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Von der Autorin des Wuhan Diary: Ein großer, aufrüttelnder Roman über die Unfreiheit von Frauen im modernen China Nicht lang ist es her, da schien Yingzhi die Welt offen zu stehen: Aufgewachsen im ländlichen China hatte sie es geschafft, als Sängerin in einer kleinen Band bekannt zu werden. Ihr Traum von einem freien und selbstbestimmten Leben war zum Greifen nah, bis eine Affäre alles zum Einsturz bringt. Yingzhi wird schwanger und ist gezwungen, den Vater des Kindes zu heiraten und in sein Elternhaus einzuziehen – so will es die Tradition. Als die Schulden ihres spielsüchtigen Mannes zu hoch werden und Yingzhi Geld verdienen soll, öffnet sich ein kleines Fenster, das ihr einen kurzen Blick auf die Freiheit schenkt. Doch dann gerät ihr eine kleine Unbedachtheit zum Verhängnis und gipfelt in einer Katastrophe für sie und ihre ganze Familie.
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Seitenzahl: 248
Veröffentlichungsjahr: 2022
Fang Fang
Wütendes Feuer
Roman
Roman
Aus dem Chinesischen von Michael Kahn-Ackermann
Hoffmann und Campe
Wie soll ich darüber sprechen?, überlegt Yingzhi.
Sie sitzt aufrecht gegen die Wand gelehnt. Der Putz ist übersät mit schmutzigen Flecken in allen Farbschattierungen, eine Schicht über der anderen. Immer wenn sie den Horror der vergangenen Tage aus ihrem Gedächtnis bannen will, starrt sie auf diese Flecken und versucht, sie zu enträtseln. Wer hat die ersten hinterlassen? Sind sie aus Achtlosigkeit entstanden oder das Ergebnis von Gefühlsausbrüchen? Dass keine der Frauen, die hier Zeit verbracht haben, in heiterer Gemütsverfassung war, versteht sich von selbst.
Sie blickt auf die Zeile tiefroter Schriftzeichen auf der Wand ihr gegenüber. Sie sind mit Blut geschrieben worden. Krumm und schief, als sei jedes von ihnen Teil eines zerstückelten Menschen. Warum hast du mich nicht geliebt?, fragt die Wand.
Ach, eine, die sich nicht aus den Klauen der Liebe befreien konnte, denkt Yingzhi seufzend. Aus Liebesgründen zu sterben, ist hinnehmbar, wenigstens war man mal glücklich gewesen. Aber warum trifft es mich?
Die neben ihr schlafende Schwester1 Yu hat ihr erzählt, dass die Schriftzeichen von einer gewissen Fen Ping stammen. Deren Freund hat sie in den fünf Jahren ihres Verhältnisses viermal zu einer Abtreibung genötigt, um ihr dann eines Tages aus heiterem Himmel und leichthin mitzuteilen, er hätte sie nie geliebt. Im Zorn hat sie ihm Gift ins Essen getan. Der Kerl starb daran, im Sterben verfärbte sich sein Gesicht grünlich. Fünf Monate hat Fen Ping in dieser Zelle auf ihre Hinrichtung gewartet, bevor sie exekutiert wurde. Es sei an einem Frühlingstag geschehen, alle hätten darüber geredet, wie herrlich jetzt draußen wohl alles in Blüte stehe, auch Fen Ping beteiligte sich, erzählte davon, wie sehr sie am Hennastrauch hinter der Hofmauer ihres Hauses hing. Mittendrin seien Leute erschienen und hätten sie abgeführt. Allen war klar, dass sie nie wieder zurückkommen würde.
Oben an der Wand, knapp unter der Decke, befindet sich ein Fenster. Tagsüber verfärbt es sich grauweiß, als hätte jemand ein Papier draufgeklebt. Es ist für Yingzhi unmöglich, den Weg der Sonne zu verfolgen. Sie ist sich nicht sicher, ob ihre Augen nicht grundsätzlich die Fähigkeit verloren haben, das Sonnenlicht wahrzunehmen.
Nacht für Nacht überfällt Yingzhi das Gefühl, von Flammen verfolgt zu werden. Von einem rasenden Feuerball, dessen Flammen hoch in den Himmel schlagen. Kommt ein Windstoß, stieben die Funken alle in eine Richtung. Zuckende Feuerzungen verformen sich zu furchterregenden Mäulern. Seltsame Schreie tönen daraus hervor, und von allen Seiten der Wildnis hallt schmerzvoll das Echo wider.
Das seien Albträume, sagt Schwester Yu. Alle, die hierherkommen, hätten Albträume. Und jeder Albtraum sei erfüllt von Angst und Schrecken. Aber Yingzhi weiß, dass das nicht die ganze Wahrheit ist.
»Ich muss alles loswerden«, sagt sie. »Von Anfang an.«
Als sie den Mund öffnet, schießen ihr die Tränen in die Augen. Sie hat den Impuls, ihre Geschichte zu erzählen, aber es fühlt sich an, als würde ihr Inneres von Messern zerfetzt. Doch sie begreift, dass sie sprechen muss, sonst erlischt dieses Feuer niemals, selbst nach ihrem Tod nicht.
