Wiesbadener Raum - Sascha Büttner - E-Book

Wiesbadener Raum E-Book

Sascha Büttner

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Beschreibung

Die vorliegende Version des Handbuchs Wiesbadener Raum ist die Adaption des Original-Handbuchs, ergänzt mit neuen Texten und einigen Weglassungen. Die ursprüngliche Fassung kann mit viel Aufwand im Internet gefunden werden. Bei der Übertragung des Original-Manuskripts in das vorliegende Buchformat, wurde weitestgehend auf die ursprüngliche Gestaltung Rücksicht genommen. Anpassungen fanden bei der Auswahl der Typografie und den verwendeten Schriftschnitten statt. Angeeignete Bildwerke und Texte wurden, entgegen dem Original, so verfremdet, dass das ursprüngliche Material bestenfalls vermutet, nicht aber mit Bestimmtheit identifiziert werden kann. In diesem Sinne ist diese Buch ein Manifest der Kunst der Aneignung.

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Seitenzahl: 178

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Editorische Notiz:

Die vorliegende Version des Handbuchs Wiesbadener Raum ist die Adaption des Original-Handbuchs, ergänzt mit neuen Texten und einigen Weglassungen. Die ursprüngliche Fassung kann mit viel Aufwand im Internet gefunden werden.

Bei der Übertragung des Original-Manuskripts in das vorliegende Buchformat, wurde weitestgehend auf die ursprüngliche Gestaltung Rücksicht genommen. Anpassungen fanden bei der Auswahl der Typografie und den verwendeten Schriftschnitten statt.

Angeeignete Bildwerke und Texte wurden, entgegen dem Original, so verfremdet, dass das ursprüngliche Material bestenfalls vermutet, nicht aber mit Bestimmtheit identifiziert werden kann. In diesem Sinne ist diese Buch ein Manifest der Kunst der Aneignung.

Wiesbadener Raum Manifest

Inhaltsverzeichnis

Der letzte Alchemist

Sven Skorbut

Dritte Zeigung

Zeit / Ort

Erinnerung, Detail (1997)

Biograf

Die Geschichte beginnt jetzt

Land Art

Der Natur ihr Geheimnis entlocken

Wiesbadener Raum

Zhenren

Leben

4095 Identitäten

Kunstkompass

Installation für den öffentlichen Raum Nr. 1

Kurzer Eindruck der "Installation für den öffentlichen Raum Nr. 1"

Beschreibung der Installation "Besucherzimmer 1"

Bestimmung

Der Natur ihr Geheimnis entlocken

Der Natur ihr Geheimnis entlocken - Dem Wild auflauern

Stoppt die Avantgarde!

Über den "Skulpturbegriff" von Sascha Büttner

Den Blick auf den Körper liebe ich wie überhaupt Aussichten

Langsam ...

Wiesbadener Avantgarde

Verlautbarung!!!

Analytische Malerei

Mahnmal/Faschismus

PB4/IX3, 3 x Glück

Guten Tag!

