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ZUM GLÜCK – EIN NEUER LÜTZ!
Der Psychiater und Psychotherapeut Manfred Lütz, Autor von »Irre! Wir behandeln die Falschen!«, schreibt ein fulminantes Buch über Glückssucht und anderen ganz normalen Irrsinn.
Er präsentiert die gesamte Geschichte der Philosophie locker und allgemeinverständlich als eine kleine Geschichte des Glücks. Vor allem aber weist er ganz ernsthaft Wege, wie man tatsächlich unvermeidlich glücklich werden kann. Eine steile These – Manfred Lütz belegt sie mit verblüffenden Geschichten und schlüssigen Argumenten – witzig, durchdacht und scharfsinnig.
Am Ende wundert man sich, warum so viele glückshungrige Menschen so lange auf so viel ›Glücksschrott‹ hereinfallen konnten.
»Wie Sie UNVERMEIDLICH GLÜCKLICH werden« ist ein unterhaltsames Aufklärungsbuch zum Selberdenken. Ein befreiendes Buch für jeden, der mehr Spaß am Leben haben will.
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Seitenzahl: 239
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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In diesem Buch ist aus rein pragmatischen Gründen der Lesbarkeit in der Regel die männliche Sprachform gewählt worden, wofür ich Leserinnen um Verständnis bitte. Der Paartherapeut Jürg Willi konstruierte den Satz: »Wenn man/frau mit seiner/ihrem Partner/in zusammenleben will, so wird er/sie zu ihr/ihm in ihre/seine oder sie/er in seine/ihre Wohnung ziehen«, um deutlich zu machen, dass eine befriedigende Lösung des Sprachproblems nicht möglich ist. »Ich ziehe die einfache Sprache der zwar korrekteren, aber unübersichtlicheren vor.« Diese Auffassung teile ich.
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Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
Umschlaggestaltung: Gute Botschafter GmbH, Haltern am See
ISBN 978-3-641-17492-7
www.gtvh.de
INHALT
VORWORT
EINLEITUNG
WIE MAN ZUVERLÄSSIG EINEN EHESTREIT ORGANISIERT
1 GLÜCKSSUCHT
DER GANZ NORMALE IRRSINN DES GLÜCKS
1. Der Stoff, aus dem die Träume sind
2. Der Hoeneß-Effekt
3. Das Glückskartell
2 WAS IST GLÜCK?
EINE KLEINE GESCHICHTE DES GLÜCKS
1. Was die gescheitesten Menschen der Welt über das Glück dachten
a) Philosophenglück: Platon, Aristoteles und meine Tante Cläre
b) Der Kampf um die Lust: Zenon, Epikur und warum Glück Käse ist
c) Aussteiger: Diogenes und Plotin – Glücklich vergammeln und glücklich verfaulen
d) Glückssucher: Augustinus, Thomas und das alte Mütterchen
2. Wie das Glück in Unordnung geriet und wie ein merkwürdiger Junggeselle wieder für Klarheit sorgte
3. Warum Hirnforscher sich nicht fortpflanzen sollten
3 IST GLÜCK VERMEIDBAR?
JA, UND WIE!
1. »Sie lächeln so, was verdrängen Sie?« – Wie Psychotherapie unglücklich machen kann
2. »Sie haben ein Problem, da hätt ich noch eins für Sie!« – Das Frau-Lot-Syndrom
3. Wir streben nach dem Unerreichbaren und verhindern so die Verwirklichung des Möglichen – Das Utopiesyndrom
4 WAS IST UNVERMEIDLICH?
VON SONNENUNTERGÄNGEN UND ALDI-VERKÄUFERINNEN
1. Von der Einmaligkeit des Lebens – Ein moderner Philosoph denkt tief nach
2. Von den Grenzen der menschlichen Existenz – Tod, Leid, Kampf und Schuld
3. Vom Wagnis des Glücks – Donnergrollen aus dem Lehrsessel
5 DER CLOU
EINE KLEINE PSYCHOLOGIE DES GELINGENS
1. Erfolgslehrer, Erfolgstrainer, Erfolgsopfer oder Abstürze mit Ansage
2. Burkhard oder wie man Ost-Westfalen glücklich macht
3. Die Wende oder eine Frage mit Sprengkraft
6 DAS ULTIMATIVE GLÜCK
WIE KANN MAN UNVERMEIDLICH GLÜCKLICH WERDEN?
