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Auszeit in den USA: Vier Monate verbringt Margot Käßmann im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Als Gastprofessorin an der Emory-Universität in Atlanta, Georgia fügt sie sich ein in das bunte Leben auf dem Campus. Von hier aus reist sie nach San Diego, nach Dallas, in die Black Mountains und ins sagenumwobene Nashville, Tennessee, nach Boston und New York. Sie trifft Jimmy Carter, staunt über den Dalai Lama, ist verwundert über die Bigotterie allgegenwärtiger Fernsehprediger. Und immer wieder sind es die engagierten mutigen Frauen, die sie faszinieren.
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MARGOT KÄSSMANN
Margot Käßmann:Zu Gast in Amerika
Cover
Titel
Vorwort
TAGEBUCH
Samstag, 28. August Der Anfang
Sonntag, 29. August Religion im Fernsehen
Montag, 30. August Semesterbeginn
Mittwoch, 1. September Fastenbrechen
Donnerstag, 2. September Das Erbe Martin Luther Kings
Freitag, 3. September Labour Day, Banken und Coca-Cola
Samstag, 4. September Black Mountain
Sonntag, 5. September Casinos und Native Americans
Montag, 6. September Car Talk
Dienstag, 7. September Lake Wobegon
Mittwoch, 8. September Vom Winde verweht
Donnerstag, 9. September Football
Freitag, 10. September Religiöse Toleranz
Samstag, 11. September
Sonntag, 12. September Präsident Obama
Montag, 13. September Busbekanntschaften
Dienstag, 14. September Auch eine Rassenfrage
Mittwoch, 15. September Lunch mit President Carter
Donnerstag, 16. September Halle Dinner
Freitag, 17. September Jom Kippur
Samstag, 18. September Armut
Sonntag, 19. September World of Coca-Cola
Montag, 20. September German Community
Dienstag, 21. September Black Churches
Mittwoch, 22. September Madison
Donnerstag, 23. September Todesstrafe
Freitag, 24. September Schusswaffen
Samstag, 25. September Seminare
Sonntag, 26. September JFK
Montag, 27. September – Samstag, 2. Oktober Frauen und Frieden
Sonntag, 3. Oktober San Diego
Montag, 4. Oktober Feier zum Jahrestag der Deutschen Einheit
Dienstag, 5. Oktober Kudzu
Mittwoch, 6. Oktober Gesundheit
Donnerstag, 7. Oktober Gott und Amerika
Freitag, 8. Oktober Columbia Seminary
Samstag, 9. Oktober Kreditkarten und unregelmäßiges Benehmen
Sonntag, 10. Oktober Carlos Museum
Montag, 11. Oktober Kirche und Geld
Dienstag, 12. Oktober Friedensfragen
Mittwoch, 13. Oktober Wie funktioniert eine Universität?
Donnerstag, 14. Oktober Stone Mountain
Freitag, 15. Oktober North Point Community Church
Samstag, 16. Oktober Bischof Long
Sonntag, 17. Oktober Sunday School
Montag, 18. Oktober Dalai Lama 1
Dienstag, 19. Oktober Dalai Lama 2
Mittwoch, 20. Oktober Kessler-Treffen
Donnerstag, 21. Oktober Charleston und Savannah
Freitag, 22. Oktober Hilton Head
Samstag, 23. Oktober National Day of Doing Good
Sonntag, 24. Oktober Religiosität in den USA
Montag, 25. Oktober Juliana und Amanda
Dienstag, 26. / Mittwoch, 27. Oktober Dallas
Donnerstag, 28. Oktober Aquarium
Freitag, 29./Samstag, 30. Oktober AAR-Treffen
Sonntag, 31. Oktober Reformationsgottesdienst
Sonntag, 31. Oktober Halloween
Montag, 1. November Eddies Attic
Dienstag, 2. November Wahlen
Mittwoch, 3. November Nach den Wahlen
Donnerstag, 4. November Einladung nach Charlotte
Freitag, 5. November Race to Nowhere
Samstag, 6. November Mary Mac’s
Sonntag, 7. November Der Süden
Montag 8. November Mobilität
Dienstag, 9. November Holocaustgedenken
Mittwoch, 10. November Pitts Library
Donnerstag, 11. November Arbeitslosigkeit
Freitag, 12. November Deutsche in den USA
Samstag, 13. November Ernährung
Sonntag, 14. November Ebenezer Baptist Church
Montag, 15. November Fox Theatre
Dienstag, 16. November Zwei Vorträge
