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Der Feind ist aus dem Schatten getreten ... Nachdem die Machenschaften der Schwarzmagier entdeckt wurden, liegt die Zukunft der übernatürlichen Wesen in der Hand einer bunt zusammengewürfelten Truppe aus Werwölfen, Vampiren und einer Hexe. Die Werwölfin Tamara hat eigentlich mehr als genug um die Ohren. Trotzdem stellt sie sich auf die Seite ihrer besten Freundin Erika. Damit macht sie sich nicht nur Freunde bei den Werwölfen. Dazu kommt noch eine neue Mitbewohnerin, die ihre Aufmerksamkeit fordert. Was sie überhaupt nicht gebrauchen kann, sind weitere Komplikationen, aber natürlich hat das Schicksal eigene Pläne. So kommt es, dass sie sich in einen ungewöhnlichen Mann verliebt, und dadurch zwischen die Fronten gerät. Egal, wofür sie sich entscheidet, hinterher wird nichts mehr so sein wie es war ...
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
Nicht noch ein Teenie
Beunruhigende Neuigkeiten
Das erste Aufeinandertreffen
Eine ungewöhnliche Mischung
Überraschende Nähe
Auf der anderen Seite (Paul)
Körpergerüche und andere Peinlichkeiten (Tamara)
Albträume und der schwarze Mann (Tamara)
Schatten der Vergangenheit (David)
Himmel und Hölle (Tamara)
Menschliche Abgründe (David)
Männer und andere Probleme (Tamara)
Offene Geheimnisse (Tamara)
Sehnsüchte und das böse Erwachen (David)
Nackte Tatsachen (Tamara)
In die Dunkelheit (David)
Blut, Tod und andere Verstrickungen
Rauchende Köpfe (Tamara)
Nägel mit Köpfen (David)
Ausflug mit Folgen (Tamara)
Auf der falschen Seite (Paul)
Eine prickelnde Verabredung (Tamara)
Bettgeschichten
Der nächste Tag (David)
Rosa Wolken (Tamara)
Ein explosives Treffen (David)
Mutterinstinkt (Tamara)
Vorzeichen (David)
Besser ein Ende mit Schrecken als ...? (Tamara)
Ausflug bei Mondschein
Der Brief
Danksagung
Weitere Bücher von Vanessa Carduie …
Impressum
DAS BUCH
Der Feind ist aus dem Schatten getreten ...
Nachdem die Machenschaften der Schwarzmagier entdeckt wurden, liegt die Zukunft der übernatürlichen Wesen in der Hand einer bunt zusammengewürfelten Truppe aus Werwölfen, Vampiren und einer Hexe.
Die Werwölfin Tamara hat eigentlich mehr als genug um die Ohren. Trotzdem stellt sie sich auf die Seite ihrer besten Freundin Erika. Damit macht sie sich nicht nur Freunde bei den Werwölfen. Dazu kommt noch eine neue Mitbewohnerin, die ihre Aufmerksamkeit fordert.
Was sie überhaupt nicht gebrauchen kann, sind weitere Komplikationen, aber natürlich hat das Schicksal eigene Pläne. So kommt es, dass sie sich in einen ungewöhnlichen Mann verliebt, und dadurch zwischen die Fronten gerät.
Egal, wofür sie sich entscheidet, hinterher wird nichts mehr so sein wie es war ...
DIE AUTORIN
Vanessa Carduie erblickte an einem grauen Herbstmorgen 1988 in Dresden das Licht der Welt. Geschichten faszinierten sie von klein auf und bald folgten die ersten eigenen Erzählungen. Sie hat s einen Masterabschluss in Biologie und veröffentlicht seit 2016 Bücher im Selfpublishing.
Ihre Geschichten sind eine Mischung aus Liebesroman, Krimi und Fantasy, je nachdem, an welchem Projekt sie gerade arbeitet. Mit ihren Büchern möchte sie ihre Leserinnen und Leser zum Lachen, Weinen und manchmal auch zum Nachdenken bringen. Dafür beschreitet sie auch gern ungewöhnliche Wege.
https://www.vanessa-carduie.com/
https://www.facebook.com/VanessaCarduieAutorin
Dieses Buch unterliegt dem deutschen Urheberrecht. Das Vervielfältigen oder Veröffentlichen dieses Buches oder Teilen davon, ohne Zustimmung der Autorin, ist in jeglicher Form verboten.
Übereinstimmungen mit tatsächlich existierenden Personen, Orten oder Geschehnissen sind rein zufällig. Dieses Buch ist ein fiktives Werk, auch wenn es sich an realen Umständen orientiert und versucht, mit Fakten zu arbeiten.
Copyright © 2017 Vanessa Carduie
All rights reserved. Alle Rechte vorbehalten.
Cover: Thiemo Schulz
Lektorat: Karin Kaiser
Korrektorat: Sandra Grüter
Vanessa Carduie
Bärwalder Str. 3
01127 Dresden
Ausgabe 1.2 (14.02.2021)
Wolfsblues
- Eine Geschichte zum aus der Haut fahren -
Teil 3 der Schattenseiten-Trilogie
Vanessa Carduie
Einen guten Menschen
erkennt man nicht an seiner Hautfarbe, sondern anhand seines Verhaltens Schwächeren gegenüber.
Was auf den ersten Blick fremd wirkt,
hat bei genauerer Betrachtung plötzlich Ähnlichkeit mit uns selbst.
Das Fremde kann Angst machen, doch wir sollten uns niemals von Furcht oder alten Vorurteilen lenken lassen.
Am Ende sind wir doch alle gleich: Wir lieben, leiden, lachen und weinen – und wir bluten.
Jeder Mensch strebt nach Glück und einem Leben ohne Angst oder Hunger.
Wer bin ich, dass ich denke, über dich richten zu können?
Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder sexuelle Orientierung sollten niemals darüber entscheiden, ob ich als guter oder schlechter Mensch gesehen werde.
Veränderungen sind nicht immer angenehm,
aber wichtig.
Wer immer nur in seinem Suppenteller paddelt,
vergisst viel zu schnell, dass wir alle aus einem großen Topf stammen. Erst die verschiedenen Komponenten geben dem Ganzen seinen Geschmack.
Stimmen reißen mich aus meinem wohlverdienten Schlaf. Im ersten Augenblick glaube ich, dass es eines meiner jüngeren Geschwister ist, das diesen Lärm veranstaltet, aber bei genauerem Hinhören, erkenne ich meine Eltern.
„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, Sabine. Wir haben drei eigene Kinder und wer weiß, was für Probleme uns die Kleine ins Haus schleppt?“, fragt mein Vater aufgebracht.
„Jetzt halt doch mal die Luft an! Das Mädchen ist ein halber Werwolf und wurde von ihrer Pflegefamilie ausgenutzt.“ Meine Mutter stockt. „Hast du nicht gehört, dass ihr eigener Pflegevater sie brutal zusammengeschlagen hat?! Du kannst doch nicht wollen, dass sie zu diesen Verbrechern zurückmuss!“
Wie bitte?! Ich verstehe nur Bahnhof. Ich schlüpfe aus dem Bett und tapse auf leisen Sohlen nach unten in die Küche. Es ist Segen und Fluch zugleich, dass meine Ohren so empfindlich sind. Allerdings hoffe ich, dass meine Geschwister noch tief und fest schlafen. Diese Diskussion ist anscheinend nicht für unsere Ohren bestimmt.
„Natürlich will ich nicht, dass sie bei diesen Verbrechern bleibt, aber warum muss sie denn ausgerechnet bei uns unterkommen?“, wehrt mein Vater ab.
„Weil wir die einzige Familie im Rudel sind, die Kinder im passenden Alter hat.“
Vorsichtig schleiche ich in die Küche und luge um die Ecke, um einen Blick auf meine Eltern zu erhaschen. Sie stehen am Küchentisch und funkeln sich gereizt an. Meine Mutter hat ihre Arme vor der Brust verschränkt und wirkt unnachgiebig. Mein sonst so ausgeglichener Vater hat einen roten Kopf und ringt sichtlich um seine Beherrschung.
„Warum kümmert sich Erika denn nicht um sie? Schließlich hat sie die Kleine aufgelesen“, versucht es mein Vater noch einmal. Allerdings beißt er auf Granit.
„Erika? Willst du mir mal erklären, wie sie sich um die Erziehung einer jungen Werwölfin kümmern soll, wenn sie studiert und mit einem Vampir zusammenlebt?“
Mein Interesse hat sich seit der Erwähnung meiner besten Freundin ins Unermessliche gesteigert. Was hast du jetzt wieder angestellt, Erika?, frage ich mich. In letzter Zeit scheint sie ein regelrechter Magnet für Ärger zu sein. Mich freut es, dass sie endlich ihrem Herz gefolgt ist und ihren Vampir für sich gewonnen hat. Es war schon fast lächerlich, wie die beiden umeinander herumgeschlichen sind, ohne zu bemerken, was Tatsache ist. Aber natürlich habe ich, als Außenstehende, gut reden und die beiden sind echt süß miteinander. Leider freuen sich nicht alle im Rudel über das Glück der beiden. Besonders ein paar aufmüpfige Halbstarke fordern, dass Karl ihr den Umgang mit Fabian verbietet. ‚Wir hätten zu wenige Frauen, da sollten wir sie nicht auch noch an unsere Erzfeinde, die Vampire, verlieren. Was würde denn aus dem Rudelleben werden, wenn plötzlich jeder mitmachen kann?‘
So ein Schwachsinn! Wenn Erika Interesse an einem der Wölfe gehabt hätte, könnte auch Fabian nichts daran ändern.
