Zufrieden alt werden - Volker Fintelmann - E-Book

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Volker Fintelmann

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Beschreibung

Das Alter ist keine Endstation, sondern steckt trotz aller Beschwernisse voller Möglichkeiten – und somit voller Zukunft. Der Wunsch, ewig jung und körperlich fit zu bleiben, ist verlockend. Doch häufig wird mit ihm der Leistungsdruck früherer Jahre fortgesetzt. Dabei eröffnet sich gerade jetzt die Chance, eine Zeit der Freiheit zu erleben, den Alltag selbst zu gestalten und Fähigkeiten zu entwickeln, die nur im Alter erworben werden können. Dieses Buch macht Mut, den ganz eigenen Weg durch den Herbst des Lebens zu suchen, und vermittelt den Leserinnen und Lesern ein tieferes Verständnis für diese besondere biografische Phase. Ein Buch für Menschen, die sich auch im Alter weiterentwickeln möchten – und für ihre Angehörigen.

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Volker Fintelmann

Zufrieden alt werden

Von der Freiheit, alt sein zu dürfen

Wichtiger Hinweis:

Sämtliche Angaben und Empfehlungen in diesem Buch wurden sorgfältig überprüft und in Übereinstimmung mit dem neuesten Wissensstand erarbeitet. Bei Heilmittel- oder Therapie-Empfehlungen handelt es sich um eine subjektive Auswahl ohne Anspruch auf Vollständigkeit, in der sich die Verordnungspraxis des Autors spiegelt.

Die Nennung von Handelsnamen oder Warenbezeichnungen geschieht im Rahmen der allgemeinen Pressefreiheit ohne Rücksicht auf Erzeugerinteressen; eine Werbeabsicht ist damit keinesfalls verbunden.

Angaben zu Medikamenten und therapeutischen Maßnahmen erfolgen mit der Einschränkung, dass Dosierungs- und Anwendungshinweise durch neue Erkenntnisse in der Forschung, klinische Erfahrungen und das sich verändernde Angebot an Präparaten dem Wandel der Zeit unterworfen sein können. Da auch menschliche Irrtümer und Druckfehler nie ganz auszuschließen sind, wird für Anwendungs- und Dosierungshinweise sowie für die Wirkung der Präparate keine Gewähr übernommen.

Jeder Benutzer wird dringend aufgefordert, die Angaben in diesem Buch anhand der Herstellerinformationen auf dem Beipackzettel auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und die dort gegebenen Empfehlungen für die Dosierung und Kontraindikationen zu beachten. In Zweifelsfällen sollte immer ein Arzt oder ein Angehöriger der Heilberufe aufgesucht werden, insbesondere wenn die Beschwerden über mehrere Tage andauern. Die Angaben in diesem Buch sind weder dazu bestimmt noch geeignet, einen notwendigen Arztbesuch zu ersetzen.

Trotz sorgfältiger Kontrolle übernehmen wir keine Haftung für die Inhalte externer Links. Für den Inhalt der genannten Seiten sind ausschließlich deren Betreiber verantwortlich. Eine Haftung vonseiten des Autors oder des Verlages für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Inhalt

Cover

Titel

Vorwort

Einstimmung

Anthropologie und Anthroposophie

Die Dreiheit

Entwicklung und Rhythmen

Freiheit

Persönliches

Der Lebenslauf

Die 3 x 3 + 1 Jahrsiebte

Die Entwicklung des Leibes (1. bis 3. Jahrsiebt)

Die Entwicklung der Seele (4. bis 6. Jahrsiebt)

Die Entwicklung des Geistes (7. bis 9./10. Jahrsiebt)

Die Jahrzehnte

Der Mondknoten-Rhythmus

Hemmende Kräfte im Lebenslauf

Das Alter

Der Traum von der ewigen Jugend

Wann beginnt das Alter?

Das 42. bis 49. Lebensjahr – Marszeit

Zeit der Einsamkeit

Zweifel und Mut

Verzweiflung

Von der Ich- zur Wir-Erfahrung

Das 49. bis 56. Lebensjahr – Jupiterzeit

Den Jüngeren Raum schaffen

Gelassenheit

Das 56. bis 63. Lebensjahr – Saturnzeit

Geistige Schaffenskraft

Weisheit

Das 63. bis 70. Lebensjahr – eine Oktave

Das Hohe Alter

Ein Geschenk

Für und Wider

Seeleneigenschaften im Hohen Alter

Frieden

Dankbarkeit

Wahrheit

Verständnis

Segnen

Liebe und Gnade

Krankheiten im Alter

Die Koronare Herzkrankheit (Herzsklerose)

Die Parkinson-Krankheit

Alzheimer-Demenz

Zwischengedanken

Osteoporose

Die Krebskrankheit

Krankheiten des Hohen Alters

Vom Sinnesleben im Alter

Die zwölf Sinne

Das Sehen im Alter

Die Weitsichtigkeit

Der Graue Star (Katarakt)

Der Grüne Star (Glaukom)

Makuladegeneration

Netzhautablösung

Das Hören im Alter

Die Schwerhörigkeit 143

Akuter Hörsturz

Ohrensausen (Tinnitus)

Schmecken und Riechen im Alter

Der Geschmackssinn

Der Geruchssinn

Die Leibessinne im Alter

Bewegungssinn und Gleichgewichtssinn

Lebenssinn und Tastsinn

Geistgerichtete Sinne im Alter

Wort- und Gedankensinn

Wärmesinn

Von der Pflege des Sinneslebens im Alter

Das Fernsehen

Üben der Sinnesfunktionen

Altersverwirrtheiten (Alterspsychosen)

Organische Ursachen

Starrsinn

Schwachsinn

Wahnsinn

Blödsinn

Lockerungszustände

Stadien der Lockerungszustände

Zusammenhang mit den Organen

Die Lunge

Die Leber

Die Nieren

Das Herz

Schicksalsmäßige (karmische) Ursachen

Das Doppelgängerphänomen

Altersveränderungen von Skelett und Stützgewebe

Arthrose

Degeneration der Bandscheiben

Hexenschuss (Lumbago)

Prävention

Sterben und Tod

Der plötzliche Tod

Der Alterstod

Der Zeitpunkt des Todes

Drei Krankheiten an der Schwelle zum Tod

Schenkelhalsfraktur

Lungenentzündung (Pneumonie)

Schlaganfall (Apoplexie)

Vom Leben nach dem Tod

Todeserlebnisse

Das nachtodliche Dasein

Beziehung zwischen Lebenden und Verstorbenen

Einige spezielle Themen

Ernährung

Verdauung

Qualität und Quantität

Ernährung im Alter

Die soziale Seite der Ernährung

Pflege von Leib, Seele und Geist

Pflege des Leibes

Ich-Leib

Seelenleib

Lebensleib

Stoff- oder physischer Leib

Pflege der Seele

Sympathie und Antipathie

Denken, Fühlen und Wollen

Pflege des Geistes

Liebe und Sexualität im Alter

»Richtig« alt sein

Danksagung

Anmerkungen

Literatur

Textnachweis

Bildnachweis

Der Autor

Impressum

Vorwort

das bleibend Junge ist der Geist

Alter ist ein Aspekt des Menschseins, der zwar einen Pol des Lebens darstellt im Gegenüber zur Kindheit, aber dennoch das ganze Leben von der Geburt bis zum Tod durchwirkt. Denn von Geburt an altert der Leib, und es sind nur die unfassbaren Kräfte der aus den Lebensvorgängen stammenden Regeneration, die ihn immer neu verjüngen – bis diese Kräfte sich allmählich erschöpfen und dann das Alter den Leib mehr und mehr prägt. Die Seele wird »alt« geboren, sie ist voller Erfahrungen vorausgehender Daseinsformen und – im Verständnis von Reinkarnation oder Wiederverkörperung – früherer Erdenleben. Sie kann, ja sollte sich im Leben jedoch verjüngen, je mehr sie sich im Älterwerden des Leibes dem Geist zuwendet. Denn das bleibend Junge in uns ist unser Geist, der uns zur Individualität macht, die einzigartig in dieser Schöpfung ist und auch ein Andauerndes, das ich auch Ewiges oder mit Aristoteles Entelechie nennen kann. Großartig, dass die moderne Medizin mit der Entdeckung und immer detaillierteren Beschreibung des Immunsystems im Rahmen einer Psycho-Neuro-Immunologie diese Einzigartigkeit jedes Menschen auf leiblich-seelischer Ebene erkannt hat. Leider wiederum zieht sie (noch) nicht die notwendige Konsequenz, ihr praktisches Handeln auf dieses Individuelle auszurichten. In ihrer dominierenden Wissenschaftsausrichtung einer Evidenz-basierten Medizin betrachtet sie den Menschen nur als Kollektiv und schafft einen Normmenschen, den es in der Wirklichkeit nicht gibt.

