When Someone Lights Up Your Sky - Bobbie Kitt - E-Book

When Someone Lights Up Your Sky E-Book

Bobbie Kitt

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Beschreibung

Colin fühlt sich wie vor den Kopf gestoßen, als seine Frau Erica kurz nach der Geburt ihres Babys verschwindet. Sie hinterlässt ihm nicht nur einen Abschiedsbrief, sondern überträgt ihm auch die Verantwortung für Leia. Da Colin nicht der Vater des Babys ist, steht er in vielerlei Hinsicht vor einer gewaltigen Herausforderung. Als die chaotische Summer in sein Leben stolpert, ahnt er nicht, wie tief ihm die Frau nach einer gemeinsamen Nacht unter die Haut gehen wird. Doch genau diese Zuneigung ist es, die ihm das Wichtigste auf der Welt wieder wegnehmen kann: Leia.

*Das Buch erschien vormals unter dem Titel "Summertime" bei Romance Edition*

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WHEN SOMEONE LIGHTS UP YOUR SKY

BOBBIE KITT

INHALT

Widmung

Prolog

1. Summer

2. Colin

3. Summer

4. Colin

5. Summer

6. Colin

7. Colin

8. Summer

9. Colin

10. Summer

11. Colin

12. Summer

13. Colin

14. Summer

15. Colin

16. Colin

17. Summer

18. Colin

19. Summer

20. Colin

21. Summer

22. Colin

23. Summer

24. Colin

25. Colin

26. Summer

27. Colin

Epilog

Für Lydia. Nee, Quatsch. Ich meine Gina. Ach, wisst ihr was? Für euch beide.

When Someone Lights Up Your Sky

Bobbie Kitt

© 2022 Bobbie Kitt

Simone Olmesdahl

Oberlandenbeck 2

59889 Eslohe, Germany

1. Auflage dieser Fassung

Dieses Buch erschien 2016 unter dem Titel „Summertime – Mein Herz bei dir“ im Romance Edition Verlag

Covergestaltung: © Bobbie Kitt

Lektorat: Romance Edition und C. Reich

PROLOG

COLIN

Fünf Monate zuvor

Ich wünsche mir, ich wäre ein Jediritter des alten Ordens. Wäre ich einer, würde es mir gerade nicht dermaßen beschissen gehen. Der alte Jedi-Orden hielt sich an einen Kodex, der ihnen romantische Gefühle und Leidenschaft verbot, denn die Liebe verleitet einen schneller dazu, der dunklen Seite der Macht zu verfallen. Dem alten Orden war es untersagt, Beziehungen einzugehen oder zu heiraten. Sie sollten keine Familien gründen. Nun, zumindest im letzten Punkt habe ich mich wie einer der alten Friedenswächter aus den Star Wars-Filmen verhalten und den Kodex nicht gebrochen, wie Erica mich gerade zerbricht.

Ich sollte in tausend Teile zersplittert neben dem harten Stuhl auf dem Boden liegen, aber aus irgendeinem Grund sitze ich immer noch aufrecht und warte darauf, dass Dr. Connor zurück in das Besprechungszimmer kommt. Vielleicht, weil mich das winzige Geschöpf im weißen Strampelanzug davon abhält, Schwäche zu zeigen. Mit einem schlafenden Baby auf dem Schoß zerspringt man nicht, sondern man reißt sich verdammt noch mal zusammen.

Meine Schwester stützt die Ellenbogen auf den Schreibtisch vor uns, während sie mich nachdenklich ansieht. Ich kann ihren Blick seit geraumer Zeit auf meinem Gesicht fühlen. Darleen ist 24, drei Jahre jünger als ich, aber trotzdem die Erwachsenere von uns beiden. Ich habe sie angerufen, weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, als ich Ericas Abschiedsbrief auf dem Nachttisch neben dem leeren Krankenhausbett fand.

Abschiedsbrief. Wie lächerlich. Die aus ihrem Taschenkalender herausgerissene Seite ist bestenfalls eine Nachricht. Sechs Zeilen in kleiner Handschrift. Ich kenne Erica von Kindheit an und bin mit ihr seit unserem Collegeabschluss verheiratet. Ich habe dieser Frau Dinge verziehen, die nicht verzeihbar sind, und monatelang dafür gekämpft, das Versprechen zu halten, das ich ihr beim Standesamt in Las Vegas gegeben habe: sie bis ans Ende unserer Tage zu lieben.

Gerade bin ich nicht sicher, ob meine Liebe diesen Moment überleben kann. Zur Hölle, ich weiß nicht mal, wie ich ihn überstehen soll.

Ich schaffe das nicht, Colin. Es fühlt sich alles wie ein gigantischer Fehler an. Ich kann nicht an unserer Ehe festhalten, die schon längst verloren ist, und ich kann das Baby nicht benutzen, um zu flicken, was sich nicht mehr zusammenflicken lässt. Wir beide wissen, sie ist bei dir besser aufgehoben. Pass gut auf sie auf. Und bitte, such nicht nach mir. Ich muss mich erst mal selbst wiederfinden.

Alles Gute, Erica.

Herzloses Miststück. Sie überträgt mir die Verantwortung für ein Kind, das ihr ein fremdes Arschloch gemacht hat – während unserer Ehe. Das Baby ist bei mir besser aufgehoben? Witzig. Erica kann das nur ironisch gemeint haben. Jeder, der mich kennt, würde mir nicht mal die Betreuung für einen Labrador überlassen.

»Du bist blass«, meint Darleen und nimmt endlich ihren forschenden Blick von mir.

»Sei froh, dass ich nur blass und nicht tot umgefallen bin«, entgegne ich humorlos. »Ich fühle mich hundeelend.«

»Sie wird schon wieder auftauchen. Ich meine, sieh dir die Kleine an. Sie ist bezaubernd. Erica wird sie wahrscheinlich schon vermissen und spätestens heute Abend reumütig bei euch an die Tür klopfen.«

Ich hebe misstrauisch die Augenbrauen. Meine Schwester ist mir ähnlich. Nicht nur optisch mit ihren dunklen Augen und Haaren, die sie wie ich heute zu einem kleinen Zopf gebunden trägt. Vor allem ist sie eine heillose Optimistin und versprüht ständig gute Laune. Auch mir scheint meistens die Sonne aus dem Hintern und ich muss mich nicht einmal besonders dafür anstrengen. Außer jetzt. Den Schlag, den Erica mir verpasst hat, steckt selbst Colin, mit mir kann man es ja machen, Palmer nicht so einfach weg.

»Du kennst sie nicht.« Erica ist … unberechenbar. Sie hat tausend gute Seiten. Ich habe mich in sie verliebt, weil sie witzig und klug und hilfsbereit ist. Sie hat mir bei einem Verkehrsunfall während unserer Collegezeit das Leben gerettet. Leider hat sie aber auch ein paar ziemlich schlechte Eigenschaften. Sie ist unsicher und hat Selbstzweifel, die sich mit einer großen Portion Egoismus verbinden.

»Aber ich kenne dich, und sie müsste von allen guten Geistern verlassen sein, wenn sie nicht wüsste, was sie an dir hat«, bleibt Darleen bei ihrer Meinung.

Das könnte man als Kompliment auffassen, aber die Wahrheit ist, Darleen kennt auch mich nicht. Meine Schwester und alle anderen Menschen in Crestwood haben keine Ahnung davon, was für ein Idiot ich war. Ich war naiv genug zu glauben, Erica und ich würden wieder zusammenwachsen, wenn ich nur genug Vertrauen und Kraft in uns stecke. Darleen und der Rest meiner Familie wissen nicht, dass das Baby in meinen Armen nicht von mir stammt, wobei es sich tief in meiner Brust anders anfühlt. Als Erica schwanger wurde, hatten wir bereits seit Monaten nicht mehr miteinander geschlafen. Doch der feige Bastard, mit dem sie mich wochenlang betrogen hat, meinte, sich lieber aus dem Staub zu machen, als Erica ihm beichtete, ein Kind zu erwarten. Und ich? Ich bin geblieben. Ich habe an uns festgehalten, mir wieder und wieder gesagt, dass Menschen Fehler machen. Ich konnte meine Gefühle für Erica nicht abstellen und habe angefangen, das Baby in ihrem Bauch ebenso zu lieben. Aber jetzt ist Erica weg, alles ist kaputt, und ich stehe mit einem Neugeborenen alleine da.

Gottverdammte Scheiße, wie kann sie mir das antun?

Die angelehnte Tür wird aufgestoßen und Dr. Connor betritt mit einem Haufen Unterlagen in der Hand das Zimmer. Sie ist hochgewachsen, kurzhaarig und strahlt eine gewisse Autorität aus. Oder ich denke das nur, weil ich weiß, dass sie die Chefin der Säuglingsstation ist, und nicht die Ärztin, die für Erica und unseren Krümel verantwortlich war. Sie wollte abklären, ob irgendetwas dagegenspricht, dass die Kleine heute wie geplant entlassen wird. Dass Erica abgehauen ist, hat auch das Krankenhauspersonal in eine ungewöhnliche Situation gebracht. Man wollte wahrscheinlich auf Nummer sicher gehen, indem man Dr. Connor hinzurief. Rein rechtlich gesehen bestimme ich, was mit dem Baby passiert. Ich bin Ericas Mann und auf dem Papier der Vater des Kindes. Aber es gibt ja auch noch eine medizinische Seite.

