Das Fünfte und das Achte Gebot - juergen von rehberg - E-Book

Das Fünfte und das Achte Gebot E-Book

Juergen von Rehberg

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Beschreibung

Ein Mann kommt auf die Wache und gesteht einen Mord, den er aber nach ein paar Tagen widerruft. Major Steinkellner und die Psychologin, Dr. Schmitt-Müller ermitteln gegen den Mann, obwohl keine Beweise gegen ihn vorliegen. Ihre Recherche führt sie zu einem Escort-Service. Kurz darauf wiederholt sich das Spiel. Der Mann gesteht einen weiteren Mord, den er ebenfalls kurz darauf widerruft. Ein Katz und Mausspiel führt die Ermittler immer wieder ins Leere, bis ihnen eine Entdeckung in die Karten spielt.

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"Ich habe gegen das fünfte Gebot verstoßen.“

Polizeiinspektorin Chantal Lenz sah den Mann erstaunt an, der in ihrer Dienstelle vor ihr stand und diese bedeutenden Worte sagte.

Sie war seit vielen Jahren dabei, aber so etwas war ihr bisher noch nicht untergekommen. Sie drehte sich zu ihrem Kollegen um und sagte:

„Geh, Schorschi, komm einmal her.“

Georg „Schorschi“ Tauchner war ihr älterer Kollege, im Rang über ihr stehend und im hohen Maße abgeklärt, was teils in seinen vielen Dienstjahren begründet lag, aber vornehmlich auf sein lethargieartiges Gemüt zurückzuführen war. Schorschi ruhte in sich selbst.

„Was liegt an?“, fragte Revierinspektor Tauchner, zu seiner Kollegin gewandt, und bevor diese antworten konnte, wiederholte der seltsame Besucher, dieses Mal jedoch in noch größerer Lautstärke:

"Ich habe gegen das fünfte Gebot verstoßen.“

Der Revierinspektor drehte seinen Kopf, lächelte den Besucher freundlich an und sagte dann:

„Das müssen `S mit der Gattin ausmachen, lieber Freund, für Ehebruch sind wir nicht zuständig.“

„Aber Schorschi“, versuchte Chantal ihren Kollegen zu korrigieren, „das ist doch das siebte Gebot und nicht das fünfte.“

„Ihr seid`s mir die rechten Christen“, mischte sich nun der Revierleiter, Gruppeninspektor Franz Laimer ein, „das fünfte Gebot heißt: Du sollst nicht töten!“

Georg und Chantal sahen zuerst einander an und dann wanderte ihr erstaunter Blick zu dem Besucher.

„Haben Sie gerade ein Tötungsdelikt gestanden?“

Blankes Entsetzen lag in der Stimme von Inspektorin Lenz, und sie betrachtete den Besucher nun etwas genauer.

Groß, etwas untersetzt, schätzungsweise um die fünfzig Jahre alt und gut gekleidet. Und alles in allem eine angenehme Erscheinung,

„Wenn sie das so nennen wollen, dann JA“, antwortete der Besucher.

Revierinspektor Tauchner hatte sich als erster wieder gefasst.

„Kommen Sie bitte mit mir“, sagte er mit gewohnt ruhiger Stimme und führte den Besucher zu seinem Schreibtisch.

Der Revierleiter war dem Papier nach bekennender Katholik, der die Kirche in regelmäßigen Abständen von innen sah, nämlich zu Ostern und zu Weihnachten, und er verstand gerade nicht, wieso seine beiden Kollegen so gar keine Ahnung von den „Zehn Geboten“ hatten.

Gut, man muss sie nicht alle genau kennen; aber das fünfte, das kennt ja wohl jedes Kind. Das gehört quasi zur Allgemeinbildung.

Der Besucher hatte vor dem Schreibtisch des Revierinspektors Platz genommen.

„Nennen Sie mir bitte Ihren Namen, nebst Adresse, und dann wiederholen Sie, was Sie zuvor zu meiner Kollegin, respektive zu mir gesagt haben.“

Georg Tauchner war zu einem astreinen Hochdeutsch übergewechselt. Er empfand dies als angebracht, zumal der Besucher ebenfalls in gepflegter Manier parlierte.

