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Die Concierge Célestine wird von einem älteren Professor und dessen kranker Ehefrau in eine Welt hineingezogen, die ihr fremd ist. Anfänglich macht es ihr Angst, aber mit Hilfe ihrer Tochter Zoe kann sie sich damit anfreunden. Viele Überraschungen und neue Erfahrungen entschädigen Célestine für ihr bisheriges, eher tristes Leben. https://www.juergen-von-rehberg.at
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Seitenzahl: 116
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Célestine Bonnet war vor ihrer Heirat bei der RATP, dem staatlichen Betreiber des öffentlichen Nahverkehrs in Paris, angestellt. Diese Stelle musste sie jedoch schon bald aufgeben, denn sie erwartete ein Kind.
Die Ehe war ein einziges Martyrium. Der schöne René, ein Taugenichts und Blender, hatte sie verführt und geschwängert. Als Zoe, Célestines Tochter, geboren war, dauerte es nicht lange, und der werte Gatte ging seine eigenen Wege.
Er kam regelmäßig betrunken nach Hause, umweht vom Geruch billigen Parfums, und er machte auch keinen Hehl daraus, dass er sich mit anderen Frauen vergnügte.
Seine Versuche mit Célestine zu schlafen, wehrte sie erfolgreich ab. Ein Gemisch aus Ekel und Verachtung ließen keine Nähe zu.
Die daraus erfolgten verbalen Erniedrigungen ertrug sie solange, bis Zoe ihr Abitur in der Tasche hatte und zu studieren begann.
Sie war 38 Jahre alt, als sie die Reißleine zog. Die Scheidung verlief unproblematisch. René stellte keinerlei Ansprüche, auch nicht in Bezug auf Zoe, zumal er zu keiner Zeit eine Beziehung zu seiner Tochter aufgebaut hatte.
Célestine versuchte bei ihrem alten Arbeitgeber wieder Fuß zu fassen, was jedoch misslang. Mit der Begründung, sie sei zulange aus dem Beruf gewesen, lehnte man ihre Bewerbung ab.
Weitere Versuche eine Arbeitsstelle zu bekommen mündeten irgendwann in gelegentliche, schlecht bezahlte Putz-Jobs. Das ging solange, bis ihr der Zufall zu Hilfe kam.
Zoe hatte an der Universität Kontakt zu Professor Moreau aufgenommen, wenige Wochen bevor die Semesterferien begonnen hatten. Ein von ihm platzierter Aushang wies auf eine freie Stelle als Concierge hin.
Zoe sprach den Professor darauf an und bat ihn zu vermitteln. Die Art, wie die junge Studentin ihre Mutter als perfekte Concierge anpries, berührte den Professor, und als Zoe ihm dann noch ein Bild ihrer Mutter auf ihrem Smartphone zeigte, versprach er Zoe bei dem Verwalter des betreffenden Objekts ein gutes Wort einzulegen.
Und schon wenige Tage später bekam Célestine eine schriftliche Einladung, sie möge bei dem Verwalter vorsprechen.
Célestine, die von ihrer Tochter völlig überrumpelt worden war, ging zu dem Vorstellungsgespräch, und zu ihrem größten Erstaunen bekam sie die Zusage.
Zoe hatte nämlich zuvor mit keiner Silbe bei ihrer Mutter erwähnt, dass sie dem Professor eine mündliche Bewerbung für die Stelle als Concierge abgegeben hatte.
„Das ist etwas Festes, und die Bezahlung ist sehr gut.“
Mit dieser Bemerkung versuchte Zoe ihrer Mutter die potentielle Erwerbsquelle schmackhaft zu machen. Und Célestine erwiderte:
„Ich weiß gar nicht, was ich da machen muss, und ob ich überhaupt dafür geeignet bin?“
„Das wirst du dann schon sehen“, antwortete Zoe, und damit war die Diskussion für sie beendet.
Célestine liebte ihre Tochter über alles. Sie war der Sonnenschein in ihrem sonst eher tristen Leben. Und obwohl der schöne René ein rechter Lump war, so war er doch Zoes Vater.
Célestine empfand auch keinerlei Hass gegen ihn. Im Gegenteil; sie wünschte ihm alles Glück dieser Erde, und sie war heilfroh, dass sie ihn los war.
Das Vorstellungsgespräch bei Monsieur Braissac, dem Verwalter des Hauses in der Rue Barberousse, verlief sehr harmonisch.
Er verlangte auch keinerlei Referenzen. Er erklärte ihr nur, was die Ausübung der Tätigkeit für Verpflichtungen mit sich brächte.