1. Glückspilz – Eine tödliche Krankheit?
2. Leiden – Über einen verzogenen Prinzen und einen brüllenden Pfarrer
3. Schuld – Über die Schuld eines Co-Piloten und das größte Schuldbekenntnis aller Zeiten
4. Kampf – Über guten Kampf und zwei nachdenkliche Afrikaner
5. Tod – Über routinierte Fassungslosigkeit und die Pornografie des Todes
6. Der Teufel ist los – Dschihadisten vor der Gretchenfrage
7 GLÜCK IST PERSÖNLICH
WIE ICH DAS GLÜCKLICHSTE PAAR DER WELT KENNENLERNTE
1. Glücksinflation
2. »Wir hätten dann gerne das Aschgrau«
3. Über Dummköpfe, Holzköpfe und Charakterköpfe
8 IST GLÜCK UNSTERBLICH?
AUF DER SUCHE NACH DEM EWIGEN GLÜCK
1. Das unendliche Leben – Ein Albtraum
2. Warum man sich nie genug betrinkt
3. Selfies für die Ewigkeit
9 DES RÄTSELS LÖSUNG
EINE KLEINE ANLEITUNG ZUM GROSSEN GLÜCK
»Sei in diesem Augenblick glücklich, das genügt. Wir brauchen nicht mehr als den Augenblick.«
Mutter Teresa
»Von der Gelegenheit gilt dasselbe wie vom Glück: Man muss sie beim Schopf packen, sobald sie sich darbietet; sonst entschwindet sie gewöhnlich ohne Wiederkehr.«
Giacomo Casanova
VORWORT
Es ist mein voller Ernst, dass man unvermeidlich glücklich werden kann. Und da es solche Wege gibt, die ausnahmslos jedem Menschen offenstehen, darf man darüber nicht schweigen. Als ich mein Buch »Irre« schrieb, zweifelten erst viele, dass es möglich sei, auf 185 Seiten die ganze Psychiatrie und Psychotherapie darzustellen. Und auch jetzt scheint der Titel scherzhaft übertrieben. Doch obwohl es im Folgenden auch humorvoll zugehen wird, der Titel ist ganz ernst gemeint.
Unvermeidlich glücklich werden! Wie also soll das gehen? In den Schriften der Völker gibt es unendlich viele Texte über das Glück. Und auch neuerdings überschwemmt eine Flut von Glücksbüchern das Land. Freilich scheint die Menschheit durch all das nicht wirklich glücklicher zu werden. Manches spricht sogar dafür, dass eine Gesellschaft umso unglücklicher ist, je mehr über das Glück geschrieben wird. Soll man also riskieren, das Unglück zu vermehren, indem man ein weiteres Buch zu diesem Thema in die Welt setzt? Doch das Glück ist ein Menschheitsthema, das jeden Einzelnen betrifft und dem man nicht einfach entfliehen kann, indem man sich wortreich mit Zweitwichtigem begnügt. Daher war dieses Buch unvermeidlich, denn ich bin tatsächlich der Überzeugung, dass eine Verbindung von Psychologie, Philosophie und spiritueller Tradition dem Glück ganz neue Horizonte eröffnet und zu erstaunlichen Ergebnissen führt.
Ich danke Professor Robert Spaemann, der dafür gesorgt hat, dass alles philosophisch seine Richtigkeit hat, und auch meinem Friseur, der streng darauf achtet, dass alles locker und allgemeinverständlich bleibt. Ein Buch darüber, wie jeder glücklich werden kann, muss jeder verstehen.
