Aleidis & Amaury: Bächleromanze - Carola Käpernick - E-Book

Aleidis & Amaury: Bächleromanze E-Book

Carola Käpernick

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Beschreibung

Amaury hat seine Eltern früh verloren und verdingt sich als Glasmaler. Als er vom Basler Münster ans Freiburger Münster wechselt, trifft er auf einen begabten Glasmaler, der nach einem Baustellenunfall nicht mehr arbeiten kann. Doch Aldur nimmt Amaury unter seine Fittiche und stellt ihm einen Glasmalerfreund und Meister vor. Aleidis, Aldurs Tochter, die bis dato noch gar nie ans Heiraten dachte, verliebt sich unsterblich in Amaury. Der zeigt sich der Familie gegenüber als sehr loyal und treu. Doch als er fortgeht, um eine Kräuterfrau für den todkranken Aldur zu holen, erkrankt er selbst. Aleidis nimmt das Abenteuer auf sich, ihn zu suchen. Wird sie ihn finden?

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Inhaltsverzeichnis

Freiburg - ein wenig Stadtgeschichte

Amaury

Aleidis und ihre Familie

Walburg

Erfreut sich kennenzulernen

Aldur

Amaury und der Glasmaler

Aleidis Sehnsucht

Aldurs Krankheit

Amaurys Weg

Aleidis Bangen

Aldurs Tod

Die Minzpinz in Freiburg

Hochzeit als Lebensversicherung

Aleidis fllieht

Amaurys Kampf um sein Leben

Ein Esser mehr

Wallys schlechtes Gewissen

Amaury erholt sich

Heiratserlaubnis

Hochzeitsplanung

Amaury übernimmt die Werkstatt

Endlich Ja sagen

Ludgers Erbe

Ein guter Schwiegersohn

Nachwuchs im Hause Hardt

Die Schwestern werden flügge

Walburgs Tod

Epilog

Minna & Theodor

Liebe LeserInnen

November 1842

Minnas Kindheit

Theos Leben in Freiburg bis 1810

Die erste Begegnung - Wien 1810 bis 1820

Das Geschenk

Ein gedankenvolles Jahr

Briefwechsel

Frühjahr und Sommer 1820

Wiener Herbst 1820

Minnas Trauer

Minnas Reise

Freiburger Weihnacht

Frühlingserwachen - März 1821

Hochzeitsvorbereitungen

Wiedersehen

Der Bericht

Endspurt zum Traualtar

Die Hochzeit

Die Zettelminna und der Buchbinder

Der Vertrag

Eine großes Leid - März 1822

Franz Theodor - April 1823

Minnas Gesundheit

Familienleben 1823 – 1827

Minna schreibt wieder 1827 – 1838

Brandnacht 1835

Ein Foto – 1839

Italienreise 1840

Minnas Tod und Theos Leiden 1840 – 1842

Theos Abschied 1842

Die Oper 1845

Marisol & Nando

Marisol

Nando

Klinikalltag

Nandos erster Urlaubstag

Spaziergang

Essen bei Nando

Über dies und das

Morgenstund hat Brot im Mund

Waschsalon und Gedankenschleuder

Nando wird zum Saubermann

Marisols Revanche

Wandertag

Füße hoch und ausruhen

Kochen bei Marisol

Nandos Job

Kochen bei Nando

Der Ausflug

Wollen oder nicht wollen?

Mitte September 2020

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Nandos Entscheidung

Der Brief

Nando nimmt sich eine Auszeit

Der Brief 2

Sonntag

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Benabbio

Wien

Benabbio

Wien

Benabbio

Freiburg

Benabbio

Freiburg

Essen bei Nando

Gefühle

Sonntag

Vertrag für Zürich

Marisols Zweifel

Adventszeit

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Heiligabend

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Die Aussprache

Die Überraschung

Epilog

Vier Monate später

Weihnachten

Bächleromanzen

Aleidis & Amaury

Minna & Theodor

Marisol & Nando

Carola Käpernick

Texte: Carola Käpernick

Umschlaggestaltung: Carola Käpernick

Korrektur: C. C. Brüchert

Bildquelle Pixabay

Verlag: Selbstverlag über tolino media

Carola Käpernick

Spitalstr. 38

79359 Riegel

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Bächleromanze

Aleidis & Amaury

Carola Käpernick

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin wiedergegeben werden.

