Zeiten des Umbruchs - Carmen Bellmonte - E-Book

Zeiten des Umbruchs E-Book

Carmen Bellmonte

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Beschreibung

Ein tiefer Graben zieht sich durch die Familie Delgado

Mallorca 1945: Nach Jahren der Trennung kehrt Antonia Delgado endlich auf ihre geliebte Insel zurück. Unermüdlich hat sie sich auf Kuba eine Existenz aufgebaut, nachdem der Zusammenbruch des mallorquinischen Weinanbaus die Familie damals fast in den Ruin getrieben hat. Während ihre von zahlreichen Schicksalsschlägen gebeutelte Schwester Carla nicht glücklicher sein könnte, Antonia wiederzusehen, ist ihr Bruder Leo gar nicht begeistert. Stur stehen sich beide Seiten der Delgados gegenüber, privat und geschäftlich. Eine Versöhnung scheint immer unwahrscheinlicher, Intrigen und Geheimnisse knüpfen eine Schlinge, die sich immer enger um die traditionsreiche Familie legt.

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Seitenzahl: 605

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Das Buch

Mallorca 1945: Nach Jahren der Trennung sind die Delgados endlich wieder vereint auf Mallorca. Carla ist überglücklich, ihre Schwester Antonia bei sich zu haben, die vor Jahren die Insel verließ, um sich eine eigene Existenz auf Kuba aufzubauen. Doch Bruder Leo steht seinen Schwestern weiterhin unversöhnlich gegenüber. Denn Antonia kehrt nicht nur als liebende Schwester zurück, sondern auch als kluge und erfahrene Geschäftsfrau, die Leo Konkurrenz im Weinanbau macht. Und langsam breitet sich ihre tief sitzende Fehde wie ein alles verzehrendes Feuer auch auf ihre Kinder aus, denn Leo schürt bei seiner Tochter unermüdlich den Hass auf den verfeindeten Familienzweig ...

Die Autorin

Hinter Carmen Bellmonte stehen die Autorinnen Elke Becker und Ute Köhler. Zusammen bringen sie 35 Jahre Inselerfahrung auf Mallorca mit. Die beiden sind seit über zehn Jahren befreundet, lieben das Reisen und guten Wein und schreiben beide Bücher, die auf ihrer paradiesischen Balearischen Insel spielen. So lag es nahe, sich zusammenzutun und all ihre Vorlieben in einer großen epischen Geschichte zu vereinen.

CARMEN BELLMONTE

Zeiten des

Umbruchs

DIE MALLORCA-SAGA

ROMAN

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe 04/2023

Copyright © 2023 dieser Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Ingola Lammers

Covergestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock.com (Somy Volodymyr, Maija Luomala, AnastassiaVassiljeva, irin-k, Zoonar GmbH) und Aobestock (Eléonore H)

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-27173-2V003

www.heyne.de

1

Mallorca 1945

Der von Wärme geschwängerte Wind trug Saharastaub vor sich her und überzog Mallorca mit einer zarten terrakottafarbenen Puderschicht. Carla Delgado Ramis legte den mit getrockneten Aprikosen gefüllten Stoffbeutel in den Korb und setzte sich unter den Johannisbrotbaum. Ihr Blick schweifte über ihr Mandel- und Aprikosenfeld. Im Hintergrund verloren sich die sonst so klaren Bergspitzen der Tramuntana in einem orangegelben Himmel.

Die wackelige Sitzbank würde bald zusammenbrechen. Der nach dem Brand auf dem Feld errichtete Holzschuppen, in dem die Trockenfrüchte lagerten, wurde nur noch von der Wand der ehemaligen Bodega gestützt. Dem nächsten Sturm könnte er zum Opfer fallen.

Schon länger überlegte Carla, ob sie das Grundstück nicht wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzen sollte. Eigentlich seit Antonia ihr den hervorragenden Reserva geschickt hatte. Wenn ihre Schwester auf Kuba der kargen Erde einen geschmackvollen Wein abringen konnte, müsste es Carla auf dem fruchtbaren Boden erst recht gelingen. Der Ertrag wäre höher. Sie könnte einen Arbeiter fest einstellen und bräuchte sich nicht weiterhin auf Saisonarbeiter verlassen. Die Kalkulation hatte sie bereits erstellt. Aber wie sollte sie ihrem Mann Francisco ihren Wunsch schmackhaft machen? Vielleicht gelänge es ihr diesen Abend beim Tanzen. Er würde in guter Stimmung und entsprechend zugänglich sein.

Carla erhob sich, ging zu ihrem fast abgeernteten Gemüsefeld und zog die letzten Möhren heraus. Sie wühlte mit bloßen Händen in der Erde nach Kartoffeln. Mehr als zwei förderte sie nicht zutage. Zusammen mit den reifen Paprikaschoten gab sie das Gemüse zu den Aprikosen in den Korb und kehrte zu ihrem Fahrrad zurück.

Obwohl der Loryc auf dem Hof stand, zog sie es vor, mit dem Rad zu fahren. So konnte sie für einen Plausch im Dorf halten. Zudem genoss sie die Bewegung, trotz der Schlaglöcher im Feldweg, die die Fahrt in ein kleines Abenteuer verwandelten. Sie radelte an verstreuten Weinfeldern mit jungen Pflanzen vorbei. Die Idee, mit anderen Weinbauern eine Kooperative für die Weinernte zu gründen, um sich die Maschinen und damit die Kosten zu teilen, setzte sich in ihren Gedanken fest wie ein Kieselstein im Profil ihrer Schuhe.

In Binissalem angekommen, bremste sie vor dem Haus ihrer Nachbarin Sofía. Das Rad lehnte sie im Hof an eine Viehtränke. Sie nahm die Stofftasche aus dem Korb und ging in die Küche. »Sofía? Wo steckst du?«

»Ich komme schon.«

Carla hörte es auf der Treppe poltern. Wenige Sekunden später betrat ihre Freundin den Raum. »Bon dia, guapa.« Sie küssten sich auf die Wangen.

»Hast du Näharbeiten für mich?« Sie hielt den Beutel in die Höhe. »Oder sind dir Trockenaprikosen lieber?«

»Deine Orellons sind prima.« Sie griff nach der Tasche und gab die Früchte in eine Schale. »Wie viele Eier brauchst du denn?«

»Ein Dutzend, wenn du hast.« Obwohl der Bürgerkrieg vorüber war, tauschten die Dorfbewohner, wann immer möglich, um das hart verdiente Bargeld zusammenzuhalten. Entsprechend karg sah es auf den Marktständen aus, was einen Besuch nur im Notfall lohnte.

»Habe ich.« Sofía ging zur Speisekammer, wo sie die Eier lagerte. »Ich habe Brote gebacken. Möchtest du eines? Quasi als Anzahlung für die nächste Näharbeit.«

»Sehr gerne.« Das sparte ihr Zeit und brachte Arbeit.

Sie plauderten noch ein wenig über die Leute im Dorf. »Sag, kennst du einen Baltasar Servera Font?«

»Nein, wer soll das sein?«

»Er wohnte in Sencelles und ich dachte, vielleicht bist du mit seiner Familie bekannt.« Carla kannte sie nicht, obwohl sie im Ort aufgewachsen war.

Sofía reichte ihr den Brotlaib. Die Eier packte sie in die Stofftasche.

»Stell dir vor, der junge Kerl eröffnet in Porto Cristo einen Souvenirshop.«

»Was ist ein Souvenirshop?« Sofía sah sie irritiert an. »Das hört sich spannend an.«

»Xisca behauptet, dass die Touristen in dem Geschäft mallorquinische Töpferwaren und Püppchen kaufen können oder auch Postkarten. Er hofft auf Ausländer, die die Tropfsteinhöhlen besichtigen. Sie soll zur Eröffnung hinfahren.«

Sofías Augen leuchteten. »Wie aufregend! Du musst sehr stolz auf dein Mädchen sein.«

Das war sie.

»Sie hat es von der Praktikantin zur Journalistin gebracht. Ich lese ihre Artikel immer zuerst! Wie geht es ihr?«

»Ausgezeichnet, sie ist ein wenig nervös wegen dieser Reportage.« Carla legte das Brot auf den Esstisch neben die Tasche. »Wir treffen sie heute in Palma beim Tanzen und fahren zusammen nach Hause. Vielleicht besuchen wir vorher noch Alba.« Ihre Schwägerin hatte sie länger nicht gesehen, und es lagen zwei fertige Kleider für Albas Tochter bereit.

»Dann grüß sie schön, und viel Spaß! Wohin fahrt ihr?«

»Ins Alhambra. Dort soll eine neue Musikgruppe aufspielen.« Carla freute sich auf den Abend. Es kam selten genug vor, dass sie zum reinen Vergnügen einen Ausflug unternahmen.

»Tanzt einen Tango für mich mit!«

Carla nahm ihre Sachen. »Ganz bestimmt.«

Zurück in ihrer eigenen Küche, bereitete sie eine Tortilla zu. Francisco kam zum Essen aus der Werkstatt herüber. Seit Carla heimlich den Entschluss gefasst hatte, auf Wein umzusteigen, trieb es sie um, die Zahlen erneut auf ihre Belastbarkeit zu überprüfen. Es drängte sie fast, ihren Mann wieder in seine Steinmetzwerkstatt zurückzuschicken. Die Einnahmen seines neuen Auftrags würden Carlas Vorhaben ein gutes Stück vorantreiben. Dazu ein Kredit von der Bank, und es müsste gelingen.

Kaum hatte er die Wohnung verlassen, holte Carla ihre Kladde und rechnete, bis es in ihrem Kopf wie in einem Bienenstock schwirrte. Zufrieden klappte sie die Mappe zu. In sieben Jahren wären sie schuldenfrei. Momentan warf das Feld kein Geld ab. Niemand kaufte Mandeln oder Aprikosen. Sie saß immer noch auf der Hälfte der letztjährigen Ernte, die sie zum Tauschhandel benutzte. Ein Wechsel wäre ein Schritt in eine ertragreiche Zukunft.

