9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €
Schatten über dem Paradies Die junge, frisch verheiratete Laura Haverstock verbringt den Sommer auf einem idyllischen Landsitz bei Verwandten ihres Mannes Alec. Eine Krankheit und die ständige Sorge, im Schatten von Alecs Exfrau zu stehen, haben ihr in den vergangenen Monaten zugesetzt. Das blau glitzernde Meer und die sattgrünen Hügel Cornwalls wirken wie ein Zauber: Laura blüht auf, sie gewinnt neue Freunde. Doch der Frieden trügt: Ein anonymer Brief taucht auf, der sie einer Affäre bezichtigt. Wer möchte um jeden Preis Lauras Glück zerstören? Und welche Geheimnisse liegen in der Vergangenheit ihrer Familie verborgen?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 378
Rosamunde Pilcher
Wolken am Horizont
Roman
Aus dem Englischen von Dietlind Kaiser
Rowohlt E-Book
Für Mark, aus Gründen, die ihm klar sein werden
Die Sprechstundenhilfe, eine hübsche junge Frau mit Hornbrille, brachte Laura zur Tür, hielt sie ihr auf und trat lächelnd beiseite, als wäre es ein privater Besuch gewesen, den sie beide genossen hatten. Hinter der offenen Tür führte eine gescheuerte Treppe zur Harley Street hinunter. Die Häuser gegenüber warfen dunkle Schatten auf die sonnigen Stufen.
«Ein wunderschöner Nachmittag», stellte die Sprechstundenhilfe fest, und sie hatte recht: Es war jetzt Ende Juli, und das Wetter war heiter und sonnig. Sie trug einen adretten Rock mit Bluse, Nylonstrumpfhosen an den wohlgeformten Beinen und Pumps. Laura hatte ein Baumwollkleid an, und ihre Beine waren nackt. Da die frische Brise, die durch die sommerlichen Straßen wehte, ziemlich kühl war, hängte sich Laura eine helle Strickjacke aus Kaschmir um die Schultern.
Laura bedankte sich, obwohl die Sprechstundenhilfe sie nur bei Dr. Hickley angemeldet hatte und nach einer Viertelstunde wieder erschienen war, um sie hinauszubringen.
«Gern geschehen. Auf Wiedersehen, Mrs. Haverstock.»
«Auf Wiedersehen.»
Die glänzende, schwarz lackierte Tür schloss sich hinter Laura. Sie wandte der Fassade des stattlichen, eindrucksvollen Hauses den Rücken zu und ging ein kleines Stück an der Häuserreihe entlang zu ihrem Auto. Wie durch ein Wunder hatte sie einen leeren Parkuhrplatz gefunden. Als sie die Wagentür aufschloss, regte sich etwas auf dem Rücksitz, und als Laura sich ans Lenkrad setzte, sprang Lucy leichtfüßig über die Lehne auf ihren Schoß. Sie stellte sich mit heftig wedelndem buschigem Schwanz auf die Hinterbeine und fuhr Laura schnell und liebevoll mit der langen rosa Zunge über das Gesicht.
«Ach, arme kleine Lucy, du musst ja furchtbar schwitzen.»
Sie hatte ein Fenster einen Spalt weit offen gelassen, aber das Auto war trotzdem wie ein Backofen. Jetzt öffnete sie das Schiebedach, und sofort wurde es etwas besser. Kühle Luft zirkulierte, und die heiße Sonne schien Laura auf den Kopf.
Lucy hechelte pflichtschuldig ein paar Augenblicke, ein Zeichen ihres Hundemissbehagens, aber auch ihrer Nachsicht und ihrer Liebe. Ihre ganze Liebe gehörte Laura. Trotzdem war sie ein höfliches kleines Geschöpf mit reizenden Manieren und legte Wert darauf, Alec jeden Abend zu begrüßen, wenn er von der Arbeit nach Hause kam. Alec erzählte immer, als er Laura geheiratet habe, sei er auf eine Art Pauschalangebot eingegangen wie bei einer Auktion: eine neue Frau und ein Hund als Zugabe.
Wenn sie verzweifelt war und eine Vertraute brauchte, sprach Laura mit Lucy und erzählte ihr Geheimnisse, die sie sonst niemandem anvertrauen konnte. Nicht einmal Alec. Schon gar nicht Alec, weil es in ihren geheimen Gedanken meistens um ihn ging. Manchmal fragte sie sich, wie das bei anderen verheirateten Frauen war. Hatten sie ihren Männern gegenüber geheime Gedanken? Zum Beispiel Marjorie Anstey, die seit sechzehn Jahren mit George verheiratet war und sein ganzes Leben organisierte, von sauberen Socken bis zu Flugtickets. Und Daphne Boulderstone, die schamlos mit jedem Mann flirtete, der ihr über den Weg lief, und ständig in diskreten Restaurants gesehen wurde, bei einem vertraulichen Essen mit dem Mann einer anderen Frau. Zog Daphne Tom ins Vertrauen, lachte sie vielleicht mit ihm über ihre Dummheiten? Oder war Tom kühl und distanziert – sogar desinteressiert –, wie er meistens wirkte? Vielleicht war es ihm einfach gleichgültig. Nächste Woche, wenn sie alle in Schottland sein würden, im lange geplanten Angelurlaub in Glenshandra, würde Laura vielleicht die Gelegenheit haben, diese Ehen zu beobachten und ihre Schlussfolgerungen zu ziehen.
Sie holte tief Luft und ärgerte sich über sich selbst. Was hatte es für einen Sinn, hier zu sitzen und darüber nachzusinnen, nachdem sie jetzt gar nicht nach Schottland fahren würde. Dr. Hickley hatte kein Blatt vor den Mund genommen. «Bringen Sie es so bald wie möglich hinter sich, vergeuden Sie keine Zeit. Zwei Tage im Krankenhaus und dann viel Ruhe.»
Wovor Laura gegraut hatte, war eingetreten. Sie schlug sich die Gedanken an Daphne und Marjorie aus dem Kopf. Sie musste sich auf Alec konzentrieren. Sie musste dynamisch und entschlussfreudig sein und einen Plan machen. Denn ganz gleich, was passierte, Alec musste mit den anderen nach Glenshandra fahren. Laura musste allein zurückgelassen werden. Sie wusste, dass dazu etliches an Überredung nötig war. Sie musste sich einen überzeugenden, narrensicheren Plan ausdenken, und das konnte ihr niemand abnehmen. Und sie musste es jetzt tun.
Laura saß zusammengesunken hinter dem Lenkrad ihres Autos und fühlte sich nicht dazu in der Lage, dynamisch oder entschlussfreudig zu sein.
Der Kopf tat ihr weh, der Rücken tat ihr weh, der ganze Körper tat ihr weh. Sie dachte daran, nach Hause zu fahren, in das hohe, schmale Haus in Islington. Es war nicht besonders weit, aber zu weit, wenn man an einem heißen Julinachmittag müde und niedergeschlagen ist. Sie dachte daran, sich oben auf ihr kühles Bett zu legen und den Rest des Nachmittags zu verschlafen. Alec glaubte fest daran, dass man in solchen Situationen den Verstand abschalten und es dem Unterbewusstsein überlassen sollte, scheinbar unlösbare Probleme zu lösen. Vielleicht würde Lauras Unterbewusstsein die Oberhand gewinnen und wie besessen arbeiten, während sie schlief, und ihr dann beim Aufwachen einen glänzenden Plan präsentieren. Sie dachte über diese Möglichkeit nach und seufzte wieder. Sie hatte nicht so viel Vertrauen zu ihrem Unterbewusstsein. Ehrlich gesagt, sie hatte überhaupt kein großes Selbstvertrauen.