»Gute Nachrichten, Mr Palmer. Ich habe noch mal mit der Geburtshelferin gesprochen und mit den Stationskollegen. Wir können Ihre Tochter entlassen.«

Ob das gute Nachrichten sind, wage ich zu bezweifeln. Wie soll ich das schaffen? Wie soll ich, der im Leben nicht mal einen Goldhamster besessen hat, allein mit einem Baby klarkommen? Das ist doch kompletter Wahnsinn.

Dr. Connor umrundet den Schreibtisch. Ich rutsche unter ihrem Blick nervös auf meinem Stuhl herum. Bestimmt hat sie Mitgefühl mit dem Baby, und vielleicht hat sie auch etwas Mitleid mit mir. Mir muss auf die Stirn geschrieben stehen, dass ich völlig unfähig bin.

»Sie werden das schon hinbekommen«, sagt die Ärztin, als hätte sie meine Gedanken erraten, und nimmt auf der anderen Tischseite Platz, wo sie die Papiere aus ihrer Hand legt.

Scheiße. Ich komme nicht umhin, mich zu fragen, ob es nicht besser wäre, die Reißleine zu ziehen. Es ist vermutlich meine letzte Chance, die Wahrheit zu sagen. Ich sollte ihnen erklären, dass der Vater von Ericas Baby Tommy Irgendwer aus Irgendwo ist und ich mich nicht in der Lage fühle, Daddy zu spielen. Wäre ich dazu nicht sogar verpflichtet? Im Grunde habe ich keinen Anspruch auf das Kind. Ich habe keine Rechte und keine Pflichten, nur weiß das in diesem Raum niemand.

Ich öffne den Mund und schließe ihn, ohne ein Wort zu sagen. Mir ist kotzübel, mein Puls stolpert in meinen Venen. Bestimmt bekomme ich gleich einen Herzanfall.

Komm schon, Palmer. Spuck einfach die Wahrheit aus.

Mein Blick fällt auf die schlafende Prinzessin in meinen Armen. Sie ist winzig und weich, und sie liegt an meine harte Brust geschmiegt, als würde sie mir vertrauen. Als wäre das der perfekte Ort, um zu träumen. Ihre Haut ist rosa, ihre Nase und ihre Ohren sind spitz und der dunkle Flaum auf ihrem Kopf steht wirr in alle Richtungen ab. Sie sieht Erica ähnlich. Vor 48 Stunden habe ich wie ein echter Dad ihre Nabelschnur durchtrennt, mit meiner Frau geweint, und die Kleine das erste Mal in den Arm gelegt bekommen. Das Bett, das zu Hause auf sie wartet, habe ich mit meinen eigenen Händen gezimmert und mit rosa Farbe angestrichen, als wir erfuhren, dass es ein Mädchen wird. Was würde mit dem Krümel passieren, wenn ich meinen Kopf aus der Schlinge ziehe?

Ich … will es mir gar nicht vorstellen und kann mich nicht aus der Verantwortung stehlen. Verantwortung, die ich übernahm, als ich beschloss, Erica noch eine Chance zu geben. Gott, ich hasse diese Frau. Ich hasse sie, hasse meine Situation und diesen größenwahnsinnigen Anstand und die Hilfsbereitschaft in mir, die ich nicht loswerden kann. Ich kann nicht die Wahrheit sagen, obwohl ich das müsste. Wahrscheinlich würden meine Schwiegereltern, Pastor Arthur Bates und seine Frau Therese, ihre langen Spießerfinger ausstrecken und aus dem unschuldigen Krümel eine zweite Erica formen. Ein unsicheres Wesen, das sich und dem strengen Weltbild, das man ihr eingebläut hat, nicht gerecht werden kann. Allein bei dem Gedanken, will sich mein Magen umdrehen.

»Ja, ich denke, wir kriegen das auf die Reihe«, höre ich mich sagen und will mich am liebsten aus dem Fenster stürzen. Ich muss verrückt geworden sein. Woher kommt all der Unsinn, sobald ich den Mund öffne?

Dr. Connor schenkt mir ein Lächeln, was das Mitleid auf ihrem Gesicht verwischt. Sicherlich ist sie froh, nicht noch ein Problem mehr am Hals zu haben. Der Daddy nimmt das verlassene Kind mit, damit ist sie aus dem Schneider.

»Haben Sie und Ihre Frau sich eigentlich auf einen Namen einigen können, bevor …«

»Leia«, entweicht es mir, bevor ich darüber nachdenken kann. Das Organa dahinter kann ich gerade noch hinunterschlucken. Erica hätte niemals zugelassen, dass ihre Tochter nach der Star Wars Prinzessin benannt wird. Was für ein Pech, dass sie sich nun um die Möglichkeit gebracht hat, das zu verhindern.

»Leia?« Darleen bricht in Gelächter aus, was mich veranlasst, ihr unter dem Tisch auf den Fuß zu treten. Sie weiß, warum ich diesen Namen wähle, oder glaubt zumindest, den Grund zu kennen. Schon als wir Kinder waren, hat sie mich damit aufgezogen, in Carrie Fisher verliebt gewesen zu sein, die damals in Krieg der Sterne mitspielte. Allerdings ist Carrie Fisher nur ein Teil der Begründung. Es gibt durchaus Parallelen. Wie die Filmfigur wächst auch meine Leia nicht bei ihren leiblichen Eltern auf. Sondern bei mir. Sie wird bei mir leben. Außerdem … Ich mag Prinzessin Leia. Sie ist mutig und stark, eine Anführerin und Kriegerin. Eine Heldin, wie es meine Tochter irgendwann sein soll.

Hoffentlich kommt Erica zurück, sagt eine Stimme in meinem Hinterkopf. Dabei weiß ich nicht mal, ob ich das will. Im Grunde will ich nur eins: die verdammte Zeit zurückdrehen.

1

SUMMER

»Summer, bitte.« Ethan neigt den Kopf und zieht die Schulter hoch, als ich gerade einen Kuss auf seinem Hals platzieren will. Er legt eine Hand auf meine und verhindert, dass ich mich seiner Gürtelschnalle nähere. »Können wir einfach nur kuscheln? Mein Tag war anstrengend.«

Wir haben es uns vor fünf Minuten auf der breiten Couch in seinem Wohnzimmer bequem gemacht, die Innenjalousien sind heruntergelassen und im Fernsehen laufen die Nachrichten. Es ist der erste Abend in diesem Monat, an dem wir unter der Woche mal Zeit für uns finden. Selbst die Wochenenden, die wir zusammen verbrachten haben, waren bis in die letzte Minute verplant. Der 60. Geburtstag seines Dads, ein Livemusikevent im Hotel-Beachclub meines Stiefvaters, ein Showcase-Game des Footballteams, in dem Ethan als Runningback spielt. Abends sind wir hundemüde ins Bett gefallen.

»Ja, meiner war auch stressig, aber ist Sex nicht die beste Methode, sich zu entspannen?«, frage ich und rücke noch ein bisschen näher an ihn heran.

Ich will auf Tuchfühlung gehen. Unser Liebesleben ist in letzter Zeit etwas eingeschlafen. Es ist nicht so, dass wir keine Zärtlichkeiten austauschen würden, aber wir schlafen kaum noch miteinander. Ethan und ich sind seit fünf Jahren zusammen. In der Highschool waren wir das Traumpaar schlechthin. Er, der große, blonde und bodenständige Sportler und ich, die kleine, dunkelhaarige Träumerin. Vielleicht sind wir immer noch ein Traumpaar, ich mache mir jedoch Sorgen, dass unsere Beziehung eine platonische Richtung einschlägt.

»Lass mich dich dazu bringen, abzuschalten.« Ich ziehe die Hand unter seiner weg, schiebe sein schwarzes Shirt hoch. Seine Bauchmuskeln sind angespannt. Wir sind im letzten Collegejahr, und neben Kursen, Hausarbeiten und Footballtraining hilft Ethan oft in der Baufirma seiner Familie aus. Mich beschleicht der Verdacht, dass Max Portman bereits dabei ist, seinen Juniorchef einzuarbeiten, damit er nach dem Abschluss voll ins Geschäft einsteigen kann. Manchmal frage ich mich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn wir uns nach der Highschool zusammen für die Stanford entschieden hätten, anstatt in Los Angeles zu bleiben. Der Druck, den seine Familie ausübt, bekommt Ethan nicht gut. Und er bekommt unserer Beziehung schlecht.

»Bitte, Süße. Ich bin nicht in Stimmung«, verpasst Ethan mir endgültig einen Korb, als ich erneut versuche, seine Hose zu öffnen.

Frustriert bringe ich etwas Abstand zwischen uns. Er scheint meine Enttäuschung nicht zu bemerken, denn er haucht mir einen Kuss auf die Wange und steht auf. »Was hältst du davon, wenn ich uns am Imbiss an der Ecke Hot Dogs besorge? Ich habe irgendwie schon wieder Hunger.«

Ich lasse mich gegen die Sofalehne sinken. »Ich befürchte, da unten wächst bald wieder was zusammen.«

Ethan erstarrt auf dem Weg zur Tür. Ich habe nicht besonders laut gesprochen, und eigentlich war es auch bloß ein dummer Witz. Keine Ahnung, wieso ich es überhaupt gesagt habe. Als er sich umdreht, sehe ich in seinen Augen Wut blitzen.