Ein Blick auf die Uhr ließ sie zusammenfahren. Carla eilte in die Werkstatt. Der feine Steinstaub wirbelte durch die Luft, und das dunkle Haar ihres Mannes sah grau aus. »So nehme ich dich aber nicht mit zum Tanzen.«

Erschrocken fuhr er herum. Er schliff gerade einen Marmorblock in die gewünschte Form. »Wie spät ist es?«

»Vier Uhr.« Carla zeigte zum Wohnhaus. »Beeil dich, sonst suche ich mir einen anderen Kavalier.«

Er legte das Schleifgerät zur Seite. »Das wagst du nicht!«

»Stell mich besser nicht auf die Probe.« Lachend ging Carla über den Hof, direkt ins Badezimmer, um sich frisch zu machen.

Sie zog sich um, steckte ihr Haar am Hinterkopf nach der neuesten Mode fest und schlüpfte in ihre Tanzschuhe. Francisco betrat geduscht das Schlafzimmer. Seinen Anzug hatte sie ihm herausgelegt.

»Ich kontrolliere kurz die Kleider. Wir könnten bei Alba nach dem Tanzen zu Abend essen. Xisca ist bestimmt ebenfalls hungrig.«

»Eine ausgezeichnete Idee. Ich habe dir versprochen, den Auftrag gebührend zu feiern, und das tun wir auch.« Francisco knöpfte sein Hemd zu.

Carla half ihm mit den Manschettenknöpfen, bevor sie zu ihrer Nähecke ging, die Nähte der Sommerkleider kontrollierte und sie in einen Korb legte. So viel würde Lilia in den kommenden Wochen nicht mehr wachsen, und wenn doch, konnte sie die Säume auslassen, ein paar Zentimeter hatte sie einkalkuliert.

Francisco wartete an der Haustür. »Wer muss hier nun auf wen warten?«

Lachend stieg Carla ein. Die Luft wehte kühl in den Loryc. Sie zog ihr geblümtes Tuch enger um die Schultern. Einige Sprungfedern bohrten sich durch den Sitz in ihren Hintern. Sie rutschte an den Rand der Polsterung, wo sie noch fester war.

Die Fahrt ging durch die bezaubernden Straßen Palmas. Der Sonnenuntergang ließ die Sandsteine der Kathedrale in rötlichem Licht erstrahlen, auf der anderen Seite glitzerte das Mittelmeer.

Francisco parkte in der Nähe des Hotels Alhambra, in dem kulturelle Veranstaltungen stattfanden. An diesem Tag spielte eine Gruppe aus Barcelona.

»Was für ein wundervoller Abend. Wollen wir erst ein wenig spazieren gehen?«

Francisco stieg aus und öffnete Carla die Wagentür. »Gerne, wir waren ewig nicht mehr am Meer.«

»Stimmt. Das sollten wir öfter machen.« Versonnen blickte Carla auf die in der Abendsonne glitzernde Bucht hinaus. Arm in Arm schlenderten sie auf das Wasser zu. Ein leichter Wind ließ die Wellen tanzen. Wie Rubine blitzten die Wellenspitzen in der untergehenden Sonne, und die Luft schmeckte nach Salz.

Fast bedauerte Carla, dass sie zurück zum Hoteleingang spazierten. Dort standen einige Paare auf den ausladenden, von Säulen flankierten Stufen und warteten. Seitlich des Eingangs beherrschten hohe Fenster die Fassade. Carla sah in den beleuchteten Salón, in dem die Hotelgäste speisten. Die Kristallleuchter warfen ihr verschwenderisches Licht bis auf die Straße. Was für ein Kontrast zu ihrem dörflichen Leben. Das fiel ihr auch auf, sobald sie Alba besuchte. Hier schienen die Folgen des Bürgerkriegs nur mehr eine üble Mär, ein Gespinst der Fantasie.

Im Obergeschoss führte ein breiter Gang an der Balustrade entlang zu einer gläsernen Doppeltür. Geigenmusik drang leise nach draußen. »Oh, ein Tango.« Carla zog Francisco mit sich durch die Tür.

Die Pracht des Tanzsaals ließ sie kurz innehalten. Aufwendige Stuckarbeiten zierten die Decke. Die Leuchter warfen ein warmes Licht auf das Parkett, auf dem sich Paare im Takt des Tangos bewegten.

Auf der gegenüberliegenden Seite erhob sich die Bühne mit den Musikern. Linkerhand befand sich die Bar mit einer lang gestreckten Holztheke, und in der Ecke nebenan luden rot schimmernde Polstersessel zu einer Getränkepause ein.

»Ist das dort an der Theke Gerado?« Carla kniff die Augen zusammen.

Francisco folgte ihrem Blick. »Offensichtlich. Und wie er gekleidet ist ...«

»Sehr modern. Warum?«

»Vielleicht ein bisschen … zu modern?«

Bei genauerer Betrachtung gab Carla ihm recht. Diese extravagante und ausgefallene Kleidung bei Männern schickte sich nicht. Es galt als weibisch. »Vermutlich hat es mit seiner Ausbildung zu tun. Er studiert Modedesign und Werbegrafik. Designern sagt man doch Extravaganz nach.«

Francisco legte den Kopf schief. »Dann scheint seine Begleitung den gleichen Studiengang zu besuchen.«

Carla ging voraus, winkte den beiden. »Hola, Gerado. Schön, dich hier zu sehen. Kommt Alba auch?«

»Nein, meine Mutter kann nicht aus dem Hotel fort.« Gerado küsste sie auf die Wangen und klopfte Francisco auf die Schulter. »Das ist Alejandro, ein guter Freund von mir.«

Sie begrüßten sich. »Habt ihr Xisca gesehen? Sie wollte mit einer Arbeitskollegin ebenfalls herkommen.« Carla blickte sich um, konnte ihre Adoptivtochter aber nirgendwo entdecken.

»Leider nicht.« Gerado sah sie bedauernd an.

»Sie wird noch in der Redaktion arbeiten«, mutmaßte Francisco. »Und nun lass uns eine Runde drehen.«

Die Gruppe spielte einen Foxtrott. Carla brauchte einige Takte, bis sie in den Tanz fand, doch dann ließ sie ihren Mann nicht mehr vom Parkett. Den Tango genoss sie mit jedem Schritt. Tangomusik war voller Leidenschaft, und sie beide waren ein eingespieltes Team, obwohl sie sonst nur in ihrer Küche zur Radiomusik tanzten.

»Jetzt brauche ich eine Erfrischung.« Francisco sah sie bittend an, und Carla lenkte ein.

»Also gut.« Er führte sie an die Bar. »Aber glaub nicht, dass ich schon zufrieden bin.«

Francisco bestellte einen Ananassaft für Carla und eine Caña für sich. Er trug das Bier und den exotischen Saft zu den Sitzecken. Nach einem herzhaften Zug stellte er sein Glas auf dem quadratischen Tischchen zwischen ihnen ab.

Xisca kam mit einem dunkelhaarigen Mädchen auf sie zu. »Der Chef hat uns heute festgehalten. Manchmal ist er fürchterlich. Es ist Samstag!«

Carla unterdrückte ein Lächeln. Xisca liebte ihre Arbeit, selbst wenn sie an Tagen wie diesen über ihren Chefredakteur meckerte. »Die Sonntagszeitung will eben auch gelesen werden.«

»Ich weiß.« Sie zeigte auf ihre Kollegin. »Alexia, das sind meine Eltern.«

Francisco reichte ihr die Hand. »Entschuldigt mich, ich gehe zu den Waschräumen und bringe euch einen Saft von der Bar mit. Ananas?«

»Lecker!« Alexia strahlte ihn dankbar an.

Xisca ließ sich in einen der Sessel plumpsen. »Perfekt. Danke.«

Aus dem Augenwinkel sah Carla Gerado mit Alejandro ebenfalls bei den Toiletteneingängen.

Wollte Francisco mit seinem Neffen alleine sprechen?

An der Bar gab er die Bestellung auf, bezahlte und verschwand aus Carlas Blickfeld.

»Alexia wird mich begleiten«, erzählte Xisca. »Wir wissen nur noch nicht, wie wir nach Porto Cristo kommen. Denkst du, Francisco leiht mir das Auto?«

»Das wirst du ihn selbst fragen müssen.« Carla bemerkte einen Tumult. »Was ist denn da los?« Sie stand auf.

Gerado stürmte mit Alejandro, ohne sie eines Blickes zu würdigen, an ihrem Tisch vorbei zum Ausgang.

Xisca hob die Augenbrauen.

Ein fluchender grauhaariger Herr trat mit erhobener Faust aus dem Toilettenbereich. Was er schimpfte, konnte Carla wegen der Musik nicht hören. Es schien jedoch mit Gerado und seinem Begleiter zu tun zu haben. Francisco tauchte hinter dem Mann auf. Er redete auf ihn ein, als wollte er ihn beruhigen. Als er dem Fremden die Hand auf die Schulter legte, schüttelte er sie ab wie eine lästige Fliege. Francisco hob beschwichtigend die Hände in die Luft und ließ den Mann stehen.

Mit den beiden Saftgläsern kehrte er zu ihnen zurück. Er reichte den Mädchen die Gläser.

»Was war los?« Carla konnte ihre Neugierde nicht zügeln.

»Genau weiß ich es nicht. Der Kerl hat was von mental krank geflucht. Und dass man nicht mal in diesem Etablissement vor entartetem Pack geschützt sei und er die Polizei rufen will.« Francisco setzte sich. »Ich bin dazwischengegangen, als der Mann Gerado schlagen wollte. Das geht zu weit. Dann hat er mich beschuldigt, die Schwulen zu verteidigen, obwohl sie ins Gefängnis gehören.« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Auf welche Ideen manche Menschen kommen!«

Carla sah nun plötzlich klar.

Xisca verdrehte die Augen. »Lasst ihn. Gerado tut keinem etwas.«

»Du wusstest das?«

»Man muss ihn sich doch nur ansehen.« Xisca trank von ihrem Saft. »Danke, der ist richtig lecker. Echter Luxus.«

Alexia hielt sich dezent zurück.