Mittwoch, 17. November Thanksgiving und Weihnachten
Donnerstag, 18. / Freitag, 19. November New York
Samstag, 20. November Good Schabboz
Sonntag, 21. November TV-Erfahrungen
Montag, 22. November Schulden
Dienstag, 23. / Mittwoch, 24. November Nashville, Tennessee
Donnerstag, 25. November Thanksgiving
Freitag, 26. November Black Friday
Sonntag, 28. November Redeemer Church
Montag, 29. November Harvard
Dienstag, 30. November Boston
Mittwoch, 1. Dezember Happy Hannukah
Donnerstag, 2. Dezember Namen
Freitag, 3. Dezember Farewell
Samstag, 4. Dezember Abschiedsessen
Sonntag, 5. Dezember Church mit Jan
Montag, 6. Dezember Abflug an Nikolaus
ANHANG
Landkarte
Glossar
Impressum
Margot Käßmann:Zu Gast in Amerika
Alle zehn Jahre schenkt die hannoversche Landeskirche einem Pfarrer oder einer Pfarrerin ein dreimonatiges „Kontaktstudium“, eine Zeit zum Luft holen vom Alltag in der Gemeinde, zum Wiederanknüpfen an die Theologie, zum Lesen und Lernen. In der Regel findet das an der Universität in Göttingen statt, der hannoverschen „Hausfakultät“ sozusagen. Ausnahmen sind aber möglich. Am 20.Oktober 2010 konnte ich mein 25-jähriges Ordinationsjubiläum feiern. In den Genuss eines solchen „Sabbatical“ aber kam ich bisher nicht, immer sprach gerade irgendetwas dagegen: die Kinder, der Beruf…
Einige Tage nach meinem Rücktritt als Landesbischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland rief mich die Dekanin der Candler Faculty of Theology an der Emory University in Atlanta an. Ich kenne Dr.Janice Love seit 1983, als wir beide Delegierte zur Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Vancouver waren. Sie lud mich herzlich ein, das Herbstsemester bei ihr an der Fakultät zu verbringen. Nach kurzem Zögern habe ich angenommen.
Und ich habe es nicht bereut. Kannte ich Emory schon von einer Konferenz 2004 und einer Vortragseinladung 2007, so war dies noch einmal eine ganz andere Erfahrung. Zum einen habe ich als „ältere Dame“ in einem Studentenwohnheim gewohnt. Das gab spannende Begegnungen und überraschende Kontakte zu jungen Leuten. Vor allem bei mir auf dem Flur konnte ich miterleben, wie groß der Erfolgsdruck ist, unter dem sie stehen. Die Familien investieren viel in ihre Ausbildung, verschulden sich oft. Wehe, wenn dann eine Klausur daneben geht.
An der theologischen Candler Fakultät und auch an anderen Fakultäten konnte ich „frei schwebend“ die unterschiedlichsten Seminare und Vorlesungen ganz nach Interesse besuchen, habe selbst Vorträge und Gottesdienste gehalten – eine vielfältige Erfahrung. Zudem habe ich viele Einladungen zu Vorträgen wahrnehmen können, nach San Diego, Dallas, Charlotte, New York und Harvard, und so noch einmal neu Eindrücke von einem Land gesammelt, das ich zum letzten Mal in einem Schuljahr in Connecticut 1974/75 so intensiv wahrnehmen konnte.
chrismon, das evangelische Monatsmagazin, zu dessen Herausgeberkreis ich gehöre, hatte mich gebeten, Tagebuch zu führen, einen Teil davon als knappe Blog-Beiträge „Notizen aus Übersee“ auf evangelisch.de zu veröffentlichen und am Ende meines USA-Aufenthaltes erweitert als Buch herauszugeben. Das habe ich gern getan, zum einen als Erinnerung für mich selbst, zum anderen aber auch für diejenigen, die fragen: „Wie war es in den USA, Frau Käßmann?“
Dabei ist ganz klar: Das sind begrenzte Eindrücke. Kein Mensch kann ein Land wirklich begreifen in dreieinhalb Monaten. Das Tagebuch ist auch keine theologische Abhandlung. Die Inhalte von Seminaren und Vorlesungen treten in den Hintergrund gegenüber subjektiven Wahrnehmungen und persönlich Erlebtem – das ist der Charakter eines Tagebuches. Fast alle namentlich Erwähnten konnte ich vor Veröffentlichung um Zustimmung bitten.
