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Das spektakuläre Finale der neuen Reihe von New-Adult-Star Ayla Dade - Circus aesthetic meets enemies to lovers
***Spoiler Alert: Der nachfolgende Inhaltstext enthält Hinweise auf das Ende von »A Million Stars Above«***
Sie war der Star der Show, doch jetzt ist sie nichts mehr. Nach ihrem Sturz bei der großen Show des Sky Circus in Las Vegas kann die Artistin Heaven sich nicht an die letzten Monate erinnern. Enttäuscht stellt sie fest, dass sie sich weder auf ihr Gedächtnis verlassen kann – noch auf ihren Körper. Weil sie erst wieder lernen muss, am Trapez durch das Zirkuszelt zu fliegen, übt sie mit den Anfängern, bis der attraktive Kraftakrobat Hell ihr unerwartet seine Hilfe anbietet. Auch wenn sein Blick stets hart und sein Training unerbittlich ist, merkt Heaven, dass sie als Akrobatik-Duo perfekt harmonieren. Und dass sie in seinen starken Armen in Versuchung gerät, der knisternden Spannung zwischen ihnen nachzugeben. Doch je mehr sich ihr Körper an die sinnlichen Bewegungen erinnert, desto mehr zieht Hell sich plötzlich zurück – fast so, als fürchte er, dass sie sich auch an andere Dinge erinnert …
Wenn du auf diese Tropes stehst, bist du hier genau richtig:
• Enemies to Lovers
• Fake Dating
• Bad Boy x Good Girl
• Forced Proximity
• Zirkus-Setting ohne Tiere
Die Sky-Circus-Reihe:
1. A Million Stars Above
2. A Thousand Flames Below
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 541
Veröffentlichungsjahr: 2025
AYLADADE zählt zu den Stars im New-Adult-Genre. Mit ihrer Winter-Dreams-Reihe und Frozen-Hearts-Reihe hat sie sich in die Herzen ihrer Leser*innen geschrieben. Jeder ihrer Romane ist ein SPIEGEL-Bestseller und hält sich wochenlang in den Top-Rängen. Ihr Erfolgsgeheimnis ist eine süchtig machende Mischung aus Ästhetik und Glamour, Geheimnissen und Intrigen, Liebe und Spice in den faszinierenden Kreisen der High Society. Mit ihrer aktuellen Sky-Circus-Reihe lädt die Autorin ihre Fans ein zu einer atemberaubenden Show voller Dramatik, Emotionen und magischer Momente.
Begeisterte Stimmen über Ayla Dades Romane:
»Wenn ihr nach einer faszinierenden Story und einem unwiderstehlichen Setting sucht, müsst ihr unbedingt ›Blackwell Palace‹ lesen!« Anna Todd über Blackwell Palace
»Zum Wegträumen schön!« Lilly Lucas über Like Snow We Fall
Außerdem von Ayla Dade lieferbar:
Die Winter-Dreams-Reihe:
Like Snow We Fall
Like Fire We Burn
Like Ice We Break
Like Shadows We Hide
Like Feathers We Fly
Die Frozen-Hearts-Reihe:
Blackwell Palace. Risking it all
Blackwell Palace. Wanting it all
Blackwell Palace. Feeling it all
Whispers. Die Wahrheit wird dich zerstören
www.penguin-verlag.de
Ayla Dade
Roman
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Copyright © 2025 Penguin Verlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)
Dieses Buch wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Lektorat: Janina Roesberg
Umschlaggestaltung: www.buerosued.de, unter Verwendung von Motiven von bürosüd
Cover- und Innenillustration: Christin Neumann
Genehmigtes Zitat auf Seite 337: »Push Up« von Creeds, Rave Alert Records, 2022
Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-641-31773-7V001
www.penguin-verlag.de
Benson Boone – »Beautiful Things«
Jeremy Zucker – »comethru«
Lewis Capaldi – »Forever«
James Arthur – »Can I Be Him«
Tom Odell – »Another Love«
Billie Eilish, Khalid – »lovely«
One Direction – »Steel My Girl«
Olivia Rodrigo – »All I Want«
Billie Eilish – »What Was I Made For?«
Lewis Capaldi – »Bruises«
Queen – »We Will Rock You«
Matt Hansen – »LETEMGO«
Lewis Capaldi – »Wish You The Best«
Lauren Spencer Smith – »Flowers«
Benson Boone – »In The Stars«
Dean Lewis – »Hurtless«
Cian Ducrot – »I’ll Be Waiting«
One Direction – »Where Do Broken Hearts Go?«
Jamie Miller – »Maybe Next Time«
Creeds – »Push Up«
Benson Boone – »Slow It Down«
Lewis Capaldi – »Before you Go«
Für dich, Laura.
Weil wir mit Schnee gefallen sind.
Weil wir mit Feuer gebrannt haben.
Weil wir mit Eis geschmolzen sind.
Weil wir mit Schatten getanzt haben.
Weil wir riskierten, wollten, fühlten.
Weil uns die Wahrheit zerstört hat.
Millionen Sterne über uns.
Eintausend Flammen unter uns.
Bei so vielen Momenten gibt es keinen Abschied.
Heaven
Merkwürdiges Zeug, das im Universum existiert.
Albert Einsteins Worte. Ich habe nie groß über diesen Satz nachgedacht – bis heute. Denn das hier ist merkwürdiges Zeug, oder nicht? Ich bin merkwürdiges Zeug.
Ich sollte tot sein. Die Ärzte meinten, es grenze an ein Wunder, dass ich überlebt habe. Der Uhrzeiger hat mir den Schädel filetiert und winzige Teile meines Hirns geschädigt. Nur ein kleines Stückchen weiter, der Schnitt eines weiteren Millimeters, und das wär’s mit mir gewesen.
Wer entscheidet über solche Schicksale? Gott? Energien? Karma?
Merkwürdiges Zeug, das im Universum existiert.
»Gut, das reicht«, murmelt Alexis, woraufhin ich mich aus der kreisförmigen Verrenkung löse.
Ich ziehe meinen Oberkörper zwischen meinen Beinen hervor und richte mich auf. Ein Teil von mir spürt die Vertrautheit der Bewegungen, und ich erinnere mich an die Zeit, in der das alles normal für mich war. Es ist, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich diese Übungen gemacht habe. Aber das kann nicht stimmen, denn in meiner letzten Erinnerung von gestern habe ich nach dem Training meinen siebzehnten Geburtstag gefeiert und bin mit Craig zusammengekommen. Laut meinem Personalausweis bin ich zwanzig. Mir fehlen also drei verdammte Jahre.
»Wie fühlst du dich?« Alexis betastet die Stränge meines Rückens und meiner Halswirbelsäule. »Irgendwelche Schmerzen?«
»Nur ein bisschen steif.«
»Das ist normal«, murmelt sie und streckt meine Arme wie die Flügel eines Vogels aus, bevor sie die Muskeln überprüfend knetet. »Du hast dich fast drei Wochen nicht bewegt. Dein Körper muss verstehen, dass er kein Brett ist.«
Bedauernd lasse ich den Blick schweifen. Um mich herum turnen Mädchen in bronzefarbenen Bodies. Manche trainieren ihre Figuren in schwebenden Ringen, andere fliegen von Trapez zu Trapez. Es sind die einfachsten Sprünge. Kein Wunder. Keine von denen ist älter als vierzehn. Das hier ist die Anfängergruppe. Die Bronze-Engel.
Seufzend legt Alexis einen Finger an mein Kinn und dreht mein Gesicht zu sich. Bonbonfarbene Haarspitzen streifen ihr Schlüsselbein. Gestern an meinem siebzehnten Geburtstag hatte sie noch aschblondes Haar. »Das hier ist nur vorübergehend, hörst du? Du bist unser Star, Heaven. Du gehörst auf die große Bühne. Die Menschen da draußen lieben dich. Aber bis sich dein Körper erholt und sich an alles erinnern kann, was er die letzten Jahre gelernt hat, gehen wir die Basics durch und vergewissern uns, dass deine Muskeln nicht überstrapaziert werden.« Als ich den Mund öffne, kommt sie mir zuvor. »Ich weiß, dass dich das frustriert. Aber die Ärzte und deine Eltern haben recht. Du bist erst seit ein paar Wochen wieder einsatzbereit. Wir müssen vorsichtig sein.«
Frustriert lasse ich die Schultern sinken und sehe zur anderen Hallenseite. Savannah tanzt neben Pawel in vorderster Front. Sie hat sich verändert. Ihre Haltung wirkt selbstbewusster, ihr Kinn ist gereckt, der Ausdruck in ihren grünen Augen stechend. Als wüsste sie genau, was sie will, und würde nie zögern, es sich zu holen. Wann ist das passiert? Wann ist aus meiner besten Freundin, die mit hängendem Kopf in der letzten Reihe getanzt hat, diese Anführerin geworden?
Was zur Hölle habe ich alles verpasst?
Mein Blick gleitet zu der blassen Schönheit am Seil. Das Schneewittchen rollt in einem ästhetischen Fall nach unten und droht, auf dem Boden aufzuschlagen. Im letzten Moment jedoch zieht ein Typ, der aussieht wie der schönste Teufel aus den schaurigsten Märchen, kräftig am Seil. Meine Konkurrentin Ash stoppt in der Bewegung und streckt die Arme zur Seite. Im nächsten Moment lässt der Kerl los und fängt ihren Körper mühelos auf.
Das Gesicht dieses Teufels war das Erste, was ich nach meinem Koma gesehen habe. Gebräunte Haut. Sonderbare goldene Sonnen, in die ich versinken und jämmerlich ertrinken könnte, wenn ich sie zu lange betrachte. Mit der langen Narbe am Kinn und den scharf geschliffenen Gesichtszügen sieht er aus wie ein Krieger, der jede tödliche Schlacht herbeisehnt.
