Zwischen Rentiersuppe und Islandmoos - Marianne Birkmann - E-Book

Zwischen Rentiersuppe und Islandmoos E-Book

Marianne Birkmann

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Beschreibung

Das Schicksal geht manchmal seltsame Wege und es ergeben sich Situationen, mit denen man nicht im Entferntesten rechnet. Nie zuvor hätte Marianne eine Reise nach Norwegen in Erwägung gezogen, sie hatte andere Pläne. Aber dann kam Corona und nichts war mehr so, wie es mal war. Während die Pandemie noch die Welt beherrschte, bekam Marianne das Angebot, an einer Pilgerreise auf dem Olavsweg in Norwegen teilzunehmen. Als geübte Einzelpilgerin war sie sich anfangs nicht sicher, ob sie es sich zumuten sollte, fast zwei Wochen lang Tag und Nacht mit sieben anderen, ihr fremden Menschen zu verbringen. Nach reiflicher Überlegung beschloss sie dann, dieses Abenteuer zu wagen. Es ist das Land der Trolle und wer weiß, vielleicht würde sie unterwegs sogar einem begegnen? Sie erzählt sehr detailliert von völlig neuen Erfahrungen und von dem Wagnis, dieses Abenteuer zu bestehen. Im Nachhinein bezeichnet sie diese Pilgerreise als bisher größtes Abenteuer ihres Lebens. Ein Lesevergnügen, in dem sich Marianne während der Wanderungen auch an Episoden aus ihrer Vergangenheit erinnert. Mehr als 40 Fotos vermitteln einen Eindruck von der traumhaften Landschaft Norwegens.

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Die Autorin

Marianne Birkmann, geboren 1960 in Nordwestmecklenburg, ist mit vier weiteren Geschwistern auf einem Bauernhof im kleinen Dorf Veelböken aufgewachsen.

Von 2002 bis Ende 2018 lebte sie mit ihrem jüngsten Sohn fern der Familie in der Nähe von Stuttgart. Dort war sie im Sekretariat einer Berufsschule tätig.

In ihrer Freizeit hat sie im sogenannten „Ländle“ das Wandern und auch das Bücher Schreiben für sich entdeckt.

Inzwischen ist die Mutter von drei Kindern auch dreifache Oma und wieder zurück in Ostsee- und Familiennähe gezogen. Neben dem Pilgern und Bücherschreiben arbeitet sie nun in einer öffentlichen Verwaltung in Ostholstein.

Von 2013 bis 2017 ist die Autorin bereits den Jakobsweg von ihrer Heimat in Mecklenburg - Vorpommern bis zu ihrem damaligen Wohnort in Baden-Württemberg gegangen.

Einige Monate später hat sie sich dann auf den Weg nach Rom gemacht. Ob sie jemals dort zu Fuß ankommen wird ist noch ungewiss. Während der Coronamaßnahmen war es schwierig, allein in Italien zu wandern. Deshalb hat sie sich einer Wandergruppe zu einer Pilgerreise auf dem Olavsweg in Norwegen angeschlossen.

Ich danke meinen Pilgerfreunden Dieter und Thomas für ihre Mithilfe bei diesem Buch.

Um den Verkaufspreis des Buches so günstig wie möglich zu halten, sind einige der Fotos in schwarz/weiß. Ich wollte sie dem Leser nicht vorenthalten.

Inhalt

Wie ich auf den Olavsweg in Norwegen kam

Anreise

auf der Fähre

Ankunft in Oslo

Zwischenstopp Pilgerherberge Hedmark

Kirchenruine Hedmark

Ankunft in Budsjord Historisk Gard

Die Wanderung beginnt

Budsjord Historisk Gard – Fokstugu Fjellstue

Fokstugu Fjellstue – Hageseter Turisthytte

Hageseter Turisthytte – Kongsvold Fjeldstue

Kongsvold Fjeldstue – Ryphusan Refugium

Ryphusan Refugium – Oppdal Vekve Hyttetun

Oppdal, Gemeindezentrum Menighetshus – Haeverstölen

Haeverstölen – Meslo gard

Heimreise

Meslo gard - (Norwegen) – Fjäras (Schweden)

Fjäras (Schweden) – Bad Malente

Der Tag danach

Nachwort

Wie ich auf den Olavsweg in Norwegen kam

September 2021

Mir scheint, es gibt eine neue Zeitrechnung: Die Zeit vor Corona und die Zeit seit Corona. Wir hoffen innigst, dass es auch bald die Zeit nach Corona geben wird.

Die Geschichte meiner Pilgerreise in Norwegen beginnt während der Zeit vor Corona.

Damals war ich ganz neu in Schleswig-Holstein und habe nach einer Wanderbeteiligung gesucht. Dabei bin ich auf die Pilgergruppe der Evangelischen Kirche in meinem Wohnort Eutin gestoßen.

Auf einer gemeinsamen Wanderung haben mir die Wanderfreunde dann von ihrer Pilgerreise auf dem Olavsweg in Norwegen vorgeschwärmt. Es klang richtig gut, was sie mir da erzählten, alle waren begeistert. Aber ich hatte ein anderes Ziel.

Wer war eigentlich dieser Olav? Warum wurde nach ihm ein Pilgerweg benannt? Ich hatte keinen Bezug dazu.

2018 hatte ich begonnen, den Spuren der „Päpstin“ von Fulda nach Rom zu folgen und war inzwischen bereits zu Fuß in Südtirol angekommen. Bis Rom hatte ich noch einen weiten Weg vor mir.

Meine Hoffnung, hier in dieser kirchlichen Wandergruppe jemanden für mein Vorhaben zu begeistern und eine Begleitung für den Weg nach Rom zu finden, erfüllte sich leider nicht.

Im März 2020 kam Corona und die neue Zeitrechnung begann. Auch im Jahr 2021 war Italien für mich wegen der Coronamaßnahmen noch tabu. Es waren unsichere Zeiten und man wusste nie, was der nächste Tag bringen würde. Ständig wurden die Regelungen geändert, sodass kaum noch jemand wusste, was richtig war.