„Ich bin Friedhelm von Eggenburg, geboren am 1. April 1971, und ich habe gegen das fünfte Gebot verstoßen.“

Es waren zwei Dinge, die den Revierinspektor störten. Erstens, dass der vor ihm Sitzende offenkundig ein Piefke war und zweitens, dass er wieder diese komische Formulierung eines Verbrechens verwendete.

„Sie sind also aus Deutschland und Sie haben ein Tötungsdelikt begangen.“

„NEIN und JA“, erwiderte das Gegenüber des Beamten, was diesen peu-à-peu aus der Ruhe zu bringen drohte.

„Was heißt das, Herr von Eggenburg?“, fragte der Revierinspektor mit fester Stimme, worauf der Befragte antwortete:

„NEIN, ich bin nicht aus Deutschland, und JA, ich habe getötet.“

„Aber <von Eggenburg> als Teil Ihres Namens deutet doch auf eine deutsche Herkunft hin“, versuchte der Revierinspektor sein Glück, der Wahrheit etwas näher rücken zu können, womit er jedoch scheiterte.

„Das ist Unsinn“, konterte der Befragte, „ich heiße nicht <von Eggenburg>, ich bin aus Eggenburg.“

Georg Tauchner bekam einen roten Kopf. Es war das untrügliche Zeichen dafür, dass der täglich eingenommene Blutdrucksenker gerade seine Wirkung verloren hatte.

„Aber Sie sagten doch…“

Weiter kam er nicht, denn sein Gegenüber erklärte:

„Ich habe nicht gesagt, dass ich Friedhelm von Eggenburg heiße, sondern dass ich von Eggenburg bin, also meine Provenienz auf diesen Namen zurückzuführen geht.“

Der Revierinspektor vermochte nicht nur mit dem Fremdwort „Provenienz“ nichts anzufangen, er fühlte sich auch im Ganzen unwohl bei dieser sehr speziellen Angelegenheit. Sein Blick wanderte hilflos zu seinem Vorgesetzten, der sich von seinem Platz erhoben hatte, um Georg zu erlösen.

„Sie kommen jetzt mit mir und dann unterhalten wir uns ein wenig.“

Der Besucher erkannte sofort, dass sein neuer Gesprächspartner ein anderes Kaliber war. Dessen Sprache war kein Bitten, sondern eine klare Ansage.

Während sich Georg grämte, dass ihm nicht sofort aufgefallen war, dass Eggenburg ja der Name einer Stadt im Waldviertel war, aus dem er ja ursprünglich selbst abstammte, hatte sein Vorgesetzter damit begonnen, mit dem Besucher Tacheles zu reden.

„Sie sagen mir jetzt Ihren Namen, Geburtsdatum, Anschrift und wen oder was Sie ermordet haben. Haben Sie das verstanden?“

„Jawohl“, antwortete der Besucher, gleich einem gehorsamen Soldaten, und dann kam er der Aufforderung des Revierleiters nach.

„Mein Name ist Friedhelm Gerhard Lechner, geboren am 1. April 1971, wohnhaft in Eggenburg, Am Rosenhügel 12. Und ich habe Ivanka Novotny ermordet.“

Gruppeninspektor Franz Laimer sah in das Gesicht des Mannes, der gerade, bar jeglicher Emotion, einen Mord gestanden hatte.

Friedhelm Lechner hielt dem Blick stand. Keiner der beiden Männer sagte etwas.

Der Gruppeninspektor nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer.

„Hallo, Hajo. Ich glaub, ich hab da was für dich. Komm bitte vorbei und beeil dich, wenn `s möglich ist.“

Dann legte der Gruppeninspektor den Hörer ab und sagte zu seinem Gegenüber:

„Ich nehme Sie hiermit vorläufig fest. Hier endet meine Zuständigkeit. Ein Kollege wird Sie in Kürze übernehmen.“

*****

Kriminalmajor Hajo Steinkellner war nur wenige Monate älter als Gruppeninspektor Franz Laimer. Sie stammten aus demselben Dorf und sie haben gemeinsam die Schulbank gedrückt. Zumindest bis zur vierten Klasse. Dann wechselte Hajo ins Gymnasium über.