EINLEITUNG – WIE MAN ZUVERLÄSSIG EINEN EHESTREIT ORGANISIERT
»Herr Doktor, wir haben noch nie über das Vertrauen geredet. Können Sie uns da helfen?« Erwartungsvoll schaute mich das Ehepaar an. Die beiden hatten gerade in einer Illustrierten gelesen, dass man in einer Ehe über alles reden müsse, vor allem aber über das Vertrauen. Denn das Vertrauen sei eine Grundlage jeder guten Beziehung. Ich weiß nicht, ob sie da etwas falsch verstanden hatten, jedenfalls hatte ich alle Mühe, sie von diesem Unsinn abzubringen. Sie waren schon über 30 Jahre verheiratet, hatten Höhen und Tiefen überstanden, und es fiel auf, wie rücksichtsvoll und liebenswürdig sie miteinander umgingen. Mir war schleierhaft, wie sie auf die Idee kommen konnten, zum Psychiater zu gehen, denn nichts sprach für eine psychische Störung. Aber manche Medienberichte schaffen es, ganz normale Menschen so zu verunsichern, dass sie glauben, ein Problem zu haben.
Tatsächlich zerstört man das Vertrauen, wenn man es durch ein Gespräch zu fassen versucht. Die Frage »Kann ich dir eigentlich vertrauen?« eröffnet nicht eine Diskussion über das Vertrauen, sondern beendet sie. Denn damit entzieht man dem Vertrauen die Grundlage. Nehmen wir mal an, die Antwort wäre: »Ja, natürlich, wie kommst du bloß auf die Frage?« – so kann man locker nachlegen: »Dann sag doch mal, wo genau du gestern um 17 Uhr warst!« Spätestens an diesem Punkt kann nur noch ehrliche Empörung die Reaktion sein: »Seit 30 Jahren sind wir verheiratet, immer war ich dir treu, alles habe ich für dich getan – und du fängst plötzlich an, mir zu misstrauen ...« Die Antwort »Aber ich habe doch nur gefragt ...« macht auch nichts mehr besser, denn nun werden beide beginnen, misstrauisch zu werden, obwohl vor dem Gespräch über das Vertrauen im Grunde einhelliges Vertrauen geherrscht hatte.
Vertrauen ist wichtig. Ohne ein Mindestmaß an Vertrauen kann ein Mensch nicht glücklich sein. Was das Leben aber so spannend macht, ist die Tatsache, dass wir gerade das Wichtige nicht wissen können. Ausgerechnet das Wichtige im Leben kann man nicht definieren, man kann es nicht in den Griff bekommen, man kann sich seiner nicht sicher sein. Wenn das nicht so wäre, dann wäre das Leben bloß ein langweiliges, festgelegtes Programm, für das man Gebrauchsanweisungen schreiben könnte, die es jedem ermöglichen würden, sein Leben so zu führen, wie es sich angeblich gehört. Dem Leben wäre jedes Geheimnis genommen, jeder persönliche Charakter, jede Vitalität. Das Leben wäre leblos.
Um einem Menschen wirklich zu vertrauen, muss man ihm also persönlich begegnen, muss Erfahrungen mit ihm machen, um dadurch die nötige Gewissheit zu erlangen. Auch dann kann man enttäuscht werden, weil man sich getäuscht hat. Theoretisches abstraktes Wissen jedenfalls hilft dabei nicht weiter.
