er keine Kinder hatte, aber offensichtlich verstand er trotzdem, dass es für Eltern nun einmal nichts Wichtigeres oder Interessanteres gab als ihr eigenes Kind, wenn es mit dem Baseballschläger in der Hand auf dem Platz stand.
Ihr „Kind“ war neunzehn Jahre alt und hatte gerade ein Baseball-Stipendium fürs College bekommen. Ihr „Kind“ war fast eins neunzig groß, wog knapp einhundert Kilo, traf die meisten Bälle und beförderte sie meist weit über den Zaun, wenn nicht gleich bis in die nächste County.
Aber der Regen wurde gerade sehr viel stärker.
Den ersten Ball nahm Andy nicht an.
„Wie kann er bei dem Regen überhaupt etwas sehen?“, murmelte Brittany. „Er kann doch gar nichts sehen. Außerdem, was soll das? Es hat in Südkalifornien einfach nicht zu regnen.“ Das war einer der Vorteile des Umzugs von Massachusetts hierher gewesen.
Der Werfer holte weit aus, schleuderte den Ball von sich und … tock. Andys Schläger traf den Ball mit einem scharfen, dröhnenden Laut, der viel eindrucksvoller klang als das blutleere Klick, das bei Baseballspielen im Fernsehen zu hören war. Brittany hatte von alldem keine Ahnung gehabt, bevor sie Andy adoptierte und er mit derselben wilden Hingabe Baseball zu spielen begann, mit der er alle Herausforderungen seines Lebens anging.
„Jaaa!“ Der Ball flog über den Zaun, und Andy rannte los. Brittany begann abwechselnd zu klatschen und gellend auf den Fingern zu pfeifen.
„Cowboy sagte, Ihr Junge sei ganz gut.“
„Ganz gut? Blödsinn!“, entgegnete Brittany. „Das ist sein einunddreißigster Home Run in diesem Jahr, wenn Sie es genau wissen wollen.“
„Sind schon Talentsucher auf ihn aufmerksam geworden?“
„Allerdings“, nickte sie. „In erster Linie, weil es noch einen anderen Jungen im Team gibt – Dustin Melero –, der eine Menge Aufmerksamkeit erregt. Er ist Werfer, eine echte Kanone, wissen Sie? Die Talentsucher kommen her, um ihn spielen zu sehen, aber seine Leistungen schwanken ziemlich stark, und es mangelt ihm noch an Reife. Im Endeffekt werden die Typen dann auf Andy aufmerksam und bleiben, um ihn näher unter die Lupe zu nehmen.“
„Werden Sie ihm erlauben, als Profi zu spielen, bevor er das College beendet?“
„Er ist neunzehn“, antwortete Brittany. „Ich erlaube ihm gar nichts. Es ist sein Leben, seine Entscheidung. Er weiß, dass ich ihn unterstützen werde, was immer er tun wird.“
„Ich wünschte, Sie wären meine Mutter.“
„Ich glaube, Sie sind ein bisschen zu alt, um von mir adoptiert zu werden“, lachte sie. Wes war tatsächlich deutlich jünger als sie, mindestens fünf Jahre, vielleicht sogar mehr. Was hatte ihre Schwester sich nur dabei gedacht?
„Wie alt war Andy, als Sie ihn adoptiert haben? Zwölf?“, fragte er.
„Dreizehn.“ Irischer Herkunft. Melody hielt Wes für irischer Abstammung, und sie glaubte, dass Brittany auf Männer stand, deren Augen schalkhaft funkelten und deren Lächeln sie von innen heraus strahlen ließ. Mel war sehr glücklich mit Cowboy, und sie hatte sich gut gemerkt, was Brittany ihr eines Abends vor vielen Jahren erzählt hatte, nachdem sie ein bisschen zu viel getrunken hatte: Was sie am Scheitern ihrer Ehe mit diesem Vollidioten Quentin am meisten bedauert habe, sei der Umstand, dass die Ehe kinderlos geblieben war. Sie hätte so gern ein Kind gehabt, ein eigenes Kind.