Gesetzmäßigkeiten des Alterns

Dieses Buch hat das Anliegen, aus meiner Sicht als etwa 60 Jahre lang praktizierender Arzt das Alter mit Blick auf die Individualität zu schildern, seine Gesetzmäßigkeiten anschaulich zu machen, die ich mit Goethe auch einen Typus nennen kann. Dabei soll immer bewusst gehalten werden, dass das Typische modifiziert wird durch das Individuelle. Doch muss der alles bestimmende, die Individualität prägende Geist, unser Ich, dafür die Gesetzmäßigkeiten des Alterns und des eigentlichen biografischen Alters kennen. Das Ich muss sich dieser Gesetzmäßigkeiten bewusst werden, um sie dann schöpferisch so einzusetzen, dass mit ihnen ein Lebensziel erreicht wird, das ich auch die Frucht des diesmaligen Lebens nennen kann. Diese Gesetzmäßigkeiten für Leib und Seele, ihre Handhabung und auch Pflege werden in allem Folgenden dargestellt, immer aus der persönlichen Sicht des Arztes und einer eigenen langen Lebenserfahrung.

lebensbegleitende Fragen

Das hiermit Angesprochene kann deutlich machen, dass die Inhalte des Buchs lebensbegleitend gemeint sind. Man kann nicht früh genug anfangen, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, nicht nur für sich selbst, sondern auch, um den anderen zu verstehen. Das wird treffend von einem spanischen Sprichwort ausgedrückt, dem ich vor mehr als 30 Jahren begegnete, als ich damals eine Alterssprechstunde schrieb: »Wenn du richtig alt werden willst, musst du beizeiten anfangen.«

Hamburg, Frühjahr 2021

Volker Fintelmann

Einstimmung

Ob siebzig oder siebzehn,

im Herzen eines jeden Menschen wohnt

die Sehnsucht nach dem Wunderbaren.

Du bist so jung wie deine Zuversicht,

so alt wie deine Zweifel,

so jung wie deine Hoffnung,

so alt wie deine Verzagtheit.

So lange die Botschaften der

Schönheit, Freude, Kühnheit, Größe,

Macht von der Erde, den Menschen

und dem Unendlichen

dein Herz erreichen –

so lange bist du jung.

Albert Schweitzer

Vor gut 30 Jahren habe ich für den Verlag Urachhaus eine Alterssprechstunde geschrieben. Der damalige Verleger Johannes Mayer und ich gingen davon aus, dass es sinnvoll wäre, zu dem Pol der Kindheit und der überaus erfolgreichen Kindersprechstunde von Michaela Glöckler und Wolfgang Goebel nun auch den anderen Pol des Menschenlebens, das Alter, hinzuzufügen. Diese Alterssprechstunde, die erstmals 1991 erschien, wurde mit Interesse aufgenommen und fand seine Leser, es folgten 1999 und 2005 weitere Auflagen. Heute kann man sie nur noch antiquarisch erwerben. Der Lebensabschnitt des Alters fand kein annähernd vergleichbares Interesse wie derjenige der Kindheit.

Vorstellung »ewiger Jugend«

Hat sich das heute, drei Jahrzehnte später, verändert? Immer mehr dominiert die Vorstellung »ewiger Jugend«, immer deutlicher wird Alter mit Abbau und Degeneration, mit Demenz oder Alzheimer gleichgesetzt. Insofern ist es nur konsequent, wenn die Forscherelite im Silicon Valley als eines ihrer wichtigsten Forschungsziele die Aufhebung des Alters im Menschenleben sieht und entsprechend intensiv und mit Einsatz extremer Geldsummen verfolgt. Es werden die Gene gesucht und identifiziert, die für das Alter verantwortlich gemacht werden, und an ihrer Mutierung oder vollständigen Abschaffung gearbeitet. Das vorläufige Ziel besteht darin, dass Menschen 200 Jahre alt werden, auf längere Sicht sollen es dann 500 sein.1 Das scheint doch ganz im Sinne moderner Anschauungen besonders der westlich orientierten Menschen zu sein, denn wie häufig kann man den Satz lesen oder hören: Die meisten Menschen wollen heute gerne sehr alt werden, doch keiner von ihnen will alt sein.

Anthropologie und Anthroposophie

Weisheit und Lebenserfahrung

Kann diese Paradoxie aufgelöst werden, können wir ein Verständnis entwickeln, warum das Alter eine so negative Bedeutung bekommen hat? Denn das war nicht immer so und ist auch heute in manchen vor allem östlichen Kulturen ganz anders. Das Alter wurde mit Ehrfurcht erlebt und auch verehrt, man verband es mit Weisheit und gesättigter Lebenserfahrung. Und ist es nicht auch paradox, dass in vielen Institutionen, zum Beispiel in der katholischen Kirche, extrem alte Menschen in höchste Ämter berufen oder gewählt werden, dass im Wahlkampf der USA die wichtigsten Kandidaten für das Amt des Präsidenten oft weit über 70 Jahre alt sind?

Verständnis des Menschen selbst

Der erste Denkschritt für das Enträtseln dieser sich widersprechenden Anschauungen über das Alter beruht auf dem Verständnis des Menschen selbst. Die Wissenschaft vom Menschen (Anthropologie), die Teil der alles dominierenden Naturwissenschaften ist, erklärt den Menschen als hochkomplexen Leib, welcher seelische und auch geistige Phänomene produziert, die jedoch keine Eigenständigkeit oder gar eigene Gesetzmäßigkeiten haben. Die ursprüngliche Dreiheit des Menschen (Trichotomie), welche Leib, Seele und Geist umfasste, wurde auf die Einheit Leib geschrumpft. Geist oder Seele existieren demnach nur in Verbindung mit einem Leib oder Körper, sie haben keine unabhängige oder gar den Leib zeitlich überdauernde Existenz. Für eine so reduzierte Wissenschaft des Menschen gibt es weder Geist noch Seele ohne Körper.

Materie als »Schlacke« des Geistes »Abschaffung« der eigenständigen Seele

Diese maximale Reduzierung letztlich auf ausschließlich Materielles ist durch die moderne Physik, vor allem als Quantenphysik, längst widerlegt. Für den Physiker Hans-Peter Dürr zum Beispiel ist Materie nur »Schlacke« des Geistes, dessen Ausdruck für ihn Verbundenheit oder noch umfassender Liebe ist. Der Geist ist das Element in der Welt, das alles zusammenhält, er nennt ihn unteilbar, holistisch, ein Ganzes: »Die Grundlage der Welt ist nicht materiell, sondern geistig.«2 Geistesgeschichtlich ist es eindrücklich, dass diese Reduzierung einer Dreiheit auf die Einheit in zwei Schritten erfolgte: 869 n.Chr. schaffte die römisch-katholische Kirche auf dem Konzil von Konstantinopel mit Mehrheitsbeschluss den eigenständigen Geist quasi ab, ja sie stellte unter Strafe der Häresie oder Ketzerei, von einem solchen zu sprechen oder zu schreiben. Und im 19. Jahrhundert schaffte dann die aufkommende streng (ja letztlich ebenfalls dogmatische) naturwissenschaftliche Medizin die eigenständige Seele ab. Auch hierfür kann eine Jahreszahl genannt werden: 1858 veröffentlichte Rudolf Virchow seine Zellularpathologie. In diesem Buch propagierte er die Autonomie der Zelle als eigentliche Einheit des Körpers – und letztlich auch den Menschen als genetisch gesteuerten komplexen Zellhaufen, in dem eine eigenständige Seele keinen Platz mehr hat. Die etwas später aufkommende Psychoanalyse Freuds und alle parallel entstehenden Psychologien, Psychotherapien und auch die Psychosomatik haben daran bis heute nichts ändern können.

Anthroposophie

Noch im ausklingenden 19. Jahrhundert und vor allem auch im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts vermittelte Rudolf Steiner eine Wissenschaft vom Menschen, die er Anthroposophie nannte und erkenntnistheoretisch als Synthese von naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Erkenntnis des Menschen und der Welt, in die er gestellt ist, begründete.3 In ihr lebt wieder das Wissen um die Trichotomie von Leib, Seele und Geist, ebenso wie umfassende Darstellungen ihres Miteinanders trotz eigenständiger Gesetzmäßigkeiten und alle damit verbundenen Verständnisse, aus der Sicht des Arztes zum Beispiel auch von Gesundheit und Krankheit.

Steiner sprach unmissverständlich aus, dass nur der Leib oder Körper altert: »Und nur des Leibes Schicksal auf Erden ist es, alt zu werden.«4 Die Seele dagegen ist jung und bleibt es, ja sie kann sogar immer jünger werden, wenn sie aus ihrer Gesetzmäßigkeit in gesunder Korrespondenz mit Leib und Geist existieren kann und nicht zum Beispiel zunehmend vom Leib dominiert wird.

Mensch als Werdender

Steiner machte in seinem umfassenden Werk auch auf eine weitere Wirklichkeit immer wieder aufmerksam: die in seiner Zeit aufkommende Idee der Evolution, wie sie sich mit Namen wie Charles Darwin, Ernst Haeckel oder aus christlicher Sicht Teilhard de Chardin verbindet. Auch er selbst beschrieb eine Entwicklungsgeschichte von Mensch und Welt5 und definierte den Menschen als Werdenden, nicht als Seienden. Und er weitete unseren Blick über die Grenzen der Geburt oder Empfängnis und des Todes oder Lebensendes hinaus in eine real zu erfassende Welt der Vorgeburtlichkeit und Nachtodlichkeit, hin zu einer Existenz oder auch eines Lebens zwischen Tod und erneuter Geburt und damit der Gesetzmäßigkeit der Wiederverkörperung oder Reinkarnation. So wird der Mensch Teil der großen Evolution der Schöpfung, die er von ihrem Anfang bis an ihr Ende als Einzelner, als Individualität mitmacht. Denn er – der Mensch – ist Mittelpunkt und Ziel dieser Evolution und kann so nur als ein sich Entwickelnder, Werdender verstanden werden. Eine Grundgesetzmäßigkeit aller so gewollten Evolution ist der Rhythmus oder die Fülle unterschiedlicher Rhythmen.