Ich weiß, wer er ist. Und doch weiß ich es nicht. Jeden Tag lerne ich ihn neu kennen. Und doch tue ich es nicht. Helix Winchester. Niemand verrät mir etwas über ihn. Niemand will mir sagen, was es mit diesem verflucht attraktiven Ausnahmetalent auf sich hat. Beziehungsweise behaupten meine Freundinnen, mir ständig alles zu erzählen, aber ich … kann mich nie dran erinnern. Mir bleibt nur das Internet. Jeden Tag aufs Neue, weil mein Gedächtnis ein verdammtes Sieb ist.
Heaven & Hell. Das Traumpaar. Die Außenseiterin und der Aufreißer. Immer neue Clips. Aesthetics. Meine Hand in seiner. Momentaufnahmen, in denen er mich ansieht, als wäre ich das Kostbarste auf der Welt. Ich, wie ich über etwas lache, das er gesagt hat. Und dann das Ende der paradiesischen Perfektion: der Engel, der in seinen Händen landet, und der Teufel, der sie nicht gehalten hat – gefolgt von einem Unfall, der mich hätte töten können.
Es ist keine Stunde her, dass ich all diese Videos gesehen habe. Wenn ich heute Abend mein Social Media öffne und sie erneut auf der For You Page sehe, wird es wieder sein, als sähe ich sie zum ersten Mal. Diese Videos geben mir die einzigen visuellen Erinnerungen zurück, aber mein Kopf weigert sich, sie zu speichern. Sie bleiben nur wenige Stunden, bis sie wieder verschwinden. Vielleicht sollte ich mein Handy gegen die Wand schmettern, statt mir diese mentalen Schmerzen tagtäglich neu anzutun. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich vor drei Jahren auch so ein masochistisches kleines Ding gewesen bin.
Im nächsten Moment lässt der Teufel Ash herunter und dreht den Kopf. Sein Blick streift meinen. Tausend kleine Nadeln bohren sich in mein Fleisch. Jetzt schmerzen meine Muskeln. Diese Augen. Dieses helle, unnormale Gold ringt mich nieder und zerreißt mich, wie keine körperliche Übung es könnte. Plötzlich blitzt zwischen diesen intensiven Farbspektren eine Art Bedauern auf, die mir die Haut von den Knochen zerrt. Als hätte sein Blick michverprügelt, wende ich mich ruckartig ab.
Ein schaurig-schöner, höllischer Dämon, dessen Aura mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper rennen lässt.
Merkwürdiges Zeug, das im Universum existiert.
Alexis hat mir den Rücken zugedreht, während sie in ihrer Tasche wühlt. Mit einer Rolle Tape in der Hand dreht sie sich um – und stockt. »Alles in Ordnung?«
Mit großen Augen nicke ich. Mir ist eiskalt, obwohl ich schwitze.
Irritiert sieht sie über meine Schulter, ehe sich ihr Blick klärt. »Oh.«
»Was?«
Sie zögert. »Nichts.« Mit verkniffenen Lippen kommt sie auf mich zu, schiebt meinen Bodyträger die Schulter herunter und beginnt, mich zu tapen. Sie ist angespannt. »Kommst du noch mit ins Sky Snookers?«
»Ich weiß nicht«, murmele ich.
»Komm schon«, drängelt Alexis, während sie das Tape auf meinen Trapezmuskel klebt. »Die Ärzte meinten, die besten Chancen, dass deine Erinnerungen zurückkämen, gäbe es, wenn du weiterlebst wie früher.«
»Aber morgen Abend ist doch schon Hawks Geburtstagsparty.«
Unser Okkultist wird ein Vierteljahrhundert, und ich bin mir sicher, dass er es sich nicht nehmen lassen wird, diesen Tag unvergesslich werden zu lassen. Dafür muss ich Kraft sammeln. Wer weiß, was Hawk sich alles ausgedacht hat.
»Sieh es als Vorbereitung«, beharrt Alexis und rüttelt flehend an meinem Arm. »Heute ein kleiner Einstieg, um morgen nicht überwältigt zu sein.«
Ich beiße mir auf die Unterlippe. »Ist Craig da?«
Kurz verkrampft ihre Hand. »Keine Ahnung.«
Neugierig suche ich die Halle ab. »Wenn er hingeht, komme ich.«
»Heaven …«
»Und Savvy?«
Das Tape fällt ihr aus der Hand. Fluchend bückt sie sich danach und wirft es zurück in ihre Tasche. »Sie werden alle da sein.«
Das beruhigt mich. Entschlossen schiebe ich die Schultern zurück. »Dann lass uns gehen.«
Meine Antwort scheint sie nicht zu erfreuen. Im Gegenteil. Ihre Mundwinkel fallen frustriert hinab, dabei war das doch ihr Vorschlag.
»Okay«, murmelt sie, und während wir den Ausgang ansteuern, »aber, Heav, ähm, die Dinge haben sich geändert …«
»Was meinst du?«
Mit zusammengezogenen Brauen sieht sie mich an, dann schüttelt sie traurig den Kopf. »Egal. Hat sowieso keinen Sinn.«
»Was hat keinen Sinn?«
Sie öffnet mir die Tür. »Dass du in fünf Sekunden noch weißt, was ich dir über sie erzählen würde.«
Ihre Worte hinterlassen einen stechenden Schmerz in meinem Herzen. Hastig blinzele ich, um den Druck hinter meinen Lidern loszuwerden. Es fühlt sich verdammt beschissen an. All das hier. Nicht zu wissen, was passiert ist, keine Ahnung zu haben, wer ich in den letzten drei Jahren war oder heute bin.
Schaurig-schöne Teufel, geheimnisvolle Energien, schwindende Erinnerungen und Schicksale, die von jetzt auf gleich zersplittern können.
Merkwürdiges Zeug, das im Universum existiert.
Heaven
Der pulsierende Bass dringt mir in die Knochen, als wir das Sky Snookers betreten. Erinnerungen an meinen siebzehnten Geburtstag keimen auf. Da vorne, auf dem barocken Diwan, hat Craig zum ersten Mal meine Hand genommen und dort, zwischen der Vitrine mit Gesellschaftsspielen und der wuchtigen Bar aus dunklem Kirschholz, habe ich kichernd zugestimmt, heimlich mein allererstes Bier mit Savvy zu trinken.
Für mich war es gestern. Für die anderen drei Jahre her. Uns trennen eintausendfünfundneunzig Tage und doch kein einziger.
Wer war ich in ihrem Gestern für sie?
»Holen wir uns was zu trinken?«, brüllt Al über Beyoncés »Texas Hold ’Em« in mein Ohr und zieht mich hinter sich her zur Bar. Die Blicke der anderen bohren sich wie Kujos spitze Klingen in meinen Rücken, deshalb fixiere ich die Barkeeperin in den wilden Lederfetzen, die gerade mal Nippel und Scham bedecken, mit einem festen Lächeln.
»Hi!«, rufe ich.
»Hey, Süße.« Leslie fährt sich durch die pinke Kurzhaarfrisur und streckt mir zwinkernd die Zunge raus, wobei das Penispiercing aufblitzt. »Wodka?«
Das fragt sie mich jedes Mal, wenn ich hier bin. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich mich in den vergangenen Jahren mit Wodka betrunken habe, und erschaudere. »Traubenschorle, bitte.«
Ihr Grinsen verrutscht minimal, während ihr Blick zu meiner Stirn zuckt. Scheinbar verrät ihr mein abgelehnter Drink alles, was sie wissen muss: Sie erinnert sich immer noch nicht. In diesem Moment übertönen ihre Gedanken sogar Beyoncé. Was für eine schaurige Narbe, die sich von ihrem Haaransatz über das Auge bis zum Ohr zieht. Dabei ist das arme Mädchen schon mit diesen hässlichen, dauernden Blessuren bestraft. Was für eine Tragödie, dass sie nichts mehr weiß. Und vielleicht nie wieder wissen wird.
Wir nehmen unsere Getränke entgegen und schlendern zu Savannah und Enola. Die beiden sitzen auf einem Diwan und lackieren sich die Nägel, während sie die Jungs mit Punkten bewerten.
»Okay, warte, nein, das geht nicht«, sagt Sav gerade, als wir sie erreichen, und tunkt den Pinsel in den roten Lack, »wenn du sagst, Mikhail sei eine Sieben für dich, verstehe ich nicht, mit welchem Menschenverstand du Mr. Brady eine Fünf geben kannst!«
»Wer ist Mr. Brady?«, frage ich und setze mich in den bequemen Chintz-Sessel.
Sav und Enola sehen auf. Über das hübsche Gesicht meiner besten Freundin huscht erst Überraschung, dann Mitgefühl. Es ist zu ihrem typischen Begrüßungsausdruck geworden. »Einer unserer Sicherheitsmänner.«
»Zu viele Muskeln für meinen Geschmack.« Lächelnd bindet sich Enola das hellblonde Haar zu einem Pferdeschwanz. »Gutes Training gehabt?«
»Na ja …«
»Sie macht große Fortschritte.« Alexis nickt bedächtig. »Vielleicht kann sie nächste Woche schon aufs Trapez.«
Große Fortschritte für die Bronze-Gruppe …
»Das klingt großartig, Heaven!« Sav strahlt.