«So blass habe ich Sie noch nie gesehen», hatte Dr. Hickley gesagt, was allein schon beunruhigend war, denn Dr. Hickley war eine kühle, professionelle Frau, die sich selten zu derart impulsiven Bemerkungen hinreißen ließ. «Machen wir lieber einen kleinen Bluttest, damit wir es genau wissen.»
Merkte man es ihr wirklich so sehr an?
Laura klappte die Sonnenblende nach unten und musterte sich in dem Spiegel auf der Rückseite. Wenig begeistert nahm sie einen Kamm aus der Handtasche und versuchte, ihr Haar in Ordnung zu bringen. Dann griff sie zum Lippenstift, der im Kontrast zur Blässe ihrer Haut zu knallig wirkte.
Sie sah sich in die Augen, die dunkelbraun waren, gesäumt von langen, dichten Wimpern. Ihre Augen machten den Eindruck, meinte sie, als seien sie zu groß für ihr Gesicht, wie zwei in ein Blatt Papier geschnittene Löcher. Sie begegnete ihrem Blick streng. Nach Hause zu fahren und sich schlafen zu legen löst gar nichts. Das weißt du, nicht wahr? Sie brauchte jemanden, der helfen konnte, jemanden, mit dem sie reden konnte. Zu Hause war niemand, denn Mrs. Abney, die im Souterrain wohnte, verzog sich an jedem Nachmittag zwischen zwei und vier ins Bett. Gegen Störungen wehrte sie sich heftig, selbst wenn es um Wichtiges ging, wie zum Beispiel um den Mann, der den Zähler ablesen sollte.
Jemand, mit dem sie sprechen konnte.
Phyllis.
Glänzend. Wenn ich aus dem Krankenhaus komme, könnte ich bei Phyllis wohnen. Wenn ich bei Phyllis wäre, könnte Alec nach Schottland fahren.
Sie wusste nicht, warum ihr diese naheliegende Idee nicht früher eingefallen war. Laura war erleichtert und lächelte, aber im selben Augenblick riss sie eine Autohupe in die Realität zurück. Ein großer blauer Rover hielt neben ihrem Auto, und der Fahrer, ein Mann mit rotem Gesicht, brachte unmissverständlich zum Ausdruck, er wolle wissen, ob sie vorhabe, den Parkplatz zu räumen oder den Rest des Tages vor dem Spiegel zu sitzen.
Verlegen klappte Laura die Sonnenblende nach oben, ließ den Motor an, lächelte charmanter als nötig und manövrierte sich leicht nervös auf die Straße, ohne etwas zu rammen. Sie schaffte es auf die Euston Road, fuhr im dreispurigen Verkehr langsam bis zur Eversholt Street und bog dort nach Norden ab, bergauf, Richtung Hampstead.
Sofort fühlte sie sich eine Spur besser. Ihr war etwas eingefallen, und sie unternahm etwas. Der Verkehr wurde schwächer, das Auto kam etwas schneller voran, Luft strömte durch das offene Dach. Die Straße war freundlich und vertraut, denn als Laura jung gewesen war und bei Phyllis gewohnt hatte, war sie diese Strecke täglich mit dem Bus gefahren – erst zur Schule, dann zum College. Wenn sie an Ampeln hielt, erinnerte sie sich gut an die Häuser auf beiden Seiten, schäbig und von Bäumen beschattet. Einige hatten frischgestrichene Fassaden und Haustüren in bunten Farben. Junge, sommerlich gekleidete Frauen und Mütter mit halbnackten Kindern tummelten sich auf dem Gehsteig. Die kleinen Läden boten ihre Ware draußen unter den Markisen an, künstlerisch gestapeltes Gemüse und Obst, Rosen und Nelken in grünen Eimern. Vor einem kleinen Restaurant standen sogar unter gestreiften Sonnenschirmen zwei Tische und weiß lackierte Metallstühle. Wie Paris, dachte Laura. Wenn wir doch nur in Hampstead wohnen würden. Und im nächsten Moment hupte ein Auto hinter ihr, weil die Ampel auf Grün umgesprungen war.
Erst als sie die Hampstead High Street entlangfuhr, fiel ihr ein, dass Phyllis vielleicht gar nicht zu Hause war.
Laura hätte anhalten und telefonieren können. Sie versuchte sich vorzustellen, was Phyllis an einem schönen Sommernachmittag machen könnte, und das war nicht schwierig, weil es zahllose Möglichkeiten gab. Vielleicht kaufte sie ein, Kleidung oder Antiquitäten, schlenderte durch ihre Lieblingsgalerien, saß in einem Ausschuss, der sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Massen an die Musik heranzuführen, oder sie sammelte Spenden zur Rettung einer baufälligen Villa in Hampstead.
Es war jedoch zu spät, noch etwas zu unternehmen, weil Laura fast angekommen war. Sie bog von der Hauptstraße in eine Gasse, die schmaler wurde und in Kurven verlief. Laura sah die georgianische Häuserreihe, die mit der Gasse anstieg, jedes Haus ein Stückchen höher als das vorige. Die Türen waren auf gleicher Höhe mit dem gepflasterten Trottoir. Vor Phyllis’ Haus parkte ihr Auto – ein hoffnungsvolles Zeichen, wenn es auch nicht unbedingt bedeutete, dass Phyllis zu Hause war, denn sie war eine unermüdliche Fußgängerin und nahm nur das Auto, wenn sie «nach London herunter» musste.
Laura parkte ihr Auto, schloss das Schiebedach, nahm Lucy auf den Arm und stieg aus. Zu beiden Seiten von Phyllis’ Haustür standen Kübel mit Hortensien. Laura betätigte den Klopfer. Wenn sie nicht da ist, fahre ich einfach zurück, nach Hause, und rufe sie an. Aber schon hörte sie Phyllis’ eilige, klackende Schritte (sie trug immer ganz hochhackige Schuhe), und im nächsten Augenblick ging die Tür auf, und alles war gut.
«Liebling.»
Das war die allerbeste Begrüßung. Sie umarmten sich, wobei Lucy im Weg war. Wie immer fühlte sich Phyllis in ihren Armen wie ein Vogel an. Ein Vogel mit zarten Knochen und buntem Gefieder. Heute trug Phyllis Aprikosenrosa, dazu kühle, glasige Perlen um den Hals und Ohrringe, die wie Christbaumschmuck baumelten. Ihre Kinderhände waren überladen mit Ringen, und sie war wie immer perfekt geschminkt. Nur ihr Haar sah etwas widerborstig aus und hatte sich an der Stirn gelöst. Es wurde jetzt grau, aber das lenkte in keiner Weise von der jugendlichen Ausstrahlung in ihrem Gesicht ab.
«Du hättest anrufen sollen!»
«Ich bin ganz spontan hergekommen.»
«Oh, Liebling, wie aufregend das klingt. Komm herein!»