Außerdem wollte ich in Italien nicht allein wandern. Ich bin noch nie alleine im Ausland gewandert und spreche die Sprache nicht. Dann doch lieber hierbleiben, im eigenen Land.

Als Alternative hatte ich für mich den Ökumenischen Pilgerweg von Ost- nach Westdeutschland ausgesucht. Ich würde ihn im Spätsommer gehen, leider wieder einmal alleine. So war mein Alternativplan.

Im Juli 2021 erreichte mich dann die Nachricht, dass ein Platz für die Pilgerreise auf dem Olavsweg in Norwegen frei geworden ist.

Das war ein verlockendes Angebot. Es wäre eine gute Gelegenheit, die Erfahrung in einer Gruppe zu machen. Ich bin noch nie mehrere Tage am Stück in einer Gruppe gewandert, diese Erfahrung fehlt mir noch und steht auch auf meiner Wunschliste. Wie ich gehört habe, waren die Corona Maßnahmen in den nordischen Ländern nicht so streng, wie bei uns und in den südlichen Ländern.

Sollte ich es wagen und mitgehen? Meine letzte Pilgerreise war zwei Jahre her und ich hatte Bedenken. Ich war überhaupt nicht mehr fit und fürchtete, mit den anderen nicht mithalten zu können.

Die strengen Coronamaßnahmen der vergangenen Zeit haben träge gemacht. Es gab keinen Sport, die Vereine und Fitnessstudios mussten schließen. Auch ich begnügte mich nur hin und wieder mit Spaziergängen. Für längere Wanderungen hatte ich keinen Antrieb mehr. Und nun sollte ich gleich zehn Tage am Stück marschieren?

Allerdings gibt es bei dieser Gruppenreise ein Begleitfahrzeug, um das Gepäck und die Lebensmittel zu transportieren. Wir würden also nur mit Tagesgepäck wandern und notfalls könnte man auch einmal einen Tag pausieren und mit dem Kleinbus zum Tagesziel fahren.

Eigentlich sollte diese Wanderung für mich kein Problem sein, bin ich doch sonst manchmal 30 Kilometer mit 12 Kilo auf dem Rücken marschiert. Dennoch…

Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich mitgehen sollte. Es gab wieder einmal viele „wenn“ und „aber“. Immer diese Konflikte!

Ich entschuldige das immer damit, dass mein Vorname aus zwei Namen besteht: Mari und Anne.

Mari sagt: „Was für ein tolles Angebot, das ist DIE Gelegenheit. Du musst nicht alleine wandern, dich weder um den Weg, noch um die Unterkunft oder sonst etwas kümmern, und einfach nur mitgehen. Nicht einmal den schweren Rucksack musst du schleppen. So eine Gelegenheit kommt vielleicht nie wieder. Außerdem soll Norwegen wunderschön sein“.

Dann sagt Anne: “In der Reisebeschreibung steht geschrieben, dass man in Pilgerunterkünften übernachtet. Das bedeutet, die Nächte mit anderen, mir fremden Menschen verbringen. Das kann ich nicht. Ich habe sowieso Schlafschwierigkeiten und dann mit Fremden in einem Raum!

Außerdem sind die Kosten doppelt so hoch, wie meine geplante Pilgerreise in Italien. In Anbetracht meiner finanziellen Lage in den kommenden Jahren, aufgrund der geplanten Altersteilzeit, wäre es nicht besonders weise so viel Geld auszugeben. Und dann sind da noch die wechselnden Coronamaßnahmen, die uns das Leben noch zusätzlich erschweren.“

Was tun? Ich war hin und hergerissen. Dann habe ich beschlossen, die Entscheidung dem Schicksal zu überlassen. Ich würde noch zwei weitere Tage abwarten. Sollte sich bis dahin niemand gemeldet haben, werde ich mitreisen.

Es hat sich dann auch Tage später niemand gefunden, wie mir eine freundliche E-Mail des Reiseleiters auf meine Anfrage mitteilte.

Jetzt haben wir den 17. Juli 2021 und für mich steht nun fest, dass ich dieses Jahr im August mit einer Gruppe nach Norwegen fahren werde, um dort einige Tage auf dem Olavsweg zu wandern. Ich kann es immer noch nicht so recht glauben.

Das Schicksal geht manchmal seltsame Wege und es ergeben sich Situationen, mit denen man nicht im Entferntesten rechnet. Einen Wanderurlaub in Norwegen zu verbringen war für mich vor wenigen Wochen noch undenkbar.

Nun ist es so. Ich habe mich angemeldet und inzwischen auch die Reise bezahlt. Ein Preisvergleich hat gezeigt, dass solch eine Wanderung im Internet das Doppelte gekostet hätte.

Wir haben uns bei einem Infoabend bereits kennengelernt und alle wichtigen Details zur Reise erfahren. Sogar einen Speiseplan haben wir an jenem Abend gemeinsam gemacht. Wir werden abends selber kochen, die Zutaten dafür müssen vorher hier in Deutschland noch eingekauft werden.

Ich trete die Pilgerreise mit gemischten Gefühlen an. Es wird ganz anders als das, was ich bisher kenne. Ich lebe seit Jahren allein und fürchte, es wird mir sehr schwerfallen, elf Tage pausenlos mit anderen Menschen zusammen zu sein. Und dann die täglichen kirchlichen Rituale morgens und abends…

Ich finde so etwas zwar mal ganz schön, aber jeden Tag!? Hoffentlich wird mich das nicht „nerven“.

Nun bin ich angemeldet und muss da durch. Ich bin gespannt auf das nächste Abenteuer in meinem Leben, falls die Corona Politik es überhaupt zulässt.

Montag, 2. August 2021

In drei Tagen soll unsere Pilgerreise starten, es ist jetzt 20:00 Uhr und bis vor wenigen Minuten war noch nicht ganz sicher, ob die Reise überhaupt stattfinden wird.

Einige von uns können es sich aus beruflichen Gründen nicht erlauben, nach der Rückkehr aus Norwegen in Quarantäne geschickt zu werden, wie es in letzter Zeit oft passiert ist.

