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Weihnachtsfunkeln überall. DAS FEST DER LIEBE MIT DER AUTORIN VON ›DIE SOMMERFRAUEN‹, ›SOMMERPRICKELN‹ UND ›SOMMER IM HERZEN‹ ***Bestseller-Garantie: der zweite Weihnachtsroman von Mary Kay Andrews*** Eloise Foley liebt die Weihnachtszeit von ganzem Herzen. Dieses Jahr soll es besonders schön werden, denn ihr Traummann Daniel will sie ausgerechnet am 24. Dezember vor den Altar führen. Die Antiquitätenhändlerin ist überglücklich. Doch als der große Tag näher rückt, ist an Besinnlichkeit nicht mehr zu denken: Das Brautkleid – passt nicht. Die Trauzeugin – steht kurz vor der Entbindung. Der Zukünftige – wird mit einer heißen Italienerin in New York gesehen. Wird es an Weihnachten nun doch nicht das langersehnte Fest der Liebe geben? GROSSE GEFÜHLE und der ZAUBER VON WEIHNACHTEN liegen in der Luft.
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Seitenzahl: 336
Mary Kay Andrews
Winterfunkeln
Roman
FISCHER E-Books
Eine Woche vor Weihnachten – »Jean Eloise Foley!« Marian Foley zupfte energisch am Stoff des elfenbeinfarbenen Spitzenkleides. »Wie soll ich dieses Kleid abstecken, wenn du keine fünf Minuten stillstehen kannst?«
Ich drehte mich um und schaute über die Schulter zu meiner Mama, die verdrossen zu mir aufblickte. Ich stand auf einem ziemlich wackeligen Küchenhocker, und das in High Heels.
Die Lautstärke des roten Plastikradios, das, solange ich denken konnte, auf der grünen Arbeitsplatte stand, war runtergedreht. Trotzdem hörte ich, wie Brenda Lee angestrengt Jingle Bell Rock sang und mein Handy neben dem Radio ein verräterisches Bling-Bling von sich gab.
»Mama«, flehte ich. »Das muss eine SMS von Daniel sein. Können wir nicht kurz Pause machen, damit ich mir das Telefon holen kann?«
»Beweg dich nicht«, nuschelte Mama, einen Haufen Stecknadeln fest zwischen die Lippen geklemmt. »Keinen Zentimeter. Wir müssen dieses Kleid heute passend abstecken. Keine weiteren Ausreden! Wir hinken bereits unserem Zeitplan hinterher, und wenn ich das Kleid nicht heute Nachmittag zuschneide, wirst du im Slip heiraten müssen.«
»Daniel würde das sicher gefallen.« Sehnsüchtig sah ich zu meinem Telefon, das nur ein paar Schritte von mir entfernt auf der Arbeitsplatte der Küche lag. »Ich muss unbedingt wissen, wie es gestern Abend im Cucina Carlotta gelaufen ist. Man hat gemunkelt, dass der Restaurantkritiker der New York Times vorbeischauen wollte.«
»Und wenn der Papst persönlich dort gegessen hätte«, sagte Mama. »Daniel Stipanek kann warten, bis er an der Reihe ist. Überhaupt, hat der dich gestern Abend nicht angerufen?«
»Nein«, gab ich zu. »Er hat so unglaublich viel zu tun, dass ihm kaum eine Minute zum Reden bleibt. Also simsen wir.«
»Wie albern«, sagte Mama naserümpfend. »Ich verstehe einfach nicht, wieso ihr nicht einfach das Telefon nehmen und wie normale Leute miteinander kommunizieren könnt. Dieser ganze SMS-Unsinn ist und bleibt mir fremd.«
»Obwohl er fast seit drei Wochen dort oben ist, arbeitet er immer noch bis zu achtzehn Stunden am Tag. Er hat mich vorgewarnt, dass es so werden würde. New York ist nicht wie Savannah. Er sagt, das Tempo dort ist doppelt so hoch, und die Küche ist zweimal so groß wie die hier im Guale. Das Cucina hat achtzig Plätze – stell dir das mal vor! Den Großteil seiner wachen Zeit verbringt er inmitten der Angestellten zwischen Töpfen und Pfannen. Da würde jeder unsere Privatgespräche mithören. Außerdem ist es nur noch für eine Woche. Dann kommt er nach Hause, und am Heiligabend wird geheiratet. Danach wird das Leben wieder ruhiger, bis wir in die Flitterwochen nach Paris fahren.«
»Bist du dir sicher, dass er nach der Hochzeit nicht oben in New York bleiben will? Savannah wird ihm im Vergleich wie das letzte Kuhdorf vorkommen«, warnte Mama. »Und dann zieht ihr beide für immer in den Norden.«
»Daniel will nicht für jemand anderen arbeiten – selbst wenn Carlotta Donatello das coolste und angesagteste Restaurant von New York gehört. Ich hab dir doch schon gesagt, dass er nur ein Gastkoch ist. Es ist eine Art PR-Gag. Ms Donatello hat sechs verschiedene Köche aus dem ganzen Land eingeladen, einen Monat lang ihre Küche zu leiten und Menüs aus ihren Regionen zu kreieren. Es ist eine große Ehre, dass sie von allen Köchen aus den Südstaaten ausgerechnet Daniel ausgesucht hat. Und es ist eine erstklassige Werbung für das Guale.«
»Wenn du es sagst«, entgegnete Mama, aber ihre Miene verriet, dass ihr allein der Gedanke suspekt war, ihr einziges Kind könnte in die Wildnis der »nördlichen Eiswüste«, wie sie es nannte, entführt werden.
»Ich versichere es dir. Wenn du mir jetzt mein Telefon geben würdest …«, beschwatzte ich sie, »… könnte ich herausfinden, wie es gestern Abend gelaufen ist.«
Ohne auf die Bitte einzugehen, steckte Mama fünf weitere Zentimeter Spitze am rechten Seitensaum des Kleides fest.
»Autsch!«, heulte ich auf. »Das war meine Hüfte, die du gerade erwischt hast.«
Jethro, mein schwarzer Labradormischling, der unter dem Tisch der Essecke faulenzte, hob die Schnauze und ließ ein kurzes, warnendes Bellen hören.
»Sei still!«, sagte Mama und warf meinem Hund einen vernichtenden Blick zu. »Und du, Eloise, hör auf, so herumzuzappeln, und benimm dich nicht wie ein Baby!« Sie stieß einen langen, gequälten Seufzer aus. »Ganz ehrlich, ich weiß nicht, warum du nicht einfach ins Einkaufszentrum gehst und dir ein hübsches Kleid kaufst wie jede andere Frau in diesem Land. Dieses alte Ding ist viel zu groß für dich. Du gehst darin ja regelrecht unter. Es wird nicht einfach werden, diesen Rock mit der Spitzenborte am Saum zu kürzen. Ich muss den Rock von der Taille abnehmen und ihn dort kürzen. Genauso die Ärmel. Bei mir waren sie dreiviertellang, aber bei dir reichen sie fast bis an die Handgelenke.«
»Verdammt, Mama!«
Sie raffte den Stoff an der anderen Seite und steckte ihn ab. Dieses Mal, ich schwöre es, nahm sie mir Blut ab.