Die beiden haben sich trotzdem nie aus den Augen verloren. Während Franz eine Familie unterhielt, mit Ehefrau Helga und zwei Töchtern, hatte Hajo nach drei Versuchen dem Modell „Ehe“ den Rücken gekehrt und sich nur mehr auf gelegentliche Amouren eingelassen, die er rechtzeitig wieder auflöste, sobald es bedrohlich wurde. „Alles, nur keine feste Beziehung mehr“, so sein Lebenscredo.

„Also, was hast du für mich?“, begrüßte Hajo seinen Freund.

„Einen Verrückten, wannst mi frogst“, antwortete Franz, „ich pack ihn dir ein und dann nix wie fort mit ihm.“

Hajo musste lachen. Das Bemühen um eine hochdeutsche Sprache hatte Franz zeitlebens nur mäßigen Erfolg beschert. Das erreichte Ziel bestand aus einem gesunden Mix von Heimat und Nachbarland.

„Dann nehm ich ihn halt mit und schaun wir mal, was dabei herauskommt.“

Hajo Steinkellner war viele Monate im Zuge seiner Weiterbildung in anderen Ländern unterwegs gewesen, unter anderem auch in den USA, und das hatte sein Sprachbild wesentlich beeinflusst.

So kam es irgendwann, dass er sich schwertat, die Mundart, mit der er aufgewachsen war, im Original zu behalten.

„Bast scho, Hajo“, erwiderte Franz Laimer lächelnd und wies dann Revierinspektor Tauchner an, er möge den Inhaftierten aus der Zelle holen.

Wenig später verließ der Major, zusammen mit seinem Gefangenen das Revier, um diesen nach Krems zu überstellen.

„Wir sollten uns demnächst mal auf ein Bier treffen“, sagte Hajo Steinkellner noch beim Abschied, was Franz freudig bejahte, in dem Wissen, dass es – wie die vielen Male schon zuvor – wahrscheinlich wieder nicht stattfinden würde…

*****

„Befragung des Friedhelm Gerhard Lechner durch Major Steinkellner. Anwesend sind Friedhelm Gerhard Lechner und Major Steinkellner.“

Hajo Steinkellner sah in das Gesicht des Mannes, der von sich behauptete, ein Tötungsdelikt begangen zu haben, und der völlig teilnahmslos vor ihm saß.

„Sie haben vor meinem Kollegen, Gruppeninspektor Laimer, einen Mord gestanden. Bleiben Sie bei Ihrer Aussage?“

Der Befragte beugte sich vor in Richtung des Aufnahmegeräts und antwortete:

„Ich weiß zwar nicht, wie Ihr Kollege heißt, denn er hat sich mir nicht vorgestellt; aber ja, ich habe gegen das fünfte Gebot verstoßen.“

Der Major, der die Formulierung durchaus als Provokation empfand, ließ sich jedoch nicht darauf ein. Stattdessen fügte er hinzu:

„Nur, um dem Protokoll Genüge zu tun, heißt das, Sie haben jemand getötet?“

Der Befragte lächelte. Es war das erste Mal, dass er eine Regung zeigte.

„Ja, das heißt es wohl“, antwortet er, und wieder beugte er sich dabei weit vor.

„Das müssen Sie nicht tun“, belehrte ihn der Major, „der heutige Stand der Technik erlaubt es, dass man auch aus einer gewissen Entfernung sprechen kann, und das Gerät nimmt trotzdem alles gut verständlich auf.“

Der Befragte lächelte erneut.

„Können Sie bitte genauere Angaben zu dem Mord machen, Herr Lechner?“

Der Befragte war erstaunt, dass er mit „Herr Lechner“ angesprochen worden war.

„Darf ich sie „Herr Kommissar“ nennen?“, erwiderte der Befragte, „Herr Major“ klingt mir zu militärisch.“

„Von mir aus, Herr Lechner“, antwortete der Major, „aber bitte, antworten Sie mir auf meine Frage von eben.“

Der Befragte behielt sein Dauerlächeln bei, verharrte aber einen Augenblick, bevor er antwortete.