»Zur Hölle, Summer«, bellt er mich an wie ein wütender Hund.

»Entschuldige, aber ist doch wahr. Ich versuche dich zu verführen, und du denkst an Hot Dogs, obwohl wir uns vor nicht mal zwei Stunden noch Bagels aufgebacken haben«, entgegne ich. Seine Reaktion ist übertrieben. »Ich habe mich die ganze Woche auf diesen Abend gefreut, weil wir endlich mal Zeit für uns haben.«

»Umso unverständlicher, dass du gerade dabei bist, ihn kaputtzumachen.« Er hält meinen Blick fest, und da ist ein Schimmern in seinen blauen Augen, das ich nicht deuten kann. Er ist verärgert, nur finde ich den Grund dafür nicht. Er kann unmöglich schlecht gelaunt sein, bloß weil ich seine körperliche Nähe gesucht oder beiläufig einen blöden Spruch rausgehauen habe.

»Was ist eigentlich dein Problem, Ethan?«, frage ich geradeheraus und stehe ebenfalls auf, um nicht wie ein eingeschüchtertes Häschen auf der Couch zu sitzen. Ich hasse es, mit ihm zu streiten, und mir ist klar, dass es auf einen Streit hinauslaufen wird, wenn ich auf seine Provokation eingehe. Aber vielleicht täte uns ein kleiner Streit ganz gut, streiten befeuert schließlich die Leidenschaft. »Willst du etwa behaupten, dir ist noch nicht aufgefallen, dass wir praktisch keinen Sex mehr haben?«

»Wie bitte?«

»Wir schlafen kaum noch miteinander. Unser Liebesleben besteht aus Küssen und Nackenkraulen.«

»Und du willst sagen, das liegt an mir? «, bringt er spöttisch hervor und vermittelt mir mit seinem Tonfall das Gefühl, eine Idiotin zu sein.

»Das habe ich nicht gesagt. Es liegt an uns beiden oder den Umständen. Aber Fakt ist, dass wir seit 72 Tagen keinen Sex hatten.« Ich verschränke die Arme vor der Brust und halte seinem Blick stand.

Er sieht erschrocken aus. »Vermerkst du da etwa im Kalender? Gott, Summer, das ist erbärmlich. Ich dachte, wir wären mehr als nur Sex. Geht es dir wirklich bloß darum?«

Erbärmlich? Wow. Er wird unfair. Ethan kann sich wie ein gewaltiges Arschloch aufführen, sobald er sich angegriffen fühlt. Ich hatte beinahe vergessen, wie tief er unter die Gürtellinie schlagen kann. In letzter Zeit war er zwar öfter dünnhäutig und fühlte sich schnell auf den Schlips getreten, aber etwas so Gemeines hat er ewig nicht zu mir gesagt.

»Nein, es geht nicht nur um Sex. Aber ich komme mir schon vor, als hätte ich ein Keuschheitsgelübde abgelegt.«

Er wendet sich ab, kehrt mir den Rücken zu. »Das Streitthema ist mir zu albern.«

Das ist typisch Ethan. Es ist unmöglich, eine Sache mit ihm auszudiskutieren.

Ich folge ihm zum Barschrank neben der Wohnzimmerkommode, wo er unerwartet oben aus dem Fach eine Flasche Scotch herausholt. Dann geht er in die Hocke und nimmt ein Glas von dem Regalbrett darunter.

»Ernsthaft? Du drehst dich um und gehst dich betrinken?«, frage ich.

»Ich gehe mich nicht betrinken, ich genehmige mir einen Drink. Den brauche ich, wenn meine Freundin mir vorwirft, sie nicht mehr befriedigen zu wollen.« Ethan richtet sich auf und gießt sich von der goldenen Flüssigkeit ein – das halbe Glas voll. Er ignoriert meinen Versuch, seinen Blick aufzufangen, setzt den Drink an die Lippen und stürzt ihn hinunter.

»Was ist in den letzten Wochen mit dir passiert? Wieso bekommst du alles in den falschen Hals?«, frage ich leise, aus Angst, dass mir vor Enttäuschung die Stimme wegbricht. Sein Verhalten verletzt mich, schneidet mir tief ins Fleisch.

Er lässt sich dazu herab, seinen Blick in meine Augen zu senken. Sekunden sieht er mich ausdruckslos an und stellt dann das Glas auf dem Schrank ab. »Zieh dich aus.«

»Was?«

Er fasst an seine Gürtelschnalle, um sie zu öffnen. »Zieh dich aus. Werde deine verdammten Hosen los. Ich werde dich ficken, wenn es das ist, was du willst. Vielleicht gibst du dann endlich Ruhe.«

Mir fällt keine schlagkräftige Antwort ein. Meint er das ernst? Wann ist die Situation eskaliert, und wie konnte aus einem blöden Kommentar so ein Streit werden? »Hörst du dir eigentlich selber zu?«

Ethans Kiefer zittert vor Anspannung. Er verliert nicht oft die Beherrschung. Eigentlich ist er die Ausgeglichenheit in Person, der Gegenpol zu meinem Temperament. Aber gerade wirkt er, als ob er auf irgendetwas draufschlagen will. Ein Muskel zuckt in seiner Wange, so fest presst er die Lippen zusammen.

Kälte kriecht in mir hoch. Sein befremdliches Auftreten, seine so schnell aufkochende Wut versteinern mich. Ich habe keine Angst vor ihm. Ich habe bloß Angst vor der Begründung für sein Verhalten.

Ich trete einen Schritt zurück, eigentlich nur, weil ich die Stille zwischen uns nicht ertrage und mich das Gefühl überkommt, aus dieser Wohnung zu müssen. Ich will raus, eine Runde um den Block drehen, den Kopf freibekommen. Vielleicht können wir danach in Ruhe reden. Doch noch bevor ich auch nur einen Schritt machen kann, steht Ethan vor mir und packt mein Handgelenk. Im ersten Moment erwarte ich, dass er mir wehtun wird, was verrückt ist. Er würde mir niemals körperliche Gewalt antun. Vor ein paar Wochen hätte ich sogar geschworen, dass er meine Gefühle nicht bewusst verletzten würde.

Ich blicke auf seine verkrampften Finger. Sein Griff ist fest, noch nicht zu fest, aber härter als ich es von ihm gewohnt bin.

»Ethan?«, frage ich nach einer gefühlten Ewigkeit, in der er sich nicht weiter rührt.

»Scheiße«, entfährt es ihm, und etwas in seiner Stimme lässt mich den Kopf heben.

Ich werde überschwemmt von der plötzlichen Hilflosigkeit in seinen Zügen. Es ist, als würde eine Eisschicht wegschmelzen, und was darunter zum Vorschein kommt, sticht mir direkt ins Herz. Jeder Zentimeter seines Gesichts ist mir vertraut, jeder Ausdruck, den er je aufgesetzt hat. Aber dieser hier? Der ist neu. Die Ohnmacht und Verwirrung, Beschämung und Verzweiflung, die sich in seinen Augen widerspiegeln, verknoten mein Innerstes.

Ethan zieht mich zögerlich näher. Ich stoße den Atem aus, den ich unbewusst angehalten hatte, und schließe die Augen, weil ich es nicht ertrage, ihn dermaßen am Ende zu sehen. In mir herrscht Chaos. Meine Gedanken verkanten sich, während ich herauszufinden versuche, was überhaupt los ist. Er muss Sorgen haben. Welche? Haben sie etwas mit uns zu tun? Ich will ihn fragen, aber er ergreift das Wort, als ich den Mund öffnen will.

»Es tut mir leid«, sagt er erstickt und holt mich an seine Brust. Ich spüre sein Kinn auf meinem Kopf, seinen Atem in meinem Haar, seinen stolpernden Herzschlag. »Ich war unfair. Ich will nicht ungerecht zu dir sein.«

Sein Körper bebt an meinem. Ethan ist niemand, den es leicht aus der Spur hebt. In seiner Position auf dem Footballfeld ist er ein offensiver Spieler. Er nimmt den Ball und schlägt sich kraftvoll durch die Defensive der Gegner. Genauso ist er im wahren Leben. Furchtlos. Geradeaus. Stark. Ich erinnere mich nicht, ihn jemals wirklich verzweifelt erlebt zu haben.

Mein Herz wird bleischwer. Mir geht es schlecht, weil es ihm schlecht geht.

»Du kannst mit mir reden«, flüstere ich an seinem Hals. »Ich war unsensibel. Ich hätte merken müssen, dass dich etwas bedrückt.«

Ethan lässt meinen Arm los, nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände und schiebt die Finger in mein Haar, bis ich den Kopf in den Nacken lege und die Lider aufschlage. Sein Blick fällt auf meine Lippen, die unter seiner Aufmerksamkeit zu kribbeln anfangen.

»Ich bin in Ordnung. Mich bedrückt nichts«, flüstert er zurück und legt seinen Mund auf meinen, um jedes weitere Wort einzufangen.