»Tut mir leid«, murmelte Mama. »Ich hab dir doch gesagt, du sollst stillstehen.«
»Ich stehe still. Und ja, ich weiß, dass es viel Arbeit ist, aber ich habe immer davon geträumt, in Grandmas Kleid zu heiraten. Ich könnte tausend Dollar ausgeben und würde trotzdem keins finden, das mir so viel bedeutet.«
»Und warum hast du es dann nicht beim ersten Mal getragen?«, fragte Mama.
Ich zuckte zusammen. Mama hatte sich nie völlig vom Ende meiner ach so märchenhaften Ehe mit Talmadge Evans dem Dritten, Spross einer alteingesessenen, hochangesehenen Familie Savannahs, erholt. Die Verbindung hatte jedoch ein jähes Ende genommen, nachdem Tal mich mit einer dunkelhaarigen Giftnudel betrogen hatte, die in seinem Architekturbüro arbeitete. Mit Caroline DeSantos hatte es allerdings ebenfalls ein böses Ende genommen – sie war von einer Rivalin ermordet worden.
»Damals war ich erst zwanzig und ziemlich dumm«, sagte ich. »Tals Mutter hat mich einer Gehirnwäsche unterzogen und mir eingetrichtert, dass seit fünf Generationen jede Evan-Braut das Familienkleid trägt. Alles wurde von ihr bestimmt: Kleid, Kirche, Freunde. Dieses Mal entscheiden Daniel und ich allein, wie unsere Hochzeit aussehen soll.«
Marian trat einen Schritt zurück und begutachtete ihr Werk. »Dennoch bleibt festzuhalten, dass es sich nicht gehört, ein weißes Kleid bei der zweiten Hochzeit zu tragen.«
Ich plusterte den bauschenden Tüllrock auf. »Es ist nicht mehr weiß. Es ist eher buttercremefarben. Wenn es nach Daniel ginge, würden wir ohnehin in Flipflops und Shorts draußen am Strand von Tybee heiraten. Aber er ist kein Spielverderber und hat der kleinen Zeremonie bei mir zu Hause in Charlton zugestimmt. Außerdem weiß er, wie viel es mir bedeutet, das Kleid zu tragen, das du und Grandma schon anhattet.«
»Hmpf«, machte Marian. »Jetzt wirst du albern und sentimental.«
Marian Foley durfte man mit Sentimentalitäten nicht kommen. Sie kaufte ihre Möbel und Kleidung gerne neu im Geschäft, trank ihren Kaffee schwarz und liebte ein nettes, geordnetes Leben. Ich hingegen war schon immer das genaue Gegenteil davon gewesen. Nachdem ich viele Jahre davon geträumt hatte, verdiente ich daher auch meinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Antiquitäten, was meine Mutter »den Müll anderer Leute verramschen« nannte.
Ich strich mit den Händen über den Spitzenbesatz des cremefarbenen Satinmieders. Als ich klein war, hatte meine Großmutter mir oft die Geschichte erzählt, wie sie mit dem Zug von Savannah nach Atlanta gefahren war, um in Rich’s Kaufhaus Stoff und Spitze für ihr Hochzeitskleid zu kaufen. Das Kleid war ein echtes 50er-Jahre-Modell mit schulterfreiem U-Boot-Ausschnitt und enganliegender, geraffter Taille, das sich von der Hüfte abwärts zu einem wadenlangen Rock aus kunstvoll bestickter Spitze und mehreren Lagen Tüll aufbauschte.
»So, geschafft, steig vom Stuhl und zieh es aus«, befahl Mama. »Ich will heute Nachmittag noch mit den Änderungen anfangen.«
Sie half mir, die winzigen, mit Satin überzogenen Knöpfe zu öffnen, als die Küchentür geöffnet wurde und mein Daddy, noch in Pyjamahose und Hausschuhen, langsam in die Küche schlurfte und erwartungsvoll in der Luft schnupperte.
Er küsste mich auf den Scheitel. »Marian, wann gibt es Mittagessen?«, fragte er klagend. »Ich habe ziemlichen Hunger.«
»Joe, Schatz, du weißt doch, dass du erst vor einer Stunde zu Mittag gegessen hast«, erwiderte Mama und verdrehte die Augen. »Erinnerst du dich? Es gab getoastetes Käsesandwich und eine Tomatensuppe und als Dessert ein paar von den Weihnachtskeksen, die Eloise dir mitgebracht hat.«
Daddy rieb sich über die grauen Kinnstoppeln. »Ich habe schon gegessen?«
»Aber ja doch«, sagte ich. »Du hast sogar noch die zweite Hälfte von meinem Sandwich gegessen.«
»Oh, dann ist es ja gut«, sagte er. Er musterte mich von Kopf bis Fuß, und ein liebevolles Lächeln ließ sein Gesicht erstrahlen. »Herzchen, du siehst wirklich hübsch aus in diesem Kleid. Gehst du auf eine Party?«
Mama wurde blass, und auf ihren Wangen bildeten sich zwei hellrote Flecken. »Du weißt doch, dass Eloise in einer Woche heiratet. Wir ändern gerade mein Hochzeitskleid. Eloise wird es tragen, wenn sie Heiligabend Daniel heiratet. Erinnerst du dich? Wir reden doch schon seit Monaten davon.«
Daddy wurde grantig. »Das weiß ich, Marian. Glaubst du, ich wüsste nicht, dass meine eigene Tochter heiratet? Sie heiratet diesen Jungen aus dem Restaurant. Sein Name ist … irgendetwas mit D. Du sollst mich nicht immer wie ein Kind behandeln, Marian.«
»Entschuldigung«, besänftigte Mama ihn.
»Er heißt Daniel«, erinnerte ich. »Daniel Stipanek.«
»Verdammt richtig«, murmelte Daddy. Er drehte sich um und schlurfte aus der Küche. Die abgetragenen Lederschlappen schleiften über das Linoleum mit dem Schachbrettmuster.