Es stimmt, dass wir in den meisten Rudeln weniger Frauen als Männer haben, doch das wird sich nicht ändern, wenn wir Wölfe untereinander bleiben. Es sollte jedem klar sein, dass eine Durchmischung wichtig ist. Sonst kommt es irgendwann zur Inzucht und die Geburtenraten sinken in den Keller oder versiegen ganz. Selbst wenn sich die Rudel untereinander mehr vermischten, reicht es wahrscheinlich nicht aus. Irgendjemand wird keinen Partner unter Seinesgleichen finden und muss dann auf einen Menschen oder Vampir ausweichen.
Meine Gedanken werden unterbrochen, als meine Eltern weiter diskutieren.
„Was hast du für ein Problem, Thomas? Tamara ist erwachsen, Phil und Saskia stecken nicht mehr in den Kinderschuhen. Du weißt, wie schwierig diese Phase für einen jungen Werwolf ist. Die erste Verwandlung ist niemals einfach. Die Kleine braucht stabile Verhältnisse und jemanden, der sie unterstützt.“
Mein Vater seufzt ergeben. „Okay, okay. Ich hab‘s kapiert. Nur wo sollen wir sie unterbringen?“
„Sie kann in meinem Zimmer schlafen“, melde ich mich zu Wort und erschrecke meine Eltern mit meiner Anwesenheit.
„Tamara! Was machst du denn hier?“, fragt mein Vater überrascht.
Ich sehe ihn mit erhobenen Augenbrauen an. „Ihr wart ein bisschen zu laut, um ein heimliches Gespräch zu führen.“
„Du hörst wirklich alles.“ Mein Vater schüttelt den Kopf. „Wie stellst du dir das vor? Soweit ich mich erinnern kann, warst du froh, als du endlich dein eigenes Zimmer hattest.“
„Saskia und Phil werden wohl kaum etwas von ihrem Reich abgeben wollen.“ Ich sehe meine Eltern an. „Seien wir doch mal ehrlich. Es ist reine Bequemlichkeit, dass ich noch hier wohne. In sehr naher Zukunft werde ich meine eigene Wohnung haben und damit wäre mein Zimmer sowieso frei. Wo liegt das Problem, wenn ich diesen Zeitpunkt schon etwas vorverlege?“
Meine Eltern sehen mich entsetzt an. „Warum willst du ausziehen?“, fragt meine Mutter.
„Wie du gerade so schön festgestellt hast, bin ich erwachsen. Ich werde in wenigen Wochen sechsundzwanzig. Es ist höchste Zeit, dass ich endlich ausziehe und mein eigenes Leben beginne!“
Mein Vater funkelt meine Mutter wütend an. „Siehst du, was du angerichtet hast?“
„Jetzt mach mal halblang, Papa!“, gehe ich dazwischen, bevor meine Mutter antworten kann. „Ihr müsst euch beide mit der Tatsache abfinden, dass ich demnächst ausziehen werde. Menschliche Kinder wohnen selten so lange bei ihren Eltern und ich möchte endlich mein eigenes Leben haben.“
„Diese Flausen hast du bestimmt von Erika, oder?“
Ich verschränke meine Arme vor der Brust und schicke meinem Vater einen bösen Blick. „Ist Erika dein ultimativer Sündenbock, nur weil sie endlich mit Fabian zusammengekommen ist?“
Bei dem Wort ‚endlich‘ steigert sich die Röte seines Gesichtes noch. „Wie kannst du es wagen, so zu reden?!“
„Wie kannst du es wagen, über sie zu urteilen?“, kontere ich. „Die beiden gehören einfach zusammen! Das wird auch kein engstirniger Wolf ändern! Selbst Karl hat erkannt, dass sie eine ganz besondere Verbindung zueinander haben. Denkst du nicht, dass es etwas zu bedeuten hat, dass ausgerechnet dieses ungewöhnliche Paar eine echte Gefährtenbindung hat, von der die Wölfe seit Jahrzehnten träumen?“
Sprachlos sieht mich mein Vater an, während meine Mutter still lächelt.
„Die Zeiten haben sich geändert, Papa. Damit müsst ihr langsam klarkommen. Außerdem ist Fabian ein cooler Typ - für einen Blutsauger“, meine ich mit einem Augenzwinkern. „Ich habe schon mehr als einen Abend in seiner Gesellschaft verbracht und geschadet hat es mir nie. Hast du nicht gesagt, dass man sich immer sein eigenes Urteil über eine Person oder Situation bilden und nicht das nachplappern soll, was andere sagen? Ich habe das getan und bin zu dem Schluss gekommen, dass Fabian mehr als okay und einfach nur perfekt für Erika ist. Von ihm könnten sich manche Wölfe eine Scheibe abschneiden.“
Während mein Vater wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft schnappt und nach einer passenden Antwort sucht, umarmt meine Mutter mich lächelnd.
„Ich bin stolz auf dich, Tamara. Zwar wäre es mir lieber, wenn du bei uns bleiben würdest, aber du hast das Recht auf dein eigenes Leben. Versprich mir nur, es nicht zu überstürzen, ja?“
„Ja, Mama. Es wird eine Weile dauern, bis ich eine passende Wohnung oder WG finde.“ Wir lösen uns voneinander. „Außerdem hat es definitiv Vorteile, wenn man alleine in einer Wohnung lebt“, meine ich grinsend.
„Wehe, du schleppst einen Blutsauger an, Fräulein“, droht mein Vater.
Ich bin versucht, ihm die Zunge herauszustrecken, doch das ist mir zu kindisch. „Wenn ich mich zufällig in einen Vampir oder einen Menschen verlieben sollte, wirst du damit leben müssen. Es ist mein Herz, mein Körper und damit meine Entscheidung.“
Schwungvoll drehe ich mich um und lasse meinen verdatterten Vater in der Küche stehen. Meine Mutter folgt mir bis zum Zimmer.
„Dein Vater wird sich wieder beruhigen. Er macht sich nur Sorgen um euch. Seitdem bekannt ist, dass es Werwolfjäger gibt, ist er ein bisschen übervorsichtig und misstrauisch.“
„Ich weiß, Mama. Aber ich werde mich bestimmt nicht von ihm bevormunden oder meine beste Freundin beschimpfen lassen. Erika und Fabian sowie ihren Verbündeten ist es zu verdanken, dass wir die Jäger vorerst los sind.“
Sabine seufzt. „Mir musst du das nicht erklären. Ich habe keine Ahnung, was mit den Männern los ist. Wahrscheinlich fühlen sie sich in ihrer Ehre gekränkt, weil sie die Bedrohung nicht rechtzeitig erkannten und ein Fremder die Situation gerettet hat.“
„Sie sollen froh sein, dass es so glimpflich abgelaufen ist. Ich will mir gar nicht ausmalen, was alles hätte passieren können, wenn Fabian Erika nicht aus dieser brenzligen Lage befreit hätte.“ Genervt schüttele ich den Kopf. „Wovor haben sie Angst? Dass alle jungen Wölfinnen jetzt Vampirgroupies werden? Das ist mehr als nur lächerlich! Je älter ich werde, desto weniger möchte ich einen Wolf als Partner haben“, vertraue ich meiner Mutter an und versetze ihr einen leichten Schock.
„Tamara!“
Gelassen zucke ich mit den Schultern. „Es stimmt doch. Schau dir die Werwölfe in unserem Rudel an. Die Mehrzahl würde ich liebend gern auf den Mond schießen. Ihre blöden Forderungen und mittelalterlichen Ansichten lassen jede halbwegs vernünftige Wölfin die Flucht ergreifen. Das beste Beispiel ist Gregor. Keine Ahnung, seit wie vielen Jahren er um Erika und mich herumschleicht. Meiner Meinung nach ist jede Sekunde in seiner Gegenwart eine Strafe.“
Meine Mutter nickt. „Dieser Jungwolf ist wirklich eine Nervensäge. Sein Benehmen auf der letzten Rudelversammlung war jenseits von Gut und Böse.“
„Er hat sich die Abreibung durch Fabian mehr als verdient.“
Mama streicht sich über ihre Oberarme. „Die Verwandlung war ziemlich beängstigend. Da zeigt sich, wie gut sie ihre wahre Natur verbergen können.“
„Du meinst wohl ihre dämonische Seite“, korrigiere ich sie. „Fabian ist und bleibt eine liebenswerte Person, ob Vampir oder nicht. Man sollte nur nie den Fehler machen und ihn unterschätzen – oder Erika angreifen.“
„Wahrscheinlich hast du Recht.“ Sie wirft einen Blick über ihre Schulter, bevor sie mir ins Ohr flüstert: „Karl hält heute Nacht eine Versammlung ab. Wenn ich es richtig verstanden habe, sucht er Freiwillige, die mit den Vampiren zusammenarbeiten. Ich weiß nur nicht, worum es geht.“
Mit großen Augen sehe ich sie an. „Wow. Das klingt, als ob die Sache mit den Jägern noch nicht ausgestanden ist. Ich werde vorbeischauen.“
„Das vermutete ich schon.“ Meine Mutter betrachtet mich liebevoll und ein wenig wehmütig. „Du bist wirklich erwachsen geworden. Es ist an der Zeit, dass du deinen eigenen Weg gehst.“
„Danke, Mama.“ Wir umarmen uns.
„Hast du Lust, deine neue Mitbewohnerin mit abzuholen?“, wechselt sie das Thema.
„Gern. Kannst du mir erzählen, was passiert ist?“
Meine Mutter zuckt mit den Schultern. „Tja, wenn ich das so genau wüsste. Deine Freundin ist gestern zusammen mit ihren vampirischen Verbündeten über das verletzte Mädchen gestolpert. Anscheinend wurde sie regelmäßig von ihrem Pflegevater geschlagen. Er muss auch mehrmals versucht haben, sich an ihr zu vergehen.“
Ein kalter Schauer läuft meinen Rücken hinunter. „Oh Gott! Das ist schrecklich. Wo ist sie jetzt?“
„Bei der Großmutter einer Freundin von Erika. Sie soll eine Hexe sein.“
Nachdenklich runzele ich meine Stirn. Es gibt kaum noch Hexen, wenn man an die alten Geschichten glaubt. Bisher hatten Werwölfe keinen Kontakt zu ihnen. Allerdings klingelt es in meinem Hinterkopf. Ich habe erst vor kurzem mit Erika über eine Hexe gesprochen …
„Ah, natürlich! Valeria“, rufe ich, als der Groschen endlich fällt.