Nun ja, in Zukunft würde sie vorsichtiger sein und sich in Melodys Gesellschaft beim Alkohol zurückhalten.
„Man sollte Sie heiligsprechen!“, grinste Wes. „Sie haben einen dreizehnjährigen Halbstarken adoptiert? Alle Achtung!“
„Oh, ich bin alles andere als eine Heilige. Glauben Sie mir, ich … ich habe mich einfach in den Jungen verliebt. Er ist großartig.“ Sie versuchte es zu erklären. „Er wuchs ganz auf sich allein gestellt auf. Er hatte niemanden. Seine Eltern hatten ihn im Stich gelassen. Der Vater hatte Mutter und Kind sitzen lassen, und die Mutter wollte nichts von ihm wissen. Da war er also, sollte wieder einmal abgeschoben werden, in die wer weiß wie vielte neue Pflegefamilie. Und da war ich, und … ich wollte, dass er bei mir blieb. Natürlich lief das nicht ohne Probleme, klar, aber …“
Der Ausdruck in Wes’ Augen – eine Art nachdenklicher Intensität, soweit sie das beurteilen konnte – machte sie nervös. Dieser Mann war nicht etwa ein leichtfertiger Ire mit ADS, für den sie ihn zunächst gehalten hatte, und er war auch kein Zappelphilipp, obwohl es ihm sichtlich schwerfiel, länger still zu stehen. Nein, er war eher wie ein Blitz, bis zum Äußersten geladen mit kaum kontrollierbarer überschüssiger Energie. Und obwohl er Sinn für Humor hatte und unglaublich gewinnend lächeln konnte, hing ihm etwas Düsteres an. Er hatte Ecken und Kanten, und das machte ihn umso sympathischer.
Vorsicht, Gefahr! Gefahr!
„Sie wollten mir sagen, was oder wer Ihr Typ ist“, erinnerte sie ihn. „Und sagen Sie jetzt bitte nicht, dass Sie auf ‚süße junge Dinger‘ stehen! Obwohl, wenn es nach einigen meiner Patienten geht, bin ich auch süß und jung. Allerdings sind die schon in den Neunzigern …“
Das ließ sein Lächeln neu erstrahlen. „Mein Typ steht auf heiße Partys und tanzt dann auf den Tischen. Vorzugsweise nackt.“
Brittany prustete vor Lachen. „Sie haben recht – ich bin nicht Ihr Typ. Ich hätte es wissen sollen. Melody erwähnte irgendwann mal, Sie hätten ein Faible für die schönen Künste.“
„Sie meinte wohl eher Kampfkünste“, konterte er. Es regnete immer noch, und dank des wechselnden Windes bekamen sie hin wieder einen feinen Sprühregen ab. Er schien das gar nicht zu merken, und wenn doch, machte es ihm offenbar nichts aus. „Lieutenant Jones sagte mir, Sie seien nach L.A. gezogen, um wieder die Schulbank zu drücken. Sie wollten Krankenschwester werden.“
„Ich bin Krankenschwester“, stellte sie richtig. „Ich möchte mich selbstständig machen, einen Pflegedienst anbieten.“
„Das ist toll!“
Sie lächelte ihn an. „Ja, finde ich auch, danke.“
„Wissen Sie, wahrscheinlich möchte man uns verkuppeln“, meinte er, „weil alle wissen, wie oft ich eine Krankenschwester brauche. Ich könnte eine Menge Geld sparen, wenn ich nicht in die Notaufnahme müsste, um mich nähen zu lassen.“
„Ein Kämpfer, hm?“ Brittany schüttelte den Kopf. „Ich hätte es wissen müssen. Es sind immer die kleinen Männer …“ Sie brach mitten im Satz ab. Verdammt! Im Allgemeinen hörten Männer es gar nicht gern, wenn man sie als klein bezeichnete. „Tut mir leid, ich wollte nicht …“
„Kein Problem“, erwiderte er lässig. Wo hielt er sein berühmt-berüchtigtes aufbrausendes Skelly-Temperament versteckt? „Obwohl ich mich lieber als zu kurz geraten bezeichne. Bei klein denke ich an … gewisse andere Körperteile.“