Memno

Heimat los

Der Natur ihr Geheimnis entlocken - Dualismus

Atelier Bratwurst

Blografie

Im Grunde geht es um Revolution

Liste bisheriger Buchveröffentlichungen

Temporäre kollaborative Situationen

Serverhappening auf

Netzkunst, Version 1.0 Beta

Manifesto

Retrospektive 1990 -1998

Sehr geehrte Damen und Herren

Pressemitteilung

Nepomuc

Gehen

Geschichte einer Auslassung

Fotografie

Systeme ästhetischer und (Massen-)Produktion

Sicher

Das Wiki Institute

Borderline Kongress

Prelude + Anweisung

Eine klare Aussage bedarf keines klaren Titels

Lauf der Dinge

Irgendwann ließ Büttner folgendes verlauten

Protest-Kunst

Serverfestival

Der Reisende

Serverfestival, 4. Treffen/Hamburg

Treffen bei Sascha Büttner

Wies-Baden

Meisterschaft

Kiosk

Flop

Sascha Büttner zitiert

Better think Tank Project

Vorsprung durch implizites Wissen

Gute Malerei

Metamorphosen

Paik-Linie, Aktion

Formen der Huldigung

Wiesbadener Raum

Bezugs- und Wertesysteme in der Kunst am Beispiel des Wiesbadener Raums

Verzeichnis einiger Verluste

DER LETZTE ALCHEMIST

Eine Betrachtung der Kunst von Sascha Büttner mitsamt ihrer Widersprüche

Stationen

Sascha Büttner, geboren 1966, hat allein in den letzten fünf Jahren ein beachtliches und äußerst eigenwilliges Œvre geschaffen (vgl. Biograf für Bewerbung Kunstpreis auf dieser CD-ROM). Er ist Mitbegründer des Ateliers Bratwurst (zusammen mit Marcus Bohl, Thorsten Fink, Benny Klement und Bernhard Reuß), entstanden im Jahr 1994 in einem Nebengebäude des ehemaligen Wiesbadener Schlachthofs.

Als erstes beachtliches Werk, mit dem er als Einzelkünstler auffiel, nenne ich seine "Installation für den öffentlichen Raum Nr. 1" im Jahr 1995. Etwa 3000 Pflastersteine - und zahlreiche verstreute Fotografien dazwischen - legte er auf dem Platz aus, von wo aus im Jahr 1942 die Wiesbadener Juden in die Vernichtungslager abtransportiert worden waren.

Im Januar 1997 trat er erstmalig mit Bitumenarbeiten in die Öffentlichkeit (Dritte Zeigung im Atelier Bratwurst). Im gleichen Jahr folgten seine erste und zweite Bitumenschmelze als öffentliche Ereignisse mit hohem sinnlichen Erlebnischarakter.

Heute arbeitet er an einer Folge von Ausstellungen, die er sämtlich "Wiesbadener Raum" betitelt. In diesen Ausstellungen (die erste fand in der Galerie der Büchergilde Gutenberg 1999 in Wiesbaden statt) widmet er sich Materialprozessen, bei denen neben Bitumen auch Kupfer und Blei eine Rolle spielen. Das (vorläufige) Ergebnis sind Tafelbilder auf Holzplatten, die er mit Bitumen übergossen oder mit Metall bekleidet hatte. Das Kupferblech wurde mit Essigsäure patiniert, das Blei aus kleineren Platten mit deutlicher Naht zusammengelötet (siehe Details).

In meinen weiteren Ausführungen über das Werk von Sascha Büttner werde ich mich besonders mit diesen Arbeiten beschäftigen.

Bitumen, Kupfer, Blei

Bitumen, Kupfer und Blei sind Materialien für die Herstellung von Zeitlosigkeit.

Bitumen verhindert Fäulnis des Holzes und dient in der Bautechnik als Schutzanstrich, mit dem das Eindringen von Feuchtigkeit in Gemäuer (und damit deren Zerstörung) verhindert wird. Mit Bitumen getränkte Pappe (z.B. als Dachpappe) schützt Mauer- oder Holzwerk gegen chemische oder witterungsbedingte Angriffe in der Luft und unter der Erde. Bitumen garantiert Ewigkeit.

Das läßt sich auch von Kupfer und Blei sagen.

Mit Kupfer wurden (und werden noch heute) Gebäude oder Gebäudeteile bedeckt, damit sie auf Dauer geschützt sind gegen die aggressiven Bestandteile von Luft und Niederschlägen.

Gegen die ätzenden Bestandteile des Wassers und des Erdreichs schützt das Blei als Umhüllung z.B. von Kabeln als Erd- oder Tiefseekabel. Auch mit Blei wurden und werden Dächer geschützt.