Angefangen hatte es im Herbst.
Für ein Mädchen vom Dorf wie Yingzhi rannen die Tage in allen vier Jahreszeiten gleichförmig und ereignislos dahin. Sie hatte dieses Jahr die Obere Mittelschule2 abgeschlossen, an der Aufnahmeprüfung zur Universität hatte sie nicht teilgenommen. Die Universität hatte keine besondere Anziehungskraft für Yingzhi. Wozu sich mit einem mühevollen Studium plagen? Wie zum Beispiel Chunhui, Mitschülerin aus ihrem Dorf, die sich durch übermäßiges Lesen die Augen verdorben hatte und kaum noch die Straße vor sich erkennen konnte. Oder ihr Mitschüler Yonggen, der sich geradezu wie ein Idiot anstellte. Yingzhi hatte ihnen oft genug aus Schwierigkeiten geholfen. Chunhui etwa klammerte sich an sie, wenn sie nachts unterwegs waren. Yonggen hatte sie immer wieder um Hilfe gebeten, wenn ihm die Fahrradkette abgesprungen war. Yingzhi empfand Genugtuung darüber, dass sie nicht geworden war wie die beiden. Sie spürte daher keinerlei Bedauern darüber, an der Aufnahmeprüfung für die Universität nicht teilgenommen zu haben. Als sie aus dem Schultor trat, stand ihr Entschluss fest. Nie wieder wollte sie eine Schule betreten. Sie hatte einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen.
Yingzhis Heimatdorf hieß Fenghuangyuan, Phönixdamm. Es lag nur ein paar Kilometer von der Kreisstadt entfernt. Die Bewohner des Dorfes standen im Ruf, Schlauköpfe zu sein. Aber Fenghuangyuan war durch die Schlauheit seiner Bewohner keineswegs wohlhabend geworden. Yingzhis Familie gehörte zur gehobenen Mittelschicht des Dorfes. Ihr Vater arbeitete zwar auf dem Feld, doch ihre Mutter hatte am Dorfeingang einen kleinen Laden aufgemacht, wo sie Dinge des alltäglichen Bedarfs verkaufte, und war daher geistig etwas beweglicher als diejenigen, die lediglich Feldarbeit leisteten. Abgesehen von San Huos Familie, der reichsten im Dorf, gab es womöglich keine bessergestellte Familie in Fenghuangyuan als die von Yingzhi.
Dass sich die gesamte Cleverness von Fenghuangyuan auf die Person San Huo konzentrierte, war ein beliebter Spruch im Dorf. Yingzhi kannte ihn seit ihrer Kindheit. San Huo hatte es bis auf die Kreismittelschule geschafft. San Huo war während der Kulturrevolution3 Anführer der Rotgardisten gewesen, die jungen Leute waren ihm blind gefolgt, sogar bis nach Hankou4. Als Mann mit Einfällen und großer Entschlusskraft verdiente er in den folgenden Jahren eine Stange Geld. Er kehrte in sein Heimatdorf zurück und war im Winter, wenn die Feldarbeit ruhte, die meistbesprochene Person unter den Dörflern. San Huos Vater war ein anerkannter Sänger gewesen. Fand im Umkreis von mehreren Kilometern eine Hochzeit oder eine Beerdigung statt, wurde er als Sänger hinzugebeten. Bei Hochzeiten sang er Opernarien, bei Beerdigungen Trauergesänge. Selbst während der schlimmsten Zeiten war es seiner Familie nie schlecht ergangen. Nach dem Tod des Vaters war San Huo die einzige Stütze der Familie, er gab daher sein unstetes Leben auf und übernahm das väterliche Gewerbe. Er hatte weder die Stimme noch das Talent seines Vaters, aber das spielte keine Rolle. Er stellte auf eigene Faust eine Musiktruppe zusammen, die sich San-Huo-Band nannte. Bestand irgendwo Bedarf für musikalische Begleitung, rief man die San-Huo-Band. Er fuhr auf seinem Fahrrad kreuz und quer durch die Dörfer, und wo immer der Ruf nach Musik laut wurde, stellte er im Handumdrehen Sänger, Suona-Bläser, Huqin-Streicher5, Trommler und Zupfer zusammen. Er selbst sang nicht, auch blies, trommelte, strich oder zupfte er nicht, er kassierte lediglich seine Provision. Er verfügte über ein geöltes Mundwerk und scheute keine Mühe. So kam es, dass sein Ruf sogar den seines Vaters übertraf. Als Erster im Dorf baute er ein Haus aus Backsteinen6, weiß verputzt mit roten Dachziegeln. In den Zimmern hingen elektrische Lampen von den Decken. Wenn sie nachts leuchteten, strahlten sie den Leuten ins Gesicht und waren Gegenstand heftigen Neids unter den Dorfbewohnern. San Huos Fähigkeit bestand darin, unabhängig vom Auf und Ab und den Wechselfällen der Zeiten Geld zu machen. Die beiden älteren Brüder Yingzhis hatten den Ehrgeiz gehabt, es ihm gleichzutun. Der eine ging nach Kanton7, der andere in den Nordosten, beide rackerten bis zum Umfallen, aber sie kamen mit leeren Händen zurück, so wie sie fortgegangen waren. Einer der beiden brachte noch eine Geschlechtskrankheit mit nach Hause. San Huo brach bei ihrem Anblick in schallendes Gelächter aus. Sein Lachen klang wie das Wüten eines Sturms, der mit explosionsartigen Geräuschen über die Köpfe fegt. Man dachte unwillkürlich, das Lachen müsste ihm den Magen zerfetzen. Den bedauernswerten Brüdern Yingzhis blieb keine Wahl, als unter San Huos Gelächter an ihren angestammten Platz zurückzukehren – den Mahjong-Tisch. »Entweder betreibt ihr das eine oder das andere«, sagte San Huo zu ihnen. »Es ist vorbestimmt. Glaubt ihr ernsthaft, ihr könnt daran etwas ändern?«