Ich hingegen verziehe das Gesicht wie eine nicht überzeugte Bulldogge, der ein räudiger Knochen vor die Nase gelegt wird. »Das klingt, als wäre ich wieder acht und dürfte zum ersten Mal auf dem Trapez schaukeln.«
Seufzend streicht Enola die rosa Farbe auf ihren Daumennagel. »Du hattest einen schlimmen Unfall. Sei froh, dass du überhaupt trainieren kannst.«
»Oder überlebt hast«, murmelt Savannah erstickt. »Wenn ich dich verloren hätte …«
»Hey«, sanft lege ich ihr eine Hand auf den Arm, woraufhin sie zusammenzuckt, als hätte ich sie bei etwas erwischt, »ich bin hier, okay? Zwar lädiert und mit einer unübersehbaren Narbe«, freudlos lache ich auf, »aber ich lebe. Lass uns nicht in die Vergangenheit schauen.«
Meine Worte haben eine ungeahnte Wirkung auf sie. Erst versteift Savannah, dann schluckt sie hart. »Du hast recht«, nickt Sav, »Dex würde sagen, die Vergangenheit ist nur ein Archiv der Illusionen. Was zählt, ist jetzt.«
»Die Vergangenheit ist nie vorbei«, raunt plötzlich eine Stimme genau hinter mir, »denn mit jedem Moment formt sie unsere Zukunft.«
Ich wage einen knappen Blick über die Schulter und erkenne Helix’ scharfkantiges Profil. Mit gerecktem Kinn starrt er meine beste Freundin nieder.
»Wenn du denkst, du kannst Erinnerungen töten, indem du andere vergessen lässt, bist du noch dümmer, als ich dachte, Savannah.«
»Was weißt du schon, Helix?« Plötzlich stehen Tränen in ihren hasserfüllten Augen. »Du, mit dem alles angefangen hat?«
»Wovon reden die?«, flüstere ich Alexis ins Ohr.
Unruhig rutscht sie in ihrem Sessel vor und zurück. »Keine Ahnung.«
Ich zucke zusammen, als mich plötzlich eine Hand an der Schulter berührt. »Kann ich dich kurz sprechen, Heaven?«
Die Luft zwischen uns verhärtet sich zu einer dicken Wolke. Würde Billie Eilishs Stimme unsere Adern nicht pulsieren lassen, wäre ich mir sicher, wir könnten die Anspannung surren hören.
»Danke, kein Bedarf«, entgegne ich fest und drücke das Kreuz durch.
Savvys Gesichtsmuskeln entspannen sich, Enola hingegen runzelt die Stirn. Fast wirkt es, als hätten sie etwas anderes erwartet. Aber warum sollte ich Zeit mit jemandem verbringen wollen, der mich fast umgebracht hätte?
Aus irgendeinem Grund hat sich die alte Heaven zu ihm hingezogen gefühlt. Das beweisen die etlichen Clips im Internet. Und, wer weiß, vielleicht war da sogar wirklich etwas, doch jetzt ist alles anders. Jetzt bin ich eine neue Heaven, und das Einzige, was die neue Heaven weiß, ist, dass sie absolut kein Interesse daran hat, mit diesem filmreifen Bad Boy in ärmellosen Shirts und an den Knien abgerissene Jogginghosen in eine zweite Runde zu starten. Der Typ strahlt Ärger aus, wenn man ihn nur ansieht.
»Bitte«, fleht er in einem Ton, der mir ungnädigerweise unter die Haut geht, genau dorthin, wo seine Finger mich sanft, aber bestimmt drücken, »es geht um deinen Bruder, ich –«
»Mein Bruder kann mir selbst sagen, was auch immer ihn betrifft«, unterbreche ich ihn forsch und recke den Hals, auf der Suche nach Elliott.
Sein Griff wird fester. Neben mir gräbt Alexis die Finger in die Sitzlehnen, während Enola aussieht, als hätte sie einen Geist gesehen, und Savannah einen unterdrückten Fluch ausstößt. »Heaven, Elliott ist …«
»Es bringt nichts«, unterbricht Enola sie leise.
»Ja«, murmelt Al. »Wir haben es ihr jeden Tag gesagt. Es verschwindet immer wieder.«
»Was gesagt?«, frage ich.
»Wenn du mit mir reden würdest, könnte ich es dir erklären«, sagt Helix.
»Was nichts bringen würde«, wiederholt Savvy zischend.
»Oh, klar, und deshalb lässt du es lieber sein, nicht wahr?« Ein freudloses Lachen entkommt ihm, und mit einem schaurigen Blitzen in seinen Augen fährt er fort: »Natürlich, es kommt dir ja gelegen.«
»Du tust mir weh.« Ich funkele ihn an und zerre an seinem Arm.
Sofort lässt er mich los. »Tut mir leid.« Sein Blick wird weicher. »Heav, können wir bitte –«
»Craig!«
Mein Freund hat das Zelt betreten. In der beigen Chino und dem weißen Hemd sieht er süß aus. Der Sommer hat seiner Haut einen gebräunten Teint verliehen und die blonden Strähnen aufgehellt. Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, denke ich an einen kalifornischen Surferboy. Viel besser als dieser düstere Typ neben mir, der sich wahrscheinlich regelmäßig bei irgendwelchen Untergrundkämpfen blutig prügelt.
Als ich aufspringe, und Craig mich entdeckt, gerät seine Haltung ins Wanken. Kurz sieht er an mir vorbei, bevor er mein Lächeln schüchtern erwidert. Ich mache einen Schritt vor, da packt mich jemand am Handgelenk und hält mich zurück. Als ich mich umdrehe, schaue ich in Helix’ verkrampftes Gesicht. Seine vollen Lippen sind zu einer festen Linie zusammengepresst, der Kiefer ist vorgeschoben und die Schlagader an seinem Hals pocht in rapidem Tempo.
»Was ist?«, keife ich.
Er öffnet den Mund, doch schließt ihn wieder. Schließlich senkt er die Lider und lässt mich los. Seine schwieligen Finger gleiten über meine Haut, was ein unerwünschtes, elektrisierendes Gefühl durch meine Nerven sendet. Der dichte Wimpernkranz wirft einen Schatten auf seine Wangenknochen. Ich bekomme das dumpfe Gefühl, dass er all die Gedanken, die ihm gerade durch den Kopf gehen, darin versteckt, statt sie auszusprechen. »Nichts.«
»Gut.« Im nächsten Moment schiebe ich mich an Alexis’ Beinen vorbei und gehe zu Craig, der sich an der Bar etwas zu trinken holt. Leslie mustert mich mit hochgezogenen Brauen, als ich meine Hände um Craigs Arm lege und von unten zu ihm hochblinzele. »Hi.«
Er versteift. »Äh, hi, Heaven.«
»Wie geht’s?«
Als Leslie ihm sein Bud Light über den Tresen schiebt, macht Craig sich los. Mit beiden Händen umklammert er die Flasche. »Gut. Hör zu …« Seufzend streicht er sich über den Hinterkopf. »Ich weiß, dass du nichts dafür kannst, und die Folgen deines Unfalls es dich immer wieder vergessen lassen, aber … also, was uns betrifft …« Nach Worten suchend sieht er sich um, wobei er in Felicias Richtung sieht. Die hingegen steckt in einer hitzigen Unterhaltung mit Ash.
»Ja?«, hake ich nach.
Craig senkt den Blick auf seine Flasche und zupft am Etikett. »Wir sind nicht mehr zusammen, Heaven.«
Seine Worte schleudern mir einen Stein in den Magen. Fast schon flehend sehe ich ihn an. »Was, wenn ich das alles nicht will?«
Er verzieht das Gesicht. »Heaven.«
»Ich meine es ernst. Was auch immer passiert ist, Craig, es tut mir leid. Ich muss dumm gewesen sein. Völlig bescheuert. Bitte verzeih dieser alten Heaven, die vermutlich den Verstand verloren hat.«
Seine Züge nehmen einen grimmigen Ausdruck an, und er trinkt einen großen Schluck.
»Vielleicht können wir daran arbeiten«, rede ich schnell weiter. »Wir müssen nichts überstürzen, aber wir könnten es wieder aufbauen und …«
»Das muss grausam für dich sein, oder?«, fragt er leise und sieht mich an. »Alles, woran du dich erinnerst, hat sich verändert. Sogar deine einzigen Anker.«
Das Schlucken fällt mir schwer. »Du hast ja keine Ahnung.«
»Scheiße, Heaven«, murmelt er und fährt sich über das Gesicht. »Ich weiß nicht, okay?«
Kribbelnde Panik kriecht wie aufgewühlte Insekten in mir hoch. »Wir könnten Freunde sein. Und sehen, wie es sich entwickelt?« Am Ende des Satzes wandert meine Stimme eine peinliche Oktave höher. Craig hat recht. Es fühlt sich an wie ein Realitätsverlust. Als würde unter mir der Boden reißen und mich mit sich ziehen. Ich will meine Normalität zurück. Will mich zurück.
»Bitte«, füge ich leise hinzu, »ich vermisse dich, Craig.«
Auf seinen Wangen erscheinen rote Flecken, und ein Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht.
»Da«, flüstere ich und streiche zögerlich über seine Wange, woraufhin er leicht zusammenzuckt, »die kenne ich.«
Er hebt einen Mundwinkel. »Etwas Vertrautes, hm?«
Ich nicke.
Seufzend schließt er die Finger um mein Handgelenk und lässt es sinken. »Okay. Freunde. Und dann sehen wir weiter.«
»Wie niedlich«, murmelt eine raue Stimme, deren Besitzer sich hinter Craig lässig auf den Barhocker schiebt und Leslie sein leeres Glas hinstellt, bevor er mich ansieht. »So niedlich, ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte.«
Jetzt werden nicht nur Craigs Wangen rot, sondern sein ganzes Gesicht, einschließlich des Halses.
Unwohl schlinge ich die Arme um meinen Körper. »Verzieh dich.«
Helix wartet, bis Leslie ihm ein neues Root Beer gibt, dann hebt er prostend das Glas in meine Richtung. »Die Bar ist für jeden da, oder nicht?«
Wütend öffne ich den Mund, werde aber von einem klackernden Geräusch abgelenkt. In einem marineblauen Jumpsuit und passenden Heels stolziert meine Mutter durch das Zelt, schlängelt sich an den barocken Möbelstücken vorbei wie eine grazile Schlange und erreicht mich mit einem strahlenden Lächeln.
