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Volker Fintelmann, bis 1997 leitender Arzt eines Hamburger Krankenhauses, plädiert dafür, den Tod als selbstverständlichen Teil des Lebens zu verstehen. Das Sterben wird als Kunstgriff des Lebens geschildert, um immer neues und verjüngtes Leben zu ermöglichen. Dieser Prozess findet ständig in jeder Zelle des menschlichen Organismus statt. Im Seelisch-Geistigen wiederum ermöglicht der Tod höchste Ich-Erfahrung. Für unsere Existenz bis zum Tod und darüber hinaus ist es von größter Bedeutung, bereits im Leben das „Sterben“ zu üben: durch praktische Wahrnehmungsschulung, sowie durch das Verzichten lernen und das Verwandeln liebgewordener Gewohnheiten.
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Seitenzahl: 47
Vom Autor überarbeitete Mitschrift eines Vortrages vom 1. November 2021 im Rudolf Steiner Haus, Hamburg.
Volker Fintelmann Im Leben das Sterben üben (Schlanke Reihe Band 3)
Erste Auflage 2022
© 2022 Info3 Verlagsgesellschaft Brüll & Heisterkamp KG, Frankfurt am Main
Lektorat: Ramon Brüll, Frankfurt am Main Satz: Ulrich Schmid, de·te·pe, Aalen Umschlag: Frank Schubert, Frankfurt am Main Abbildung: Paul Klee „Engel voller Hoffnung“,© Zentrum Paul Klee, BernISBN E-Book 978-3-95779-171-9ISBN gedruckte Version ISBN 978-3-95779-166-5Diesem E-Book liegt die erste Auflage 2022 der gedruckten Ausgabe zugrunde.E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
Volker Fintelmann, bis 1997 leitender Arzt eines Hamburger Krankenhauses, plädiert dafür, den Tod als selbstverständlichen Teil des Lebens zu verstehen. Das Sterben wird als Kunstgriff des Lebens geschildert, um immer neues und verjüngtes Leben zu ermöglichen. Dieser Prozess findet ständig in jeder Zelle des menschlichen Organismus statt. Im Seelisch-Geistigen wiederum ermöglicht der Tod höchste Ich-Erfahrung. Für unsere Existenz bis zum Tod und darüber hinaus ist es von größter Bedeutung, bereits im Leben das „Sterben“ zu erüben: durch praktische Wahrnehmungsschulung, sowie durch das Verzichten lernen und das Verwandeln liebgewordener Gewohnheiten.
Dr. med. Volker Fintelmann, geboren 1935, war nach seinem Studium unter anderem Ärztlicher Direktor am Hamburger Klinikum Rissen und baute dort eine anthroposophisch ergänzte Medizin auf. Über 20 Jahre leitete er die von ihm gegründete Carl Gustav Carus Akademie. Er ist beliebter Vortragsredner und Autor zahlreicher Bücher.
Einleitung
Der Tod als Voraussetzung des Lebens
Die Sinnfrage des Todes
Christus und der Tod
Sterben als Teil des Lebens
Im Leben das Sterben üben
Persönlich-Überpersönliches
Beispielhafte Übungen
Zeitgeschehen
Verwendete Literatur
Seit Beginn der Pandemie mit einem Virus aus der Familie der Coronaviren ist Sterben und Tod zu einem täglichen öffentlichen Thema geworden. Nie zuvor wurden jeden Tag aktuelle Zahlen Verstorbener publiziert, obwohl doch auch bis zu diesem Ereignis der Pandemie gestorben wurde und unabhängig von dieser auch weiterhin gestorben wird. Jeden Tag sterben – statistisch gerechnet – 110 Menschen in Deutschland an der Krebskrankheit, mehr noch an Herz- und Kreislauferkrankungen. Wenn aktuell aufgelistet wird, dass 2021 die Gesamtsterbezahl erstmals in Deutschland die Millionengrenze überschritten habe, sind das rechnerisch 2740 Tote jeden Tag. Was hebt die im Zusammenhang mit (oder an) Covid 19 Verstorbenen so aus den anderen heraus, dass ihre Zahl täglich gemeldet und von Tag zu Tag summiert wird?