Ein Risiko bleibt immer. Ist nicht das ganze Leben ein Risiko und endet immer tödlich? Soeben haben wir Bescheid bekommen, dass wir fahren werden.

Meine heimliche Hoffnung, dass die Reise doch abgesagt wird, hat sich also nicht erfüllt. Jetzt kann ich mich nicht mehr davor „drücken“ und muss da durch. Das nächste Abenteuer steht vor der Tür.

Erklärung zum Olavsweg - Auf den Spuren von König OlavKönig Olav II. Haraldsson ging als Herrscher in die Geschichte ein. Er vereinte Norwegen und bekehrte die Wikinger zum Christentum.

Er starb im Jahr 1030 auf dem Schlachtfeld in der Nähe des kleinen Ortes Stiklestad. Die Schlacht von Stiklestad sollte die letzte bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Christen und Heiden werden.

Obwohl der König auf dem Schlachtfeld fiel, erfüllte sich sein Traum von der Einheit Norwegens.

Nach seinem Ableben wurde Olav heiliggesprochen und wird bis heute in ganz Skandinavien als wichtigster Heiliger verehrt.

Bis zur Reformation im 16. Jahrhundert pilgerten Millionen Menschen auf dem Olavsweg zum Grabmal des Königs im Nidarosdom in Trondheim.

Danach geriet der mittelalterliche Pilgerweg für Jahrhunderte in Vergessenheit.

Erst mit der Wiedereröffnung im Jahr 1997 und der Ernennung zum Europäischen Kulturweg im Jahr 2010 erlebte die mittelalterliche Pilgerroute eine spektakuläre Wiedergeburt.

Mit der Fähre von Kiel nach Oslo

Donnerstag, 05.08.2021

Nun ist es so weit, es geht los. Ich hatte schon seit einer Woche unruhige Nächte. Wie werden die nächsten elf Tage verlaufen?

Werde ich mich in der Gruppe wohl fühlen? Bisher bin ich nur mal einen Tag in einer Gruppe gewandert, das hat mir gefallen, aber elf Tage lang, 24 Stunden am Stück, ohne Freiraum!?

Werde ich mithalten können? Ich bin nicht trainiert und wir haben einige Ruheständler dabei, die hatten Zeit zum Wandern.

Werde ich schlafen können, mit Mehreren in einem Raum? Ich bin es doch gewohnt, meine Nächte allein zu verbringen.

Wir treffen uns um 10:30 Uhr am Bahnhof in Bad Malente, meine Tochter fährt mich hin.

Obwohl ich schon 20 Minuten vor der vereinbarten Zeit dort bin, treffe ich ein Ehepaar in meinem Alter an, das noch einen etwas älteren Herrn mitgebracht hat.

Ich erinnere mich an die Gesichter. Brigitte und Dieter saßen mir auf der Infoveranstaltung gegenüber, Heinz rechts neben mir.

Mehr weiß ich allerdings noch nicht über meine neuen Wanderkameraden. Ihr Auto wird die nächsten Tage am Bahnhof auf ihre Rückkehr warten.

Brigitte kommt mir gleich zur Begrüßung entgegen. Ich finde sie sehr sympathisch, sie wirkt natürlich, authentisch.

Meine Tochter hilft mir noch beim Gepäck ausladen. Sie sieht, dass ihre Mutti in guter Gesellschaft ist, also verabschieden wir uns mit einer Umarmung und ihr grauer Nissan verschwindet hinter der nächsten Kurve.

Nun haben wir Zeit, uns schon einmal kurz vorzustellen. Mir waren ihre Namen wieder entfallen, die während der Veranstaltung vor einigen Wochen genannt wurden.

Ich bin ziemlich nervös und fühle mich etwas unwohl und fremd.

Auch das wird sich im Laufe der Zeit geben.

Die Drei sind bereits im Ruhestand. Brigitte und Dieter sind über 60 und Heinz schon über 70 Jahre. Ich bewundere ihn, dass er noch so fit ist, um mitzugehen. Beide Herren haben einen sorgfältig gestutzten Vollbart und weißes Haar. Das heißt, bei Dieter ist von Haaren nicht viele zu sehen, sie sind ganz kurz geschoren.

Dieter und Brigitte sind nicht besonders groß und Brillenträger.

Heinz schätze ich auf 1,78 Meter. Anscheinend hat er noch gute Augen und benötigt solch ein Hilfsmittel nicht.

Wir bleiben nicht lange uns selbst überlassen.

Wenige Minuten später rollt der weiße Kleinbus mit dem Zeichen der Kirche Stockelsdorf auf den Parkplatz. Die Kirchengemeinde hat uns netterweise das Fahrzeug zur Verfügung gestellt.

Thomas und seine Frau Marianne kenne ich schon von der Wanderung vor Corona. Wir mochten uns sofort. Umso mehr war ich erfreut, dass wir nun mehrere Tage miteinander verbringen werden. Die Beiden sind die Organisatoren dieser Pilgerreise und werden uns führen.

Nun fehlen nur noch zwei unserer Wanderkameraden. Eine der fehlenden Mitreisenden ist Sabine. Auch Sabine kenne ich schon etwas länger. Sie hatte sich damals auf meine Anzeige gemeldet, in der ich eine Wanderbegleitung für den Weg nach Rom gesucht habe.

Sabine hat mir damals mitgeteilt, dass sie mich nicht in Italien begleiten möchte, aber wir waren in der Eutiner Gegend schon zweimal zusammen wandern.

Warum sie sich auf meine Anzeige gemeldet hat, obwohl sie gar kein Interesse an der Wanderung hatte, weiß ich bis heute nicht.

Ich bin froh, dass Sabine auch dabei ist. Wir beide sind die einzigen Singlefrauen in der Gruppe.

Thomas stapelt das Gepäck in den Bus. Dort stehen bereits drei große Plastikkisten mit Lebensmitteln. Auch Bier und Wein haben wir dabei. Damit hatte ich gar nicht gerechnet.