Sie musste lachen. „Erstens: Ich dachte keine Sekunde an Ihre … gewissen anderen Körperteile. Und zweitens: Selbst wenn mir Derartiges durch den Kopf gegangen wäre, könnte das doch wohl egal sein, oder? Immerhin hatten wir schon geklärt, dass das hier nicht zum Sex führen wird.“
„Ich halte mich nur an Regel Nummer eins“, widersprach er. „Keine Übertreibungen, keine Schmeicheleien, rückhaltlose Offenheit.“
„Ach ja, richtig! Männer sind Schwachköpfe. Ist Ihnen das schon aufgefallen?“
„Klar doch“, antwortete er leichthin. Offenbar fühlte er sich in ihrer Gegenwart genauso wohl wie sie sich in seiner. Es war erstaunlich: Sie hatte das Gefühl, ihn schon seit Jahren zu kennen, und sie teilte ganz und gar seinen Sinn für Humor. „Und solange sich alle einig sind, dass Männer gut ausgestattete Schwachköpfe sind, stört uns das auch nicht.“ Er warf einen prüfenden Blick zum Spielfeld hinüber. „Sieht so aus, als würde das Spiel abgebrochen.“
Er hatte recht. Der Regen ließ nicht nach, und die Spieler räumten den Platz.
„Meinen Sie, das Spiel wird später fortgesetzt? Es macht mir nichts aus zu warten“, fügte Wes hinzu. „Wenn Andy mein Junge wäre, würde ich alles daransetzen, mir jedes Heimspiel anzusehen. Ich meine, selbst wenn er kein Spitzenspieler wäre, würde ich ihn spielen sehen wollen, verstehen Sie? Sie müssen mehr als stolz auf ihn sein.“
Wie nett er doch sein konnte! „Oh ja, das bin ich.“
„Möchten Sie drinnen warten?“, fragte er.
„Soweit ich weiß, ist für später am Nachmittag noch ein anderes Spiel angesetzt“, erklärte Brittany. „Für eine Regenpause ist keine Zeit. Sie werden das Spiel an einem anderen Tag wiederholen müssen. Jetzt ist jedenfalls Feierabend. Das Spiel ist zu Ende, und wir brauchen nicht zu warten.“
„Haben Sie Hunger? Wir könnten gleich essen gehen.“
„Gern, das wäre mir sehr recht.“ Überraschenderweise entsprach das der Wahrheit. Auf dem Weg hierher hatte Brittany sich ungefähr fünfundzwanzig verschiedene plausibel klingende Ausreden einfallen lassen, warum sie nicht gemeinsam essen gehen sollten, aber jetzt brauchte sie die nicht mehr. „Macht es Ihnen was aus, wenn wir erst in die Umkleidekabine gehen? Ich möchte Andy meine Autoschlüssel geben.“
„Ah“, machte Wes. „Ich habe also die erste Hürde genommen: Sie sind bereit, in mein Auto einzusteigen. Das freut mich.“
Sie ging voran. „Noch besser! Sie haben eine viel wichtigere Hürde genommen: Ich bin bereit, mit Ihnen essen zu gehen.“
Er hielt ihr die Tür auf. „Stand das denn infrage?“
„Ich hasse Blind Dates, solange ich denken kann“, gab Brittany zurück. „Sie müssen wissen: Dass ich mich überhaupt bereit erklärt habe, mich mit Ihnen zu treffen, liegt nur daran, dass ich meine Schwester sehr liebe.“
„Sie haben auch bei mir eine Hürde genommen“, lachte Wes. „Ich gehe nur mit Frauen essen, die auf keinen Fall Sex mit mir wollen. Oh, warten Sie … Verdammt! Das dürfte all die Jahre mein Problem gewesen sein …“
Sie kicherte, genoss das fröhliche Funkeln in seinen Augen, als er ihr die nächste Tür aufhielt, die ins Treppenhaus führte. „Süßer, ich wusste, dass ich gewonnen hatte, als du mich gebeten hast, dich zu adoptieren.“