So nützlich diese Stoffe auch sind, sie sind gleichzeitig geschmähte Materialien. In der Nähe zum Menschen werden sie gemieden, wie es nur geht. Pech wird ohnehin von allen mißachtet. Vom Blei halten wir uns fern. Wo immer es möglich ist, verzichten wir auf seinen Einsatz. Das Spielen der Kinder mit Bleisoldaten (oder nur mit zivilen Figuren) – undenkbar! Das Kupfer traf die Verbannung noch früher. Heute wird es niemand mehr in der Küche verwenden wollen, so wie es einmal üblich war. Doch selbst in Zeiten, als dieses Metall für Töpfe, Pfannen, Schalen und Schüsseln unverzichtbar war, wurde es gescheuert, was das Zeug hielt, damit nur ja keine chemische Verbindung, die das (unedle) Kupfer gerne mit Bestandteilen der Speisen eingeht, ins Essen gelangte.

Und gerade diese geschmähten Materialien sind die auserwählten Stoffe für die Kunst von Sascha Büttner. Wenn er Bilder malt, malt er nicht mit Öl. Er malt mit Essig – auf seinen Kupfertafeln. Es scheint, als wäre ihm Öl viel zu edel. Wenn schon Öl, dann benutzt er es erst, nachdem alle edlen Bestandteile ausgeschieden sind. Dann verwendet er nur die Rückstände.

Traditionell waren es die edlen Materialien, die ein Künstler bevorzugte. Ölfarben für die Malerei und Bronze oder Marmor für Plastiken galten als besonders edel. Aber was ist schon traditionell in den Arbeiten von Büttner? Eventuell dies, daß auch bei ihm der Gesichtspunkt von Dauerhaftigkeit eine Rolle spielt - doch anders, als wir es in der Kunst gewohnt sind.

Erhalt und Vergang

Daß Büttner Materialien wählt, die -wie ich zeigte - besonders dem Erhalt von Menschenwerk dienen, ist auf den ersten Blick hin erstaunlich. Kenne ich ihn doch als einen Künstler, der gegen den Vergang von Produkten seiner Arbeit nichts einzuwenden hat. Im Gegenteil. Zusammen mit seinen Freunden setzt er manche seiner Werke bewußt der Zerstörung aus, so z.B. die Fotografien der Gemeinschaftsinstallation "Allee" (1995). Er befestigte sie ungeschützt an Bäumen in öffentlichen Räumen in Wiesbaden und in Kassel. Wind und Wetter, aber auch flinke fremde Hände haben rasch das Werk zunichte gemacht.

Die Fotografien seiner Installation für den öffentlichen Raum Nr. 1 vergingen schnell, und die Anordnung der Steine wurde bald von spielenden Kindern verändert. Es kümmerte ihn nicht. Er ließ es zu.

Selbst das Acetat auf seinen Kupferbildern (als Grünspan auf Dächern und Kuppeln für deren Konservierung zuständig) läßt er aufblühen zu einer hochempfindlichen Substanz, die sich leicht abwischen ließe. Er schützt sie nicht, und noch niemand weiß, wie sich die Kupferbilder im Laufe der Zeit von selbst verändern werden unter klimatischen oder auch mechanischen Einflüssen, die er nicht vorhersehen kann. Auch das Blei wird sich verändern. Wer weiß wie?

Um diesen Widerspruch zwischen Konservierung und Preisgabe geht es sehr stark im Werk von Sascha Büttner: Die Imprägnierung durch Bitumen schafft ein "Moment der Ewigkeit" (Büttner). Gleichzeitig wird wegen der hohen Empfindlichkeit der gegossenen Fläche ihre Veränderung (bis zur Zerstörung) mitbedacht.