Veranlagung zur Freiheit

Ein weiteres Phänomen zum Verständnis des Menschen und so auch der Perspektive des Alters ist die Freiheit. Der Mensch wird durch die Schöpferkräfte zur Freiheit veranlagt, doch es ist ein (unvorstellbar) langer Weg bis zu ihrer Realisation. Wir werden sehen, wie sehr der Erwerb der Freiheit mit dem Alter zusammenhängt. Nun ist aber gerade der Aspekt der Freiheit das Tor, durch das Kräfte an den Menschen herandrängen, die eine solche Entwicklung verhindern oder in die Irre führen wollen.

Somit schauen wir auf mehrere Phänomene des Menschseins und -werdens als Voraussetzung, Alter zu verstehen. Wir wollen sie nun noch etwas ausführlicher betrachten, ehe dann in den darauf folgenden Kapiteln der Lebenslauf (die Biografie) und deren Anteil des Alters detaillierter dargestellt werden.

Die Dreiheit

Leib, Seele und Geist

Ohne ein gründliches Verständnis der Dreiheit von Leib, Seele und Geist ist der Mensch und damit auch der Lebensabschnitt des Alters nicht zu erfassen. Die Drei ist Ausdruck einer zentralen Kraft aller Schöpfung. Im Christentum begegnen wir ihr in der Trinität Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Im Menschen erscheinen diese Schöpferkräfte in der Trichotomie von Leib (Vater), Seele (Sohn) und Geist. Sie realisieren sich auch in der Zeit als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Auch das findet sich im Menschen als die Abschnitte von Kindheit und Jugend, vom Erwachsensein und dann vom Alter wieder. Wir können einen ersten Aspekt davon erhaschen, dass Alter sich mit Zukunft verbindet, so wie die Kindheit mit Vergangenheit. Das wird natürlich noch ausführlicher begründet werden.

funktionale Dreigliederung

Eine weitere schöpferische Dreiheit entdeckte Rudolf Steiner nach langer Forschungszeit im menschlichen Leib in den lebendigen Funktionen des Organismus. Er nannte sie funktionale Dreigliederung und beschrieb sie in drei Systemen. Eine Polarität bilden alle Sinnes-Nerven-Prozesse und alle Stoffwechsel-Bewegungs-Vorgänge (Sinnes-Nerven-System und Stoffwechsel- Bewegungs-System). Diese Polarität wird ständig ausgeglichen bzw. im Gleichgewicht gehalten durch rhythmische Prozesse (Rhythmisches oder auch Atmungs-Zirkulations-System). Diese drei Systeme bilden zusätzlich zu ihren funktionellen Tätigkeiten die leibliche Grundlage für alle seelischen Vorgänge, die den Leib zu ihrer Offenbarung brauchen. Wir kennen sie als in sich differenzierte Ganzheiten von Denken, Fühlen und Wollen.6

Denken, Fühlen und WollenAhriman und Luzifer

Ganz behutsam sei auf eine weitere Dreiheit verwiesen, die später noch deutlicher angesprochen werden wird. In ihr bildet der Mensch die ausgleichende Mitte zwischen zwei Geistwesen, die seit langen Zeiten Ahriman und Luzifer genannt werden. Ihnen gab Goethe in Mephistopheles eine gemeinsame Gestalt, die real geschaut eben zwei sind. Das wird auch in dem Namen Mephistopheles deutlich, abgeleitet von mephiz (Hinderer, Verderber) und tophel (Lügner). Goethe hat ihre unterschiedliche Art Mephistopheles auch aussprechen lassen, denn er bezeichnet sich sowohl als Kraft, die das Böse will und doch Gutes schafft, und zugleich als einen Geist, der stets verneint.7 Traditionell werden Ahriman und Luzifer als Ausdruck des Bösen bezeichnet, als Satan und Diabolos. Und im Sündenfall und seinen Folgen sind diese Kräfte der Versuchung, den Menschen von seinem vorgesehenen Weg durch Hindernisse, Täuschungen oder Irrwege abzubringen, imaginativ-bildhaft dargestellt. Es sind jedoch auch Kräfte der Schöpfung und als Widerstände (Widersacher) oder Versucher ganz notwendige Elemente zum Erwerb der Freiheit. In seiner Menschwerdung wird der Gottessohn Christus auch als Erstes den Versuchern gegenübergestellt (Matthäus 4,1–11).

Entwicklung und Rhythmen

Entwicklung hat immer Anfang und Ende, in der Apokalypse des Johannes als Alpha und Omega bezeichnet, erster und letzter Buchstabe des griechischen Alphabets. Entwicklung hat immer ein Ziel, durch Christus »bis zur Vollendung der Erdenzeit« (Matthäus 28,20) genannt, in der Apokalypse Neues Jerusalem.

auf dem Weg zu einem Ziel sein

Entwicklung heißt auch, auf dem Weg zu sein, auf dem Weg zu einem Ziel bzw. zu seinem Ziel, denn davon gibt es viele. Und »Ziel« bedeutet nicht »Ende«, denn jedem Ende steckt der Zauber eines neuen Anfangs inne, wie es Hermann Hesse formulierte.9

Am Menschen ist Entwicklung so einfach mit den Augen abzulesen: Zwei Zellen vereinigen sich durch Mutter und Vater und bilden den Keim, aus dem dann – wenn wir ehrlich sind – die unfassbare Gestalt eines Menschen wird, erst als Kind, als Jugendlicher, junger Erwachsener bis hin zum Greis. Wir können das Gleiche aber auch an einer Eichel erleben: Kann man fassen, wie daraus einst ein großer, knorriger Eichbaum wird? Und diese Bilder ließen sich fast ohne Ende vermehren.

Diesen Kräften der Entwicklung begegnet ein gesund empfindender Mensch mit einer Seelenkraft, die ganz aus der Kindlichkeit seines seelischen Wesens stammt: dem Staunen. Denn alle Entwicklung ist staunenswert. Ihre Grundelemente sind Entstehen (Werden) und Vergehen, aber auch Metamorphose und Steigerung, wie Goethe sie für die Pflanze beschrieb. Beim Menschen gliedert sie sich in leibliche, seelische und geistige Entwicklungen, und wir werden sehen, wie diese sich in unterschiedlichen Zeitabläufen und unterschiedlicher Intensität vollziehen.

Rhythmus als Grundelement aller Entwicklung

Und damit sind wir auch schon beim Rhythmus als weiterem Grundelement aller Entwicklungen. Rhythmus kann beschleunigen, verlangsamen, im Kreis (Kreislauf) oder spiralig führen, kann anschwellen und abklingen, wie wir es am unmittelbarsten aus der Musik kennen. Diese kann ein großartiger Lehrmeister zum Verständnis von Rhythmus sein. Wie unterschiedlich erleben wir den Dreivierteltakt des Walzers oder den Viervierteltakt des Militärmarsches. Wobei »Takt« hier eigentlich ein falscher Begriff ist, denn Takt ist nicht Rhythmus. Takt ist mechanisch, zum Beispiel beim Viertaktmotor eines Autos. Rhythmus ist immer lebendig, zum Beispiel als Atmung. Rhythmus ist immer voller Variationen, und so nennt die moderne Physiologie die gesunde menschliche Atmung auch »respiratorische Arrhythmie«, weil sie eben nie maschineller Takt ist wie beispielsweise bei einer maschinellen »künstlichen« Beatmung auf einer Intensivstation.

den Lebenslauf prägende Rhythmen

Ein großer Rhythmus in der Natur ist der der Jahreszeiten, ein kleiner ist der von Tag und Nacht. Beim Menschen ist die Fülle der Rhythmen fast unüberschaubar, wie die moderne Rhythmusforschung in der Medizin, die Chronomedizin, herausgearbeitet hat. Doch gibt es auch große Rhythmen wie Wachsein und Schlafen, ganz groß Geburt und Tod. Und solche Rhythmen prägen den Lebenslauf, wie die Siebenjahresrhythmen, die Jahrzehnte oder die sogenannten Mondknoten von 18 Jahren, 7 Monaten und 9 Tagen. Diese werden uns durch das nächste Kapitel über den Lebenslauf begleiten, denn sie prägen unser Menschsein in seinen so unterschiedlichen Erscheinungsformen von der Geburt bis zum Tod.

Auch der Kosmos ist rhythmisch geordnet, man denke an die Bahnen der Wandelsterne oder Planeten, die Bewegungen von Erde und Mond im Verhältnis zur Sonne, das Wirken bestimmter geistig-hierarchischer Wesen wie beispielsweise die sieben Erzengel, die sich in der Weltenlenkung rhythmisch abwechseln.10 Jedes Organ, das ja mikrokosmischer Abdruck einer makrokosmischen Kraft ist, hat seinen Rhythmus, die Leber anders als das Gehirn, der Nerv anders als das Blut.

Freiheit

eigentliches Ziel des Menschwerdens

Freiheit ist nicht zu definieren, wahrscheinlich weil wir sie noch gar nicht in ihrer vollen Wirklichkeit kennen oder entwicklungsgeschichtlich kennen können. Freiheit kann deshalb nur als Ziel erlebt werden, und die Anthroposophie Rudolf Steiners beschreibt sie als das eigentliche Ziel des Menschwerdens. Sie spricht geradezu von einer zehnten Hierarchie der Freiheit, die die Menschheit einmal bilden soll, als Ergänzung der neun himmlischen Hierarchien, die wir als einen Leib oder Organismus der Trinität ansehen können.11

Es ist kein Zufall, dass Steiner mit 33 Jahren eines seiner wichtigsten Werke in Buchform veröffentlicht hat, die Philosophie der Freiheit, der er den methodischen Untertitel Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode gab.12 Er hatte den Inhalt durch vorausgehende kleinere Schriften und seine Dissertation vorbereitet.13 Die Anthroposophie kann auch als Freiheitswissenschaft verstanden werden. Freiheit verbindet sich innig mit der Wahrheit. Ein Christuswort lautet so treffend: »Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen« (Johannes 8,32). Sie ist Teil seines Wesens, seine Substanz, ER ist der »Weg, die Wahrheit und das Leben« (Johannes 14,6).