Sämtliche Orte, Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten oder Namensgleichheit mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Über den Umgang mit EBooks

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Je heiliger die Liebe, umso größer ist die Angst. Und je reicher der Trost, umso beständiger ist die Furcht.

Mechthild von Magdeburg (um 1210 - 1283)

Freiburg - ein wenig Stadtgeschichte

Hinweise der Autorin: Einen historischen Roman zu schreiben und eine Romanze im Mittelalter spielen zu lassen, sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Meine Bächleromanze um Aleidis und Amaury erhebt daher nicht den Anspruch historisch authentisch zu sein. Trotzdem habe ich mich bemüht, auf die Gegebenheiten der Zeit zu achten und keine groben historischen Schnitzer einzubauen. Alle historischen Ungereimtheiten, gehen natürlich auf meine Kappe.

***

Die Stadt Freiburg im Breisgau wurde 1120 von den Zähringern gegründet. 100 Jahre später starb deren Geschlecht aus und Grafen von Freiburg übernahmen die Macht. Die Bürger konnten sich 1368 durch Freikauf und Anschluss an das Haus Habsburg von ihnen befreien.

Die erste Erwähnung von Siedlungen im Bereich der Wiehre und Herdern, findet sich 1008 in einem Dokument. In diesem wird König Heinrich II dem Bischof Adalbero von Basel der Wildbann in den Wäldern der Gegend überschrieben. Südlich von Freiburgs Zähringen und Herdern kreuzten sich nahe der Dreisam ein Handelsweg durchs Rheintal und eine kaiserliche Reichsstraße durchs Höllental Richtung Elsass.

Bertold II. von Zähringen ließ im Jahr 1091 auf dem Schlossberg, oberhalb der heutigen Stadt, eine Burg errichten – das Castrum de Friburch – um die Kontrolle über diese Handelswege zu gewährleisten. Dienstleute und Handwerker, die in der Siedlung am Fuß des Berges lebten, gehörten zu dieser Burg im südlichen Bereich der Stadt. Diese Burgsiedlung ging teilweise in der Händlersiedlung auf, die Konrad, der Bruder des amtierenden Herzogs Bertold III., errichtete. Als Reaktion auf eine Handelsbeschränkung seitens des Herzogs war es Konrads Absicht, seinen eigenen Handel durchzusetzen und somit unabhängig zu werden.

Mit dem Marktrecht verlieh er der Händlersiedlung umfangreiche Privilegien, darunter die Befreiung vom Hofstättenzins und die freie Pfarrerwahl. Dies war ein wichtiger Schritt, um die Siedlung weiterzuentwickeln und den Bewohnern ein gutes Leben zu ermöglichen.

Die Bächle in Freiburg sind bemerkenswert! Diese Wasserrinnen in den Straßen der Altstadt wurden um 1170 planvoll angelegt. Das Wasser in den Bächlen stammt aus der Dreisam und diente im Mittelalter zur Brauchwasserversorgung, Schmutzwasserentsorgung und vor allem als Löschwasser. Die Freiburger Bächle sind einzigartig und bis heute eine tolle Attraktion für die Stadt, um die sich die Legende rankt, dass jeder, der in das Bächle fällt oder tritt einen Freiburger heiratet!

Das Trinkwasser in Freiburg wurde durch Deichele von den Quellen oberhalb der Stadt an die öffentlichen Brunnen geführt. Damit der Betrieb der Wasserläufe und Kanäle reibungslos verlief, wurden Runzgenossenschaften gegründet. Diese mussten die Wasserläufe instand halten und eine faire Verteilung des Wassers sicherstellen.

Die im Jahr 998 entdeckten Silbervorkommen begünstigten die rasante Entwicklung der Stadt. In kurzer Zeit avancierte sie zu einer wohlhabenden Stadt mit weitreichendem Einfluss.