Laura folgte ihr ins Haus, und Phyllis machte die Tür hinter ihr zu. Aber es war nicht dunkel, denn der schmale Flur erstreckte sich durch das Haus zu einer zweiten Tür, die in den Garten führte und offen stand. Im Türrahmen sah Laura den sonnigen, mit Platten ausgelegten Garten mit den glänzenden grünen Hängepflanzen und dem weißen, spalierüberzogenen Gartenhaus am Ende.
Laura bückte sich und setzte die hechelnde Lucy auf dem Teppich ab. Sie stellte ihre Handtasche auf die Treppe und ging in die Küche, um Lucy einen Napf Wasser zu holen. Phyllis schaute von der Schwelle aus zu.
«Ich habe im Garten gesessen», sagte sie, «aber es ist fast zu heiß. Gehen wir ins Wohnzimmer. Dort ist es kühl, und die Terrassentür ist offen. Liebling, du siehst schrecklich dünn aus. Hast du abgenommen?»
«Ich weiß nicht. Es könnte sein. Absicht war es nicht.»
«Möchtest du etwas trinken? Ich habe eben frische Limonade gemacht. Sie steht im Kühlschrank.»
«Sehr gern.»
Phyllis holte Gläser. «Geh schon vor, und mach’s dir gemütlich. Leg die Füße hoch, dann halten wir einen herrlichen Plausch. Ich habe dich seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Wie geht’s dem gutaussehenden Alec?»
«Gut.»
«Du musst mir alles erzählen.»
Es war himmlisch, gesagt zu bekommen, sie solle es sich gemütlich machen und die Füße hochlegen. Genau wie früher. Laura tat wie geheißen und kuschelte sich in die Ecke von Phyllis’ herrlichem, daunenweichem Sofa. Hinter der offenen Glastür regte sich der Garten mit einem leichten Rascheln in der Brise. Es duftete nach Goldlack. Alles war ruhig. Was eigentlich seltsam war, denn Phyllis war kein ruhiger Mensch. Sie war eher wie eine Mücke, schwirrte ständig herum, lief auf den spindeldürren Beinen hundertmal am Tag die Treppe hinauf und hinunter.
Sie war Lauras Tante, die jüngere Schwester ihres Vaters. Der Vater der beiden war ein verarmter anglikanischer Geistlicher gewesen, und viel Sparen und Pennyfuchserei waren nötig gewesen, damit Lauras Vater hatte Medizin studieren können.
Für Phyllis war nichts übrig geblieben.
Obwohl die Zeiten zum Glück vorüber waren, in denen von Pfarrerstöchtern erwartet wurde, dass sie brav zu Hause blieben, der Mutter beim Blumenschmuck der Kirche halfen und Kindergottesdienst hielten, war die beste Aussicht, mit der Phyllis rechnen konnte, einen soliden, passenden Mann zu heiraten. Aber Phyllis hatte von früher Kindheit an einen eigenen Kopf. Sie schaffte es, einen Kurs als Schreibkraft abzuschließen und sich nach London abzusetzen – nicht ohne ein gewisses Maß an elterlichem Widerstand –, wo sie in Rekordzeit nicht nur eine Wohnung, sondern auch eine Anstellung als Bürohilfe bei Hay Macdonalds, einem eingeführten Verlag, fand. Ihre Begeisterungsfähigkeit und ihr Unternehmungsgeist fielen bald auf. Sie wurde Sekretärin des Belletristiklektors und dann, im Alter von vierundzwanzig Jahren, Chefsekretärin des Verlegers, Maurice Hay.
Er war ein Junggeselle von dreiundfünfzig, und alle Welt meinte, er werde bis zum Ende seines Lebens in diesem glücklichen Stand bleiben. Aber so war es nicht, denn er verliebte sich Hals über Kopf in Phyllis, heiratete sie und brachte sie – zwar nicht auf einem Schimmel, aber immerhin in einem großen, eindrucksvollen Bentley – in sein Juwel von einem Haus in Hampstead, wo sie herrlich und in Freuden lebten. Sie machte ihn sehr glücklich, vergeudete keinen Tag ihrer gemeinsamen Zeit, und das war auch gut so, denn drei Jahre später starb er an einem Herzinfarkt.
Phyllis hinterließ er sein Haus, die Möbel und sein ganzes Geld. Er war weder kleinlich noch eifersüchtig, deshalb enthielt sein Testament keinen Nachtrag mit der Forderung, sie müsse auf alles verzichten, falls sie wieder heirate. Aber Phyllis heiratete trotzdem nicht wieder. Dass sie es bleiben ließ, war allen, die sie kannten, ein Rätsel. Es war nicht so, dass es ihr an männlichen Bewunderern gefehlt hätte; ganz im Gegenteil. Sie waren allgegenwärtig, riefen an, schickten Blumen, führten sie zum Essen aus, reisten mit ihr ins Ausland, gingen im Winter mit ihr ins Theater und begleiteten sie im Sommer nach Ascot.
«Aber ihr Lieben», protestierte sie, wenn ihr unabhängiger Lebensstil kritisiert wurde, «ich will nicht wieder heiraten. Ich finde nie wieder einen so lieben Mann wie Maurice. Und außerdem ist das Alleinsein viel amüsanter. Vor allem, wenn man alleinstehend und reich ist.»
In Lauras Kindheit war Phyllis eine Art Legende gewesen, und das war auch kein Wunder. Manchmal fuhr sie mit ihren Eltern zu Weihnachten nach London, um die weihnachtlich geschmückte Stadt zu sehen und um vielleicht auch ins Palladium oder ins Ballett zu gehen. Dann wohnten sie immer bei Phyllis, und Laura, die in dem geschäftigen, stumpfsinnigen Haushalt eines Landarztes aufgewachsen war, empfand das, als wäre sie plötzlich wie mit Zauberhand in einen Traum versetzt worden. Alles war so hübsch, so strahlend, roch so gut. Und Phyllis …
«Sie ist eben einfach eine Traumtänzerin», sagte Lauras Mutter gutmütig auf der Heimfahrt nach Dorset, während Laura überwältigt auf dem Autorücksitz saß, benommen von so viel Glanz. «Man kann sich nicht vorstellen, dass sie das Leben ernst nimmt, etwas Praktisches tut … und warum sollte sie auch?»
Doch da irrte sich Lauras Mutter. Denn als Laura zwölf war, kamen ihre Eltern ums Leben, auf der Heimfahrt von einer Abendessenseinladung, auf einer Straße, die beide ihr Leben lang gekannt hatten. Es war eine Verkettung mehrerer unvorhersehbarer Umstände: Eine T-Kreuzung, ein Fernlaster, ein zu schnell fahrendes Auto mit nicht funktionierenden Bremsen führten zu einer Katastrophe von grausiger Endgültigkeit. Es wirkte fast so, als wäre Phyllis schon da gewesen, ehe sich der Staub über diesem Grauen gelegt hatte.
Sie sagte gar nichts zu Laura. Sie sagte nicht, sie müsse tapfer sein, sie sagte ihr nicht, sie solle nicht weinen, sie sagte nicht, es sei Gottes Wille gewesen. Sie nahm sie einfach in die Arme und fragte ganz bescheiden, ob Laura so lieb sein wolle, eine Zeitlang zu ihr nach Hampstead zu kommen, um ihr Gesellschaft zu leisten.