Auch andere Widersprüche sind bedeutsam für die Arbeit von Sascha Büttner. Sie betreffen selbst seine Person. So besteht ein Widerspruch zwischen dem Original Sascha Büttner – als dem unverwechselbaren Einzelexemplar eines autonomen Künstlers (der sogar einige Mühe darauf verwendet, sich "in die Archive einzuschreiben", wie er sagt) - und seinem Kampf gegen das bürgerliche Individualitätsprinzip. Ganze Gruppenausstellungen, die er organisieren will, werden demnächst nur unter einem einzigen (Künstler-)Namen firmieren (Multiple Signatur). Der Einzelne als Original wird verschwinden. So will es Büttner.

Mit den Namen treibt er ohnehin sein Spiel. Wir können nie genau wissen, ob Arbeiten: Kunstgegenstände, Aktionen, Texte unter fremden Namen nicht vielleicht doch Arbeiten von Sascha Büttner sind, auch ob Arbeiten: Kunstgegenstände, Aktionen, Texte unter Büttners Namen von ganz anderen Leuten stammen. Camouflage und Mimikry; Tarnung (Verwendung von Pseudonymen) und Fälschung (Schreiben mit fremder Feder) sind seine Mittel, mit denen der eigenwillige und eigenartige Künstler Büttner dem individualisierenden Künstlerkult den Kampf ansagt. Widerspruch – oder kein Widerspruch?

Dreck in Gold verwandeln

Als das Niedrigste, was wir uns an Stoffen auf der Welt vorstellen können und was uns die Industrie zum Gebrauch zur Verfügung stellt, darf das Produkt Bitumen angesehen werden. Bitumen ist Dreck, weil es dreckig ist. Es ist das Letzte, was bei der Raffination von Erdöl übrig bleibt. Alle anderen Produkte der Petro-Chemie: schweres und leichtes Heizöl, Diesel- und Ottokraftstoff, die Ausgangsprodukte für Farben oder für Heilmittel – alles gilt als veredelt. Bitumen gilt als der letzte Dreck. Verarbeitet zu Straßenbelag (Asphalt) treten wir darauf herum, als Schutzanstrich verschwindet es wieder in der Erde, wo es hergekommen ist.

Auf der anderen Seite ist Bitumen dem Gold verwandt. Auch das Gold schützt als Überzug auf unedlen Stoffen vor Verwitterung, besser noch als das Kupfer und das Blei. So gesehen ist Bitumen (der Dreck) ein edles Material, indem es mit keinem Stoff der Welt chemisch reagiert, so wie Gold. Also ist Bitumen ebenso edel, wie es unedel ist. Ein spannender Widerspruch!

Wundern kann mich das nicht. Jean Gebser (Ursprung und Gegenwart, dtv) verdanke ich den Hinweis darauf, daß in den Ursprachen (wie er es nennt) mancher Begriff nicht nur das eine, sondern zugleich auch dessen Gegenteil bedeuten. Noch im Lateinischen haben wir Beispiele dafür. So bezeichnet altus sowohl "hoch" wie auch "tief". Und sacer bedeutet "heilig" und zugleich "verrucht".

Auch im Deutschen sind noch Spuren dieses "Dualismus von Bejahung und Verneinung" (Gebser) zu erkennen, z.B. in den Wörtern: "Maß" und "Masse". Das eine bedeutet das Maßvolle, das andere das Maßlose. So auch in dem Wort: "alle", einerseits gemeint als das, was vorhanden ist (alle Geldstücke in meiner Tasche) und andererseits als das, was nicht mehr vorhanden ist (das Geld in meiner Tasche ist alle).

Oder in den Wörtern: "Weg" und "weg". So bedeutet "Weg" die Hinführung zum Ziel, doch "weg" meint genau das Gegenteil: Nichts wie weg!

Auch die Stoffe Kupfer und Blei sind - im genannten Sinne - in sich widersprüchlich. Sie zählen nicht zu den Edelmetallen (wie Gold), also sind sie unedel. Auf der Seite der edlen Stoffe sind sie aber durch ihre Fähigkeit, Oxide zu bilden, die hochgradig resistent sind gegenüber anderen Stoffen, so wie Gold. Das wertet sie auf.