„Und doch hast du abgelehnt“, konterte er. „Was soll mir das sagen?“
„Dass ich zu jung bin, um deine Mutter zu sein.“ Brittany ging vor ihm her die Treppe hinunter. Sie amüsierte sich köstlich. Wer hätte gedacht, dass Wes Skelly ihr so gut gefallen würde? Nach Melodys Anruf, bei dem sie ihr diese Verabredung abgerungen hatte, hatten Andy und sie ihn scherzhaft als „die Last“ bezeichnet. Er war die Last, die sie zum Geburtstag ihrer Schwester tragen musste. „Du kannst mir aber der jüngere Bruder sein, den ich schon immer haben wollte.“
„Hm, ich weiß nicht recht, ob das eine so gute Idee ist.“
Der Gang vor den Umkleiden war nicht so überfüllt wie üblicherweise nach einem Spiel, wenn die Freundinnen und Klassenkameraden der Spieler sich hier drängten. Heute standen nur ein paar durchnässte Fans herum. Brittany schaute sich suchend um, aber Andys Freundin Danielle war nicht da. Das war vermutlich auch besser so, denn Andy hatte ihr erzählt, dass Dani sich heute nicht gut fühlte. Wenn sie sich etwas eingefangen hatte, dann wäre es ihr bestimmt nicht bekommen, im Regen herumzustehen.
„Meine Erfolgsbilanz bei Schwestern hält sich in Grenzen“, fuhr Wes fort. „Ich neige dazu, sie zu verärgern, und dann laufen sie weg und heiraten meinen besten Freund.“
„Davon habe ich gehört.“ Brittany blieb vor der Tür zur Umkleide des Baseballteams stehen. Sie war nur angelehnt. „Mel hat mir erzählt, dass Bobby Taylor gerade deine Schwester geheiratet hat … Colleen, richtig?“
Wes lehnte sich an die Wand. „Hat sie auch erzählt, wie sehr wir uns vorher in die Haare gekriegt haben?“
Sie warf ihm einen Blick zu.
Er fluchte leise. „Natürlich hat sie es erzählt. Ich frage mich, warum die Geschichte nicht bis in die Nachrichten durchgedrungen ist.“
„Ich bin sicher, es war nicht ganz so schlimm, wie sie …“
„Oh doch“, unterbrach er sie. „Das war es. Ich habe mich wie ein kompletter Volltrottel benommen. Mich wundert nur, dass du dich trotzdem auf diese Verabredung eingelassen hast.“
„Was immer du auch getan haben magst, ein Kapitalverbrechen war es nicht. Meine Schwester hat dir offenkundig vergeben.“
Wes schnaubte abfällig. „Ja. Melody, natürlich. Sie ist ja auch so hart und unversöhnlich. Sie hat mir viel eher vergeben als Colleen.“
„Es muss schön sein zu wissen, dass man so gute Freunde hat.“
Er nickte. „Ja, da hast du recht. Das ist es wirklich.“
Ihre Blicke trafen sich, und wieder nahm sie es wahr: In seinen Augen lag etwas Undefinierbares, Düsteres, Trauriges. Und Brittany verstand. Mit diesem nach außen so fröhlich wirkenden Iren konnte sie eine Menge Spaß haben, und seine humorvolle Art würde ihr gefallen. Aber was ihr wirklich gefährlich werden, was ihn unwiderstehlich machen würde, wenn sie es zuließ, war seine verborgene Seite, seine Ecken und Kanten.
Er war ganz zweifellos ihr Typ. Aber Gott sei Dank war sie nicht seiner.
Eddie Sunamara, dritter Baseman im Team, steckte den Kopf zur Tür heraus. Seine Frau June gehörte zu den total durchnässten Fans. Ihre Augen begannen zu leuchten, als sie ihn sah, und er strahlte sie an. Die beiden waren nur zwei Jahre älter als Andy, ein Umstand, der Brittany jedes Mal aufs Neue erschreckte.