„Wie bitte?“, erkundigt sich meine Mutter irritiert.
„Tut mir leid. Valeria ist die Hexe, die Erika bei der Beseitigung des Pentagramms geholfen hat. Gleichzeitig ist sie das einzige Opfer der abtrünnigen Vampire, das den Angriff überlebte. Wenn ich mich richtig erinnere, hat sie einen wesentlichen Beitrag zu deren Ergreifung geleistet.“
„Mhm. Es ist schon eigenartig, dass sich plötzlich so viele übernatürliche Wesen begegnen, die Jahrhunderte lang nichts miteinander zutun hatten“, grübelt meine Mutter.
„Vielleicht ist es einfach an der Zeit“, sage ich schulterzuckend. „Wir haben uns in der Vergangenheit immer mehr voneinander abgeschottet. Erika ist die einzige Wölfin im Rudel, die Kontakt zu einem Vampir hatte. Dabei ist Fabian definitiv nicht das einzige Exemplar seiner Spezies in der Stadt.“
„Ich bin auch nicht böse, dass ich bisher keinem begegnet bin“, meint meine Mutter nur.
„Die Schauermärchen, die seit Generationen über die Vampire erzählt werden, sind genauso falsch, wie die der Menschen über Werwölfe. Trotzdem werden sie nicht hinterfragt und halten uns effektiv voneinander fern. Allerdings werden wir uns in Zukunft annähern müssen, wenn wir überleben wollen. Die Menschen sind auf dem Vormarsch und für sich alleine wird keine der übernatürlichen Subspezies überleben können. Die Zahl der Wölfe schrumpft beständig. Die Hexen wurden über die Jahrhunderte fast vollständig ausgerottet und die Vampire verstecken sich in den Schatten und spielen die stillen Beobachter.“
„Du malst ein düsteres Bild“, sagt sie erstaunt.
„Eher realistisch. Wenn wir weiterhin unter uns bleiben, dann werden wir irgendwann aussterben. Ich bin mit vielen im Rudel verwandt und das wird nicht besser werden.“
„Das stimmt leider. Aber sind Vampire nicht die falschen Partner? Es heißt doch, dass sie sich nicht fortpflanzen können.“
Meine linke Augenbraue wandert nach oben. „Bisher dachte man ebenfalls, dass eine Bindung zwischen Wölfen und Vampiren unmöglich ist. Meines Erachtens sollten wir uns auf einige Überraschungen gefasst machen. Selbst wenn die Vampire ausscheiden, dann bleiben uns noch die Menschen. Es gibt mehr als nur einen Mischling, der einen rein menschlichen Elternteil hat. Bisher sind uns daraus keine Nachteile entstanden.“
Nachdenklich sieht sie mich an. „Vielleicht hast du Recht. Das kleine Mädchen, Miriam heißt sie übrigens, ist auch eine halbe Werwölfin. Deine Freunde und Karl versuchen herauszufinden, wer genau ihre Eltern waren.“
„Was wird eigentlich mit ihren Pflegeeltern?“, erkundige ich mich.
Der Gesichtsausdruck, den Mama jetzt bekommt, würde jeden das Fürchten lehren. „Ich hoffe, dass sie ihre verdiente Strafe bekommen und nie wieder ein Kind unter ihnen leiden muss!“
„Wahrscheinlich wird Fabian deinen Wunsch unterstützen. Ich werde Erika später fragen. Sie wird beim Treffen dabei sein, oder?“
„Ich denke schon.“
Ich gähne und schaue auf meine Uhr. Es ist erst gegen acht. So früh wird nichts passieren. „Na gut. Ich lege mich wieder hin. Ihr werdet Miriam nicht vor dem Nachmittag abholen, oder? Bis dahin kann ich mein Zimmer so umräumen, dass ein Mädchen Platz darin findet.“
Meine Mutter legt mir eine Hand auf den Arm. „Du musst das nicht tun, Tamara. Wir finden auch eine andere Lösung. Saskias Zimmer wäre groß genug oder deine Schwester muss mit Philipp zusammenziehen.“
Ich schüttele den Kopf. „Nein, lass mal. Ich bezweifle, dass du die drei damit glücklich machen würdest. Phil und Saskia in einem Zimmer würde nur zu Mord und Totschlag führen. Saskia ist sehr auf ihre Privatsphäre bedacht. Wir können erstmal ein Klappbett in mein Zimmer stellen. Ich schiebe mein Bett an die Wand und dann sollte genug Platz sein. Vielleicht hilft es ihr, wenn sie am Anfang nicht alleine ist.“
„Wenn du meinst“, seufzt Sabine. „Wir werden sehen, wie Miriam sich entscheidet. Nach dem, was sie durchgemacht hat, wird sie eine Weile brauchen, um es zu verarbeiten und sich an uns zu gewöhnen.“
„Alles wird gut, Mama“, ermutige ich sie. „Ihr seid die besten Eltern der Welt. Gemeinsam schaffen wir das schon.“
„Dein Wort in Gottes Ohr“, murmelt sie, bevor sie mir einen Kuss auf die Stirn gibt und ich meinen unterbrochenen Schlaf wieder aufnehme.
Müde krieche ich in mein gemütliches Bett und wickele mich in die Decke ein. Das Schicksal des unbekannten Mädchens rührt mich. Ich hoffe, dass sie bei uns ein neues Leben beginnen kann. Meine Augen fallen zu und gleich darauf bin ich im Land der Träume.
Stunden später werde ich unsanft geweckt. Krachend fliegt meine Zimmertür auf und meine zwei jüngeren Geschwister stürmen den Raum. Das ist etwas, was ich definitiv nicht vermissen werde.
„Tamara! Unsere Eltern haben beschlossen, eine fremde Werwölfin aufzunehmen!“, ruft meine Schwester aufgeregt. Sie scheint noch unsicher zu sein, ob das eine gute oder eine schlechte Sache ist. „Ich hoffe, dieses Mädchen ist nicht eingebildet oder sonst wie doof“, quasselt sie weiter. „Ich will keine Nervensäge in meiner Nähe haben.“
Das sagt die Richtige, denke ich nur und tausche einen kurzen Blick mit meinem Bruder aus. Philipp ist sieben Jahre jünger als ich. Von Saskia trennen mich ganze zehn Jahre. Durch den Altersunterschied musste ich oftmals Babysitter spielen. Trotzdem haben wir ein gutes Verhältnis zueinander. Früher hat es mich schon genervt, dass ich mich mit den Babys rumschlagen musste, doch mittlerweile sind wir alt genug, um vernünftig miteinander umzugehen. Meine Eltern wollten schon immer drei Kinder, nur der große Abstand zwischen uns war nicht geplant oder besser: meine vorzeitige Ankunft. Als meine Mutter mit mir schwanger wurde, war sie keine Zwanzig. Die Begeisterung der Familien hielt sich in Grenzen und es gab einige Querelen. Doch meine Eltern haben sich zusammengerauft, und sind glücklich miteinander geworden. Als dann alles in trocknen Tüchern war, sprich beide einen Job hatten, sich eine größere Wohnung und die Hochzeit leisten konnten, kamen meine Geschwister angekleckert. Ich muss es meinen Eltern hoch anrechnen, dass sie ihren Frust - den sie zweifellos gehabt hatten - nicht an mir ausließen. Vielleicht fällt es ihnen gerade deswegen schwer, mich gehenzulassen.
Ich gähne herzhaft und fahre mir durch meine kurzen Haare. „Ich weiß. Du brauchst aber keine Angst zu haben, Miriam schläft erstmal bei mir.“
Meine Geschwister sehen mit verdattert an.
„Wieso weißt du das denn schon?“, fragt Phil mich und verschränkt seine Arme vor der Brust. Mein Brüderchen hat sich in den letzten Jahren zu einem ansehnlichen Kerl gemausert. Mit den modisch frisierten dunklen Haaren und der muskulösen Erscheinung dürfte er Gegenstand vieler Mädchenträume sein. Sein Gesicht kann man sich auch ansehen, ohne dass einem schlecht wird, und schon jetzt hat er das Killerlächeln perfektioniert.
„Gute Ohren“, antworte ich nur.
Philipp grinst mich an. „Hast du etwa gelauscht?“
Ich werfe ihm einen strengen Blick zu. „Ich lausche nie! Was kann ich dafür, dass unsere Eltern sich laut genug unterhalten, um mich aus dem Schlaf zu reißen?“
„Natürlich“, schnaubt Phil.
„Halt die Luft an, Kleiner“, ärgere ich ihn.
„Hey, ich bin fast zwanzig!“, springt er prompt darauf an.
„Du bist neunzehn!“, mischt sich unsere Schwester besserwisserisch ein.
„Eben, fast zwanzig!“
Während sich meine Geschwister streiten, krieche ich aus dem Bett. Ich fühle mich noch lange nicht erholt. Das Gezeter der beiden macht es nicht besser.
„Ruhe!“, sage ich laut genug, um sie innehalten zu lassen.
„Falls ihr euch nur wegen Phils Alter streiten wollt, dann tut das in euren Zimmern.“ Ich sehe sie streng an. „Miriam ist so alt wie du, Saskia. Sie hat Schlimmes durchgemacht und könnte eine Freundin gebrauchen. Du wirst deinen Charme stecken lassen, Phil. Ihr Pflegevater hat anscheinend mehrfach versucht, sie zu missbrauchen.“
Meine Geschwister schauen mich schockiert an. „Ihr habt unseren Eltern gar nicht zugehört, richtig?“, stelle ich fest.