Vielleicht ging es dem Rat suchenden Ehepaar ja auch bloß um ein wenig Abwechslung im tagtäglichen Ehetrott. Zweifellos gibt es Ehen – natürlich nicht die Ihre, liebe Leserin und lieber Leser, sondern eher die Ihrer Nachbarn oder von entfernten Verwandten –, da ist es nach 30 Jahren unter Umständen ein bisschen eintönig geworden. Es geschieht nichts wirklich Aufregendes mehr, nichts Unerwartetes, noch nicht mal ein zünftiger Ehekrach. Und wenn es einen Ehekrach gibt, dann kommt das meistens terminlich ganz ungelegen, mal eben zwischen Tür und Angel, und man kann es gar nicht richtig genießen. Da wäre es doch hilfreich, wenn es eine Methode gäbe, mit der man einen solchen Ehekrach gezielt und zuverlässig herbeiführen könnte. Es wäre doch gelacht, wenn wir zwar dank des wissenschaftlichen Fortschritts nichts mehr dem Zufall überlassen, aber dennoch außerstande wären, etwas so Banales wie einen schlichten Ehekrach herzustellen. Und tatsächlich, eine solche Methode steht jedem jederzeit zur Verfügung. Nachdem erst mal in aller Ruhe ein Termin gesucht wurde, an dem genug Zeit ist, fragt zum Beispiel die Ehefrau ohne Vorwarnung: »Warum liebst du mich eigentlich?« Mit dieser Frage ist der Abend gelaufen. Denn alles, was jetzt passiert, kann nur noch ins Chaos führen.
Nehmen wir an, der Mann ist völlig perplex und sagt darauf nichts, so wird die Ehefrau verständlicherweise und völlig zu Recht erbost reagieren: »Wie, du hast nichts dazu zu sagen? Ich koche für dich, ich wasche für dich, ich tue alles für dich, und du hast auf eine solche Frage, die an die Basis unserer Beziehung geht, absolut nichts zu sagen? Gut, dass ich die Frage endlich mal gestellt habe! Offensichtlich leben wir schon seit Jahren nur noch aneinander vorbei! Du wirst nämlich wohl kaum bestreiten können, dass das eine wichtige Frage ist. Gar nicht besonders kompliziert. Nur fünf Worte. Dennoch fällt dir nichts dazu ein! Absolut gar nichts! Da kann ich ja gleich gehen ...«
Die zweite Möglichkeit ist natürlich, dass der eheerfahrene Mann antwortet. Da dieser Mann seine Frau also nur zu gut kennt, zermartert er sein Gehirn. Er weiß genau, er muss jetzt etwas sagen. Es gibt ja solche Ehen, in denen die Ehefrau zu ihrem Mann sagt: »Sag was!«, und tatsächlich: Er sagt was! So kommt der Mann auf das für ihn Naheliegendste, und er antwortet zum Beispiel überstürzt: »Ich liebe dich wegen deiner schönen Augen!« Doch auch diese Antwort führt unfehlbar in die Katastrophe: »Nur wegen meiner Augen? Das ist ja eine Frechheit! Das muss man sich mal vorstellen: Seit über 30 Jahren lebe ich mit dir zusammen, auf so vieles habe ich verzichtet, habe unsere Kinder erzogen, den Haushalt geführt, und alles, was dir zu mir einfällt, sind meine Augen? Was hinter meinen Augen ist, Gehirn und so, das interessiert den Herrn wohl gar nicht! Da kann ich dir ja ein Foto meiner Augen hinstellen und mich aus dem Staub machen! Ich bin entsetzt, enttäuscht, entwürdigt! So etwas lasse ich mir nicht bieten ...« Natürlich hat sie recht, die Frau. Denn wie wollte man ein den ganzen Menschen ergreifendes existenzielles Gefühl auf zwei kleine kugelförmige Gebilde reduzieren? Auch hier gibt es kein Halten mehr, denn was auch immer der Ehemann jetzt in höchster Not sagen wird, es liefe auf den Versuch hinaus, Liebe zu definieren. Und das vernichtet die Liebe.
Auch Liebe ist wichtig. Auch sie entzieht sich dem bloßen Wissen. Daher können Bücher über die Liebe die reale Liebe zweier Menschen durchaus gefährden. Denn sie schaffen die Illusion, dass die Liebe eine Wissenschaft oder eine Kunst sei, die man erlernen und dann beherrschen könne. So sei man dann Herr seiner Liebe, weil man sie jetzt präzise auf den Begriff gebracht habe. Welche Anmaßung! Denn die Liebe gibt es nicht, damit man sie begreifen kann. Die Liebe ist unberechenbar. Sie blitzt im Moment auf. Man kann sich von ihr ergreifen lassen, nicht theoretisch, sondern ganz praktisch.