„Ich brauche noch zehn Minuten, Mrs S“, rief er June zu, und Brittany stöhnte unwillkürlich auf.
„Eddie, wie kann man nur so albern sein?“, fragte sie.
„Hallo, Britt.“
„Weiß du, wo Andy steckt?“, fragte sie.
Er deutete den Gang hinunter und verschwand wieder in der Umkleide.
Und tatsächlich, da war Andy. Am Ende des Ganges und mitten in einer offenbar sehr erbitterten Diskussion mit dem Starwerfer des Teams, Dustin Melero.
Andy war groß, aber Dustin überragte ihn um mehrere Zentimeter.
„Junge, ist der gewachsen“, stellte Wes fest, als er Andy entdeckte. „Ich habe ihn vor vier Jahren einmal gesehen, und da ging er mir gerade mal bis hier.“ Er hob die Hand auf Schulterhöhe.
Im selben Moment, während sie noch zu den beiden jungen Männern am Ende des Ganges hinüberschauten, ließ Andy seinen Baseballhandschuh fallen und schubste Dustin gegen die Schließfächer. Es krachte gewaltig.
Brittany setzte sich augenblicklich in Bewegung, aber Wes hielt sie sofort am Arm fest. „Nicht“, sagte er. „Lass mich das machen. Wenn du kannst, dreh dich einfach um und schau nicht hin.“
Klar doch, als ob sie das jemals tun würde …
Immerhin gelang es ihr, Wes nicht zu folgen, als er den Gang zu den beiden Kontrahenten hinuntereilte, die sich wütend anfunkelten und offenbar bereit waren, sowohl die Schulregeln als auch die Nase des jeweils anderen zu brechen.
Sie schaute zu, wie Wes sich einfach zwischen die beiden drängte. Was er sagte, konnte sie nicht hören – dafür stand sie zu weit weg –, aber sie konnte es sich vorstellen. „Was läuft, Jungs?“ Die beiden jungen Männer überragten ihn, aber trotzdem wirkte Wes größer als sie.
Andy schien innerlich zu kochen. Sein Gesichtsausdruck erinnerte an den dreizehnjährigen Straßenjungen, als den sie ihn einst kennengelernt hatte.
Er schüttelte nur immer wieder den Kopf, während Wes auf ihn einredete. Dustin lachte nur, aber dann sagte er etwas. Darauf drehte Wes sich um und widmete seine ganze Aufmerksamkeit dem größeren Jungen.
Und dann, ganz plötzlich, packte Wes Dustin am Kragen, drückte ihn gegen die Schließfächer und redete nachdrücklich auf ihn ein.
Andys Gesichtszüge entgleisten. Brittany hätte sich über seinen Gesichtsausdruck amüsiert, wenn ihr nicht gleichzeitig durch den Kopf geschossen wäre, wie übel ein ausgewachsener SEAL einen zwanzigjährigen Idioten zurichten konnte.
Dustins überhebliches Lächeln war längst kreidebleicher Angst gewichen.
Schließlich hielt Brittany es keinen Moment länger aus und ging zu den dreien hinüber.
„… wenn du sie auch nur komisch anguckst, werde ich kommen und dich finden. Hast du verstanden?“, hörte sie Wes sagen.
Dustin schaute sie an. Andy schaute sie an. Aber Wes löste seinen Blick nicht von Dustin. Es war beunruhigend, und weil sie nicht wusste, was sie tun sollte, fragte sie aufgesetzt fröhlich: „Ist alles in Ordnung?“
„Hast du verstanden?“, fragte Wes noch einmal.
„Ja“, brachte Dustin mühsam heraus. Seine Stimme überschlug sich dabei.
„Gut“, erklärte Wes und trat zurück.
Und Dustin sah zu, dass er wegkam.
„Also“, wandte Brittany sich an Andy. „Das ist Wes Skelly.“
„Ja“, gab Andy zurück, „ich glaube, über die Vorstellungsphase sind wir schon hinaus.“
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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