Ich wartete, bis er vollkommen außer Hörweite war. »Mama, wie lange ist Daddy schon so?«
»Was meinst du mit ›so‹?« Stirnrunzelnd schaute Marian am Kleid herunter. »Ich glaube, ich muss die Seitensäume noch einmal abstecken, ehe ich sie endgültig zuschneide.«
»Na, so wie eben«, sagte ich und deutete auf die Tür, durch die mein Vater gerade verschwunden war. »Mama, jetzt tu doch nicht so, als hättest du es nicht gemerkt! Daddy erinnert sich nicht mehr daran, dass er schon zu Mittag gegessen hat. Er wusste nicht, warum ich dein Hochzeitskleid trage oder wie mein Zukünftiger heißt.«
»Mit ihm ist alles in Ordnung. Er ist nur ein bisschen vergesslich, mehr nicht. Du wirst auch ein paar Dinge vergessen, wenn du fast achtzig bist.« Sie zog mir das Kleid über den Kopf und legte es über die Rückenlehne eines Küchenstuhls.
»Ich glaube, es ist mehr als das«, sagte ich sanft. »Er hat sich heute nicht einmal rasiert. Das passt doch gar nicht zu ihm. Früher hat er sich manchmal zweimal am Tag rasiert, besonders, wenn ihr Besuch erwartet habt. Und Pyjamahose und Hausschuhe am Nachmittag?«
»Würdest du bitte damit aufhören!« Mamas Stimme war schrill. »Es ist Samstag. Da schläft er eben gerne länger. Er hat vierzig Jahre auf dem Postamt geschuftet, und jetzt, wo er Rentner ist, hat er sich ein bisschen Ruhe verdient. Musst du da gleich eine Staatsaffäre draus machen?«
»Nein«, lenkte ich ein und wusste, dass das Thema vom Tisch war. »Du hast recht, vermutlich ist alles in Ordnung mit ihm.« Ich griff zum Telefon und las die SMS.
»Ist sie von Daniel?«, fragte Mama. »Wie war es gestern Abend?«
»Sie ist von Julio, einem von Daniels Köchen. Er wollte mich nur daran erinnern, dass wir heute Nachmittag das Essen für den Empfang probieren.« Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie enttäuscht ich war, dass Daniel sich noch nicht gemeldet hatte. »Besser, ich fahre gleich mal rüber.«
»Dann mal los«, sagte Mama. Sie nahm das Kleid und begann, eine Nadel einzufädeln.
»Mama, hör zu«, sagte ich und setzte mich auf den Stuhl neben sie. »Du hast recht. Es ist nicht fair, dir so viel Arbeit aufzuhalsen. Ich werde jemanden engagieren, der das Kleid umnäht.«
»Nein!«, schrie Mama entsetzt. Unvermittelt umklammerte sie das Kleid mit beiden Händen. »Ich mach das. Für dich. Ich will nicht, dass ein Fremder das Kleid deiner Großmutter zerschneidet.«
»Also gut.« Ich pfiff kurz, und Jethro kam unter dem Tisch hervorgekrochen und trottete zur Küchentür. Rasch umarmte ich meine Mutter. »Ich melde mich später bei dir. Sag Daddy auf Wiedersehen von mir.«
»Vergiss nicht, die Leute im Restaurant daran zu erinnern, dass sie auf dem Büfett Platz für meinen Obstkuchen lassen sollen«, rief Mama mir nach. »Zu dieser Jahreszeit freut sich doch jeder darauf.«
Sich darauf freuen? Fürchten traf es besser. Mamas Obstkuchen waren in Savannah berüchtigt: Sie waren schwerer als ein Betonklotz, trockener als Sägemehl und gespickt mit seltsam kandierten Früchten in Farben, die in der Natur nicht vorkamen. Jedes Jahr zu Weihnachten tauchten die Kuchen auf den Türschwellen von Verwandten und Freunden auf, eingewickelt in Alufolie und verschnürt mit recycelten Schleifen, die Mama ihr Leben lang gesammelt hat. Ich hätte meine neue Terrasse mit den Blöcken der Obstkuchen pflastern können, die sie mir im Laufe der Jahre geschenkt hatte. Stattdessen dankte ich ihr jedes Jahr höflich für den Kuchen und warf ihn umgehend und unberührt in den Müll. Selbst Jethro war klug genug, sich nicht darüber herzumachen.
Der Ansturm samstäglicher Lunchgäste hatte sich gelegt. Julio stand mit seiner makellos weißen Kochjacke und dem ordentlich um den Hals geknoteten hellblauen Tuch an einem Tisch gleich neben der Küchentür. Stolz deutete er auf die aufgereihten Speisen vor uns. »Ich hoffe, du hast Hunger.«
Meine Augen wurden groß. Vor mir reihten sich mindestens ein Dutzend Platten und Schüsseln auf. »Grundgütiger! Ich dachte, Daniel wollte nur ein paar Appetithäppchen beim Empfang.«
Julio zuckte die Achseln. »Wir sind das beste Restaurant in Savannah. Ja sogar im Südosten der USA. Eure Gäste erwarten etwas mehr als ein paar Schüsseln mit gekochten Shrimps und eine Handvoll Käsewürfel. Daniels Anweisung war eindeutig, und die lautete: ›Überwältige sie.‹«
»Ich verstehe, was du meinst.« Ich griff zur Gabel. »Erzähl mir, was ich da probiere.«
»Fang mit den heißen Sachen an«, sagte Julio. »Die Mini-Krabben-Plätzchen haben wir gerade aus dem Ofen geholt. Und das hier ist eine neue Remoulade, die ich kreiert habe.«
Pflichtschuldig knabberte ich an dem Gebäck und nickte anerkennend. Er fuhr fort, die verschiedenen Gerichte aufzuzählen. »Rinderfilet auf Hefeteig mit Meerrettichcreme. Hühnchen-Satay. Lachs-Tatar in Maismehlschalen, Baby-Lammkoteletts mit Kirsch-Balsamico-Soße, Schweinefilet mit Cranberry-Feigen-Kompott …« Julio reichte mir einen Teller und füllte ihn mit weiteren Häppchen. »Süße Kartoffelpuffer. Russisches Ei mit Kaviar, Frischkäse mit Kichererbsen, Maisgrütze und Tarte mit Blattgemüse …«
»Das reicht«, stöhnte ich nach unzähligen Bissen. »Im Ernst, Julio. Es sieht alles göttlich aus und schmeckt himmlisch, aber ich krieg keinen einzigen Krümel mehr runter.«
Er verzog lächelnd das Gesicht. »Aber du hast die Desserts noch nicht probiert. Meine Käsetörtchen, den Brotpudding mit Whiskey …«
»Und vergiss nicht Marian Foleys Obstkuchen«, fügte ich hinzu und zog eine Grimasse.
»Was ist das?«
»Egal. Wenn wir hier fertig sind, schaue ich kurz in Daniels Büro nach, ob es wichtige Post gibt, und flitze auch gleich weiter.«
Er folgte mir durch die Schwingtüren in die Küche, und ich wollte gerade in Richtung der umgebauten Besenkammer verschwinden, als etwas am Schwarzen Brett meinen Blick auf sich zog. Ich blieb stehen. Es war der Computerausdruck eines Zeitungsausschnitts, der vergrößert und mitten unter die Fotos der Mitarbeiter, die neuesten Restaurantkritiken und Dankeskarten von zufriedenen Stammkunden gepinnt worden war.