Mit der auffälligen Kleidung provozierte ihr Neffe geradezu Auseinandersetzungen. Irgendwie war Carla nun die Lust auf das Tanzen vergangen. »Wenn wir ausgetrunken haben, fahren wir ins Las Rosas. Ich muss Alba die Kleider bringen.«

»Da komme ich gerne mit.« Xisca verabschiedete sich von Alexia, die sich einer anderen Freundin anschloss. Die kurze Fahrt zum Hotel fragte sie Francisco, ob sie am Mittwoch den Wagen für die Reportage in Porto Cristo haben könnte. »Mit dem Zug ist es eine halbe Weltreise, da kommen wir erst nach dem Mittag an.«

»Ich habe mir da sowieso etwas überlegt.«

»Was denn?« Carla sah zu ihrem Mann.

»Der Loryc hat uns gute Dienste geleistet, aber er kommt in die Jahre. Sobald ich damit bei Kunden vorfahre, sieht das aus, als wäre ich auf einen Auftrag angewiesen, und sie drücken den Preis.«

»Dann bekomme ich das Auto bald für immer?» Xiscas Stimme vibrierte vor Freude. »Ein eigener Wagen wäre himmlisch!«

Das war Carla neu. Und es passte überhaupt nicht zu den Plänen, die sie für das Feld gemacht hatte. Einen Neuwagen und Rebstöcke konnten sie sich unmöglich leisten. »Das ist noch nicht entschieden. Wir brauchen das Geld anderweitig.«

»Wofür?« Francisco parkte den Loryc.

Sie stiegen aus. Carla nahm den Korb mit den Kleidungsstücken. »Das wollte ich heute mit dir besprechen. Die Aprikosen werfen keinen Gewinn mehr ab. Im Gegenteil, sie verursachen Kosten.« Nun blieb ihr keine Wahl, als das Thema mitten auf der Straße anzusprechen. »Es soll wieder ein Weinfeld werden. Wenn Antonia auf der kargen Erde in Kuba so guten Rotwein herstellen kann, wird er auf unserem Boden noch besser gedeihen.« Sie suchte Franciscos Blick. Sein Gesicht wirkte verschlossen. »Andere Bauern haben angefangen, Wein zu pflanzen. Das wird seine Gründe haben.«

Xisca zog einen enttäuschten Flunsch. »Schade.«

»Lass uns beim Essen darüber reden.« Francisco schritt voraus. An seiner Haltung erkannte Carla, dass es in ihm arbeitete. Sie ließ ihm die paar Minuten.

Bereits von Weitem bezauberte Carla die Außenbeleuchtung des Las Rosas. Die Lampen der Hotelfassade strahlten die Balkone seitlich an. Das Metallgeländer mit Rosenornamenten warf lebendig wirkende Blütenschatten an die Wand.

Gemeinsam betraten sie das Hotel. An der Rezeption fragte sie nach Alba.

»Die Chefin ist im Restaurant.«

»Das trifft sich gut. Danke.« Durch die Glasflügeltür mit dem geschmackvollen Rosenmuster gingen sie hinüber in den Restaurantbereich.

Als Alba sie entdeckte, entschuldigte sie sich bei dem Paar, mit dem sie gerade sprach, und eilte auf sie zu. »Wie schön, euch zu sehen! Was treibt ihr denn hier?«

Nach einer herzlichen Umarmung wies Carla auf einen freien Tisch. »Wir wollten bei dir essen.« Sie zeigte auf den Korb. »Ich habe Lilias Kleider dabei.«

»Setzt euch«, bat sie Xisca und Francisco. »Carla bringe ich gleich wieder zurück. Ich möchte mir ihre Arbeit ansehen.« Und schon zog sie Carla mit sich hinaus.

»Ob Lilia die jemals tragen wird?« Alba hob ihre Augenbraue. »Sie ist lieber auf dem Feld als hier im Hotel oder bei irgendwelchen Veranstaltungen.« Sie öffnete ihre Bürotür. »Wenigstens trifft sie auf Leos Weinfeld keine jungen Männer.«

»Sie ist doch erst sechzehn.«

»Und frühreif, wenn ich unsere Auseinandersetzungen betrachte.« Alba nahm ein Sommerkleid heraus. Ein dunkelblauer Organzastoff mit großen weißen Blättern. »Das ist wundervoll geworden. Das wird ihr ausgezeichnet stehen.«

Carla drehte das Kleid auf links. »Ich habe Platz gelassen.« Sie zeigte auf die Nähte. »Da kann ich den Stoff problemlos herauslassen.«

»Was würde ich nur ohne dich tun?«

»Ich helfe gerne.« Mit den von Carla geänderten Kleidungsstücken beeindruckte Alba die Gäste nachhaltig. Es wirkte, als besäße sie eine neue Kollektion. Damit Lilia sich bei der erneuten Umarbeitung nicht beschwerte, änderte Carla heimlich die Schnitte und mischte die Muster.

Alba zog das beige-braun gestreifte Sommerkleid heraus. »Darin wird sie sehr erwachsen aussehen. Das wird sie zur Zehnjahresfeier tragen. Ihr müsst kommen. Und ihr verbringt hier die Nacht. Einverstanden?«

»Da sage ich mit Vergnügen zu.« Carla freute sich aufrichtig über die Einladung. Ob ihr Bruder Leo sich begeistert zeigte, bezweifelte sie.

»Und heute seid ihr eingeladen.« Sie ging voraus. »Das ist das Mindeste.«

»Lieb von dir.« Carla war es ein wenig unangenehm. Sie schneiderte mit Freude für ihre Schwägerin und ihre Nichte. Sie waren ihre Familie. »Das ist nicht nötig.«

»Ich weiß, aber ich möchte es gerne.« Alba hakte sich bei ihr unter. »Gönn mir den Gefallen, ja?«

Zurück am Tisch verabschiedete sich Alba. »Ich muss mich um die Gäste kümmern. Immerhin sollen sie wiederkommen.« Sie zwinkerte ihnen zu und flanierte weiter.

»Ich habe uns Wein und Wasser bestellt«, sagte Francisco. Der Kellner servierte gerade die Getränke.

Xisca reichte ihr die Speisekarte. Carla wählte einen Fleischeintopf mit Kartoffeln. Francisco und ihre Adoptivtochter schlossen sich an.

Kaum war der Angestellte verschwunden, beugte sich ihr Mann ein wenig zu ihr. »Du willst Wein anbauen. Woher nimmst du die Reben? Was kosten sie?«

»Ich kreuze kalifornische Stöcke mit unseren heimischen.« Eine aus der Zeit ihres Vaters übrig gebliebene Reihe Weinstöcke begrenzte weiterhin ihr Grundstück wie eine Art natürlicher Zaun. Sie besaßen damit ausreichend Mutterpflanzen, um einen Großteil des Felds mit eigenen Stöcken zu pfropfen. »Ich bitte Antonia, mit diesem Kalifornier zu sprechen. Meiner Kalkulation zufolge fahren wir nach sieben Jahren Gewinne ein, selbst wenn wir die Pflanzen auf Kredit kaufen.« Sie tätschelte Xiscas Hand. »Dann hinterlassen wir unserem Mädchen ein ertragreiches Weingut.«

»Mir? Der Loryc wäre mir lieber.« Xisca schmollte. »Was soll ich mit einer Bodega? Ich bin Journalistin.«

Carlas Enttäuschung über die Ablehnung verschlug ihr den Appetit. Damit hatte sie nicht gerechnet. »Du könntest sie bewirtschaften lassen.«

»Vielleicht will ich nach Barcelona oder Madrid zu einer großen Zeitung.« Xisca zog die Hand weg und verschränkte ihre Arme vor der Brust. »Wenn du ein Weingut möchtest, dann sag es, behaupte aber nicht, dass du es für mich machst.«

Francisco lehnte sich zurück. »Du willst einen Kredit beantragen?«

»Sobald ich mit Antonia telefoniert habe und die genauen Kosten kenne.« Carla kam ein Gedanke. »Wir könnten eine höhere Summe aufnehmen für ein neues Fahrzeug. Dann dauert es eben zwei Jahre länger, bis die Schulden abbezahlt sind.«

»Lass mich darüber nachdenken.« Damit war für Francisco das Thema erledigt. »Und am Mittwoch kannst du das Auto für deine Reportage haben.«

»Vielen Dank! Ich kann auch vorerst mit dem Zug fahren«, lenkte Xisca nach ihrer ersten Enttäuschung ein. »Ich verdiene gut und kaufe mir irgendwann selbst einen Wagen.«

Carla freute das Angebot. Trotzdem wollte sie die kommenden Tage alles so in die Wege leiten, damit jedes Familienmitglied sich seinen kleinen Traum erfüllen konnte. Es musste gehen. Irgendwie.

Von Montagmorgen bis Dienstagabend sprach Carla mit den Weinbauern aus der Region. Viele hielten die Idee, eine Kooperative zu gründen und sich die Kosten zu teilen, für eine großartige Möglichkeit, Geld zu sparen. Nur kümmern wollte sich niemand darum. Das würde augenscheinlich an ihr hängen bleiben. Aber diesen Preis zahlte sie gerne. Das Ergebnis ihrer Arbeit würde sie ihrer Familie vor dem Abendessen verkünden.

Francisco arbeitete in der Werkstatt, und Xisca war bei Sonnenaufgang zu ihrer Reportage aufgebrochen. Der Gedanke daran, dass ihre Adoptivtochter das Weinfeld ablehnte, setzte ihr zu. Was sollte sie in zehn Jahren mit dem Grundstück anfangen? Auch den Punkt wollte sie mit ihrer Schwester besprechen. Die Poststelle öffnete in wenigen Minuten.