»Heaven. Liebling.« Sie drückt mich in eine feste Umarmung und vergräbt kurz die Finger in mein Haar, bevor sie sich von mir löst. »Wie fühlst du dich heute?«
In den letzten drei Jahren müssen meine Mutter und ich unsere Beziehung verfestigt haben. Vielleicht konnten wir uns aussprechen, oder sie hat verstanden, dass sie ihr aufgegebenes Leben nicht durch mich weiterführen kann. Irgendetwas muss passiert sein, denn früher waren wir nicht so eng.
»Gut.« Ich lächele, zucke aber zusammen, als ein hartes Geräusch durch die Luft schneidet. Helix hat seine Flasche auf den Tresen gehämmert und blickt grimmig geradeaus. Gott, der Typ hat gewaltige Probleme. »Warum bist du hier, Mom?«
»Wegen dir, Süße. Es gibt fantastische Neuigkeiten.«
»Ach ja?«, fragt Helix trocken. »Mir scheint, gerade ist alles einfach absolut fantastisch, nicht wahr, Mrs. Fairchild?«
»Allerdings«, entgegnet sie mit einem merkwürdig verkniffenen Lächeln. »Sicher wirst du das genauso sehen, wenn du erfährst, um was es geht.«
Craig will sich lächelnd davonstehlen, aber ich halte ihn am Arm zurück und bitte ihn stumm, zu bleiben. Unentschlossen wechselt er von einem Bein aufs andere, dann windet er sich aus meiner Berührung und schenkt mir ein weiches Lächeln. »Wir reden später.«
Helix kippt den Rest seines Drinks hinunter. »Feigling.«
Ich funkele ihn an. »Wenn du nichts Wichtiges zu sagen hast, solltest du den Mund halten.«
»Oh, ich hätte einiges Wichtiges zu sagen, Heaven, das dich brennend interessieren würde, wenn du nicht so verbissen beschäftigt damit wärst, mich hassen zu wollen.«
»Das nennt man Intelligenz.«
»Das nennt man Zeitverschwendung.«
Protestierend öffne ich den Mund, aber meine Mutter kommt mir zuvor. »Bitte, ihr zwei, lasst diese Sticheleien. Die könnt ihr nicht gebrauchen. Vor allem jetzt nicht, bei dem Ruf, den ihr bei den Fans habt. Sie lieben Heaven & Hell, und –«
»Heaven & Hell gibt es nicht mehr«, unterbreche ich sie.
»Den Himmel und die Hölle wird es immer geben«, hält Helix gegen, und wir beide starren uns nieder. Ich will ihm nicht die Genugtuung geben, er hätte irgendeine Macht über mich, indem ich zuerst wegsehe.
Mom seufzt. »Kommt Sonntag pünktlich in die Manege. Ich weiß, eigentlich wolltest du nicht hingehen, Liebling, aber es wird euch brennend interessieren, glaubt mir.«
»Euch?«, frage ich, während Helix mich weiterhin fixiert.
»Ja, euch«, wiederholt Mom strahlend. »Seid pünktlich.«
Damit rauscht sie ab, und mein Blick gleitet wieder zum Teufel.
»Was sage ich?« Grinsend nimmt er einen Schluck. »Himmel und Hölle lassen sich nicht vernichten.«
Es ist, als würde er sich mir unter die Haut brennen.
Helix
Seit ich das Los Angeles County Jail betreten habe, spukt ein und derselbe Gedanke in meinem Kopf herum: Das hier hätte dein Schicksal sein können. Langsam trommele ich mit den Fingern auf meinen Beinen herum, während ich die Insassen hinter den Glasscheiben beobachte. Mit was für verzweifelten Ausdrücken sie in die tränennassen Gesichter ihrer Gegenüber blicken, die sie vielleicht erst in einigen Jahren wieder berühren werden.
Vielleicht auch nie wieder.
Du hättest auf der anderen Seite neben ihnen sitzen können, denke ich. Du wärst jetzt einer von ihnen in den dunkelblauen Anzügen, nur irgendeine Nummer, vergessen für die Welt, wenn Mr. Fairchild nicht gewesen wäre. Und das alles wegen eines Typen, der deine Schwester ermordet haben soll. Genau der Typ, für den du heute hier bist.
Stoneys ruckartige Bewegung neben mir reißt mich aus den Gedanken. »Das ist er, oder?« Plötzlich streckt sie die Hand aus und krallt ihre Finger in mein Bein. »Elliott?«
Ich sehe hinab auf ihre verkrampfte Hand, die meinem Schritt verdammt nah ist, bevor ich das Kinn hebe und den Typen fokussiere. Das Haar kurz geschoren, die Augen hell wie der Ozean – Heavens Augen – schlurft Elliott hinter dem schmächtigen Gefängniswärter zur Telefonwand.
»Ja«, murmele ich, meine Stimme getränkt von düsteren Erinnerungen.
Ella, wie sie zugedröhnt in seinen Armen lag, während ihm Speichel aus dem Mund gelaufen ist. Sein hagerer Körper, das ausgemergelte Gesicht, das sich widerlich gleichgültig zu mir herumgedreht hat, als ich in ihr Zimmer gestürmt bin, bevor er sich seelenruhig eine Nadel in den Arm gestochen hat.
Elliott lässt sich in den Stuhl fallen und nimmt das Telefon aus der Halterung. Ich tue es ihm gleich, ohne den Blick von seinen Augen abzuwenden. Ihre Farbe ist das Einzige, das mich gerade davor bewahrt, den Verstand zu verlieren.
»Das Gefängnis steht dir«, begrüße ich ihn. »Siehst minimal weniger beschissen aus.«
Ein freudloses, schiefes Grinsen von ihm. Diese winzige Geste jagt mir durchs Mark wie Perlenblitze, die in einzelne Segmente meines Körpers einschlagen. Mein Herz, meine Seele. Denn es ist Heavens Grinsen.
»Ist mir auch eine Freude, dich zu sehen, Bastard.«
Stoney gibt ein entnervtes Stöhnen von sich und nimmt endlich ihre Hand von meinem Bein. »Okay, okay, schon klar«, sagt sie ins Telefon, »du, Helix, würdest ihn gern tot sehen, dafür, dass er deine Schwester gevögelt hat und du, Elliott, fantasierst von Hells Beerdigung, weil er dich und Ella auseinanderbringen wollte. Aber eure Neandertalertriebe sind nicht der Grund, warum wir heute hier sind, okay?«
»Also meine schon«, murmelt Elliott. »Wäre diese Wand nicht …«
Ich schnaube. »… würdest du deine einzige Chance darauf verlieren, je wieder aus dieser menschlichen Kloake rauszukommen.«
Meine Worte erzielen ihre Wirkung. Elliott verstärkt den Griff um den Telefonhörer, und seine Brauen wandern zueinander. »Wovon sprichst du?«
»Denkst du, wir sind hier, weil wir solche Sehnsucht nach dir hatten?«, frage ich.
»Meine Fresse, krieg dich wieder ein, Helix«, zischt Stoney. »Er ist auf unserer Seite, schon vergessen?«
»Trotzdem hat er Ella ruiniert«, knurre ich.
»Und was ist mit dir?«, entgegnet Elliott forsch. Inzwischen umklammert er das Telefon wie einen Baseballschläger und fletscht die Zähne. Wenn er es nicht schon vorher war, zweifle ich keine Sekunde daran, dass der Knast ihn dreckig hat werden lassen. Hier muss man sich beweisen, wenn man nicht mit einem verfickten Besenstiel im Arsch enden will. »Du hast meine Schwester nicht gehalten. Du hast sie fallen gelassen.« Das Zittern seiner Stimme untermalt jede Silbe. »Du hättest sie töten können.«
Zu sagen, das Herz zersplittert, klingt melancholisch schön.
Zu fühlen, wie das Herz zersplittert, ist wie ein Genickbruch der Seele.
»Du hast das mitbekommen?«, fragt Stoney.
»Natürlich habe ich es mitbekommen, verdammte Scheiße!« Die Wachmänner traktieren ihn mit drohenden Blicken, woraufhin Elliott kurz die Augen schließt und durchatmet. Als er sie wieder öffnet, weicht der Sturm darin einer mörderischen Ruhe. »Jede Zeitung hat das gebracht, es war in den Abendnachrichten, im …« Er stoppt sich, aber mir ist auch so klar, was er sagen wollte. Im Internet. Die Typen hier haben alle illegale Handys.
»Das ist jetzt nicht Thema«, sage ich erstickt.
Elliott bläht die Nasenflügel. »Ironisch, dass ausgerechnet der Kerl, der seiner Schwester immer versicherte, ich wäre ein lächerlicher Zirkusartist, der Kerl, der es gehasst hat, dass ich seine Schwester gedatet habe, der mir anschließend unterstellt hat, ich hätte seine Schwester getötet«, er holt tief Luft, »wenige Zeit später meinen Hauptact als Kraftakrobat übernimmt, meine Schwester datet und beinahe meine Schwester tötet, nicht wahr?«
»Da hat er nicht ganz unrecht«, murmelt Stoney.
Fest presse ich die Zähne zusammen und bohre meine Finger in die Oberschenkel.
Elliott wendet sich ab. Automatisch werden seine Gesichtszüge weicher, als er Stoney ansieht. »Also glaubst du mir?«
»Helix hat ein paar Dinge herausgefunden, die belegen, dass du es nicht gewesen sein kannst, und …«
Sein Blick schießt zurück zu mir. »Was für Dinge?«
Der Wachtmeister hinter ihm tut professionell desinteressiert, doch mir entgeht nicht, wie er immer wieder kurz in unsere Richtung sieht.