Mit seinen bald achtundvierzig Jahren hatte San Huo ebenso viele Falten im Gesicht wie Yingzhis Vater, der mehr als zehn Jahre älter war als er. Auf sein Gesicht deutend erklärte San Huo: »Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass ein Mensch umso klüger ist, je mehr Furchen und Windungen er im Hirn hat. Bei mir ist das Hirn so voll davon, dass sich alles von innen her ins Gesicht herausgedrückt hat.« Mit derart stinkendem Eigenlob sparte San Huo nicht. Seit ihrem dritten Lebensjahr konnte Yingzhi ihn nicht leiden, und daran hatte sich seither nichts geändert.
Davon hatte San Huo jedoch keine Ahnung, als er am Tag nach Yingzhis Schulabschluss auf der Suche nach ihr mit breitem Lächeln am Hoftor erschien.
Yingzhi saß im Hof und spielte unbeschwert mit ihrem Neffen Shaoya Karten. »Hallo, Yingzhi, wieder daheim?«, sagte San Huo. Yingzhi reagierte, ohne den Kopf zu heben, mit einem undefinierbaren Grunzen und fuhr dann ihren Neffen lautstark an: »Gemogelt wird nicht!«
»Yingzhi«, sagte San Huo, »die Kartenklopferei ist doch witzlos. Damit verdienst du keinen Fen.«
Yingzhi warf ihm einen schrägen Blick zu: »Ich brauch kein Geld zu verdienen. Meine Eltern verdienen genug für uns alle.«
San Huo lachte kurz: »Und wer verdient für dich, wenn du alt bist?«
Yingzhi antwortete nicht, aber sie gestand sich ein, dass er recht hatte. Shaoya sagte: »Was geht dich das an? Die Tante hat eben Lust aufs Kartenspielen.«
»Aber wenn es eine Gelegenheit gäbe, Geld zu verdienen? Frag deine Tante, ob sie dann immer noch lieber Karten spielt.«
Yingzhis Herz setzte für einen Schlag aus. Ob man es zugab oder nicht, jeder würde gern Geld verdienen! Aber sie konnte San Huo nun mal nicht ausstehen.
Ohne San Huo zu antworten, sagte sie zu Shaoya: »Spiel aus und lass das dumme Geschwätz.«
»Keine Lust, Geld zu verdienen?«, fragte San Huo.
»Wie sollte eine wie ich an Geld kommen? – Joker!«
»Und wenn das Geld zu dir kommt?«
Yingzhi lachte laut auf: »Na, dann würde ich zugreifen.«
Erfreut gab San Huo ein dröhnendes Lachen von sich. Das Geräusch klang in Yingzhis Ohren wie das Kreischen einer Säge und tat ihr im Kopf weh. »Verzieh dich, wenn du unbedingt lachen musst. Ich krieg Kopfweh davon.«
»Schon gut, schon gut. Was ich dir jetzt sage, wird deinen Kopfschmerz vertreiben.«
Er begann ihr zu erklären, dass heutzutage in den Dörfern niemand mehr bei Hochzeiten oder Beerdigungen Opernarien und Trauergesänge hören wollte. Die Zeiten hätten sich geändert, die alten Musikdarbietungen seien passé. Jetzt wollten die Leute populäre Musik hören, vor allem die Schlager aus Hongkong und Taiwan, dieses Gesäusel und Geschluchze ohne Sinn und Verstand, aber die Leute wollten das nun mal hören. Deshalb müsse sich die San-Huo-Band völlig umstellen. Er habe für teures Geld eine Karaoke-Anlage gekauft, dazu Lautsprecher, und ein paar junge Leute zum Singen engagiert. Damit sei er im letzten Monat ins Dorf Liujiawa gefahren, und siehe da, kaum habe er die Bühne aufgebaut und die Lautsprecher aufgedreht, seien die Leute in Massen herbeigeströmt. Auch die folgenden Auftritte hätten die Leute begeistert. Sie hätten in einem fort Lieder bestellt, die Band sei kaum nachgekommen. Jetzt kämen die Leute sogar von jenseits des Stromes extra herübergerudert, um die Band abzuholen. In einem Monat würden die Ergebnisse der Universitätsaufnahmeprüfungen verkündet. Die Familien, deren Sprösslinge bestanden haben, würden unbedingt Bankette veranstalten. Die ersten Bestellungen seien schon eingegangen. Heute liege der Preis für einen Auftritt bei fünfhundert Kuai8, wenn alles gut liefe, würde er auf sechshundert steigen. Hinzu käme das Geld für bestellte Lieder, da wäre jeder einmal an der Reihe. Für jeden Auftritt bedeute das einen Verdienst von ein paar zig Kuai pro Nase.