Mit klopfendem Herzen verließ sie das Haus, nahm ihr Fahrrad und radelte los. Als sie dort ankam, stand sie vor verschlossener Tür. Sie sah Cati auf sich zukommen. »Carla, bin ich zu spät aus der Mittagspause zurück?«

»Nein. Die Zeitverschiebung. In Kuba ist es früh am Morgen, und zu der Zeit erreiche ich Antonia am besten.«

»Dann komm rein.« Cati sperrte auf und wies Carla den Telefonplatz zu. »Die Nummer liegt auf meinem Pult. Ich stelle die Verbindung her und sortiere die angelieferte Post. Du brauchst mich ja nicht.«

»Danke. Lieb von dir.« Carla setzte sich auf den Hocker, vor ihr befand sich ein am Tisch befestigtes Telefon. Nervös rieb sie etwas Schmutz vom abgewetzten Holztisch, den zwei braune Kaffeeränder zierten. Sie schreckte hoch, als der Apparat klingelte. »Antonia? Hörst du mich?«

»Klar und deutlich. Was für eine Überraschung!«

»Geht es euch gut?« Obwohl das Gespräch teuer werden würde, wollte sie nicht direkt zum Punkt kommen.

»Ja, hier ist alles bestens. Außer, dass ich mich um Rodrigo sorge, sobald ich einen Rennwagen sehe.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Ihr Neffe fuhr jedes Wochenende Autorennen, wie sollte ihre Schwester keine Angst um ihren Sohn haben. »Aber sonst seid ihr wohlauf?«

»Ja, danke. Und wie läuft es bei euch?«

»Xisca ist erfolgreiche Journalistin, Francisco bekommt von Alba Aufträge, mit Leo spreche ich immer noch nicht, und das Aprikosenfeld wirft keinen Gewinn mehr ab.«

»Aprikosen«, schwärmte Antonia. »Was würde ich für einen Aprikosenkuchen geben.«

Carla lachte. Was der einen fehlte, besaß die andere im Übermaß. »Und ich vermisse den Wein.«

»Pflanz ihn an.«

»Das habe ich vor. Kannst du bei deinem Kontakt in Kalifornien den Preis für eine Rebstocklieferung für drei Hektar erfragen? Dazu die Transportkosten. Ich muss einen Kredit aufnehmen.« Carla seufzte. »Nach meiner Kalkulation kann ich ihn in sechs bis neun Jahren zurückzahlen. Je nachdem, wie teuer die Stöcke sind.«

»Ich erkundige mich, welche Sorten und Pfropfunterlagen er wie anbieten kann.« Im Hintergrund raschelte es. Offenbar schrieb Antonia mit. »Dann steigt Xisca mit in den Weinanbau ein?«

»Leider nein.« Carla hörte leises Bedauern in ihrer Stimme mitklingen. »Es ist dennoch vernünftig. Die Aprikosen und die Mandeln kosten durch die Helfer fast mehr, als sie einbringen.«

Am anderen Ende der Welt herrschte Schweigen. »Antonia? Bist du noch dran?«

»Ja, entschuldige. Mutter hat zwar dir das Grundstück überlassen, aber was hältst du davon, wenn wir uns das Feld teilen? Du hast die Arbeit, und ich steuere das Geld für die Bepflanzung bei.«

Darüber hatte Carla nicht nachgedacht. Selbstverständlich gehörte Antonia die Hälfte. Nur weil sie nicht auf Mallorca lebte und Carla nun im Grundbuch stand, bedeutete das nicht, dass sie vom Erbe ausgeschlossen blieb.

»Keine gute Idee? Du musst meinen Vorschlag nicht annehmen. Ich will mich nicht einmischen.«

Das Angebot übertraf Carlas kühnste Hoffnungen auf eine Lösung ihrer Probleme. »Natürlich. Das wäre großartig. Ich bin überrascht.«

»Weshalb? So besitze ich einen Zipfel Land in meiner Heimat. Und sobald du Gewinne einfährst, bringt es mir sogar etwas ein.« Antonia lachte leise. »Und vielleicht schickst ja du mir ein Fass nach Kuba. Dann kann ich mit europäischem Rotwein angeben.«

Carla stimmte in ihr Lachen ein. »Ist das dein Ernst?«

»Ja. Warum nicht? Ich erziele mit meinem Wein hier ausgezeichnete Erträge. Das Geld ist gut investiert.«

»Musst du das mit Federico besprechen?« Carla wollte keine Unstimmigkeiten zwischen ihnen auslösen.

»Nein, die Erlöse liegen auf meinem eigenen Konto.« Sie hörte es im Hintergrund wieder rascheln. »Ich werde noch heute mit Peter Fitzgerald sprechen. Wir telefonieren in einer Woche. Und ich verspreche dir ein hervorragendes Weinfeld.«

»Am liebsten würde ich dich umarmen. Du weißt nicht, wie glücklich mich das macht.« Mit so einem Vorschlag hatte Carla nicht gerechnet. Sie würde nur einen weit geringeren Kredit aufnehmen müssen. Für das neue Auto, die Arbeitsgeräte, Holzpfähle und Drähte, um die gepfropften Triebe hochzubinden. Dazu zwei Angestellte, bis die erste Lese Geld brachte. Bis dahin hätte sie eine Kooperative der regionalen Weinbauern ins Leben gerufen. »Du wirst es nicht bereuen.«

»Das weiß ich. Grüß alle. Bis nächste Woche. Gleicher Tag, gleiche Zeit?«

»Sehr gerne. Richte ebenfalls Grüße von mir aus, ja?«

»Hasta pronto.«

Völlig überwältigt hängte sie den Hörer auf die Gabel. Das Telefonat kostete beinahe einen Wochenlohn, aber die Ausgabe hatte sich gelohnt.

Es fiel Carla schwer, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Die Überraschung wollte sie Xisca und Francisco zusammen überbringen. Es betraf schließlich die ganze Familie.

Xiscas Hündin Leya lag neben dem Herd, fast, als hoffte sie darauf, dass Carla Holz einlegte und ihn befeuerte. Die zehnjährige Mischlingshündin verlor an Gewicht und fror leicht. Ihr Gang wirkte steif. Sobald die Sonne schien, legte sie sich in den Patio, um sich von den Strahlen aufwärmen zu lassen. War der Himmel bewölkt, hoffte Leya am Ofen auf einen Wärmespender.

Carla nahm die Decke, auf der die Hündin früher in der Ecke hinter dem Esstisch gelegen hatte, und breitete sie vor dem Herd aus. »Bald heize ich an.«

Das Motorengeräusch des Loryc ließ sie beide aufhorchen. Fast als wüsste die Hündin, dass an diesem Tag Xisca mit dem Auto käme. Vielleicht spürte sie es tatsächlich.

Die Fahrertür wurde zugeschlagen, und wenige Sekunden später betrat Xisca die Küche. »Hola!«

Leya erhob sich etwas schwerfällig, ging schwanzwedelnd auf ihr Frauchen zu und ließ sich von ihr kraulen, was sie ihr dankte, indem sie ihr die Hände ableckte.

»Wie war es in Porto Cristo?« Carla sah sie neugierig an.

»Gut. Sehr gut.« Xisca wich ihrem Blick aus.

»Nun lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.« Carla setzte Kaffee auf. »Setz dich und erzähl.«

Ihre Adoptivtochter nahm Platz. Leya legte ihren Kopf in Xiscas Schoß. »Der Besitzer des Souvenirshops ist ausgesprochen freundlich.« Xiscas Augen leuchteten begeistert. »Er verkauft Postkarten, Püppchen mit roten Sevillanakleidern, Töpferarbeiten, Gemälde und diese Kissen mit dem Bezug aus Zungenstoff.«

»Und das kaufen die Leute?«

»Heutzutage schon. Er verteilt zu Beginn der Führung durch die Drachenhöhlen Handzettel mit seiner Adresse, und die Touristen gehen tatsächlich dorthin.« Sie wies auf ihre Kamera. »Das wirst du auf den Bildern sehen. Ich hätte es nicht geglaubt, wenn ich es nicht gesehen hätte.« Leya ließ sich weiterhin den Kopf streicheln. »Er öffnet mittwochs und sonntags, also nur an den Konzerttagen in der Höhle.«

Carla drehte sich überrascht um. »Er arbeitet zwei Tage in der Woche und kann davon leben?«

»Nein.« Xisca lachte. »Samstags kellnert er, unter der Woche lädt er am Hafen Boote aus, putzt oder streicht sie.« Xisca beschäftigte sich mehr als sonst mit Leya und sah nicht auf. »Um seinen Traum zu verwirklichen, ist er sich für nichts zu schade.«

»Das ist bestimmt besser für ihn, denn eine Zukunft hat er mit diesem Geschäft nicht.«

»Von wegen. Das behaupten die Leute aus seinem Heimatdorf auch. Und weißt du, was er seinen Eltern darauf antwortet?«

»Nein.« Carla lächelte. Der Mann gefiel Xisca offensichtlich, und sie wollte es nicht zugeben.

»Sag den Nachbarn, wir werden nicht nur Brot, sondern Langusten essen. Jeden Tag!«

Die Begeisterung, mit der sie über Baltasar sprach, konnte sie nicht verhehlen, obwohl sie sich ihrer Blickrichtung nach mit dem Fußboden unterhielt. Carla füllte zwei Kaffeetassen und setzte sich zu Xisca.

»Ich muss diese Woche nochmals hinfahren«, erklärte Xisca und bestätigte Carlas Verdacht. »Für die Reportage soll ich ihn zu den anderen Arbeiten befragen und fotografieren.«

»Natürlich musst du das.« Amüsiert beobachtete sie Xisca über den Rand ihrer Tasse hinweg. Ihre Adoptivtochter interessierte sich zum ersten Mal für einen Mann. Einen aus Sencelles, der nun am östlichen Ende der Insel lebte. Aber eine harmlose Schwärmerei bedeutete noch lange keine Liebe. Xisca würde nicht leichtsinnig ihre Karriere als Journalistin aufgeben, so gut kannte sie ihr Mädchen. Und sie wusste ebenso, wie Xisca und Francisco auf Antonias Vorschlag reagieren würden. Mit großer Begeisterung. So bekäme jeder seinen Wunsch erfüllt.