Die Zähringer bekamen vom Kaiser das Recht zur Schürf und Bergbau.

Die Stadtkirche, in welcher 1146 der Zweite Kreuzzug von Clairvaux gepredigt wurde, war bald zu klein für den Aufstieg von Freiburg. Um 1200 ließ Bertold V., der letzte Zähringerherzog, deshalb eine große Pfarrkirche bauen – das Freiburger Münster.

Der letzte Zähringer Herzog, Bertold V., wurde 1218 nach seinem Tod in einem von ihm gestifteten Münster beigesetzt. Bereits 1178 gab es unter seinem Vorgänger Bertold IV. einen Rat (consilium), die Ratsverfassung etablierte sich jedoch erst zu Lebzeiten Bertolds V. Der Rat in Freiburg entwickelte sich wie in anderen Bischofsstädten in der Region aus einem Pool von Stadtherren, die sich als Berater sahen. Das stadtherrliche Beratergremium war aus der am Gericht beteiligten Stadtgemeinde hervorgegangen. Dieses Gremium war zuständig für die Beratung des Stadtherren in Fragen, die die Stadt betrafen.

Die mächtigen Grafen von Urach sind lange Zeit die Herrscher über Freiburg.

1218 nach dem Aussterben der Zähringer übernahm Egino I., Neffe Bertolds V., die Herrschaft über die Stadt und damit auch die Burg auf dem Schlossberg. Diese nannten sich fortan Grafen von Freiburg und bezogen dort ihr Residenz. Die neuen Bürger, die unter der Herrschaft der Zähringer standen, trauten ihnen nicht. Also schrieben sie ihre alten von den Zähringern gewährten Rechte in eine Ratsverfassung (das Stadtrodel von 1218) nieder. Diese sah vor, dass 24 Räte aus den alten Geschlechtern Freiburg regieren sollten. Zunächst kamen 1248 jährlich wechselnde Räte hinzu. Ende des 13. Jahrhunderts fanden dann auch die Handwerker über die Zünfte den Weg in den Stadtrat.

Innerhalb der Stadtmauern gründeten im 13. Jahrhundert mehrere Orden Niederlassungen. So auch die Dominikaner, welche 1236 das Predigerkloster gründeten. Dort bekleidete Albertus Magnus von 1236 bis 1238 das Amt des Lesemeisters. Die erste Erwähnung eines Johanniterhauses datiert auf das Jahr 1240. Im Jahre 1246 überantwortete Graf Konrad die Martinskapelle mit vier Hofstätten dem Bettelorden der Franziskaner. Auf diesem Grund errichteten die frommen Barfüßermönche ihr stilles Kloster und legten das Fundament für die Martinskirche, welche noch heute existiert. Bereits 1258 siedelten sich die ersten Deutschordenskommenden in Freiburg an. Damit wurden sie zu den Pionieren, denn als drittes Kloster der Stadt erhielten die Augustiner im Jahr 1278 einen Platz in der engen Altstadt. Hierfür mussten sie allerdings zwischen Salzstraße und Stadtmauer die perfekte Lage finden.

Die Zeit, in der die Grafen von Freiburg regierten, war von stetigen Konflikten zwischen ihnen und der Stadt geprägt – und das meistens wegen Geld.

Die Freiburger waren es 1299 leid, dem Grafen Egino II. immer wieder neue Geldforderungen zu erfüllen. Also beschossen sie seine Burg auf dem Schlossberg mit Wurfmaschinen. Doch anstatt klein beizugeben, rief Egino seinen Schwager Konrad von Lichtenberg, den Bischof von Straßburg, zu Hilfe. In der auf die Eroberung folgenden Schlacht kam es zum Tod des Bischofs. Dieser wurde durch einen Speerstoß aus dem Haus eines Freiburger Metzgers namens Hauri getötet. Obwohl die Stadt dadurch den Sieg errang, mussten die Bewohner dem Grafen jedes Jahr ein hohes Sühnegeld für die Ermordung des Bischofs bezahlen.

