4 Beine zum Ziel - Günter Dönges - E-Book

4 Beine zum Ziel E-Book

Günter Dönges

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Beschreibung

Exzellent – das ist er im wahrsten Sinne des Wortes: einzigartig, schlagfertig und natürlich auch unangenehm schlagfähig. Wer ihn unterschätzt, hat schon verloren. Sein Regenschirm ist nicht nur sein Markenzeichen, sondern auch die beste Waffe der Welt. Seinem Charisma, Witz und Charme kann keiner widerstehen. Der exzellente Butler Parker ist seinen Gegnern, den übelsten Ganoven, auch geistig meilenweit überlegen. In seiner auffallend unscheinbaren Tarnung löst er jeden Fall. Bravourös, brillant, effektiv – spannendere und zugleich humorvollere Krimis gibt es nicht! Der späte Besucher kannte sich in dem sechsstöckigen Apartmenthaus sehr gut aus. Er gelangte ungesehen durch den Korridor und fuhr mit dem Lift zum vierten Stock hoch. Hier stieg er aus und schritt den Gang hinunter, bis er eine bestimmte Tür erreichte. Er schob den Kopf lauschend vor, und ein Ausdruck des Verachtens huschte über sein Gesicht, als er lautes Stimmengewirr hörte. Hinter der Tür stritten eine Frau und ein Mann. Man konnte sehr gut verstehen, was sie sich gegenseitig an den Kopf warfen. Der Besucher klopfte nachdrücklich mit dem Knöchel seines Zeigefingers gegen die Tür und trat seitlich an die Wand zurück. Er schob sich den Hut tief in die Stirn und nahm ein Taschentuch aus seiner Brusttasche. Als geöffnet wurde, verdeckte dieses Tuch fast sein ganzes Gesicht. In der Tür erschien ein untersetzter Mann, und zugleich fragte eine quengelige Frauenstimme aus der Tiefe des Zimmers, was es denn eigentlich gäbe. »Schicken Sie sie fort«, sagte der Besucher, der sich das Taschentuch vor das Gesicht hielt. »Jetzt?« fragte der Mann in der Tür zurück. Er war angetrunken. Das schüttere Haar war zerzaust, die Augen glänzten trüb. Im rechten Mundwinkel klebte eine halb aufgerauchte, kalte Zigarette. »Los, beeilen Sie sich, Montese«, sagte der Besucher, »ich werde an der Treppe warten, bis sie gegangen ist.« Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte der Besucher sich um und ging zurück zum Lichtschacht, wo sich auch die Treppen befanden.

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Der exzellente Butler Parker – 94 –

4 Beine zum Ziel

Unveröffentlichter Roman

Günter Dönges

Der späte Besucher kannte sich in dem sechsstöckigen Apartmenthaus sehr gut aus.

Er gelangte ungesehen durch den Korridor und fuhr mit dem Lift zum vierten Stock hoch. Hier stieg er aus und schritt den Gang hinunter, bis er eine bestimmte Tür erreichte. Er schob den Kopf lauschend vor, und ein Ausdruck des Verachtens huschte über sein Gesicht, als er lautes Stimmengewirr hörte. Hinter der Tür stritten eine Frau und ein Mann. Man konnte sehr gut verstehen, was sie sich gegenseitig an den Kopf warfen.

Der Besucher klopfte nachdrücklich mit dem Knöchel seines Zeigefingers gegen die Tür und trat seitlich an die Wand zurück. Er schob sich den Hut tief in die Stirn und nahm ein Taschentuch aus seiner Brusttasche. Als geöffnet wurde, verdeckte dieses Tuch fast sein ganzes Gesicht. In der Tür erschien ein untersetzter Mann, und zugleich fragte eine quengelige Frauenstimme aus der Tiefe des Zimmers, was es denn eigentlich gäbe.

»Schicken Sie sie fort«, sagte der Besucher, der sich das Taschentuch vor das Gesicht hielt.

»Jetzt?« fragte der Mann in der Tür zurück. Er war angetrunken. Das schüttere Haar war zerzaust, die Augen glänzten trüb. Im rechten Mundwinkel klebte eine halb aufgerauchte, kalte Zigarette.