Für mich war die Zeit in Atlanta eine wunderbare Chance der Horizonterweiterung. Und es war auch gut, etwas Abstand zu gewinnen von meinen Ämtern als Landesbischöfin und Ratsvorsitzende. Inzwischen sind meine Nachfolger in beiden Ämtern gewählt, denen ich von Herzen Gottes Segen wünsche. Dank sei an dieser Stelle der hannoverschen Landeskirche ausgesprochen, die durch ihre Regelung eines Kontaktstudiums solche Erfahrungen möglich macht.
Atlanta, im Dezember 2010
Margot Käßmann:Zu Gast in Amerika
Eigentlich wollte ich diese Reise nach aller Hektik von Abschied und Umzug ganz ruhig beginnen. Eine Freundin brachte mich sehr früh zum Flughafen, weil wir nach dem Einchecken noch gemütlich miteinander frühstücken wollten. Aber es gab sofort Stress am Samstagmorgen: Der Zubringerflug von Hannover nach Frankfurt fiel aus – unwetterbedingt. Seufz! Also wurde ich über München und Charlotte nach Atlanta umgeleitet. Das ging schnell und effizient – tolles freundliches Lufthansateam, ein Dank nach Hannover! Etwas ermattet kam ich früh morgens mit drei Stunden Verspätung in Atlanta an. Vor Bezug des kleinen Studenten-Apartments musste erst mal die Küche aufgefüllt werden mit allem, was der Mensch so braucht. Und US-Supermärkte haben rund um die Uhr geöffnet …
Chrismon hat mich gebeten, ein Amerika-Tagebuch zu führen. Ein Teil davon gebe ich als Notizen aus Übersee in einen Blog auf evangelisch.de. Das ist eine gute Idee, finde ich. So habe ich mich entschlossen, jeden Tag zumindest eine kleine Notiz zu machen über etwas, das mir aufgefallen ist, sei es mit Blick auf Religion oder auch einfach der Blick von außen in einem anderen Kontext. Es wurde zu einem kleinen Ritual, morgens nach dem Aufstehen zu notieren, was gestern war. Dabei hatte ich vom Schreibtisch aus einen wunderbaren Blick ins Grüne und konnte zuschauen, wie die Blätter sich langsam bunt färbten und schließlich fielen.
Im Studentenwohnheim bin ich wohl die Älteste. Es ist ein ungewöhnliches Gefühl unter lauter jungen Leuten zu leben, die so alt sind wie meine Kinder. Alle sind ziemlich aufgeregt zu Beginn des Semesters. Die Undergraduates müssen auf dem Campus wohnen, hier im Wohnheim sind also nur Graduates und damit zwanzigjährig und älter. Das Wohnheim ist außergewöhnlich. Erst hatte ich ja etwas Bedenken, aber hier ist alles absolut praktisch bedacht. In jeder Wohneinheit gibt es eine Waschmaschine, Trockner, eine komplett eingerichtete Küche inklusive Geschirrspüler. Die Candler-Fakultät hat hier zwei Wohnungen für Gäste auf Dauer gemietet. Das ist schon ziemlich luxuriös für Studierende, finde ich, wenn ich so an die klitzekleinen Zimmer meiner Studienzeit denke.
Als ich dann das Angebot für eine Campus Nanny las, dachte ich, da würden sich einige das Taschengeld aufbessern. Weit gefehlt: Es dreht sich um „affordable housekeeping and laundry services for the busy lifestyles of college students“! Du lieber Himmel, so groß sind die Zimmer nun auch wieder nicht!