Meine Bedenken, dass meine Gepäckstücke zu groß sind, verflüchtigen sich. Es ist viel Platz in dem Fahrzeug. Ich besitze keine Reisetasche, die uns für diese Tour empfohlen wurde.

Daher habe ich mich für den mittelgroßen Koffer entschieden.

Schließlich ist dies ein, für meine sonstigen Verhältnisse, Luxuswanderurlaub.

Ich muss das Gepäck nicht tragen. Wir haben noch einen Tagesrucksack dabei, in dem sich auch alle Untensilien für die erste Nacht auf der Fähre befinden. Wir sollten auch Essgeschirr für das Frühstück auf der Fähre mitbringen, hieß es.

Das Essen dort ist sehr teuer, deshalb werden wir morgen an Deck frühstücken. Ich habe dafür heute morgen vorsorglich schon eine Thermoskanne mit Tee gekocht.

Wo bleiben die anderen? Diese Untätigkeit macht mich noch nervöser. Ich weiß auch nicht, warum ich immer vor jeder Reise so aufgeregt bin. Man sollte meinen, dass sich das inzwischen gelegt hat, so oft wie ich unterwegs bin.

Wir hatten vereinbart, dass wir uns um 10:30 Uhr treffen.

Pünktlich, zwei Minuten vor der vereinbarten Zeit, trudelt Sabine ein.

Kurz darauf erscheint dann auch ein Fahrzeug, dem ein weißhaariger Herr mit schwarzer Hornbrille entschlüpft. Auch er ist mir von der Infoveranstaltung noch vage in Erinnerung. Ich habe allerdings auch seinen Namen vergessen.

Sabine und er scheinen sich bereits länger zu kennen, wie ich ihrem Begrüßungsgespräch entnehme.

Meine sieben Mitwanderer kennen sich bereits alle von einer ersten Vorbesprechung. Zu dem Zeitpunkt hat noch niemand geahnt, dass ich mitwandern würde.

Ich bin die Ersatzkandidatin für eine Dame, die kurzfristig die Reise absagen musste und fühle mich ein wenig als Außenseiterin. So passiert es mir oft, aber was solls. Ich werden schon klar kommen. Bin es ja gewohnt, mich durchzubeißen.

Jeder findet seinen Platz im Bus und es geht los nach Kiel.

Thomas, unser Reiseleiter, fährt den Kleinbus. Seine Marianne sitzt neben ihm.

Ich bin froh, in der hinteren Reihe neben Sabine Platz gefunden zu haben. Eine vertraute Person, an die ich mich halten kann.

So gut kennen wir uns allerdings auch noch nicht und ich versuche ein Gespräch mit ihr.

Was macht sie eigentlich beruflich? Sie unterrichtet, das hatte sie einmal erzählt. Aber was sie unterrichtet, war mir nicht so richtig klar. Sie erscheint mir etwas mysteriös.

Nun habe ich Zeit, das herauszubekommen. Allerdings muss sie nun ersteinmal etwas korrigieren, wir können später weiter reden, antwortet Sabine auf meineFrage.

Nanu? Denke ich verwundert, arbeitet sie auch jetzt noch, im Urlaub? Oder ist es ein Vorwand und sie hat nur keine Lust auf ein Gespräch mit mir?

Wir sind viel zu früh an der Fähre und haben noch eineinhalb Stunden Zeit bis zum Einlass. Besser zu früh, als zu spät. Man weiß ja nie, was auf der Straße los ist, so sehe ich das auch.

Voller Spannung verlassen wir das Fahrzeug. Sabine steht etwas abseits mit ihrer Zigarette. Das ist sehr rücksichtsvoll, erweckt in mir aber den Anschein, sie möchte das Gespräch von vorhin nicht weiterführen. Also vermeide ich es, sie noch einmal darauf anzusprechen.

Der Parkplatz vor dem Eingang zur Fähre ist noch leer, außer uns stehen nur zwei weitere PKWs hier. Ein riesiges Schiff liegt hier direkt am Kai vor Anker. Ob das wohl unsere Fähre ist?

Unsere Fähre

Ich fühle mich etwas verloren. Untätigkeit ist nicht so mein Ding, schon gar nicht, wenn ich nervös bin. Jetzt ist eine gute Gelegenheit, sich etwas näher kennenzulernen.

Ich verwickle den etwa 1,72 Meter großen, weißhaarigen Herrn in ein Gespräch und erfahre, dass er Tom heißt. Tom ist ein pensionierter Polizist und macht viel Sport. Daher also seine schlanke Figur. Das ist vermutlich auch der Grund, dass man ihm seine 66 Jahre nicht ansieht. Ich hätte ihn mindestens zehn Jahre jünger geschätzt.

Tom ist ganz in schwarz gekleidet. `Wie einer vom Sondereinsatzkommando´, denke ich amüsiert.

Er und Sabine kennen sich wirklich schon seit vielen Jahren, mein Eindruck hat also nicht getäuscht. Er hat wohl damals einen Kurs in Qigong bei Sabine belegt.

Aha, sie gibt also auch Kurse, interessant. Das wäre doch auch etwas für mich.

Bevor ich mit dem Pilgern und Bücher schreiben begonnen habe, war ich auch oft auf irgendwelchen Kursen.

Ich habe einmal gehört, dass der Mensch bis 50 noch in der Selbstfindungs- und Lernphase ist. Ab fünfzig Jahre hat er dann seinen Lebensweg gefunden. Wenn ich so zurückdenke, kann das zutreffen. Ich habe mit 53 Jahren das Pilgern begonnen.

Daraus ist dann auch die Tätigkeit als Autorin entstanden. Aber wer weiß, was sich noch im weiteren Leben ergibt.

Dann komme ich mit Dieter ins Gespräch. Mein Gegenüber erscheint mir sehr quirlig und redselig. Im Laufe unseres Gesprächs entbrennt eine, in diesen Zeiten immer wieder aufkeimende, Diskussion über die Notwendigkeit der Impfung gegen Corona.

Glücklicherweise bin ich nicht die Einzige in der Gruppe, die auf diese Impfung verzichtet.

Immer wieder muss ich in solchen Situationen an den Film „Die Welle“ denken.