»Im Moment habe ich drei Jungs, einer bedient die Musikanlage, die beiden anderen singen, damit kommen wir hin. Aber ich hab nur ein Mädel. Fehlt es an Mädels, verdirbt das die Stimmung. Ich weiß, dass du gut singen kannst, ich hab dich vergangenes Jahr einmal ›Neunundneunzig Rosen‹ singen hören, das war richtig gut. Machst du mit?«
Yingzhi jubelte innerlich. Singen gehörte seit jeher zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. Wie ein Schlagerstar zu singen und dabei noch Geld zu verdienen, das wäre das Größte. Aber nach außen hin zeigte sie sich unbeeindruckt: »Du machst dich über mich lustig!«
»Warum sollte ich? Heute Nachmittag gibt es einen Auftritt, einmal auf die Bühne, und dann das Geld auf die Hand. Komm mit und probier’s aus, ich will auf dem Bauch dreimal um euer Haus herumkriechen, wenn für dich nichts dabei rausspringt.«
Damit überzeugte er Yingzhi, dass er es ernst meinte. Eilig sagte sie: »Na gut, ich komme mit.«
San Huo verabredete mit ihr, wann sie sich treffen würden, dann ging er. Kaum war er fort, schleuderte Yingzhi die Karten von sich, einige fielen zu Boden. Während Shaoya sie ärgerlich aufhob, schimpfte er: »Ich singe, singe, singe, bis ich verrecke! So ein tolles Blatt, und alles umsonst.«
»Wenn du mich verfluchst, werde ich, wenn ich tot bin, ein Gespenst und zerfetze dir das Maul«, sagte Yingzhi.
Sie rannte ins Haus, um ein passendes Kleid zu suchen. Eine große Auswahl hatte sie nicht. Es reichte für die Schule, für die Bühne nicht. Sie fand nichts Passendes und marschierte in die Küche, um den Ärger an ihrer Mutter auszulassen. Selbst wenn es in der Familie an allen Ecken und Enden fehle, für die Tochter müsse ein anständiges Kleid angeschafft werden! Yingzhi war die einzige Tochter, man war daran gewöhnt, dass sie ihre Launen an der Mutter ausließ. Sie solle sich nicht so anstellen, erwiderte die Mutter. Yingzhis Kleider seien allesamt besser als ihre eigenen. Kein einziges Kleid habe sie, das etwas hermache, antwortete Yingzhi. Die Schwägerin hörte sie streiten, holte ein Kleid aus ihrer Jugendzeit hervor und überließ es Yingzhi. Ihr sei es zu eng geworden, Yingzhi könne es behalten. Das Kleid war mattrot, das Oberteil mit einem gelben Blütenmuster verziert. Es hatte einen spitzen Kragen, auf dem Rücken ließen sich zwei Bänder zu einer Schleife binden. Auch wenn es nicht mehr neu war, sah Yingzhi darin außerordentlich hübsch aus.
San Huos Augen leuchteten bei ihrem Anblick auf: »Gut, sehr gut. Du verstehst, wie man sich zurechtmacht, das ist sehr gut.«
Der Auftritt fand im Alter-Tempel-Dorf statt, das so hieß, weil es am Dorfende einen alten Tempel gab. Es lag etwa zwanzig Kilometer von Fenghuangyuan entfernt. Der Sohn des Dorfvorstehers feierte Hochzeit, er hatte die San-Huo-Band eigens mit einem Lastwagen abholen lassen. Unterwegs gab San Huo Yingzhi die Liste der Songs zu lesen und fragte sie, welche davon sie singen könne. So ziemlich alle, erklärte sie, nachdem sie die Liste überflogen hatte. Neben dem Schultor befand sich ein Kleiderladen, aus dessen Lautsprechern den ganzen Tag Schlager dröhnten, man konnte gar nicht anders, als sie auswendig mitzusingen. Sie solle sich ihre Lieblingslieder aussuchen, forderte San Huo sie auf. Also wählte sie »Herzregen«, »Mittmonats-Mond«, »Tausend Papierkraniche«, »Komm oft zurück und schau, wie es zu Hause steht« und schließlich noch »Neunundneunzig Rosen«9. Das müsse sie unbedingt singen, verlangte San Huo. Alle diese Lieder kannte sie in- und auswendig. Der Junge, der die Musikanlage bediente, hieß Wentang. »Lass es uns probieren, bevor es richtig losgeht, damit wir den Einsatz nicht vermasseln«, sagte er zu ihr.