2

Über Palmas beeindruckendste Prachtstraße flanierten viele Passanten. Hochgewachsene Platanen beschatteten den vom Meer in die Stadt hoch führenden Paseo del Borne. Alba Colom Pons hakte sich bei ihrer Freundin Marisol unter und ging zwischen den beiden steinernen Sphinxen durch, die den Anfang der Straße bewachten.

»Warum willst du Matías nicht mehr sehen?« Marisol sah sie fragend an. »Er ist ein toller Mann, und er vergöttert dich.« Sie verzog das Gesicht, als ein Pferd, das mit dem Kutscher auf Touristen wartete, Pferdeäpfel auf den Asphalt abließ.

»Ich bin mit Leo verheiratet.« Albas Herz schlug bei der Erwähnung seines Namens dennoch schneller. Ein Umstand, der sie weiterhin um Fassung ringen ließ. »Ich kann das nicht. Nicht mehr. Wir haben eine wundervolle Zeit miteinander verbracht. Die ist nun vorbei.«

»Leo achtet dich nicht, er schert sich nur um seinen Weinbau. Alles andere interessiert ihn nicht. Dein Hotelbetrieb nicht, und du auch nicht.«

»Jetzt bist du ungerecht.« Alba sah sich bemüßigt, ihren Ehemann zu verteidigen, obwohl sie Marisol hätte zustimmen müssen. Für Leo zählte nur die Arbeit mit seinem Geschäftspartner Fernando auf dem gemeinsamen Feld in Binissalem. In Fernandos Bodega brachte Leo zusätzlich die Lese seines Weinfelds an der Westküste. Das Grundstück über der Klippe besaß die perfekte Lage für ein Hotel, aber Weinbau? »Leo gibt sich Mühe.« In Bezug auf die Bemühungen um den Wein stimmte die Aussage.

»Du lässt den falschen Mann ziehen.« Marisol wies auf die sonnenbeschienene Terrasse der Bar Bosch. »Wollen wir einen Kaffee trinken, oder musst du zurück?«

Marisol scheute sich nicht, ohne Begleitung in ein Café zu gehen und die Menschen zu beobachten. Sie wagte es sogar, Hosen zu tragen, machte auch bei der Frisur keine Kompromisse und trug sie kurz wie ein Bursche. Die weit ausgestellte beigefarbene Leinenhose stand ihr ausgezeichnet. Dazu kombinierte sie eine dunkelblaue Bluse, die ihre schmale Taille betonte.

»Ich sollte an die Arbeit. Die Frühstückszeit bei dir musste ich mir schon abringen.« Alba arbeitete gern, mit Leos Unterstützung hätte sie öfter freinehmen können.

»Matías tut mehr für dich, als du ahnst.« Sie zeigte auf einen unbesetzten Tisch. »Dann muss ich mich wohl allein in die Sonne setzen.«

»Was tut er denn?« Marisols Andeutung weckte ihre Neugierde. »Sag es mir.«

»Ich habe ihm versprochen zu schweigen. Frag Gerado.« Sie drehte die Finger vor ihrem Mund, als würde sie ein Schloss abschließen. »Ich verrate kein weiteres Wort.«

Daran hegte Alba keinen Zweifel. »Genieße deinen freien Tag.«

»Das werde ich. Die Arbeit in der Schule ist fürchterlich. Diese neuen Regeln von Franco, nach denen wir unterrichten sollen, gefallen mir nicht. Ich wünschte, ich hätte eine andere Tätigkeit.« Marisol zuckte die Schultern. »Aber welche? Zur Zeit ist es aussichtslos.«

Alba überlegte kurz. »Du könntest zwei Tage die Galerie betreiben.«

»Ich? Ernsthaft? Ich habe von Kunst ebenso wenig Ahnung wie ein Bauarbeiter.« Marisol sah sie entsetzt an.

»Das hat der Großteil der Kundschaft auch nicht. Du bist eloquent, freundlich und hilfsbereit. Mehr ist nicht notwendig, um Bilder zu verkaufen. Überleg es dir.« Sie küsste ihre Freundin auf die Wangen und begab sich auf den Weg zurück ins Las Rosas.

Erneut erfüllte sie die helle Fassade im Kolonialstil mit den filigranen Rosenverzierungen an den Balkonbrüstungen mit Stolz. Das Rosenmuster mit kleinen Ranken wiederholte sich überall im Hotel, und sobald die Einnahmen stiegen, wollte Alba den Teppichboden mit dezentem Muster verlegen. Hatten der Bürgerkrieg und die damit einhergehenden Nazi-Flaggen die Front verschandelt, erstrahlte sie seit Kriegsende von Neuem erhaben, als hätte es die ungeliebten Gäste niemals gegeben.

Endlich konnte Alba wieder so handeln, wie es ihr gefiel, und musste nicht aus Furcht vor politischen Konsequenzen ihre wahren Gefühle verbergen.

An der Rezeption standen zwei Männer in teuren Anzügen. Sie unterhielten sich mit ihrem Angestellten Eduardo, dessen Gesicht sich bei Albas Anblick merklich aufhellte. Sie näherte sich und begrüßte die Fremden. »Kann ich helfen?«

»Ich hoffe. Wir suchen ein Notariat.« Der Engländer reichte ihr die Hand. »McGregor, sehr angenehm.«

»Alba Colom Pons, die Eigentümerin des Hauses.« Alba nickte dem anderen Herrn zum Gruß zu. »Mein Notar spricht Ihre Sprache und genießt mein vollstes Vertrauen.«

»Was für ein Segen.« McGregor zeigte auf seinen Begleiter. »Ich unterstütze Mr. Brown, sein Geld in rentable Immobilien zu investieren.«

Ein Wink des Schicksals. Schon lange überlegte sie, ob sie ihr Elternhaus sowie zwei weitere Wohnungen in bester Lage verkaufen sollte, um für den Bau des Hotels in Cala Mayor flüssig zu sein. »Ich kann Ihnen nicht nur meinen Notar empfehlen, sondern sogar drei Immobilien provisionsfrei anbieten.«

»Interessant. Häuser?« Die Augenbrauen von Mr. Brown schossen in die Höhe.

»Nicht nur.«

»Können wir Ihre Liegenschaften besichtigen?«

»Jetzt?«

Albas Küchenchef Pep wartete auf ihre Anweisungen. Sie zögerte kurz. Sollte der Maître an diesem Tag zeigen, ob er den Chefposten zu Recht innehatte und in der Lage war, einen brauchbaren Wochenplan zusammenzustellen. »Gerne. Ich gehe nur rasch die Schlüssel holen.« Auf dem Weg in ihr Büro gab sie in der Küche Bescheid und überlegte, wie Leo reagieren würde, wenn sie das Haus ohne seine Zustimmung verkaufte. Er schlief meist in Binissalem in einem Häuschen, das zu Fernandos Bodega gehörte, oder in der kargen Hütte auf dem Weinfeld. Für sie lohnte es sich nicht, ihr Elternhaus zu halten. Sie könnte sich im Hotel einrichten. Ebenso Lilia und Gerado. Vielleicht irrte sie sich, und der Investor bevorzugte ganz andere Wohnobjekte.

Trotz ihrer Unsicherheit schien das Glück Alba an diesem Tag zu begleiten. Der Mann investierte in Immobilien im großen Stil. Preislich einigten sie sich so schnell, dass sich Alba mit den Herren bereits am späten Nachmittag bei ihrem Notar einfand. Mithilfe ihres Anwalts Oscar Munar, dessen Kanzlei im gleichen Stockwerk gegenüberlag, besprachen sie das weitere Vorgehen. Alba benötigte Zeit für die Organisation des Umzugs. »Lassen Sie uns heute im Las Rosas zusammen abendessen.« Sie suchte den Blick ihrer Geschäftspartner. »So ein Entschluss sollte gefeiert werden.«

Mr. Brown dankte ihr. »Mit Vergnügen. Um alles abschließen zu können, muss mein Anwalt die Verträge sehen, bevor wir notariell den Immobilienwechsel beglaubigen.«

»Selbstverständlich. Kein Problem.« Alba würde ebenso wenig Geschäfte ohne rechtlichen Beistand tätigen.

Mr. Brown und Mr. McGregor erhoben sich. »Wir verabschieden uns, wenn Sie erlauben. Begleiten Sie uns zurück?«

Da Alba bei ihrem Rechtsanwalt saß, verneinte sie. »Ich habe zwei weitere Punkte zu klären.« Sie stand auf, reichte den Herren die Hand und lächelte. »Neunzehn Uhr?«

»Herzlichen Dank.«

»Alba, was kann ich noch für Sie tun? Sollen wir nach nebenan in meine Kanzlei wechseln?«, fragte Oscar Munar, nachdem die Kaufinteressenten das Büro verlassen hatten.

»Das ist nicht nötig.« Alba sah zum Notar. »Es betrifft Sie beide. Ich will mit einem Teil des Geldes ein Küstengrundstück erwerben. Aber ich möchte namentlich nicht in Erscheinung treten. Wie geht das?« Alba wollte Leo besänftigen, sollte er wegen des Hausverkaufs ungehalten sein. Er suchte seit Monaten nach einem Abnehmer für das Weinfeld. Mit dem Erlös könnte er in Binissalem Weinland erstehen und seinen Traum erfüllen.

»Das ist unproblematisch. Wir gründen eine Gesellschaft, unterbreiten eine Offerte im Namen der Firma, und niemand erfährt, wer dahintersteckt, wenn ich als bevollmächtigter Vertreter auftrete.« Der alte Freund ihres Vaters stand auf und trat ans Fenster. »Das ist einfach.«

So hörte es sich an. »Gut, dann regeln Sie das für mich. Machen Sie meinem Ehemann ein Angebot, das er unmöglich ablehnen kann.« Um ihren langjährigen Anwalt nicht zu verwundern, führte sie ihre Motive aus. »Er wünscht sich eine Bodega in der Inselmitte. Mit dem Kauf kann ich ihn sehr diskret in seinen Plänen unterstützen. Ich will vermeiden, dass er glaubt, er würde es ohne meine Hilfe nicht schaffen.«

»Alba, Sie sind eine weise Frau.« Er wandte sich vom Fenster ab und lehnte sich an den Stuhl, der ihrem gegenüberstand. »Sie lassen Ihrem Mann die Ehre.«

Und ich bekomme ein perfektes Küstengrundstück, dachte Alba. Somit war allen geholfen. Auch ihrer Tochter Lilia, die wie Leo verrückt nach Wein war. Irgendwann würde sie die Weinfelder erben, wenn sie in einigen Jahren weiterhin Interesse daran hatte, was Alba sehr bezweifelte. Sie ging nur aufs Feld, um ihrem Vater zu schmeicheln. Mit körperlicher Arbeit sollte Lilia nicht für ihren eigenen Unterhalt sorgen und unabhängig von einem Ehemann sein.