Ich stehe dem Wortgefecht mit Dieter etwas hilflos gegenüber.

Habe ich doch in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass diese Diskussionen sinnlos sind.

Ich habe und werde mich nicht diesem Impfzwang ergeben! Am liebsten würde ich gleich wieder umdrehen Dieters Wortschwall prasselt auf mich herab und ich versuche mühselig, neutral zu bleiben. Wir haben Urlaub und niemand von uns möchte Streit. Warum nur hört er nicht damit auf?

Anscheinend will er mich mit seinen Worten von der Richtigkeit dieser Maßnehmen überzeugen.

Na das kann ja heiter werden mit der Reise, wenn das jetzt schon so losgeht. Sabine hat sich diese Spritzen auch nicht geben lassen und auch Marianne gilt als ungeimpft, weil sie ihre letzte Spritze erst vor einigen Tagen bekommen hat.

Das gibt mir etwas Sicherheit, ich bin nicht ganz alleine mit meiner Einstellung. Wäre ich die Einzige in der Gruppe, hätte ich auf diese Reise verzichtet.

Sabine eilt mir selbstbewusst zu Hilfe und beendet das Wortgefecht mit einigen gezielten Worten und der Bitte, um gegenseitigen Respekt und Akzeptanz. Sie findet die richtigen Worte und ich bin ihr unendlich dankbar dafür. Von nun an wird über dieses Thema nicht mehr gesprochen, aber ich habe nun Dieter gegenüber das „Achtungszeichen“ im Kopf.

Das Warten geht weiter und der Anblick der großen Fähre versetzt mich in Erstaunen. Ich fühle mich wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal auf große Reise geht. Inzwischen hat sich auch meine Unruhe gelegt.

Ich vertrete mir die Beine, so gut es geht und marschiere auf dem Parkplatz auf und ab. Natürlich bleibe ich in der Nähe unseres Fahrzeugs.

Brigitte und Dieter haben sich schon wieder hineingesetzt, während Heinz mit Thomas und Marianne plaudert. Tom unterhält sich mit Sabine. Ich mag jetzt nicht mehr reden und halte mich abseits.

Endlich ist es 13:00 Uhr und die ersten Fahrzeuge setzen sich Richtung Fähre in Bewegung. In einer Stunde legt die Fähre ab.

Erwartungsvoll nehmen wir in unserem Bus Platz. Es geht los.

Hurra! Die Reise beginnt.

Marianne sammelt unsere Ausweise ein und wir halten unsere Zettel mit den Ergebnissen der Coronatests bereit.

Zu früh gefreut. Es dauert dann doch noch eine ganze Zeit, bis auch wir das Zeichen bekommen, uns einzureihen.

Unser Bus war einer der ersten Fahrzeuge, die hier waren und nun gehören wir zu den letzten, die ins Innere des schwimmenden Kolosses fahren dürfen. Das Leben ist nicht immer gerecht.

Dafür dürfen wir dann als erste das Schiff wieder verlassen, trösten wir uns. Die letzten werden die ersten sein, so heißt es zumindest.

Eine junge Frau sitzt in einem kleinen Häuschen und Thomas reicht ihr unsere Tickets und Ausweise durch das geöffnete Fahrerfenster. Sie betrachtet die Dokumente halbherzig. Wir schauen dem Treiben gespannt zu.

Gleich wird sie nach einem negativen Coronatestergebnis oder Impfausweis fragen. Natürlich sind wir alle negativ. Niemand von uns hat nachweislich Corona, sonst hätten wir die Reise gar nicht erst angetreten.

Jeder einzelne aus der Gruppe fürchtet sich vor den Konsequenzen. Sollte einer oder eine von uns während der Reise an Corona erkranken, müssten wir alle an dem Ort mehrere Tage in Quarantäne, an dem wir uns gerade befinden. Die Herberge wird sich bedanken, die uns dann zusätzliche 1-2 Wochen aushalten muss. Das ist ein enormer Druck der auf uns allen lastet.

Mir wäre es sehr unangenehm, wenn wegen mir die ganze Gruppe darunter leiden müsste. So ergeht es wohl jedem einzelnen von uns und wie sich herausgestellt hat, schützt auch die Impfung nicht davor, an Corona zu erkranken.

Manchmal ist es besser, nicht so viel über die möglichen „wenns“ nachzudenken.

Erstaunlicherweise verlangt niemand ein Testergebnis oder einem Impfnachweis. Es scheint in der Realität doch nicht so „verbissen“ abzulaufen, wie uns die Medien berichten.

Die junge Frau winkt uns durch. Wir dürfen nun in die Fähre fahren und Marianne gibt uns die Ausweise und Bordkarten wieder zurück.

Brigitte, Dieter, Tom und mir wird eine gemeinsame Kabine zugeteilt. Die anderen vier werden in der Nachbarkabine übernachten.

– Nun denn – das Abenteuer beginnt.

Endlich sind wir in der Fähre. Unser Kleinbus hat seinen Platz für die nächsten 20 Stunden im untersten Teil des schwimmenden Riesen gefunden. Nun dürfen auch wir unsere Plätze suchen. Wir folgen Thomas und Marianne, die sich auf dem riesigen Schiff auskennen.

Werde ich lernen, mich in den nächsten Stunden hier zurecht zu finden? Die vielen Gänge erscheinen mir sehr verwirrend.

Nun erfahren wir auch, warum Marianne uns die Bordkarten gegeben hat. Sie dienen gleichzeitig als Schlüssel für die Kajütentür.

Unser „Schlafgemach“ erweist sich als ziemlich eng. Rechts und links in der Kabine steht jeweils ein Doppelstockbett, der Gang dazwischen dürfte nicht einmal einen Meter betragen.

Am Fußende des linken Bettes befindet sich ein kleines Tischchen mit einem Hocker. Das ist das gesamte Inventar.

Links neben der Eingangstür warten einige Kleiderhaken auf unsere Jacken und gegenüber befindet sich die Tür zum Bad.

Wir quetschen unserere Rucksäcke unter das winzige Tischchen.