Das Haus des Dorfvorstehers war ein zweistöckiger Ziegelbau, dessen Fassade zur Straße hin mit goldgelben Kacheln verkleidet war. Es bot einen noch prächtigeren Anblick als das Haus von San Huo und zog schon von weitem die Blicke auf sich. Der Vorsteher sei im Dorf ein Kaiser, deshalb müsse er die kaiserliche Farbe Gelb verwenden, sagte San Huo. Er war weit herumgekommen und wusste, wovon er sprach.
Die Bühne für die Sänger wurde, ein wenig abseits der Haustür, unter dem Fenster des Ostflügels des Hauses vom Dorfvorsteher aufgeschlagen. Sie hatte die Größe eines Doppelbettes, war anderthalb Ellen10 hoch und geeignet für Auf- und Abtritte. San Huo hatte sie persönlich entworfen. Ihr Unterbau bestand aus einem Gerüst aus verschraubten Holzlatten, auf die ein hölzerner Bühnenboden gelegt wurde. Insgesamt bestand die Bühne aus acht Elementen und ließ sich ohne Komplikationen auf- und abbauen. War sie errichtet, wurde sie mit einem Teppich aus rotem Acryl bedeckt. Er war schon ziemlich abgenutzt, irgendjemand hatte ihn wohl ausgesondert und San Huo überlassen. Zwei Lautsprecher standen vor der Bühne. Exakt in ihrer Mitte stand kerzengerade und würdevoll das Mikrofon, als wartete es auf den Bericht eines Leitungsfunktionärs. Der Aufbau war perfekt, alle Kabel waren angeschlossen, Musik erklang, und die Leute sammelten sich vor der Bühne.
All das versetzte Yingzhi in Erstaunen. Ihr Widerwille gegen San Huo begann zu schwinden. »Sieht gut aus, hätte ich nicht gedacht«, sagte sie zu ihm.
»Ich bin keiner, der leere Versprechungen macht«, antwortete er. »Im Umkreis von ein paar Hundert Kilometern gibt es keine bessere Band als meine. So und nicht anders muss man’s machen. Wer uns bucht, verlangt, dass es was hermacht. Ich will hinterher hören, dass man bekommen hat, was man wollte. Dann ist man gut gelaunt und zufrieden. Warum sollte man uns sonst buchen?«
San Huo hat was auf dem Kasten, er weiß, wie man’s anstellt, gestand sich Yingzhi ein.
Eine Hochzeit wurde gefeiert, Gäste kamen und gingen. Die San-Huo-Band war voll beschäftigt, ein Song folgte auf den anderen. Die Musik aus den Boxen war bis zum Anschlag aufgedreht und von einem Ende des Dorfes bis zum anderen zu hören, in der Nähe zerriss es einem fast das Trommelfell. Leute bestellten Lieder, andere überreichten Blumen, es war ein Riesenspaß. Obwohl sie zum ersten Mal eine Bühne betrat, hatte Yingzhi kein bisschen Lampenfieber, sie fühlte sich im Gegenteil angestachelt und voller Euphorie. Die Euphorie trieb sie zu Höchstleistungen. Sie hatte das Gefühl, noch nie so gut gesungen zu haben. Immer wenn sie ein Lied beendete, klatschten die Leute vor der Bühne begeistert Beifall. Der feierliche Brautempfang hatte noch nicht stattgefunden, die Gäste unterhielten sich, lachten. Wenn sie sich in Stimmung geredet hatten, bestellten sie wild durcheinander Lieder für andere, wobei sie den Namen der Person riefen, der das Lied gewidmet wurde, was jedes Mal ungeheures Gelächter hervorrief. Der Dorfvorsteher war überglücklich über diese Lachstürme. Noch vor der Endabrechnung drückte er jedem Mitglied der Band zehn Kuai in die Hand. Davon gehörten fünf Kuai ihm, das sei die Regel, sagte San Huo zu Yingzhi.
Der Sohn des Dorfvorstehers hatte einen Haufen Freunde. Einige von ihnen widmeten sich unaufhörlich gegenseitig Lieder. Endloses Geschrei, Gelächter, Geschimpfe und Geboxe, der Boden war mit Zigarettenkippen übersät, ein wildes Durcheinander. Während ein Song auf den anderen folgte, schoben sie einen Schlaks auf die Bühne, wobei sie schrien, er solle mit dem Mädel im geblümten Kleid im Duett singen. Der Schlaks wehrte sich mit Händen und Füßen, die Zuschauer unten sahen dem Spektakel lachend zu. Ein dunkelhäutiger Dickwanst sagte zu ihm: »Guiqing, wenn du singst, dann streichen wir dir alle Spielschulden von gestern Abend.« Und ein Glatzkopf fügte hinzu: »Ich bin dabei. Wenn du singst, pfeife ich auf das Geld, das du mir schuldest.«
Der Guiqing genannte Schlaks hörte auf, sich zu wehren: »Meint ihr das ernst?«
»Der Teufel soll mich holen, wenn ich mein Wort nicht halte«, sagte der Glatzkopf.