Bei dem Zeitungsausschnitt handelte es sich um die Klatschspalte der New York Post. Was meine Aufmerksamkeit gefesselt hatte, war das Foto einer gertenschlanken, dunkelhaarigen Schönheit in tiefausgeschnittenem Paillettenkleid. Besagte Schönheit hatte die Arme um einen mir nicht unbekannten gutaussehenden Koch geschlungen, der in seinem schwarzen Smoking glänzte. Die Schönheit lächelte den Koch mit einem lüsternen Gesichtsausdruck an. Als hätte sie gerade ein Geschenk unter dem Tannenbaum gefunden und könnte es gar nicht abwarten, es auszupacken. Und der Koch? Zu seiner Ehre sei gesagt, dass Daniel Stipanek eher erschrocken wirkte. Oder müde.
Aber er sah nicht annähernd so erschrocken aus, wie ich in diesem Moment war. Das Foto war mit einem dicken, roten Marker eingekreist, und an den Rand hatte jemand gekritzelt: »Unser Boss auf Reisen«. Ich trat näher heran, damit ich die Bildunterschrift lesen konnte.
Der neueste Leckerbissen von Carlotta Donatello, der Eigentümerin des Cucina Carlotta, ist kein Italiener – es ist Daniel Stipanek, der aus Savannah stammende Gastkoch in Donatellos angesagtem neuen Downtown-Restaurant. Die lebenslustige Erbin gab diese Woche eine mit Prominenten gespickte Party für ihn.
Ich stand da und starrte das Foto an. Das sollte Daniels derzeitige Chefin sein? Als er verkündete, er habe ein Angebot als Gastkoch, hatte ich ihn ermutigt und mir Carlotta Donatello als kleine, pummelige italienische Nonna vorgestellt, mit weißem Dutt, Damenbart, dicken Brillengläsern und vernünftigen schwarzen Schnürschuhen. Ich hatte eine ältere Frau mit mehlbestäubter Schürze vor Augen gehabt, die drohend den Kochlöffel schwang.
Die echte Carlotta Donatello war ganz offensichtlich niemandes Oma. Sie war schätzungsweise Mitte dreißig, hatte eine wallende, glänzende Mähne und riesige Rehaugen mit langen Wimpern, die auf dem Foto sehnsüchtig auf meinen Verlobten geheftet waren. Außerdem presste sie ihr großzügiges Dekolleté direkt an Daniels Brust. Ich spürte, wie mein Gesicht zu brennen anfing.
Natürlich merkte Julio, dass mir das Bild aufgefallen war. Er riss den Zeitungsausschnitt vom Schwarzen Brett und zerknüllte ihn in der Hand. »Kümmere dich nicht darum«, sagte er. »Ella hat das aufgehängt. Sie kommt aus New York und liest diese Zeitungen immer online.«
»Aha«, sagte ich. »Interessant.«
Er machte unbeholfenen Smalltalk, während ich die Post durchsah, aber seine Worte waren verlorene Liebesmüh. Ich bekam das Bild von Carlotta Donatello nicht aus dem Kopf. Das sexy Cocktailkleid, diese Pose, bei der sie die Arme um Daniel schlang. Und dann Daniel! In einem Smoking. Soweit ich wusste, besaß er gar keinen Smoking. Und eine Party? Er hat nie ein Wort über irgendeine Party verloren. Allerdings hatte ich auch seit zwei Tagen nicht mehr mit ihm gesprochen. Und jetzt wusste ich, warum. Er war offensichtlich beschäftigt, der lebenslustige Koch.
Mein Magen rumorte. Möglicherweise waren dies die Folgen des reichhaltigen Essens, das ich gerade gekostet hatte. Aber vielleicht war auch die Vorstellung schwer verdaulich, dass mein zukünftiger Gatte von einer reichen, glamourösen, »lebenslustigen Erbin« umarmt wurde.
Ich schäumte noch immer, als ich das Restaurant verließ, doch ich hatte keine Zeit zum Schmollen. Meine Liste mit den Hochzeitsvorbereitungen war ellenlang.
Jeden Moment konnte ein Anruf von BeBe Loudermilk kommen, meiner besten Freundin und Brautjungfer. BeBe war es gewesen, die mich mit Daniel verkuppelt hatte, gleich nachdem sie ihn als Koch für das Guale eingestellt hatte. Für eine ausgefuchste Kupplerin wie BeBe war unsere bevorstehende Hochzeit die ultimative Bestätigung, und sie verlangte, über jedes Detail der Zeremonie in Kenntnis gesetzt zu werden.
Außerdem musste ich unbedingt im Babalu vorbeischauen, dem exklusiven Geschenkartikelladen, den Manny Alvarez und Cookie Parker auf der anderen Seite des Troup Square, gegenüber von meinem eigenen Antiquitätengeschäft, betrieben.
Bisher war ich trotzdem voll im Zeitplan. Das war ich zumindest, bis ich ein knallrosa Plakat entdeckte, das an der Ecke Habersham und 45te Straße an eine Eiche gepinnt war. Das magische Wort HAUSHALTSAUFLÖSUNG sprang mich an wie eine sieben Meter hohe Neon-Werbetafel, obwohl es sich nur um ein A3-Blatt mit Leuchtstift handelte. Ardsley Park war eine meiner Lieblingsgegenden von Savannah, wenn es darum ging, Trödel aufzustöbern.
Ich war schon fast über die Kreuzung, als ich das Plakat sah. Der Pfeil darauf zeigte nach rechts. Keine Zeit, den Blinker zu setzen. Ich bog scharf nach rechts in die 45te Straße Richtung Osten ab und erntete dafür ein wütendes Gehupe des Autos hinter mir.
Der Stadtteil Ardsley Park war um das Jahr 1900 als erster Vorort Savannahs angelegt worden und wies eine interessante Mischung von Häusern auf: Von eindrucksvollen Backsteinvillen im alten Georgia-Stil über klobige Handwerkerhäuschen bis hin zu ordentlichen Backstein-Cottages aus den 1940er und 50er Jahren war alles vertreten. Ein erstklassiges Terrain für Antiquitäten. Und hier gab es nun eine Haushaltsauflösung – keinen privaten Flohmarkt –, was bedeutete, dass Zeug von Verstorbenen verkauft wurde – eine perfekte Quelle für mein Antiquitätengeschäft.
»Entschuldigung«, murmelte ich in Richtung der anderen Autofahrer, als ich langsam die Straße entlangkroch und nach weiteren Zeichen Ausschau hielt, die mich zu dem Haus lotsen sollten, in dem der Verkauf stattfand. Zwei Blocks weiter entdeckte ich in einem überwucherten Vorgarten ein weiteres rosafarbenes Plakat mit der Aufschrift HAUSHALTSAUFLÖSUNG.