Die Männer bieten an, oben zu schlafen. Die Leitern werden am Fußende positioniert, damit sie nicht im Weg herumstehen. Es gibt kein Fenster. Diese Tatsache ist für mich nicht gerade angenehm, schlafe ich doch normalerweise immer bei weit offenem Fenster. Hoffentlich bekomme ich hier keine Platzangst!

Das Bad ist sehr eng, aber es gibt eine Dusche, Klo und ein Waschbecken. Mehr benötigt man nicht. Allerdings ist hier alles sehr hellhörig. Also hoffen wir alle, dass sich unsere Toilettengänge als möglichst geräuscharm erweisen werden.

Thomas hatte sich vorhin von uns mit den Worten verabschiedet, dass wir uns auf dem Achterdeck treffen.

Wir haben unser Gepäck inzwischen verstaut und begeben uns auf die Suche nach unseren Kameraden. Auf unser Klopfen an ihre Zimmertür hat niemand reagiert, also sind sie schon auf dem Weg zum Deck.

Das Schiff ist so riesig und wir sind zunächst ratlos. Geht es zum Achterdeck rechts oder links entlang?

Das Achterdeck ist ein erhöhtes Deck im hinteren Teil des Schiffes. Aber wo ist hier hinten? Noch hat sich unser Transportmittel nicht in Bewegung gesetzt und von hier drinnen ist nicht auszumachen, auf welchem Ende hinten oder vorne ist.

Ich bin froh, dass wir zwei Männer dabei haben. Die haben doch meist einen besseren Orientierungssinn und werden das schon irgendwie finden.

Wir irren zu viert, nicht ohne Bewunderung für das riesige Ungetüm, eine Weile im Schiff umher.

Endlich entdecken wir den Rest der Gruppe. Sie haben oben an Deck Stühle im Kreis aufgestellt und sitzen entspannt in der Sonne.

Unglaublich, wir haben herrlichen Sonnenschein. Ich weiß nicht, wie warm es ist, aber man kann hier gut nur mit T-Shirt bekleidet sitzen.

Auf dem Deck stehen Garten- und Liegestühle bereit. Wir haben nun 20 Stunden Zeit und können es uns gemütlich machen.

In mir macht sich wieder das „watt herbbt wi datt doch gaudd-Gefühl“ breit (was haben wir das doch gut-Gefühl).

Fröhlich und hochmotiviert nehmen wir einige selbstmitgebrachte Speisen und Getränke zu uns. Wir verpflegen uns auch auf dem Schiff größtenteils selbst.

Nur heute Abend werden wir gemeinsam in der Pizzeria essen, ansonsten hat Marianne eine Verpflegungskiste für alle dabei.

Für unser Frühstück werden wir uns hier auf dem Deck ein geschütztes Plätzchen suchen. Tische und Stühle gibt es genug, wie ich fasziniert feststelle.

Dann geht es los, das Schiff legt ab und ich bin glücklich.

Vergessen sind alle Bedenken der vergangenen Wochen.

Es ist herrlich warm in der Sonne. Urlaubsfeeling. Mit einer Klappstulle in der Hand strecke ich dem Fahrtwind meine Nase entgegen. Traumhaft, solch ein Glücksgefühl hatte ich schon lange nicht mehr.

Plötzlich reißt mir eine Möwe im Flug mein Brot aus der Hand.

Tom steht neben mir und das Federvieh hat ihn in seiner Gier beim Anflug ein wenig am Kopf gestreift. Glücklicherwese war es nicht allzu schmerzhaft.

Das alles verlief so schnell, dass es uns erst bewusst wurde, als die unverschämte Diebin eilig mit der Beute entschwunden ist.

Tom und ich müssen lachen, während unsere Kameraden auf ihren Stühlen das Schauspiel gar nicht so schnell registriert haben. Das Leben kann so schön sein.

Es ertönt laute Discomusik, das habe ich schon lange vermisst.

Dann erfolgt auf dem Deck Kinderanimation. Das gefällt mir und ich fühle mich wie bei einem der Auslandsurlaube im Hotel.

Man versucht den Kleinen die Zeit so interessant wie möglich zu gestalten. Gerne würde ich mitmachen, aber meinen Kameraden ist die Musik zu laut. Schade.

Ich möchte nicht allein zurückbleiben, schließlich kenne ich mich hier noch nicht aus und fürchte, meine Kameraden nicht wiederzufinden. Also ziehen wir gemeinsam um, in einen anderen Teil des Schiffes.

Hier begießen wir nun unseren Reisebeginn mit dem Sekt, den unsere Reiseleiter für diesen Zweck mitgebracht haben.

Das Schiff hat inzwischen ziemlich an Fahrt zugenommen. Nun ist es auf dem Deck sehr windig und wir müssen unsere Becher in Sicherheit bringen. Auch die Stühle beginnen sich wie von Geisterhand vorwärts zu bewegen.

Immer wieder begibt sich jemand aus der Gruppe zur Reeling, manchmal allein, manchmal in Gesellschaft. Wir versuchen anhand der Landmassen rechts und links herauszufinden, an welcher Stelle wir gerade sind.

Es ist traumhaft. Das Schiff hat 15 Stockwerke, das habe ich vorhin am Hafen gar nicht gesehen. Ein großer Teil ist vermutlich unter Wasser.

Im Inneren des Ungetüms gibt es mehrere Lokale, eine kleine Einkaufsmeile, einen Lebensmittelladen, in dem man zollfrei einkaufen kann, Shows, ein Casino und ein Schwimmbecken mit Rutsche. Sehr beeindruckend.

Früher habe ich mir manchmal die Serie „Das Traumschiff“ angesehen. Das Schiff hier erinnert mich daran, obwohl wir uns doch auf einer Fähre befinden. Nie im Leben hätte ich so etwas auf einer Fähre vermutet. Bis jetzt dachte ich, diesen Luxus gibt es nur auf Kreuzfahrten.