»Los, beeilen Sie sich, Montese«, sagte der Besucher, »ich werde an der Treppe warten, bis sie gegangen ist.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte der Besucher sich um und ging zurück zum Lichtschacht, wo sich auch die Treppen befanden. Der mit Montese angesprochene Mann warf die Tür nachdrücklich ins Schloß und spuckte die Zigarette im Korridor der Wohnung zu Boden. Er ging zurück ins Wohnzimmer und sah zur Couch hinüber, auf der eine junge Frau lag, die in einer Zeitung blätterte.

»Was war’s denn?« fragte sie gelangweilt. Den Wortwechsel, den sie eben noch mit Larry Montese gehabt hatte, schien sie bereits vergessen zu haben. Sie trug einen weiten Rock und eine einfach geschnittene Bluse. Ihr blondes Haar war zerzaust.

»Steh auf und verschwinde!« sagte Larry Montese.

»Sag mal, bist du plötzlich verrückt geworden?« erwiderte sie überrascht und ließ die Zeitung sinken.

»Red nicht lange, sondern pack deinen Kram und verschwinde!« sagte Larry Montese noch einmal. »Ich habe zu tun!«

»Jetzt um diese Zeit?«

»Also los doch!«

Er war in den kleinen Korridor zurückgegangen und kam mit ihrem Mantel zurück, den er ihr zuwarf. Sie hatte sich inzwischen aufgerichtet und sah ihn aufmerksam an. Sie kannte ihn sehr gut, und sie wußte, daß der augenblickliche Ton in seiner Stimme gefährlich war. Sie zog es vor, den Mund zu halten. Erst an der Tür wurde sie wieder mutig.

»Das laß ich mir nicht gefallen«, sagte sie, »darüber werden wir noch reden, Larry. Ich bin doch nicht dein Dienstbote? Wer rennt denn wem nach, he?«

»Verschwinde endlich!« schrie Larry Montese. »Ich rufe dich morgen an.«

»Da kannst du lange anrufen«, erwiderte sie erbost, »der Herr braucht nur zu pfeifen, und schon tanzt die gute Jane an, wie?«

Larry Montese hörte schon nicht mehr zu. Er ging ins Zimmer zurück und betrat den Baderaum. Er öffnete ein Wandschränkchen, das seitlich von der eingebauten Wanne in Kopfhöhe angebracht war und schüttelte sich einige weiße Tabletten in die Hand. Er schluckte sie und trank ein halbes Glas Wasser nach. Er verzog sein Gesicht, ging zurück in den Wohnraum und zündete sich eine neue Zigarette an.

Er stierte einen Moment auf den Couchtisch, auf dem Flaschen, Gläser, eine Schale mit Stückkreis und eine Zigarettendose standen. Die nassen Gläser hatten auf dem Tisch Abdrücke hinterlassen.

»Wer ist sie?«

Von der Tür her war gefragt worden. Larry Montese wandte sich schnell um. Der Besucher drehte das große Deckenlicht ab und ließ sich in einem Sessel nieder, der an der Tür zur Diele stand.

»Ich hab’ sie in einer Bar kennengelernt«, erwiderte Montese. »Sie kennt mich nicht näher!«

»Eines Tages werden Sie reinfallen und sich die Finger verbrennen«, sagte der Besucher. »Aber zur Sache, Larry, ich habe einen Auftrag für Sie!«

»Für diese Nacht noch …?«

»Natürlich, sonst wäre ich ja wohl nicht hierhergekommen. Also, passen Sie genau auf, mein Junge! Butler Parker wird unterwegs sein. Für uns ist das die große Chance, ihn zu beseitigen.«

»Nichts für mich«, sagte Montese und schüttelte entschieden den Kopf. »Mit dieser Eule will ich nichts zu tun haben.«

»Sie werden sich mit ihm befassen, mein Junge«, sagte der Besucher in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Sie werden sich auf die Beine machen und ihn erledigen, haben Sie mich verstanden?«

»Warum gerade ich?«

»Weil Sie mit einer bestimmten Sache gar nichts zu tun haben! Aber darüber brauchen Sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen, Larry. Sie werden zudem leichtes Spiel haben. Parker rechnet nicht damit, daß er abgeschossen werden soll!«

