Worte am Meer - Christina de Groot - E-Book

Worte am Meer E-Book

Christina de Groot

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Beschreibung

Von der Magie der Worte im Wind bis hin zur Welt umspannenden und Einsamkeit überwindenden Tätigkeit des Puzzlens, von der besonderen Begegnung mit einer toskanischen Holztür bis hin zu einer außergewöhnlichen Verköstigung von Limoncello: In den Geschichten geht es immer um das Leben und die Art und Weise, es zu betrachten: mal humorvoll, mal ernst, mal poetisch, mal spirituell, dann wieder liebevoll oder nachdenklich, immer jedoch mit einer großen Phantasie und einer besonderen Liebe zum Wort.

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Christina de Groot wurde in Hamburg geboren. Nach einem mehrjährigen

Aufenthalt in Italien beschloss sie, fortan als Schriftstellerin zu leben. Ihre Geschichten sind stets mit großer Phantasie und einer besonderen Liebe zum Wort geschrieben. Es sind

Geschichten, die aus dem tiefsten Herzen kommen und zutiefst im Herzen berühren.

Christina de Groot ist Autorin der Bestseller „Der sehr hohe Zaun“, „Die

Zaubertinte“ sowie „Die Pilzbibliothek“.

Außerdem sind von ihr u. A. erschienen: „Die kleine Pfütze“,

„Die kleine Spinne, die noch übte“, „Die kleine Ameise und der Teppich“,

„Detektiv Schnüffel & Co.“, „Die kleine Prinzessin und das Rotkehlchen“ sowie die Abenteuer von „Willi Hummel“ und die

„Willi, die Europahummel“ - Reihe.

Inhaltsverzeichnis

Worte am Meer

Puzzeln

Die bellenden Hunde

Carlos

La Poesia

Claudio

Limoncello

La Vita é Brutta

La Vita é Brutta (ital.)

La Vie est Moche (frz.)

Ich bin ein Chaot

1 Euro

Haarfrisur

Null

Zeit zu gehen

Ich

Mut

Unterwegs

Die Tür

Der Engel

Der Engel II

Danksagung

Prolog

...und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst lieb zu haben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, – eines fernen Tages in die Antwort hinein.

Rainer Maria Rilke

Worte am Meer

„Laura!“ Wir riefen in den Wind hinein, der vom Meer herüber wehte.

Laura konnte uns offensichtlich nicht hören, denn sie reagierte nicht. Sie stand am Ufer und ließ ihre Füße vom Wasser der auslaufenden Wellen umspielen und war, wie sie uns später erzählte, ganz versunken in das Geräusch, das entsteht, wenn das Wasser zurück ins Meer fließt und dabei über die Steine läuft und dieses ganz besondere, geheimnisvolle Rauschen hervorbringt. Ein wundervolles Geräusch!

Laura stand nur wenige Meter von uns entfernt. Aber der Wind blies so stark, dass ich fast das Gefühl hatte, unsere Worte würden zu uns zurückgeweht werden. Ob das möglich war? Konnten Worte, die einmal den Mund verlassen hatten, wieder in diesen zurückkehren? Und wenn ja, als was? Wieder als Worte? Und wovon hing es ab, ob die Worte noch vollständig waren und ob die Reihenfolge stimmte? Oder kamen die Worte gebündelt zurück und die Zunge musste erst einmal entknoten und entwirren, was da auf sie geweht worden war? Konnten sich auch fremde Worte dazwischen schieben? Erkannte man Diese als fremd? Und wenn ja – wie? Und wie funktionierte die Meldung ans Gehirn? Konnte man sich verschlucken? War es möglich, dass, wenn man im Moment der Ankunft der Worte gerade einatmete, man die Worte verschluckte, und zwar komplett? Landeten sie dann im Magen?

Laura konnte uns auf jeden Fall nicht hören. Unsere Worte, im wahrsten Sinne des Wortes in den Wind gesprochen, gingen offensichtlich auf dem Weg zu ihr verloren. Sonst hätte sie sie ja gehört.

Oder aber - die Worte hatten in der Luft tatsächlich kehrt gemacht und waren zu uns zurückgekommen. Die Rückkehr passierte allerdings lautlos. Soviel stand fest. Denn hören konnten wir die Worte nur im Moment des Aussprechens, später nicht mehr.