„Na ja, wir waren so überrumpelt, dass hier ein fremdes Mädchen einziehen soll …“, gibt Saskia betreten zu.
„Es war schlimm, oder?“, fragt mein Bruder.
Ich zucke mit den Schultern. „Davon gehe ich aus. Erika hat die Kleine aufgesammelt, nachdem Miriam von ihrem Pflegevater zusammengeschlagen wurde. Im Moment ist sie bei der Großmutter einer Freundin, aber wir werden sie heute Nachmittag abholen und herbringen.“
„Warum bleibt sie nicht dort?“, quengelt Saskia.
Ich stemme meine Hände in die Hüften. „Weil wir schlecht einer alten Dame die Erziehung einer jungen Werwölfin überlassen können. Miriam ist bisher bei den Menschen aufgewachsen und hat keine Ahnung, was es heißt, ein Werwolf zu sein. Ihre erste Verwandlung steht kurz bevor. Würdest du das ohne Unterstützung durchmachen wollen?“
„Nein.“ Saskia schaut betreten zu Boden.
„Gut. Da das geklärt ist, werde ich mich jetzt anziehen. Wir sehen uns beim Frühstück“, werfe ich meine Geschwister galant raus.
Saskia folgt sofort - was einem kleinen Wunder gleichkommt - doch Phil wartet, bis wir alleine im Zimmer sind.
„Du wirst uns bald verlassen, oder?“
Obwohl mein Bruder manchmal tierisch nervt, stehen wir uns sehr nahe. Er ist alles andere als dumm und kennt mich gut.
„Ja, es ist Zeit, dass ich aus dem Hotel Mutti ausziehe. Andere Leute in meinem Alter haben schon lange ihre eigenen vier Wände.“
Phil grinst mich an. „Dann kannst du auch endlich ein paar Typen abschleppen.“
Schneller als er gucken kann, habe ich ein Kissen gepackt und ihm über den Kopf gezogen. „Wage es nicht, dich über mich lustig zu machen! Sag mir mal bitte, wann ich in den letzten Jahren Zeit hatte, mich überhaupt mit dem anderen Geschlecht zu beschäftigen? Ich hatte nie die Freiheiten, die ihr genießen könnt.“
Frustriert und deprimiert lasse ich mich auf mein Bett sinken. „Glaubst du, es macht mir Spaß, wenn alle meine Freundinnen von ihrem Liebesglück erzählen und ich noch nicht einmal einen echten Freund vorweisen kann?“
Philipp setzt sich zu mir und legt mir einen Arm um die Schultern. „Tut mir leid, Schwesterherz. Ich wollte nicht in dieser Wunde bohren.“
Ich seufze und lehne mich an ihn. „Ich weiß. Es wurmt mich nur. Bisher habe ich weder bei den Wölfen noch bei den Menschen jemanden gefunden, der mein Interesse weckt. Ich will ja keine große Liebe mit Traumhochzeit, aber ein bisschen Geborgenheit und zwischenmenschliche Nähe wären schön.“
„Kopf hoch! Du hast ein langes Leben vor dir und wirst selbst in zehn Jahren noch wie Anfang zwanzig aussehen. Irgendwann kommt der Richtige.“
Ich lächle meinen kleinen Bruder an. „Danke für die Aufmunterung. Wer weiß, vielleicht ergibt sich tatsächlich in nächster Zeit etwas. Es könnte immerhin sein, dass Fabian ein paar nette Freunde hat“, scherze ich.
„Du würdest eine Beziehung mit einem Vampir beginnen?“, fragt Phil verblüfft.
„Warum nicht?“, gebe ich schulterzuckend zurück. „Ehrlich gesagt, habe ich keine Lust, mich an einen dieser hinterwäldlerischen Wölfe aus dem Rudel zu binden. Wenn die spitz kriegen, dass ich unberührt bin, habe ich ein Problem.“
Philipp macht ein nachdenkliches Gesicht.
„Wahrscheinlich hast du Recht. Es gibt echt ein paar Idioten unter den Jungwölfen. Da kann ich es dir wirklich nicht übelnehmen, wenn du dich auf ein Abenteuer mit einem Vampir oder einem Menschen einlässt.“
„Na wenigstens ein Mann in der Familie kann mich verstehen“, meine ich lachend.
„Paps solltest du lieber nicht mit solchen Äußerungen kommen. Der ist im Moment eh schräg drauf“, gibt mein Bruder zu bedenken.
„Schräg drauf ist nett formuliert. Ich habe mich heute früh schon mit ihm gestritten, weil er Erika für alle Probleme verantwortlich machen wollte.“
Phil macht große Augen. „Oh, oh. Sie hat sich mit ihrem letzten Auftritt nicht nur Freunde gemacht.“
Verärgert runzle ich die Stirn. „Ach, die sollen doch alle die Klappe halten! Ich kenne Fabian seit einigen Jahren und er passt perfekt zu Erika. Wen interessiert es schon, ob er ein Vampir, ein Wolf oder ein Mensch ist? Schließlich muss sie mit ihm leben und nicht wir. Er wird sie sicherlich besser behandeln als einer unserer Rudelgefährten. Immerhin weiß Fabian, was für einen Schatz er hat.“
Abwehrend hebt mein Brüderchen die Hände. „Ist ja gut. Ich wollte damit auch nicht andeuten, dass ich ihrer Meinung bin. Insgeheim werden dir viele Wölfe Recht geben, vor allem die Frauen. Es sind hauptsächlich die Männer, die ihre Felle davon schwimmen sehen.“
Ich kann mir ein verächtliches Schnauben nicht verkneifen. „Wenn sie eine Wölfin für sich gewinnen wollen, sollten sie mal in der modernen Welt ankommen und ihr Steinzeit-Gebaren ablegen!“
Bevor unsere kleine Schwester wieder in den Raum platzt, beenden wir diese Diskussion und ich ziehe mich an.
Das Frühstück bringe ich ohne Streit hinter mich und stehe kurze Zeit später wieder in meinem Zimmer. Nachdenklich lasse ich den Blick durch den Raum schweifen. Viel gibt es nicht zu sehen. Ein Doppelbett, daneben steht mein Kleiderschrank, an den sich mein Schreibtisch anschließt. Meine Eltern besitzen ein Einfamilienhaus in Pieschen. Für uns fünf reicht es vollkommen und ist gemütlich. Mein Zimmer gehört zu den größeren und sollte ausreichend Platz für eine Mitbewohnerin bieten. Falls ich in eine WG ziehe, werde ich mit einer geringeren Grundfläche zurechtkommen müssen. Das bringt mich auf die Idee, endlich bei Erika anzurufen. Wahrscheinlich schläft sie noch, aber meine Neugier lässt mir definitiv keine Ruhe. Ich wähle Erikas Nummer und lausche eine ganze Weile dem monotonen Tuten. Schließlich wird doch abgenommen.
„Hallo?“, brummt es verschlafen aus meinem Telefon.
„Guten Morgen, Schlafmütze!“, flöte ich.
„Tamara?“, fragt meine Freundin.
Ich höre Geraschel und Flüstern. Es ist eindeutig, dass die beiden Turteltauben noch im Bett liegen. Bestimmt schlafen sie erst seit wenigen Stunden. Ich versuche, nicht daran zu denken, wie toll es sein muss, neben dem geliebten Partner aufzuwachen und mit ihm kuscheln zu dürfen.
„Bist du noch dran?“, reißt mich Erikas Stimme aus meinen Gedanken.
Ich bin froh darüber, sonst versinke ich in Depressionen. „Ja, bin ich. Tut mir leid, dass ich euch wecke, aber ich wollte ein paar Sachen wissen.“
„Ist alles gut mit dir? Du klingst ein bisschen komisch?“, erkundigt sich meine beste Freundin.
„Ja, mir geht es gut“, lüge ich und bin froh, dass sie nicht durchs Smartphone gucken kann.