Die Freiburger zerstörten die Burg auf dem Schlossberg, als Graf Egino III. im Jahre 1366 versuchte nachts in die Stadt einzudringen. Die Bürger schafften es endlich die Herrschaft der Grafen loszuwerden, in dem sie im Jahr 1368 ihre Freiheit für 20.000 Mark Silber erkauften. Die Mark ist die Basisgröße für Unterteilungen des Geldes in der damaligen Zeit und hat ein Gewicht von 237,5 Gramm Silber. Sie entspricht 678 Pfennig.

Mit dem Freikauf der Stadt unterstellten sich die Freiburger den Habsburgern und gingen damit an Vorderösterreich über.

Nichtsdestotrotz schloss sich Freiburg 1377 gemeinsam mit zahlreichen anderen Münzanstalten in der Schweiz und auf beiden Seiten des Oberrheins dem sogenannten Rappenmünzbund an. Das einheitliche Münzsystem am Oberrhein beschleunigte den Handel zwischen den verschiedenen Ländern. Der Rappenpfennig, auch Freiburger Münze genannt, war hier die Hauptwährung. 1584 wurde dieser Bund jedoch aufgelöst. Zum Rappenmünzbund gehörten Gebiete im Breis- und Sundgau, im Elsass die Orte Colmar und Thann und in der Schweiz Basel, Bern, Zürich und Schaffhausen.

Die Bächleromanze Aleidis und Amaury spielt um 1500, daher findet der Rappenpflennig in dem Buch auch Erwähnung.

Doch jetzt noch einmal zurück ins Jahr 1386. Die Habsburger zwangen Freiburg, sich an den Kriegen gegen die Eidgenossenschaft zu beteiligen. Die Stadt musste finanzielle Hilfe leisten und Ritter stellen. 1386 unterlagen die Österreicher in der Schlacht bei Sempach den Schweizern. Dabei wurde nicht nur Herzog Leopold III. getötet, sondern auch fast der gesamte Freiburger Adel ausgelöscht. Die Zünfte gewannen an Einfluss und übernahmen die Kontrolle im Stadtrat.

Herzog Friedrich IV. verhalf dem auf dem Konzil von Konstanz abgesetzten Gegenpapst Johannes XXIII. 1415 zur Flucht nach Freiburg. Darauf reagierte König Sigismund schnell und verhängte über den Habsburger Herzog die Reichsacht! Nachdem der Breisgau dem Reich zurückgefallen war, gehörte Freiburg von 1415 bis zur Begnadigung Friedrichs 1425 zu den Reichsstädten.

Im Jahr 1448 stiftete Erzherzog Albrecht ein Studium generale in Freiburg. Mit der Gründungsurkunde von 1457 entstand daraus die Freiburger Universität.

Ein unvergessliches Ereignis in der Stadtgeschichte Freiburgs war der Reichstag, den der römisch-deutsche König Maximilian I. 1498 einberief. Die Stände und Maximilian verhandelten hier, um den Schweizerfrieden einzuleiten. Die Eidgenossen lehnten sowohl die Reichssteuer als auch die Zuständigkeit des Reichskammergerichts ab. Nachdem sie das Heer Maximilians I. entscheidend bei Dornach geschlagen hatten, schieden sie aus ihren Verpflichtungen gegenüber dem Reich aus. Ein großer Aufstand war die Folge.

Als im Jahre 1513 der Hochchor des Freiburger Münsters fertiggestellt wurde, ließ der zuständige Bischof von Konstanz die Kathedrale einweihen. Gleichzeitig formierte sich in Freiburg eine Gruppe verarmter und geknechteter Bauern unter Anführer Joß Fritz. Dieser wollte mit seinem Aufstand den Bundschuh als Symbol der Freiheit hochhalten. Doch er wurde bereits verraten, bevor er überhaupt richtig begonnen hatte. Die Bestrafungen der Teilnehmer war schrecklich – ein klares Zeichen dafür, dass damals noch nicht die Zeit für Freiheit war. Auch dieser Aufstand und Joß Fritz finden in dem Buch Erwähnung.