Auffällig ist aus europäischer Sicht und gerade angesichts der Sarrazindebatte in Deutschland, wie vielfältig die Kulturen sind. Jedes Gesicht zeigt andere Züge aus Afrika, Asien, Europa, Lateinamerika. Was wäre da ein typischer Amerikaner? Die Mädchen gehen zum Teil extrem leicht bekleidet, Shorts und Top, das würde bei uns an der Uni wohl kaum jemand tun. Andere geben sich elegant, wieder andere tragen Kopftuch. Was ist da eine typische Amerikanerin? Wer will denn in Deutschland definieren, was und wie ein Deutscher ist oder eine Deutsche? Herr Sarrazin hätte es schwer, hier zu sagen, wer „wir“ sind und wer „die“ …
Das Universitätsgelände ist riesig, eine Stadt in sich. Da der öffentliche Busverkehr so schlecht funktioniert, hat die Universität drei Buslinien eingerichtet, die zentrale Wohngebäude und Universität abfahren. Das macht das Leben einfach.
Das Fernsehen ist voll von Religion, fast jeder Sender bringt etwas in irgendeiner Weise Religiöses. Im Zentrum stehen in der Regel lange, emotionale, fordernde, warnende Predigten. Am meisten irritiert mich Joel Osteen (www.joelosteen.com). Er wirkt smart, hat gegelte Haare und sieht extrem erfolgreich aus. Und er erzählt von einem Farmer, der eine gigantische Ernte einfährt – anders als seine Nachbarn–, weil er gesegnet ist wie Abraham. Der war ja auch reich und erfolgreich, weil er geglaubt hat. „Mit Gott kannst du eine Wüste zum Blühen bringen!“ Du kannst reich werden trotz widriger Umstände. Eine Frau hat in diesen ökonomisch schweren Zeiten mehr Kunden als alle anderen in der Firma – weil sie Gottes Geboten folgt. Deshalb sollten Firmen froh sein, wenn sie Christen als Angestellte haben. „Wenn du glaubst, ist Wachstum möglich, auch wenn die Wirtschaft am Boden liegt.“ „Gott will nicht, dass wir nur überleben, Gott will, dass wir Erfolg haben“, ruft er seiner Gemeinde zu.
Zwischendurch werden Bücher eingeblendet, die bestellt werden können. Und dann erzählt er, wie er seiner Tochter ein neues Handy kaufen will. Am Ende verlässt er den Laden mit drei neuen Handys für Tochter, Sohn und Frau und hat nur eins bezahlt – ein Zeichen von Gottes Segen. Eine Erfolgsmentalität sollen Christen entwickeln. Lepra in der Bibel sei ja auch immer eher eine innere Krankheit gewesen. Wir sollen uns innerlich wandeln, dann werden wir äußerlich erfolgreich…
Das ist eine Theologie, die ich überhaupt nicht nachvollziehen kann! Beim Herumzappen durch die Kanäle ist jede Menge Religion zu finden, unvorstellbar bei uns in Deutschland. Da ist ein Comic-Programm für Kinder. Du kannst „Gods Design for Marriage“ gucken (www.winningwalk.org) mit biblischen Weisungen für gelingende Ehen. Dazwischen gibt es Werbung für silberne Kreuze und Reisen nach Israel. Ein Bischof, dessen Name nur ganz kurz eingeblendet wird, sagt, wie Wunder geschehen („30 years of miracles“). Und in „WHSG-TV“ wird erklärt, dass du dieses Programm nicht verpassen darfst, denn es wird dein Leben verändern. In einem anderen Programm wird für dich gebetet, wenn du anrufst („A miracle for you“). Geld verdienen, mehr haben, das alles ist Teil der Botschaft, die angeblich biblisch ist. Eine Frau tritt mit ihrem Trainer (www.empoweringyourlife.org) auf, sie erklärt, wie der Körper fit bleibt, wenn du an Gott glaubst, und so kannst du abnehmen. Überhaupt ist Übergewicht bei US-Amerikanern ein großes Thema. Ich habe Mühe, das mit dem gekreuzigten Christus zusammenzudenken. Aber ich will nicht zu schnell urteilen. Heute ist erst der zweite Tag, aber deutlich wird schon jetzt: Religion ist auf ganz andere Weise Teil des öffentlichen Lebens…
Semestereröffnungsgottesdienst: Ein Lehrstuhl, „The Hankey Chair“, wird neu besetzt, der Professor eingeführt. Dr. Daniel D. und Lillian Hankey, engagierte Mitglieder der methodistischen Kirche, haben 2,5 Millionen Dollar gespendet und vom Zinsertrag kann nun auf Dauer ein Professor Weltmission lehren. Sponsoring ist ein ganz zentrales Thema, über Geld wird oft und offen gesprochen. Die Dekanin der Fakultät sagt mir, sie brauche dringend 23 Millionen Dollar, um einen asbestverseuchten Teil der Fakultät abzureißen und neu aufzubauen. Sie habe jetzt Kontakt zu einem Milliardär und hoffe, er werde sich engagieren. Die Lehrstühle und Gebäude heißen oft nach Menschen, die sie finanzieren oder finanziert haben.