Eine Sekunde lang will ich mich gegen seinen Kuss wehren. Wir sollten reden und die Probleme zwischen uns aus der Welt schaffen. Er sollte mir seine Sorgen anvertrauen. Vor einer Minute haben wir noch quasi grundlos gestritten, und ich weiß, dass er nicht in Ordnung ist, auch wenn er das Gegenteil behauptet. Aber ich bin machtlos gegen die Sehnsucht in mir, als er meine Lippen teilt und sich mit mir umdreht. Sein Mund schmeckt nach Whiskey und süßer Vertrautheit, nach Leidenschaft, die ich inhaliere, wie den ersten Atemzug nach einem Tag im stickigen Hörsaal. Ethan drückt mich neben der Tür zum Wohnungsflur gegen die Wand, während er mich sein Mund beinahe verschlingen will.

Ich liebe das Gefühl seiner Hände auf mir, wie sie meine Seiten hinunterstreichen, am Stoff meines Blusentops zerren. Gott, ich habe seine Berührungen noch viel mehr vermisst, als mir bewusst war. Ich bin ausgehungert, brauche seine Zuwendung und Nähe, die Leidenschaft, die uns unser vollgestopfter Terminkalender verweigert hat. Er schiebt mein Oberteil nach oben, wir ziehen es mir gemeinsam über den Kopf. Für einen Moment müssen wir dafür unseren Kuss unterbrechen, und ich erhasche einen Blick auf sein Gesicht, auf dem sich noch immer tausend Gefühle bewegen. Er verbindet seinen Mund wieder mit meinem, bevor er meinen Hals, die empfindliche Stelle über meinem Schlüsselbein küsst und seine Lippen an der Haut meiner Schulter reibt.

In meinem Bauch knistert Verlangen. Mein ausgehungerter Körper reagiert noch intensiver als sonst auf ihn. Ich durchwühle Ethans streichholzlanges Haar mit den Fingern, lasse dann eine Hand in seinen Nacken gleiten und schicke die andere auf eine Reise nach Süden, wo ich seine Jeans öffne und dann an den Saum seines T-Shirts fasse. »Ich will deine Haut an meiner fühlen. Das hier hat mir gefehlt«, hauche ich.

Ethan lehnt seine Stirn gegen meine und stützt sich rechts und links von mir an der Wand ab, um es mir leichter zu machen, seinen Oberkörper zu entblößen. Sein heißer Atem streichelt meine Lippen, während ich sein Shirt nach oben streife und meine bebenden Finger über seine trainierten Muskeln tanzen.

»Es geht nicht«, presst er leise hervor. »Summer, ich kann das nicht.«

Ich begreife nicht, was er meint, doch er klärt mich auf, indem er sich ruckartig abstößt, meine Hände abwehrt und einen Schritt nach hinten taumelt. Er blickt mich an, das dunkle Blau seiner Augen schlägt Wellen, als hätten sich Tränen darin gesammelt.

»Fuck, es geht nicht mehr. Ich kann das nicht länger machen«, setzt er lauter nach.

Ich weiß nicht, ob sich der Groll in seiner Stimme gegen mich richtet oder bloß ihm selbst gilt. Ich sehe nur die Qualen, die seine Lippen verhärten, wie er seine Hände zu Fäusten ballt, bis die Adern und Sehnen unter der Haut an seinen starken Armen hervortreten.

»Was kannst du nicht machen?«, frage ich, obwohl ich die Antwort zu kennen glaube. Ich fühle sie tief in mir drin, und sie zerfetzt mich bei dem Versuch, an meine Oberfläche zu brechen.

Er wird unsere Beziehung beenden. Seit fünf Jahren ist er mein Partner, meine bessere Hälfte. Der Junge, den ich kennenlernte, als ich vier Jahre alt war und meine Mom und ich nach Los Angeles zogen, weil mein leiblicher Dad uns nicht mehr bei sich haben wollte. Er wird mich verlassen. Er. Meine erste Liebe und mein bester Freund. Und ich habe es nicht kommen sehen. Der Schlag kommt aus dem Nichts.

Gott, mach, dass das nicht passiert.

Ethan senkt den Blick und wendet sich von mir ab, läuft ein paar Schritte durchs Zimmer. »Es tut mir leid. Ich habe es versucht. Aber ich kann mich nicht weiter verstellen.«

Seine Worte ergeben keinen Sinn für mich. Sie sind bloß durchtränkt mit einem Schmerz, den ich ebenfalls spüre. Ich drücke meine Knie durch, die sich schwach anfühlen, und hebe mein Top vom Boden auf, um es mir überzuziehen. Ein riesiger Klumpen in meinem Hals verhindert, dass ich richtig Luft holen kann.

Ethan ist am Fenster stehengeblieben und blickt zwischen den Lamellen der Jalousie hindurch auf die Straße. Die Abendsonne fällt durch die Schlitze. Ich muss mich zwingen, einen Fuß vor den anderen zu setzen, bis ich hinter ihm stehe und ihn an einer Schulter berühre.

Er schüttelt den Kopf und gibt mir zu verstehen, dass er sich nicht zu mir umdrehen will.

Wenn es eine Sache gab, auf die ich mich immer verlassen konnte, dann ist es Ethan gewesen. Nach der Trennung meiner leiblichen Eltern musste meine Mom zwei Jobs annehmen, damit es uns finanziell gut ging und wir uns die Miete für das neue Haus leisten konnten. Ethan und seine wohl situierte Familie wohnten schräg gegenüber. Eine Million Mal sind sie eingesprungen, mich aus dem Kindergarten abzuholen. Im Sommer haben sie mich mit in die Ferien genommen, selbst dann noch, als meine Mom zwei Jahre später meinen Stiefvater kennenlernte und wir zu ihm nach Santa Monica zogen. Ethan und ich sind zusammen aufgewachsen. Wir haben gemeinsam Fahrradfahren gelernt, dieselben Schulen besucht und die gleichen Freunde gefunden. Dass aus uns einmal mehr werden würde, war eine logische Konsequenz. Er war mein Fels in der Brandung, und ich war seiner. Aber … der Fels bröckelt. Er ist hart und rau und widerspenstig, trotzdem hat er Risse bekommen. Er ist dabei, auseinanderzufallen. Jetzt. Er zerbricht, als hätte ihn ein Frachter gerammt.

Meine Augen brennen, ich bin nur einen Atemzug davon entfernt zu weinen. All die Bilder in meinem Kopf, gemeinsame Erinnerungen, hängen wie Gewichte an mir. Warum sieht er mich nicht einmal an? Bin ich es ihm nach all der Zeit nicht wert, dass er mir in die Augen blickt und ehrlich ist? Ich verdiene eine Erklärung.

»Dreh dich bitte um«, sage ich so fest wie möglich.

»Summer, das mit uns beiden geht nicht mehr. Ich muss mich von dir trennen«, spricht er die vernichtenden Worte aus, und sie treffen mich, als hätte ich sie nicht bereits erahnt.

Ein scharfer Schmerz durchschneidet mich. Es fühlt sich nicht an, als hätte er unsere Beziehung mit zwei Sätzen beendet, sondern als würde er mit einem riesigen Messer den Teil von mir abtrennen, der mit ihm verbunden ist. Eben haben wir uns noch geküsst, und eine Minute später macht er Schluss? Ich bin verwirrt, ich begreife das alles nicht.

Ich nehme die Hand von seiner Schulter und zucke mit Verspätung zusammen, als auch in der letzten Zelle von mir ankommt, was er gerade gesagt hat.

Ich. Muss. Mich. Von. Dir. Trennen.

Ach ja, muss er das?

»Vor allen Dingen musst du mir eine Erklärung geben. Ich will den Grund dafür wissen.« Irgendwie bringe ich es fertig, meine Stimme zu benutzen, obwohl mein Hals kratzt und meine Kehle eng ist. »Du willst dich trennen? Warum? Es kommt mir vor, als hätte jemand einen Schalter in dir umgelegt. Alles war in Ordnung, und von der einen auf die andere Sekunde geht alles in die Brüche? Ich bin durcheinander, Ethan. Vor ein paar Tagen hast du noch von einem gemeinsamen spontanen Sommertrip gesprochen.«

Ich kann die Muskeln an seinem Rücken arbeiten sehen, als er sich von der Fensterbank abstößt und zu mir umdreht.

Er weint. Ethan weint nie. Schon als Kind hat er keine Tränen vergossen, egal, was ihm widerfahren war, aber jetzt laufen sie ihm über die Wangen. Ich hingegen … kann nicht. Tausend hässliche Gefühle ballen sich in mir zusammen, aber ich bin unfähig, sie hinauszulassen. Unter meiner Haut pocht mein Puls. Mein Atem zittert und mein Magen krampft sich zusammen.

»Ich will dir nicht wehtun. Es ist nicht meine Absicht … Mir wäre auch lieber, es wäre anders gekommen.« Jegliche Schärfe ist aus seiner Stimme verschwunden.

»Ist da eine andere Frau?« Ich gehe in Gedanken die Mädchen durch, mit denen er sich hin und wieder abgibt. Lauren, mit der er diesen E-Business-Kurs hat und die manchmal mit einem Becher Kaffee vor dem Kursraum auf ihn wartet. Nicky, die mit seinem – unserem – Freund Terri ausgeht. Meine Freundin Tess.

»Nein, keine Frau«, antwortet er leise.