Laura kam mit und blieb. Phyllis kümmerte sich um alles: die Beerdigung, die Anwälte, den Verkauf der Praxis und der Möbel. Sie behielt nur ein paar kostbare, persönliche Dinge für Laura, die in das Zimmer kamen, das Lauras Reich werden sollte. Ein Schreibtisch ihres Vaters, ihr Puppenhaus, ihre Bücher und die silberne Frisiergarnitur ihrer Mutter.
«Und bei wem wohnst du dann?», fragten die Mädchen in ihrer neuen Londoner Schule, wenn ihre direkten Fragen die traurige Wahrheit herausholten, dass Laura Waise war.
«Bei meiner Tante Phyllis.»
«Ach je. Ich würde nicht bei meiner Tante wohnen wollen. Hat sie einen Mann?»
«Nein, sie ist Witwe.»
«Klingt ziemlich langweilig.»
Aber Laura sagte nichts, denn sie wusste, wenn sie schon nicht in Dorset bei ihren geliebten Eltern leben konnte, wäre sie nirgends auf der Welt lieber gewesen als bei Phyllis.
Ihre Beziehung war nach allen Maßstäben ganz außerordentlich. Das ruhige und fleißige Mädchen und seine extrovertierte, lebenslustige Tante wurden enge Freundinnen, stritten sich nie, gingen sich nicht auf die Nerven. Erst als Laura das College abgeschlossen hatte und so weit war, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, hatte sie die erste Meinungsverschiedenheit mit Phyllis. Phyllis wollte, dass Laura zu Hay Macdonalds ging. Ihr kam das naheliegend und natürlich vor.
Laura sträubte sich gegen diesen Plan. Sie glaubte, das sei eine Art Vetternwirtschaft und untergrabe ihren Entschluss, unabhängig zu sein.
Phyllis beteuerte, sie werde unabhängig sein. Sie werde sich ihren Lebensunterhalt verdienen.
Laura wies darauf hin, sie schulde Phyllis schon genug. Sie wolle ihre Berufslaufbahn – auf welchem Gebiet auch immer – ohne Verpflichtungen beginnen.
Aber niemand rede von Verpflichtungen. Warum sie eine wunderbare Chance ablehnen wolle, nur weil sie Phyllis’ Nichte sei?
Laura sagte, sie wolle auf eigenen Beinen stehen.
Phyllis seufzte und erklärte geduldig, sie werde auf eigenen Beinen stehen. Von Vetternwirtschaft könne keine Rede sein. Wenn sie nichts leiste und der Arbeit nicht gewachsen sei, habe niemand zartfühlende Hemmungen, sie hinauszuwerfen.
Das war nicht gerade beruhigend. Laura murmelte etwas darüber, sie brauche eine Herausforderung.
Aber Hay Macdonalds sei eine Herausforderung. Laura könne sich ihr genau wie jeder anderen Herausforderung stellen.
Der Streit ging mit Unterbrechungen drei Tage lang weiter, und schließlich gab Laura nach. Aber gleichzeitig brachte sie Phyllis bei, sie habe eine kleine Zweizimmerwohnung in Fulham gefunden und wolle dort wohnen. Diese Entscheidung hatte sie schon vor langer Zeit getroffen; sie hatte nichts mit dem Streit zu tun. Das hieß nicht, dass sie nicht mehr bei Phyllis wohnen wollte. Sie hätte ewig in dem warmen, luxuriösen kleinen Haus auf dem Hügel über London bleiben können, aber sie wusste, dass das nicht gutgegangen wäre. Die Umstände hatten sich leicht verändert. Sie waren nicht mehr Tante und Nichte, sondern zwei erwachsene Frauen, und die einzigartige Beziehung, die sie aufgebaut hatten, war zu zerbrechlich und zu kostbar, als dass sie aufs Spiel gesetzt werden durfte.
Phyllis hatte ein eigenes Leben – immer noch ausgefüllt und aufregend, trotz der Tatsache, dass sie jetzt über fünfzig war. Mit neunzehn musste sich Laura ein eigenes Leben aufbauen, und das hätte sie niemals geschafft, wenn sie nicht die Willenskraft aufgebracht hätte, Phyllis’ gemütliches Nest zu verlassen.
Nach der anfänglichen Enttäuschung verstand Phyllis das. Aber sie prophezeite: «Es wird nicht lange dauern. Du wirst heiraten.»
«Warum sollte ich heiraten?»
«Weil du der Typ bist, der heiratet. Du bist die Art Frau, die einen Mann braucht.»
«Das haben die Leute nach Maurices Tod auch zu dir gesagt.»
«Du bist nicht ich, Liebling. Ich gebe dir drei Jahre als berufstätige Frau. Keinen Augenblick länger.»
Aber ausnahmsweise irrte sich Phyllis. Denn es dauerte neun Jahre, bis Laura sich in Alec Haverstock verguckte, und weitere sechs Jahre – inzwischen war Laura fünfunddreißig –, bis sie ihn heiratete.
«So …» Das Klingeln von Eis gegen Glas, das Klacken hoher Absätze. Laura machte die Augen auf und sah Phyllis, die ein Tablett auf den niedrigen Couchtisch stellte. «Hast du geschlafen?»
«Nein. Ich habe nur nachgedacht. Erinnerungen.»
Phyllis setzte sich auf das zweite Sofa. Sie lehnte sich nicht zurück, denn es war ihrem Wesen völlig fremd, sich in irgendeiner Weise zu entspannen. Sie saß auf der Kante und sah aus, als könnte sie jeden Augenblick aufspringen, um etwas Wichtiges zu erledigen.
«Erzähl mir alles. Was hast du gemacht? Ich hoffe, du warst einkaufen.»
Sie goss ein großes Glas Limonade ein und reichte es Laura. Das Glas war vor Kälte beschlagen. Laura trank einen Schluck und stellte das Glas dann neben sich auf den Boden.
«Nein, ich war nicht einkaufen. Ich war bei Frau Doktor Hickley.» Phyllis legte den Kopf schief, und ihre Miene zeigte sofort aufmerksames Interesse, mit hochgezogenen Augenbrauen und großen Augen. «Nein», sagte Laura. «Ich bekomme kein Baby.»
«Und warum warst du dann bei ihr?»
«Wieder das alte Problem.»
«Oh, Liebling.» Es war nicht nötig, mehr zu sagen. Sie sahen sich traurig an. Aus dem Garten tauchte Lucy auf. Ihre Pfoten kratzten auf dem Parkett, als sie durch die offene Terrassentür näher kam und leichtfüßig in Lauras Schoß sprang, wo sie sich bequem zu einer Kugel zusammenrollte und schlafen legte.
«Wann ist das passiert?»
«Oh, es geht schon eine ganze Weile, aber ich habe den Besuch bei Frau Doktor Hickley hinausgeschoben, weil ich nicht daran denken wollte. Du weißt schon, wenn man es nicht zur Kenntnis nimmt und nicht nachsehen lässt, geht es vielleicht weg.»
«Das war sehr dumm von dir.»
«Das hat sie auch gesagt. Es hat jedenfalls nichts genützt. Ich muss wieder ins Krankenhaus.»
«Wann?»
«So bald wie möglich. Ungefähr zwei Tage.»
«Aber Liebling, du fährst doch nach Schottland.»
«Frau Doktor Hickley sagt, ich kann nicht fahren.»