»Der Obduktionsbericht«, beginne ich mit gesenkter Stimme, »war gefälscht.«
»Das war mir von der ersten Sekunde an klar«, entgegnet Elliott und lehnt sich leicht nach vorne, wobei sein stämmiger Oberkörper das meiste hinter ihm abschirmt. »Schon während der Verhandlung, als es hieß, ich hätte sie verprügelt und meine DNA wäre in ihren Schrammen gefunden worden. Und nur meine Fingerabdrücke auf dieser scheiß Spritze? Ich soll ihr das Zeug gewaltsam in die Adern gejagt haben?« Das Lachen, das er ausstößt, ist getränkt von Teer. »Zu der Zeit war ich seit zwei Monaten clean, während Ella sich nicht unter Kontrolle hatte. Ich war kurz davor, mich deshalb von ihr zu trennen – und dann soll ich sie umgebracht haben?«
Ein Schauder rieselt über meine Wirbelsäule. Während Ella sich nicht unter Kontrolle hatte. Meine Schwester, die nicht aufhören wollte, ihre blumenübersäte Seele mit Gift zu düngen.
»Hör zu …« Säure breitet sich in meiner Kehle aus. »Ich denke, meine Eltern stecken tief in dieser Sache drin. Ich habe keine Ahnung, was genau sie getan haben, aber sie verheimlichen etwas. Und ich will herausfinden, was. Nur mit den nötigen Beweisen können wir dich hier rausholen.«
Elliott sieht mich lange an, doch sein Gesichtsausdruck ist nicht zu deuten. Schließlich öffnet er den Mund, atmet ein, stockt und sagt: »Deine Eltern haben Ella psychisch ausgeweidet, Mann.«
Langsam nicke ich. »Wie oft?«
»Was?«
»Wie oft haben sie sich getroffen?«
Er runzelt die Stirn. »Keine Ahnung. Ella ist oft abgehauen. Aber von den Malen, von denen ich weiß, ist sie mindestens einmal die Woche zu denen.«
Mindestens einmal die Woche. Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, wie gekonnt sie mir ins Gesicht gelogen hat. Wie überzeugend.
Was denkst du von mir, Helix? Diesen Menschen würde ich nicht mehr unter die Augen treten, selbst wenn sie mir jede Rolle dieses Planeten klarmachen würden. Diese Irre hat mich eingesperrt und Dad dich verprügelt. Sie sind für mich gestorben. Ella war eine hervorragende Schauspielerin. Sie hätte eine Ikonen-Zukunft in Hollywood vor sich gehabt.
»Noch fünf Minuten«, sagt der Wärter hinter ihm.
Elliott nickt knapp, bevor er Stoney fixiert. »Also, was ist euer Plan?«
Unsicher beißt sie sich auf die volle Unterlippe und sieht mich an. »Na ja, die Sache ist die …«
»Wir haben keine Anhaltspunkte«, sage ich.
Elliott starrt mich an. »Gar keine?«
»Nur einen, aber der ist kaum brauchbar.« Grimmig starre ich die Tischkante nieder. »Wir sollen Doktor Fitchbolton aufsuchen.«
»Und?«
Ich hebe den Blick. »Und die Person gibt es nicht.«
»Was?«
Stoney reibt sich über die Oberschenkel. »Wir haben das ganze Internet durchforstet. Alle, die wir kontaktiert haben, konnten nichts mit dem Namen anfangen. Aber der Informant meinte, sie würde Bescheid wissen.«
»Verstehe«, murmelt Elliott.
»Es gibt eine Krankenakte über Ella«, ergänze ich. »Aber die offiziellen Unterschriften und Ärztehäuser existieren nicht.«
Er runzelt die Stirn. »Wie geht das? Also, ich meine, was bringt es? Bei Nachforschungen …«
»… würden sie auf Eintragungen im Ärztenachweis stoßen, dass es sie definitiv gab«, unterbricht Stoney ihn. »Das hat Dave überprüft.« Diese Worte aus ihrem Mund hören sich jedes Mal grotesk falsch an. Das hat Dave überprüft. Dave. Dieser verjunkte, abgewrackte Sänger ist der Sohn eines bekannten Chirurgen und hat vor seinem Singer-Songwriter-Durchbruch nach America’s Got Talent ebenfalls Medizin studiert. Das ist so absurd. So eine verdammte Verschwendung. »Er hat seinen Dad gebeten, die Namen nachzuschlagen, und sie stehen wirklich in der Ärztekammer. Aber wir vermuten …«
»… dass die Einträge gefälscht sind«, presst Elliott zwischen den Zähnen hervor.
Ich nicke. »Genau wie alles andere.«
Nachdenklich tippt er sich den Daumen an die Lippen. Ein Mund, der Heavens so ähnlich ist, dass sich diese Tatsache wie ein Schraubstock um meine Kehle legt. Plötzlich driftet sein Blick ab.
»Oh, den Ausdruck kenne ich.« Neben mir richtet Stoney sich auf. »Was denkst du, Sherlock?«
Blinzelnd hebt er die Lider. »Es gibt da einen Ort, an dem Ella immer wieder war. In Bel Air. Oberflächlich wirkt es nicht verdächtig, aber ich erinnere mich, dass sie jedes Mal aufgewühlt war, wenn sie zurückgekommen ist.«
»Welcher Ort?«, frage ich mit pochendem Herzen.
Nachdenklich streicht er die Furchen in seiner Stirn glatt. »Irgendeine Freundin. Ella meinte, ihre Tante wäre eine arrogante Bitch, und sie hätte sich ständig mit ihr angelegt. Nur, weil ihre Affäre ihr für jeden Blowjob kostenlose Magenbänder anbietet, denkt sie, sie wär’s, hat sie einmal gesagt.« Er sieht von Stoney zu mir. »Vielleicht wäre das eine Anlaufstelle.«
»Ja«, murmelt Stoney genervt, »nur, dass wir nicht wissen, wer diese Deep-Throat-Tante war.«
»Doch, wissen wir«, sage ich leise mit rasendem Puls. »Aber das ergibt keinen Sinn.«
»Was meinst du?«, fragt Stoney.
Die blauen Anzüge der Insassen verschwimmen, während ich das Telefon fest an mein Ohr drücke. »Das ist Veronicas Tante.«
Elliott wirkt verwirrt. »Wer ist Veronica?«
»Ein Miststück«, zischt Stoney. Angewidert sieht sie mich an. »Warum sollte Ella zu ihr gehen? Sie hat sie gehasst.«
»Genauso wie meine Eltern, meinst du?«
Nachdenklich befeuchtet sie ihre Lippen. »Oh, Ells. Was hast du noch alles verheimlicht?«
Stirnrunzelnd legt Elliott einen seiner trainierten Arme um den Bauch und lehnt sich im Stuhl zurück, während er auf seiner Wange herumbeißt. »Ihr müsst dahin.«
»Zu Veronica?« Trocken lache ich auf. »Die Frau wird mir die Kehle aufschlitzen, nachdem ich vor ein paar Monaten ihren Ruf ruiniert habe.«
»Dann eben so, dass sie davon nichts mitkriegt.«
Ich starre Heavens Bruder an. »Du willst, dass ich da einbreche?«
Er hebt einen Mundwinkel. »Kriminell hat dich noch nie gestört, oder, Winchester?«
»Jetzt schon«, antworte ich und verenge die Augen.
»Ach, echt?« Leicht beugt er sich vor. »Was hat sich geändert?«
Ich halte seinen Blick. »Deine Schwester.«
Das Grinsen auf seinem Gesicht weicht einer angespannten Fratze. Es vergeht eine Weile, in der niemand von uns etwas sagt und Stoney neben mir unruhig auf ihrem Stuhl herumrutscht. Schließlich …
»Wenn ich herausfinde, dass du mit ihr spielst«, droht er leise, »bringe ich dich um, kapiert?«
Auch ich lehne mich vor. Jetzt berühren unsere Nasenspitzen fast das Glas zwischen uns. »Ich würde lieber sterben, als ihr wehzutun.«
Seine Nasenflügel blähen sich auf. Dann entlässt er kaum hörbar den Atem. »Weiß sie es?«
»Was?«
Kurz senkt er das Kinn zur Brust, um auf sich selbst zu deuten. »Weiß Heaven, dass ich unschuldig bin?«
Schaurige Krallen reißen über meine Eingeweide. Mein Griff um das Telefon verstärkt sich, obwohl meine Finger kalt und steif werden. Plötzlich spüre ich wieder Stoneys Hand auf meinem Oberschenkel. Sanft drückt sie zu, bevor sie mir die Antwort abnimmt.
»Sie wusste es.«
Elliotts Blick schießt zu ihr. »Wusste?«
»Na ja …« Stoney sieht kurz zu mir, bevor sie bedauernd die dunklen Brauen zusammenzieht und zarte Kreise mit ihrem Daumen an meinem Knie malt. Ich bin nicht imstande, mich zu rühren. »Ihre letzten Erinnerungen liegen drei Jahre zurück, und in denen bist du …«
»Noch da«, ergänzt er erstickt, und Stoney nickt. Dann wendet er sich wieder zu mir. »Wieso hat es ihr keiner gesagt?«
»Haben wir«, entgegne ich knapp. »Aber inzwischen ist klar, dass Heaven gewisse Dinge sofort wieder vergisst. Ihr Gehirn kann die Information nicht behalten. Die Ärzte meinen, es sei eine Folge gewisser Traumata zu … zu bestimmten Themen.«
Der Kiefer ihres Bruders ist zum Brechen angespannt. »Was für Themen?«
Unschlüssig öffne ich den Mund, schließe ihn wieder.
»Dinge, die sie vor dem Unfall belastet haben«, sagt Stoney schließlich.