Amaury

Amaury Hardt war auf sich allein gestellt, seit er zwölf Lenze zählte. Seine Eltern waren vom Antoniusfeuer heimgesucht und sind elendig zugrunde gegangen. Vor allem die qualvollen Schreie der Mutter hatten sich tief in Amaury eingebrannt und manchmal schreckte er nachts hoch und schrie selbst.

Mit dreizehn kam er nach Basel. Das Leben ohne Heim und mit wenig Essen hatte ihn altern lassen und er wurde von verschiedenen Handwerkern als Helfer angestellt. Amaury hatte Talent für alle Handwerke. Er schnitzte kunstvolle Muster in Kirchenbänke und bemalte die Heiligenfiguren, als hätten sie lebendige Gesichter.

Als er an den Glasmaler geriet, erkannte der Amaurys Gespür für Farben und das Geschick, die Gläser zusammenzufügen. Amaury fing an, kleinste Scherben zu sammeln und etwas Blei abzuzweigen, um kleine bunte Heiligenbilder zu entwerfen. Insgeheim bewunderte der Glasmaler seinen Helfer, erkannte aber auch die Gefahr, dass der ihn schon bald übertrumpfte. Daher jagte er ihn fort und erzählte überall, dass Amaury seinen Meister bestohlen hätte. Damit war es dem Jungen unmöglich, eine Arbeit zu bekommen.

Mit dem Vorrat an Bildern konnte sich Amaury eine Weile durchschlagen. Er suchte die Nähe zu fahrenden Künstlern oder Heilern. So lange diese in der Nähe von Basel blieben, lebte er bei ihnen, fuhr aber nie mit. Eine Gauklergruppe erzählte ihm vom Münsterbau in Freiburg und Amaury beschloss, sich auf den Weg zu machen. Unterwegs erlebte er viele Abenteuer und entkam einmal nur mit Mühe und Not dem Tod.

Wegelagerer hatten gerade eine Kutsche geplündert, als er ihnen in die Arme lief. Obwohl Amaury kaum mehr bei sich trug als die Kleider am Leib, quälten und prügelten die Barbaren ihn. Als er reglos am Boden lag, zogen sie weiter und kümmerten sich nicht mehr um ihn. Er hatte Glück, dass eine Kräutersammlerin ihn fand und seine Wunden versorgte. Bei der Minzpinz, wie sich die Alte nannte, blieb Amaury über den Winter. Er half seiner Retterin, die Kräuter zu mischen und lernte eine Menge über Heilpflanzen und deren Wirkung.

„Gibt es auch was gegen das Antoniusfeuer?“

Die Minzpinz bekreuzigte sich schnell.

„Himmel, das Antoniusfeuer, das ist so mächtig, dass nicht einmal der heilige Antonius es heilen kann, wie soll es da ein Kraut schaffen? Wieso fragst du das?“

„Meine Eltern sind daran gestorben.“

„Oh das ist schlimm. Diese Schmerzen, diese Schreie.“

Die Minzpinz setzte sich auf einen Stuhl und hielt sich die Ohren zu.

„Weißt du mein Junge, auch ich habe viele am Antoniusfeuer sterben sehen. Einige holten sich bei mir auch giftige Kräuter, um diesem Brennen ein Ende zu machen.“

Jetzt bekreuzigte sich Amaury. Es war Sünde, von eigener Hand aus dem Leben zu scheiden und sicher war es auch Sünde, Menschen dabei zu helfen. Amaury schwieg und wartete, ob die Minzpinz noch etwas erzählte. Doch die schwieg und auch er nahm das Thema nicht noch einmal auf.

Sein Weg führte ihn über Berge und durch kleine Dörfer. Überall litten die Menschen Hunger und die Krankheiten, die bei den Armen auftraten, waren alle dieselben. Amaury hatte Zeit, über seine Zukunft nachzudenken. Noch wusste er nicht, was ihn in Freiburg erwartete. Wenn dort ein Münster gebaut wurde, gab es viel zu tun. Er war jung und spürte die Verletzungen nicht mehr. Also würde er anpacken können. Um Arbeit sorgte er sich nicht. Ob Freiburg groß war? Darüber dachte er nach und wo er ein Dach über dem Kopf finden würde. Ob das Münster schon Schutz genug bot, dass er darin schlafen konnte?