Freiheit muss immer neu erworben werden

Die Freiheit wurde dem Menschen als Gotteskeim in seiner Schöpfung eingepflanzt, sie ist unser kostbarster Same, der immer stärker austreibt und wachsen will, der aber auch gehegt und gepflegt werden und auch geschützt sein will. Welche großartigen Freiheitskämpfer kennt die Menschheit, wie konzentriert war ihr Auftreten im 20. Jahrhundert, verfinstert von Faschismus und Bolschewismus, von zwei Weltkriegen und weltweiter Unterdrückung vieler Menschen. Freiheit hat man nicht, man muss sie sich immer neu erwerben, und einer ihrer schwierigsten Anteile ist, sich selber gegenüber frei zu sein oder zu werden. Ein köstlicher Anteil von ihr ist es auch, sie anderen zu geben oder zu ermöglichen.

Freiheit kann ein hoher Anteil des Alters sein. Ein Kind dagegen kann nie frei sein, es lebt in größter Abhängigkeit von anderen Menschen, Eltern, Erziehern, Geschwistern; es ist auch völlig abhängig von seiner Leibesentwicklung. Wie viel Freiheit kann im Vergleich hiermit das Alter schenken!

Persönliches

Jedes Buch ist Ausdruck des Menschen, der es verfasst. Die Intensität, mit der sich der Verfasser allerdings in die Inhalte einbringt, kann sehr verschieden sein, zum Beispiel bei einer wissenschaftlichen Ausarbeitung, die größte Objektivität anstrebt, im Verhältnis zu einer Autobiografie, die überwiegend subjektiv ist. Das vorliegende Buch über das Alter ist ausgesprochen persönlich oder auch bewusst subjektiv. Der Leser und die Leserin sollen deshalb etwas von der Person wissen, die hier schreibt.

die Lebenserfahrung »spricht mit«

Person birgt personare in seinem Wortstamm, was »durchtönen« heißt. Und so habe ich es auch immer erlebt, wenn ich ein Buch schrieb oder einen Vortrag hielt. Es spricht in den eigenen Sätzen etwas mit, was mehr ist als man selber. Ich möchte dieses Etwas Lebenserfahrung nennen, die geprägt wird und im Alter oft gesättigt ist von den Begegnungen mit anderen Menschen. Wir sind doch gar nicht denkbar ohne die Prägung durch andere Menschen, ganz zentral in Kindheit und Jugend, aber immer fortwirkend bis in das hohe Alter. Am stärksten wurde mir das als Arzt bewusst durch die Menschen, die sich mir anvertrauten und die die Medizin traditionell Patienten nennt. Sie waren meine eigentlichen Lehrer, durch sie habe ich alles gelernt, was mich (hoffentlich!) zu einem guten Arzt werden ließ. Das ist mir bei meinem ersten Buch Intuitive Medizin in jedem Kapitel bewusst geworden, manchmal wusste ich bei einem einzelnen Satz ganz konkret, wer ihn mir gerade »diktierte«.

Liebe zur Schöpfung Mensch

Durch mich »tönt« in allem der Arzt! Ich wusste mit drei Jahren, dass ich diesen Beruf ergreifen wollte, ich hatte die Intention offensichtlich »mitgebracht«. Es ist ein ganz auf den Menschen gerichteter Beruf, und du kannst nicht Arzt sein, ohne den Menschen zu lieben. Mediziner vielleicht, aber nicht Arzt. Und die Liebe gilt nicht zunächst dem einzelnen konkreten Menschen, der mir als Patient begegnet, sondern der Schöpfung Mensch. Sie ist ein einziges Wunder, vielleicht das größte aller Schöpfung. Ihr wollte ich mich verbinden, ja ihr dienen. Das Studium lieferte viel technisches Verständnis, unglaubliches Detailwissen, ca. 25.000 Seiten Lehrbuchwissen musste ich mir aneignen, um das Staatsexamen zu bestehen. Aber vom Menschen lernte ich kaum etwas, ganz vereinzelt von solchen Dozenten, die Vorlesungen anboten, die man nicht nachweisen musste, um das Examen zu machen. Sie wurden »fakultativ« genannt. Beispielsweise im Rahmen der Vorlesung Das Gesicht des Kranken während meiner Zeit an der Universität in Heidelberg führte uns vier Teilnehmer (!) der Dozent an das Krankenbett und lehrte uns wahrzunehmen, was das Gesicht eines Kranken alles erzählen kann, wenn man richtig schaut, bis hin zu einer Diagnose ohne Labor, Röntgen, Endoskopie oder MRT.

Anthroposophie

Auf der Suche nach mehr Verständnis vom Menschen begegnete mir durch einen älteren Bruder die Anthroposophie, und seither habe ich mich ihr ganz verbunden. Sie war es unwissend wahrscheinlich schon viel länger, und sie ist ein weiteres Element, das mich durchtönt. Als ich bei Steiner las, der Arzt brauche Menschenverständnis und Menschenliebe, traf dies auf uneingeschränkte Zustimmung in mir. Diese Zweiheit lebt in der Medizin als Diagnose und Therapie. Diagnose bedeutet, den anderen zu verstehen, wer er ist, wie er geworden ist, und vor allem, wer er werden will. Und es bedeutet, ihn so sein zu lassen, wie er ist, ihm keinen Stempel von Vorurteilen aufzuprägen und doch mit ihm zu entdecken, was er an sich durch die Krankheit, die uns nun verbindet, ändern möchte. Das ist ihm ja oft nicht bewusst, und eine der Künste der Diagnose ist es, dies herauszufinden und bewusst zu machen. Und dann die Wege zu suchen und zu finden, um diesen Entwicklungsschritt zu realisieren. Diese Erkenntnisarbeit quillt aus der Liebe, die das Verständnis ergänzt und zur Therapie wird.

Christliches

Und ein drittes Element erlebe ich mich durchtönen: das Christliche in der Welt. Es fällt mir schwer, hier »Christentum« zu schreiben, weil sich viel zu viel mit diesem Wort verbindet, was durch die Jahrtausende ausgelebt wurde, was mit dem Gründerwesen, dem Christus, nichts gemein hat. Von sehr jugendlichen Jahren an wusste ich, dass ich Christ sein will, doch was mir an Kirche oder Konfession begegnete, korrespondierte nicht mit dem, was in mir klang. So wurde Dostojewskis Erzählung vom Großinquisitor in dem Roman Die Brüder Karamasow eine tiefe Bestätigung meines Empfindens. Ein wirkliches Erkennen und Wissen, was es heißt, Christ sein zu wollen, fand ich erst in der Anthroposophie.

Offenheit

Es sind diese drei Elemente, die mich durchtönen, aus denen ich lebe und als Arzt gearbeitet und gelehrt habe, von denen der Leser und die Leserin wissen sollten: Arzt aus Menschenverständnis und Menschenliebe; Anthroposophie und der Mensch Rudolf Steiner; und die Christuswesenheit, die als Gottessohn Mensch geworden ist und sich uns innig verbunden hält mit all seiner Liebe und seinen vielen Helfern. Ich könnte von Weltanschauung sprechen, wenn dieses Wort nicht oft missbraucht würde, als bedeute es Einengung bis zur Ideologie. So wird die Anthroposophische Medizin von Kritikern oder Gegnern gerne als »weltanschaulich« disqualifiziert, als ob die Naturwissenschaften nicht auch eine spezifische Sicht auf Mensch und Welt vermitteln würden, also Weltanschauung seien. Ich kann von mir sagen, dass ich mich nie einengen ließ auf bestimmte Anteile oder Sichtweisen, sondern für alles mir Begegnende offen blieb, zu lernen und meine Anschauung von Mensch und Welt zu erweitern. Und da kann ich den Bogen wieder zum Alter schlagen. Denn wenn ich gefragt wurde, welche Mittel es denn gäbe, um gesund alt zu werden und zu sein, war und ist meine Antwort: »Bleibe immer neugierig und höre nie auf zu lernen!«

Der Lebenslauf

Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge

und keine Heimat haben in der Zeit.

Und das sind Wünsche: leise Dialoge

täglicher Stunden mit der Ewigkeit.

Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern

die einsamste von allen Stunden steigt,

die, anders lächelnd als die andern Schwestern,

dem Ewigen entgegenschweigt.

Rainer Maria Rilke

empfangen werden

Lebenslauf« ist ein wirklich passender Bildbegriff für die Zeitspanne, in der der Mensch als Geistseele in den physischen Leib-Keim eintritt, den Ei- und Samenzelle von Mutter und Vater gebildet haben, bis hin zu dem Augenblick, in dem er alles Physisch-Leibliche wieder ablegt, den Elementen der Erde zurückgibt. Wir nennen diesen Augenblick den Tod, den vorausgegangenen Empfängnis. Auch ein bildstarkes Wort: Wir werden empfangen. Wer empfängt uns? Wir denken zunächst an die Eltern, die das auch tun und meist voller Dankbarkeit; wir können auch an eine Gemeinschaft von Menschen denken: die erweiterte Familie, Großeltern, vielleicht ältere Geschwister, vielleicht auch die Gemeinschaft einer christlichen Gemeinde, die im Vollzug der Taufe einen nächsten Schritt der Empfängnis vollzieht. Auch die Hebamme und der ärztliche Geburtshelfer sind solche Empfänger oder Empfangende.