»Na schön …, und wo steckt er?«

»In Callitts Warenhaus. Wo das ist, wissen Sie ja!«

»Und ob ich das weiß«, sagte Montese. »Aber der Bau ist groß.«

»Sie werden eben nach ihm suchen. Schließlich kennen Sie den Bau ja in- und auswendig, wie?«

»Wieso treibt der Kerl sich jetzt um diese Zeit dort herum?«

»Das ist meine Sache. Es genügt für Sie, daß Sie ihn dort finden können. Also, machen Sie sich sofort auf den Weg! Noch etwas, Sie betreten das Haus natürlich auf einem Weg, den nur Eingeweihte kennen. Ist das auch klar?«

»Ich weiß schon, wie ich das machen kann! Wie melde ich Ihnen, daß alles geklappt hat?«

»Ich werde später hier anrufen. Und besorgen Sie ganze Arbeit, Montese! Sie haben in letzter Zeit einiges Pech gehabt. Sie brauchen einige Pluspunkte. Halten Sie sich das immer vor Augen!«

»Pech hat eben jeder mal«, meinte Montese mürrisch.

Der Besucher ging darauf nicht ein. Er stand auf, setzte sich wieder den Hut auf und zog ihn tief in die Stirn. Er öffnete die Tür zur Diele und wollte gehen.

»He, wie steht’s denn mit einem kleinen Vorschuß?« sagte Montese.

»Richtig!« Der Mann griff in seine Rocktasche und holte eine Rolle Banknoten hervor, die von einem Gummiring gehalten wurden.

»Zweihundert werden vorerst mal reichen, denke ich. Sie werden langsam teurer, Montese, teurer, wenn man bedenkt, wie wenig Sie bisher geleistet haben …«

Bevor Montese antworten konnte, war der Besucher verschwunden. Montese fluchte und bückte sich nach der Banknotenrolle, die der Besucher auf den Boden geworfen hatte. Er zählte nach, grinste zufrieden und steckte das Geld ein. Dann verschwand er für einen kurzen Moment in seinem Schlafzimmer und kam mit einer schweren automatischen Waffe zurück, die er sich hinter den Gürtel seiner Hose schob. Er warf sich die Jacke über, stülpte sich den Hut auf den rundlichen Schädel und verließ seine Wohnung.

Unten auf der Straße stand sein Wagen, ein neues Modell, das ziemlich viel Geld gekostet haben mußte. Er setzte sich ans Steuer und fuhr so scharf los, daß die Hinterräder durchdrehten.

Sein Ziel war ihm allzugut bekannt.

Noch vor wenigen Wochen hatte er in Callitts Warenhaus als Elektromonteur gearbeitet. Er war nicht freiwillig gegangen, er war gefeuert worden. Er hatte wieder einmal, wie so oft in seinem Leben, nicht lassen können und sich am Eigentum seiner Firma vergriffen. Von einer Anzeige gegen ihn war Abstand genommen worden, weil er das gestohlene Gut schleunigst aus seiner eigenen Tasche bezahlt hatte. Montese war oberflächlich und leichtsinnig.

Vielleicht wäre es ihm und seiner Gesundheit besser bekommen, wenn er einen kurzen Blick in den Rückspiegel seines Wagens geworfen hätte. Er wurde nämlich für einige Minuten von einem grauen Buick verfolgt, der aber in dem Moment abbog, als Montese tatsächlich Kurs auf das Warenhaus genommen hatte. Der nächtliche Besucher hatte sich vergewissern wollen, daß Montese auch wirklich seinen Auftrag auszuführen beabsichtigte.

Montese hatte keine Gewissensbisse. Daß er auf dem Weg war, einen Mord auszuführen, belastete ihn nicht. Er machte sich auch keine Gedanken über seinen nächtlichen Besucher und Auftraggeber. Er kannte ihn nur vom Ansehen, hatte ihn vor einigen Wochen in einer Bar kennengelernt und war von ihm angeheuert worden. Bei der Gelegenheit hatte sich gezeigt, daß der Besucher sehr viel über seine Vergangenheit wußte. Zuviel eigentlich. Da der Mann aber gut gezahlt hatte, war Monteses Argwohn schnell wieder eingeschlafen. Daß er nur ein kleines Steinchen in einem großen Spiel war, kümmerte ihn nicht. Hauptsache, er bekam Bargeld.