Wir blicken uns an. In seinen Augen liegt Müdigkeit. Als wäre er müde, mit mir zusammen zu sein.

»Gefühle verschwinden doch nicht einfach.« Ich schüttle den Kopf.

Ethan atmet tief durch. So, als würde er sich bereit machen, mir die Begründung zu liefern, und als wäre sie schlimm. Richtig schlimm. Von der übelsten Sorte, die man sich vorstellen kann. »Da ist jemand.«

»Gerade hast du es noch abgestritten.«

»Ich habe abgestritten, dass es eine andere Frau gibt, und das war die Wahrheit. Es gibt keine andere Frau. Summer, ich war die letzten Wochen öfter mit Terri zusammen, okay? Ich … Ich war mit ihm zusammen.« Seine angespannten Schultern sinken nach vorn und er reibt sich mit beiden Händen über das Gesicht.

Er war mit Terri zusammen? Was ist denn das für eine beschissene Erklärung? Terri und er spielen zusammen für die Bruins, für das Footballteam unseres Colleges. Sie verbringen ständig Zeit miteinander. Eigentlich fand ich Terri bisher immer ganz in Ordnung, zumindest, wenn ich über die Tatsache hinwegsah, dass er sich gern selbst reden hört und öfter mal in den Mittelpunkt drängt. Aber hin und wieder hat er kleine Andeutungen fallen lassen, wie idiotisch es seiner Meinung nach wäre, sich so früh aneinanderzubinden wie Ethan und ich. »Hat er dir eingeredet, dass du Schluss machen sollst?«

»Herrgott, Summer. Stell dich nicht dümmer als du bist. Ich war mit Terri zusammen.« Die Art und Weise, wie er das letzte Wort betont, rüttelt mich wach.

Er war mit Terri zusammen. Das ist unmöglich. Ethan steht nicht auf Männer. Terri steht nicht auf Männer. Verdammt, Terri wechselt alle drei Wochen seine Freundinnen. Er ist ein Frauenheld.

»O mein Gott«, flüstere ich. »Du veralberst mich, oder?«

Er sagt nichts. Zumindest nicht mit Worten. Seine Augen hingegen sprechen Bände. Da ist so viel Bedauern in seinem Blick, dass sich alles in mir zusammenzieht.

Er meint das ernst.

Und von jetzt auf gleich habe ich nicht die leiseste Ahnung, wie ich reagieren oder mich fühlen soll. Er hat mich betrogen. Mit einem Mann. Er verlässt mich. Während ein Teil von mir stinkwütend ist und ihm am liebsten eine pfeffern würde, ist ein anderer bloß verwirrt. Und traurig. Das schlechte Gewissen in Ethans Blick bohrt sich obendrein wie ein Pfeil durch meine Brust.

»Wie kann das sein, Ethan?«, frage ich und meine damit: Wie, verdammte Scheiße, kann es sein, dass ich nichts gemerkt habe? Seit wann läuft das? Wer weiß davon? War jedes Ich liebe dich in den letzten Jahren gelogen? Hunderte Fragen drängen sich auf, aber sie finden nicht den Weg hinaus. Es kann nicht alles eine Lüge gewesen sein, oder? Wir können keine Lüge sein.

»Es tut mir so unglaublich leid, Summer«, sagt er und ich höre, dass er es wirklich so meint. »Es ist einfach passiert. Ich habe versucht, es zu verstehen und dann, es zu vergessen. Aber die Wahrheit ist, dass ich schon lange etwas für ihn empfinde. Ich wollte es nur nicht wahrhaben.« Aus Ethans Mund sprudeln Worte, die sich hinter meiner Stirn in ein Rauschen verwandeln. Seine Lippen bewegen sich, aber bei mir kommt nichts an. Er redet und redet, ich weiß nicht worüber, aber offensichtlich kann er nicht mehr aufhören, seine Erklärung auszudehnen.

Ich ertrage es nicht. Ich halte den Moment nicht aus. Er ist … demütigend. Als hätte er mich vor einem Haufen lachender Leute auf die Knie gestoßen und ins Gesicht gespuckt. Es ist so furchtbar demütigend, dass mir die zurückgehaltenen Tränen in die Augen schießen. Und es tut weh.

»Halt den Mund!«, brülle ich.

Ethan erstarrt. Für einen Moment scheint ihn meine Reaktion zu lähmen, aber dann streckt er eine Hand nach mir aus, die ich beiseite schlage, weil ich nicht von ihm berührt werden will.

Er hat mich betrogen. Er war mit einem Kerl im Bett, den ich bislang auch zu meinem Freundeskreis zählte. Er war mit Terri zusammen, hat mir aber vorgespielt, er würde mich lieben.

»Scheißkerl.« Ich nehme mein blutendes Selbstwertgefühl, sammle die Enttäuschung, Wut und Fassungslosigkeit ein und wende mich von ihm ab, um aus dem Wohnzimmer zu stürzen. Ich muss Abstand zwischen uns bringen, weil ich ihm sonst bestimmt das Gesicht zerkratze – was ich bereuen würde. Ich bin kein gemeiner Mensch, ich will nichts sagen, für das ich mich später hassen würde. Im Vorbeilaufen hebe ich die Schuhe auf, die ich vorhin im Flur ausgezogen habe. Es sind die roséfarbenen Nikes, die mir Ethan zu Weihnachten geschenkt hat, und ich wünsche mir, ich hätte mich heute Morgen für ein anderes Paar entschieden. Meine Mom sagt immer, wenn dir jemand Schuhe schenkt, ist das ein Symbol dafür, dass er gehen will.

Ohne eine Sekunde innezuhalten, öffne ich die Wohnungstür und bin einen Atemzug später schon barfuß die halbe Treppe nach unten gelaufen.

»Er bringt mich um, wenn das die Runde macht«, ruft Ethan mir nach und meint damit bestimmt Terri. Oder seinen Vater. Er ist mir ins Treppenhaus gefolgt und oben am Geländer stehengeblieben.

Ich stoppe und starre ihn an. Er fürchtet sich davor, dass ich sein Geheimnis verrate? Ich kann nicht glauben, dass er in diesem Moment an sich denkt oder mir zutraut, ihn bloßzustellen. Ich würde niemals etwas so Schreckliches tun.

Einen Moment blicken wir uns in die Augen. In seinen leuchten Kummer und Angst. Ich liebe ihn schon so lange, bin noch länger mit ihm befreundet, dass es mir schwerfällt, nicht wieder nach oben zu gehen. Ihn in den Arm zu nehmen und für ihn da zu sein. Wahrscheinlich braucht er jemanden, der für ihn da ist. Nur kann ich dieser jemand nicht sein.

Also reiße ich mich von seinem Anblick los und laufe weiter. Bin innerhalb weniger Sekunden draußen vor der Tür, wo ich in meine Schuhe springe. Mir ist schlecht, als wolle sich mein Magen umdrehen, meine Nase läuft und mein Blick verschwimmt. Erst zwei Blocks weiter fällt mir auf, dass meine Tasche noch bei Ethan liegt. Meine Geldbörse, meine Schlüssel, mein I-Phone, mein halbes Leben ist dort drin, und bis zu meiner Wohnung in Mid-City sind es über sechs Meilen. Ethan hatte mich abgeholt, ich bin nicht mit dem Wagen hier.

»Scheiß drauf«, sage ich mir. Umzudrehen ist heute keine Option. Ich muss das Chaos in mir lichten und den Schmerz betäuben. Ich will allein sein und zusammenbrechen, und ich fange jetzt damit an. Zwei Schritte mache ich noch, dann sinke ich auf die Stufe eines fremden Hauseingangs. Versuche das erstickende Gefühl wegzuatmen. Es fühlt sich an, als würde sich mein Herz an einem losen Faden aufribbeln. Als würde ich mich aufribbeln. Etwas in mir ist kaputtgegangen, und im Augenblick kommt es mir vor, als ließe es sich nie mehr reparieren.

2

COLIN

»Was zum Teufel ist in den Kisten? Steine?« River stellt den letzten Umzugskarton in meinem neuen Apartment ab. Er hat mir geholfen, den gemieteten Transporter leerzumachen und das ganze Zeug nach oben zu schleppen. »Ich komme mir wie nach einem 16-Stunden-Drehtag vor.«

»Ich habe einen Felsbrocken aus dem Whitecliff Park zerlegt und dir mitgebracht. Ich dachte, du sehnst dich vielleicht nach einem Stück Heimat«, scherze ich. Ich strecke den Rücken und sämtliche Muskeln durch und kann jede einzelne meiner Sehnen spüren. Ich habe zwar keine Ahnung, wie man sich nach einem 16-Stunden-Drehtag vorkommt – ich bin schließlich kein Schauspieler –, aber ich fühle mich total erledigt. Wir haben 48 Kisten und diverse Möbel, die ich in Crestwood allein in das Fahrzeug geladen hatte, in nur drei Stunden ausgeräumt und in die dritte Etage getragen. Die Vorstellung, gleich noch Leias Kinderzimmer aufzubauen, damit sie heute Nacht in ihrem Bett schlafen kann, ist alles andere als motivierend.