Zugleich wurden Sterben und Tod wirkungsvoll in Fernsehbildern aus dem norditalienischen Bergamo und den Krankenhäusern New Yorks so vermittelt, dass sie Bilder des Schreckens zeigten, Bilder einer verlorenen Würde der Menschen, zugleich angsteinflößend. Und immer neu, täglich wurden solche Bilder von Intensivstationen gezeigt, beschworen Politiker ihre Aufgabe, Leben zu schützen und das Sterben zu verhindern. Während – wie gesagt – vor der Pandemie anscheinend gestorben werden durfte, ohne es als gesellschaftlich-solidarische Aufgabe zu definieren, dieses zu verhindern. Bis zur Pandemie durfte in der Bevölkerung „still“ gestorben werden, nun wurde der Tod durch eine besondere Krankheit zum täglichen Thema und seine Verhinderung zu einer gesellschaftlichen Aufgabe, ja allmählich zu einer Art Verpflichtung.
In dieser Form auf das Thema geschaut, könnte einen nachdenklichen Menschen eine gewisse Absurdität beschleichen. Doch können wir diese Zeiterscheinung vielleicht ganz anders verstehen, als eine Frage oder gar Botschaft, uns mit Sterben und Tod erkennend zu beschäftigen, ihren Sinn und Aufgabe im Leben zu suchen und zu verstehen. In einer Epoche, wo einige Menschen mit großen Geldsummen eine Forschung initiiert haben, beides aus dem menschlichen Leben zu eliminieren, dem Menschen Unsterblichkeit zu schenken. In seinem lesenswerten Buch Zukunft-Medizin widmet Thomas Schulz ein Kapitel dem Thema „200 Jahre leben. Wie wir immer älter werden und Silikon-Valley-Utopisten die Unsterblichkeit planen“ (1). Neben dem Schreckenserlebnis wird hier der Tod als Planungsfehler der Schöpfung Mensch gesehen, den es zu korrigieren gilt.
Der junge Schweizer Dichter Albert Steffen (1884–1963) notiert am 9. August 1909 in seinem Tagebuch, 24 Jahre alt und Medizinstudent in Deutschland: „Ein Arzt, der den Tod fürchtet und doch das Sterben anderer ertragen kann, ist undenkbar. Wenn er das Gefühl hätte, dass er selber Tag für Tag abstürbe und wieder auflebte, dass also der Tod etwas ist, was innerlich geschieht und nur geschehen kann dadurch, dass das Leben nachdrängt, so wäre er in der Verfassung, die ein Arzt haben soll“ (2). Welche wirklichkeitsbeschreibende Denkweise: der Tod schafft die Voraussetzung für ein neues, „nachdrängendes“ Leben. Was in der Natur tagtäglich beobachtet werden kann, was durch die Jahreszeiten auch in großen Zyklen offenbar wird, gilt das auch für den Menschen? Ist sein Tod nicht ein einmaliges Ereignis, das sein Leben eins für allemal beendet?
Auch der Mensch trägt als Leib Natur in sich. Im Leib wird jeden Augenblick des Lebens gestorben, neues Leben drängt nach. Das gilt augenfällig für alle Zellen, die Gewebe bilden. Manche leben nur wenige Tage und machen durch ihr Sterben neuen („jungen“) Platz, zum Beispiel weiße Blutkörperchen oder Schleimhautzellen. Andere leben viel länger, auch Jahre, Nervenzellen beispielsweise. Man hat das früher in einer von der Anschauung und Empfindung geprägten Medizin „Zellmauserung“ genannt, heute heißt es Apoptose, was eine abstrahierende Denkweise der Medizin den programmierten Zelltod nennt. Auch unser härtestes Gewebe, der Knochen, baut ständig alternde Knochenzellen ab und neue auf, bis ins hohe Alter. Wir sprechen von Regeneration oder – falls ein Knochen gebrochen war – von Heilung.
In der Lebensorganisation des Leibes, die als Lebensvorgänge („Lebensstufen“) mehrfach gegliedert ist, stehen sich polar zwei Kräftewirkungen gegenüber: Abbau und Aufbau. Rudolf Steiner sprach von das Leben ertötenden und das Leben entfachenden Kräften; erstere sind geprägt von bewusstseinsvermittelnden Sinnes- und Nerventätigkeiten, letztere von tief unbewussten Stoffwechsel- und Bewegungsvorgängen. Diese polaren Kräfte werden durch ein rhythmisch geordnetes Zirkulationsleben in ein dynamisches Gleichgewicht gebracht (3