«Wie furchtbar für dich.» Phyllis’ Stimme sank und passte sich der völlig verzweifelten Lage an. «Du hast dich so darauf gefreut, deine ersten Ferien in Schottland mit Alec … und was wird er tun? Er will bestimmt nicht ohne dich fahren.»
«Deshalb bin ich ja zu dir gekommen. Um dich um einen Gefallen zu bitten. Ist es dir recht?»
«Ich weiß noch nicht, was für ein Gefallen es ist.»
«Kann ich bei dir wohnen, wenn ich aus dem Krankenhaus komme? Wenn Alec weiß, dass ich bei dir bin, fährt er mit den anderen nach Glenshandra. Es liegt ihm so viel daran. Und alles ist seit Monaten geplant. Er hat die Hotelzimmer gebucht und ein Stück am Fluss zum Angeln gepachtet. Ganz zu schweigen von den Boulderstones und den Ansteys.»
«Wann ist das?»
«Nächste Woche. Ich bin nur zwei Tage im Krankenhaus und brauche keine Pflege oder so …»
«Liebling, es ist einfach schrecklich, aber ich verreise.»
«Du …» Es war unvorstellbar. Laura starrte Phyllis an und hoffte, nicht in Tränen auszubrechen. «Du … bist nicht hier?»
«Ich bin einen Monat in Florenz. Mit Laurence Haddon und den Birleys. Wir haben es erst letzte Woche geplant. Oh, wenn du keinen Ausweg weißt, könnte ich absagen.»
«Natürlich darfst du nicht absagen.»
«Was ist mit Alecs Bruder und seiner Frau? Der Bruder, der in Devon lebt. Könnten sie sich nicht um dich kümmern?»
«Du meinst, ich soll nach Chagwell?»
«Du klingst nicht sehr begeistert. Ich habe gedacht, du hast sie gemocht, als ihr Ostern bei ihnen verbracht habt.»
«Ich mag sie. Sie sind ganz reizend. Aber sie haben fünf Kinder, und es sind Ferien, und Jenny hat schon so genug zu tun, ohne dass ich auch noch komme, ganz bleich und schwach, und erwarte, dass mir das Frühstück ans Bett gebracht wird. Außerdem weiß ich, wie man sich nach einer solchen Operation fühlt. Völlig ausgepumpt. Es muss etwas mit der Narkose zu tun haben. Und der Krach in Chagwell liegt nie unter einer Million Dezibel. Das ist vermutlich bei fünf Kindern im Haus unvermeidlich.»
Phyllis begriff, was sie meinte, gab den Gedanken an Chagwell auf und suchte nach anderen Lösungen.
«Mrs. Abney ist auch noch da.»
«Alec würde mich nie bei Mrs. Abney lassen. Sie wird alt, das Treppensteigen fällt ihr schwer.»
«Würde Frau Doktor Hickley die Operation verschieben?»
«Nein. Ich habe sie gefragt, und sie hat nein gesagt.» Laura seufzte. «Phyllis, in solchen Fällen sehne ich mich nach einer Riesenfamilie. Nach Brüdern und Schwestern, Cousins und Cousinen, Großeltern und Mutter und Vater …»
Phyllis sagte: «Oh, Liebling», und Laura bereute es sofort.
«Es war dumm, so etwas zu sagen. Es tut mir leid.»
«Vielleicht», sagte Phyllis, «könnte sich eine Pflegerin um dich kümmern, gemeinsam mit Mrs. Abney …»
«Oder ich könnte einfach im Krankenhaus bleiben?»
«Das ist ein lächerlicher Vorschlag. Ehrlich gesagt, das ganze Gespräch ist lächerlich. Ich glaube nicht, dass Alec nach Schottland fahren und dich zurücklassen will. Schließlich seid ihr praktisch ja noch in den Flitterwochen!»
«Wir sind seit neun Monaten verheiratet.»
«Warum sagt er das Ganze nicht einfach ab und fliegt mit dir nach Madeira, wenn es dir besser geht?»
«Das geht nicht. Er kann nicht einfach Urlaub nehmen, wann er will. Dazu ist er viel zu wichtig. Und Glenshandra ist … eine Art Tradition. Er fährt seit einer Ewigkeit dorthin, jeden Juli, mit den Ansteys und den Boulderstones. Er freut sich das ganze Jahr darauf. Dort ändert sich nie etwas. Das hat er mir gesagt, und das liebt er so daran. Das gleiche Hotel, der Fluss, der gleiche Angelaufseher, die gleichen Freunde. Das ist Alecs Sicherheitsventil, die frische Luft, die er braucht, das Einzige, was ihn aufrechterhält, wenn er den Rest des Jahres in der City schuftet.»
«Du weißt, er liebt, was du schuften nennst. Er genießt es, viel Arbeit zu haben und erfolgreich zu sein, in diesem und jenem Aufsichtsrat zu sitzen.»
«Und er kann die anderen nicht im letzten Augenblick im Stich lassen. Wenn er nicht fährt, denken sie, das ist meine Schuld, und ihre Meinung von mir sinkt unter den Gefrierpunkt, wenn ich ihnen den Urlaub verderbe.»
«Ich glaube nicht», sagte Phyllis, «dass die Meinung der Ansteys und der Boulderstones eine so große Rolle spielt. Du musst nur an Alec denken.»
«Genau. Ich habe das Gefühl, ich lasse ihn im Stich.»
«Ach, sei doch nicht albern. Du kannst nichts dafür, wenn dein armer Körper plötzlich verrückt spielt. Und du hast dich auf die Reise nach Schottland genauso gefreut wie er. Oder nicht?»
«Oh, Phyllis, ich weiß nicht. Es wäre ganz anders, wenn ich nur mit Alec fahren würde. Wenn wir zusammen sind, nur wir beide, ist alles gut. Wir können glücklich sein. Ich kann ihn zum Lachen bringen. Es ist, als wäre ich mit meiner zweiten Hälfte zusammen. Aber wenn die anderen dabei sind, komme ich mir vor, als wäre ich versehentlich in einen Club geraten, in dem ich nie Mitglied werden kann, wie sehr ich mich auch anstrenge.»
«Willst du Mitglied werden?»
«Ich weiß nicht. Es ist nur so, dass sie sich alle so gut kennen … so viele Jahre lang, und die meiste Zeit war Alec mit Erica verheiratet. Daphne war Ericas beste Freundin, sie war Gabriels Patin. Erica und Alec hatten im New Forest ein Haus namens Deepbrook, und sie sind an Wochenenden alle dorthin gefahren. Alles, was sie je gemacht haben, alles, woran sie sich gemeinsam erinnern, reicht über fünfzehn Jahre zurück.»
Phyllis seufzte. «Ziemlich einschüchternd. Es ist schwer, mit den Erinnerungen anderer fertig zu werden, ich weiß. Aber das alles muss dir klar gewesen sein, als du Alec geheiratet hast.»
«An so etwas habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich habe nur gewusst, dass ich ihn heiraten will. Ich wollte nicht an Erica denken, ich wollte nicht an Gabriel denken. Ich habe einfach so getan, als gäbe es sie nicht, was ziemlich leicht war, wenn man bedenkt, dass sie weit weg sind, in Amerika.»