„Das glaube ich dir nicht. Rück raus mit der Sprache!“
Seufzend lasse ich mich aufs Bett fallen - mein großes, leeres Bett. „Nichts Wichtiges. Ich wünsche mir nur, auch endlich jemanden zu haben. Deswegen rufe ich allerdings nicht an. Karl hat meine Eltern wegen des Mädchens kontaktiert, das du aufgelesen hast. Ich dachte nur, ich hole mir die Informationen über meine zukünftige Mitbewohnerin direkt von dir.“
„Ach Tamara, das wird schon! Manchmal dauert es eben länger, bis man den Richtigen findet.“ Erika macht eine kleine Pause. „Hab ich richtig verstanden, dass ihr Miriam aufnehmt?“
„Ja, mein Vater war zwar nicht so begeistert, aber selbst er musste einsehen, dass wir die einzige Familie sind, bei der das Mädchen Kinder in ihrem Alter um sich hat.“
„Ich bin froh, dass sie zu euch kommt. Deine Eltern sind toll und mit deinen Geschwistern sollte sie auch klarkommen. Miriam hat ein bisschen Glück verdient.“
Das klingt wirklich nicht gut, denke ich. „Kannst du mir bitte mehr erzählen?“
„Klar. Wir waren gestern bei Valerias Großmutter zu Besuch. Konstantin, das ist der Vollstrecker des Vampirrates, hat den Pflegevater von Miriam entdeckt, als dieser betrunken im Auto saß. Neben einer beachtlichen Fahne konnte er frisches Blut riechen und hat den Mistkerl verhört. Im Hinterhof haben Valeria und Fabian Miriam bewusstlos aufgefunden. Es war echt schrecklich. Miriam hatte mehrere schlimme Prellungen und Blutergüsse. Eine Rippe war angebrochen.“
Bei dieser Aufzählung wird mir ganz übel. „Oh Gott, das ist furchtbar!“
„Das kannst du laut sagen. Ich habe Fabian noch nie so wütend gesehen. Von Konstantin rede ich lieber nicht, der kann einem schon im normalen Zustand Angst einjagen.“
„Was habt ihr dann gemacht? Die Kleine musste doch bestimmt ins Krankenhaus, oder?“
„Wir haben einen Krankenwagen gerufen und mit etwas vampirischer Hilfe wurde sie ambulant behandelt. Konstantin ‚überzeugte‘ den Arzt davon, dass ein stationärer Aufenthalt nicht notwendig ist. Er wusste zu diesem Zeitpunkt bereits, dass Miriam zum Teil ein Werwolf ist. Das wäre in der Klinik unangenehm aufgefallen. Valerias Großmutter hat ihr einen Heiltrank eingeflößt, so dass Miriam heute halbwegs fit sein sollte.“
Das zu hören, erleichtert mich ungemein. „Ich hoffe es. Was ist aus dem Pflegevater geworden?“
„Konstantin hat seine Personalien aufgenommen und die Polizei informiert. Der Scheißkerl dürfte die Nacht in der Ausnüchterungszelle verbracht haben. Die Männer haben gestern schon erste Schritte eingeleitet, um dafür zu sorgen, dass diese Leute nie wieder ein Kind in ihre Finger bekommen. Ich weiß nicht, ob man die Pflegefamilie in den Knast schicken kann. Konstantin wird heute Abend mehr wissen und Valeria bereitet noch eine böse Überraschung für sie vor.“
„Das klingt nach einer anstrengenden Nacht. Was ist denn bei euch los? Meine Mutter hat mir vorhin erzählt, dass Karl vertrauenswürdige Wölfe sucht, die mit Vampiren zusammenarbeiten wollen.“
„Ach, wenn ich das so genau wüsste“, seufzt Erika. „Wir sind an einer großen Sache dran. Die Morde durch die drei Abtrünnigen und die Werwolfjäger sind nur ein Teil einer großangelegten Intrige. Dank Valeria und Konstantin wissen wir jetzt zumindest, wer dahinter steckt.“
Auf glühenden Kohlen sitzend warte ich auf die Auflösung des Rätsels. Doch es kommt nichts. „Wer steckt denn nun dahinter?“
Statt einer Antwort höre ich ein Klatschen und seinen gedämpften Fluch. „Entschuldige“, antwortet meine Freundin atemlos. „Ich musste Fabian gerade deutlich machen, dass ich nicht gestört werden will.“
Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen, obwohl die Eifersucht ein bisschen an mir nagt. „Ich dachte, die Lüsternheit nimmt irgendwann wieder ab“, ärgere ich sie.
„Na ja, sagen wir mal so: Wir können uns für ein paar Stunden zurückhalten. Es reicht zumindest so weit, dass wir zusammen mit Valeria und Konstantin eine Leiche bergen und gegen einige Schwarzmagier kämpfen konnten.“
„Eine Leiche? Schwarzmagier?“, frage ich verwirrt und alarmiert zugleich.
„Kein Scherz. Die Schwarzmagier dienen einem Dämon, der diesen ‚hübschen‘ Masterplan mit den Morden und Werwolfjägern ins Leben gerufen hat. Deswegen auch das Pentagramm in Ralfs Zimmer. Er war ein einfach zu manipulierendes Bauernopfer.“
Ich ziehe meine Knie an die Brust und beginne, mir ernsthafte Sorgen zu machen. „Was war das für eine Leiche?“, erkundige ich mich vorsichtig.
„Die sterblichen Überreste eines Freundes von Valeria. Harry war eine Art Bibliothekar der besonderen Art. In seiner Wohnung haben wir extrem viele Bücher über mystische Wesen gefunden. Er hatte das Pech, als Hülle für den Dämon zu dienen. Konstantin war nicht gerade zimperlich mit ihm.“
Eine unangenehme Gänsehaut zieht sich über meinen Körper. Vor meinem geistigen Auge tauchen ungefragt Bilder von schrecklich verstümmelten Leichen auf. Ich bin kein Freund von Horrorfilmen. Meine Fantasie ist brutal genug. Dazu kommen noch die Schauermärchen, die man sich als junger Wolf über die ‚ach so bösen‘ Vampire anhören muss.
„Wie dem auch sei. Valeria hat die Leiche an Ort und Stelle eingeäschert, dann haben wir die Bücher gegen neugierige Besucher geschützt. Natürlich blieb die Sache nicht unbemerkt und so hatten wir ein paar Lakaien am Hals. Den Großteil hat Konstantin ausgeschaltet, bevor sie zu uns gelangen konnten.“ Erika macht eine Pause.
Ich spüre deutlich, dass sie diese Geschichte mitnimmt.
„Ich muss sagen, dass ich ganz gut auf den gestrigen Abend verzichten könnte. Es war gruselig genug, die brennenden Vampire zu sehen, doch tote Menschen hinterlassen mehr als ein bisschen Asche …“
Das Grauen packt mich und ich verziehe angeekelt das Gesicht. Ich möchte weder das eine noch das andere sehen. Klar, als Biologie-Studentin habe ich schon einige Tiere seziert. In diesem Sinne sind Kadaver nichts Neues für mich, aber Menschen sind eine andere Liga. Zumal Erika dabei war, als sie starben. Gruselig.
„Sag nicht, dass uns noch mehr davon bevorsteht“, bitte ich meine Freundin, obwohl ich tief in mir drin weiß, welche Antwort kommt. Leider täuscht mich meine Vorahnung nicht.
„Ich wünschte, es wäre so. Allerdings sieht es so aus, als stünde uns ein Kleinkrieg bevor. Die Schwarzmagier scheinen überall Anhänger zu rekrutieren und die Menschen auf schmerzliche Weise mit der Wahrheit über unsere Existenz konfrontieren zu wollen.“
Entsetzt schnappe ich nach Luft. „Ist das dein Ernst?!“
„Ja, leider. Die Lakaien haben gestern keinen Versuch unternommen, sich unauffällig zu verhalten. Vor ein paar Nächte lauerten sie Valeria vor ihrem Haus auf und griffen sie an.“
„Die verkohlte Leiche …“, murmle ich tonlos. Der Fund hatte für Aufsehen gesorgt. Seltsamerweise verschwand dieser Vorfall so schnell aus den Medien, wie er aufgetaucht war. Wenn die Hexe und diese Schwarzmagier beteiligt waren, ist mir auch klar, warum.
„Valeria hatte verdammtes Glück, dass Konstantin rechtzeitig bei ihr war. Sonst hätte sie den Kampf gegen die drei Magier verloren.“
„Das heißt, wir stehen tatsächlich vor einem Kleinkrieg?“
Erika seufzt. „So sieht es im Moment aus. Konstantin hat zwei Kollegen angefordert, die uns unterstützen. Zusammen mit ein paar verlässlichen Wölfen sollten wir den Schwarzmagiern das Handwerk legen können, bevor die Menschen erfahren, dass es uns wirklich gibt.“
Ich bin eine Frohnatur, aber mir ist bewusst, dass wir noch meilenweit davon entfernt sind, unsere Existenz publik zu machen. Selbst wenn ich diese ‚besorgten Bürger‘ weglasse, die seit neuestem Montagabends durch die Straßen ziehen, dann gibt es genug andere Gründe, um weiter im Verborgenen zu leben. Bei der aktuellen Stimmung unter den Menschen will ich mir nicht ausmalen, was mit uns passieren würde. Die Sache mit den Werwolfjägern hat uns einen guten Vorgeschmack geliefert. Ich kann sehr gut darauf verzichten als Versuchskaninchen im Labor eines verrückten Wissenschaftlers zu landen oder von einem wütenden Mob verfolgt zu werden.
„Das heißt, es ist umso wichtiger, Miriam bei uns unterzubringen. Ich hoffe, es gibt nicht noch mehr Wölfe, die unter den Menschen leben und keine Ahnung haben, was sie sind. Wenn die Schwarzmagier hinter uns her sind, dann dürfte das böse für die Betreffenden enden.“
„Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, aber du hast natürlich Recht. Wir sollten Karl und Konstantin auf diese Möglichkeit aufmerksam machen. In manchen Rudeln wird die Vermischung mit Menschen bestraft. Vielleicht hatte Miriams Mutter dieses Problem und floh mit Mann und Kind.“
Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen. „Irgendwie benehmen wir uns genauso bescheuert wie die Menschen. Wen interessiert es, ob meine Eltern Menschen, Wölfe, Vampire oder Hexen sind? Aus biologischer Sicht würde ich sagen, je mehr Vermischung, desto besser.“
Ich höre Erikas leises Kichern. „Ich glaube nicht, dass wir uns damit beliebt machen. Obwohl ich sowieso schon von einigen Wölfen als Verräterin abgestempelt wurde.“ Im letzten Teil des Satzes schwingt eine gehörige Portion Wut und Enttäuschung mit.
„Lass die Idioten reden. Sie sind am Ende diejenigen, die ihren eigenen Untergang herbeiführen.“
„Du hast Recht, aber es wurmt mich trotzdem. Ich bin immer noch Erika, ob ich nun mit Fabian zusammen bin oder nicht.“
„Ich weiß. Gib den Männern ein bisschen Zeit. Wenn das nicht hilft, dann rücken wir ihnen eben den Kopf zurecht“, versuche ich, sie aufzumuntern.
„Danke. Sehen wir uns heute Nachmittag? Valerias Großmutter wird große Augen machen, wenn ihre Wohnung plötzlich voller Werwölfe ist.“
„Ja, ich komme mit. Meine Mam hat mich vorhin gefragt. Miriam wird erstmal bei mir im Zimmer schlafen. Es ist die beste Lösung, um die Konflikte zwischen den Teenies zu unterbinden. Ich wollte eh irgendwann ausziehen.“
„Ich kann dich vollkommen verstehen. Allerdings weiß ich nicht, ob es so klug wäre, ausgerechnet jetzt in eine Wohnung zu ziehen. Alleine sind wir leichte Beute. Da helfen uns die verbesserten Reflexe nicht“, gibt Erika zu bedenken.