Die Predigt im Eröffnungsgottesdienst hält E. Brooks Holifield, „Charles Howard Candler Professor of American Church History“. Eigentlich ist es keine Predigt und er sagt das auf humorvolle Weise auch. Er fragt, warum die Amerikaner (angeblich) religiöser seien als die Europäer. Eine These nach der anderen stellt er in den Raum („weil Nation und Religion eins sind“, „weil …“) und verwirft sie („gab es alles in Europa auch“ …). Unter anderem erklärt er, dass 40 Prozent der Amerikaner bei Umfragen sagen, jede Woche in die Kirche, Synagoge, Moschee oder den Tempel zu gehen, in Europa behaupten das fünf bis acht Prozent – allerdings sei die Wahrheit, dass es in Amerika nur 20 Prozent tun! Nun denn, genau darüber werde er in seinem letzten Dienstjahr forschen, ich bin gespannt. Wer immer Antworten habe, er sei interessiert. Das ist sehr anregend, die Studierenden und die Professoren hängen an seinen Lippen. Letztere sind alle in imposanten Roben gekommen – bei 32 Grad! Jede Robe steht in ihrer Farbenfröhlichkeit für die Universität, an der ihre Träger den Abschluss gemacht haben.
Ich erfahre, dass Professoren regelmäßig in kleiner Fakultätsrunde ihre Forschungsergebnisse vorstellen oder einfach nur erzählen, woran sie gerade arbeiten. Das ist anregend, horizonterweiternd und ich werde es nutzen!
… Morgens schaue ich zuerst in die E-Mails, in Deutschland ist es schon mittags. Dann gehe ich joggen, frühstücke und mache mich auf den Weg zur Universität. Ein wenig antizyklisch ist das schon.
Heute Abend gab es ein Treffen muslimischer Studentinnen und Studenten zum Fastenbrechen. Spannend. In den Zeitungen wird heftig debattiert, wie Muslime sich integrieren in der US-Gesellschaft. Hier sind junge Leute, die ihren Glauben praktizieren, aber ganz gewiss Teil des Ganzen sein wollen. Universitätspräsident James W.Wagner ist gekommen, ganz offensichtlich ein Zeichen von Solidarität. Es wird von der letzten Umfrage berichtet und wie schwer es für manche inzwischen sei, sich einer der acht Kategorien für Zugehörigkeit zu einer Ethnizität zuzuordnen. „Kaukasian“ steht übrigens für „weiß“ – der Kaukasus also als europäischer Standard. Dann gibt es neben „Black“ und „Asian“ noch Kategorien von „2–3Mix“. Sehr, sehr merkwürdig. Wer will denn Menschen so einteilen? Und warum?