«Du willst doch bestimmt nicht, dass Alec seine alten Freunde fallenlässt. Alte Freunde gehören zu einem Mann. Sie sind ein Teil seiner Persönlichkeit. Für sie kann es auch nicht immer leicht sein. Du musst es mit ihren Augen sehen.»
«Nein, es muss wohl nicht leicht sein.»
«Erwähnen sie Erica und Gabriel?»
«Manchmal. Aber dann entsteht ein unangenehmes Schweigen, und jemand wechselt schnell das Thema.»
«Vielleicht solltest du das Thema selbst zur Sprache bringen.»
«Phyllis, wie kann ich das Thema zur Sprache bringen? Wie kann ich drauflosplaudern über die glamouröse Erica, die Alec wegen eines anderen verlassen hat? Wie kann ich über Gabriel sprechen, wenn Alec sie seit der Trennung nicht mehr zu Gesicht bekommen hat?»
«Schreibt sie ihm?»
«Nein, aber er schreibt ihr. Vom Büro aus. Einmal hat seine Sekretärin vergessen, den Brief zur Post zu geben, und er hat ihn mit nach Hause gebracht. Ich habe die Adresse gesehen, maschinegeschrieben. Da kam mir der Gedanke, dass er ihr jede Woche schreibt. Aber er scheint nie Antwort zu bekommen. Im Haus gibt es keine Fotos von Erica, aber eins von Gabriel steht auf seinem Ankleidetisch und eine Zeichnung, die sie für ihn gemacht hat, als sie etwa fünf war. In einem Silberrahmen von Asprey’s. Ich glaube, wenn das Haus in Brand geriete und er ein kostbares Stück aus den Flammen retten müsste, wäre es diese Zeichnung.»
«Er braucht ein zweites Kind», sagte Phyllis entschieden.
«Ich weiß. Aber vielleicht kann ich keins bekommen.»
«Selbstverständlich bekommst du eins.»
«Nein.» Laura hob den Kopf und sah Phyllis an. «Vielleicht nicht. Schließlich bin ich fast siebenunddreißig.»
«Das ist doch kein Alter.»
«Und wenn diese Geschichte wieder losgeht, dann muss eine Totaloperation gemacht werden, sagt Frau Doktor Hickley.»
«Laura, denk nicht darüber nach.»
«Ich will ein Kind. Wirklich.»
«Es kommt alles in Ordnung. Dieses Mal kommt alles in Ordnung. Sei nicht deprimiert. Denk positiv. Und was die Ansteys und die Boulderstones anlangt, sie werden es verstehen. Das sind wirklich nette, ganz normale Menschen. Ich fand sie alle reizend, als ich sie bei dem wunderbaren Essen, das du für mich gegeben hast, kennengelernt habe.»
Lauras Lächeln war ironisch. «Daphne auch?»
«Natürlich, Daphne auch», sagte Phyllis entschieden. «Ich weiß, sie hat den ganzen Abend mit Alec geflirtet, aber manche Frauen können einfach nicht anders. Selbst wenn sie so alt sind, dass sie es besser wissen müssten. Du glaubst doch bestimmt nicht, dass mal was zwischen ihnen war?»
«Manchmal, wenn ich ein Tief habe, frage ich mich … Nachdem Erica ihn verlassen hatte, war Alec fünf Jahre allein.»
«Du musst verrückt sein. Kannst du dir vorstellen, dass ein integrer Mann wie Alec mit der Frau seines besten Freundes ein Verhältnis hat? Ich kann es mir nicht vorstellen. Du unterschätzt dich, Laura. Und was unendlich viel gefährlicher ist, du unterschätzt Alec.»
Laura legte den Kopf auf das Sofakissen zurück und schloss die Augen. Es war jetzt kühler, aber Lucys Gewicht lag wie eine Wärmflasche auf ihrem Schoß. «Was soll ich machen?»
«Fahr nach Hause», sagte Phyllis. «Geh unter die Dusche, zieh dein hübschestes Kleid an, und wenn Alec nach Hause kommt, gib ihm einen Martini mit Eis und rede mit ihm. Und wenn er auf seinen Urlaub verzichten und bei dir bleiben will, dann lass ihn.»
«Aber ich will, dass er fährt. Ich will es wirklich.»
«Dann sag ihm das. Und sag ihm, falls es zum Schlimmsten kommt, sage ich Florenz ab, und du kannst bei mir wohnen.»
«Oh, Phyllis …»
«Aber ich bin mir sicher, dass er einen genialen Einfall hat und dass diese ganze Selbsterforschung umsonst war, deshalb wollen wir keine Zeit mehr damit vergeuden.» Sie warf einen Blick auf die Uhr. «Und jetzt ist es fast vier. Was hältst du von einer köstlichen Tasse Chinatee?»
Alec Haverstock, Absolvent von Winchester und Cambridge, Anlageberater, Geschäftsführer der Firma Fortbright Northern Investment Trust und einer der Direktoren der Handelsbank Sandberg Harpers, stammte – und viele überraschte das – mitten aus dem West Country.
Er war in Chagwell geboren, als zweiter Sohn einer Familie, die seit drei Generationen etwa vierhundert Hektar Land im hügeligen Westen von Dartmoor bewirtschaftete. Das Farmhaus war aus Stein und in seiner Weiträumigkeit für große Familien geschaffen. Es war solide, strahlte etwas Beruhigendes aus und lag Richtung Südwesten, umgeben von hügeligen Weiden, auf denen die Guernsey-Rinderherden grasten, und dem üppigen Ackerland und den schilfigen Ufern des Baches Chag. Noch weiter entfernt, am Horizont, sah man den Ärmelkanal, oft verschleiert von einem Vorhang aus Regen und Nebel, aber an klaren Tagen seidig und blau in der Sonne.
Die Haverstocks waren eine fruchtbare Familie, mit verschiedenen Zweigen in ganz Devon und Cornwall. Manche Sprösslinge dieser Nebenlinien wandten sich akademischen Berufen zu und wurden Anwälte, Ärzte und Betriebswirtschaftler, aber im Großen und Ganzen blieben die männlichen Mitglieder des Clans hartnäckig dem Land verbunden, züchteten Rinder, hielten im Moor Schafe und Ponys, fischten im Sommer und gingen im Winter mit den einheimischen Fuchshunden auf die Jagd. Meistens ritt in dem jährlich stattfindenden Jagdspringen Hunt Steeplechase ein junger Haverstock mit, und gebrochene Schlüsselbeine wurden nicht ernster genommen als eine gewöhnliche Erkältung.
Weil das Land vom Vater an den ältesten Sohn vererbt wurde, waren jüngere Söhne gezwungen, sich ihren Lebensunterhalt anderswo zu verdienen, und fuhren, der Männertradition in Devon folgend, meistens zur See. Genau wie es unter den Farmern des Landes immer Haverstocks gegeben hatte, gab es in den Mitgliederlisten der Navy seit über hundert Jahren immer einen Anteil an Haverstocks, von Matrosen bis zu Kapitänen und gelegentlich sogar einen Admiral.