Aufgebracht fährt Elliott sich über das abrasierte Haar. »Also ich«, er hebt den Blick, »und du?«
Zähneknirschend nicke ich. »Ihr wird wiederholt erzählt, was vor dem Unfall alles passiert ist, aber Heaven vergisst nach kürzester Zeit alles. Es soll an einer Kombination aus körperlichen und psychischen Traumata liegen, ein paar … ein paar unschöne Dinge, die vor dem Auftritt ans Licht gekommen sind, der Verrat ihrer besten Freundin, eurer Mutter …« Die Wette. Kurz schließe ich die Augen. »Die Ärzte meinten, der Gedächtnisverlust dient als Schutzmaßnahme ihres Geistes vor der emotionalen Last und den schmerzhaften Erinnerungen.«
Tief durchatmend wischt Elliott sich über das Gesicht und blinzelt gen Decke. »Und wird sie sich je erinnern?«
Meine Antwort dauert eine gefühlte Ewigkeit. Zwei kollidierende Planeten, Seele gegen Herz. »Vielleicht.«
Im nächsten Moment tritt der Wachtmeister neben ihn. »Ihre Zeit ist um. Verabschieden Sie sich.«
Langsam nickt Elliott. Seine Knöchel werden weiß, so fest umklammert er das Telefon. »Da ist noch etwas, das ihr wissen solltet.« Abwartend sehen Stoney und ich ihn an. Er kneift die Lippen zusammen, unter den Bartstoppeln hüpft sein Adamsapfel. »Etwas, das weder im Obduktionsbericht stand, noch je im Prozess erwähnt wurde.«
Mein Puls beschleunigt. »Was meinst du?«
»Legen Sie nun auf«, drängt der Wächter.
Während Elliott den Stuhl zurückschiebt und sich erhebt, sagt er: »Ella war schwanger.«
Dann hängt er das Telefon ein, dreht sich um und verschwindet.
Heaven
»Wir sollten ihre Haare eindrehen«, murmelt Savannah, während Alexis die rechte Hälfte meines Gesichts, auf der über Nacht violette Blessuren entstanden sind, mit Camouflage überschminkt. »Craig liebt das.«
Im Spiegel erkenne ich, wie ein Muskel an Alexis’ Kiefer zuckt. Und auch ich wundere mich.
»Seit wann kannst du ihn ab?«
Sav positioniert sich hinter mich und meidet meinen Blick im Spiegel. Stattdessen kämmt sie mein Haar durch und schnappt sich das Glätteisen. »In den letzten drei Jahren ist viel … passiert.«
»Craig und Heaven sind Vergangenheit«, entgegnet Enola, die fieberhaft auf ihrem Handydisplay herumscrollt. Ihre Worte versetzen mir einen Stich, den niemand außer mir zu bemerken scheint. »Hey, wisst ihr, warum Pawel in letzter Zeit immer wieder Videos mit Felicia hochlädt?«
Pawel ist unser bester Tänzer und Felicia die Equilibristin des Sky Circus. Sie präsentiert Kunststücke auf einem Brett, das auf einem Zylinder balanciert, oder indem sie sich in einem rotierenden Reifen hält, auf Stühlen, Türmen, allem Möglichen.
»Keine Ahnung.« Savannah steckt das Glätteisen in die Steckdose meines Trailers und dreht meine Spitzen ein. »Ich dachte, zwischen ihr und Craig geht was?«
Ich zucke so abrupt zusammen, dass das Glätteisen schmerzhaft gegen meinen Nacken drückt.
»Heav!«, murmelt Sav tadelnd, »pass auf, sonst röste ich dich wie ein Stück Fleisch auf dem Grill. Würde sicher himmlisch schmecken und Hawk ein äußerst willkommener Schmaus auf seiner Horrorparty sein, aber ich bezweifle, dass du mit einem Loch im Nacken …«
»Was ist mit Felicia und Craig?«, unterbreche ich sie.
Seufzend packt Alexis das Make-up beiseite, legt einen Finger unter mein Kinn und mustert mein Gesicht von allen Seiten. »Vor deinem Unfall lief da was.«
»Wie bitte?«
»Mehr oder weniger.« Enola sperrt ihr Handy und verschränkt die Arme vor ihrer dunkelroten Robe. Die Kleiderordnung in Hawks Einladungskarte, von der ich immer noch nicht weiß, ob sie mit Blut oder Traubensaft besprenkelt ist, war ausdrücklich: nur düstere Kameraden sind willkommen. Artisten, deren Kleidung Freude verströmen, landen im Höllenfeuer. Die Keywords waren: Roben, Kapuzenmäntel, Goth-Outfits. Als Inspo nannte Hawk: der Sänger von Måneskin, Voldemort, Batman oder Marilyn Manson. Edward mit den Scherenhänden sei auch nicht verkehrt, aber mit Scheren dürfen wir nicht an den Orgien teilnehmen – aus Sicherheitsgründen.
»Es war so ein On-Off-Ding«, erklärt Savvy, dreht die letzte Strähne aus und legt mein Haar über die Lederjacke. Sie geht mir bis über die Knie, weil ich sie mir von Dexter Shadow geliehen habe. Darunter trage ich nur einen schwarzen Body, von dem ich keine Ahnung habe, woher er stammt. Aber er ist hübsch, mit Rüschen an den Trägernähten und offenem Rücken. Sav schaltet das Glätteisen aus und überprüft ihren knallroten Lippenstift im Spiegel, indem sie die Lippen spitzt, sich dann grinsend vorbeugt und ihr Spiegelbild küsst – wobei sie einen dicken roten Abdruck hinterlässt. »Aber wenn Pawel jetzt was mit ihr postet, scheinen sie nicht mehr aktuell zu sein, was bedeuteeet«, sie fasst mich an den Schultern und wirbelt mich zur Tür, »du hast freie Bahn.«
»Sav«, murmelt Alexis genervt, »muss das sein?«
»Es geht darum, was sie will«, entgegnet meine beste Freundin, »und wenn das Craig ist, unterstütze ich sie in ihrer Entscheidung.«
»Aber sie will ihn doch nur, weil sie nicht weiß, was …«, setzt Enola an, doch Sav unterbricht sie, indem sie die Tür des Trailers aufstößt, die Faust in die Luft reckt und einen jauchzenden Laut von sich gibt.
»Party!« Sie zieht mich mit sich die Treppe runter. »Wo bist du, Skullhead? Ich will deinem Raben gratulieren, ein weiteres Jahr mit dir überlebt zu haben!«
»Ach. Du. Scheiße«, murmelt Enola und bleibt wie angewurzelt stehen. Und auch ich stocke, als ich den Blick über unser Sky Valley schweifen lasse. Das Zirkusdorf hat sich in das Schattenland von König der Löwen verwandelt. Oder in die Hölle? Letzteres wäre passender, wenn man bedenkt, dass der Teufel höchstpersönlich mit einem roten Becher neben der großen Feuerstelle steht. Ganz in Schwarz gekleidet – ärmelloses Shirt, Cargohose, Docs – starrt er in die Flammen, deren Schatten über sein makelloses Gesicht lecken. Neben ihm steht ein Mädchen in einem dunklen Mantel. Ich kann ihr Gesicht nicht erkennen, weil die weite Kapuze ihr Profil verdeckt. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und flüstert ihm etwas ins Ohr. Helix hebt einen Mundwinkel und nickt. Dabei legt er ihr in einer kurzen Bewegung die Hand an die Hüfte und führt sie zum Sky Snookers, aus dem zwei Gestalten wanken, die verdächtig nach Stripper aussehen. Als Helix über die Schulter zurücksieht, wende ich mich ab und gebe vor, die Dekoration zu mustern.
»Verrückt«, murmelt Alexis in dem Moment. »Ab-so-lut verrückt.«
Im Stillen gebe ich ihr recht. Überall sind Kerzen in ausgehöhlten Totenköpfen, schwarze Tücher, die sich von Trailer zu Trailer spannen, und der Boden ist übersät von Knochen. Ich will lieber nicht wissen, ob sie echt sind. »Habt ihr Craig schon gesehen?«
»Oder Pawel?«, fragt Enola.
»Nope«, sagt Alexis. »Aber bei Felicia ist er nicht.«
»Woher weißt du das?«
»Weil sie gerade mit Ash ins Sky Snookers geht.« Savannah deutet auf meine Konkurrentin, die in ihrem düsteren Kleid aussieht wie ein böses Schneewittchen, und das Mädchen mit dem schwarzen Bob neben ihr. In killerhohen Heels, in denen ich mir definitiv den Hals brechen würde, stakst Ash über die Knochen hinter Helix und seiner Begleitung her.
»Lasst uns auch reingehen«, schlägt Savannah vor und geht voran. Die anderen folgen ihr, aber ich bleibe abrupt stehen.
»Geht ihr nur. Ich sehe mir, äh, das da hinten genauer an.« Unwirsch deute ich auf eine Gruppe von Leuten, die um einen Kreis aus Kerzen herumsteht und mit düsteren Gesichtern ins Nichts starrt. »Vielleicht finde ich Hawk.«
Sav hebt eine Hand. »Wenn du ihn siehst, sag ihm, ich hätte ihm seinen Wunsch erfüllt, von meinem Blut zu kosten, aber letzte Nacht hat sein Rabe meine Treppe vollgeschissen, und jetzt werde ich stattdessen sein Blut fordern.«
»Okay.«
Es ist August und die Luft noch brütend warm, sodass die Lederjacke mir jetzt schon auf dem Rücken klebt. Wenigstens ist sie ärmellos, auch wenn ich wahrscheinlich aussehe wie eine Verbrecherin. Das Zirpen der Grillen wird übertönt von dem röhrenden Heavy Metal, der über den Platz schallt. Ich hasse diese Musik. Wieso kann es nicht wenigstens Elvis Presley sein, wenn hier schon Totenknochen rumliegen?