Sobald ich vor dem Haus anhielt, spielte mein Trödelradar verrückt, und ich wusste augenblicklich, dass mir die Antiquitätengötter wohlgesinnt sein würden. Das Haus war ein solides Gebäude im Kolonialstil, das allerdings schon bessere Tage gesehen hatte. Im Vorgarten wucherte das Unkraut, die Fenster starrten vor Schmutz. Ein zerdrückter Pappkarton lag im Rinnstein. Das waren alles gute Zeichen, denn in der Trödelbranche waren Vernachlässigung und Verfall normalerweise ein Hinweis auf wahre Schätze.
Jethro, ein erfahrener Trödelspürhund, der selbst aus einem Müllhaufen am Straßenrand aufgelesen worden war, schlug mit dem Schwanz gegen die Ledersitze des Trucks. Lobend tätschelte ich ihm den Kopf. »Guter Junge. Bleib du hier, Kumpel.«
Ich stieg aus dem Truck und stürzte mich auf den Pappkarton im Rinnstein: Er enthielt einen Aluminium-Weihnachtsbaum. Doch als ich einen der Zweige anfasste, zerbröselten die brüchigen Folienblätter zu glitzernden Scherben. Schade. Ich hatte eine unvernünftige Schwäche für kitschige Weihnachtsdeko aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, und Aluminiumbäume standen immer ganz oben auf meiner Will-haben-Liste. Doch dieser hier war ganz offensichtlich ein Opfer von Zeit und Temperatur geworden.
Ich legte die Zweige zurück in den Karton und betrachtete erneut das handgemalte Schild. Es war hastig mit einem schwarzen Filzstift bekritzelt worden und wies die Kaufinteressenten an, um die Ecke hinter das Haus zu fahren. Handgemalte Schilder waren gut, denn das bedeutete, dass der Verkauf nicht von einem Profi geleitet wurde. Ich hatte auch keine Anzeigen für die Haushaltsauflösung auf Craigslist, in den Savannah Morning News oder dem PennySaver gesehen, was hoffentlich bedeutete, dass meine Konkurrenten, andere Händler, sich noch nicht über das Haus hergemacht und mir alle guten Sachen weggeschnappt hatten. Noch besser, der Verkauf hatte erst vor einer Stunde angefangen. Wer setzte bitte eine Wohnungsauflösung für drei Uhr an einem Samstagnachmittag an? Das konnten nur Amateure sein!
Ich ging zurück zum Truck und fuhr hinter das Haus, wo ich ein weiteres vielversprechendes Zeichen entdeckte – einen gewaltigen Schrotthaufen neben den Mülltonnen: alte Pappkartons, kaputte Stühle und Skelette von kaputten Gartenstühlen aus Aluminium, bergeweise Klamotten, teilweise noch in den vergilbten Schutzhüllen aus der Reinigung, sowie – und das war der beste Indikator für eine vielversprechende Haushaltsauflösung – eine ausrangierte Gehhilfe und ein Toilettenstuhl.
Einer erfahrenen Archäologin gleich, entschlüsselte ich rasch die Bedeutung dieser besonderen Ausgrabungsstätte. Dem Alter und dem durchnässten Zustand der Pappkartons nach zu urteilen, hatte jemand einen feuchten Keller, Dachboden oder eine Garage ausgehoben und alles weggeworfen, was alt oder wertlos zu sein schien, einschließlich der Kleidung. Meine Finger zuckten bereits vor Vorfreude. Die faltbaren Gartenstühle waren aus den 60er Jahren und glichen denen bei meinen Eltern in der Garage.
Der Besitzer dieses Hauses war wahrscheinlich schon älter gewesen, was bedeutete, dass seine Habseligkeiten vermutlich ebenso antik waren. Jethro und ich waren über den Heiligen Gral gestolpert, eine echte, richtige Haushaltsauflösung bei Großmutter zu Hause.
Jethro musste meine Aufregung gespürt haben, denn sein Schwanz klopfte wie eine Trommel auf den Beifahrersitz. »Guter Junge, braver Hund«, sagte ich und kraulte ihn unterm Kinn. »Du bleibst hier und passt auf, dass keine anderen Händler kommen.«
Vorsichtig ging ich über den Weg aus unebenen Betonplatten, der durch ein zugewuchertes Ligusterdickicht führte. Die baufällige Veranda sah aus, als sei sie irgendwann in den 70ern an die Rückseite des Hauses geklebt worden.
Eine attraktive Frau in einer schwarzen Nike-Jogginghose und makellosen, hellrosa Lavin-Sneakers saß an einem Gartentisch direkt hinter der Tür. Sie war in den Vierzigern, hatte kurze, dunkle Haare und war tiefgebräunt. Heftig gestikulierend sprach sie in ihr Handy. Der birnenförmige Diamant an ihrer linken Hand sah nach mindestens drei Karat aus, und die Diamantohrringe, die an ihren Ohren funkelten, brachten es auf gut zwei Karat pro Stück. Wenn sie das beim Tennis trug, wollte ich nicht wissen, welchen Schmuck sie zum Einkaufen im Supermarkt anlegte.
»Gehen Sie ruhig hinein«, sagte sie mit einem kultivierten Akzent, der auf ein Leben zwischen Studentinnenvereinigung und Begrüßungscocktails hindeutete. Sie hielt das Telefon vom Gesicht weg. »In jedem Raum sind noch Sachen, die Preise sind Verhandlungssache. Bis zum Abend muss ich den Schrott los sein. Die Baufirma fängt Montag an, das Haus zu entkernen.« Sie rümpfte ihre elegante Nase. »Sie müssen die Unordnung entschuldigen. Wegen ihres Herzfehlers ist meine Großtante Edith in den letzten Jahren nicht mehr mit der Hausarbeit hinterhergekommen.«
Ich betrat das Haus und die 1960er Jahre. Die Küche war eher klein, ausgestattet mit rostigen Metallschränken, die in demselben hellrosa Farbton gestrichen waren, den auch die Wände und der Linoleumfußboden hatten. Großtante Edith musste eine Schwäche für Rosa gehabt haben. Alle Schubladen und Schranktüren standen einen Spaltbreit offen. Ich nahm einen Teller aus dem Schrank neben dem Spülbecken. Es war ein ungemein beliebtes Muster aus den 60ern, Franciscan’s Apple Blossom, natürlich mit rosa Apfelblüten. In dem Stapel befanden sich zehn Teller, aber jeder war angeschlagen. Leider. Ansonsten weckte nichts in der Küche mein Interesse, also wanderte ich durch die Schwingtüren ins Esszimmer, wo ich auf bessere Jagdbeute hoffte.