Am Anfang eines Lebens steht die Gemeinschaft, am Ende ist man allein, auch wenn vielleicht Menschen am Sterbebett versammelt sind. Der Todesaugenblick und die unmittelbaren Tage danach gehören ganz und gar »mir«, das heißt unserem Ich als Ausdruck unserer Einzigartigkeit oder Individualität. Rudolf Steiner spricht von dem Tod als Augenblick höchster Ich-Erfahrung. Nie im Leben seien wir so bei uns selbst wie in diesem Augenblick.14 Als Arzt habe ich oft erlebt, wie Sterbende, die intensiv von ihren Nahestehenden begleitet wurden, gerade dann den Todesaugenblick wählten, wenn sie – vielleicht auch nur für Minuten allein gelassen – ganz für sich waren, was oft Kummer, ja manchmal auch Unverständnis oder Vorwürfe bei den Zurückgebliebenen auslöste.

»unterwegs sein«

Nun der Lebenslauf! Sind wir nicht wirklich andauernd unterwegs, auf Wegen unterschiedlichster Art, sind wir nicht oft auch eilig unterwegs, wie im Lauf? »Lauf« kann viele Tempi beschreiben, vom geruhsamen bis zum flotten Gehen, dann im engeren Sinne Laufen, schließlich gar Rennen. Tendenziell ist die Richtung immer nach vorne, und Pausen gibt es kaum, es sei denn Erschöpfung oder Ermüdung erzwingen sie. Und plötzlich werden wir aufmerksam, dass der Lebenslauf tatsächlich rhythmisch von einer großen Pause unterbrochen wird, die wir Schlaf nennen.

Viel zu wenig ist dem modernen Menschen bewusst, dass er – wieder annähernd – ein Drittel seines Lebens verschläft und vor allem von dieser Zeit normalerweise nichts weiß, mit Ausnahme vielleicht seiner Träume, die aber meistens rasch vergessen werden. Wir entdecken aber in dem Phänomen »zwei Drittel Wachen und ein Drittel Schlafen« einen ersten Rhythmus, der tatsächlich das ganze Leben durchzieht. Er verändert sich, denn zu Beginn des Lebens schlafen wir viel mehr, als dass wir wach sind. Und im Alter wird die Menge des Schlafs oft deutlich geringer, macht dann vielleicht nur noch ein Viertel aus, manchmal auch noch weniger. Das ist durchaus individuell unterschiedlich.

die Pause als Teil des Rhythmus

Wir entdecken außerdem einen ganz entscheidenden Teil von Rhythmus: die Pause. Und die Pause ist zugleich Wendepunkt, zum Beispiel der Richtung oder der Intensität. Diese Wendepunkte sind beim Wachen und Schlafen das Einschlafen und das Aufwachen.

Abend- und Morgengebet

Der Arzt kann aus seiner Anschauung vermitteln, dass solche Wendepunkte ganz wichtige Momente sind, in denen sich Gesundheit bildet. Wird in sie störend eingegriffen, können schwere Krankheiten folgen. Wir können auf eine Lebenswirklichkeit schauen, die vor nicht allzu langen Zeiten für viele Menschen eine Selbstverständlichkeit war, es heute jedoch selten noch ist: das Abend- und das Morgengebet. Die Menschen hatten noch ein instinktives Wissen, dass diese beiden Momente, in denen man von jeweils einer Welt in eine andere übertritt, eine hohe Bedeutung für ein gesundes Menschsein haben. Shakespeare war solch ein Wissender, er lässt Othello seine Frau Desdemona fragen, ob sie schon zur Nacht gebetet habe, ehe er sie erwürgt.15 Bei allen Rhythmen müssen wir immer intensiv auf die Wendepunkte achten, deren Qualität Ruhe, Stille ist, man kann es auch »Anhalten« nennen.

Jahrsiebte, Jahrzehnte und Mondknoten

Es wurde schon erwähnt, dass der Lebenslauf besonders von drei Grundrhythmen geprägt ist: von Jahrsiebten, Jahrzehnten und den sogenannten Mondknoten. Sie sollen im Einzelnen betrachtet und dargestellt werden. Wir werden dabei auch wieder auf die Drei stoßen, die alles durchwirkt. Wir werden Wiederholung und Steigerung erleben, aber auch das Eingreifen der uns begleitenden Gegenkräfte (Widersacher) durch Verlangsamung oder Beschleunigung, von Steiner auch als Verspätung und Verfrühung bezeichnet.

Im ersten großen Überblick sind es neun Jahrsiebte, die für unsere Zeit, und damit sind viele Jahrhunderte gemeint, als idealtypisch für den Lebenslauf charakterisiert werden können. Zu diesen wird ein zehntes Jahrsiebt gerechnet, das wie eine Oktave in der Musik alles noch einmal in sich zusammenfasst. So währt ein idealtypisches Leben also 70 Jahre, was zu Steiners Lebzeiten noch viel gültiger war, als wir es für die Gegenwart erleben, wo die durchschnittliche Lebenserwartung die 70 längst für beide Geschlechter überschritten hat. Das wird uns zu den Jahrzehnten leiten.

Die 3 x 3 + 1 Jahrsiebte

drei große Lebensabschnitte

Jeweils drei Jahrsiebte umfassen drei große Lebensabschnitte, die Kindheit und Jugend, das Erwachsensein und das Alter: von der Geburt bis zum 21. Lebensjahr, von diesem bis zum 42. Lebensjahr, dann bis zum 63. Lebensjahr. Ein weiteres Jahrsiebt erstreckt sich bis zum 70. Lebensjahr. Was im Lebenslauf darüber hinausführt, habe ich das »Hohe Alter« genannt. Steiner hat für diese Zeit von Gnade gesprochen.

Entwicklung von Leib, Seele und Geist

Die ersten 21 Jahre braucht der Mensch für seine ganz zur Individualität führende Leibesentwicklung. Gleiches gilt für die folgenden 21 Jahre der Seelenentwicklung, und dann folgt im Ansatz die Geistentwicklung. Und alles baut auf das Vorhergehende auf, wie noch beschrieben werden soll. Während ein Anteil unseres Menschseins sich aufsteigend entwickelt, sind vorausgegangene Erreichnisse eventuell schon wieder in ihrer absteigenden, devolutionären Entwicklung. Denn der Mensch ist mit seiner Geburt Leib, Seele und Geist. Sie sind immer gemeinsam da, doch bilden sie in der Zeit Unterschiede ihrer Entwicklung. Bestimmend dabei ist die Individuation.

Impulse der Individuation

Steiners großartiges Bild ist der von den Eltern und auch Voreltern gegebene Leib als ein »Modell«, das in 3 x 7 Jahren zum Individualleib umgestaltet wird. Der Gestalter sind wir selbst, wir als Geistseele, deren Keim das rein geistige Ich ist. Von ihm gehen alle Impulse der Individuation aus, die bis in alle einzelnen Zellen hineinreicht. Diese von Steiner geisteswissenschaftlich erforschte Tatsache ist im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts eindrucksvoll von der naturwissenschaftlichen Forschung bestätigt und als Immunsystem hochdifferenziert beschrieben worden. Das Grundgesetz heißt: »Das Selbst erkennt alles Nichtselbst.« Das Selbst ist unser Ich, alles Fremde wird davon abgegrenzt. Es wird durch die im Immunsystem wirkenden Kräfte entweder eliminiert (ausgeschieden), oder es wird aus Fremdem zu Eigenem gemacht, was zum Beispiel mit der Nahrung geschieht.

Individuation und Immunität

Kein Nahrungsstoff darf in uns der oder das bleiben, was er in der Natur geworden ist oder heute auch im Labor synthetisiert wurde. Man kann hier auch auf die modernen synthetischen Arzneimittel schauen. Diese von mir Aneignung genannte Tätigkeit des Immunsystems nennt die Physiologie Verdauung. Sie ist eine der wichtigsten Funktionen aller Immunität. Und so betrachtet wird das Immunsystem auch am stärksten in der frühen Kindheit und Jugend in Anspruch genommen, wenn sich die Bildung des ganz speziellen, einzigartigen Individualleibs vollzieht.

Dass dies eine – wenn auch staunenswerte – Tatsache ist, hat wieder die medizinische Wissenschaft bewiesen, als sie die Organtransplantation entwickelte. Kein Organ ist leiblich-stofflich mit einem anderen identisch, es gibt nur mehr oder weniger Ähnlichkeiten. Immer muss das transplantierte Organ durch starke immununterdrückende (-suppressive) Medikamente vor dem durchaus aggressiv reagierenden Immunsystem des Empfängers bewahrt werden, welches das ihm fremde Organ »abstoßen« will und diese Intention auch über lange Jahre nicht aufgibt, sodass die Immunsuppressiva lebenslang genommen werden müssen. Eine Ausnahme bilden sehr kleine Kinder, bei denen – allerdings auch in längeren Zeiträumen – eine Assimilation des fremden Organs erfolgen kann. In der Kindheit sind eben – um an den Ausgangsgedanken anzuknüpfen – zunächst alle Organe fremd, stammen von Eltern, und müssen allmählich, das heißt in rund 20 Jahren, zu eigenen verwandelt werden.

physisch-stoffliche Organisation Lebensorganisation Empfindungsleib

Der Leib ist in sich gegliedert in eine physisch-stoffliche Organisation, die auch als Morphe oder morphologisch bezeichnet wird. Sie ist der entscheidende Bereich für die Leibvorstellung der naturwissenschaftlich orientierten Medizin, die auch Schulmedizin genannt wird. Hier kann sie messen, wiegen und zählen, hier lassen sich Befunde erstellen. Dieser physisch-stoffliche Anteil des Leibes wird durchzogen von einer Lebensorganisation, die für alle Funktionen verantwortlich ist und sich im Befinden äußert. Beide bilden von der Geburt bis zum Tod, ja einige Tage über ihn hinaus, eine untrennbare Einheit, sie sind der Leib im engeren Sinne. Doch wirkt eine dritte eigenständige Organisation in beide hinein, die Träger unserer Empfindungen ist und zugleich Verbindungsglied zur Seele. Dieser Anteil des Leibes kann Empfindungs- oder auch Seelenleib genannt werden, wie die ersten beiden Stoff- oder physischer Leib bzw. Lebens- oder Funktionsleib.