»Dann erledigen Sie das, sobald der Verkauf meiner Immobilien abgeschlossen ist.« Alba erhob sich. »Ich muss nun wirklich zurück. Sonst verpasse ich das Abendessen mit den Investoren.«

»Vielen Dank, Alba.« Oscar Munar sah zum Notar. »Wir kümmern uns um alles.«

Zufrieden mit dem Verlauf des Tages spazierte sie zurück ins Hotel, wo sie sich direkt in die Küche begab. Der Chefkoch hatte ohne Albas Instruktion improvisiert und einen Wochenmenüplan erstellt, der sie angenehm überraschte. Künftig wollte sie Pep öfter die Zusammenstellung allein überlassen. Zu ihrer Entlastung und für mehr Abwechslung im Restaurant. So bliebe ihr genügend Zeit, um die Jubiläumsfeier vorzubereiten.

Das Las Rosas sollte erstrahlen. Alba jagte tagelang die Hausmädchen von Zimmer zu Zimmer, überließ nichts dem Zufall, und manchmal wusste sie kaum, wie ihr geschah. Unerklärlicherweise kamen weitere Buchungen von frisch vermählten Paaren aus Großbritannien. Für Hochzeitspaare stellte sie eine neue Zimmervorbereitung zusammen. Ein Obstkorb. Eine Flasche Wein von Leos Feldern und Rosenblätter auf dem Bett, um dem Namen des Hotels mit einer romantischen Note Nachdruck zu verleihen. Ob sie rote Rosen auftreiben könnte? Sie musste mit ihrem Blumenlieferanten sprechen.

Alba gab das ihrem Rezeptionisten in Auftrag und fragte nach Gerado.

»Er wollte gleich wieder hier sein.« Mit leuchtenden Augen stand Eduardo vor ihr. »Señora, Sie werden es nicht glauben. Wir sind zum Jubiläum ausgebucht.«

»Du meinst, die Hotelzimmer sind alle belegt?« Hoffentlich meinte er nicht nur die Reservierungen im Restaurant.

»Ja!« Er zeigte auf das Reservierungsbuch. »Eine Reiseagentur aus England hat die letzten Zimmer gebucht. Für frisch Vermählte.«

»Das sind großartige Nachrichten!« Albas Verwunderung wuchs weiter. Zeit, mit ihrem Sohn zu sprechen.

Gerado kam auf sie zu. Wie üblich kleidete er sich extravagant. Sein königsblauer Seidenanzug besaß einen edel schimmernden Glanz. Das helle Hemd harmonierte mit den hellbeigen Gamaschen über den schwarz polierten Lederschuhen. Die Krawatte zierte ein Jacquardmuster, das Gerado für Kleidung nutzte, obwohl Alba solche Stoffe bisher hauptsächlich als Bezug von Sitzmöbeln kannte. Zu ihm passte das Muster, erregte jedoch auch Aufsehen. Die Abschlussarbeit an der Schule für Modedesign und Werbegrafik stand unmittelbar bevor, und sie wusste, dass er für das Meisterstück dieses Material benutzen würde.

Trotz seiner Modebegeisterung engagierte Gerado sich zu Albas Freude sehr im Hotel. Vielleicht steckte er hinter den neuen Gästen.

Ihr Sohn kam Alba manchmal vor wie ein halbwüchsiger Junge, weil er seine Vorlieben wechselte wie Kinder ihre Lieblingsspielzeuge. Nur selten spielte er Geige oder Klavier. Meist für die Hotelgäste im Restaurant, wenn Alba ihn darum bat, doch freiwillig? Dabei gab es eine Zeit, in der er den Geigenbogen am liebsten nie aus der Hand gelegt hätte. »Hast du kurz Zeit?«

»Ja, in zehn Minuten muss ich aber los.« Gerado klemmte sich die Zeitung unter den Arm und folgte ihr nach nebenan ins Büro.

Alba setzte sich auf die Schreibtischkante. »Kannst du dir die vielen Buchungen aus Großbritannien und vom Festland erklären?«

»Freu dich doch einfach darüber.« Gerado wich ihr aus.

»Das tue ich. Trotzdem möchte ich erfahren, warum sie bei uns buchen.« Alba blickte ihn fest an. Sie kannte ihren Sohn. Wenn er zu Boden sah und ihrem Blick auswich, versuchte er, etwas vor ihr zu verbergen.

»Nun sag schon. Wem verdanke ich das?«

Gerado schnaubte. Er reichte ihr die Tageszeitung. »Schau im Anzeigenteil nach.«

Alba blätterte und fand eine ansprechend gestaltete Annonce für ihr Hotel. Die Anzeige wandte sich ausschließlich an Flitterwöchner und bot Sonderpakete an. Stolz brandete in Alba auf wie ein loderndes Feuer. »Deine Idee ist großartig! Der Kurs in Werbung hat sich gelohnt!«

»Sie ist nicht von mir.«

»Sondern?«

»Von Matías. Er kam darauf. Wir haben das zusammen umgesetzt.« Gerado nahm die Zeitung wieder an sich. »Er wollte erst sehen, ob es funktioniert. Es sollte eine Überraschung werden.«

»Die ist euch gelungen.« Vermutlich hatte Marisol das vor einigen Tagen gemeint, als sie zu Alba sagte, Matías täte viel für sie. Nun blieb ihr fast kein Ausweg mehr. Sie musste mit ihm sprechen. Alles andere wäre unhöflich. »Ich danke euch. Weißt du schon, welche Lieder du zur Feier spielen wirst?«

»Ich gebe dir heute Abend die Liste. Jetzt muss ich wirklich gehen.« Gerado küsste sie auf die Wange und verließ ihr Büro.

Nachdenklich sank sie auf den Stuhl. Warum ließ Matías sie nicht in Ruhe? Wie sollte sie ihn vergessen, wenn er sich immer wieder in ihr Leben einmischte? Sie liebte ihn. Aber sie konnte ihren Mann nicht verlassen. Das Gerede würde sie nicht ertragen. Außerdem würde sie Leo verletzen und ihre Familie zerstören.

Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihren Gedanken. »¿Diga?«, meldete sie sich.

»Oscar Munar. Der Kauf ist erfolgt und notariell beglaubigt. Sie sind nun Besitzerin des Küstengrundstücks hinter Magaluf. Wenn Sie wünschen, können Sie die Unterlagen abholen. Oder ich bewahre sie bei mir auf.«

»Ja, tun Sie das.« Sie wollte nicht riskieren, dass Leo die Firmenunterlagen zufällig entdeckte und ihre List aufdeckte. »Das Geld ist auf dem Konto?«

»Ja. Und das Grundstück in Cala Mayor habe ich auch in die Firma eingebucht.«

»Ausgezeichnet.« Alba verabschiedete sich und lehnte sich im Stuhl zurück. Nun konnte sie einen Anruf nicht mehr hinausschieben. Nicht nur, um Matías zu danken, sondern um ihn zu bitten, ihr neues Hotel in Cala Mayor zu entwerfen.

Leo würde an diesem Abend in gelöster Stimmung sein. Der perfekte Zeitpunkt, um beim Abendessen mit ihm über ihre Pläne zu sprechen. Ihr Mann kam ihr sogar noch zuvor. Zusammen mit seinem Partner Fernando brachte er die Weinlieferung für den Weinkeller. Alba überflog den Lieferschein und kontrollierte die Liefermenge. Sie durfte keine Engpässe zur Zehnjahresfeier riskieren. »Früher als versprochen!« Leo steckte den Kopf ins Büro und sah sie selbstzufrieden an. »Ich komme mit ausgezeichneten Neuigkeiten.«

Alba ahnte, was er ihr nun berichten wollte.

»Das Grundstück ist verkauft. Das Angebot lag weit über dem Verkehrswert. Was der arme Trottel da anbauen will, ist mir schleierhaft. Mehr als den von mir platt gefahrenen Zufahrtsweg gibt es dort nicht.« Leo zuckte die Achseln. »Mit so viel Glück habe ich nicht gerechnet. Oscar Munar ist ein toller Anwalt. Er wusste von meinen Verkaufsplänen und hat einem Interessenten davon erzählt.«

Alba gab sich überrascht. »Und die Rebstöcke?«

»Die nehme ich mit. Ich habe mir perfektes Weinland in Sencelles reserviert.« Leo zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Es ist das Nachbargrundstück von Carla. Die wird Augen machen, das kann ich dir versprechen.«

»Willst du den alten Zank nicht endlich beilegen?« Sie mochte ihre Schwägerin. »Jetzt, wo ihr Nachbarn seid?«

Leo fuhr sich über das Kinn. »Warum? Sie hat mich um mein Erbe gebracht.«

»Es war die Entscheidung deiner Mutter.« Alba kannte die ganze Wahrheit. Leo hatte sich mit den Eltern zerstritten, weil er damals Weinreben anbauen wollte. Sein Vater setzte auf Trockenfrüchte, da der mallorquinische Wein nach Erholung der Reblausplage kein Brot auf den Tisch brachte. Leo hatte daraufhin mit der Familie gebrochen. »Es war ihr Land, also war es ihr gutes Recht zu bestimmen, was angebaut wird.« Alba verstand den Starrsinn ihres Mannes nicht. Man hatte nur eine Familie. Und der sollte man vergeben. Sie vergab Leos Fehlentscheidungen schließlich ebenfalls regelmäßig.