Wenn die Worte also unterwegs nicht verloren gingen – was bei wenig Wind viel eher möglich war als bei starkem Wind –, dann blieb nur die Möglichkeit der Rückkehr.

Ich fühlte ein wenig nach. Waren die Worte in meinen Mund zurückgekehrt? Konnte ich die zurückgekehrten Worte und Buchstaben überhaupt wahrnehmen? Hatte sich vielleicht der Geschmack in meinem Mund dadurch verändert? Wie schmeckte denn ein L, und wie ein A? Pikste ein A vielleicht, während ein U auf der Zunge kitzelte und wie ein Flummi hüpfte? Schmeckte jeder Buchstabe anders? Schmeckte man überhaupt jeden einzelnen Buchstaben oder schmeckte man nur ganze Wörter oder gar Sätze? Was genau nahm die Zunge wahr?

Ich schloss für einen Moment die Augen. Ich wollte nicht abgelenkt sein durch das, was ich sah. Ich konzentrierte mich auf meine Zunge und schmeckte noch einmal nach. Dabei bewegte ich meine Zunge ganz vorsichtig im Mund hin und her, um herauszubekommen, ob da Etwas zu lesen war.

Meine Zunge strich langsam am Gaumen entlang, berührte links und rechts die Zähne des Oberkiefers, tastete ganz vorsichtig den Zungenuntergrund ab und glitt dann langsam auf den unteren Zähnen entlang. Von links nach rechts und von rechts nach links. War da Etwas, das ein paar Sekunden zuvor noch nicht da gewesen war? Meine Zunge tupfte mehrmals hintereinander an den Gaumen. Mmmh. Hatte ich jemals in meinem Leben versucht heraus zu bekommen, wie Buchstaben schmecken?

„Was machst Du da?“ fragte Alice, Lauras Schwester, die neben mir stand und beobachtet hatte, dass ich meinen Mund bewegte. Ich erzählte ihr von meinen Gedanken über das Schmecken von zurück gewehten Buchstaben.

„Also, wenn das geht, also wenn die Worte in den Mund zurückgeweht werden, dann würde ich auf jeden Fall schmecken, ob ich freundlich oder unfreundlich gerufen habe. Wenn ich gerade glücklich mit Laura bin, dann schmeckt Laura ganz schön, vielleicht ein bisschen süss. Auf jeden Fall ein Geschmack, der mich glücklich macht. Wenn ich aber gerade wütend auf sie bin, dann schmeckt sie nicht so gut. Etwas bitter vielleicht.“

„Und im Augenblick?“ fragte ich.

„Im Augenblick habe ich Laura lieb. Ich habe freundlich

„Laura!“ gerufen. Ich wollte, dass sie mit uns mitkommt, weil wir doch weitergehen wollen.“ Sie bewegte ihren Mund ein

wenig, ganz so, als ob auch ihre Zunge schmecken würde, was sich in ihrem Mund befand. „Im Moment schmeckt Laura gut bis neutral.“ sagte sie. „Ich glaube, ich schmecke wirklich mehr das Gefühl, das ich beim Sprechen habe, und nicht die einzelnen Buchstaben.“

„Dann schmeckst Du, was du beim Sagen des Wortes gefühlt hast, oder löst die Rückkehr der Buchstaben auch ein Gefühl aus, weil es die gleichen Buchstaben sind bzw. das gleiche Wort?“

„Mmmh…“ machte Alice und bewegte erneut ihren Mund, um die Informationen zu entschlüsseln. „Mmmh… Das weiß ich nicht genau. Ist schwer zu sagen.“

Wir schauten Beide zu Laura, die noch immer am Ufer stand.

„Wie schnell kommen die Worte eigentlich zurück in den Mund?“ fragte Alice.

„Keine Ahnung.“ antwortete ich. „Das hängt von der Windgeschwindigkeit ab, würde ich sagen.“

„Und wenn man dann gerade den Mund geschlossen hat? Was ist dann? Man kann ja nicht ständig mit geöffnetem Mund dastehen!“ Alice dachte über die Antwort nach, das konnte ich sehen.