Alecs Onkel Gerald war dieser Tradition gefolgt und zur Royal Navy gegangen. Weil sein älterer Bruder Brian Chagwell erbte, wurde von Alec erwartet, dass er dieselbe Laufbahn einschlagen würde. Doch er war unter einem anderen Stern geboren als seine rauen, aber herzlichen Seefahrervorfahren und wählte eine ganz andere Richtung. Nach seinem ersten Halbjahr in der einheimischen Grundschule wurde deutlich, dass er nicht nur kräftig und einfallsreich, sondern auch hochintelligent war. Der Rektor dieser kleinen Schule ermutigte ihn, für ein Stipendium in Winchester zu büffeln, das er auch bekam. Von Winchester ging er nach Cambridge. Dort ruderte er, spielte Rugby und studierte Betriebswirtschaft mit einem glänzenden Abschlussexamen. Er hatte Cambridge noch nicht verlassen, als er einem Talentsucher von Sandberg Harpers auffiel und eine Stelle dort angeboten bekam, in der Londoner City.
Alec war zweiundzwanzig. Er kaufte sich zwei dunkle Geschäftsanzüge, einen Stockschirm und eine Aktentasche und stürzte sich in diese aufregende neue Welt mit tollkühner Begeisterung wie ein Haverstock, der sein Jagdpferd über ein Fünfstangenhindernis ritt. Er kam in die Abteilung der Bank, die auf Anlageberatung spezialisiert war, und lernte dort Tom Boulderstone kennen, der schon ein halbes Jahr bei Sandberg Harpers war. Die beiden jungen Männer hatten viel gemeinsam, und als Tom ihn fragte, ob er mit in seine Wohnung ziehen wolle, war Alec sofort einverstanden.
Es war eine gute Zeit. Obwohl beide in der Tretmühle von Sandberg Harpers hart arbeiten mussten, hatten sie reichlich Gelegenheit für die Art von unbeschwertem Vergnügen, das sich den meisten Menschen nur einmal im Leben bietet. Die kleine Wohnung konnte den ständigen Zustrom strahlender junger Mädchen kaum verkraften. Improvisierte Partys wurden gefeiert, auf dem Herd kochten Spaghetti, und auf dem Abtropfbrett der Spüle stapelten sich Kisten mit Lagerbier. Alec kaufte sein erstes Auto, und an den Wochenenden packten er und Tom zwei junge Mädchen ein und fuhren zu den Landhäusern von Bekannten oder im Sommer zum Kricketspielen und im Winter zum Jagen.
Es war Alec, der Daphne mit Tom bekannt machte. Alec hatte in Cambridge mit Daphnes Bruder studiert und wurde gebeten, ein guter Kumpel zu sein und dieses unschuldige Geschöpf, das zum Arbeiten nach London gekommen war, im Auge zu behalten. Alec erklärte sich ohne große Begeisterung dazu bereit, stellte aber zu seiner Freude fest, dass die junge Dame bildhübsch und wunderbar unterhaltsam war. Er ging ein paarmal allein mit ihr aus und brachte sie dann an einem Sonntagabend mit in die Wohnung, wo sie ihm und Tom die übelsten Rühreier briet, die er je gegessen hatte.
Trotz dieses Fiaskos verliebte sich Tom sofort in Daphne, was Alec etwas überraschte. Lange Zeit widerstand sie seinen Annäherungsversuchen und widmete sich weiter ihrem ausgedehnten Verehrerkreis, aber Tom war hartnäckig und flehte sie regelmäßig an, ihn zu heiraten. Das führte allerdings nur dazu, dass er mit endlosen Ausreden und Verzögerungen abgespeist wurde. Dementsprechend wechselte seine Stimmung zwischen Euphorie und tiefster Trostlosigkeit. Aber als er schließlich zu dem Schluss gekommen war, er habe nicht die mindeste Chance, und sich dafür wappnete, Daphne für immer aus seinem Leben zu verbannen, entschloss sie sich, weil sie das vielleicht witterte, zu einer Kehrtwendung, machte mit allen anderen jungen Männern Schluss und sagte Tom, sie wolle ihn jetzt doch heiraten. Alec war Trauzeuge, und Daphne zog pflichtschuldig in Toms Wohnung, als sehr junge, sehr unerfahrene Mrs. Boulderstone.
Alec musste ausziehen, und zu diesem frühen Zeitpunkt in seiner Karriere kaufte er das Haus in Islington. Niemand, den er kannte, wohnte in Islington, aber als er das Haus zum ersten Mal sah, kam es ihm größer und attraktiver vor als die winzigen Siedlungshäuser und Cottages, die seinen Freunden gehörten. Dazu kam der Vorteil, dass es wesentlich weniger kostete als Immobilien in anderen Teilen Londons. Und es war nur ein paar Minuten von der City entfernt.
Die Bank half ihm bei der Hypothek, und er zog ein. Das Haus war hoch und schmal, aber es hatte ein gutes Souterrain, das er eigentlich nicht brauchte; deshalb gab er in der Lokalzeitung eine Anzeige auf, und Mrs. Abney meldete sich. Sie war eine Witwe in mittleren Jahren. Ihr Mann war Bauarbeiter gewesen. Sie hatte keine Kinder, nur Dicky, ihren Kanarienvogel. Von Dicky wollte sie sich nicht trennen. Alec sagte, er habe nichts gegen Kanarienvögel, und es wurde abgemacht, dass Mrs. Abney einzog. Es war ein Arrangement zur gegenseitigen Zufriedenheit, denn jetzt hatte Mrs. Abney ein Zuhause und Alec eine Hausmeisterin und jemand, der seine Hemden bügelte.
Als Alec fünf Jahre bei Sandberg Harpers war, wurde er nach Hongkong versetzt.
Tom blieb in London, und Daphne war rasend neidisch. «Ich kann mir nicht vorstellen, warum sie dich schicken und Tom nicht.»
«Er ist intelligenter als ich», sagte der gutmütige Tom.
«Überhaupt nicht. Er ist bloß größer und sieht besser aus.»
«So, das reicht.»
Daphne kicherte. Sie genoss es, wenn Tom den Hausherrn spielte. «Wie auch immer, Alec, Liebling, du wirst eine herrliche Zeit haben, und ich gebe dir die Adresse meiner besten Freundin, die gerade dort ist. Sie wohnt, glaube ich, bei ihrem Bruder.»
«Arbeitet er in Hongkong?»
«Vermutlich ein Chinese», sagte Tom.
«Ach, sei nicht albern.»
«Mr. Hu Mu Ku.»
«Du weißt ganz genau, dass Ericas Bruder kein Chinese ist; er ist Captain bei der britischen Armee.»
«Erica», sagte Alec.
«Ja. Erica Douglas. Sie ist umwerfend schön, eine gute Spielerin und überhaupt fabelhaft.»
«Und energisch», murmelte Tom, der in aufreizender Stimmung war.
«Schon gut, energisch, wenn du alles verderben willst.» Sie wandte sich wieder Alec zu. «So ist sie überhaupt nicht; sie ist einfach ein ganz wunderbarer Mensch, umwerfend attraktiv.»
Eine Woche später flog Alec nach Hongkong, und sobald er sich eingelebt hatte, machte er sich auf die Suche nach Erica. Sie wohnte mittlerweile bei Freunden in einem schönen Haus auf dem Peak. Ein chinesischer Hausdiener kam an die Tür und führte ihn durch das Haus auf eine schattige Terrasse. Unter ihr lagen ein von der Sonne ausgedörrter Garten und ein blauer, nierenförmiger Swimmingpool. Missy Ellica schwimme, teilte ihm der Hausdiener mit einer leichten Geste mit, und Alec bedankte sich bei ihm und ging die Treppe hinunter. Sieben Leute waren um den Pool versammelt. Als Alec näher kam, bemerkte ihn ein älterer Mann, stieg aus dem Liegestuhl und begrüßte ihn. Alec stellte sich vor, erklärte den Grund seines Besuches, und der Mann lächelte und wandte sich dem Pool zu.