Die Sonne schien schwach durch die jetzt nackten Fenster. Die Fußböden waren ebenfalls nackt, und meine Schritte hallten in dem hohen Raum wider. Ein verstaubter Kristall-Kronleuchter hing direkt über dem Esstisch, doch es funktionierte nur noch eine Birne.
Bei den Esszimmermöbeln handelte es sich um die vorhersehbaren Empire-Nachbildungen in Mahagoni aus der Möbelstadt Grand Rapids. Auf dem mit einer schweren Damasttischdecke bedeckten Tisch waren Geschirr, Kristall und Silber aufgebaut. Ich schnappte mir zwei kunstvoll verzierte, silberne Kerzenhalter, an denen ein Preisschild über $ 5 aus Krepppapier klebte. In einer Sterling-verliebten Stadt wie Savannah würde ich vermutlich nicht viel daran verdienen, aber sie gefielen mir, und das genügte.
Großtante Ediths »gutes« Porzellanservice war ganz hübsch, mit zierlichen rosa Rosen und wirbelndem Goldrand, aber ich verkaufte nur selten solch betuliches Kaffeekränzchen-Porzellan oder Kristall.
Mein Blick fiel auf eine riesige, vergilbte Pappschachtel mit den bekannten grünen Zeichnungen an den Seiten, und ich spürte den vertrauten Nervenkitzel. Der ruinierte Weihnachtsbaum im Rinnstein hatte in mir alle Hoffnung geweckt, dass ich vielleicht ein paar alte Weihnachtsdeko-Artikel finden würde.
Die Trödelgötter waren mir gewogen. Es handelte sich um eine alte Shiny-Brite-Weihnachtsschmuckschachtel mit zwölf Fächern für Glasschmuck. Doch sie war mit vielleicht drei Dutzend Teilen vollgestopft, die man nachlässig in den spröden Pappkarton geworfen hatte.
Ich bewunderte die wunderschönen Pastellfarben und komplizierten Designs, während ich vorsichtig jedes Stück zur Begutachtung herausnahm. Es gab kleine Figürchen wie grinsende Schneemänner, Weihnachtsmänner, Engel und Rentiere; ferner gab es eiförmige und tropfenförmige Silberglasgehänge in meinen Lieblingsfarbtönen Rauchrosa, Türkis und verblichenem Gold sowie ein ganzes Orchester aus Miniaturinstrumenten aus Goldglas.
Der Zierrat war offensichtlich lange in Gebrauch gewesen. Bei manchen Teilen fehlte die kleine Metallkappe mit den Haken, um sie an den Baum zu hängen, einige der versilberten und vergoldeten Stücke waren matt geworden, und bei mindestens einem Rentier fehlte das Geweih. Doch das war mir egal. Es war eine entzückende Sammlung. Das Preisschild aus Malerkrepp besagte: »Alter Weihnachtsschmuck. Sehr selten. $ 40.«
Auf einem der Esszimmerstühle lag ein hoher Stapel ordentlich gestärkter und gebügelter Tischwäsche. Ich durchstöberte den Stapel und legte ein Dutzend Bankettservietten aus Damast beiseite. Ich fand außerdem ein weiteres Dutzend Cocktailservietten aus Leinen mit kecken, rot-gelben aufgestickten Hähnen an den Ecken sowie ein hinreißendes Set mit bestickten Wochentagsgeschirrtüchern. Jedes wies ein anderes Design aus den 40er Jahren auf.
Miss Ediths Nichte wusste offenkundig nichts über alte Wäsche. Sie hatte das Bündel Damastservietten mit $ 2 und die Cocktailservietten mit $ 1 ausgezeichnet, weil sie vergilbt und vom Alter rostfleckig geworden waren. Aber ich wusste, dass diese wunderschönen alten Stoffe nach einer gründlichen Behandlung mit Wäschebleiche und dem energischen Einsatz von Fleckenmitteln wieder so strahlend weiß sein würden wie an dem Tag, an dem sie verkauft worden waren. Und dann konnte man sie mindestens für das Zehnfache verkaufen. Nicht, dass ich das vorgehabt hätte. Ich hatte eine so große Schwäche für alte Wäsche, dass meine beste Freundin BeBe mich liebevoll ›Leinenluder‹ nannte.
Von den Geschirrtüchern hatte ich vor zwei Monaten ein ähnliches Set bei eBay verkauft, für $ 40. Laut Preisschild sollte dieses Set hier $ 1 kosten. Bingo! Ich stopfte die Wäsche in meine Einkaufstasche, als mir auffiel, dass alle Stücke ein Monogramm trugen: ein langes, verschnörkeltes S.
Ich seufzte glücklich. Ich hatte während meiner ersten Ehe Tals Namen nicht angenommen, was eine Quelle endloser Enttäuschungen für unsere Mütter gewesen war. Und auch jetzt, wo ich mit Mitte dreißig Daniel Stipanek heiratete, hatte ich vor, meinen Mädchennamen zu behalten. Dennoch war ich traditionsverliebt genug, dass mir die Vorstellung gefiel, den Tisch für eine Dinnerparty mit Tischzeug zu decken, das mit dem Initial meines neuen Mannes verziert war.
Der Geschirrschrank aus Mahagoni, der die hintere Wand des Esszimmers einnahm, war mit einer umfangreichen Sammlung böhmischer Porzellanvögel vollgestellt. Ich ging ihnen vorsätzlich aus dem Weg, genau wie den Stapeln mit den Bradford-Exchange-Sammeltellern und den staubbedeckten Precious-Moments-Figuren.
Stattdessen öffnete ich eine der flachen Schubladen des Schranks. Eingebettet in die mit Filz ausgekleideten Fächer, lag eine große Bestecksammlung. Das Silber war im Laufe der Jahrzehnte schwarz angelaufen und matt geworden, aber man konnte noch erkennen, dass es mit Mustern aus barocken Schnörkeln und Blumen verziert war. In jedes Stück war auch hier wieder ein großes S eingraviert. Ich nahm eine Gabel, wog sie in der Hand und grinste. Das war Sterlingsilber. Schweres, prächtiges, altes Sterling. Ich zählte die Teile. Es waren elf komplette Gedecke, und sie wurden von so altmodischen Teilen wie Mokkalöffeln, Obstmessern und Fischbestecken vervollständigt.
Ich öffnete die zweite Schublade und fand sie ähnlich vollgestopft mit Vorlegebestecken, darunter waren Eiszangen, Tranchierbesteck und Schaumlöffel. Keines der Stücke war mit einem Preis versehen. Ich spürte mein Herz in der Brust pochen. Als ich gerade alle Teile durchzählte, spürte ich, wie mein Handy in der Jacke vibrierend eine SMS ankündigte. Endlich – Daniel musste die Lunchmeute abgefertigt und einen ungestörten Moment erwischt haben.