Allmählich löst sich die Gruppe auf und jeder geht auf Erkundungstour. Ich versuche mir den Weg zur Kajüte einzuprägen, möchte nicht abhängig sein. Um 18:00 Uhr ist Treffpunkt in der Pizzeria, bis dahin ist jeder sich selbst überlassen.

Es ist gerade mal 15:00 Uhr und wir haben noch viel Zeit, die wir irgendwie herumbekommen müssen. Ich habe ein Buch mit, allerdings momentan nicht die innere Ruhe zum Lesen.

Ein Mittagsschläfchen wäre nicht schlecht und ich begebe mich unauffällig zur Kabine. Wie ich dann beim Licht einschalten in unserer Räumlichkeit feststelle, bin ich nicht die Einzige mit der Idee. Dieter liegt schon entspannt in der oberen Etage des rechten Doppelstockbettes.

Hätte ich das gewusst, hätte ich mir sicherlich irgendwo anders ein ruhiges Plätzchen gesucht. Es ist eine seltsame Situation, an die ich mich wohl gewöhnen muss. Nun liege ich im unteren Teil des anderen Doppelstockbettes mit einem mir noch fremden Mann, um etwas Schlaf zu finden. Das gelingt mir leider nicht. Meine innere Unruhe in ungewohnten Situationen plagt mich.

Also verlasse ich eine halbe Stunde später leise das Zimmer und lasse Dieter wieder alleine zurück.

Was mache ich nun mit der vielen Zeit? Unruhig begebe mich wieder an Deck. Mal sehen, was der Rest der Gruppe gerade macht.

Marianne und Thomas sitzen mit geschlossenen Augen auf ihren Stühlen und genießen entspannt die Sonne. Heinz steht in der Nähe und beobachtet die Möwen, während Sabine es sich mit einem Buch gemütlich gemacht hat. Ich beneide sie um ihre innere Ruhe, die mir doch oft fehlt.

Hier ist es auch langweilig und ich setze mich wieder in Bewegung, um durch die Schiffsräume zu schlendern. Ich hatte ja heute auch noch nicht genug Bewegung.

Leider muss man im gesamten Innenbereich eine Maske tragen. Das finde ich nicht so angenehm, daher ist es doch besser, überwiegend draußen zu bleiben.

Inzwischen kenne ich mich einigermaßen aus und begegne auch hin und wieder den einen oder anderen aus unserer Gruppe.

Eine Weile habe ich mit Brigitte das Schiff erkundet, bis unsere Wege sich wieder trennten. Irgendwie müssen wir die Zeit ja herumbekommen. Bis morgen früh ist es noch lang.

Nun schlendern Tom und ich gemeinsam durch das Schiff und schauen uns um. Tom ist sehr sympathisch und wir sind auf „einer Wellenlänge“. Er und seine Frau besitzen sogar Pferde.

Wer Tiere liebt ist doch ein guter Mensch.

Die mit weißen Decken belegten Tische in dem „vornehmen Lokal“ sind noch überwiegend leer. Nur an der Fensterfront haben sich einige Gäste niedergelassen.

Die Aussicht durch die riesigen Heckfenster des Schiffes ist traumhaft. Sie geben den Blick auf das offene Meer frei.

Dieser Anblick erinnert mich an die Verfilmung vom Untergang der Titanic. Im Film sah es in dem Speiseraum für die wohlhabenden Passagiere ähnlich aus, zumindest, als das Schiff noch unversehrt war.

Naja, jedenfalls erinnert es mich daran. Natürlich war das Inventar damals ganz anders. Aber die Tischdecken waren auch weiß und man hat auch auf der Titanic das Meer gesehen, das durch den Bug des riesigen Kolosses kurz geteilt wurde, um dann hier am hinteren Teil wie eine schaumige weiße Masse das Schiff zu begleiten.

Es ist mir immer noch ein Rätsel, wie solch ein riesiges, wahnsinnig schweres Gefährt schwimmen kann. Wenn man bedenkt, was schon allein die Autos und LKWs wiegen, die darin transportiert werden… Rechts und links des Speisesaals befinden sich jeweils zwei Emporen, dort laden ebenfalls vornehm gedeckte Tische zum Verweilen ein. Ich vermute, hier werden die Gäste der ersten Klasse ihr „Mahl“ einnehmen.

Gespannt schauen wir uns die Speisekarte an, die sich direkt neben der Treppe befindet. Leider sind die Preise in Norwegische Kronen ausgeschrieben und wir versuchen es in Euro umzurechnen. Allerdings haben wir hier unter Deck keinen Handyempfang, sodass unser kluger Ratgeber stumm bleibt.

Na dann eben nicht. Wir wollten hier sowieso nichts essen, sind ja schließlich in der Pizzeria verabredet.

Dann erkunden wir den Bereich für das zollfreie Einkaufen und stellen fest, dass die Waren für unsere Verhältnisse ziemlich teuer sind. Für die Norweger ist es vermutlich günstig. Wir jedenfalls behalten unser Geld in den Taschen und begeben uns wieder an die frische Luft. Endlich wieder unmaskiert, frei atmen.

Es ist immer noch herrlicher Sonnenschein und wir schnappen uns zwei Liegen, um auf dem Achterdeck zu entspannen. Das gelingt allerdings nur in begrenztem Maße. Es ist ziemlich windig und der dunkle Rauch, der dem Schornstein unseres Ozeanriesen entfleucht, riecht nicht besonders angenehm.

Und, wie kann es anders sein, er hält genau auf uns zu.

Heimlich werfe ich einen Blick zu dem, mir noch fremdartigen, männlichen Wesen in meiner Nähe. Er scheint den Umstand nicht zu bemerken und ruht ganz friedlich auf seiner Liege.

Nun haben wir die Liegen extra hier hergetragen. Ich kann doch jetzt, nur zehn Minuten später, nicht zu ihm sagen, dass ich es gern an anderer Stelle versuchen würde, rüge ich mich selbst.

Also versuche ich, den unangenehmen Umstand der Abgase zu ignorieren und mit geschlossenen Augen zu entspannen.