»Und ich bin ein Scheißkerl, wenn ich mein Wort nicht halte«, fügte der Dickwanst hinzu.
Lachend antwortete Guiqing: »Ob ihr nun Wort haltet oder nicht, den einen wird sowieso der Teufel holen, und der andere ist sowieso ein Scheißkerl.«
Auf und vor der Bühne schallendes Gelächter. Auch Yingzhi lachte, der lange Kerl machte auf sie einen schlagfertigen Eindruck. Einer, der nicht auf den Mund gefallen war.
Guiqing sprang mit einem Satz auf die Bühne, kratzte sich am Kopf und sagte: »Also, was’n für’n Lied? Hab keine Ahnung, ob ich irgendeins singen kann.«
Erneutes Gelächter vor der Bühne. »Sing ›Versteh mein Herz‹«, sagte der Glatzkopf. »Das hast du doch beim Kartenspielen gesungen.« Das Spektakel zog eine noch größere Schar von Leuten an. Selbst die Gäste, die sich im Haus befanden, kamen herbeigerannt. San Huo war überglücklich und flüsterte Yingzhi zu: »Yingzhi, jetzt kommt es auf dich an. Zeig beim Singen ordentlich Gefühl, das wirkt. Dann bestellen noch mehr Leute Lieder.«
Yingzhi begriff sofort, was San Huo meinte. Sie ging auf Guiqing zu, streckte den Arm aus, nahm ihn bei der Hand und führte ihn in die Mitte der Bühne. Dann hieß sie Wentang die Musik auflegen. Das Geschrei und Gelächter vor der Bühne verstärkte sich, sogar Pfiffe waren zu hören.
Yingzhi begann Guiqing gefühlvoll anzusingen, aber als der den Mund öffnete, entdeckte sie, dass er grauenvoll danebenlag und völlig unfähig war, die Melodie zu halten. Das Gelächter vor der Bühne wurde hysterisch, das Gepfeife immer schriller. Guiqing wurde nervös und verkrampfte sich, er verlor den Faden. Yingzhi flüsterte ihm zu: »Nicht nervös werden, sing mir einfach nach.« Sie half ihm, weiterzusingen. Während sie sang, sah sie ihm von Zeit zu Zeit hingebungsvoll in die Augen oder lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Vor der Bühne lösten ihre schmachtenden Blicke jedes Mal Beifallsstürme aus. Zu flirten hatte Yingzhi gelernt, während sie in den Schulferien ihrer Mutter bei der Ernte geholfen hatte. Es fiel ihr nun leicht, auf der Bühne davon Gebrauch zu machen. Als der Song zu Ende war, wackelte sie aufreizend mit den Hüften und versetzte damit die Menge vor der Bühne in Hochstimmung. »Gib ihr ’nen Kuss!«, »Guiqing, lang mal richtig zu!«, ertönten von unten die Rufe in wildem Durcheinander.
San Huos Gesicht glühte vor Begeisterung, und ständig wiederholte er: »Weiß Gott, eine richtige kleine Hexe, diese Yingzhi.«
Immer mehr Leute bestellten Lieder. Die Musik dröhnte ohne Pause. Selbst als der Hochzeitswagen zum Empfang eintraf, achteten viele Leute nicht auf die Braut, sondern setzten ihre Bestellungen fort. Alle erklärten, die Hochzeit des Dorfvorstehersohns sei was Besonderes, ein richtiges Spektakel und eines Dorfvorstehers würdig. Dem Dorfvorsteher wurde von den Lobpreisungen geradezu schwindlig, bei der Abrechnung am Abend zahlte er San Huo achthundert Kuai. Und auch San Huo stieg die Sache zu Kopf. Ohne zu überlegen, drückte er Yingzhi einen Hundert-Yuan-Schein in die Hand. Zusammen mit achtundvierzig Kuai für die Liedbuchungen und den anteiligen fünf Kuai Trinkgeld des Dorfvorstehers hatte Yingzhi an diesem Tag einhundertdreiundfünfzig Kuai verdient. Sie war starr vor Überraschung. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so viel Geld erhalten, und noch weniger hatte sie sich vorstellen können, dass Geld so leicht zu verdienen war.
Sie begriff, dass sich ihr Leben von nun an ändern würde.