„Stimmt“, seufze ich unglücklich. „Aber ich muss hier langsam raus, sonst ende ich als einsame alte Jungfer mit zwanzig Katzen.“
Erika lacht herzlich. „Dramatisier das Ganze nicht so! Du bist noch jung, vor allem für eine Werwölfin. Irgendein Mann wird sich auch für dich finden! Vielleicht ist ja einer der Vollstrecker dein Typ. Wenn es sogar Konstantin geschafft hat, Valeria von sich zu überzeugen, dann solltest du mit seinen Kollegen weniger Probleme haben.“
„Du magst diesen Konstantin nicht, oder?“, hake ich nach.
„Na ja, mit mögen hat das nicht so viel zu tun. Er hat sich bei unserer ersten Begegnung nicht gerade beliebt bei mir gemacht. Konstantin kann einen wirklich in Angst und Schrecken versetzen. Allerdings scheint er mit Valeria anders umzugehen und sie glücklich zu machen …“
„Aber?“
„Ich mache mir nur Sorgen um Valeria. Sie wurde von ihrem Ex-Freund aufs Übelste missbraucht und hat die letzte Begegnung mit ihm nur knapp überlebt. Als Hexe ist sie menschlich genug, um von einem Vampir kontrolliert zu werden.“
Verwundert ist kein Ausdruck für das, was ich bin. „Die Hexe, die Fabian kurzerhand gegen die Wand schleuderte, als er sie ungefragt berührt hat, ist mit einem Vampir zusammen?“
„Ja, so unglaublich es scheinen mag. Wenn ich meine Vorurteile beiseiteschiebe, dann sehe ich, dass sie gut zusammenpassen. Valeria ist glücklich und der düstere Vollstrecker ist aufgetaut. Solange er sie gut behandelt, ist es mir Recht. Fabian schimpft sowieso dauernd mit mir, weil ich Konstantin misstraue.“
„Du hast auch keinen Grund dazu“, mischt sich der eben Genannte ein. „Wenn Konstantin Valeria oder uns etwas Böses wollte, hätte er viele Chancen ungenutzt verstreichen lassen. Die beiden sind verliebt. Das sieht ein Blinder mit Krückstock. Du zankst dich einfach nur gern mit ihm.“
Als Erika nur ein Knurren von sich gibt, muss ich lachen. „Hallo Fabian. Ich lasse euch jetzt in Ruhe. Wir sehen uns heute Nachmittag oder später beim Rudeltreffen. Ich bin wirklich gespannt auf die ganzen Leute, von denen ihr erzählt.“
„Hi Tamara. Danke und bis später. Gib auf dich Acht, wenn du alleine kommst.“
„Das mache ich, versprochen. Tschüss.“
„Tschüss.“
Ich starre an die Zimmerdecke und versuche, alle Informationen zu verarbeiten. Irgendwie erscheinen mir meine eigenen Probleme plötzlich winzig und unwichtig. Natürlich kann ich meine Sehnsüchte nicht verschwinden lassen, doch ich habe in nächster Zeit einiges zur Ablenkung. Beim Gedanken an das Mädchen, das demnächst mein Zimmer mit mir bewohnt, zieht sich alles in mir zusammen. Ohne seine Eltern aufzuwachsen, ist schrecklich genug, aber von seinen Pflegeeltern missbraucht zu werden, dürfte die Krönung der Grausamkeit sein.
Warum nur ist man erst dann dankbar, wenn man mit dem Elend anderer konfrontiert wird?, frage ich mich. Ich habe jedoch keine Zeit, stundenlang im Bett zu liegen und über die Abgründe der menschlichen Wesen zu philosophieren. Entschlossen stehe ich auf und schiebe das Bett gegen die Wand, um Platz für das Klappbett zu machen. Als Nächstes widme ich mich meinem Kleiderschrank. Mit Geduld und Geschick beim Stapeln schaffe ich es, ein Fach freizumachen. Bis die Sache mit dem Sorgerecht geklärt ist, bewegen wir uns auf dünnem Eis. Allerdings vertraue ich darauf, dass Karl und Konstantin Ahnung von dem haben, was sie tun. Wenn Miriam von ihren Pflegeltern schlecht behandelt wurde, hat sie wahrscheinlich kaum eigenen Besitz. Vielleicht könnte man das Wenige mit Hilfe der Vampire aus der Wohnung holen, überlege ich. Erika wird wissen, ob das geht oder nicht.
Als es an der Tür klopft, drehe ich mich verwundert um. „Herein“, rufe ich und bin gespannt, wer der Besucher ist.
Mein Vater streckt den Kopf zur Tür herein. Automatisch verschränke ich die Arme vor der Brust.
„Tamara, ich wollte mich für heute Morgen entschuldigen“, sagt er und schaut niedergeschlagen.
Ich nicke. „Komm rein und mach die Tür zu.“
Er atmet erleichtert auf und tut wie geheißen. „Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Du hast jedes Recht, böse auf mich zu sein.“ Unsicher fährt er sich durch die Haare. „Deine Mutter hat mir vorhin ordentlich den Kopf gewaschen. Es tut mir leid, dass ich Erika beschuldigt habe, für das Chaos verantwortlich zu sein. Ich habe einfach nur Angst um euch. Die letzten Jahrzehnte hatten wir unsere Ruhe und nun steht plötzlich alles auf Messers Schneide.“
„Die Vampire sind weder besser noch schlechter als wir, Papa. Idioten und Verbrecher gibt es überall. Fabian und seine Verbündeten gehören zu den Guten. Unsere Feinde haben offenbar keine Bedenken, sich zu vermischen. Vampire, Menschen und Dämonen arbeiten bereits zusammen und ich würde vermuten, dass es auch Wölfe gibt, die sich ihrer Sache angeschlossen haben.“
Mein Vater sieht mich erschrocken an. „Woher weißt du das?“
Ich zucke mit den Schultern. „Von Erika. Sie steckt mitten drin und hat tatsächlich gekämpft.“
„Ich weiß.“ Mein Vater setzt sich niedergeschlagen aufs Bett. „Wahrscheinlich reagieren wir deswegen so empfindlich auf das Thema. Wenn deine Freundin und ihr Vampir nicht gewesen wären, hätten wir große Schwierigkeiten.“
„Wenn wir den Hintern nicht hochbekommen und mit den Vampiren zusammenarbeiten, dann stecken wir bis zum Hals in der Scheiße“, sage ich unverblümt.
Erst will mein Vater mir widersprechen, doch dann lässt er den Kopf sinken. „Möglicherweise hast du Recht. Es ist nur so gegensätzlich zu dem, was mir ein Leben lang beigebracht wurde.“
Seufzend lasse ich mich neben ihm nieder. „Die Welt verändert sich. Wenn wir uns nicht anpassen, gehen wir irgendwann unter. Erika und Fabian gehören zusammen, ob es uns gefällt oder nicht. Wenn ich mir die Wölfe in meinem Alter ansehe, kann ich ihr zu dieser Entscheidung nur gratulieren …“
„Hast du deswegen nie jemanden mitgebracht?“
„Ich will mich nicht an einen hirnlosen Idioten binden.“
„Sei einfach nur vorsichtig und lasse dich nicht ausnutzen, ja?“, bittet mich mein Vater.
„Das bin ich“, meine ich und drücke seine Hand.
„Damit muss ich wohl zufrieden sein.“ Mein Vater steht auf. „Wir haben das Klappbett aus dem Keller geholt und deine Mutter hat eben frisches Bettzeug heraufgebracht.“
„Gut, dann lass uns die Sachen ins Zimmer bringen. Unsere neue Mitbewohnerin wird in wenigen Stunden eintreffen.“
Zusammen richten wir alles her. Ich bin erleichtert, dass wir unsere Differenzen beiseitelegen konnten. Mir ist jedoch bewusst, dass das erst der Anfang ist.
Angespannt steige ich Stunden später mit meiner Mutter aus dem Auto. Wir haben beide Angst vor dem, was uns erwartet. Es ist nicht so, als wüssten wir nicht, dass es Missbrauch gibt, doch es ist etwas völlig anderes, wenn man die Ergebnisse mit den eigenen Augen zu sehen bekommt. Aufmerksam betrachten wir den Häuserblock im Hechtviertel und sind angenehm überrascht über die freundliche Person, die uns in die Wohnung lässt.
„Guten Tag! Sie müssen die Richters sein. Ich bin Sylvia Treue“, begrüßt sie uns.
„Guten Tag, Frau Treue. Vielen Dank, dass Sie sich bereiterklärt haben, Miriam so kurzfristig aufzunehmen! Ich heiße Sabine und das ist meine älteste Tochter, Tamara“, stellt uns meine Mutter vor.
„Hallo, es freut mich, Sie kennenzulernen. Wie geht es Miriam?“, erkundige ich mich.
Sylvias herzliches Lächeln verliert etwas von seinem Glanz. „Körperlich besser, aber es wird eine Weile dauern, bis sie alles verarbeitet hat. Sie erfuhr erst gestern, dass sie ein Werwolf ist.“ Traurig sieht sie uns an. „Ich bin wirklich die falsche Adresse, wenn es darum geht, ihr zu erklären, was das bedeutet. Bis gestern hatte ich auch keine Ahnung.“
Valerias Großmutter ist ein Schatz. Dafür, dass sie letzte Nacht ihre Premiere mit Vampiren und Wölfen hatte, ist sie erstaunlich entspannt.