Was Célestine besonders gefiel, war die Tatsache, dass die Reinigungsarbeiten, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Gebäudes, von einem Reinigungsdienst durchgeführt werden.
Und so kam es, dass Célestine Bonnet ab dem nächsten Ersten ihre Stelle als Concierge antrat. Nach einem längeren Gespräch mit Tochter Zoe, beschloss sie ihre bisherige Wohnung aufzugeben.
Zoe hatte ihr glaubhaft versichert, dass sie weiterhin in ihrer WG wohnen wollte, und dass sie keinerlei Interesse hege die Wohnung der Mutter zu übernehmen.
Die Conciergerie war überraschend geräumig und bot für eine Person genügend Platz. Eine kleine Küche, ein Bad und ein Wohn-Schlafzimmer genügten Célestine völlig.
Sie hatte sich ihr neues Zuhause schon sehr bald gemütlich eingerichtet und die Mieter des Hauses kamen ihr – bis auf eine Ausnahme – sehr freundlich entgegen.
Gleich am ersten Tag hatte sich Professor Moreau vorgestellt und ihr eine Bitte vorgetragen:
„Verehrte Madame Bonnet, mein Name ist Professor Moreau. Ich wohne mit meiner lieben Frau Claire im obersten Stock. Der Fahrstuhl fährt bis ganz hinauf. Ich möchte Sie bitten am frühen Abend bei uns vorbeizuschauen.“
„Sehr gern, Herr Professor“, antwortete Célestine, „und bitte nennen Sie mich Célestine.“
„Wenn Sie das möchten, dann mache ich das auch“, antwortete der Professor mit einem feinen Lächeln. Er wollte sich schon abwenden, als Célestine nachlegte:
„Und vielen Dank für Ihre Vermittlung, Herr Professor!“
„Da müssen Sie nicht mir danken“, sagte der Professor, „das haben Sie Ihrer reizenden Tochter zu verdanken.“
„Trotzdem vielen Dank“, erwiderte Célestine, „ich werde heute Abend zu Ihnen hinaufkommen.“
„Das freut mich, liebe Célestine“, sagte der Professor, „dann bis heute Abend.“
Als er in den Fahrstuhl stieg, ergriff ihn erneut ein feines Lächeln. Er wunderte sich, wie leicht ihm die Anrede „Célestine“ über die Lippen gegangen war; war es doch sonst gar nicht so seine Art.
Es war gegen halb fünf Uhr abends, als Célestine an der Wohnungstür anläutete. Auf einem polierten Messingschild stand zu lesen: Professor Julien Moreau
Die Tür ging auf und Célestine begrüßte den Professor mit den Worten:
„Bin ich zu früh? Soll ich vielleicht später kommen?“
„Nein, nein“, antwortete der Professor, „kommen Sie nur herein.“
Célestine trat ein, und was ihr sofort auffiel, war die Größe der Wohnung und die großzügige Anordnung der Räume.
Der Professor führte Célestine in den Salon, wo sie Claire Moreau, die Ehefrau des Professors schon erwartete.
„Das ist meine Gattin Claire“, stellte der Professor seine Ehefrau vor und zu ihr gewandt:
„Das ist Madame Bonnet.“
„Célestine bitte“, sagte Célestine, „bitte, nennen Sie mich Célestine.“
Célestine war auf Madame Moreau zugegangen, welche ihr die Hand entgegenhielt.
Célestine ergriff die Hand und machte einen leichten Knicks.
Claire Moreau lächelte. Jetzt verstand sie, warum ihr Gatte so von der neuen Concierge geschwärmt hatte. Und im selben Augenblick geschah etwas Magisches.
Beide Frauen wurden von einer Welle der gegenseitigen Sympathie erfasst, was auch dem Professor nicht verborgen geblieben war.
„Jetzt setzen Sie sich erst einmal, meine Liebe“, sagte Claire Moreau, „und trinken Sie ein Glas Wein mit uns.“
Und noch bevor Célestine reagieren konnte, fragte Claire Moreau:
„Sie mögen doch Wein, oder?“
„Ja, Madame“, antwortete Célestine etwas verunsichert, und ein leichtes Gefühl des Unbehagens beschlich sie. Die Gesellschaft von so feinen Herrschaften war ihr fremd und ungewohnt.
Claire Moreau hatte dies wohl bemerkt. Sie legte ihre Hand auf die Hand von Célestine und sah ihr liebevoll in die Augen.