Montese dachte an sein Opfer. Josuah Parker war ihm nicht unbekannt. Die Zeitungen hatten schon viel über ihn geschrieben. Parker war ein Butler, der für einen stadtbekannten Strafverteidiger arbeitete. Parker war aber auch ein Amateurkriminalist, der zusammen mit seinem Chef Mike Rander Verbrechen aufklärte. In einschlägigen Kreisen ging das Gerücht um, dieser Butler Parker sei mit allen Wassern gewaschen und ein verflixt gefährlicher Gegner.

Montese faßte unwillkürlich nach seiner schweren Automatik, als er an diese Gerüchte dachte. Er war zu diesem Zeitpunkt noch fest davon überzeugt, daß alles klappen würde.

Nach zwanzig Minuten – es war etwa 22.30 Uhr geworden – erreichte Larry Montese das Callitt-Warenhaus. Scheinwerfer strahlten den fünfstöckigen Bau an. Die Straßenfront zeigte große Tannenbäume aus Leuchtschnüren, freundliche, riesige Weihnachtsmänner und Engel in Glanz und Flitter. Kaskaden von buntem Neonlicht tropften an den Wänden herunter, und ein Schriftband oben auf dem Dach verkündete, Callitts Warenhaus sei das Depot des Weihnachtsmannes. Montese grinste und dachte an die Garben, die er in wenigen Minuten verteilen wollte …!

*

Gegen 22.00 Uhr klingelte es an der Wohnung von Mike Rander.

Josuah Parker, der Butler des Hauses, schritt gemessen in den Korridor, holte einen handlichen Revolver aus seiner Manteltasche und verließ die Dachgartenwohnung. Er durchquerte den kleinen, sehr gepflegten Dachgarten und erreichte die Tür, die hinunter in den Wohnblock führte. Sie war ungemein solide und mit Stahlblech beschlagen. Hinter ihr befand sich eine Treppe, der einzige Zugang zur Dachgartenwohnung, in der Mike Rander, der bekannte Strafverteidiger und sein Butler Josuah Parker hausten.

Josuah Parker öffnete nicht sofort.

Schon zu oft war in der Vergangenheit versucht worden, Mike Rander und ihn zu ermorden. Sie hatten sich als Amateurkriminalisten einen sehr guten Namen gemacht. Gewisse Kreise in der Stadt haßten das seltsame Zweigespann wie die Pest.

Der Butler öffnete einen kleinen Kasten, der in der Wand eingelassen war. Über ein raffiniertes Spiegelsystem war er nun in der Lage, in den Treppenaufgang hinter der Tür zu schauen. Aber zu seiner Überraschung war kein Mensch zu sehen, obwohl doch laut und deutlich geklingelt worden war.

Parker schloß den Kasten und öffnete die Tür. Er entdeckte sofort den Brief, den man vor die Tür gelegt hatte. Es handelte sich um einen billigen Umschlag, der keine Anschrift zeigte. Parker hob ihn auf, schloß die Tür und ging zu Mike Rander zurück, der in seinem Arbeitsraum saß und eine Akte bearbeitete.

»Was hat’s gegeben?« erkundigte sich der junge Anwalt. Er schob den Schnellhefter zurück und sah seinen Butler aus wachen braunen Augen an.

»Dieser Brief, Sir, wurde vor die Tür gelegt«, sagte Parker. »Meiner Schätzung nach handelt es sich wohl wieder um einen Drohbrief.«

»Machen Sie ihn auf, Parker!«

Butler Parker öffnete den Umschlag und zog einen Zettel hervor, auf den mit Schreibmaschine einige Zeilen getippt worden waren. Er las und reichte Mike Rander den Zettel. Der junge Anwalt las ebenfalls und schmunzelte.

»Eine ganz nette Falle«, sagte er.