Vor allem kann man wirkliche Liebe erschüttern, wenn man Liebenden einredet, es gebe so etwas wie eine ideale Liebe. Das »Utopiesyndrom« hat der österreichisch-amerikanische Psychotherapeut Paul Watzlawick einen psychologischen Irrweg genannt, bei dem das ganze Streben eines Menschen mit aller Kraft und großer Ausdauer auf ein unerreichbares Ziel ausgerichtet ist. Es gibt kaum etwas Hinterlistigeres, als einem glücklich liebenden Ehepaar ein Buch über die ideale Ehe zu schenken mit dem Hinweis: Unbedingt lesen! Dann besteht die gute Aussicht, dass diese reale Ehe womöglich bald beendet ist. Denn die schneidet natürlich gegenüber dem Ideal, das im Buch gepriesen wird, immer schlechter ab. Deswegen spricht der jüngst verstorbene geniale Soziologe Ulrich Beck zu Recht davon, dass die Ratgeberliteratur eine Schneise der Verwüstung durch Deutschland schlage. Sie sorgt dafür, dass viele Menschen sich für sich selbst gar nicht mehr kompetent fühlen, sondern alles von Experten erwarten. Und diesen Effekt haben nicht nur gewisse Liebesratgeber und Ehehandbücher. Auch manche gierig erwarteten Glücksfibeln sind in Wirklichkeit nichts anderes als raffinierte Anleitungen zum Unglücklichsein. Denn mit dem Glück ist es nicht anders als mit Vertrauen und Liebe: Man kann es nicht in Buchform »schwarz auf weiß nach Hause tragen«, wie Goethes lächerlicher Famulus sich das so denkt.
Daher ist dieses Buch keinesfalls ein Ratgeber. Im Gegenteil, es ist geradezu ein Anti-Ratgeber, eine Befreiung vom professionellen Besserwissertum und damit eine Anleitung zum selbstbewussten eigenen Leben und zu einem Glück, das es nicht als allgemeines Ideal gibt, sondern nur höchstpersönlich.
1
GLÜCKSSUCHT
DER GANZ NORMALE IRRSINN DES GLÜCKS
1
DER STOFF, AUS DEM DIE TRÄUME SIND
Jede Sucht ist eine Sucht nach Glück. Der Drogenabhängige sehnt sich nach nichts so sehr wie nach dem Kick, nach dem Hochgefühl, nach dem überströmenden Glück des Moments, in dem die Droge anflutet. Alles ist er bereit dafür zu tun, alles Geld opfert er, seine Freunde, seine Gesundheit, sein Leben. Bei den ersten Kontakten mit der Droge beginnt er zu ahnen, dass er da ein unglaubliches Mittel in der Hand hält, mit dem er Glück zuverlässig und effektiv selbst erzeugen kann. Er hat das Glück wortwörtlich in der Hand. Was helfen gegen dieses Gefühl von eigener Macht die ewigen langweiligen Warnungen alter langweiliger Menschen vor derlei Eigenmächtigkeiten? Was hilft die Drohung, solche Tollheiten würden einem über kurz oder lang teuer zu stehen kommen, wenn einen irgendein »Später« gar nicht interessiert, da man doch das unübertreffliche beglückende Jetzt erlebt hat. Ein solcher Mensch ist ganz gefangen vom intensiven gegenwärtigen Augenblick, in dem weder Vergangenheit noch Zukunft noch irgendjemand rings umher interessiert, sondern bloß die Ekstase des Rausches.