Yingzhi beschloss, in der Kreisstadt zwei besondere Kleider für ihre Auftritte zu kaufen. Im Fernsehen hatte sie gesehen, dass die Kleidung der weiblichen Gesangstars deren Reize sehr freizügig zur Geltung brachte. Daher entschied sie sich, ein schulterfreies Kleid zu kaufen. Und zusätzlich ein Kleid bestehend aus Rock und Top, das den Bauchnabel freiließ. Sie zählte darauf, dass sie in dieser Aufmachung noch mehr Beifall einheimsen würde. Als sie San Huo von ihrem Vorhaben erzählte, klatschte der in die Hände und sagte: »Gerade wollte ich mit dir darüber reden. Hier hast du noch fünfzig Kuai, kauf dir was, das ein bisschen durchsichtig ist, und für drunter einen dieser winzigen dreieckigen Slips. Die geblümten Unterhosen der Dorfmädel sind nichts mehr für dich. In der Stadt nennen sie das ›sexy‹, bei euch im Dorf ›anspitzen‹. Besorg auch Rouge fürs Gesicht und schmink dir die Lippen tiefrot, das macht die Leute an. Und wenn du singst, müssen die Leute Gänsehaut kriegen, dann hast du’s geschafft. Hab mich nicht in dir getäuscht, Yingzhi. Was das Geldverdienen angeht, ist deine Zukunft gesichert.«
Überglücklich nahm Yingzhi die fünfzig Kuai. Als er ihr das Geld reichte, sagte San Huo lachend: »Ich habe früher gar nicht gemerkt, dass du so ein Luder bist.«
Während Yingzhi mit dem Geld das Dorf verließ, dachte sie bei sich: Luder hin, Luder her, glaub nur nicht, dass du in diesem Leben bei mir landen kannst. Im Geschäft für Markenkleidung der Kreisstadt erhielt sie ohne Probleme alles, was sie sich gewünscht hatte. Sie feilschte mehr als zwei Stunden lang und war auf der ganzen Linie erfolgreich. Nicht einmal hundert Kuai musste sie für alles zusammen ausgeben. In ihrer Begeisterung kaufte sie vom übrig gebliebenen Geld noch zwei rosarote Büstenhalter mit goldbestickter Borte, die sie auf der Stelle anprobierte. Einen behielt sie gleich an. Hoch erhobenen Hauptes verließ sie den Laden. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich derart gut gefühlt.
In der Bank der Kreisstadt eröffnete sie ein Konto und zahlte hundert Kuai zu festgelegten Zinsen darauf ein. Von dem roten Sparbuch in ihrer Hand ging wie in Wellen eine Hitze aus, die ihr tiefstes Inneres erreichte. Sie wusste nicht, wohin damit, am Ende steckte sie es sich in den Ausschnitt. Der neu gekaufte Büstenhalter umspannte eng ihre Brüste, dort war das Sparbuch sicherer als in der Tasche. Nachdem sie so alles aufs beste arrangiert hatte, spazierte sie mit stolzgeschwellter Brust durch die Hauptstraße der Kreisstadt. Sie konnte das Feuer spüren, das in ihrem Ausschnitt loderte. Sie war die Einzige in der Familie, die ein Sparkonto auf der Bank besaß, und das nur wenige Tage, nachdem sie die Schule verlassen hatte. Und es hatte sie nicht die geringste Mühe gekostet. Was hat das alles zu bedeuten?, dachte sie. Es bedeutete, dass sie Talent hatte. Talent schenkt einem der Himmel, man kann es nicht erlernen. Dieser Gedanke erfüllte sie mit ungeheurem Stolz auf sich selbst. Sie hatte das Gefühl, dass alle Leute auf der Hauptstraße der Kreisstadt ihr bewundernde Blicke zuwarfen. Daher streckte sie beim Gehen ihre Brust noch ein wenig mehr heraus.
Sie hatte vor, zum Mittagessen mit dem Bus nach Hause zurückzufahren. An der Busstation rief jemand ihren Namen. Als sie sich umwandte, sah sie Guiqing, den Schlaks, mit dem sie auf der Bühne im Alten-Tempel-Dorf gesungen hatte.
Guiqing schob ein nagelneues Fahrrad neben sich her. Der Ausdruck freudiger Überraschung auf seinem Gesicht bei ihrem Anblick erfüllte Yingzhi mit Stolz.
»Bist du zum Einkaufen in die Stadt gekommen?«, fragte Guiqing.
»Ja«, antwortete Yingzhi. »Hast du das Fahrrad gerade gekauft?«
»Na klar. Seit wir auf der Bühne gesungen haben, habe ich richtig Glück im Spiel. In den letzten Tagen habe ich dauernd gewonnen. Und dann, mit dem ganzen Geld in der Hand, habe ich mir vorgenommen, dich in Fenghuangyuan zu besuchen. Schließlich hat der Tag, als du mir geholfen hast, mein Blatt gewendet. Aber der Weg bis in dein Dorf ist zu weit, da hab ich gedacht, ein Fahrrad brauche ich früher oder später sowieso, am besten kaufe ich mir gleich eins von dem gewonnenen Geld.«
Yingzhi lachte: »Red keinen Scheiß. Das ist dir erst gerade eben eingefallen, als du mich gesehen hast.«
»Scheiß reden tun nur Scheißkerle. Ich sag die Wahrheit, ich wollte wirklich nach Fenghuangyuan fahren.«
Erneut musste Yingzhi lachen, ihr Giggeln klang hell und melodisch: »Na, dann bist du hundertprozentig ein Scheißkerl.«
Ihr Lachen ließ Guiqings Herz schneller schlagen, seine Ohren glühten. Er strich sich unwillkürlich über die Ohren, dann lachte auch er. »Hast du schon gegessen?«, fragte er.