»Die Brand-Gang ist also wieder unterwegs«, sagte Parker. »Man will noch in dieser Nacht das Warenhaus von Callitt anzünden, Sir.«

»Und zwar kurz nach Mitternacht«, ergänzte Rander. »Der Verfasser dieses Schreibens glaubt doch wohl nicht, daß wir dorthin gehen werden.«

»Mit Verlaub zu sagen, Sir, er rechnet wohl mit unserer Neugier.«

»Dann hat er sich eben verkalkuliert«, erwiderte Rander und schüttelte den Kopf. »Rufen Sie das Hauptquartier der Polizei an und geben Sie diese Information sicherheitshalber durch, Parker! Wie ich die Sache sehe, wird dem Warenhaus von Callitt nichts passieren.«

»Sir, es könnte sich vielleicht doch um eine echte Information handeln«, gab Parker zurück. »Dann wäre es eine gute Gelegenheit, endlich einmal Kontakt zu diesen Gangstern aufzunehmen.«

»Parker, die Falle, die man uns mit diesem Brief stellen will, ist doch förmlich zu riechen«, sagte Rander.

»Vielleicht sollte man gerade deshalb dorthin gehen …«, antwortete der Butler. »Wenn man eine Falle stellt, wird man versuchen, das Wild in die Falle zu bekommen. Mit anderen Worten, Sir, unter Umständen könnte man wirklich auf einige Mitglieder der Brand-Gang stoßen.«

»Das wäre natürlich etwas«, sagte Mike Rander und stand auf. Er zündete sich eine Zigarette an und trat an das breite Fenster.

Josuah Parker hatte sich umgedreht und verließ den großen Arbeitsraum, dessen Wände bis zur Decke hin mit Büchern bedeckt waren. Als die Tür leise ins Schloß fiel, wandte Rander sich um und grinste. Er glaubte zu wissen, weshalb Parker den Raum verlassen hatte. Mike Rander beugte sich über den Arbeitstisch und las noch einmal die Zeilen.

Er dachte an die berüchtigte Brand-Gang, von der die Zeitungen schon seit Wochen schrieben. Überall in der Stadt wurden seit geraumer Zeit Brände gelegt. Die Brandstifter suchten sich in der Regel Warenhäuser aus, scheinbar ohne Sinn und Verstand. Sie schienen sich damit begnügen zu wollen, daß es brannte. Viele Zeitungen hatten schon der Vermutung Ausdruck gegeben, es handle sich wohl um einen Pyromanen, der aus einem krankhaften Zwang heraus so handle. Auch Mike Rander war anfangs dieser Meinung gewesen, bis sich erst vor einigen Tagen ein Geschäftsmann an ihn gewandt hatte. Und mit einem Schlag hatten die Brände einen nüchternen Hintergrund bekommen. Dieser Geschäftsmann, ein gewisser Harry van Nyland, war von unbekannter Seite angeschrieben worden. Man forderte von ihm die Bereitstellung von 10 000 Dollar, falls sein Stofflager nicht in Brand gesteckt werden sollte. Nach diesem Schreiben war ein telefonischer Anruf gekommen. Eine heisere Stimme hatte ihn gewarnt, sich an die Polizei zu wenden. Die verlangten 10 000 Dollar aber sollten in kleinen Scheinen für den kommenden Sonnabend beschafft werden. Man würde ihn rechtzeitig benachrichtigen, wie er die verlangte Summe abzuliefern habe.

Harry van Nyland hatte die Nerven besessen, sich an Mike Rander zu wenden. Er war nicht gewillt, sich erpressen zu lassen. Nur zu gern war Rander bereit, sich mit der Brand-Gang, wie sich die Bande im Brief bezeichnete, zu befassen.

Der anonyme Brief der vor wenigen Minuten abgeliefert worden war, war im Gründe recht sensationell. Er bewies nämlich, daß die »Brand-Gang« bereits wußte, daß van Nyland sich an Rander und Parker gewendet hatte. Die Gangster waren also sehr gut informiert. Wahrscheinlich wollten sie sofort zum Angriff übergehen, bevor Rander und Parker sich mit der Gang überhaupt befassen konnten.

Von wem die Gangster diese Informationen auch immer bekommen hatten, die Ablieferung dieses Briefes bedeutete für van Nyland höchste Gefahr. Man hatte ihm ja besonders eingeschärft, sich nicht an die Polizei zu wenden. Das hatte der Geschäftsmann zwar nicht getan, aber unter Umständen waren Rander und Parker vielleicht noch gefährlicher als die Behörden. Sie konnten einen Kriminalfall ohne jede Vorbelastung angehen.