Der Empfindungsleib ist extrem feinstofflich, Steiner verglich ihn mit der Dichte von Luft, wir können auch sagen feiner Gase. Er hat wesentlichen Anteil an der Immunität, speziell der spezifischen Abwehr durch feinste Stoffe, die auch Antikörper genannt werden. Er äußert sich seinem Namen entsprechend in der Welt unserer Empfindungen, die wir auch als Instinkte, Triebe, Begierden, Lust und Unlust, Schmerz, Hunger und Durst bezeichnen, und übergeordnet durch unsere leibliche Gestimmtheit. Es ist hier nicht beabsichtigt, eine ausführliche und differenzierte Darstellung des Leibes zu geben, das ist andernorts geschehen und dort nachlesbar.16 Wir brauchen aber die Grundbegriffe, um die Entwicklungsschritte und Metamorphosen der ersten 21 Jahre nachvollziehbar beschreiben zu können. Denn auf ihnen bauen die späteren auf, die schließlich zu der Epoche des Lebenslaufs führen, die wir Alter nennen.

Die Entwicklung des Leibes (1. bis 3. Jahrsiebt)

Ich-geprägte Entwicklung

Diese vollzieht sich also in drei großen Zyklen von jeweils sieben Jahren mit dem Ziel, alles, jede einzelne Zelle, die Organe und alle Gewebestrukturen wie Knochen, Nerven, Muskulatur ganz Ich-geprägt zu entwickeln und schließlich nichts mehr als Leib an sich zu haben, das noch fremd ist, von Eltern oder Vorfahren stammt.

Überwinden alles Fremden

Das beginnt im 1. Jahrsiebt mit der physisch-leiblichen Struktur, die wir Stoffleib nannten, auch Körper im engeren Sinne. Alles von der Genetik der Eltern geprägte Stoffliche muss zu etwas Eigenem, Individuellem werden. Der elterliche Anteil wird entweder abgebaut und ausgeschieden und durch eigene Zellen bzw. Gewebe ersetzt, oder das Elterliche wird umgeschmolzen und in Eigenes verwandelt. Dabei schult sich das Immunsystem, von dem dargestellt wurde, dass das Überwinden alles Fremden eine seiner Hauptaufgaben ist. Hierbei haben – heute muss ich fast sagen hatten – die sogenannten Kinderkrankheiten und besonders die hochfieberhaften eine wichtige Funktion. Das Abstoßen und Umschmelzen war wie ein Verbrennen durch das Fieber, wie eindrucksvoll am Beispiel der Abschuppung der gesamten Haut im Ablauf einer Scharlacherkrankung zu sehen ist. Wie oft erlebten die Eltern an ihrem Kind einen damit verbundenen Entwicklungsschritt oder auch eine starke äußere Veränderung, wie sie Goethe so köstlich in Dichtung und Wahrheit beschreibt, nachdem er die Pocken durchgemacht hatte. Eine Tante, die ihn bis dahin immer so entzückend fand, nennt ihn nun nur noch »garstig«.17 Am Ende der ersten sieben Jahre ist im Idealfall alles ursprüngliche Gewebe als Stoffliches zumindest einmal vollständig ausgetauscht. Und auch der härteste Stoff, den der Leib in den Zähnen bildet, wird dann im sogenannten Zahnwechsel ausgetauscht.

Individualisierung der Lebensorganisation

Im 2. Jahrsiebt wird die ebenfalls von den Eltern und Vorfahren mitgegebene Lebensorganisation individualisiert. Hier ist es weniger Elimination wie beim Stoffleib, sondern Verwandlung. Die ureigene Lebensorganisation, die bereits im Vorgeburtlichen mithilfe hierarchischer Wesen aus dem großen Lebenskosmos herausgesondert wurde, durchdringt nun die elterliche, verbindet sich mit ihr und verwandelt sie zu Eigenem. In dieser Zeit der Schulreife hat jeder Mensch einen Überschuss an Lebenskräften, weil die eigenen und die der Eltern sich potenzieren. Es ist daher auch die Phase mit den größten Gesundheitskräften während des ganzen Lebens.

Etwa in der Mitte dieser Zeit wird ein Teil von den Lebenskräften abgesondert und stellt sich dem Denken zur Verfügung, wird zu Denkkräften. Erst von dieser Zeit an sollte pädagogisch das Lernen mehr und mehr über das Denken erfolgen, der Intellekt erzogen werden. Vorher ist ein mehr spielerisches, bildhaftes Lernen angemessen. Das findet sich in der Waldorfpädagogik wieder.

Die Lebenskräfte sind in sich gegliedert, Rudolf Steiner sprach von sieben Lebensstufen, die das eigentliche Leben ausmachen.18 Die siebte und letzte beschreibt das Reproduktionsleben, die Fähigkeit, selber neues Leben hervorzurufen. Das zeigt sich zum Abschluss des 2. Jahrsiebts in der Geschlechtsreife.

Individualisierung des Empfindungsleibes

Im 3. Jahrsiebt individualisiert sich dann der Empfindungsleib, der zum Seelenträger wird. Und wieder durchdringt die eigene Empfindungsorganisation die elterlich vorgegebene. Dabei geht es weniger »freundschaftlich« zu als bei der Begegnung der beiden Lebensorganisationen. Jetzt kommt es zu oft recht heftigen Auseinandersetzungen. Das wird Pubertät genannt. Der Empfindungsleib birgt ja alles schon Genannte wie Leidenschaften, Begierden, Triebe und Instinkte in sich, Lust und Unlust, auch Hunger und Durst, alle Quellorte, die wir heute Emotionen nennen. Und da ist das »Fremde«, von den Eltern Gegebene, nicht mehr akzeptabel, da will man selbst die Quelle des emotionalen Lebens werden.

Egoismus

Nun bekommt auch der Egoismus eine ganz andere Intensität. Jedes Kind ist egoistisch, muss es auch sein, es sucht ja – durchaus mit Hilfe – seinen Weg ins Leben, will seinen Leib, will entdecken, welchen Lebensplan es in langen vorgeburtlichen Zeitläufen zusammen mit dem begleitenden Engel erarbeitet hat, den es mit der Geburt »vergessen« hat. Vergessen aber nur insoweit, als der Plan vollständig in uns existiert, doch in tiefe Schichten des Bewusstseins hinabgesunken ist, aus denen er nur allmählich und durch Übung wieder bewusst gemacht werden kann.

Die Intensivierung des Egoismus im 3. Jahrsiebt hängt mit der Intendierung aller nun erfolgenden Veränderungen unmittelbar aus dem Ich zusammen. Steiner hat diese Gesetzmäßigkeit der Leibentwicklung so formuliert: Immer das nächsthöhere Wesens- oder Leibesglied übernimmt die Führung und Verantwortung für die Individuation des nächstniedrigeren, die Lebensorganisation die des Stoffleibs, die Empfindungsorganisation (die eben noch nicht Leib ist und aus dem Vorgeburtlichen stammt) die des Lebensleibs (Ätherleibs) und schließlich die Ich-Organisation die des Empfindungsleibs.19

Leibesentwicklung der ersten vier Jahrsiebte

Ich-Leib

Wir werden darauf aufmerksam, dass es noch ein viertes Glied des Leiblichen gibt, ganz im Verborgenen, von Beginn an wirksam, alles überblickend, letztlich auch steuernd. Wir können vom Ich-Leib oder einer Ich-Organisation sprechen, die sich überhaupt nicht mehr stofflich manifestiert, auch nicht feinststofflich wie der Empfindungsleib. Sie ist rein geistiger Natur und wählt sich als ihr Trägerelement, durch das sie ihre Wirkungen in die Leiber vermittelt, ausschließlich die Wärme. Das tiefe Geheimnis unserer Leibeswärme ist hiermit verbunden.

das 28. Lebensjahr

Die Ich-Organisation befreit sich vom Gebundensein an den Leib im 4. Lebensjahrsiebt und wendet sich damit der Seelenentwicklung zu. Und doch ist ein Teil der Ich-Organisation auch der Individuation dieser Wärmeorganisation als Ich-Träger gewidmet, die erst mit dem 28. Lebensjahr ganz abgeschlossen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt wirkt der ganze Kosmos mit seiner Wesensfülle an der Menschenentwicklung mit. Dann gibt er den Menschen frei, er soll ja unabhängig werden. Viele erleben diese Zeit auch als ein Alleingelassenwerden.