»Ich will nicht streiten«, lenkte Leo ein. »Lass uns heute Abend feiern, ja? Oder bist du mir böse, weil ich jetzt nur noch sonntags im Hotel helfen kann?«

Den Großteil der Zeit verbrachte ihr Mann in Binissalem. Der Grundstückswechsel würde nicht viel daran ändern. »Nein. Wenn der Wein dich glücklich macht, dann bin ich es auch.« Alba hielt den passenden Moment für gekommen. »Ich habe einen Käufer für mein Elternhaus. Gerado und Lilia können mit uns im Las Rosas wohnen. Ich werde einen Bereich umbauen. Gerado geht eigene Wege, und Lilia ist fast erwachsen. Du arbeitest auf dem Feld, schläfst meistens dort, und ich gehe nur noch ins Haus zum Saubermachen. Wir brauchen es nicht. Mit dem Erlös beginne ich mit dem Hotelbau in Cala Mayor.« Sie lächelte ihn an. »Einen Teil kann ich für deine Weinfelder abzweigen, damit du schneller Erfolge erzielst. Wie denkst du darüber?«

Leos Miene verfinsterte sich abrupt. »Verkaufen? Unser Zuhause?«

»In dem niemand wohnt.« Alba ging auf ihn zu. »Ich dachte, du freust dich, wenn du Bargeld zur Verwirklichung deiner Träume bekommst. Mit der Summe wärst du gleichberechtigter Partner mit Fernando. Und es bliebe Geld für den Baustart einer Bodega in Sencelles. Das wolltest du doch immer.« Alba gab vor, gekränkt zu sein, und senkte den Blick, weil Leo ihr Entgegenkommen nicht würdigte. Ihr war klar, dass sie ihn längst in der Tasche hatte. »Aber ich muss das nicht tun. Das Hotel in Cala Mayor kann warten.«

»Nein. Du hast recht.«

Alba hob den Kopf. »Du bist einverstanden? Es ist unser Zuhause.«

»Solange das Angebot gut ist. Du darfst dein Erbe nicht verschleudern.« Leo sah sie forschend an. »Wie hoch ist es denn?«

»Vierhunderttausend Peseten«, log Alba. Sie rundete die Summe großzügig ab. Den Verkauf der beiden Wohnungen, von denen Leo nichts ahnte, verschwieg sie ihm ohnehin. Er musste nicht alles erfahren.

Ihr Mann schien zu überlegen.

»Ich kann dir vierzigtausend geben. Um das Hotel fertigzustellen, werde ich einen Kredit aufnehmen müssen.« Alba gingen die Lügen leicht über die Lippen. »Sobald es Gewinn abwirft, unterstütze ich dich, solltest du das überhaupt nötig haben.« Albas Schmeichelei stimmte ihn milde.

»Ich würde es sogar ohne die vierzigtausend Peseten schaffen, aber mit geht es schneller.« Leos Augen funkelten begeistert. »Und weißt du was? Ich benenne unseren ersten Rotwein nach dir. Wie findest du Albas Rosas?«

»Du bist der wundervollste Mann auf der Erde.« Alba meinte in dieser Sekunde auch jedes Wort so. Seine Begeisterungsfähigkeit steckte sie an. In die und in Leos Tatkraft hatte sie sich verliebt. Und in jenen seltenen Momenten, in denen das alte Feuer in ihm loderte, liebte sie ihn.

»Ich sortiere die Weinflaschen und komme dann hoch zum Abendessen.« Leo küsste sie zum Abschied und verließ, ein Lied pfeifend, das Büro.

Alba setzte sich hinter den Schreibtisch. Seit Leo mit Fernando ein großes Weinfeld bewirtschaftete, ließ er sich kaum noch im Hotel sehen. Er fuhr von der Küste nach Binissalem. Die Fahrt zwischen den Grundstücken fiel nun weg, was ihm seine Arbeit erleichterte. Vielleicht schaffte er es tatsächlich, irgendwann gewinnbringend Wein anzubauen. Seine Rotweine kamen bei ihren Hotelgästen an. Die Rebstöcke würden auf fruchtbarem Boden mehr einbringen. Fernando und er kultivierten Prensal Blanc, dessen Traube einen frischen Weißwein hervorbrachte. Die Lese des Mantonegro bauten sie mit Syrah zu einem kräftigen Rotwein aus. Sie hoffte für Leo, es möge ihm gelingen. Solange er mit dem Weinbau beschäftigt war, mischte er sich nicht in ihre Geschäfte ein. Selbst zum Bau des Strandhotels hatte er zu ihrer großen Verwunderung geschwiegen.

Zeit, dem Koch ihr Abendessen in Auftrag zu geben. Sie zog den Handspiegel aus der Schreibtischschublade, zupfte ihre blonden Locken zurecht, zwischen denen die ersten grauen Strähnen nicht auffielen. Alba stand auf und strich gewohnheitsmäßig ihren wadenlangen Bleistiftrock aus grüner Wolle glatt. Der Großteil ihrer Garderobe war drei Jahre alt. Sie kombinierte die von Carla umgenähten Kleidungsstücke neu. Wenn sie an die Unbekümmertheit ihrer Jugend zurückdachte, in der sie sich ausschließlich nach der neuesten Mode gekleidet hatte, fiel ihr auf, wie viel Geld sie früher verschwendet hatte. Nun gab es wichtigere Dinge als Kleider. Rücklagen bilden. Eine gute Ausbildung für die Kinder. Wobei völlig unklar war, was Lilia nach der Schule studieren wollte. Ihr Mädchen zeigte keine Begeisterung für Albas Hotelgeschäft oder die Galerie. Dafür nutzte sie jede freie Minute, um mit Leo zum Weinfeld und zur Bodega in Binissalem zu fahren. Ihre Tochter zog es vor, wie eine gewöhnliche Bäuerin in der Erde zu wühlen, sich den Rücken krummzuarbeiten, anstatt sich für Schickliches zu begeistern.

Gerado bewies trotz künstlerischer Ader lobenswertes Engagement im Hotelgewerbe, obwohl Alejandro wie ein Schatten nie von Gerados Seite wich. Wenn Alba nicht achtgab, würde seine Neigung irgendwann bekannt werden. Er könnte im Zuchthaus enden. Sie überlegte, wie sich das vermeiden ließe. Vielleicht sollte er heiraten. Was hinter verschlossenen Türen ablief, blieb im Verborgenen, und solange er eine Frau vorwies, würde es keiner wagen, einen solchen Verdacht auszusprechen. Am besten erschien er zur großen Feier in weiblicher Begleitung. Darüber musste sie mit ihm sprechen.

Gedankenverloren schlenderte sie rechts durch die mit Rosendekor verzierten Glasflügeltüren, die in den Speisesaal führten. Weder von innen noch von außen konnte man erahnen, dass es einmal zwei Häuser gewesen waren, die sie mühevoll zu diesem Hotel ausgebaut hatten. Als sie vor zwölf Jahren das Eckhaus mit der ausladenden Fensterfront erwarben, lag es auf der Hand, dort das Speiselokal einzurichten. Tatsächlich hatten sich im Laufe der Zeit die Fenstertische als die begehrtesten Plätze erwiesen.

Alba hielt sich links, ging an dem durch eine Schiebewand abgetrennten Bühnenbereich mit dem schwarzen Klavierflügel vorbei in den Servicebereich vor der Küche. Dort herrschte geschäftige Betriebsamkeit. Jeder ihrer Angestellten wusste, was er zu tun hatte. Ihr Küchenchef Pep putzte gerade einen Hilfskoch herunter, weil er eine Soße hatte anbrennen lassen. Der eigenwillige Geruch überlagerte alle anderen Düfte. »Wenn du es wagst, jetzt umzurühren, brauchst du morgen nicht wiederzukommen.«

Das Gesicht des Kochs brannte feuerrot vor Scham. Er griff sich einen frischen Topf, schüttete die Flüssigkeit um und gab ein Stück Weißbrot hinein. Pep nickte. »Na, wenigstens das weißt du und verschwendest nicht noch eine Kartoffel.«

Als er sich umdrehte, entdeckte er Alba. »Was kann ich für Sie tun?« Er eilte auf sie zu. »Haben Sie Gäste zum Abendessen?«

»Heute nur die Familie. Wir werden zu viert sein.« Sie bedachte den neuen Hilfskoch mit einem nachsichtigen Blick. »Wie macht er sich?«

»Eigentlich gut.« Pep sprach leise. Er polterte gerne herum, um sich Gehör zu verschaffen, war im Grunde jedoch eine Seele von Mensch. »Ich stelle morgen das Menü für die Jahresfeier zusammen. Es wird reichhaltig aus dem Meer geben.«

»Eine Fleischspeise müssen wir aber anbieten.« Alba wusste, wie schwierig es war, größere Mengen Fleisch zu bekommen. »Hat Felipe kein Rind mehr?« Er gehörte zu den vier Bauern, die sie regelmäßig mit Fleischwaren aus den Hausschlachtungen versorgten, und lieferte am zuverlässigsten.

»Ich habe bereits vor drei Wochen vorbestellt. Er wird liefern.« Pep schmeckte die angebrannte Soße ab. »Mit einem Schuss Wein ist sie genießbar.«

Seit sie ihrem Chefkoch freie Hand ließ, fühlte sich Alba entlastet, gerade jetzt, wo für die Feier so viel getan werden musste. »Danke. Wir essen um zwanzig Uhr.«

Pep konnte aus Resten ein hervorragendes Mahl zaubern, was ihnen schon zu Kriegszeiten durch die härteste Zeit geholfen hatte, um ihre deutschen Besucher zu verköstigen.

Im Büro fertigte sie eine Liste für die Zimmermädchen an. Alles musste perfekt sein. Die Hotelzimmer, das Restaurant, jeder Winkel, selbst dann, wenn ihn die Gäste nicht zu sehen bekämen. Aus der Kunstgalerie wollte sie Bilder holen, die Zimmer neu dekorieren und die Gemälde mit Preisen versehen. Vielleicht verkaufte sie auf diese Weise ihre Kunst, da in der Galerie kaum Kunden vorbeischauten.