Doch ist ein Drogenabhängiger wirklich glücklich? Für die kurzen Momente des Rausches bei den ersten Malen vielleicht. Doch niemand, auch der Drogenkonsument selbst nicht, wenn er dann bald abhängig ist, wird den Drogenkonsum ernsthaft als Glück beschreiben. Die traumhafte Eigenmächtigkeit, die am Anfang stand, wird zur drastischen Ohnmacht der Abhängigkeit von der Droge, vom Dealer, von Menschen, die sich erbarmen. Die Sucht nach Glück, das prickelnde Gefühl von der mühelosen Machbarkeit des Glücks, hat den Drogenabhängigen ins größte denkbare Unglück gestürzt. Zweifellos, die Sucht nach Glück macht entsetzlich unglücklich.
Auch der Alkoholabhängige sehnt sich nach Glück. Es beginnt nicht so fulminant wie bei der Drogenabhängigkeit. Es ist also nicht gleich der bewusstseinsverändernde Effekt selbst, der gesucht wird. Alkohol ist zunächst ein Getränk wie andere auch, dessen Geschmack geschätzt und dessen entspannende Wirkung vielleicht nebenbei noch angenehm empfunden wird. Wer weinselig vor sich hin fabuliert, mag sich in diesem Moment sogar glücklich fühlen. Dagegen ist nichts zu sagen. Problematisch wird es erst dann, wenn der bewusstseinsverändernde Nebeneffekt das eigentliche Ziel des Alkoholtrinkens wird. Tatsächlich sind Probleme in Alkohol komplett löslich, aber natürlich nicht wirklich. Wenn jemand nämlich beim Auftreten irgendeines Problems nicht das Problem ernsthaft löst, sondern stattdessen Alkohol auf das Problem schüttet, dann hat er bereits die schiefe Ebene betreten, auf der er in die Sucht rutscht. Er löst dringende Probleme nicht mehr und bekommt sogar noch ein zusätzliches Problem: das Problem mit dem Alkohol. Irgendwann führt diese psychische Abhängigkeit zur körperlichen Abhängigkeit, man muss mehr trinken, um denselben Effekt zu erreichen, man leidet unter unangenehmen Entzugserscheinungen, wenn man das Alkoholtrinken einstellt. Man verliert seine Entscheidungsfreiheit, denn mit der Zeit wird der Alkohol wichtiger als alles andere im Leben. Beruf, Partnerschaft, Freunde, all das, was normalerweise glücklich machen kann, wird ersetzt durch einen Stoff, den Alkohol. Am Ende ist es das süchtig ersehnte höchste Glück, Unglück zu vermeiden, nämlich das Unglück des Entzugs. Dass allein die Abwesenheit von Leid Glück sei, das war immer schon die traurigste Auffassung vom Glück.
Die nicht stoffgebundenen Süchte machen klar, dass jedes menschliche Verhalten süchtig entarten kann. Es ist schwierig, über Sexsucht ernsthaft zu reden, denn manch einer mag sich insgeheim etwas Ähnliches wünschen. Doch kaum jemand macht sich klar, was Sexsucht für einen Menschen wirklich bedeutet. Wer sexsüchtig ist, den macht Sex nicht mehr glücklich, aber Sexentzug macht ihn unglücklich. Dasselbe gilt von Kaufsucht, Laufsucht und dem, was man heute Internetsucht nennt. Allerdings muss man bei solchen Diagnosen auf dem Teppich bleiben. Wer viel Geld hat und viel kauft, ist deswegen nicht gleich kaufsüchtig, wer gerne viel läuft, der kann das problemlos auch weiter tun, und wer lustvoll im Internet surft, der braucht sich deswegen noch keine Sorgen zu machen. Und zweifellos war auch Giacomo Casanova nicht sexsüchtig. Er war ein selbstbewusster Mann, der die Frauen liebte und darunter keineswegs litt. Solche Menschen sind immer noch Herr ihrer Entscheidungen, und wenn sie das Glück suchen, kann es ihnen auf vielfältige Weise