Am Tisch sitze ich mit zwei jungen Leuten aus Colorado. Der junge Mann aus einem 800-Seelen-Ort ist konvertiert. Seine Frau ist lybischer Herkunft. Sie erzählen, wie schwer es anfangs war, als Muslima auf dem Universitätsgelände zu leben, aber heute würden es alle akzeptieren, dass sie Kopftuch trägt und den Ramadan beachtet. Ich frage, was es bedeutet, wenn im Universitätsprospekt von 30
Eine Debatte in der Universitätszeitung „The Emory Wheel“, die zweimal wöchentlich erscheint: Worin besteht das Erbe von Martin Luther King? Zwei Artikel reflektieren das neben einer Karikatur, die einen Grabstein zeigt – MLK 1929–1968 „Embrace diversity in all humans“ – und eine geballte Faust, die aus dem Grab kommt. Anlass ist eine Rede von Glenn Beck, einem der Führer der „Tea Party-Bewegung“. Es ist eine Organisation besonders konservativer Republikaner, die sich auf die Boston Tea Party von 1773, einem Schlüsselereignis in der Bewegung zur Loslösung der USA von England, beruft. Der in England zu versteuernde Tee wurde vom Schiff in den Hafen geworfen, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit wurden gefordert. Glenn Beck hielt seine Rede am Jahrestag von Kings großer Rede vor dem Lincoln Memorial letztes Wochenende – ein anderes Symbol. Will er sich auf diese Weise mit Martin Luther King vergleichen? Auf jeden Fall hat er von den amerikanischen Werten gesprochen hat, ja davon, wie die „amerikanische Ehre“ wiederhergestellt werden könne. All das mit deutlich rassistischen Untertönen. Beck ist derjenige, der Präsident Obama „deep-seated hatred for white people“, einen tiefen Hass gegenüber Weißen, unterstellt. So ist ein Kommentar: Statt „I have a dream“: „I have a scheme“, statt eines Traumes also fest gefügte Schemata. Wo war die Bürgerrechtsbewegung, warum sind Gegendemonstrationen ausgeblieben, fragen die einen. Wie kann in unserem Land nach so vielen Jahrzehnten so eine Ideologie aufblühen, fragen die anderen. Die Tea Party ist jedenfalls in aller Munde. Sie scheint auch die Republikaner selbst zu spalten, die fürchten müssen, dass Kandidaten der Tea Party, wenn sie antreten, verlieren, weil sie gar zu extrem rechtslastige Positionen vertreten…
Bedrückend finde ich, dass das Martin-Luther-King-Zentrum etwas vernachlässigt wirkt. Zuletzt war ich vor drei Jahren hier, da hat es einen viel lebendigeren, belebteren Eindruck gemacht. Es scheint jetzt eher leer, im kleinen Souvenirshop sind alle Poster ausverkauft. Genau einordnen kann ich das nicht, aber es ist verwunderlich für diese Stadt, für die Martin Luther King doch so eine große Rolle spielt.
Die ersten Tage sind nur so verflogen. Langsam habe ich mir einen Lebensrhythmus angewöhnt, der aber etwas antizyklisch ist. Morgens schaue ich zuerst in die E-Mails, in Deutschland ist es schon mittags und der Posteingang ist voll. Dann gehe ich meist joggen oder in das kleine Sportstudio unten im Wohnheim, frühstücke und mache mich auf den Weg zur Universität. Aber da hier alle früh aufstehen und früh zu Bett gehen, passt es. Manche Restaurants schließen bereits um 20Uhr. Mittagessenseinladungen sind um 11.30Uhr oder 12.00Uhr, zum Abendessen wird meist um 18Uhr geladen.
Kontakte entwickeln sich sehr schnell hier, aber ich bin auch froh, Ruhe zu finden, Zeit zu haben zum Lesen in der Bibliothek oder im Apartment. Und nachmittags, wenn in Deutschland Abend ist, gibt es gute Möglichkeiten, mit den Töchtern, mit Freundinnen und Freunden zu skypen. Manchmal überrascht es mich auch, wer intensiv Kontakt hält, und wer nicht…
PS: Über die griechischen Gruppen wurde ich übrigens inzwischen belehrt! „Greek life“ at Emory: http://collegeprowler.com/emory-university/greek-life/
Nicht, dass ich es wirklich verstanden hätte, aber ich kann die griechischen Buchstaben an den Häusern auf dem Campus besser einordnen…
Ein langes Wochenende. Labour Day. Der Campus wird gegen Mittag leer, Montag fällt alles aus. Ich versuche, zu verstehen, ob das so was wie der 1.