Ich stelle mich neben Brandon, der eine Kerze in den Händen hält und ebenfalls an diesem schaurigen Kreis steht. »Hi, Bran.«
»Oh, hey!« Er lächelt. »Willst du mitmachen?«
»Kommt drauf an.« Skeptisch blicke ich in die anderen Gesichter. Sam, der blonde Hochradkünstler, wirkt mit flatternden Lidern seltsam weggetreten, während Yasin, unser Feuerkünstler, mit brennenden Zündhölzern um den Kreis herumschleicht und zischende Laute von sich gibt. Neben ihm starrt Kujo wie ein Leichenbeschwörer ins Feuer, und ein Schauder überkommt mich. »Was macht ihr hier?«
»Wir beschwören Belial.«
»Was?«
»Ah, Zuckerpuppe«, ertönt da eine Stimme hinter mir. Im nächsten Moment legt Hawk eine Hand um meine Schulter und grinst mich mit seinem Totenkopflächeln breit an. »Ich habe damit gerechnet, dich zu treffen.«
»Warum?«
»Belial könnte dir helfen, deine Erinnerungen zurückzugewinnen.«
Ich verdrehe die Augen. »Hör auf.«
»Ich mein’s ernst.«
»Ach ja?«, grunze ich, kann aber nicht leugnen, dass er mich am Haken hat. Verdammt! Dieses bescheuerte Skelett. »Und was soll ich deiner Meinung nach dafür tun, diesen bellenden Igel herzuholen?«
»Belial«, korrigiert er und drückt mir eine Kerze in die Hände, »kommt, wenn du gewisse Rituale einhältst.«
»Hawk …« Brandon tritt einen Schritt näher an mich heran. »Ich glaube nicht, dass sie schon in der Verfassung …«
»Heaven ist stärker, als du denkst«, entgegnet er forsch, ohne den Blick von mir abzuwenden. »Also«, fügt Hawk hinzu, in den grauen Tiefen ein erwartungsvolles Funkeln, »bist du dabei?«
Mein Mund geht auf. Wieder zu. Auf. Und …
»I… ich denke schon.« O mein Gott, Heaven, bist du jetzt von allen guten Geistern verlassen? Offensichtlich. Nervös lache ich. »Passiert eh nichts, oder?«
Hawk schnaubt nur belustigt. »Zuerst ein Blutopfer.«
»Was?«
»Yasin!«, bellt Hawk, und der Feuerkünstler hält sofort inne, Sam mit seinen Feuerstäben zu umtänzeln wie ein billiges Rumpelstilzchen. »Die Mücken!«
In mir macht sich eine ungute Vorahnung breit. »Mücken?«
Im nächsten Moment reicht er Hawk eine Schale, randvoll gefüllt mit den widerlichen Biestern.
Entsetzt starre ich auf die toten Insekten. »Woher hast du die?«
»Was soll ich sagen?« Hawks Grinsen wirkt schaurig. »Ich ziehe Teufelszeug magisch an, Zuckerpuppe.« Er sieht über mich hinweg und kurz gerät sein Grinsen ins Wanken. »Was sage ich?«
Seinen Worten folgt ein intensives Kribbeln in meinem Nacken. Ich wirbele herum – und begegne Helix’ intensivem Blick. Die Schädelseiten sind kurz geschoren, doch ab dem Übergang sind seine schwarzen Haare wild wie tote Wälder. In seinem Ohr blitzt ein Ring und am Handgelenk trägt er ein Mondsteinarmband.
Er sieht zu Hawk – das Gold plötzlich dunkel wie Obsidian. »Was machst du mit ihr?«
»Nichts, was du nicht auch wollen würdest, mein dunkler König.«
Helix verengt die Augen. »Willst du mich verarschen?«
»Bei der Hölle«, sagt Hawk ernst und drückt sich schockiert die freie Hand gegen die Brust, »verarschen? Den Teufel?«
»Er will Belial rufen«, murmelt Brandon. »Nur Quatsch.«
»Kein Quatsch«, schießt Hawk bedrohlich zurück.
»Hawk«, knurrt Helix. »Lass den Scheiß.«
»Mhmm.« Plötzlich nimmt der Skelettartist eine der Mücken zwischen Daumen und Zeigefinger und lässt sie vor seiner Nase baumeln. Er fokussiert sie und beginnt zu schielen. »Belial wird enttäuscht sein zu hören, dass sein Daddy ihn nicht wollte.« Eine Gänsehaut rinnt mir über die nackten Arme, als Hawk sich die verdammte Mücke in den Mund schiebt und genüsslich schluckt. »Du willst den vierten Kronprinzen der Hölle doch nicht verärgern, oder?«
»Heaven.« Helix’ greift nach meinem Arm. »Komm.«
Diese zwei Worte sind es, die mich aus meiner Starre reißen. Heaven, komm? Was denkt er, wer er ist? Als hätte er irgendwelche Ansprüche auf mich.
»Bin ich dein Hund?«
Er presst die Lippen zusammen.
Mit gerecktem Kopf sehe ich zu Hawk. »Was muss ich tun?«
Zufrieden grinst er. »Nimm dir eine und schmore sie über einer Kerze.« Als ich das Gesicht verziehe, verdreht er die Augen. »Sie sind schon tot, Mutter Theresa.«
Ein Schauer überkommt mich, als ich mir eine aus der Schale nehme und vor dem Pentagramm in die Hocke gehe.
»Heav«, raunt Helix wieder. »Du kriegst Albträume von dem Scheiß.«
Ich grunze. »Die habe ich eh.« Innerhalb von Sekunden verschlingt das Feuer die Mücke. So muss es mit meinen Erinnerungen gewesen sein.
Gedanken von eintausendfünfundneunzig Tagen, gefressen in Sekunden.
»Brav«, gurrt Hawk, und ich zucke zusammen, als ich spüre, wie nah er mir plötzlich ist. »Jetzt ein Gegenstand. Etwas, das dir persönlich wichtig ist, um deine Hingabe zu zeigen.«
Zögerlich wandert meine Hand zu meinem Hals. Die Kette mit den sieben Opalen liegt schwer auf meiner Brust. Ich kann mich nicht erinnern, woher ich sie habe, dafür aber spüren, wie viel sie mir bedeutet.
Sie gibt mir Kraft.
Hinter mir ertönt ein erstickter Laut. Ich drehe den Kopf und realisiere, dass es Helix gewesen sein muss. Seine markanten Züge wirken beinahe gebrochen, als er die Hände zu Fäusten ballt.
»Nicht«, flüstert er.
»Keine Sorge«, sagt Hawk. »Sie kriegt sie wieder.«
Langsam wende ich mich von Helix ab und nehme die Kette ab. Das fehlende Gewicht wiegt schwerer als die sieben Steine zusammen. Vorsichtig lege ich sie in die Mitte des Pentagramms.
Anerkennend nickt Hawk, zieht mich zurück auf die Beine und drückt mir etwas in die Hand. »Hier, lies diese Seite aus dem Grimoire vor, wenn ich die Sigille platziert habe. Drei Mal. Brandon!« Der Kraftakrobat zuckt zusammen, als Hawk ihn anspricht und ihm im nächsten Moment eine Schale in die Hand drückt. »Kümmere dich um ihren Schutzkreis.«
»Wird das nicht langsam lächerlich?«, spottet Helix.
»Lass ihn doch«, fahre ich ihn an. »Es ist sein Geburtstag, oder?«
Helix presst die vollen Lippen zusammen, bis das Blut darin schwindet. Ich erschrecke, als in meinem Kopf Bilder auftauchen, wie mein Mund auf seinem liegt und das Blut in erschreckender Präsenz zurück ist, nachdem ich mich von ihm löse.
Die Lippen rot und geschwollen.
Die Augen voller Begehren.
Die Herzen erhitzt wie elektrisierte Wolken.
Keuchend wende ich mich ab, gerade als Brandon den Salzkreis um mich schließt und Hawk die letzten okkulten Symbole um das Pentagramm platziert.
»Sam«, er deutet auf einen Spiegel. »Und Yasin?« Er sieht sich um, doch der Feuerkünstler ist längst dabei, seine Stäbe zu entzünden. Dabei flüstert er merkwürdige Laute und zieht wieder seinen Rumpelstilzchenmist durch, indem er um das Pentagramm schleicht.
Schließlich nickt Hawk mir zu. In meinen Fingern zittert das alte Buch, genau wie meine Stimme, als ich anfange, die Beschwörung vorzulesen.
Ich muss mir das Lachen verkneifen, aber die düstere Stimmung um mich herum, die ernste Aura der anderen und vor allem diese verdammten Totenschädel überall machen das hier verdammt gruselig.
»Oh mächtiger Belial, Prinz der Dunkelheit und Täuschung,
ich rufe dich an mit Blut und Opfer,
aus den Tiefen der Hölle erhebe dich und höre mein Flehen,
im Austausch für meine Seele, gewähre mir Macht.«
Im nächsten Moment wabert dichter Rauch durch die Luft. Schwarze Tücher zischen um mich herum, reflektieren sich im Spiegel, und dann blitzt ein schauriges Dämonengesicht dazwischen auf.
Kreischend lasse ich das Grimoire fallen und taumele rückwärts. Die schwarzen Tücher fliegen direkt vor mein Gesicht und hüllen mich ein. Ich schreie, schlage um mich, verheddere mich aber mit den Armen. In der nächsten Sekunde stoße ich mit dem Rücken gegen etwas Hartes.
»Hab dich«, raunt jemand an meinem Ohr, ein fester Arm um meinen Körper geschlungen. Ich verschlucke meinen Atem, der Puls rauscht mir in den Ohren. Auf einmal brüllt dieselbe Stimme, die gerade noch sanft und beruhigend geklungen hat, in schauriger Intensität über den Platz. »Noch eine Bewegung mit deinen gottverdammten Tüchern, Dexter, und ich schwöre, ich schneide dir die Arme ab!«
Sofort verschwinden die schwarzen Stoffe. Blinzelnd sehe ich mich um. Brandon mustert mich besorgt, während Kujo meine Panik offensichtlich freudige Erregung verschafft, so abfällig, wie er lacht. Und da ist noch … Yasin. Nur, dass über seinem Kopf eine beschissene Dämonenmaske sitzt.
Verflucht noch mal!
»Bist du okay?« Helix’ warmer Atem streift mein Ohr. »Atme, Heaven. Ruhig.«
Nickend kneife ich kurz die Augen zu. Jeder Blick gehört ihm, während er zum Pentagramm geht. Er tritt eine Kerze beiseite und ihren Docht aus, bevor er sich nach meiner Kette bückt. Im nächsten Moment reißt er Yasin die Maske vom Kopf und schleudert sie hinter einen der Wohnwagen.