„Vielleicht öffnen wir den Mund ja zwischendurch ein bisschen, ganz wenig nur, ohne es zu merken.“ sagte ich. „Das würde ja schon ausreichen. Oder bleiben die Buchstaben an den Lippen hängen? Ich meine, wenn wir den Mund geschlossen haben?“

Ich stellte es mir bildlich vor, wie bei allen Menschen, die bei Wind gesprochen hatten, Buchstaben außen an ihrem geschlossenen Mund hingen. Kleine, große, weiße, farbige. Fast Jeder hätte Buchstaben an den Lippen. Ich musste lachen bei der Vorstellung.

„Warum lachst Du?“ fragte Alice.

„Ich habe mir gerade vorgestellt, was passieren würde, wenn die Worte auf den geschlossenen Mund treffen!“ antwortete ich. Ich beschrieb ihr meine Vorstellung.

„Das würde ziemlich komisch aussehen!“ sagte sie. „Aber vielleicht bewegen wir zwischendurch die Lippen, ohne es zu merken, zum Beispiel, indem wir uns über die Lippen lecken, und dann schlüpfen die Buchstaben in den Mund.“

„Und wenn man gerade etwas Neues sagen will? Vertüddeln sich dann die neuen und alten Wörter miteinander?“ entgegnete ich.

„Nee“, antwortete Alice, „die zurückgewehten Buchstaben sind nicht mehr sprechfähig. Wie auch immer. Wir sprechen die neuen Wörter und wenn wir fertig sind, können wir vielleicht die zurückgekehrten Wörter erschmecken. Erst wenn man das tut, kann man sie auch erkennen.“

„Dann ist aber ganz schön was los im Mund!“ sagte ich. Wir lachten.

„Auf jeden Fall“ fuhr ich fort, „sind die zurückgekehrten Buchstaben nicht lange lesbar. Eher so wie bei Schneeflocken. Hast du mal eine einzelne Schneeflocke auf der Fingerspitze gehabt und diese wunderschöne, einmalige Kristallform gesehen? Man ist fasziniert davon und schwups, schon ist der Zauber vorbei. Die Schneeflocke ist geschmolzen, und Du hast nur noch einen winzigen Wassertropfen auf der Fingerspitze.“

„Ja“, sagte Alice, „so wird es sein. Jeder Buchstabe, der vom Wind zurückgeweht wird, löst sich nach ein, zwei Sekunden auf. Auch die, die außen auf den Lippen sind. Wir lecken mit der Zunge drüber, und weg ist alles. Man hat wirklich nur kurz Zeit, zurückgewehte Buchstaben zu erschmecken. Aber es geht. Wie bei den Schneeflocken, da geht es ja auch.“

Ich lächelte. Was für eine schöne Vorstellung! Und wie wunderbar war es, hier am Meer zu stehen, den Sand unter den Füßen zu fühlen und den Wind, der durch die Haare weht, den typischen Meeresgeruch einzuatmen und sich über so wunderbare Dinge wie Schneeflocken und die Möglichkeit des Schmeckens zurückgewehter Worte in den Mund zu unterhalten. Ich war glücklich!

„Komm!“ sagte ich zu Alice. „Lass es uns noch einmal probieren. Wir rufen zusammen „Laura!“ in den Wind, und hinterher lassen wir unseren Mund ein Stück auf. Nur für ein paar Sekunden. Mal seh ́n, ob wir Etwas schmecken!“

Alice grinste. „O ja! Lass uns das machen!“

Wir standen nebeneinander am Strand und guckten uns verschwörerisch an. Dann, wie auf ein unsichtbares Zeichen hin, drehten wir unsere Köpfe in Richtung Meer. „Laura!“ riefen wir gleichzeitig und blieben dann mit leicht geöffnetem Mund stehen.

In diesem Moment drehte sich Laura zu uns um. Sie hatte uns gehört! In unserem Eifer hatten wir zu laut gerufen, jedenfalls zu laut für unser Experiment. Die Worte waren bei Laura angekommen, was hieß, dass sie nicht mehr zu uns zurückkehrten.

Wir sahen uns an. Für einen Bruchteil von Sekunden wussten wir nicht, ob wir enttäuscht sein sollten oder nicht. Aber dann prusteten wir los vor Lachen. Wir bogen uns förmlich vor Lachen und konnten gar nicht wieder aufhören.

„Was ist mit Euch?“ rief Laura zu uns hoch.