In Basel wurde erzählt, dass der Bau lange Zeit ausgesetzt wurde, weil kein Geld vorhanden war. Als dann Geld da war, gab es das Erdbeben und die Basler holten sich so viele Bauherren und Helfer wie möglich. Somit soll das Freiburger Münster weiter nur langsam wachsen. Zuletzt wurde an den Chorportalen und der Sakristei gearbeitet hieß es. Portale benötigten kunstvolle Schnitzarbeiten. Das hatte Amaury zwar lange nicht gemacht, aber er war sich sicher, dass er mit etwas Übung schnell wieder zur alten Form finden würde.

Als er in Freiburg einlief, wurde sein Herz ganz leicht und er hüpfte durch die Stadt.

Aleidis und ihre Familie

Aleidis war die älteste Tochter des Ehepaars Blankenburg. Der Vater hatte nach einem Unfall, beim Bau des Freiburger Münsters eine Verletzung erlitten, die es ihm nicht mehr erlaubte, auf der Baustelle zu arbeiten. An guten Tagen ging er auf den Münsterplatz und suchte nach Gelegenheitsarbeiten, die er mit seinem kaputten Bein und einer Hand noch bewältigen konnte. Es gab nunmehr noch maximal zwei gute Tage in der Woche, so mussten Aleidis und die Mutter sehen, was sie verdienen konnten, um die Familie zu ernähren.

Zwei Geschwister hatte es erst kürzlich dahingerafft, nunmehr waren sie noch zu fünft. Aldur und seine Frau Walburga, Aleidis und die Zwillingsschwestern Kunigunde und Gundula.

Die Älteste zählte 12 Lenze und konnte kochen, backen, nähen, sticken und anpacken wie ein junger Bursche. Walburga war froh, dass ihre Tochter so robust war und die nötige Einsicht hatte, die Familie zu unterstützen. Natürlich hoffte die Mutter auf eine gute Heirat, doch andererseits hatte sie auch Angst davor, denn die Zwillinge zählten erst sechs Lenze.

Aldur hatte es als Glücksfall angesehen, als das Baseler Erdbeben das dortige Münster so stark beschädigt hatte, dass die Bauhelfer alle dorthin abwanderten. So hatte er eine Arbeit gefunden und diese auch gern gemacht. Bis zu dem Tag, als ein betrunkener Steinträger über ihm einen Koloss fallen ließ. Das rechte Bein war zwar mehrfach gebrochen, ist aber mehr schlecht als recht zusammengewachsen. Die Hand war zu einem Brei aus Blut und Knochen zerschmettert worden und nur durch das beherzte Eingreifen eines reisenden Wundarztes, der ihm die Hand absägte, hat Aldur überhaupt überlebt. Manchmal haderte er mit seinem Schicksal, vor allem wenn er vor Schmerzen kaum laufen konnte. Seine Frau wäre ohne ihn besser dran gewesen, hätte noch einmal heiraten können. Walburga wollte davon nichts hören. So schwer es auch war, sie war froh, dass Aldur überlebt hatte.

Sie hatten schon einmal Zwillinge bekommen, die kleinen Jungen Wilffried und Wernfried. Sie waren gestorben, worunter Wally noch immer litt. Wern starb zuerst und Wilf wenige Tage später. Die Kräuterfrau meinte, bei Zwillingen sei es so, dass sie allein nicht leben können. Walburga trug immer noch sehr schwer an ihrer Trauer, versuchte es aber vor Aleidis, den Töchtern und ihrem Mann zu verbergen.

***

Aldur war an diesem Morgen in die Stadt gegangen. Walburga schloss aus seinem langen Fernbleiben, dass er eine Arbeit gefunden hatte. Tatsächlich erschien er gegen Abend und hatte einen jungen Mann im Schlepptau. Walburga schätzte ihn auf höchstens 14 Lenze. Er hatte ein nasses Hosenbein.