„Sie müssen keine Scheu haben, liebes Kind. Es ist alles gut. Jetzt stoßen wir erst einmal an auf Ihre neue Tätigkeit und wünschen Ihnen, dass Sie sich wohlfühlen. Und wenn Sie ein Problem haben, dann kommen Sie zu uns. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu unserem Verwalter, Monsieur Braissac.“
„Vielen Dank, Madame!“, sagte Célestine, während ihr Tränen in die Augen stiegen, denn sie fühlte, dass es diese Menschen wirklich gut mit ihr meinten.
Der Professor erhob sein Glas, und zusammen mit seiner Gattin stieß er auf das Wohl von Célestine an.
„Liebe Célestine, ich möchte Ihnen nun den Grund nennen, warum ich Sie zu uns heraufgebeten habe. Meine liebe Gattin Claire ist krank und muss große Teile des Tages in ihrem Bett verbringen.“
„Das tut mir sehr leid, Monsieur“, sagte Célestine und sie glaubte dem Blick des Herrn Professors entnehmen zu können, dass sie ihn unterbrochen hatte.
„Ich hätte nun eine große Bitte an Sie. Würden Sie ab und zu nach meiner Gattin sehen? Ich würde Ihnen einen Wohnungsschlüssel geben und auch die Telefonnummer, unter welcher Sie mich in der Universität erreichen können. Ich würde Ihnen diese Extraarbeit natürlich auch honorieren.“
„Das würde ich sehr gern tun, Herr Professor“, antwortete Célestine, „jedoch ohne Bezahlung. Sie haben mir so sehr mit Vermittlung der Stelle als Concierge geholfen; das ist Bezahlung genug.“
„Aber nein, liebe Célestine“, entgegnete der Professor, „Sie wissen gar nicht, wie sehr Sie uns damit helfen, und außerdem können Sie ein paar Euro mehr sicher gut gebrauchen.“
„Das mag wohl sein, Herr Professor“, sagte Célestine, „aber so bin ich von meiner Mutter nicht erzogen worden. Ich müsste mich schämen, würde ich für diese Gefälligkeit Geld nehmen.“
„Sie überraschen mich, liebe Célestine“, kamen die erstaunten Worte aus dem Mund des Professors, „Sie sind eine bemerkenswerte, junge Frau.“
„Und äußerst liebenswert“, ergänzte Madame Moreau.
Célestine errötete. Sie schaute in das Gesicht von Madame Moreau, und sie fühlte sich stark zu dieser Frau hingezogen. Es hing vielleicht auch damit zusammen, dass ihre Mutter früh verstorben war, und dass sie mit ihrem Vater kein leichtes Auskommen hatte.
Das Schicksal war nicht immer gut zu Célestine gewesen; aber wer weiß, vielleicht würde ja jetzt alles anders werden.
*****
Célestine schaute mehrmals am Tag nach Madame Moreau. Am Anfang fühlte sich das komisch an, wenn sie mit dem ihr übereigneten Wohnungsschlüssel die Tür aufsperrte.
Gleich, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, rief sie laut nach Madame Moreau, um ihr ihre Anwesenheit zu künden.
Madame Moreau hatte ihr schon mehrmals bedeutet, dass dies nicht nötig wäre, zumal sie dadurch manchmal aus dem Schlaf aufschreckte.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Célestine darauf verzichtete. Sie rief jetzt nurmehr leise den Namen, und wenn sie keine Antwort bekam, war dies ein Zeichen dafür, dass Madame wohl gerade in ihrem Schlafzimmer weilte.
Verbrachte Madame Moreau anfangs noch einige Stunden im Salon, so wurden diese immer weniger, und mit der Zeit verließ sie das Bett überhaupt nicht mehr.
Der Hausarzt der Familie, Doktor Soumache, sah zweimal in der Woche vorbei. Er meldete sich bei Célestine, die ihn dann mit ihrem Schlüssel in die Wohnung der Moreaus begleitete.
Seit Madame nicht mehr selbst imstande war zu kochen, hatte Célestine dies übernommen. Madame – selbst eine leidenschaftliche Köchin – schaute Célestine mit großer Freude dabei zu.
Das ging nur solange, bis sie das Bett nicht mehr verließ. Der Zustand von Madame verschlechterte sich zusehends und löste große Sorge bei dem Professor aus.
Er war nahe daran seine Professur an der Universität aufzugeben, wogegen Madame Moreau heftig opponierte.