„Ich habe am 12. Mai vergangenen Jahres eine junge Frau ermordet. Sie heißt Ivanka Novotny, und Sie haben sie sicher auf Ihrer Vermissten-Liste, nehme ich an.“

Der Major zuckte kurz zusammen. Die Art und Weise, wie der Befragte gerade einen Mord gestanden hatte, vermochte den gestandenen Kriminalbeamten beinahe aus der Fassung zu bringen.

Vor ihm saß ein Mann, der nicht in das Raster eines abgebrühten Kriminellen passte, der aus niedrigen Instinkten mordete und in die geistig abnorme Ecke gehörte.

Friedhelm Lechner schien völlig im Reinen mit sich zu sein und jedes seiner Worte war wohlüberlegt.

„Sie sagen das, als würden Sie keinerlei Reue für Ihre Tat empfinden“, sagte der Major.

„Überrascht Sie das, Herr Kommissar?“, erwiderte der Befragte.

„Ein wenig schon“, antwortete der Major und er versuchte seine Frage in einer modifizierten Version zu wiederholen.

„Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie kein gläubiger Mensch sind? Oder bereuen Sie die Tat vielleicht doch?“

„Sachte, sachte, Herr Kommissar“, erwiderte Friedhelm Lechner lachend, „das sind ja wilde Unterstellungen, die Sie mir auftischen. Aber ich will versuchen, darauf einzugehen.

Gläubig in Ihrem Sinne, wie Sie sich das wohl vorstellen, bin ich ganz sicher nicht. Kirche und meine Wenigkeit – das ist unvereinbar.

Wenn ich nur daran denke, was Ihr Gott so alles zulässt in Ihrer Welt; also wirklich nicht…

Ich glaube an etwas ganz anderes. Ich glaube an das Recht auf Gerechtigkeit. Sie wissen schon. Auge um Auge – Zahn um Zahn.

Das steht ja auch schon in der Bibel; aber das wissen Sie ja selber, nehme ich an.“

„Das steht aber auch, dass man die rechte Wange hinhalten soll, wenn jemand auf die linke schlägt“, erwiderte der Major.

„Alles Menschenwerk, Herr Kommissar. Oder glauben Sie, die Bibel ist ein Tatsachenbericht, und Ihr Gott hat sie selber geschrieben?“

Als Friedhelm Lechner das sagte, lag viel Wehmut in seiner Stimme.

Es folgte tiefes Schweigen. Die beiden Kontrahenten sahen einander prüfend an, als überlegten sie, wer den nächsten Schritt machen sollte.

„Als nächstes wird Ihnen das schriftliche Protokoll der Befragung zur Unterschrift vorgelegt und danach werden Sie dem Haftrichter überstellt.“

Mit diesen Worten verließ Major Steinkellner den Raum und ging zu Frau Dr. Schmitt-Müller, der Psychologin, die sich hinter dem Vernehmungsraum befand und die Befragung mitverfolgt hatte.

„Was meinst du, Licki? Gaga oder nicht gaga?“1

Angelika Schmitt-Müller war ein paar Jahre älter als Gerhard Lechner und schon seit vielen Jahren als beratende Psychologin an der Seite des Majors.

Aus der anfänglichen beruflichen Zusammenarbeit war inzwischen eine echte Freundschaft geworden, und der Major war der einzige, dem sie erlaubte, dass er sie „Licki“ nannte. Jedem anderen hätte sie körperlichen Schaden zugefügt. Sie wäre dazu durchaus imstande gewesen, war sie doch Schwarzgurt-Trägerin des Taekwondo.

„Ich denke nicht, dass er durchgeknallt ist“, ging die Psychologin auf die Frage des Majors ein. „Das ist ein äußerst interessanter Mann. Und er weiß ganz genau, was er tut bzw. was er sagt.“

„Was glaubst du, hat er den Mord begangen oder gibt er nur damit an?“, fragte der Major weiter.

„Schwer zu sagen“, antwortete die Psychologin, „das kannst du nur herausfinden, indem du es überprüfst.“

*****