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"Gestern wär die Oma hundert Jahre alt geworden, aber wenn die damals nicht gestorben wär, dann wär die heute auch nicht mehr am Leben." Die Geschichten von Markus Orths lassen sich lesen als eine herrlich pointierte Hommage an den Ton und die Sprache seiner Herkunftsregion, an den Menschenschlag – und vor allem an seine Großmutter, ihre Eloquenz und die Originalität ihres mündlichen Erzählens. Und doch sind sie viel mehr als das: Sie sind nicht weniger als eine augenzwinkernde, literarisch geschliffene Liebeserklärung an das Leben überhaupt, an seine unfreiwillige Komik und die grotesken Blüten, die es mitunter treibt. Mit feinem Hintersinn, einer guten Portion schwarzen Humors, voller skurriler Begebenheiten und kurioser Dialoge, und nicht selten am Rande der Absurdität balancierend: So kommen sie daher, die Erzählungen dieses Sammelbandes – und bereiten ein geistreich-witziges Lesevergnügen im besten Sinne des Wortes.
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Seitenzahl: 92
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Markus Orths
Aber sonst
geht es mir gut
Humoresken
ars vivendi
Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (1. Auflage Februar 2018)
© 2018 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Bauhof 1,
90556 Cadolzburg
Alle Rechte vorbehalten
www.arsvivendi.com
Lektorat: Dr. Felicitas Igel
Umschlaggestaltung: ars vivendi verlag unter Verwendung einer Illustration von
© Marc Guerra, www.marc-guerra.com
Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag
eISBN 978-3-86913-898-5
Inhalt
Vier Stunden im Garten gelegen
Das große O
Aber sonst geht es mir gut
Wir haben immer was zu tun
Achtzehn Flaschen Wein
Die rote Sau lässt sich raus
Der Tanz der weißen Buchstaben
Kleiner Gruß aus der Küche
Bei uns liegen Sie richtig
Kleines Feuer gegen die Finsternis
Textnachweis
Der Autor
Vier Stunden im Garten gelegen
Für meine Großmutter Elisabeth Orths
»Vier Stunden im Garten gelegen«, sagte meine Mutter, und ich konnte es kaum glauben, denn seit Jahren predigte ich ihr, sie solle mal was für sich tun, mal an sich denken, ihr ganzes Leben lang nur für andere dagewesen, nie für sich selbst, ihr ganzes Leben nur um andere gekümmert, nie um sich, und jetzt also meine Mutter: vier Stunden im Garten gelegen. Und ich rief: »Bravo, Mutter, wunderbar, endlich denkst du mal an dich, endlich mal Ruhe, Pause, Entspannung. Und woher hast du den Liegestuhl?«
»Welchen Liegestuhl?«, fragte sie. »Ich hab auf ner Matte gelegen, auf dem Boden, das tut sonst so weh an den Knien.«
»An welchen Knien?«, fragte ich, und meine Mutter sagte, sie habe vier Stunden im Garten gelegen, auf den Knien, habe vier Stunden lang Unkraut gejätet, den ganzen Gartenweg habe sie geschafft, von Tellkamps rüber zur Schaukel.
»Das muss doch weg«, sagte sie, »das Unkraut. Wenn ich das nicht mache, wer soll das sonst machen, Papa macht das nicht mehr, der macht ja nur noch so verrückte Sachen, das glaubst du nicht, was der alles anstellt, und das Unkraut kriegst du auch nur mit nem Küchenmesser raus, das ist hartnäckig, eigentlich kann man das gar nicht sehen, das sitzt so tief in den Ritzen, aber das muss weg, das kann man nicht stehen lassen. Ich hab doch genug freie Zeit, und dann sitz ich am Küchentisch und mach Kreuzworträtsel, also, das muss man machen, damit man geistig nicht verkalkt, ich lern unheimlich viel durch die Kreuzworträtsel, letztens hab ich wieder was gelernt, was war das noch? Nach dem Krieg gab’s ja überhaupt keine vernünftigen Schulen, da gab’s nicht mal Licht in den Klassen, da haben wir im Winter in der ersten Stunde immer gesungen, weil wir kein Licht hatten, und das ist doch enorm, was ich trotzdem alles weiß inzwischen, was wollte ich sagen? Ach so, neulich hab ich wieder was gelernt, beim Kreuzworträtsel, waagerecht, ägyptische Schriftzeichen, zwölf Buchstaben, und dann ist mir eingefallen, die meinen bestimmt Hieroglyphen, jetzt wusste ich nur nicht gleich, wie man das schreibt, also hinten, Hierogliphen mit i oder was?, und dann kam also von oben, senkrecht, genau über dem zweiten i von Hierogliphen, kam Fieberkrankheit mit sechs Buchstaben, und da wusste ich sofort, das kann nur Typhus sein, und da hab ich also durch das Kreuzworträtsel hab ich also gelernt, dass man Hierogliphen hinten nicht mit i schreibt, sondern mit ü, wie Tüphus. Gestern haben wir ne Fahrradtour gemacht, zu der Kapelle, da hinter Dingens, kennst du die?«
»Nein.«
»Doch, klar kennst du die. Da fährst du die Schwalm entlang, und dann kommt irgendwo die Fabrik, also, da hat früher mal ne Fabrik gestanden, da warst du ja noch gar nicht geboren, da biegst du dann rechts ab, da geht immer so’n fieser Wind, und nach zwei Kilometern kommt der Kreisverkehr, und da fährst du um sechs Uhr rein und um neun Uhr wieder raus …«
»Seid ihr drei Stunden im Kreis gefahren?«
»Ach was, das sagt man doch so, sechs Uhr, also von unten rein, und neun Uhr, also links wieder raus, und dann kommt schon die Kapelle, die kennst du doch, das ist die mit dem Dach.«
»Ach so, die.«
»Genau. Und da haben wir ne Kerze angezündet. Für Oma. Mensch, Martin. Gestern wäre Oma hundert Jahre alt geworden. Aber wenn die damals nicht gestorben wär, dann wär die heute auch nicht mehr am Leben. Da fällt mir ein: Weißt du, wer gestorben ist?«
»Nein«, sagte ich.
»Krämers, Hermann-Josef. Der wohnt hinten auf der Hohlstraße, da bist du früher immer dran vorbeigefahren, wenn du den Dingens besucht hast, wie hieß der noch mal?«
»Nein, kenn ich nicht.«