Aus all dem lässt sich vielleicht eine weitere Aussage Steiners an gleicher Stelle verstehen: dass erst jetzt der Mensch in die eigene Verantwortlichkeit eintritt.20 In vergangenen Zeiten war das der Zeitpunkt, zu dem man frühestens Parlamentarier werden konnte. Doch ich bin vorausgeeilt. Zur Beschreibung des 3. Jahrsiebts und der Individuation des Empfindungsleibs lässt sich noch hinzufügen, dass diese einen Abschluss in der Mündigkeit findet, die früher mit dem 21. Lebensjahr verbunden wurde. Dass diese heute in Deutschland auf das 18. Lebensjahr vorverlegt wurde, hat mit Kräften der Verfrühung zu tun, die schon erwähnt wurden (siehe Seite 27).

Die Entwicklung der Seele (4. bis 6. Jahrsiebt)

drei Seelenglieder

Auch die menschliche Seele ist eine gegliederte Einheit. So wie wir berechtigt von dem Leib sprechen können, obwohl es drei »Leiber« oder Leibesglieder mit durchaus eigenen Gesetzmäßigkeiten gibt und wir auch ein viertes Glied (Ich-Leib) ansprachen, so ist die Seele eine Einheit von drei Seelengliedern: der Empfindungsseele, der Verstandes- oder Gemütsseele und der Bewusstseinsseele. Sie wurden menschheitlich in großen Zeitepochen ausgebildet, die Empfindungsseele in der ägyptisch-babylonischen Kulturepoche und die Verstandes-oder Gemütsseele in der griechisch-römischen, die bis in das 15. Jahrhundert n.Chr. andauerte. Seither entwickelt die Menschheit das höchste und geistnächste Seelenglied, die Bewusstseinsseele. Ihre Entwicklung dauert bis weit in das 4. Jahrtausend. Wir stehen menschheitlich also noch ziemlich am Anfang ihrer Bildung.

Diese menschheitlich vorgebildeten Seelenglieder bzw. ihre Anlagen werden jedem Menschen von der Empfängnis bzw. Geburt an aus dem Strom seiner Vorfahren mitgegeben. Wir haben alle eine gemeinsame seelische Anlage, allerdings schon familien- oder stammmäßig vorgeprägt, am unmittelbarsten von Eltern und Großeltern. Diese Anlage wird nun vom Einzelmenschen in seinem mittleren Zeitabschnitt des Lebenslaufs individualisiert, im 4. Jahrsiebt die Empfindungsseele, im 5. dann die Verstandes- oder Gemütsseele und im 6., also vom 35. bis zum 42. Lebensjahr, die Bewusstseinsseele.

zeitliche Richtung

Hierfür beschreibt Rudolf Steiner eine Gesetzmäßigkeit und zeitliche Richtung, die überraschen kann. Das gestaltende Individual-Ich wendet sich zeitlich gesprochen zurück und durchläuft das 3. Jahrsiebt vom 21. zum 14. Lebensjahr, um aus dem bereits individualisierten Empfindungsleib die nun auch immer stärker individuelle Empfindungsseele herauszuarbeiten. Gleiches gilt für die Verstandes- oder Gemütsseele vom 14. bis zum 7. Lebensjahr, wo nun der individualisierte Lebensleib die Grundlage bildet für die individuelle Seelengestaltung. Schließlich arbeitet das Ich dann im 6. Lebensjahrsiebt an der Gestaltung der Bewusstseinsseele aus dem Stoff- oder physischen Leib heraus. Um das 42. Lebensjahr steht unser Ich dann erneut an dem Tor der Geburt als Schnittstelle oder auch Anfang der Geistentwicklung, die wir Alter nennen.

Empfindungsseele

Die Empfindungsseele ist voller Spontaneität. Ihr eigentliches Element ist die Bewegung. Alle spontanen Bewegungen stammen aus ihr, auch die Einatmung, durch die sie sich dem Empfindungsleib verbindet. Ein weiteres Empfindungsseelenelement ist Dualität, auch das Entweder-Oder. »Himmelhochjauchzend – zu Tode betrübt« nennt es der Volksmund; »Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust«, lässt Goethe es seinen Doktor Faust sagen,21 wobei das Einschiebsel »ach« so charakteristisch für die Empfindungsseele ist. Zu ihr gehört auch das Seufzen. Ihre Dualität spiegelt sich in den großen Empfindungen von Sympathie und Antipathie, die wir auch Nähe und Distanz nennen können, in Lust und Unlust, Freude und Kummer und vielen Empfindungen mehr, bei denen die eine immer ihr Gegenüber hat und sucht.

Verstandes- oder Gemütsseele

Die Verstandes- oder Gemütsseele zeigt uns eine Besonderheit. Ist sie eine oder zwei, Verstand oder Gemüt? Gelegentlich ersetzte Steiner das Wörtchen »oder« durch ein »und«. Das kann uns auf die Spur führen: Sie ist das Seelenglied des Sowohl-als-Auch. Sie überwindet das Entweder-Oder der Empfindungsseele und verwandelt es zur Wirklichkeit des Miteinanders der Polaritäten oder Gegensätze, eben: Frau und Mann, Nacht und Tag, Oben und Unten usw.

Mit einem Blick in unsere Zeit erleben wir das Problem eines wissenschaftlichen Denkens, das sich ganz auf das Entweder-Oder stützt, obwohl die Wirklichkeit ständig das Sowohl-als-Auch erfahren lässt. Es kann nur Tag oder Nacht sein. Oder? Nein, während es bei uns Tag ist, ist es an anderer Stelle auf der Erde Nacht. Das Entweder-Oder existiert nur für den Raum, das Räumliche, für die Zeit gilt das Sowohl-als-Auch. Beides verbindet sich in einer Dimension, die über Raum und Zeit hinausführt, in der Bewusstseinsseele.

Es ist für das mittlere Seelenglied so wichtig, dass aller Verstand, der auch Träger des Intellekts ist, immer durchdrungen wird von dem Gemüt. Dieses gibt dem Verstand die Wärme, die zum Verstehen wird. Ohne Gemüt wird der Verstand kalt und tendenziell zerstörerisch. Er will dann erobern anstatt zu verstehen. Und auch das Gemüt möchte immer durchdrungen sein vom Verstand, was in dem Gralsgeheimnis bildhaft anschaulich wird, wenn der Mensch durch Mitleid wissend wird.

Mitgefühl

Mitleid oder Mitgefühl sind dann gesund oder auch christlich, wenn sie zur Tätigkeit, zum Handeln im Helfer führen. Das ist einzigartig am Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas 10,25–37) nacherlebbar. Barmherzigkeit ist ein Ausdruck für das Zusammenwirken von Verstandes- und Gemütsseele, und es ist kein Zufall, dass sie mit dem Herzen verbunden ist.

Wieder muss ich einfügen, dass eine ausführliche Darstellung, zum Beispiel auch mit Blick des Arztes auf Gesundheit und Krankheit von Seele und Leib, hier unterbleiben muss, weil es um das Alter und die mit ihm verbundene Entwicklung geht. An anderer Stelle kann der Leser mehr darüber finden.22

Bewusstseinsseele Aufforderung zur Selbsterkenntnis

Es sei noch kurz auf die Bewusstseinsseele geschaut. Gelegentlich sprach Steiner auch von einer Selbstbewusstseinsseele.23 Und darauf kommt es an. Bewusstsein durchzieht die ganze Seele, auch die beiden anderen Seelenglieder. Doch dieses Bewusstsein ist auf die Welt gerichtet, träumend-empfindend in der Empfindungsseele, klar und sachlich auf die Welt außerhalb des Menschen, die ihn umgibt, in der Verstandesseele. In der Bewusstseinsseele richtet sich das Bewusstsein nun auf das eigene Selbst, in ihm liegt die Frage »Wer bin ich?«, die Aufforderung zur Selbsterkenntnis. Ich habe das immer den Schritt vom Ich zum »Ich-Bin« genannt, die Frage nach der Existenz, die zugleich die Frage nach dem Träger des göttlichen ICH-BIN ist, dem Christus. Die Bewusstseinsseele bereitet ein Bewusstsein vor, das uns direkt wieder in die Geisterfahrung führt, wo Geist und Natur, heute Materie genannt, nicht getrennt sind, sondern gemeinsame Schöpfung. Die Bewusstseinsseele wird aus dem rückwärts gerichteten Durchlaufen des Stoffleibs gebildet, das Ich arbeitet sie im Durch- oder Eindringen in die Stoffeswelt des physischen Leibes heraus. Es erlebt vom Innersten das Wesen und die Schöpferwelt der Stoffe und ihre Schönheit. Sind schon die stofflichen Offenbarungen der Natur oft überwältigend, die großartige Welt der Kristalle, die Metalle, der Zauber von Pflanzenblatt und -blüte, die Tiergestalten und ihre Bewegungen – wie viel faszinierender ist der Menschenstoff unseres Körpers: ein rotes Blutkörperchen, ein Knochenbälkchen, ein Leberläppchen, die Aufzählung könnte schier endlos fortgesetzt werden.

Materialismus

Dieses Eindringen und Verweilen in der Stoffeswelt ist der entwicklungsgeschichtliche Ursprung des Materialismus, der als Weltanschauung mit der Bewusstseinsseelenentwicklung zeitlich zusammenfällt. Und hier liegt auch eine starke Gefährdung des Menschwerdens. Es fielen die Worte »überwältigend« und »faszinierend«. Das Ich kann in diesem Erleben stecken bleiben. Dann sieht es die Welt im Sinne des Materialismus. Sein Weg muss jedoch weitergehen, den in dem Stoff schöpferisch gestaltenden Geist zu entdecken, was mit anderen Worten heißt, den Geist als Ursprung alles Stofflichen zu erkennen. Nicht »Ohne Körper gibt es keinen Geist« (siehe Seite 15) muss es heißen, sondern »Ohne Geist gäbe es keinen Körper, keine Materie, nichts Sinnlich-Erscheinendes«.