begegnen. Erst dann, wenn dieses Verhalten eine Eigendynamik bekommt, wenn es ganz ins Zentrum eines Lebens rückt und da auf Dauer nichts anderes mehr neben sich duldet, wenn alle Sehnsucht nach Glück nicht mehr offen ist für die Weite der Welt und des Lebens, sondern sich verirrt in den engen Tunnel dieses einen endlos wiederholten Verhaltens, dann ist ein solcher Mensch blind geworden für wirkliches Glück. Und so sieht er nicht einmal mehr, wie dieses Verhalten alle seine sozialen Beziehungen untergräbt, gefährdet und am Ende zerstört. Das außer Rand und Band geratene Verhalten ist nicht mehr eine von vielen Verhaltensweisen, denen sich Menschen auf der Suche nach einem glücklichen Leben nach eigenem Gutdünken mehr oder weniger intensiv widmen und für die sie sich entscheiden. Denn wenn die Sucht gesiegt hat, entscheidet nicht mehr der Mensch über ein Verhalten, sondern ein Verhalten entscheidet über den Menschen. Der Mensch wird zum Sklaven seines Verhaltens, und dann ist er nicht mehr frei, sondern krank, dann ist er süchtig und braucht therapeutische Hilfe, um wieder fähig zu werden, er selbst zu sein und wirklich glücklich zu werden. Jede Sucht ist eine Form von Unglück.
2
DER HOENESS-EFFEKT
Als ich den ersten Spielsüchtigen meines Lebens im Krankenhaus aufnahm, war ich total überrascht. Denn der Patient hatte alle Entzugserscheinungen, die ich von Alkoholikern kannte: Zittern, Unruhe, Schweißausbruch. Mehrfach am Tag musste er sein völlig durchgeschwitztes Hemd wechseln. Der Mann war gescheit, hatte eine gute Ausbildung, war früher im Leben erfolgreich gewesen. Doch jetzt hatte er alles verloren, seinen Job, seine Frau, sein Geld, einfach alles. Verstandesmäßig war ihm völlig klar, dass die Spielsucht ihn ins Unglück gestürzt hatte. Dennoch kam er alleine nicht davon los. Die Spielsucht ist eine Sucht, die das Wort Glück sogar im Namen führt: Glücksspielsucht. Denn es geht ja nicht um Mensch-ärger-dich-nicht, sondern darum, mit dem Spiel Geld zu erspielen. Geld ist für den Spielsüchtigen das Glück oder, besser gesagt, der Moment des Geldgewinnens. Wie sehr das Glücksspiel Menschen in seinen verhängnisvollen Bann schlagen kann, das hat nicht nur Fjodor Dostojewski in seinem Roman »Der Spieler« dramatisiert, auch Stefan Zweig erzählt in seiner Novelle »Vierundzwanzig Stunden« berührend, wie ein junger gut aussehender Mann mit allen nur denkbaren sympathischen Eigenschaften ganz dem Glücksspiel verfallen ist und von einer Dame beobachtet wird, als er sich nach dem definitiven Verlust umbringen will. Sie rettet ihn und versucht, ihn mit allen Mitteln auf den rechten Weg zu bringen. Ja, sie verliebt sich sogar in ihn und ist bereit, für ihn alle Konventionen über den Haufen zu werfen. Es scheint zu gelingen, auch er verliebt sich in sie und schwört ihr inbrünstig, ein neues Leben zu beginnen. Er soll vorausfahren, sie gibt ihm Geld für die Bahnfahrt – und das ist das Verhängnis. Er nimmt nicht den Zug, sondern geht mit dem Geld in die Spielbank. Zweig beschreibt eindrucksvoll und realistisch, wie sich die ganze Persönlichkeit von einem Tag auf den anderen ändert. Der junge Mann, der sich noch einen Tag zuvor einfühlsam und liebevoll gezeigt hatte, wirkt nun plötzlich gehetzt, kalt und abweisend. Tief erschüttert fährt Mrs. C. ab und erfährt später, dass der hoffnungslose junge Spieler sich irgendwann umgebracht hat.