Ich zog das Telefon hervor und seufzte. Die SMS kam von Cookie. Schon wieder.
WO STECKST DU? DIE TULPEN WELKEN!
Ich kippte das Silberbesteck der beiden Schubladen zusammen, warf mir die Tasche über die Schulter und eilte zurück zur hinteren Veranda. Ich wollte hören, welche Preisvorstellung die Erbin hatte.
Diamanten-Lilli plauderte immer noch am Handy. Sie legte das Telefon weg und sah auf die Schublade in meinen Händen. »Die Esszimmergarnitur kostet $ 2000. Sie besteht aus robustem Mahagoni, und der Tisch hat drei Blätter. Das ist ein guter Deal, aber Sie müssen mit jemandem wiederkommen, der Ihnen beim Aufladen hilft. Die Garnitur ist unmenschlich schwer.«
»Ich interessiere mich eigentlich nur für das Besteck«, sagte ich. »Wie viel wollen Sie dafür?«
»Wo haben Sie das Zeug denn gefunden? Ich habe es noch nie gesehen, und ich habe das ganze Haus durchkämmt.«
»Es war im Geschirrschrank. Hören Sie, es tut mir leid, aber ich bin etwas eilig und muss eigentlich los.« Ich stellte die Schublade auf ihrem Gartentisch ab und zeigte auf meine Einkaufstasche. »Hier drin habe ich noch ein paar Servietten und zwei Kerzenhalter, das macht zusammen $ 14. Was wollen Sie für das Besteck haben? Es sind elf Gedecke und neun oder zehn Vorlegebestecke.«
»O Gott. Tante Edith hat wirklich überall Zeug hingestopft. Und wie Sie vermutlich schon festgestellt haben, war ihr Geschmack nicht besonders raffiniert. Sie war fünfunddreißig Jahre lang Lehrerin, vermutlich hat sie immer nur Sachen gekauft, die sie sich von dem Lehrerinnengehalt an der Blessed-Sacrament-Schule leisten konnte.«
»Dort hat sie unterrichtet? Da bin ich zur Schule gegangen!«
Lillis Blick huschte über meine schlampige Aufmachung – ramponierte Jeans, altes Kool-and-the-Gang-T-Shirt und ungeschnürte rote Chucks. »Meine Schwestern und ich waren auf der Savannah-Country-Day-Schule.«
»Wie hieß Ihre Tante?«
»Edith Shanahan. Ich glaube, sie hat hauptsächlich in der sechsten Klasse Unterricht erteilt.«
»Ich hatte Ms Shanahan in der sechsten Klasse!«, rief ich aufgeregt. »Sie war Ihre Tante? Sie war einfach wunderbar! Sie hat mit uns Ausflüge ins Telfair Museum gemacht und auf Cumberland Island gezeltet, und sie hat unser Klassenmusical geschrieben und produziert. Wir haben Ihre Tante alle bewundert.«
»Ja, sie war irgendwie cool«, erinnerte sich Lilli. Sie schaute hinunter auf das Silber, nahm einen Löffel und legte ihn wieder zurück. »Ein hübsches Silberbesteck«, sagte sie und erwärmte sich plötzlich für den fragwürdigen Geschmack ihrer verstorbenen Tante.
»Das ist es«, sagte ich und hielt den Atem an. Ich wollte kein Angebot machen, denn wenn ich zu wenig bot, würde ich sie womöglich beleidigen. Zu viel, und ich gab ihr einen Hinweis, was das Silber tatsächlich wert war.
Sie griff zum Taschenrechner und begann, ein paar Zahlen einzutippen. »Mal sehen. Fünf Teile pro Gedeck, mal elf, das sind fünfundfünfzig. Und was sagten Sie, wie viele Vorlegebestecke sind dabei? Zwölf?«
»So ungefähr.«
»Also runden wir auf siebzig Teile auf, einverstanden?«
»In Ordnung.«
»Hmm. Das wird vermutlich schwer zu verkaufen sein, und dieses Muster habe ich nie zuvor gesehen. Edith hat es sich wahrscheinlich von ihren Rabattmarken zusammengespart.« Nachdenklich zog sie die Nase kraus. »Ich sollte vermutlich nicht weniger als 150 Dollar nehmen. Und ich muss Sie bitten, bar zu bezahlen.«
»Natürlich«, antwortete ich liebenswürdig und fischte drei Fünfziger und einen Zwanziger aus meiner Trödelkasse. »Beinahe hätte ich etwas vergessen«, schob ich eilig hinterher und reichte ihr zwei weitere Zwanziger. »Ich habe auch den alten Weihnachtsschmuck mitgenommen. Vierzig Dollar, richtig?«
»Ganz genau.«
Ihr Handy klingelte, und sie ging ran, während sie die Banknoten in eine Metallkasse schob – ohne mir meine sechs Dollar Wechselgeld rauszugeben.
Sie bot mir auch keine Hilfe an, um das Silberbesteck aus der Schublade zu bekommen. Also schnappte ich mir einen leeren Pappkarton und kippte das gesamte Silber hinein. Lilli warf mir einen verärgerten Blick zu, weil ich dabei viel Krach machte, doch ich stellte nur die leere Besteckschublade wieder auf den Tisch und flitzte davon. Auf dem Weg zu meinem Truck summte ich leise Have Yourself A Merry Little Christmas.
Unter normalen Umständen hätte ich vielleicht Stiche meines unterdrückten katholischen Schuldgefühls verspürt, weil ich ein so phantastisches Schnäppchen bei dem Silberbesteck gemacht hatte. Aber nicht heute. Diamanten-Lilli hatte nicht viel von ihrer verstorbenen Tante Edith gehalten – oder ihrem Mittelklassegeschmack. Ich hingegen war begeistert, etwas erstanden zu haben, das mich mit meiner geliebten Lehrerin verband.
Ich hörte die Musik, sobald ich den Troup Square umrundete. Tuben! Ein halbes Dutzend davon gluckste und blökte etwas, das entfernte Ähnlichkeit mit Silver Bells hatte. Zusammengedrängt auf dem Gehweg vor dem Babalu stand ein Geschwader Tubaspieler, angezogen in schmucken, blauen Banduniformen, die elefantösen Blasinstrumente gen Himmel gerichtet. Ein Pulk an Leuten stand um die Spieler herum, und manche von ihnen sangen mit.
Jethro stellte die Ohren auf und beugte sich über meinen Schoß, um die Quelle dieser Katzenmusik in Augenschein zu nehmen.
»Diese Jungs!«, sagte ich und lächelte liebevoll.