Die Zusammengehörigkeit von Bitumen (gleich Pech) und Gold verdeutlicht auch das Märchen. Die Pechmarie hat ihre Entsprechung in der Goldmarie. Das Wesen der einen wird deutlich durch das Wesen der anderen. Sie sind gemeinsam die zwei Seiten einer Medaille.

Eine innige Beziehung von Dreck und Gold besteht vor allem auf der symbolischen Ebene. In seiner psychoanalytischen Geldtheorie (Fischer) arbeitet Wolfgang Harsch diesen Zusammenhang überzeugend heraus. Psychoanalytisch ist Gold ein Kotsymbol, stellt er fest, und zitiert Freud: "In den Träumen wird das Gold auf die eindeutigste Weise als Symbol des Kotes bekannt" und "Der Traum sagt, das Gold sei ein Zeichen, ein Symbol, für den Kot" (S. →). Das geläufige Wort vom Dukatenscheier ist ein deutlicher Hinweis auf die Wirksamkeit der Verbindung von Gold und Kot bis in unsere Umgangssprache hinein. Als Erklärung für diese "innigste Beziehung" zwischen Gold und Kot bietet Freud die Vermutung an, "daß der Gegensatz zwischen dem Wertvollsten, was der Mensch kennengelernt hat und dem Wertlosesten, das er als Abfall (refuse) von sich wirft, zu dieser bedingten Identifizierung von Gold und Kot geführt hat" (S. →).

Harsch:" Diese "innigste Beziehung" betrachtet Freud als Verkehrung ins Gegenteil - ein Mechanismus, den er bei der Traumarbeit entdeckt hatte, - und als Reaktionsbildung (S.→). Dadurch geschieht das, was wir bei der Gold- und der Pechmarie schon bemerkten und worauf Jean Gebser mit dem Begriff des "Dualismus von Bejahung und Verneinung" hingewiesen hat: Die Gegensätze fallen in sich zusammen. Dann steht das eine für das andere. Der östlichste Punkt der Erde ist zugleich ihr westlichster. (Christoph Kolumbus hat darauf vertraut.) Wer hoch hinauf will, sollte den Weg in die Tiefe antreten.

Über den Dualismus von Gold und Kot in der Bildenden Kunst sei eine Arbeit von Piero Manzoni erwähnt. Über ihn schreibt Bettina Ruhrberg in: Künstler. Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst:

"Manzoni (realisierte) im Mai 1961 eines seiner provokantesten Werke "Merda d'artista". Die in einer Auflage von 90 Stück hergestellten Dosen erhielten ein Etikett mit der Aufschrift "Künstlerscheiße". Dreißig Gramm netto, frisch konserviert, produziert und in Dosen verpackt. Der Preis für eine Dose sollte dem jeweiligen Tagespreis für 30 Gramm Gold entsprechen."

Wenn Sascha Büttner Bitumen als geeignetes Material für Kunst wählt, so hat das tiefe Wurzeln. Es zeigt sich darin deutlich ein alchemistisches Moment, das darin erkennbar wird, daß einer aus Dreck Gold machen will. Es gelingt ihm, weil Kunst daraus wird. Könnte auch viel Geld daraus werden, ich würde es ihm gönnen.

Klaus Dettke

SVEN SKORBUT

Sven Skorbut, mit bürgerlichem Namen Sascha Büttner, ist ein Künstler, der seine Karriere als Fotograf begonnen hat und seit 1996 mit Bitumen malt.

Sascha Büttner entstammt der Unternehmerfamilie Büttner. Er studierte von 1967 bis 1969 an der Wiesbadener Fachhochschule Fotografie und arbeitete bereits vorher als Fotoassistent in verschiedenen Studios. 1969 zog er nach New York und assistierte den Fotografen Avedon und King. Während der Zeit bei King kam Büttner in Kontakt mit dem sozialen Umfeld Warhols. Von 1969 bis 1971 wohnte und arbeitete er im legendären Chelsea Hotel. Es entstand der Dokumentarfilm Chelsea Street 1970, der Obdachlose porträtiert.