„Bringst du uns ein Bächleopfer Aldur?“

„Richtig erkannt, Wally meine Liebste. Das ist Amaury. Er kam heute aus Basel zurück, um sich am Freiburger Münster eine Arbeit zu suchen.“

„Willkommen Amaury, setz dich. Ich hole dir trockene Strümpfe und eine Hose von Aldur.“

„Vielen Dank.“

Fragend schaute Amaury sich um, er wusste nicht, wie er Aldurs Frau nennen sollte.

Aleidis Mutter half ihm aus der Patsche.

„Nenn mich Wally!“

Sie holte die Sachen und Aldur schickte Amaury ins obere Stübchen, dass er sich umziehen konnte. Inzwischen besprach er mit Walburga, was er mit Amaury vereinbart hatte.

Der Bursche war bei einem Glasmaler angestellt und hatte den schnell an Können übertrumpft. Daraufhin warf dieser ihn hinaus. In Basel bekam Amaury keine Arbeit mehr und er wanderte nach Freiburg, der nächsten größeren Münsterbaustelle. Hier hatte er Glück, dass er sofort auf Aldur traf. Er fragte nach Glasmalern und erzählte sein Schicksal. Aldur Blankenburg wusste, dass der alte Ludger sein Gewerk nicht mehr ausüben konnte, weil die Augen nicht mehr mitmachten. Er begleitete Amaury zu ihm und dieser bekam sozusagen die Nachfolge angeboten. Er würde gut verdienen, wenn er so gut war, wie er behauptete. Denn Ludger war der einzige Glasmaler in der Stadt. Amaury Hardt hatte nun zwar einen neuen Job, aber keine Bleibe. Aldur nahm ihn kurzerhand mit zu sich.

Unterwegs hatten sie besprochen, dass Amaury in der oberen Kammer wohnen durfte, wenn die Jungen bei schlechtem Wetter dort spielen durften und er versprach, ein Teil seines Lohnes zum Lebensunterhalt beizugeben. Amaury war jung zum Waisen geworden. Als er hörte, dass Aldur Frau und Kinder hatte, war er sehr erfreut und versprach, sich um die Familie zu kümmern. Schon lange sehnte er sich nach einem Ort, an dem er nicht mehr für sich allein sein musste.

Amaury kam polternd herunter und nickte Aldur zu. Er dankte Walburga noch einmal, die lachte. Denn Amaury wirkte in den Hosen ihres Mannes wie verloren. Sie drückte ihn auf die Bank und schenkte ihm heißen Kräutertee ein. Während die Männer sprachen, richtete sie die Betten von Aleidis und den Zwillingen in der Schlafkammer hinter der Küche ein. Es war ihr recht, dass sie enger zusammenrückten, wenn sie Hilfe bekam und für Essen gesorgt war. Als sie sich zu den Männern setzte, sagte sie: „Nun berichtet, wie habt ihr euch gefunden?“

Aldur ermunterte Amaury zu berichten.

„Ich hüpfte fröhlich durch die Stadt und bemerkte zu spät, dass sich von hinten ein Edler auf dem Pferd näherte. Als ich ihm ausweichen musste, bin ich ins Bächle Gehüpft und direkt vor Aldurs Füße gefallen.“

„Und dann musstest du dir vermutlich gleich anhören, dass du nun in Freiburg heiraten musst.“

„Richtig meine Schöne. Natürlich habe ich ihm die Legende erzählt und dass auch du mir bei einem kleinen Brand vor die Füße gefallen bist, als du Löschwasser schöpfen wolltest.“

„Die Bächle, ihre Legende und ihre Romanzen. Wenn man den Freiburgern glauben kann, gibt es hier kein Ehepaar, dass nicht durch einen Sturz ins Wasser zur Ehe verdammt war.“

„Wally, willst du damit sagen, dass du zur Ehe verdammt bist?“

Aldur lachte, wusste er doch, was er an Wally hatte und sie an ihm.