Ich hatte meine Nachbarn von der anderen Platzseite‚ die Jungs oder auch Manny und Cookie genannt, nicht immer mit so viel Zuneigung bedacht. Manny Alvarez war ein pensionierter Landschaftsdesigner aus Delray Beach, Florida, und Cooksey »Cookie« Parker hatte in seiner Jugend in einem Broadwaychor gesungen, bevor er als Verkäufer in New York gearbeitet hatte. Als sie vor einem Jahr ihren exklusiven Laden für Geschenkartikel und Inneneinrichtung eröffneten, hatte ich in ihnen Konkurrenz gesehen, die mir meine besten Produktlinien stehlen und meine geschätzten Kunden abspenstig machen wollte.
Das Babalu lag genau gegenüber vom Maisie’s Daisy, dem Antiquitätengeschäft, das ich im Reihenhaus neben meinem Wohnhaus betrieb. Ich hatte meine Trödelkarriere als Sammlerin begonnen und mir Antiquitäten und alte Sachen bei Haushaltsauflösungen, in Trödelläden und, ja, sogar aus dem einen oder anderen Müllcontainer zusammengeklaubt. Es hatte Jahre, viel Mut und ausreichend finanzielle Mittel gebraucht, um einen eigenen Laden aufzumachen.
Die reißerischen Schaufensterauslagen der Jungs waren mir auf die Nerven gegangen. Und man musste sich auch nichts vormachen: Ich war mehr als ein wenig eifersüchtig auf ihren Erfolg gewesen; sie wiederum waren mehr als nur ein wenig bemüht gewesen, mir, dem Kleinstadtmädchen aus dem Süden, zu zeigen, wie man in der großen Stadt Geschäfte machte. Unsere Beziehung war noch angespannter geworden, nachdem ich mit meiner Schaufensterdekoration ›Blue Christmas‹ den ersten Platz des Wettbewerbs im historischen Bezirk gewonnen und damit das ›Winterwunderland‹ des Babalu geschlagen hatte.
Am Ende waren wir doch noch Freunde geworden. Wir waren sogar gewissermaßen verschwägert, nachdem Jethro mit ihrer Hündin Ruthie einen Wurf Welpen gezeugt hatte. Und in diesem Jahr war ich wegen der Hochzeitsvorbereitungen bei meiner Weihnachtsdekoration ein wenig nachlässig gewesen, so dass Manny und Cookie den ersten Preis mit links gewonnen hatten.
Die backsteinerne Ladenfront des Babalu hatte sich wie durch Zauberhand in einen Pfefferkuchenpalast verwandelt, mit Wirbeln und Streifen aus falschem Zuckerguss, die die architektonischen Details des Gebäudes hervorhoben. Riesige unechte Zuckerstangen, rote und grüne Kaugummikugeln und Schokoladenbonbons umrahmten die Schaufenster. In den Keramiktöpfen an beiden Seiten der Tür waren zwei gewaltige Frasertannen mit allen erdenklichen Arten von Süßigkeiten behängt worden.
Die Tubaspieler beendeten ihre Interpretation von Silver Bells und begannen mit einer Humpta-Humpta-Version von Santa Claus is Coming to Town. Als ich den Laden betrat, reichte mir ein als Pfefferkuchen verkleideter Junge einen in Zellophan verpackten Keks. Als Jethro erwartungsvoll aufblickte, griff der Pfefferkuchenjunge in einen Korb unter dem Tresen und warf ihm einen Hundekeks zu, den Jethro in der Luft auffing.
Obwohl sich die Kunden im Babalu drängten, rauschte Cookie herbei, kaum dass wir einen Fuß (und eine Pfote) in den Laden gesetzt hatten. Er drückte mich in einer bärenhaften Umarmung an sich. Heute trug er eine kamelfarbene Baumwollhose, einen wollenen Seemannspulli und einen karierten Burberryschal um den Hals, dazu Slipper von Gucci.
»Eloise, du böses Mädchen!«, tadelte er. »Manny ist hinten und völlig am Rotieren wegen der Blumen. Du solltest schon vor Stunden hier sein.«
Er schob mich durch die Gänge des Ladens und nach hinten in den Lagerraum, der jetzt Ähnlichkeiten mit einem Blumenladen hatte. Blumen und Pflanzen bedeckten jede verfügbare Oberfläche. Es gab hohe Kübel mit rosa Lilien, Freesien, Malven, Stockrosen und Orchideen. Ich zählte vier große, eingetopfte rosa Hartriegelsträucher in voller Blüte und unzählige Töpfe mit eng verschlossenen rosa Tulpen.
Inmitten dieser Pracht stand Manny Alvarez in einem weißen Laborkittel. In der einen Hand hielt er ein Paar Gartenhandschuhe, in der anderen eine riesige Rolle rosa Seidenband.
»Wow«, flüsterte ich.
Manny strahlte. »Ist das nicht phantastisch? Kannst du dir vorstellen, wie all diese Blumen dein Reihenhäuschen in einer Woche verwandeln werden?«
Ich blinzelte. »Das alles? Manny, das ist wunderschön … aber es wird eine Hochzeit, keine Krönung. Wo willst du all die Pflanzen unterbringen?«
Er wedelte mit der Hand in der Luft herum. »Die Hartriegel kommen in diesen prachtvollen Kübeln links und rechts neben die Vordertreppe – ich werde sie natürlich noch mit winzigen weißen Lichtern verzieren.«
»Natürlich«, wiederholte ich.
»Dann werde ich eine Reihe kleiner Arrangements auf deinem Kamin, auf diesem Tisch im Flur, deinem Couchtisch und auf jeder anderen ebenen Fläche in deinem Wohnzimmer platzieren. Das Ganze wird durchsetzt mit Tausenden kleinen weißen Lichtern und hellrosa Wachskerzen. Da fällt mir ein … du musst alle silbernen Kerzenhalter hervorkramen, die du hast. Das Esszimmer wird mein Glanzstück.«
»Ach ja?«
»Erzähl ihr von dem Altar«, drängte Cookie.
»Psst«, sagte Manny. »Das soll doch eine Überraschung sein.« Er wandte sich an mich. »Du hast doch nichts gegen eine Überraschung an deinem Hochzeitstag, oder?«
»Solange es eine gute Überraschung ist«, sagte ich vorsichtig. »Es ist doch nicht zu ausgefallen, oder?«
»Alles wird von absolut gutem Geschmack zeugen«, sagte Manny.
Ich betrachtete die Blumenlawine, die jeden Winkel des Lagerraums auszufüllen schien.
»Mir gefällt es«, sagte ich zögernd. »Wirklich. Aber es ist nicht besonders, na ja, weihnachtlich, oder?«
»Wie bitte? Erwartest du etwa ein paar von diesen abscheulichen, in Folie verpackten Weihnachtssternen, die sie bei Kroger verkaufen? Womöglich noch einen gigantischen Stechpalmenkranz?« Er lachte und verdrehte die Augen in Richtung seines Partners.