»Nein. Willst du mich etwa einladen?«
»Wenn du mit mir essen gehst, machst du mich sehr glücklich.«
Zu Hause gibt es nichts zu tun. Warum soll ich nicht mit ihm essen gehen?, dachte Yingzhi. »In Ordnung, ich lass mich gern zum Essen einladen.«
»Prima. Dann mach ich das öfter.«
Neben der Busstation gab es ein kleines Restaurant mit dem Namen Zur guten Einkehr, und dort gingen sie hinein. Es waren kaum Gäste da, und in einer Ecke fand sich ein Tischchen mit zwei Stühlen. »Wie bestellt«, sagte Guiqing. »Als hätte es auf uns gewartet.«
»Bilde dir bloß nichts ein«, sagte Yingzhi.
Guiqing überließ ihr die Bestellung, sie solle sich keinen Zwang antun, sagte er. So großartig viel wird er beim Spielen nicht gewonnen haben, dachte sie und bestellte aufs Geratewohl zwei kleine Gerichte: eine Portion in Öl gebackenen Tofu und eine Portion geschnetzeltes und gebratenes Fleisch. Guiqing bemerkte es und lachte: »Das soll alles sein? Dann kannst du gleich daheim essen.« Er griff nach der Speisekarte, bestellte einen Teller scharf gesalzene Krabben und eine Portion in Soja geschmortes Wildkaninchen. Kaninchen sei eine Spezialität des Hauses, sagte er. Er hätte hier schon einmal mit Youjie gegessen. Youjie sei der Sohn des Dorfvorstehers, derjenige, der ein paar Tage zuvor geheiratet hatte.
Yingzhi hatte noch nie im Restaurant gegessen, sie kannte nur die Schulkantine, wo es Reis gab und dazu etwas Gemüse aus einem mitgebrachten Einmachglas. Auch nach ihrer Rückkehr ins Elternhaus hatte sie nie daran gedacht, wie es wäre, einmal auswärts zu essen. Und jetzt, gerade heute, erhielt sie Gelegenheit, sich in einem Restaurant den Bauch vollzuschlagen. Und tatsächlich schmeckte es tausendmal besser als zu Hause. Sie konzentrierte sich vollständig aufs Essen. Guiqing dagegen plapperte ohne Punkt und Komma. Nach dem Ende der Schule sei er nach Hause zurückgekehrt. Er sei der einzige Junge in der Familie, außer ihm gebe es nur noch eine jüngere Schwester, die gerade die Obere Mittelschule besuche, wo sie auch wohne. Seine Leute gehörten zu denen im Dorf, denen es nicht schlecht ging, weil sein Vater was auf dem Kasten habe. Er hätte einen Obstgarten gepachtet, und so gehörten sie zu den Betuchteren im Dorf. Er selbst helfe manchmal anderen bei Renovierungen, meistens täte er gar nichts, er hätte keine Lust, sich abzurackern, höchstens ginge er zu Hause dem Vater zur Hand. Besonders die Birnen aus dem Obstgarten seien erstklassig, von außen sähen sie zwar nach nichts aus, aber ihr Fleisch sei supersüß. Jedes Jahr verdiene der Vater damit einen Haufen Geld. Davon rühre er aber keinen Fen an, alles Geld werde für seine Heirat gespart.
An dieser Stelle stockte Guiqing und musterte Yingzhi eindringlich. Yingzhi amüsierte sich innerlich. Glaubte er im Ernst, mit einem Mittagessen könne er sie rumkriegen, ihn zu heiraten? Sie kümmerte sich nicht um seine Blicke, sondern schaufelte sich Bissen für Bissen Kaninchenfleisch in den Mund und wiederholte dabei unaufhörlich: »Mann, schmeckt das gut, hätte nie gedacht, dass ein Kaninchen so gut schmeckt.« Bei sich dachte sie: Armes Kaninchen, du tust mir leid. Ich weiß ja nicht mal, ob du ein weißes oder ein schwarzes Kaninchen warst.
Nach dem Essen schlug Guiqing ihr vor, statt den Bus zu nehmen, könne sie einfach bei ihm auf dem Gepäckträger mitfahren, es seien ja nur ein paar Kilometer. Yingzhi überlegte nur kurz, das Angebot war verlockend. Auf diese Weise sparte sie ein paar Kuai für die Fahrkarte. Sie willigte ein und setzte sich hinten auf den Gepäckträger von Guiqings Fahrrad.
Herbst über dem offenen Land, die Szenerie war ohne Frage bezaubernd. Vom Fahrrad aus auf die Landschaft zu