»Ja, und wie ich mich danach sehne«, behauptet er sarkastisch. »Mir wäre es trotzdem lieber gewesen, du hättest ein leichteres Stück Hölle mitgebracht.«

Ich weiß, dass er St. Louis nicht vermisst. Kein normaler Mensch würde das tun, wenn er das trostlose Städtchen gegen Los Angeles eingetauscht hätte. Im direkten Vergleich wirkt Crestwood wie ein Stück totes Land. Ich befürchte, mir wird das tote Land fehlen. Aber ich bin auch kein normaler Mensch.

»Du hast kein Recht, zu jammern. Ich musste den ganzen Kram vorher zusammenpacken und dann mit einem fünf Monate alten Baby 1800 Meilen zurücklegen.« Eigentlich hatte ich nur zwei Zwischenstopps eingeplant und wollte bereits gestern in Los Angeles ankommen – unserem neuen Zuhause. Leia war allerdings anderer Meinung, sie wollte im Transporter nicht schlafen, und ich musste für eine dritte Nacht an einem Motel am Highway anhalten.

»Ich bekomme fast Mitleid. Aber hey, der Aufwand hat sich gelohnt. Es war die richtige Entscheidung, sich aus Pestwood zu verdrücken. Mich würden keine zehn Pferde zurück in diese Stadt kriegen.« River steigt über ein paar Umzugskartons hinweg, um in die angrenzende Miniküche zu gelangen. Alles in dieser Wohnung ist winzig, zweieinhalb Zimmer auf 60 Quadratmetern. Keine perfekten Voraussetzungen, aber die Mietpreise hier sind der blanke Horror.

Ich lasse mich auf eine stabil wirkende Kiste sinken und schiebe das Schweißband in meinen Haaren weiter nach hinten.

Pestwood. Diesen Ausdruck hat er von mir. Ich hoffe, dass ich das irgendwann so wie River sehen kann. Dass es die richtige Entscheidung war, nach L.A. zu ziehen. Ich meine, in Crestwood passiert eine Menge Scheiße, aber die Stadt ist mein Zuhause. Ich bin dort geboren und aufgewachsen, meine Schwester und meine Eltern leben in St. Louis, ich hatte einen gutbezahlten Job im Vertrieb der Regionalzeitung. Die Wahrheit ist, es war eine Kurzschlussreaktion, Rivers Angebot anzunehmen, als er sagte, er könnte sich hier nach einem Apartment und einem Job für mich umsehen. Ich wohnte mit Ericas Baby in Ericas Haus und … ich konnte das nicht länger tun. Ich brauchte einen Break, einen Neuanfang. Ob es nicht völlig verrückt war, sich komplett zu entwurzeln und fast 2000 Meilen ans andere Ende des Landes zu ziehen, wird sich wahrscheinlich erst zeigen.

»Von Erica hast du wohl nichts gehört?« River hat zwei Wasserflaschen aus dem noch fast leeren Kühlschrank geholt. Er lehnt sich gegen den Türrahmen und wirft mir eine davon zu.

Ich drehe den Verschluss auf und erwarte, dass es mich trifft, ihren Namen zu hören. Anfangs hat es das. Aber inzwischen fühle ich nichts, wenn ich an meine Ex denke. Ich bin mit ihr durch, wie man mit einem Menschen nur durch sein kann. Sie hat mir tausend Mal in den Arsch getreten, und der letzte Tritt war einfach zu fest. Ich bin ohne sie besser dran, schätze ich.

»Nein«, antworte ich. »Bis auf diesen einen Anruf bei ihren Eltern vor ein paar Monaten hat sie sich nirgendwo gemeldet.«

Pastor Bates und seine Frau hatten nach ihrem Abtauchen eine Vermisstenanzeige geschaltet und mich gebeten, den Abschiedsbrief nicht zu erwähnen, damit die Behörden auch Handlungsbedarf sahen. Ich wollte auch wissen, wo sie steckt und ob es ihr gut geht, und habe die herausgerissene Seite ihres Taschenkalenders in den Müll geworfen. Die Cops konnten Erica finden, sie hielt sich zu dem Zeitpunkt in Pittsburgh, Pennsylvania, auf, doch als sie ihnen sagte, dass sie keinen Kontakt zu ihrer Familie will, waren ihnen die Hände gebunden. Erica rief eine Woche später bei ihren Eltern an und bat darum, dass wir sie in Ruhe lassen.

»Ich finde es noch immer ungeheuerlich, dass sie ihr Kind bei …«, setzt River an, aber ich falle ihm ins Wort, bevor er seinen Gedanken zu Ende formuliert.

»Lass es gut sein. Das ist nicht mehr wichtig.« Ich will nicht dauernd daran erinnert werden, dass Leia nicht mein Fleisch und Blut ist. Darauf kommt es nicht an. Gene sind völlig unbedeutend, wenn man einem Baby seit fünf Monaten die Milchflasche gibt. Wir haben uns zusammengerauft, der Krümel und ich. Wir sind jetzt ein Team, eine Familie, und wir brauchen Erica nicht, um uns verbunden zu fühlen.

»Ja, vermutlich hast du recht.« River nimmt einen Schluck von seinem Wasser. Er hat sich verändert, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Nicht äußerlich, er ist immer noch der kräftige, blonde Hüne, aber er wirkt jetzt erwachsener und weniger wütend. Früher hätte er wahrscheinlich trotz meines Einwands weiterdiskutiert und dabei kein gutes Haar an Erica gelassen. Rivs und ich kennen uns seit wir Kinder waren, sind zusammen in Crestwood zur Schule gegangen, und er und seine Freundin Cadence sind die einzigen beiden Menschen, die wissen, dass Leia eigentlich gar nicht von mir ist.

»Du hast noch eine Woche, bis du im Oceana anfängst?«, wechselt er das Thema.

Ich trinke ebenfalls von meinem Wasser, weil sich ein bitterer Geschmack in meinen Mund schleichen will. Ich habe vier Jahre an der Western State studiert und einen Abschluss in Marketing und Kommunikation gemacht, nur um jetzt als Hilfskraft in einem Hotel anzufangen. Ich weiß, ich sollte mich nicht beschweren, es ist nur vorrübergehend und River hat sich ein Bein ausgerissen, um mir den Job zu besorgen, aber irgendwie ärgert es mich trotzdem. »Ja, wir haben uns auf März geeinigt. Ich brauche die Woche, um Leia an den Kindergarten zu gewöhnen und aus diesem kahlen Apartment ein Zuhause zu machen.«

»Eine Woche? Nein. Wir werden diese Wohnung heute zu deinem Zuhause machen. Ab Dienstag bin ich jeden Tag am Set, und bevor ich mich in diesen Stress stürze, werden wir beide einen draufmachen gehen. Dafür bleibt nur der Samstag, und das ist schon morgen. Bis dahin muss hier alles stehen.« River dreht sich zur Seite und wirft die leere Plastikflasche in die Spüle.

»Darleen und Preston kommen morgen Mittag hier an.« Meine Schwester und ihre bessere Hälfte haben sich bereit erklärt, meinen Wagen von St. Louis nach L.A. zu fahren und am Sonntagabend den Sprinter mit zurückzunehmen. Ich glaube kaum, dass sie nach der mörderischen Fahrt Lust haben, sich in Schale zu werfen und auszugehen, von mir mal ganz zu Schweigen. Außerdem ist da noch Leia.

»Ja, dann können wir ihnen direkt ein bisschen was von L.A. zeigen. Ein paar Bier, eine Runde Darts …«

»Du vergisst Leia«, erinnere ich ihn, dass ich meinen Krümel schlecht in eine Bar mitschleifen kann.

River stößt sich vom Türrahmen ab und blickt sich in dem mit Kisten vollgestapelten Zimmer um. Er schiebt einen Karton zur Seite, öffnet ihn, um nach – keine Ahnung wonach – zu suchen. »Leia? Ich sehe keine Leia. Ach ja, sie ist ja da, wo sie auch morgen Abend sein wird. Ich habe sie nicht vergessen.«

»Cadence will schon wieder den Babysitter spielen?« Sie hat Leia heute Morgen in Empfang und mit zu sich nach Hause genommen, damit River und ich mein Zeug ausladen können.

»Wir werden es wahrscheinlich schwer haben, ihr deinen Krümel überhaupt noch mal abzunehmen. Ich habe heute Morgen die Herzchen in ihren Augen gesehen. Außerdem sind wir beide der Meinung, dass du mal raus und unter Leute musst.«

»Schwer haben, ihr meinen Krümel überhaupt abzunehmen?«, wiederhole ich ihn. »Vielleicht solltest du ihr ein eigenes Baby machen, dann käme sie nicht auf die Idee, einfach meins zu behalten.«

»Ich sag es nicht gern, Colin, aber du hast es auch nicht anders gemacht. Du hast Leia auch einfach behalten, obwohl sie nicht deine ist.« Seine Mundwinkel zucken, als wäre der Witz komisch.

Ich schraube meine halbvolle Wasserflasche zu und versuche ihn damit anzuwerfen, allerdings fängt er sie, bevor sie ihn treffen kann.

»Das war geschmacklos, Rivs.«

»Ja, aber ich darf geschmacklos sein, schließlich bin ich der Typ, der hier gerade umsonst für dich arbeitet.«

»Was ihr Schauspieler alles arbeiten nennt. Im Moment sehe ich dich bloß herumstehen«, ärgere ich ihn zurück.