Nun musste sie mit Matías sprechen. Länger konnte sie das Gespräch nicht aufschieben. Sie nahm den Hörer ab, bat um eine Verbindung durch die Zentrale in Palma und hoffte, ihn nicht zu erreichen, um eine Schonfrist zu erhalten. Überraschenderweise ging er beim zweiten Läuten an den Apparat.

»Ich bin es, Alba.«

»Alba! Wie geht es dir?« Die Freude in seiner Stimme war unüberhörbar.

»Ausgezeichnet. Inmitten der Festplanung.« Sie räusperte sich. Die Nervosität kroch ihr die Kehle hoch. »Ich möchte die Planung für das Hotel in Cala Mayor vorantreiben. Kann ich mit deiner Hilfe rechnen?«

Ein leises Lachen drang zu ihr durch. »Ich habe aus den groben Plänen längst Skizzen gefertigt. Sie liegen seit vielen Wochen auf meinem Schreibtisch.«

»Wann können wir uns besprechen?« Alba konnte kaum glauben, dass Matías weiter entworfen hatte. Immer wieder überraschte er sie.

»Jetzt? Ich kann in zehn Minuten bei dir sein.«

Ihr brach der Schweiß aus. Auf eine so frühe Begegnung war sie nicht vorbereitet. »Gut. Ich bin im Büro.«

Matías legte auf.

Alba nahm den Handspiegel aus der Schreibtischschublade. Die Frisur saß. Zum Umziehen blieb ihr keine Zeit. Sie zog die Lippen nach. Ihre Hand zitterte unmerklich. Über sechs Monate hatten sie sich nicht mehr gesehen. Und nun würde er gleich vor ihr stehen. Die Schonfrist verstrich viel zu schnell.

Es klopfte.

»Herein.« Alba stand auf und stützte sich am Schreibtisch ab.

Die Tür schwang auf.

Matías.

Augenblicklich durchflutete Alba eine kribbelnde Hitze. Sie konnte in den ersten Sekunden kein Wort sagen. Zu sehr nahm sie der Mann gefangen. Sie blinzelte einige Male, um sich zu konzentrieren. »Matías. Komm, tritt näher.«

Die Papierrollen trug er unter dem Arm. Mit einem strahlenden Lächeln schloss er die Tür und kam auf sie zu. »Umwerfend schön, wie immer.«

»Schmeichler.« Dennoch freute sie das Kompliment. »Wie geht es dir?«

»Jetzt gut.« Er deponierte die Entwürfe auf dem Schreibtisch, umrundete ihn und zog Alba in eine feste Umarmung, bevor er von ihr abrückte, um sie im Anschluss hingebungsvoll zu küssen.

Wie gewöhnlich wurde sie zu Wachs in seinen Armen. Die Leidenschaft, die Wärme und die erneut auflebende Liebe hielten sie gefangen.

Er löste sich von ihr. »Du hast mir gefehlt.«

»Du mir auch. Aber …«

Matías legte seinen Zeigefinger auf ihre Lippen. »Kein Aber. Ich weiß nicht, ob ich eine weitere Zurückweisung überstehe.«

Alba seufzte und lehnte ihren Kopf an seine Brust. »Mach es uns nicht noch schwerer.«

»Es ist ganz leicht. Lass dich scheiden.« Matías strich ihr sanft über den Rücken. »Te quiero. Das weißt du.«

»Und ich liebe dich.« Dieses Eingeständnis kostete Alba viel Kraft. Nichts hatte sich geändert. Eine Sekunde in seinen Armen ließen die Monate der Abwesenheit schmelzen wie Butter in der Sommersonne. »Gib mir etwas Zeit.«

Matías rückte von ihr ab. »Darum bittest du mich seit Jahren.«

»Ich weiß. Es tut mir leid, was ich dir zumute.« Alba sah ihm in die Augen. »Sobald Lilia und Gerado ein eigenes Leben führen. Bis dahin hat Leo auch Erfolg mit seinem Wein. Dann sind wir frei füreinander.«

Matías schenkte ihr ein trauriges Lächeln. »Es hat sich also nichts verändert?«

»Doch, ich habe mich entschieden.« Alba verstand seinen Einwand. »Wirst du warten?«

»Ja. Natürlich.«

»Um eines bitte ich dich.« Alba fiel es schwer, noch ein Zugeständnis einzufordern. »Komm mit Marisol zur Feier. Leo ahnt etwas, und ich möchte nicht, dass es Gerede gibt.«

»Ich denke darüber nach.« Er wirkte gekränkt. »Lass uns die Skizzen ansehen.«

Alba bestaunte die Entwürfe. Matías musste jedes Detail, das sie zu ihren Wunschvorstellungen des Strandhotels geäußert hatte, aufgeschrieben haben. »Du bist wundervoll. Ein großartiger Architekt.«

»Freut mich, dass sie dir gefallen.« Er rollte die Pläne wieder zusammen. »Dann soll ich sie detailliert ausarbeiten?«

»Und die Kosten kalkulieren. Du hast deine Leute, um das Hotel zu bauen.« Albas Begeisterung schien an Matías’ Enttäuschung abzuprallen. »Wann fangen wir an?«

»Erst müssen wir das Grundstück einzäunen, reinigen und ebnen, bis dahin habe ich die Baupläne für die Genehmigung eingereicht. Nach Weihnachten kann es losgehen.«

»So schnell? Das sind ja nur noch acht Wochen!«

»Ich verfüge über Beziehungen ins Rathaus.« Matías wirkte fast geschäftsmäßig.

Alba ging auf ihn zu. »Danke.« Sie küsste ihn. Sein Widerstand schwand. »Wir werden viel Zeit zusammen verbringen.«

Matías brummte.

Selbstredend wünschte er sich mehr, das tat Alba ebenfalls. Trotzdem musste sie Rücksicht auf ihre Familie nehmen. Zwei Jahre. Vielleicht drei. Die Uhrzeit mahnte sie zur Vorsicht. Leo könnte jederzeit hereinkommen, und er würde nicht anklopfen. »Aber nun solltest du gehen.«

»Natürlich.« Matías nahm die Rollen und öffnete die Tür, die Leo gerade öffnen wollte. Beide Männer hielten die Türklinke in der Hand. »Buenos días, Leo.«

»Matías? Du hier?«

Er tippte auf die Pläne. »Wir haben das Projekt besprochen.«

Leo sah zu Alba. »Du verlierst keine Zeit.« Sein Blick verfinsterte sich.

»Ich muss los.« Matías drückte sich an Leo vorbei. »Ich habe eine Verabredung und will die Dame nicht warten lassen.«

Leos Miene hellte sich potenziell zu Albas Stimmungsabfall auf. »Das ist klug. Frauen verzeihen einem selten, wenn man sich verspätet. Adiós.«

Ohne sich umzudrehen, verließ Matías das Hotel. Es wirkte fast, als würde er fliehen. Albas Stimmung kippte. Am liebsten wäre sie hinter ihm hergelaufen, doch das verbot der Anstand. Und ihre Ehe.

»Die Kinder erwarten uns im Restaurant.« Leo bot Alba seinen Arm an. »Wie sind die Pläne?«

»Beeindruckend. Es wird den Touristen gefallen.« Sie ließ sich von Leo an ihren Tisch geleiten. »Die Strandlage ist ideal.«

»Was wird Pep servieren?« Leo setzte sich.

»Fideuà. Er kochte für uns heute zur Probe, da wir das Gericht bisher nicht auf der normalen Speisekarte führen.« Alba nahm Platz.

Gerados Augen weiteten sich. »Mein Lieblingsgericht.«

Alba liebte die Nudelvariante der Paella ebenfalls. Als Mädchen hatte sie das oft gegessen, doch seit dem Krieg zählte sie zu den seltenen Köstlichkeiten. Aus diesem Grund wollte Alba sie bei der Zehnjahresfeier anbieten. Pep bereitete eine Variante mit Rindfleisch und eine zweite mit Fisch und Muscheln zur Verkostung.

Lilia trank einen Schluck Wasser. Sie schien geistesabwesend. »Ist alles in Ordnung?« Alba musterte ihre Tochter.

»Sí, todo bien.« Der Tonfall verhieß das Gegenteil davon.

»Ich …« Alba blickte zu Leo. »Wir haben euch heute etwas mitzuteilen.«

Ihr Mann sah Lilia an. »Ich konnte das Grundstück verkaufen. Bald pflanzen wir auf unserem neuen Feld in Sencelles an.«

»Das ist ja großartig.« Ihre Augen leuchteten vor Begeisterung. »Ich helfe dir.«

»Am Wochenende«, wandte Alba ein. »Du hast Schule.«

»Ich werde die Schule dieses Jahr beenden. Und ich möchte ab kommender Woche an einem Schulprojekt teilnehmen. Das Landpraktikum findet in Binissalem statt. Wir lernen alles, was mit Landwirtschaft zu tun hat. Es geht über die Herbstferien.« Lilia schürzte die Lippen. »Davon hältst du mich nicht ab.«

Alba atmete tief durch. Sie kannte den Starrsinn ihrer Tochter. Vielleicht war es eine gute Idee, sie Feldarbeit am eigenen Leib spüren zu lassen. Ein schmerzender Rücken und rissige Hände würden ihre Meinung ändern. »Ich will dich gar nicht davon abhalten. Allerdings bestehe ich darauf, dass du das Abitur machst.«

»Warum? Für den Weinanbau benötige ich keine Reifeprüfung!« Lilia sah hilfesuchend zu ihrem Vater.

»Da muss ich ihr recht geben.« Er fing Albas warnenden Blick auf. »Wobei, zwei Jahre gehen schnell vorbei.«

»Vergeudete Zeit!« Lilia verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich lerne bei dir alles, was ich brauche.«

»Darüber sprechen wir noch.«

Der Kellner servierte die Fideuà. Er stellte die Pfanne auf einen Beistelltisch und legte vor.