Geisterkenntnis bei vollem Wachbewusstsein

Die Bewusstseinsseele wird das Ich wieder zur Geisterkenntnis leiten, bei vollem Wachbewusstsein, mit kritischem Verstand, aber auch flammendem Gemüt und starken Empfindungen. Denn die Seele ist Eins, alles wirkt in das Andere, tönt mit dem Anderen, bekommt seine Färbung von ihm.

Die Entwicklung des Geistes (7. bis 9./10. Jahrsiebt)

Geistesglieder erst als Anlage vorhanden

Auch das Geistige gliedert sich im Menschen in ein Geistselbst, einen Lebensgeist und einen Geistesmenschen. Diese drei Glieder sind heute nur veranlagt, und der Mensch kann im 7. bis 9. Jahrsiebt an ihnen vergleichsweise so arbeiten, wie ein Gärtner eine Saat gießt und pflegt, lange ehe sie zu keimen beginnt, ehe das Wachstum und die Ausgestaltung der Pflanze erfolgt und sehr lange bevor sie dann reift und Frucht trägt. Doch würde die Saat nicht gepflegt, würde alles Folgende gar nicht geschehen können. So ist es auch mit den Geistanlagen des Menschen, und ihre Pflege erfolgt idealerweise in der Zeit vom 42. bis zum 63. Lebensjahr.

In dieser Zeit arbeitet das Ich wieder zeitlich rückwärts gerichtet an den Seelengliedern und zugleich an den Leibesgliedern, um diese Geistanlagen zu befruchten und ihre spätere Entwicklung vorzubereiten. Das Ich ist ja selber Geist, in seiner Wesenheit reiner Geist und im eigentlichen Sinne Kern des Menschen. Doch es bereitet sich die Gewänder, mit denen es sich bis zum Erreichen einer Vollkommenheit kleidet. Rudolf Steiner nannte diese 3 x 3 Leibes-, Seelen- und Geistesglieder in seinem zentralen Buch einer geisteswissenschaftlichen Menschenkunde Theosophie Hüllen.24 Wir können von Werkzeugen für den Leib und von Instrumenten für die Seele sprechen, für die Geistglieder fehlt ein sie erhellender Begriff. Interessant, dass das altgriechische Wort organon »Werkzeug« bedeutet und unser Organbegriff davon abgeleitet wurde.

Voraussetzungen für die Geistesglieder

Das Geistselbst hat zu seiner Voraussetzung die Bewusstseinsseele und den Empfindungsleib, der Lebensgeist Verstandes- und Gemütsseele und den Lebensleib, der in fernsten Zeiten entstehende Geistesmensch Empfindungsseele und den Stoff- oder physischen Leib. Hier verzichte ich auf weitere Versuche einer detaillierten Beschreibung, weil diese nicht nur aus dem Denken entstehen darf, sondern Anschauung sein sollte. Doch ist es wichtig, jeden Schritt der Geistesentwicklung in den drei Jahrsiebten zu beschreiben und zugleich den Hintergrund zu kennen, für den diese Schritte getan werden. Das wird dann im nächsten Hauptkapitel, das ganz das Alter in den Blick nimmt, folgen (siehe Seite 49 ff.).

höhere Lebenserwartung

Es sei noch ein Blick auf das 10. Jahrsiebt gerichtet, welches die Reihe der 3 x 3 Jahrsiebte nicht nur abschließt, sondern vollendet. Denn im idealtypischen Sinne einer Rhythmik, die – so wie hier dargestellt – für unsere Entwicklungsepoche laut Rudolf Steiner von etwa 1450 bis 3500 n.Chr. gilt, währt der Lebenslauf des Menschen diese 70 Jahre. Dann ist er »Vollmensch«.

Wir wissen alle, dass Menschen heute oft viel länger leben, schon die durchschnittlichen Lebenserwartungen, etwas unterschiedlich für Frau und Mann, gehen deutlich darüber hinaus. Was dieses »Hohe Alter«, das den eigentlichen Lebenslauf übergreift, in der Entwicklung zu bedeuten hat, wird später noch dargestellt werden (siehe Seite 75 ff.). Dieses letzte Jahrsiebt vom 63. bis zum 70. Lebensjahr ist wie eine große Zusammenfassung der vorausgehenden neun. Alles wird zu Einem, jetzt ist das diesmal gelebte Leben rund und – wenn alles gut gegangen ist, was eher die Ausnahme darstellt – der vorgeburtlich gefasste Lebensplan erfüllt.

Man kann verstehen, dass nach Rudolf Steiners Aussage anschließend eine Gnadenzeit folgt, wobei wir klären müssen, was Gnade eigentlich ist. Dem wird ein eigenes Kapitel gewidmet sein (siehe Seite 93 ff.).

Auf eines können wir noch aufmerksam werden: In diesem letzten Jahrsiebt trifft die Siebenheit auf die Zehn! Und das leitet über zu den Jahrzehnten.

Die Jahrzehnte

Bedeutung der Zehn

Rudolf Steiner hat die Jahrsiebte für die Evolution des Menschen in seinem Lebenslauf ganz besonders betont. Die Sieben ist eine Zahl des Lebens und zugleich der Zeit. Was bedeutet nun die Zehn, ist sie überhaupt von Bedeutung?

Ein runder Geburtstag wird traditionell immer besonders gefeiert, vor allem im höheren Alter. Da spielen Siebenjahreszahlen eigentlich keine Rolle. Manchmal findet auch die Hälfte eines Jahrzehnts Beachtung, zum Beispiel der 65. Geburtstag, der lange Zeit mit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben gleichgestellt wurde, oder der 75. Geburtstag als Maß eines Dreivierteljahrhunderts.

Beim Menschen erleben wir die Zehn ganz offensichtlich an Händen und Füßen, an den Fingern und Zehen, wobei die Zehn in 2 x 5 gegliedert ist. Die Grundmaßeinheit der Länge, des Meters, wird – zum Beispiel beim Zollstock – eingeteilt in Abschnitte von 10 x 10 Zentimetern und jeder von diesen in wieder 10 einzelne Zentimeter. Das Jahr teilt sich dagegen in 12 Monate, und wir kennen auch Längenmaße wie die Meile, die keine Zehn in sich trägt. Ihre eigentliche Wirklichkeit und Bedeutung für den Menschen muss wohl noch entdeckt bzw. erarbeitet werden. Wir können uns jedoch annähern, dass, wo die Sieben eine innere Beziehung zur Zeit hat, die Zehn mehr dem Raum zuzuordnen ist. Raum und Zeit sind gewichtige Komponenten von Mensch und Welt, und so sollte der Zehn, hier den Jahrzehnten, mehr und mehr Verständnis entgegengebracht werden.

Betonung des Raumes gegenüber der Zeit

Unsere Gegenwart betont den Raum, sie hat für die Zeit wenig Verständnis. Das ist besonders in der Medizin zutreffend, die alles am Menschen räumlich wahrnimmt. Ein einzelner Befund als Momentaufnahme ist in diesem Sinne Raum, seine dauernde Veränderung in der Zeit wird nicht oder kaum beachtet. Der Gehalt von körpereigenem Kortison im Blut ist beispielsweise morgens viel höher als am Abend, im ersten Tiefschlaf geht er gegen Null. Wollen wir also den Menschen »räumlich« verstehen, müssen wir lernen, auch auf die Jahrzehnte zu sehen. Wieder ein vertiefendes Bild aus dem Leben des Jesus von Nazareth: 30 Jahre Entwicklung brauchte der Mensch Jesus von Nazareth, um Träger des Christus zu werden, der dann nur ein Zehntel dieser Zeit, drei Jahre, dem Menschen Jesus einwohnen konnte. Dann hatte der Geist, das Ich des Gottessohns den menschlichen Leib aufgezehrt. Wenn wir den Geist als Flamme sehen, hat sie ihn zu Asche verbrannt.

Jahrzehnte als Schwellen

Viele Menschen, auch ich selbst, erleben die Jahrzehnte als regelrechte Schwellen, die bedeuten, dass Altes verlassen wird und Neues beginnt. Dagegen ist der Übergang von Jahrsiebt zu Jahrsiebt fließend, eher Metamorphose des Gewesenen als Neuanfang. Viele meiner Patienten erlebten zum Beispiel das Ende eines Geführtwerdens an der Schwelle eines Jahrzehnts, die Frauen eher bei 30 Jahren, Männer mit 40. Wie oft stellen sich an diesen Schwellen erste tiefe Sinnfragen, wie oft werden damit Krisenzeiten verbunden. Wir können für unsere Epoche auf eine Zeitreihe von 3 x 3 Jahrzehnten zu je 30 Jahren blicken und sie mit den 3 x 3 Jahrsiebten zusammenschauen, ohne das rechnerisch zu denken, denn diese Rechnung ginge natürlich nicht auf. Der vom modernen Materialismus geprägte Mensch orientiert sich im Raum, denn dieser ist das Grundsystem eines weltanschaulichen Materialismus. Eine Maschine ist reiner Raum, sie hat keine zeitliche Struktur, ist hier und jetzt. Und wieder – Maschinen bestimmen, ja beherrschen heute die Medizin.

Leib, Seele und Geist im Rhythmus der Jahrzehnte