Aber es klappt nicht. Vorsichtig frage ich bei Tom an, ob ihn der Qualm nicht stört? Das kann doch auch nicht gesund sein. Die meisten der anderen Passagiere auf dem Deck haben sich andere Stellen ausgesucht, dort ist es sicherlich angenehmer.

Glücklicherweise ist auch Tom meiner Meinung und wir räumen unsere Liegen wieder beiseite. Ziellos schlendern wir über das Deck und entdecken einen Teil unserer Freunde lesend auf einem angenehmeren Ende des Hecks.

Das ist eine gute Idee und ich begebe mich in unsere Kabine, um mein Buch zu holen und es meinen Kameraden gleich zu tun. Dieter hat sein Mittagsschläfchen inzwischen beendet und sitzt auch lesend bei Marianne, Thomas, Sabine und Heinz.

Nun schnappe ich mir wieder eine Liege und geselle mich auch hinzu.

Allerdings kann ich mich nicht auf das Buch konzentrieren, ich bin viel zu aufgeregt.

Also wandere ich weiter im Außenbereich umher, um mich dann an einer anderen geschützten Stelle niederzulassen. Der Fahrtwind ist ziemlich kühl und ich habe mir inzwischen meine Jacke übergezogen, um nun endlich zu entspannen.

Hier schützen durchsichtige Plastikwände rechts und links vor dem Fahrtwind.

Tom kommt kurz vorbei, auch er hat anscheinend die Unruhe und mag sich nicht setzen. Er benötigt noch etwas Bewegung, sagt er.

Tom bietet an, ein Foto von mir zu machen. Na dann los. Und schon ist er mit seiner inneren Uruhe wieder entschwunden und lässt mich mit meiner inneren Unruhe alleine.

Ich dümple nun an meiner wundervoll geschützten Stelle in Erwartung des Abendessens vor mich hin. Das Abendessen scheint bis zur Nachtruhe im Moment die einzige Abwechslung zu sein.

Die Sonne scheint mir ins Gesicht und ich hoffe, dass das Wetter in den kommenden Tagen so bleibt. Immer wieder schlendern fremde Menschen an mir vorbei: Paare, Gruppen, Einzelpersonen.

Insgeheim wünsche ich mir, jemand möge sich für ein Gespräch oder gemeinsame Entspannung zu mir setzen, diese geschützte Stelle gehört schließlich nicht mir allein.

Das geschieht leider nicht,

„Marianne die Unnahbare“ stand auf einer Tasse, die ich einmal geschenkt bekommen habe. Manchmal habe ich das Gefühl, ich strahle das wirklich aus. Also bleibe ich vorerst allein.

Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, dass wir unsere Zeit ab übermorgen ganz anders verbringen und mehrere Tage wandern werden. Das ist dann das genaue Gegenteil vom heutigen Tag. Also noch einmal entspannen und genießen.

Zumindest versuchen.

Das Warten auf das Abendessen erinnert mich an die Kur, die ich einmal gemacht habe. Da war nach den Anwendungen das Essen auch meist die einzige Abwechslung, auf die man schon zeitig gewartet hat.

In Seniorenheimen sind vermutlich fast jeden Tag die Mahlzeiten die einzige Abwechslung. Ohje, das wäre nichts für mich.

Dann ist es endlich so weit und wir treffen uns in der fensterlosen Pizzeria im Innenbereich der Fähre. Wir haben Glück und es ist noch Platz für uns alle.

Zu den Coronamaßnahmen gehört es, dass die Tische genügend Abstand zueinander haben und nur immer zwei Personen an einem Tisch sitzen dürfen.

Da wir acht Personen sind und schon ein Drittel des Gastraumes besetzen, bildet sich nach uns schnell eine Schlange, die auf Einlass wartet.

Sabine ist nicht bei uns und meine fürsorgliche Ader regt sich.

Sollte sie diesen Teil des schwimmenden Kolosses noch nicht gefunden haben?

Marianne beruhigt mich. Sabine wollte die Brücke sehen, unter der die Fähre gerade hindurchfährt. Oh, ist es schon so weit?

Das hätte mich auch interessiert. Aber nun ist es zu spät, wir haben bereits unsere Getränke bestellt.

Jetzt schwimmen wir also auf das offene Meer hinaus und wieder schleicht sich ganz dezent der Untergang der Titanic in meinen Kopf.

´Es ist bereits dunkel und vermutlich hätte ich sowieso nicht viel von der Brücke sehen können,` beruhige ich mein Gehirn, das mir eine Wissenslücke signalisiert.

Wir führen in geselliger Runde eine nette Unterhaltung.

Inzwischen ist auch Sabine erschienen und wir sind vollständig.

Die Pizza ist lecker, da sind wir uns einig. Der Wein und das Bier sind auch ok. Unsere Reisekasse erlaubt uns für den heutigen Abend ein Getränk nach Wahl.

Wir haben vor der Reise einen Pauschalbetrag gezahlt, in dem ist auch der Verzehr in dieser Pizzeria enthalten. Der Rest des Abends geht auf eigene Kosten.

Im Interesse der hungrigen Fahrgäste, die hier auf eine Sitzgelegenheit warten, verzichten wir auf eine Verlängerung der geselligen Runde und verlassen unsere Plätze zeitnah. Nun ist jeder wieder sich selbst überlassen. Schade eigentlich, es war gerade so nett.

Ich hatte vor der Reise im Internet gelesen, dass es hier abends auch ein Showprogramm gibt. Das möchte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen und freue mich schon die ganze Zeit darauf. Ich hatte nachmittags schon ausgekundschaftet, wo die Show stattfindet und begebe mich nun zielsicher dorthin.

Eine lange Schlange mit wartenden Menschen hat sich bereits vor dem Saal gebildet. Hoffentlich bekomme ich noch einen Platz. Es ist noch mehr als eine halbe Stunde Zeit bis zum Beginn und ich schlendere neugierig weiter.

Ein Schild, direkt neben der Eingangstür, erweckt meine Aufmerksamkeit. „Ohne Eintrittskarte kein Zutritt“.

Mist. Hätten wir die vorher bestellen müssen? Und was mochte so ein begehrte Stück Papier kosten?