Inspiriert von den Straßen Manhattans in den 1970er Jahren und später von den Arbeiten des koreanischen Künstlers Bae, entdeckte Büttner 1996 Bitumen als Farbe für seine Malerei. Seine intensive künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Material ist einmalig.

1a Bitumen Bitumen, Einweckglas, Metallklammern, Gummiring, Kordel, Schild, 1999 Foto: S. Büttner

DRITTE ZEIGUNG

Interpretationsmuster der spätkapitalistischen Gesellschaft Malerei - Objekt - Installation

Guten Tag!

Bitumen ist klebrig. Bitumen ist schwarz. Bitumen ist das künstlerische Mittel. Bitumen ist universell. Bitumen erstickt. Bitumen läßt außer sich selbst nichts zu. Bitumen kann man nicht essen. Bitumen ist wie Pech. Bitumen ist Anfang und Ende zugleich. Bitumen ist die Antwort auf alle Fragen. Bitumen ist dauerelastisch. Bitumen ist für die Ewigkeit. Bitumen ist ein Monolog. Bitumen läßt dich allein. Bitumen überlagert. Bitumen umhüllt. Bitumen verdeckt. Bitumen überdeckt. Bitumen schließt ein. Bitumen grenzt aus. Bitumen macht alles gleich. Bitumen ist brüderlich. Bitumen ist kein Dialog.

Sascha Büttner im Januar 1997

Affirmation (Detail) Bitumen, Holz Foto: S. Büttner

Affirmation (Detail) Bitumen, Holz Foto: S. Büttner

Affirmation (Detail) Bitumen, Holz Foto: S. Büttner

Affirmation (Detail) Bitumen, Holz Foto: S. Büttner

Affirmation (Detail) Bitumen, Holz Foto: S. Büttner

Affirmationen Bitumen, Holz 3. Zeigung im „Atelier Bratwurst", 1997 Foto: M. Bohl

ZEIT / ORT

Sascha Büttner, 1966 geboren, ist Maler. Man wird ihn der konkreten Kunst zuordnen, obwohl die kühle Akkuratesse, die normalerweise so eine Etikettierung begleitet, ihm eigentlich fernliegt. Zwar macht er mit Arbeiten auf sich aufmerksam, in denen die monochromen Bitumenfelder mit der Geometrie des Trägers ein Auskommen finden, doch die Ungeniertheit, mit der er dem Bitumen Freiheiten gestattet, bis hin zu bewußt einkalkulierten Ungenauigkeiten, verrät Unabhängigkeit. Der Umgang mit glücklich umfunktionierten Trägern, Türblättern und stapelfertigen Holzbrettern, die ihr Herkommen keinesfalls verleugnen, könnte einmal das Gesicht konkreter Strategien ganz allgemein verändern. Abgesehen davon löst er sich immer wieder von der Wand, sucht den Boden auf und findet andere Orte für seine Objekte, die darauf angewiesen sind, von dem Bitumen berührt zu werden. Ein natürlicher, praktischer Sinn verbindet sich mit konzeptionellen Perspektiven und bewahrt ihn vor den Krisen, die an allen Ecken und Enden den ambitionierten Künstlern auflauern. Typisch für Sascha Büttner ist womöglich ein diagonales Prinzip, das durch Gegensatzpaare genährt wird.

Wer Sascha Büttner nur im eingangs beschriebenen Sinne kennt, hat sich in Zürich gewundert.