Mike Rander dachte an van Nyland. Er mußte gewarnt werden. Bevor der Anwalt sich aber mit dem Telefon befassen konnte, erschien Josuah Parker wieder auf der Bildfläche.

»Ich habe mir erlaubt, Sir, die Telefonnummer des Mister van Nyland für Sie herauszusuchen«, sagte er trocken.

Rander grinste.

»Richtig gescheit, Parker«, meinte er, »wir müssen etwas für van Nyland tun …«

»Und auch für das Warenhaus Callitt, Sir, wenn ich in aller Bescheidenheit darauf hinweisen darf.«

»Sie haben recht, Parker«, antwortete Rander nachdenklich. »Dieser Brief ist so etwas wie ein doppelter Bluff, Parker … Ich möchte annehmen, daß die Gangster fest damit rechnen, daß wir uns nun erst einmal um van Nyland kümmern werden. Sie haben es ja auch sehr leicht, sich in unsere Gedanken zu versetzen.«

»Sie werden damit rechnen, daß wir van Nyland abschirmen, Sir, aber sie werden dennoch versuchen, Callitts Warenhaus anzuzünden.«

»Auch damit ist zu rechnen«, sagte Rander. »Wir haben es mit einem raffinierten Fuchs zu tun, Parker … Er hat es verstanden, uns sein Gesetz des Handelns aufzudrängen!«

»Sir, darf ich mir erlauben, einen Vorschlag zu machen?« erkundigte sich der Butler.

»Nur immer heraus mit der Sprache.«

»Sie könnten sich vielleicht mit Mister van Nyland in Verbindung setzen, Sir, ich würde mich sehr gern einmal in diesem Warenhaus umsehen.«

»Damit würden wir dem Gangsterboß genau den Gefallen erweisen, den er von uns erwartet.«

»Sir, wir wissen ja, daß man uns eine Falle stellen will«, antwortete der Butler, »und eine Falle, die man kennt, hat keine Schrecken mehr!«

»Dennoch, Parker, die Geschichte will mir nicht gefallen.«

»Sir, es bliebe nur der andere Weg, nämlich der, die Polizei zu informieren. Aber damit würden wir das Leben des Mister van Nyland sofort ernsthaft in Gefahr bringen.«

»Sie sind wieder einmal sehr überzeugend, Parker«, reagierte Rander lächelnd. »Also schön, verlieren wir keine Zeit mehr! Beeilen wir uns, um ins Geschäft zu kommen!«

»Ich habe bereits die entsprechenden Vorkehrungen getroffen«, sagte Parker.

»Und ich werde jetzt erst van Nyland anrufen. Er soll sich in seinem Haus verbarrikadieren. Hoffentlich ist es nicht schon zu spät, Parker.«

Mike Rander wählte die Nummer und wartete auf seinen Anschluß. Aber die Gegenseite meldete sich nicht. Entweder war von Nyland nicht zu Hause, oder aber ihm war bereits etwas passiert.

Rander hatte es jetzt sehr eilig.

In der Diele zog er sich die Jacke über, setzte sich den Hut auf und wählte unter den verschiedenen Handfeuerwaffen aus, die Butler Parker ihm auf einem silbernen Tablett zur Wahl vorgelegt hatte.

»Noch etwas, Parker«, sagte Rander, als er zur Tür ging. »Bitte, keine Gangsterjagd auf eigene Faust! Haben wir uns verstanden? Gegen diese Kerle werden wir nur gemeinsam etwas erreichen können.«

Parker hielt es für richtig, sich nur zu verbeugen. Er haßte es, sich festzulegen. Nachdem Mike Rander die Dachgartenwohnung verlassen hatte, rüstete sich der Butler für seinen Ausflug. Er streifte sich seinen weitfallenden schwarzen Covercoat über, setzte sich die schwarze steife Melone auf und griff nach seinem Regenschirm. Handfeuerwaffen brauchte er nicht einzustecken. Sein Mantel enthielt grundsätzlich alles, was er brauchte.

Josuah Parker verließ die Wohnung, schloß hinter sich ab und ließ sich auch bald vom Lift nach unten in die Tiefgarage des Hauses bringen. Als er dort ankam, verließ Mike Rander gerade die Garage.