„Dafür sind wir ja hier“, tröstet meine Mutter sie. „Meine zwei Jüngsten sind ungefähr in Miriams Alter. Ich denke, die Kinder werden sich gegenseitig unterstützen.“
„Ich hoffe es. Soweit ich das beurteilen kann, ist Miriam ein liebes Mädchen. Sie reagiert noch recht sensibel auf das Thema. Irgendjemand muss ihr eingeredet haben, dass sie ein Monster ist“, erklärt Sylvia.
Ich spüre, wie die Wut in mir aufsteigt. Wenn ich diese schrecklichen Pflegeeltern in die Finger bekomme, erleben sie ihr blaues Wunder! Doch erst einmal hat das Kind Vorrang.
„Wo ist Miriam?“, erkundige ich mich.
„Im Gästezimmer. Sie ist ein bisschen schüchtern.“ Valerias Großmutter lehnt sich zu uns. „Und ich denke, sie hat Angst, weil sie nicht weiß, was sie erwartet.“
„Das ist nur zu verständlich“, meint meine Mutter und ringt um Fassung.
„Ich werde mal vorsichtig klopfen. Meine Freundin Erika hat sie gestern gefunden.“
Sylvia nickt. „Gern. Miriam hat sich gut mit Erika verstanden. Sie wäre gern mit ihr gegangen, aber das ist nicht möglich.“
„Erika kann gut mit Kindern umgehen, ich denke jedoch, dass Miriam eine richtige Familie besser tun würde. Sie hat so oder so eine ereignisreiche Zeit vor sich“, sage ich.
„Wahrscheinlich. Das Gästezimmer ist das zweite auf der linken Seite“, erklärt mir unsere Gastgeberin.
Ich bedanke mich und folge der Beschreibung. Vor einer unscheinbaren Holztür bleibe ich stehen und klopfe. „Miriam? Ich heiße Tamara, darf ich reinkommen?“
Auf der anderen Seite der Tür herrscht Stille. Dann höre ich dank meiner erhöhten Sinne ihre leise Antwort.
„Ja.“
Vorsichtig öffne ich die Tür und betrete den Raum. Ich will das Mädchen keines Falls verängstigen. Entsetzt schnappe ich nach Luft, als sie sich zu mir umdreht und ich die Ausmaße ihrer Verletzungen erkenne. Auf ihrem zarten Gesicht befinden sich mehrere grünlich blaue Hämatome und ein Grind deutet auf eine geplatzte Unterlippe hin. Die braunen, schulterlangen Haare können nur einen Teil der Blessuren verdecken. Das Mädchen ist schlank, fast mager, und schaut mich ängstlich aus großen, braunen Augen an. Ihre schmalen Ärmchen hat sie um sich geschlungen, als würde ihr der Brustkorb wehtun.
„Hast du starke Schmerzen?“, erkundige ich mich.
Das Mädchen senkt den Kopf. „Es tut viel weniger weh als gestern und mein Gesicht sieht auch besser aus. Frau Treue hat mir heute wieder einen Heiltrank gegeben.“
Ich muss arg an mich halten, um nicht lautstark zu fluchen. Das wäre zwar befreiend für mich, würde das geschundene Wesen vor mir bestimmt verängstigen. Stattdessen versuche ich mich an einem Lächeln.
„Das freut mich. Vielleicht ist sie so lieb und gibt dir ein paar mit. Ich bin Tamara.“
„Miriam“, murmelt sie und betrachtet mich vorsichtig. „Sie sind gekommen, um mich mitzunehmen, oder?“
„Du kannst mich ruhig duzen. Ja, du wirst ab heute bei uns wohnen. Meine Mutter ist zusammen mit Frau Treue im Wohnzimmer. Erika sollte gleich kommen.“
Die Jugendliche horcht beim Namen meiner Freundin auf. „Sie, äh, du kennst Erika?“
Ich nicke. „Klar, wir sind seit vielen Jahren die besten Freundinnen! Du hast sie gestern getroffen, richtig?“
„Ja. Sie und die anderen haben mir geholfen.“
„Hattest du Angst vor den Männern?“, frage ich sie leise.
Miriam sieht mich unsicher an. „Ein bisschen. Fabian wirkt nett und Konstantin …“ Sie zuckt mit den Schultern. „Er könnte mir wehtun, doch er wird es nicht.“
Ich bin mir sicher, dass der Vollstrecker vielen Leuten mehr als nur ‚wehtun‘ könnte, verschweige das jedoch. Es bringt nichts, wenn ich dem Mädchen Angst mache. „Niemand von uns will dir schaden, versprochen.“
„Vielleicht …“ Miriam wirkt alles andere als überzeugt.
Ich lächle ihr aufmunternd zu. „Du bist bei uns in Sicherheit und wir helfen dir, dich in dein neues Leben einzugewöhnen.“
„Bin ich … Bin ich wirklich ein Werwolf?“, flüstert sie.
„Ja“, antworte ich ohne Zögern. „Wir können einander erkennen. Da du einen menschlichen Elternteil hast, ist dein ‚Wolfsgeruch‘ schwächer, aber trotzdem deutlich wahrnehmbar. Nach der ersten Verwandlung wird es keinen Unterschied mehr geben.“
„Aber ich muss jetzt niemanden beißen oder rohes Fleisch essen?“
„Nein, hier wird keiner gebissen und außer Hackepeter essen wir unser Fleisch lieber gekocht oder gebraten. Außerdem kann man Werwölfe nicht erschaffen. Wir werden so geboren. Der Wolf ist ein Teil von uns.“
Miriam ist sichtlich erleichtert. „Wie funktioniert das mit dem Wolf?“
Nachdenklich lehne ich mich an die Tür. „Tja, das ist schwer zu erklären. Wenn wir jung sind, träumen wir von unseren Wölfen. Je näher die erste Verwandlung rückt, desto intensiver werden die Träume. Es ist wichtig, dass du vorher eine Verbindung zu deiner inneren Wölfin hergestellt hast.“
„Was passiert, wenn ich das nicht schaffe?“
„Du wirst das hinbekommen. Die Verbindung ist essentiell, damit du während der Verwandlung die Kontrolle behältst. Es muss immer ein Gleichgewicht zwischen deiner wölfischen und deiner menschlichen Seite geben. Wenn das nicht der Fall ist, dann verlieren wir den Zugang zu einer der Seiten und das kann durchaus gefährlich für uns werden.“
Das Mädchen hört mir aufmerksam zu. Anscheinend überwiegt die Neugier gerade die Angst vor dem Unbekannten. „Wir können uns beliebig in unsere Wolfsgestalt verwandeln. Zu Vollmond müssen wir es tun und bei Neumond ist es am schwierigsten. Dann ist unsere menschliche Seite am stärksten.“
„Kann man sich mit seinem Wolf unterhalten?“
Ich überlege einen Moment. „Na ja, es ist nicht so wie unsere Unterhaltung gerade eben, aber man merkt deutlich, was der Wolf möchte. Meine Wölfin ist ich und ich bin sie. Prinzipiell sind wir einer Meinung. Es ist eher so, dass sie unsere wildere Seite repräsentieren. Dem Wolf sind viele moralische Gepflogenheiten egal. Sie wollen ihre Bedürfnisse stillen und denken nicht an die gesellschaftlichen Auswirkungen ihrer Taten. Wo unsere menschliche Seite zögern würde, handelt der Wolf lieber.“
Ich erkläre ihr noch ein paar andere Dinge und was sie demnächst erwartet. Während unseres Gespräches nähern wir uns räumlich immer weiter an. Als es plötzlich an der Tür klopft, sitzen wir zusammen auf dem Bett.
„Hallo, ich bin’s, Erika“, klingt es gedämpft durch die Tür.
Ich sehe zu Miriam, die freudig nickt.
„Kommen Sie herein, junge Dame!“, fordere ich sie auf.
Meine beste Freundin schlüpft ins Zimmer. Ich erhebe mich vom Bett, um sie zu begrüßen. Allerdings ist jemand anderes schneller.
„Erika!“, ruft Miriam und stürzt sich auf sie.
Überrascht wechseln meine Freundin und ich einen Blick. So viel Begeisterung hatten wir nicht erwartet. Das Mädchen hat die Arme um Erikas Mitte geschlungen und strahlt sie von unten an. Noch ist Miriam gut einen Kopf kleiner, aber das wird sich bald ändern. Durch die Wandlung und die bessere Ernährung in der Zukunft wird sie einen Wachstumsschub bekommen.
„Hallo Miriam, wie geht es dir?“ Erika betrachtet das Gesicht des Mädchens aufmerksam.
Diese zuckt mit den Schultern. „Ganz okay. Es tut zwar alles weh, aber es ist viel besser als gestern.“
Vorsichtig streicht Erika über Miriams lädierte Wange. „Es sieht gut aus, obwohl erst wenig Zeit vergangen ist. Hast du gut geschlafen?“
„Es ging. Ich kann noch nicht glauben, dass mein Pflegevater mich nicht findet“, flüstert das Mädchen.
Unbändige Wut auf diesen Menschen steigt in mir auf. „Wir passen auf dich auf und werden dafür sorgen, dass seine dreckigen Finger dich nie wieder anfassen!“, knurre ich und spreche damit meiner besten Freundin aus der Seele. Ihre Augen haben einen goldenen Schimmer und ich habe keinen Zweifel, dass es bei mir ähnlich ist.