Als hätten wir uns abgesprochen öffneten wir Beide unseren Mund ganz weit, um Lauras Worte in Empfang zu nehmen. Aber wir mussten dabei so sehr lachen, dass kein Buchstabe die Chance hatte, in unseren Mund zu gelangen. Außerdem waren es ja auch keine zurückgekehrten Worte, und wir hatten Lauras Worte ja schon längst gehört, was hieß, dass sie bereits in unseren Ohren verschwunden waren.

„Du hast da am Mund Buchstaben kleben!“ rief Alice und konnte sich kaum halten vor Lachen.

„Und da an Deiner Oberlippe ist ein grünes d!“ entgegnete ich. „Kitzelt das nicht?“ Wir kugelten uns fast im Sand vor Lachen.

Laura kam näher. „Worüber lacht Ihr?“ fragte sie grinsend.

„Über das grüne d an meiner Lippe!“ prustete Alice los.

„Erzählen wir Dir beim Eisessen.“

In diesem Moment winkte Sabine uns zu. Sie hatte uns die ganze Zeit über beobachtet und überlegt, was wir da wohl machen.

Wir gingen hoch zur Promenade, wischten uns den Sand von den Füssen und zogen unsere Schuhe an. Dann machten wir uns auf den Weg zum nächsten Eiscafé.

„Hab’ ich immer noch das grüne d an der Oberlippe?“ fragte Alice grinsend, während wir die Uferpromenade entlang schlenderten.

Laura und Sabine sahen sich Stirn runzelnd an.

„Nee, das ist doch längst weggetaut!“ antwortete ich lachend.

„Verstehst DU das?“ fragte Laura Sabine.

„Nee!“ antwortete Diese.

„Wir erzählen es Euch gleich.“ sagte Alice. „Im Eiscafé. Hier…“

Sie prustete wieder los vor Lachen. „hier ist zu viel Wind. Da könnte zu viel durcheinander geraten.“

Im Eiscafé bestellten sie und ich erst einmal ein Wasser, um, wie wir sagten, unseren Mund auszuspülen, damit alle Worte gleich unverfälscht und rein ausgesprochen werden konnten. Und bei Eis und Cappuccino erzählten wir dann von unserem Erlebnis.

Ich glaube, seitdem kann Keine von uns mehr Worte in den Wind rufen, ohne daran zu denken, dass sie vielleicht vom Wind zurück in den Mund geweht werden.

Und seit diesem Tag achte ich auch darauf, ob andere Menschen, die gerade bei windigem Wetter Etwas gesagt oder gerufen haben, den Mund sofort wieder schließen oder noch eine Weile mit leicht geöffnetem Mund stehen bleiben. Bisher habe ich allerdings noch Niemanden dabei beobachten können. Aber vielleicht hat es auch einfach noch Niemand bemerkt – dass der Wind nämlich noch viel mehr kann, als einfach nur zu wehen. Besonders am Meer!

Puzzeln

Ich habe mir ein Puzzle gekauft.

Puzzeln kommt gleich nach Kreuzworträtsel Lösen. Soweit bin ich allerdings noch nicht. Ich habe mir nur ein 5oo-Teile-Puzzle gekauft, also ein eher einfacheres. Es zeigt Ravello, ein Städtchen an der Amalfiküste in Süditalien, genauer gesagt einen bestimmten Ausschnitt aus dem Garten der Villa Rufolo in Ravello. Fast das gleiche Foto habe ich vor einer Woche in eben diesem Garten gemacht: Man steht auf Höhe des Horizontes, guckt über Blumen und Palmen durch eine Pinie hindurch über zwei sandfarbene Türme auf das türkisblaue Meer, das irgendwo da, wo der Horizont sein müsste, in den leuchtend blauen Himmel übergeht. Links im Bild schlängelt sich die Küste am Meer entlang. Es wirkt fast unnatürlich schön, im Sinne von gestellt, aber es ist echt! Es ist wirklich wunderschön dort im Garten der Villa Rufolo. Ravello ist einfach ein bezaubernd schönes Städtchen!