Eberhard Renser

Affirmation (Detail) Bitumen, Holz Foto: S. Büttner

Affirmation (Detail) Bitumen, Holz Foto: S. Büttner

Affirmation (Detail) Bitumen, Holz Foto: S. Büttner

Affirmation (Detail) Bitumen, Holz Foto: S. Büttner

Affirmation (Detail) Bitumen, Holz Foto: S. Büttner

Affirmation (Detail) Bitumen, Holz Foto: S. Büttner

An der Leinwand Santa Barbara, 1994 Fotobearbeitung: Sascha Büttner

Bei einem Glas Bier Foto: Unbekannt

ERINNERUNG, DETAIL (1997)

Es begann damit, daß ich Dreck, vermengt mit Pigment und Öl, auf eine Leinwand schleuderte. Später nahm ich Topferde. Oder Sand. Auch schleuderte ich nicht mehr, ich spachtelte die Masse auf die Leinwände. Ein andermal nahm ich furniertes Sperrholz als Farbträger. 1996 spachtelte ich mit einer Spachtel und reiner Ölfarbe drei Parallelen auf eine Leinwand. Im gleichen Jahr spaltete ich einen Hackklotz in genau zwei Teile. Tags zuvor blätterte ich schnell ein Buch über die Mafia durch und entdeckte verschiedene Diagramme. Die Schaltschemata habe ich aus einem Buch, das 1986 erschien. In der Schule kritzelte ich mit Eddings wirre Linienmuster an die Innenseiten der Klotüren. Im Frühjahr dann malte ich viele Parallelen auf ein Blatt Papier. Danach malte ich monochrome Bilder. Hin und wieder fotografiere ich. 1997 schmolz ich Bitumen direkt auf einer Herdplatte. Gestern warf ich einiges in die Luft und ließ es ungestört zu Boden kommen. Zuvor sagte ich, daß Bitumen die Antwort auf alle Fragen sei.

Aufgezeichnet von Gerd Selant, 1997

Affirmationen Bitumen, Holz Detail aus „Der Künstler an seinem Arbeitsplatz" Galerie Walpodenstraße 21, Mainz, 1999 Foto: B. Reuss

Affirmation (Detail) Bitumen, Holz Foto: S. Büttner

Affirmation (Detail) Bitumen, Holz Foto: S. Büttner

Affirmation (Detail) Bitumen, Holz Foto: S. Büttner

Affirmation (Detail) Bitumen, Holz Foto: S. Büttner

Affirmation (Detail) Bitumen, Holz Foto: S. Büttner

BIOGRAF

Allgemeines:

1966: geboren in Wiesbaden, lebt und arbeitet dort

1988: Gründung der Foto-und Künstlergruppe "Fishing for Kompliment"

1992: Gründung des Noise-Trash-Ensembles "Blutiger Mischwald"

1993 - 1995: Zusammenarbeit mit dem Rauenthaler Theaterforum

1994: Einrichtung eines Ateliers mit FfK und Freunden ("Atelier Bratwurst")

1995: Gründung des "Laboratoriums", des Experimental-Clubs im Kulturzentrum Schlachthof, Wiesbaden

1997: Gründung des Labels TriTraTrotz Records

1998: Gründung des Projektes "Octopusweb" (Internetaktion), Gründung von "Nepomuc" (Soundprojekt mit Bo Lee)

Ausstellungen und realisierte Projekte:

1992:

"Wir über uns" und "Hyperrealistische Komposition No 1", Wiesbaden (FfK)

1993:

"Hyperrealistische Komposition No 2", Wiesbaden (FfK)

"Hyperrealistische Komposition No 3", Wiesbaden (FfK)

"Gehen + Einkaufen" - Entwurf für ein Fotobuch

1994:

Reise durch den Südwesten der USA mit FfK, Bilder mit der Camera Obscura

"Hyperrealistische Komposition No 4 -Joseph Beuys Gedächtnisraum", Atelier Bratwurst, Wiesbaden (FfK)

1995:

"Hyperrealistische Komposition Nr. 5, Allee", Fotoinstallation für den öffentlichen Raum, Wiesbaden (FfK)

"48h kunst-los", Wiesbaden (G)