Er stellt die Flasche auf einem Karton ab und kommt zu mir, um mir seine Rechte hinzuhalten. Ich soll mich wohl an ihm hochziehen. »Du hast recht, also los. Beweg deinen faulen Arsch, Palmer. Heute Abend soll es so aussehen, als würdet ihr schon drei Wochen hier wohnen.«

Ich seufze und gebe mich geschlagen. Es ist völlig utopisch, zu glauben, wir könnten es schaffen, an einem Tag alle Möbel aufzubauen, aber er gibt ja doch keine Ruhe.

»Schön, machen wir das Unmögliche möglich«, antworte ich, schlage meine linke Hand in seine und lege bewusst mein ganzes Gewicht in die Bewegung, mit der ich mich auf die Füße ziehe.

»Sie ist unkompliziert, genau wie ihr Daddy.« Cadence drückt mir Leia in die Arme und klemmt sich eine Strähne ihres blonden Bobs hinter das Ohr, bevor sie sich an mir vorbei in die Wohnung schiebt. »Ich habe ihre Tasche noch im Wagen.«

»Kein Problem«, antworte ich. »Hey, Krümel. War Caddy nett zu dir?«

Leia hat den Blick ihrer riesigen blauen Augen auf mein Gesicht geheftet, und ihr kleiner Mund verzieht sich zu einem Lächeln. Sie weint selten, beinahe nie, es sei denn, sie hat Langeweile. Ich lasse sie in meine Armbeuge rutschen, obwohl sie ihren Kopf schon allein halten kann, und schließe mit einem Fuß die Tür, weil ich ihr einen Finger zum Greifen anbiete.

Es ist spät geworden, die Sonne ist untergegangen und mein Winzling sollte eigentlich längst im Bett liegen. Aber heute herrscht Ausnahmezustand. River und ich haben es auf die Reihe bekommen, das komplette Apartment einzurichten. Keine Ahnung, wie wir das geschafft haben. Vielleicht mit geheimen Superkräften. Ich muss morgen noch ein paar Schränke einräumen und den Raumteiler in dem großen Zimmer aufbauen, damit sich mein Schlafbereich von der Essecke abgrenzt, aber ansonsten ist alles fertig.

»O mein Gott, wie habt ihr das denn angestellt?« Caddy ist vor dem Glasesstisch stehen geblieben, an dem vier Leute auf Stühlen mit weißen Lederbezügen Platz finden können. Sie haucht River einen flüchtigen Kuss auf den Mundwinkel und sieht sich erstaunt in meinem Apartment um. »Ihr habt gehext, oder?«

»Nein, nicht gehext, wir haben uns bloß aufgeteilt. Ich habe die Vitrine, den Buffetschrank und die Kommode aufgebaut und dann mein Bett zusammengeschraubt. Dein Liebster hat sich an Leias Kinderzimmer und meinem Kleiderschrank zu schaffen gemacht. Die Küche habe ich ja vom Vormieter übernommen, da war nichts mehr zu tun.« Das klingt nicht im Ansatz nach der Menge Arbeit, die es gewesen ist. Mir klebt mein Shirt am Körper und ich freue mich auf den Moment, meine neue Dusche einzuweihen.

»Wir haben uns nur so beeilt, damit Colin morgen freimachen kann und nach der Schufterei nicht zu müde ist, um mit mir ein Bier trinken zu gehen«, wirft River ein.

»Was das betrifft, habe ich noch nicht zugestimmt.« Ich setzte mich mit Leia im Arm auf einen Stuhl. Mein Krümel spielt mit meinem Finger und dreht den Kopf zur Seite, als wolle sie wie Caddy vorhin das Apartment in Augenschein nehmen. Sie interessiert sich schon mächtig für das, was in ihrer Umgebung los ist.

Cadence wirft mir einen Blick zu. »Was? Warum? Ich habe mich schon darauf gefreut, mich wieder um die Prinzessin kümmern zu dürfen.«

»Du wirst das noch oft genug tun müssen. Ich will deine Hilfsbereitschaft nicht noch mehr ausnutzen«, entgegne ich. Ab übernächster Woche muss ich damit rechnen, dass ich auch außerhalb der geregelten Arbeitszeiten hin und wieder ins Hotel gerufen werde. Caddy hat angeboten, in so einem Fall auf Leia aufzupassen und sie auch aus dem Kindergarten abzuholen. Mein neuer Job ist alles andere als familienfreundlich, und ich hätte ohne ihre Hilfe einen fremden Babysitter engagieren müssen.

»Ausnutzen? Glaubst du, es war vollkommen uneigennützig, dich nach Los Angeles zu holen? Leia und ich sind alte Freunde, das hast du wohl vergessen. Also keine Ausreden, Colin, nur weil du dich so schlecht von ihr trennen kannst.« Caddy verbeißt sich ein Lächeln, als hätte sie den wahren Grund für mein Zögern erkannt.

Sie liegt nicht komplett daneben, aber das allein ist es auch nicht. Natürlich bin ich gern mit Leia zusammen, allerdings habe ich fünf Monate lang nichts anderes getan, als zur Arbeit zu fahren und mich um ein Baby zu kümmern. Es wäre bestimmt gesund, mal etwas anderes als Milchflaschen und volle Windeln zu sehen, und ich weiß, dass sie bei Cadence in guten Händen ist. Leia und ich haben sie nach L.A. begleitet, als sie beschloss, um River zu kämpfen, ihm hierher folgte und nach einer schlimmen Geschichte zurückgewann. Schon da hatten die zwei einen Narren aneinander gefressen. Aber … es fühlt sich trotzdem falsch an. Es wäre falsch, so zu tun, als würde mein Leben noch dasselbe wie früher sein, wo ich mit River losziehen und ein paar Bier trinken konnte. Leia ist ein Fulltime-Job, ich kann es mir nicht erlauben, mich am Sonntag übermüdet oder verkatert zu fühlen. So laufen die Dinge nicht mehr, und ich kann auch gut darauf verzichten.

»Komm schon, das kannst du mir nicht antun. Ich werde die nächsten Wochen am Filmset versauern«, mischt sich River noch mal ein.

»Versauern? Ich dachte, Schauspielern wäre dein Traumjob?« Er hatte sich nach der Highschool mit seiner Familie zerstritten und alles in Crestwood aufgegeben, um hier in L.A. zu studieren. Er wollte es unbedingt auf die Bildschirme und Leinwände schaffen und darf nun endlich seine erste Hauptrolle spielen. Versauern erscheint mir das falsche Wort, und ich vermute, er benutzt es nur, um mich weichzuklopfen.

»Wenn die Dreharbeiten abgeschlossen sind und die Serie ausgestrahlt wird, werde ich mich wahrscheinlich nicht mehr unerkannt unter Leuten bewegen können. Für mich ist das vielleicht die letzte Gelegenheit, mit dir in einer Bar abzuhängen«, antwortet er ausweichend.

Gott, ich hasse es, wenn er das tut. Er weiß, wie er mich überzeugen kann. Ich schlage keinem Menschen, der mir wichtig ist, einen Gefallen ab, und wenn er es jetzt so dreht, als bräuchte er diesen Abend, habe ich praktisch schon verloren. Vermutlich hat er auch recht. Er wird bald wie ein echter Star auf der Straße erkannt werden.

»Schön, wenn Darleen und Preston mitspielen, gehen wir ein oder zwei Bier trinken«, sage ich und will ihn für sein Gewinnergrinsen am liebsten schlagen.

»Perfekt. Außerdem wird es Zeit, dass du vielleicht noch mal die Chance bekommst, ein Mädchen kennenzulernen.«

Ich strafe River für diese Bemerkung mit meinem tödlichsten Blick. Nach Erica steht mir nicht der Sinn nach irgendwelchen Frauengeschichten. »Ja, weil sich die Mädchen sicher um einen verheirateten Kerl reißen, bei dem die komplette Freizeit dafür draufgeht, sich um das Baby zu kümmern, mit dem er sitzengelassen wurde«, entgegne ich ironisch.

»Das steht dir ja, Gott sei Dank, nicht auf die Stirn geschrieben«, behauptet River, obwohl ich mir da nicht so sicher bin.

»Und wenn schon, glaubst du, das lässt sich auf Dauer verheimlichen? Danke, aber ich bin erst mal bedient. Ich hatte genug Ärger in den letzten Wochen«, sage ich.

»Ärger vielleicht, aber was ist mit Sex? Ich meine, wie lang ist es her, dass du deinen Zauberstab …«

»Hey.« Ich befreie meinen Finger aus Leias Griff und drücke ihr beide Hände auf die Ohren. Sie gibt ein quietschendes Geräusch von sich, als würde sie das neue Spiel besonders witzig finden. »Kannst du dich bitte mal zusammenreißen? Bei meinem Glück ist das erste Wort, das mein Krümel irgendwann von sich gibt, ein obszönes, weil sie zu viel Zeit mit dir verbringt.«

Caddy bricht in Gelächter aus. »Sie versteht doch noch gar nicht, worüber wir sprechen.«

»Sie muss es nicht verstehen, um es irgendwann nachzuplappern. Abgesehen davon ist es allein meine Sache, wann ich das letzte Mal meinen …« Ich lasse den Rest des Satzes in einem Zungenschnalzen untergehen und versuche, nicht darüber nachzudenken, wie lang es her ist, dass ich mit einer Frau geschlafen habe. Traurig lang. Ich bin Erica immer treu gewesen, und zwischen uns war bereits lange bevor sie abgehauen ist nichts mehr gelaufen.