„Warum sehen eure Augen so komisch aus?“
Erika seufzt. „Das ist ein Zeichen dafür, dass unsere innere Wölfin nach außen dringt. Bei uns werden Kinder geschätzt und deswegen ist Missbrauch ein heikles Thema. Wenn du deine erste Verwandlung hinter dir hast, wird es bei dir ähnlich sein. Es ist eins der Dinge, die du so schnell wie möglich kontrollieren musst. Solche Kleinigkeiten können uns verraten und das müssen wir unbedingt vermeiden. Sehr starke Gefühle, ob positiv oder negativ, bringen die animalische Seite in uns zum Vorschein. Besonders in der Pubertät ist es daher wichtig, dass du jemanden hast, der dich unterstützt und dir zeigt, wie du dich unauffällig zwischen den Menschen bewegst.“
Miriam zieht eine Schnute und schenkt Erika einen Hundeblick. „Warum kannst du das nicht sein?“
„Ach Mäuschen! Das geht leider nicht. Meine Situation ist … speziell. Ich studiere noch und bin kürzlich mit einem Vampir zusammengezogen. Es ist essentiell, dass du erst einmal das normale Leben als Werwolf in einer lieben Familie kennenlernst. Außerdem kann ich mich schlecht allein um dich kümmern. Junge Wölfe werden ab einer bestimmten Zeit schwierig, um es nett zu formulieren. Die Pubertät ist bei uns anders als bei den Menschen. Tamaras Eltern sind wunderbar und haben deutlich mehr Erfahrung mit Kindern. Sie wissen, wie sie dir diese Zeit so leicht wie möglich machen werden. Du hast gleich zwei Jungwölfe, die dir von ihren Erfahrungen berichten oder mit dir üben können.“
Miriam löst sich von Erika. „Was ist, wenn sie mich nicht leiden können?“
„Philipp und Saskia sind okay“, werfe ich ein. „Ich bin auch noch da. Wenn sie gemein zu dir sind, bekommen sie Ärger mit mir.“
Erika lacht. „Deine Geschwister sind vollkommen in Ordnung. Obwohl Saskia einem das Ohr abkauen kann.“
Ich grinse zurück. „Sie ist ein kleines Plappermaul, aber ganz lieb. Phil hat seine schwierige Phase so gut wie überstanden. Als große Schwester ist es einfacher für mich. Meine Eltern haben wesentlich mehr Arbeit mit den beiden.“
Miriam weiß noch nicht, was sie davon halten soll. Das ist nur zu verständlich.
„Du wirst erst einmal bei mir im Zimmer schlafen, wenn das in Ordnung für dich ist? Dann kommt ihr einander nicht in die Quere. Ich bin zwar der Meinung, dass ihr euch gut verstehen werdet, es schadet jedoch nicht, wenn ihr nicht gezwungen seid, aufeinander zu hocken. Gerade am Anfang werden wir uns alle ein bisschen umgewöhnen müssen.“ Ich zucke mit den Schultern. „Da ich die Älteste bin und sowieso bald ausziehe, habt ihr alle genug Freiraum, um euch notfalls aus dem Weg gehen zu können.“
„Bitte lass mich nicht alleine!“, fleht das Mädchen.
Seufzend stehe ich auf und schließe sie in meine Arme. „Wir lassen dich nicht alleine. Erika kann dich jeder Zeit besuchen kommen und ich bin noch einige Monate da, bevor ich tatsächlich ausziehe.“
„Wie wäre es, wenn wir uns ins Wohnzimmer zu Sylvia und Tamaras Mutter gesellen? Dort kannst du alles fragen, was du wissen willst, und lernst Sabine kennen“, schlägt Erika vor.
Unsicher sieht Miriam uns an. „Ich muss heute schon mitkommen?“
Ich lächle ihr aufmunternd zu. Mir ist klar, dass es eine große Umstellung für sie ist und ihr der Schock noch in den Knochen sitzt.
„Ja. Frau Treue war so lieb, auf dich aufzupassen, während wir ein paar wichtige Sachen zu erledigen hatten“, erklärt meine Freundin dem Mädchen.
Miriam lässt den Kopf sinken. „Kann sie mich auch besuchen kommen?“
„Natürlich“, versichere ich ihr. „Oder wir besuchen sie zusammen. Jetzt lass uns zu ihnen gehen.“
Zu dritt betreten wir das gemütliche Wohnzimmer von Valerias Großmutter. Sie sitzt zusammen mit meiner Mama bei einer Tasse Tee auf dem Sofa. Beide sind in ein Gespräch vertieft und bemerken uns erst, als wir vor ihnen stehen.
„Miriam! Schön, dass du zu uns kommst“, begrüßt Sylvia sie mit einem Lächeln.
Schüchtern sieht das Mädchen zu meiner Mutter. Diese wirkt geschockt über die deutlich sichtbaren Hämatome, aber sie fängt sich schnell.
„Hallo Miriam, ich bin Sabine Richter, die Mutter von Tamara.“
„Hallo, Frau Richter.“
Lächelnd meint sie nur: „Nenn mich einfach Sabine, wenn du möchtest. Du brauchst mich nicht zu siezen. Möchtest du dich zu uns setzen? Sylvia hat Tee gekocht und leckere Kekse für uns alle bereitgestellt.“
Zögerlich nimmt das Mädchen neben meiner Mutter Platz. Es ist offensichtlich, dass sie nicht weiß, was sie tun soll. Die ganze Situation ist schwierig für sie. Glücklicherweise haben sowohl Sylvia als auch meine Mutter ein gutes Gespür, was den richtigen Umgang mit Kindern angeht.
„Kommt, setz euch!“, fordert Valerias Großmutter uns auf. „Ich möchte unbedingt eure Meinung zu den Keksen wissen. Das Rezept habe ich das erste Mal ausprobiert.“
Natürlich lässt sich das keiner zweimal sagen. Die Kekse sehen lecker aus und verströmen einen wunderbaren Duft. Ich greife mir einen und beiße sofort hinein. Genüsslich schließe ich die Augen und lasse mir das Aroma auf der Zunge zergehen. Ich kann Butter, Schokolade und einen Hauch Zimt wahrnehmen.
„Die sind ausgezeichnet!“, lobe ich die Backkünste unserer Gastgeberin.
„Genau!“, stimmt mir Erika zu. „Kann Valeria auch so gut backen?“
Sylvia lacht gutmütig. „Danke! Ich glaube, meine Enkelin hat zu wenig Zeit dafür. Aber als Kind hat sie unheimlich gern mit mir zusammen in der Küche gestanden.“
„Oh ja! Das habe ich als Kind geliebt. Bei uns gleicht das Haus in der Weihnachtszeit noch immer einer kleinen Backstube. Mama hat alle Hände voll zu tun, genug Plätzchen zu backen, um unseren unstillbaren Hunger zu bekämpfen.“
Sabine lacht. „Das stimmt. Früher habt ihr mir mehr beim Backen der Kekse geholfen. Heute futtert ihr sie lieber weg. Vielleicht sollte ich mir andere Gehilfen suchen.“ Ihr Blick fällt auf Miriam. „Hättest du Lust dazu?“
Schüchtern schaut das Mädchen sie an. „Sehr gern. Allerdings habe ich das noch nie gemacht.“
Für einen Moment herrscht Stille im Raum. Wir sind geschockt. Obwohl uns diese Enthüllung eigentlich nicht überraschen sollte. Wer seine Pflegekinder schlägt und abmagern lässt, wird sich wohl kaum die Mühe machen und mit ihnen backen.
„Na dann wird es Zeit, dass du es lernst“, meint meine Mutter entschlossen. „Es ist nicht schwer und macht wirklich Spaß. Eventuell lassen sich die anderen ja überreden, mitzumachen.“
„Ich bin dabei“, antworte ich prompt. „Auf Philipp sollten wir lieber verzichten, sonst isst er uns den Teig weg, bevor wir ihn ausrollen oder in Form bringen können.“
Alle lachen und sogar Miriam lächelt. Langsam bricht das Eis. Als die Zeit zum Abschied gekommen ist, wirkt das Mädchen zuversichtlicher. Sie weiß ungefähr, was auf sie zukommt und meine Mutter hat sie sofort ins Herz geschlossen.
Jetzt muss nur noch der Rest meiner Familie mitspielen und dann wird alles gut, denke ich.
Da Miriam kein Gepäck hat, sind wir schnell zum Aufbruch bereit. Kurz bevor ich mit ihr und meiner Mutter gehe, nehme ich meine Freundin zur Seite.
„Denkst du, dass wir irgendwie an Miriams Sachen herankommen? Es gibt bestimmt ein paar Dinge, die sie vermisst. Außerdem brauchen wir ihre Schulsachen, Ausweise und so weiter.“
„Ich denke, dass wir das hinbekommen. Wir können heute Nacht mit Konstantin darüber reden. Er wollte sowieso dafür sorgen, dass den aktuellen Pflegeeltern das Sorgerecht entzogen und auf die wölfische Familie übertragen wird.“
Erstaunt sehe ich sie an. „Dieser Konstantin hat interessante Vorstellungen. So ein Prozess dauert Jahre!“
„Normalerweise schon, doch er hat Mittel und Wege, um das zu beschleunigen. Lass die Vampire diesen schrecklichen Menschen einen Besuch abstatten und du wirst sehen, was passiert.“
Meine Augen werden immer größer. „Sie werden sie aber nicht umbringen, oder?“
Erika lacht. „Nein, natürlich nicht. Obwohl es bei den schrecklichen Pflegeeltern fast kein Verbrechen wäre. Miriam ist nicht das einzige Kind in deren Obhut. Wir werden sehen, was der Vollstrecker herausfinden und dann auch tun kann. Er hat zwei Kollegen angefordert, damit wir das Problem mit den Schwarzmagiern so schnell wie möglich lösen können.“ Sie reibt sich über die Arme. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass die drei sie innerhalb kürzester Zeit ausfindig machen und in die Hölle schicken.“
Ihre Worte verursachen mir eine Gänsehaut. „Ich bin mehr als froh, dass sie auf unserer Seite stehen. Miriam meinte vorhin, dass Konstantin ihr wehtun könnte, es aber nicht tun wird.“
„Eine erstaunliche Erkenntnis, doch sie hat Recht. Konstantin war umsichtig und nett zu ihr. Ziemlich ungewohnt, wenn man ihn anders erlebt hat, aber scheinbar hat er mehrere Facetten.“