"1. Zeigung", Atelier Bratwurst, Wiesbaden (G)

1996:

"Hyperrealistische Komposition No 5a -Wir machen Wirklichkeit wirklich", Fotoinstallation am Museum Wiesbaden (FfK)

"2. Zeigung", Atelier Bratwurst, Wiesbaden (G)

1997:

"3. Zeigung", Atelier Bratwurst, Wiesbaden (E)

"Bitumenschmelze 1, aktiv/inaktiv", Schlachthof Wiesbaden (E)

"Hyperrealistische Komposition Nr. 5b - Karlsaue - Kassel", Fotoinstallation für den öffentlichen Raum, Kassel (FfK)

"making beautiful musik" CD, Blutiger Mischwald

"novemberausstellung", Wiesbaden (G), Katalog

1998:

"Schichtungen", FORUM, Wiesbaden (E)

"48 stunden dingestüm", Schlachthof Wiesbaden (G), Katalog

"Fotomorphosen, 6. Wandlung", Fa. Grüner Wohnen (FfK)

"Hyperrealistische Komposition Nr. 8", Kunsthaus Wiesbaden (FfK)

1999:

"+8", Kunsthaus Wiesbaden (G)

"Schalter Nr. 1", FORUM Wiesbaden (mit Jancsó, Bode, Theusing)

"Renovierung", FORUM Wiesbaden (G)

"Wiesbadener Raum", Büchergilde Wiesbaden, (E)

"Der Künstler an seinem Arbeitsplatz", Galerie Walpodenstr. 21, Mainz (AB)

DIE GESCHICHTE BEGINNT JETZT

FfK (Fishing for Kompliment) war und ist eine der einflussreichsten Künstlergruppen im Wiesbadener Raum. Durch zahlreiche Aktionen, Interventionen und Beeinflussung von Dritten wurde FfK zum Inkubator einer vielfältigen Kunstproduktion.

LAND ART

Sascha Büttner ist ein Künstler, der in der Natur vorkommende Materialien zur Erstellung seiner meist schnell vergänglichen Werke einsetzt und diese mit Hilfe seiner Freunde dokumentiert. Er gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Nicht-Natur-Kunst, einer Variante der Land Art.

Sascha Büttners Arbeiten zeichnen sich durch ihre Vergänglichkeit aus. Er arbeitet ausschließlich mit Bitumen.

Eine seiner wichtigsten Arbeiten war die Asphaltierung einer Böschung in der Wiesbadener Mülldeponie.

2001 wurde Büttner mit dem KABAL-Preis ausgezeichnet.

Am Küchentisch Foto: B. Reuss

Der Natur ihr Geheimnis entlocken Performance Köln, 1985 Fotobearbeitung: Sascha Büttner

DER NATUR IHR GEHEIMNIS ENTLOCKEN

Performance bei Köln, 1985

1985 verwendete Büttner erstmals den Titel "Der Natur ihr Geheimnis entlocken". Die Performance fand bei Köln auf einem Acker statt. Am Feldrand schlug Büttner einen Pfahl, dessen oberes Ende von einem Rad geziert wurde, in den Boden. Danach befestigte er eine feste Kordel am Pfahl und ging an das rechte äußerste Ende des Feldes, trieb dort einen Eisenstab in den Boden und befestigte das andere Ende der Kordel. So ging es Stunde um Stunde, bis, dem Betrachter nicht ganz einsichtig, etliche Punkte mit dem als "Urrad" titulierten Pfahl am Feldrand verbunden waren. Zum Abschluss drehte Büttner mehrere Male das Rad, so daß die Kordeln zu reißen drohten und ging wortlos. Zurück blieben etliche verstörte Beobachter.

Die Arbeit verrichtete Büttner sehr ernst und schweigend. Nach einiger Zeit konnte man, so einige Beobachter, Schweiß auf der Stirn von Büttner sehen.

Feld Erde Saat