Eine junge Frau, allein, kraulte gleichmäßig und gekonnt hin und her.
«Erica!» Sie rollte sich auf den Rücken, geschmeidig wie ein Seehund. Das schwarze Haar klebte ihr am Kopf. «Besuch für dich!» Sie schwamm an den Poolrand, zog sich mühelos aus dem Wasser und kam auf Alec zu. Sie war sehr schön. Groß, langbeinig, kupferbraun. Wassertropfen liefen ihr über das Gesicht und über den Körper.
«Hallo.» Sie lächelte, und ihr Lächeln war breit und offen, ihre Zähne waren ebenmäßig und glänzend weiß. «Sie sind Alec Haverstock. Daphne hat es mir geschrieben. Ich habe gestern einen Brief bekommen. Kommen Sie, trinken Sie etwas.»
Er konnte sein Glück kaum fassen. Schon am selben Abend ging er mit ihr zum Essen aus, und ab dann waren sie selten getrennt. Nach dem trüben London war Hongkong ein wahrer Jahrmarkt der Vergnügungen: ein überfüllter, von Menschen wimmelnder Jahrmarkt, auf dem sich an jeder Ecke Armut und Reichtum streiften; eine Welt der Kontraste, die schockierte wie begeisterte; eine Welt aus Hitze, Sonnenschein und blauem Himmel.
Urplötzlich gab es so viel zu unternehmen. Sie schwammen gemeinsam, spielten Tennis, ritten am frühen Morgen aus, segelten im kleinen Dingi von Ericas Bruder in der windigen Repulse Bay. Nachts überflutete sie das vielfältige, glitzernde und glamouröse gesellschaftliche Leben von Hongkong. Es gab Abendesseneinladungen in Lokale, die luxuriöser waren, als es sich Alec in der heutigen Zeit je hätte träumen lassen. Cocktailpartys an Bord von Kreuzfahrtschiffen auf der Durchreise; Regimentsfeste – der Geburtstag der Königin und der Jahrestag des Siegs über Japan; Marinefeste. Das Leben schien zwei jungen Menschen, die im Begriff waren, sich ineinander zu verlieben, eine grenzenlose Fülle schöner Dinge zu bieten, und schließlich ging Alec auf, das Allerbeste daran sei Erica. Als er sie eines Abends von einer Party nach Hause fuhr, fragte er sie, ob sie ihn heiraten wolle, und sie stieß einen Freudenschrei aus und warf ihm die Arme um den Hals, woraufhin er fast von der Straße abgekommen wäre.
Am nächsten Tag kaufte er ihr als Verlobungsring den größten Sternsaphir, den er sich leisten konnte. Ihr Bruder gab im Offizierskasino eine Party für sie, und an jenem Abend floss der Champagner in Strömen.
Sie wurden in der Kathedrale von Hongkong vom Bischof getraut. Ericas Eltern flogen zur Hochzeit aus England her, und Erica trug ein Kleid aus schönem weißem Baumwollleinen mit weißer Stickerei. Sie verbrachten die Flitterwochen in Singapur und kehrten dann nach Hongkong zurück.
Das erste Jahr ihres Ehelebens verstrich im Fernen Osten, aber schließlich nahm die Idylle ein Ende. Alecs Dienstzeit lief ab, und er wurde nach London zurückbeordert. Sie kamen im November zurück, einem Monat, der selbst unter den besten Umständen reichlich düster ist. Als sie das Haus in Islington erreichten, nahm Alec seine Frau auf den Arm und trug sie über die Schwelle, was immerhin hieß, dass sie keine nassen Füße bekam, denn es goss gerade aus Kübeln.
Erica hielt nicht viel von dem Haus. Wenn er es mit ihren Augen sah, musste Alec zugeben, dass die Ausstattung nichts Besonderes war, und er sagte ihr, sie könne es umgestalten, wie sie wolle. Mit diesem wunderbaren Trick hielt er sie ein paar Monate lang bei Laune. Sie war beschäftigt, und als das Haus nach Ericas anspruchsvollen Maßstäben umgebaut, gestrichen, tapeziert und neu möbliert worden war, wurde Gabriel geboren.
Als er seine Tochter zum ersten Mal auf den Arm nahm, war das eine der überwältigendsten Erfahrungen in Alecs Leben. Nichts hatte ihn auf die Demut, die Zärtlichkeit und den Stolz vorbereitet, die er empfand, als er das Tuch vom Kopf des Babys streifte und zum ersten Mal auf das kleine, flaumige Gesicht hinunterschaute. Er sah das strahlende Blau der offenen Augen, die hohe Stirn, den seidigen schwarzen Haarschopf.
«Sie ist gelb», sagte Erica. «Sie sieht chinesisch aus.»
«Sie ist überhaupt nicht gelb.»
Etliche Monate nach Gabriels Geburt wurde er wieder in den Osten geschickt, dieses Mal nach Japan. Aber jetzt war alles anders, und fast hätte er sich seines Widerwillens geschämt, seine kleine Tochter zu verlassen, wenn es auch nur für ein Vierteljahr war. Er gestand das niemandem ein, nicht einmal Erica.
Schon gar nicht Erica. Denn Erica war keine geborene Mutter. Sie hatte sich schon immer mehr für Pferde interessiert als für Kinder und hatte bedauerlich wenig Begeisterung gezeigt, als sie merkte, dass sie schwanger war. Die körperlichen Folgen der Schwangerschaft stießen sie ab – sie hasste ihre angeschwollenen Brüste, ihren aufgeblähten Leib. Das lange Warten langweilte sie, und auch das Interesse am Renovieren des Hauses war keine Entschädigung für morgendliche Übelkeit, Mattigkeit und Erschöpfung.
Und jetzt gefiel ihr gar nicht, dass Alec ohne sie in den Fernen Osten zurückkehrte. Es ärgerte sie, dass er allein hinfuhr, während sie zurückbleiben und in London verkümmern musste, nur wegen Gabriel.
«Du kannst Gabriel nicht die Schuld daran geben. Selbst wenn wir Gabriel nicht hätten, könntest du nicht mitkommen. Es ist keine Vergnügungsreise.»
«Und was soll ich mit mir anfangen? Während du dich mit den Geishas amüsierst?»
«Du könntest bei deiner Mutter wohnen.»
«Ich will nicht bei meiner Mutter wohnen. Sie veranstaltet mit Gabriel ein solches Affentheater, dass ich schreien könnte.»
«Weißt du was …» Während dieses Gesprächs lag sie auf dem Bett. Er setzte sich neben sie und legte die Hand auf ihre ihm schmollend zugewandte Hüfte. «Tom Boulderstone setzt mir dauernd mit einer Idee zu. Er und Daphne wollen im Juli nach Schottland fahren … zum Angeln. Die Ansteys kommen mit, und sie meinen, wir sollten auch mitfahren und ihnen Gesellschaft leisten.»
Nach einer Weile fragte Erica: «Wo in Schottland?» Sie schmollte immer noch, aber er wusste, dass sie aufmerksam geworden war.