„Du unterrichtest schön weiter deine Studenten“, so ihre Worte, „ich bin bei Célestine gut aufgehoben.“
Der Professor fügte sich willig, was ihm im Grunde genommen auch nicht wirklich unangenehm war. Er empfand die Gesellschaft von Célestine als äußerst angenehm und bereichernd für seine Gattin und auch sich selbst, und ein wenig fühlte es sich an, als wären sie eine kleine Familie.
Sie selbst hatten keine Kinder, und wenn manchmal Célestines Tochter Zoe vorbeischaute, dann war für den Professor das Glück vollkommen.
Célestine verbrachte sehr viel Zeit in der Wohnung der Moreaus, und ihre häufige Anwesenheit wurde mit der Zeit zu einer Selbstverständlichkeit.
Fragte sie anfangs noch, bevor sie irgendeinen anderen Raum betreten wollte, als den, in welchem sie sich gerade mit Madame befand, so hatte sie das schon längst abgelegt.
An manchen Abenden verließ Madame Moreau ihr Bett, um mit ihrem Gatten und Célestine ein paar kurze Stunden beisammen sein zu können.
Es war an einem jener Abende, als Madame sich an Célestine wandte, um ihr etwas mitzuteilen.
„Meine liebe Célestine, wir möchten mit Ihnen etwas besprechen.“
Madame hatte ihre Hand auf die Hand von Célestine gelegt und sah ihr tief in die Augen.
„Aber ja, Madame“, sagte Célestine und sah Madame Moreau mit einem freundlichen Lächeln an. Es war genau dieses Lächeln, welches Madame ebenso verzauberte wie auch ihren Gatten.
„Wir haben schon seit vielen Jahren ein Abonnement für die Oper“, begann der Professor, nachdem ihm Madame zugenickt hatte.
„Seit meine liebe Frau sich der Strapaze eines Opernabends nicht mehr gewachsen fühlt, lassen wir das Abonnement ruhen.“
„Und so haben wir beschlossen das Abonnement wiederaufleben zu lassen, und dass Sie meinen Mann in die Oper begleiten“, fuhr nun Madame wieder fort.
Célestine erschrak. Das Blut stieg in ihren Kopf, und ihre Gedanken drehten sich im Kreis.
„Sie meinen, ich und der Herr Professor“, begann Célestine, um sich sogleich zu korrigieren, „ich meine der Herr Professor und ich…“
Weiter kam sie nicht, denn Madame Moreau erlöste Célestine aus dem Wirrwarr ihrer Gedanken und ihrer Gefühle, indem sie sagte:
„Ja, mein Kind, das meine ich.“
Es brauchte eine ganze Weile, bis Célestine mit der Situation umgehen konnte, welche gerade ihre kleine, überschaubare Welt aus den Angeln gehoben hatte.
Als sie ihre Fassung einigermaßen wiedergewonnen hatte, sah sie die beiden Menschen an, die sie schon lange Zeit in ihr Herz geschlossen hatte.
Es war der liebevolle Umgang, den der Professor und seine Gattin mit ihr pflegten. Sie hatten Célestine von Anfang an das Gefühl gegeben mehr als nur eine Concierge zu sein, wobei sie ihren Beruf keinesfalls als minderwertig empfand.
Diese Menschen begegneten Célestine auf Augenhöhe, und das, obwohl deren Intellekt weit über dem von Célestine stand. Das war wohl nur dadurch möglich, dass sie mit dem Herzen miteinander sprachen und nicht mit dem Verstand.
Besonders Madame Moreau brachte Célestine so viel Herzenswärme entgegen, wozu ein Mensch nur fähig sein konnte. Das bewirkte, dass nicht nur Célestine davon profitierte, sondern auch der Herr Professor.
Es war, als würde sich sein ganzes Wesen verändern. Aus dem gestrengen Mann der Geisteswissenschaften wurde ein gütiger, älterer Herr, dessen Gesichtszüge sich verändert zu haben schienen.
Hie und da ein kleines Lächeln, gelegentlich eine nette Geste oder auch schon einmal eine lustige Bemerkung. Alles, Attribute eines Charakters, für welche der Professor bisher keine Verwendung gefunden hatte.
Er war es auch, der Célestine dazu brachte zu lesen. Das erste Buch, das der Professor ihr in die Hand drückte, war „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry.
Im Grunde genommen nur ein Kinderbuch; aber es ist dennoch viel mehr. Der Fuchs, der den kleinen Prinzen in das Geheimnis von Freundschaft und Liebe einweiht und der einzigartige Satz „Man sieht nur mit dem Herzen gut“ berührten Célestine sehr.
Célestine fand Gefallen an der Welt der Literatur, und der Professor wurde nicht müde darin ihre Leselust zu fördern.