»Ja, das ist allein deine Sache. Ich sage ja nur, dass du nicht gleich deine komplette Lebensgeschichte vor einer Frau ausbreiten oder dich in eine neue Beziehung stürzen musst. Wir sind in L.A., nicht in Crestwood, wo sich nahezu jeder kennt. Die Dinge laufen hier unverbindlicher und anonymer, falls du das willst.« River zuckt mit den Schultern.

»Genau. Wir sind in Los Angeles. Fast jeder hier hat mehrere Persönlichkeiten und seine kleinen Geheimnisse. Wenn du mal nicht der Kerl sein willst, der nachts aufsteht, um Windeln zu wechseln, ist das überhaupt kein Problem«, gibt Cadence ihm recht.

»Okay verstanden, die Stadt ist voller Geheimniskrämer«, sage ich und versuche, mit meinem Tonfall das Thema zu beenden. Ich bin nach L.A. gezogen, um zur Ruhe zu kommen, und nicht, um mich in irgendein Abenteuer zu stürzen. Ich glaube auch nicht, dass ich noch mal so schnell jemandem mein Vertrauen schenken könnte. Leia steht an erster und einziger Stelle.

Ich fühle Caddys Blick auf meinem Gesicht und vermeide es, ihn zu erwidern. Ich befürchte, sie könnte auf meine Gedanken antworten, denn sie ist feinfühlig und kennt mich sehr gut. Gerade als sie Luft holt, um noch etwas zu sagen, klingelt es glücklicherweise an meiner Tür.

»Das ist der Pizzaservice«, erklärt Cadence. Sie erhebt sich von ihrem Platz und bedeutet mir, mit Leia sitzen zu bleiben. »Ich habe uns etwas bestellt, bevor ich losgefahren bin. Ihr müsst am Verhungern sein, oder?«

»Ja, mehr als am Verhungern«, antwortet River und senkt die Stimme, als Cadence im kleinen Flur verschwindet. »Das ist nur einer der Vorteile, mit einer Frau zusammenzuleben. Vielleicht solltest du doch anfangen, die Fühler wieder auszustrecken.«

Ich lache über seinen Versuch, das Thema noch mal zurückzulenken. »Was, dass sie Pizza kommen lässt? Ich glaube, ich bekomme es gerade noch allein auf die Reihe, eine App zu öffnen.«

»Sie ist es nicht wert, Palmer«, sagt er, und ich ahne, dass er auf Erica anspielt.

»Sie ist was nicht wert?«

»Dass du auf sie wartest.«

»Ich warte nicht auf sie«, behaupte ich.

»Ich glaube dir nicht. Dein Herz ist größer als das eines Golden Retrievers, und was einmal seinen Platz darin gefunden hat, scheuchst du da so schnell nicht wieder raus.«

Ich denke einen Moment über seine Worte nach. Vor einem Jahr hätte ich ihm vielleicht noch Recht gegeben. Aber Ericas Abtauchen hat etwas mit mir angestellt, die letzten Monate haben mich verändert. Ich habe viel zu viele Jahre an einen Menschen verschwendet, für den ich offenbar nur ein Spielzeug war. Mir wird das nicht noch mal passieren, ab sofort werde ich überflüssigen Ballast abwerfen, bevor er mich in die Tiefe zieht, und ich werde mich vorsehen, dass sich niemand mehr in mein Leben schleicht, der es nicht zu 100 Prozent verdient hat.

»Du irrst dich, River«, antworte ich. »Du irrst dich so verdammt gewaltig.«

3

SUMMER

Laut meinen Freundinnen gibt es nur eine Möglichkeit, sich von Kummer und ekligem Herzschmerz abzulenken: Man geht in eine Bar, genehmigt sich eine Hand voll hochprozentiger Drinks und richtet den Blick auf ein paar heiße Typen.

Ich bin kein Profi in dieser Angelegenheit, immerhin wurde ich zum ersten Mal verlassen, weshalb ich ihnen in der Hinsicht vertrauen muss. Sie haben mich in die Billardlounge in Brentwood verschleppt, in der wir uns einmal im Monat zu unserem Mädelsabend treffen. Es ist voll im Q’s, es gibt kaum noch einen freien Stuhl, und im Hintergrund des vorherrschenden Stimmengewirrs läuft ein Song von Madonna. Wir haben uns einen Platz in der Nähe der Pooltische erkämpft, um den nächstbesten sofort in Beschlag nehmen zu können, falls jemand sein Spiel beendet.

»Auf uns und die Freiheit.« Tess lässt ihr Cocktailglas gegen meins klirren.

Insgeheim muss ich gestehen, dass ihr Ablenkungsplan bereits nach dem zweiten Longdrink aufgeht, obwohl ich im Vorfeld bestritten habe, dass er funktionieren könnte. Mir geht es, hm, besser. Nachdem ich am Donnerstagabend bei meiner Mom meine Ersatzschlüssel geholt hatte, habe ich mich zwei Tage lang in meiner Wohnung verschanzt und meine Kurse geschwänzt. Ich wollte niemanden hören oder sehen. Aber Tess und Judy haben nicht lockergelassen und an meine Tür geklopft, bis ich ihnen Einlass gewährte und mich auf einen Summer-Aufmunterungsabend einließ. Zum Glück. Wie sich herausstellt ist eine Mischung aus Whiskey, Orangenlikör und Zitronenlimonade das perfekte Mittel, um sich Arschgeigen wie Ethan aus dem Kopf zu schlagen – zumindest, wenn der Drink mit einem pinkfarbenen Cocktailschirmchen serviert wird.

»Freiheit und Freizügigkeit«, ergänzt Judy und zupft an ihrem gewagten Oberteil. Es besteht fast nur aus Löchern, und sobald sie sich einen Zentimeter nach vorn beugt, befürchte ich, ihre Brüste könnten herausspringen.

»Freizügigkeit? Ich bin sicher, dein Outfit geht als Nacktheit durch. Deinetwegen bekommen wir heute Nacht noch eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses«, entgegne ich scherzend und ziehe an meinem Strohhalm, um mein Grinsen zu verstecken.

»Ich habe viel weniger Kurven als Tess oder du. Irgendwie muss ich ja auf mich aufmerksam machen, sonst gehe ich neben euch beiden Schönheiten völlig unter«, verteidigt Judy die Wahl ihrer Kleidung.

»Stimmt, du wirkst total unscheinbar neben uns«, bestätige ich todernst, was Tess veranlasst, laut loszuprusten.

Judy ist in etwa so unscheinbar wie ein rosageflecktes Einhorn, das auf einer Gothic-Party Ballett tanzt. Mit ihren zwei Meter langen Beinen und beneidenswert blonden Locken ist sie diejenige von uns, die heute Abend mit mindestens fünf Telefonnummern in der Tasche nach Hause gehen wird – oder mit einem Kerl.

»Es wäre gut gewesen, wenn du unscheinbarer gewirkt hättest. Heute Abend sollte Summer im Mittelpunkt stehen. Als frischgebackene Single-Lady hat sie ein bisschen Aufmerksamkeit nötig«, sagt Tess.

Stimmt. Sie hat keine Ahnung, wie dringend ich ein bisschen Aufmerksamkeit nötig hätte. Ich habe den Grund für die Trennung von Ethan für mich behalten, was nichts an meinen verletzten Gefühlen ändert. Wenn dich der Kerl verlässt, mit dem du all deine ersten Male erlebt hast, zerfetzt es dir das Herz. Wenn du bis zu dem Moment der überraschenden Trennung noch an eine Zukunft mit diesem Mann geglaubt hast, zerbrechen zudem deine Träume. Wenn dir aber der Kerl, der dich zum ersten Mal geküsst, mit dem du zum ersten Mal gestritten und geschlafen hast, nach fünf Jahren den Laufpass gibt, weil er plötzlich auf Männer steht, dann bekommst du zu deinem zerrissenen Herzen und den kaputten Träumen einen Knacks im Ego gratis dazu. In den letzten zwei Tagen habe ich mich zwei Millionen Mal gefragt, ob es an mir liegen könnte. Ob ich so unattraktiv oder beschissen im Bett war, dass er lieber gleich das Ufer wechselte, anstatt es nochmal mit einer Frau zu probieren. Natürlich ist das rational gesehen Schwachsinn, niemand sucht sich seine sexuelle Orientierung aus. Und vielleicht ist Ethan ja auch bi. Trotzdem wäre es schön, ein bisschen Bestätigung zu bekommen. Ein paar bewundernde Blicke würden schon helfen.

»Also erstens ist Summers Kleid nicht weniger sexy als mein Oberteil, sondern eine grüne Versuchung.« Sie umreißt meine schlanke Gestalt mit einer Geste. »Zweitens hat sie diesen unschuldigen Blick, auf den alle Männer abfahren, und drittens habe ich mich nur für sie aufgehübscht. Wenn wir sie in das Geheimnis einweihen wollen, welche Vorteile es hat, Single zu sein, muss ich schließlich gut aussehen.«