Heute nun bummelte ich durch Amalfi, das, wie der Name vermuten lässt, an der Amalfiküste liegt und fünf Kilometer von Ravello entfernt ist. Alle Geschäfte, in die ich eigentlich wollte, waren geschlossen. Also beschloss ich, eine Tour durch die zahlreichen kleinen vollgestopften Touristenshops zu machen. Es wurde schon dunkel, und ich war nicht in bester Stimmung. Ich fühlte mich etwas allein und fand, es sei der richtige Moment für reine Ablenkung. Überdies hatte ich ein wenig Geld im Portemonnaie, das durchaus für ein bisschen Verwöhnen verwendet werden konnte.

Ich tat, was ich lange nicht mehr so gemacht hatte: Ich schlenderte in aller Ruhe durch die Geschäfte, schaute mir fast jede Auslage in den Regalen von oben bis unten an, nahm hier Etwas in die Hand, las dort die beigelegte Beschreibung, erfreute mich an Formen und Farben und an dem, was es zu sehen gab. Alles war schön bunt und hell um mich herum. Am Ende kannte ich im Zentrum von Amalfi sämtliche Kunsthandwerk- und Nippeslädchen.

Ich erstand kleine handbemalte Becher für Limoncello, zwei Bleistifte in den Farben der italienischen Nationalflagge, an deren Ende der Kopf von Pinocchio sass, sieben Karten und sieben Umschläge aus handgeschöpftem Amalfipapier sowie eben jenes Ravellopuzzle.

Es war dunkel, es war irgendwie schwül, Regen hing in der Luft und im Zentrum von Amalfi herrschte jetzt, am späten Sonntagnachmittag des 6. Novembers, eine eigenartige Stimmung von auslaufender Saison.

Also musste etwas Strahlendes und Buntes her! Ein sonniges Bild von Ravello, das war es. Das hatte mich sofort angelächelt und versprach außerdem einen wunderbaren Zeitvertreib für kommende lange, dunkle Novemberabende. Und sollte es nötig sein, so konnte ich es immer wieder in seine Teile zerlegen und neu puzzeln. Und dann vielleicht die Zeit stoppen und sehen, ob ich beim sechsten Mal schneller geworden war. So Etwas spendet Trost und gibt Halt für eventuell einsame Abende. Und wie gesagt, bunt war es auch noch. Was wollte ich mehr!

12 Euro kostete mich der Spaß, was ich nicht wenig fand. Für 500 Teile, wohlgemerkt. Was für eine geübte Puzzlerin, die ich früher durchaus mal war, eher leichtes Mittelfeld war.

Nach dem Abendessen legte ich mich quer über das Bett, öffnete die Puzzlepackung und schnitt mit einer Nagelschere den Plastiksack auf, in dem sich die 500 Teile befanden. Ich schüttete Alles aufs Bett und begann, die Randstücke rauszusuchen. Heute wollte ich noch nicht mit dem eigentlichen Puzzeln beginnen, aber mich schon ein bisschen damit beschäftigen.

Ich stellte fest, dass noch zahlreiche Teile zusammenhingen, so dass ich sie erst einmal voneinander lösen musste, zum Teil sogar auseinander brechen. Hatte die Maschine in der Puzzlefabrik nicht richtig gearbeitet? Waren vielleicht die Puzzlestückstanzmesser unscharf gewesen? War das Ganze in einer unqualifizierten Fabrik fabriziert worden? Oder hatte schon jemand Anderes das Puzzle heimlich zusammengelegt und dann, als er oder sie fast dabei erwischt wurde, alles schnell und hektisch in den Klarsichtplastiksack gestopft und maschinell versiegelt? Aber dann wären ja wahrscheinlich alle Teile lose gewesen. Wie dem auch sei: Das Puzzle wirkte neu und unberührt. Das war die Hauptsache. Denn schließlich hatte ich kein Second-Hand-Puzzle gekauft!

Nach und nach fand ich ein Randstück nach dem anderen: Viele schöne Blaue für den Himmel, einige Beige dominierte, die zu der Mauer im Vordergrund gehörten, und Einige, die sofort meine Neugier und meinen Sucherinstinkt weckten, weil ich sie nicht augenblicklich zuordnen konnte.

Das sind die Momente beim Puzzeln, die Dich packen. Die Dich fast zum Jäger werden lassen und Dir ein Gefühl geben, als wärest du auf Safari. Oder auf Schatzsuche. Tut Ench Amun. Das Königsgrab. Die lang ersehnte, fehlende Tonscherbe liegt auf einmal vor Dir, die, mit der alles entscheidenden Inschrift.