»Hell«, beginnt Hawk, doch weiter kommt er nicht, denn Helix schneidet ihm das nächste Wort mit einem Aufwärtshaken ab. Ungesund knirschend trifft er Hawks Kiefer, dann packt er ihn am Kragen seines Goths-Mantels.
»Noch einmal«, knurrt er. »Jagst du ihr noch ein einziges Mal so eine Scheißangst ein, schwöre ich dir, dass du nie wieder glücklich wirst.«
Hawk wankt, als er ihn von sich stößt. Grimmig spuckt er Blut auf den Boden und reibt sich den Kiefer. »Fuck, okay, das habe ich verdient.« Sein glühender Ausdruck begegnet meinem schockierten. »Sorry, Zuckerpuppe. Dachte, du könntest das witzig finden.«
Ich öffne den Mund, doch schon schiebt sich Helix breite Statur vor mich. Düster sieht er auf mich hinab – und ich kann nicht verhindern, was als Nächstes passiert: Mein Herz hüpft mir aufgeregt in die Kehle.
Seine Knöchel sind aufgeplatzt. Das Blut streift über mein Schlüsselbein, als er die Kette um meinen Hals legt. Dabei fährt sein Atem über meinen Hals. Ich schließe die Augen und erschaudere. Im nächsten Moment liegen seine Handflächen an meinen Wangen. »Sieh mich an.«
Zitternd ausatmend hebe ich das Kinn.
»Gott Heaven«, murmelt er, mustert jeden Zentimeter meines Gesichts und stößt die Luft aus. »In dir lebt der Ozean.«
»W… was?«
»Unendliche Weiten. Dunkle Tiefen. Manchmal gehen Dinge unter Wasser verloren.« Die Schwielen seiner Haut streichen rau über meine Wangenknochen und lösen einen Vulkan in mir aus. Wie geht das, wenn ich der Ozean bin? Wie kann dann diese höllische Lava in mir explodieren, wenn er mich berührt? »Aber sie tauchen immer wieder auf. Überall flüstert Licht, und wir warten, bis die Sonne diese beschissenen Schatten vertreibt und alles wieder auftaucht. Okay?«
Überrascht öffne ich den Mund. Doch ohne eine Antwort abzuwarten, zieht er mich hinter sich her zum Sky Snookers. Und ich bin noch überraschter, weil ich es zulasse.
Heaven
Wenn ich gedacht habe, das Zirkusdorf wäre das Schattenland, hat sich hier im Sky Snooker der verdammte Elefanten-Friedhof ausgebreitet. Mir fällt die Kinnlade hinab, als ich mich in unserem Gemeinschaftszelt umsehe. Das einzig Gewohnte ist Leslie, heute in einem ledernen Domina-Fetzen, die hinter der Bar herumwirbelt und einen Gast nach dem anderen bedient, während sie immer wieder sehnsüchtig zu den Strippern sieht.
Ja, wirklich. Stripper. Hier. Im Zirkusdorf. Ich würde meinen Arsch darauf verwetten, dass meine Eltern nichts davon wissen, und das muss schon was heißen, denn wenn ich eines an mir wirklich liebe, dann meinen Hintern. Aber, Gott, weder Mom noch Dad hätten das hier jemals genehmigt. Es ist Hawks verdammtes Glück, dass sie dieses Wochenende in Orlando sind, um Gespräche für die nächste Tour zu führen.
»Ach du Scheiße«, hauche ich, als einer der halb nackten Stripper die kichernde Savannah auf die Bühne zieht. Der geleckte Kerl drückt sie auf den Diwan und fängt an, in seinem Männertanga vor ihr herumzuwackeln. Im nächsten Moment landet die unschuldige Enola neben ihr. Die Pausbäckchen glühend rot und ihr Blick verstört, während sich vor ihr der andere Stripper positioniert. »Hat der … hat der einen Elefantenrüssel über seinem …«
»Schwanz?« Trocken sieht Helix zu den Tänzern. »Yep.«
»Ach du Scheiße«, wiederhole ich.
Mit einem zuckenden Mundwinkel neigt er den Kopf. »Schockiert?«
»Etwas.«
Kurz lacht er auf, bevor er wieder ernst wird. »Alles okay?«
Im ersten Moment will ich bejahen, bis mir ein Gedanke durch den Kopf schießt: Ich stehe hier mit Helix, dem Typen, der mich beinahe auf dem Gewissen gehabt hätte. Dem Typen, weshalb scheinbar meine dreijährige Beziehung in die Brüche gegangen ist. Und jetzt sind wir hier, in einem Partyzelt, und führen ein normales Gespräch.
Ist wirklich alles okay mit mir?
»Keine Ahnung«, antworte ich.
So, wie er mich mustert, weiß er genau, was in mir vorgeht. Doch im nächsten Moment fixiert uns ein Mädchen und hebt ihren Becher in unsere Richtung.
»Wenn du das nächste Mal abhaust, lass mich nicht mit diesem Zauberer allein.« Sie schiebt sich vom Hocker und kommt auf uns zu. Als ich ihr Gesicht erkenne, weite ich die Augen. Ich kenne sie. Jeder in Amerika kennt sie. Sie spielte die Hauptrolle in Teen High. Zusammen mit Elliotts Freundin.
Die Art, wie sie sich an Helix klammert, hat etwas Besitzergreifendes an sich, und wie sie dann zu ihm hochblinzelt, lässt in mir den Wunsch aufkeimen, Craig wäre hier und ich könnte dasselbe tun.
»Er wollte, dass ich mich in seine Kiste lege.«
»Mikhail hat seine Kiste hergeschleppt?«, fragt Helix.
»Ja, und du hättest beinahe dafür gesorgt, dass er mich darin zersägt, aufbewahrt und meine Gedärme vergammeln lässt.«
»Mikhail ist nicht Ted Bundy.«
»Weißt du das?«, fragt sie. »Er …«
»Du bist Estefania Esteban«, entfährt es mir, und sie hält inne. »Du …« Ich kann nicht aufhören, diese schwarzhaarige Schönheit anzustarren. »Du hast in Teen High mitgespielt.«
Ihr perplexer Ausdruck wird zu einem verkniffenen Lächeln. »Überraschung.«
»Was machst du hier?« Ich blinzele. »Bist du eine Freundin von Hawk?«
Sie atmet ein, aber nicht aus. Kurz blickt sie zu Helix, zieht die Brauen zusammen und murmelt: »Oh Mann.«
»Ja«, sagt er.
Ich sehe von ihr zu ihm und zurück. »Das ist … verrückt. Seid ihr zusammen?«
»Nein«, entgegnet Helix, genau in dem Moment, in dem Estefania »waren wir mal« antwortet.
Sie befeuchtet ihre glossierten Lippen. »Willst du ein Autogramm?«
»Ich …«
»Stoney«, mahnt Helix.
Sie verdreht die Augen. »Chill. War nur ein Witz.«
Helix windet sich aus Estefanias Berührung und klopft auf den Tresen. Gerade schiebt Leslie einen Drink über den Tresen, den Pawel dankend entgegennimmt, dann wirbelt sie zu uns herum. »Immer ein Vergnügen, dich zu sehen, Helix.«
Er grinst schief. »Dir kriecht Sarkasmus aus den Poren, Les.«
»Wenigstens kein schwarzes Blut, nicht wahr?« Als Helix die Stirn runzelt, setzt sie nach: »Für all deine verräterischen Momente, in denen du ertrinkst. Deshalb könnte ich drauf wetten, noch ein Drink wäre zu viel.«
Das Grinsen auf seinem Gesicht wird kalt. »Für Heaven.«
»Ja, ich hätte drauf gewettet, dass es um Heaven ging«, zischt sie beinahe zähnefletschend.
Argwöhnisch gleitet mein Blick zwischen die beiden. »Was ist hier los?«
Helix schweigt, und Leslie dreht sich zu mir. In dem schummrigen Licht wirkt ihr kurzes pinkes Haar beinahe violett. »Nichts«, sagt sie langsam. »Persönliche Differenzen. Also, was möchtest du?«
»Oh, ich trinke nicht«, murmele ich. »Zumindest kein …«
»Eine Traubenschorle«, sagt Helix.
Ich stocke. »Woher …?«
Schnaubend wirbelt Leslie herum und knallt ihm in Windeseile ein Glas vor die Nase. »Du hast Glück, dass ich sie liebe«, knurrt die Barkeeperin. Der Teufel scheint auch bei meinen Freunden nicht beliebt zu sein. Mit Sicherheit können sie ihm ebenfalls nicht verzeihen, mich nicht gehalten zu haben.
Helix übergeht das und reicht mir die Schorle. »Weil ich dich kenne.«
Wieder blitzen die Videoclips vor meinem inneren Auge auf. Gemeinsame Momente, an die ich mich nicht erinnern kann. Da ist immer nur Craig, an den ich mich erinnere. Wenn ich an das kribbelnde Gefühl in der Magengegend denke, sehe ich uns beide auf diesem Diwan da hinten, auf dem Savvy gerade ihre Titten an einem Lederschwanz reibt.
Langsam nehme ich ihm die Traubenschorle aus der Hand. »Danke.«
Er nickt. Danach geht er einfach um die Bar herum und schnappt sich ein Root Beer. Les wirft ihm einen mörderischen Blick zu, sagt aber nichts.
»Weißt du«, murmelt Estefania, während sie ihn dabei beobachtet, wie er den Flaschendeckel mit einem einzigen, ruckartigen Schlag auf die Tresenkante entkorkt, »du bist wirklich ganz anders als dein Bruder, aber es ist erschreckend, wie ähnlich Elliott dem Typen ist, den du vergötterst.«
Ich starre sie an. »Wie bitte?«