„Natürlich, was denn sonst?“

Amaury hakte nach: „Bist du denn nicht aus Freiburg?“

Walburg

„Nein ich stamme nicht aus Freiburg. Meine Eltern waren fahrende Händler.“

Mehr erzählte Walburg nicht, und Amaury war sich sicher, dass sie ein ähnlich schweres Schicksal gehabt hatte, wie er. Wally hingegen saß in Gedanken versunken auf ihrem Stuhl.

Sie sah sich als zwölfjährige den Strapazen des ständigen Reisens ausgesetzt. Als Kind war sie schwächlich und mehrmals stand es schlimm um sie. Im Winter hustete sie, im Sommer litt sie unter der Hitze. Die Karren boten weder Schutz vor Wind noch vor Regen oder Sonne. Als der Vater die Zollabwicklung in der Marktwaltung erledigte, saß sie auf der Straße und stickte. Das sah die Zofe einer Edlen und sprach sie an.

„Hast du dir das Muster selbst ausgedacht?“

„Ja.“

„Wo hast du so gut sticken gelernt?“

„Ich weiß es nicht. Ich kann es einfach.“

„Suchst du eine Arbeit?“

„Eigentlich nicht. Ich bin mit meinen Eltern unterwegs.“

Wally seufzte auf über ihre Gedanken. Sie hörte die aufgeregte Zofe in Gedanken immer noch sprechen und es überkam sie der gleiche Kummer, wie an dem heißen Tag. Dieser Kummer überkam sie immer, wenn sie in die Schusterstraße musste. Aber heute griff er sie mehr an.

Walburgs Mutter kam just zu ihr, als die Zofe sie nach einer Arbeit fragte und wollte wissen, um welche Arbeit es denn ginge. Die Zofe sagte, dass die Edle immer Mädchen suchte, die den Haushalt führten und gut Handarbeiten konnten. Ohne Wally zu fragen, gab die Mutter sie der Zofe mit. Sie konnte sich nicht einmal vom Vater verabschieden und auch die Mutter gab ihr nur einen Klaps auf den Po und rief ihr zu: „Nun geh schon. Mehr Glück wirst du in diesem Leben nicht haben.“

Wally litt unter Heimweh, obwohl sie gar keine Heimat hatte. Sie vermisste die Eltern und das Unterwegssein. Es tat ihr so leid, dass sie das so oft verflucht hat, wenn es beschwerlich war, sie fror oder schwitzte. Wie gern hätte sie all das noch Jahre lang in Kauf genommen.

Einen Vorteil hatte es, sie lernte bei der Edlen von Habsburg ihren Mann kennen. Aldur verdingte sich bei den Pferden, half im Garten aus, wenn es keine Glasmaler- oder Bauarbeiten gab. Dort sah er Walburg zum ersten Mal. Sie saß unter einem Rosenbogen und stickte. Wenn sie Blüten zu sticken hatte, sah sie gerne die Vorbilder ihres Motivs in der Natur an.

Ein Quietschen riss Wally aus ihren Gedanken. Die Zwillinge hüpften in die Küche und Aleidis folgte ihren Schwestern. Sie war überrascht, einen Gast zu sehen.

Erfreut sich kennenzulernen

„Ihr seht ja beide gleich aus. Wie soll ich euch denn da auseinanderhalten?“

Amaury war überrascht, wie sehr sich Menschen ähneln konnte. Er hatte zwar schon häufig von Zwillingen gehört, jedoch noch nie welche gesehen. Es war auch selten, dass Zwillinge es beide schafften, am Leben zu bleiben. Sie kamen zu früh, eins war immer zu schwach. Doch Kuni und Gundi waren beide gut entwickelt, als sie geboren wurden. Lebensfähig, wie die Hebamme es nannte.

„Ich bin Kunigunde. Mich erkennst du daran, dass ich hier einen kleinen dunklen Fleck hab.“ Sie zeigte auf die linke Wange.

„Und ich bin Gundula und habe keinen Fleck. Und wer bist du?“

„Ich bin Amaury.“

„Guten Tag Amaury.“ Die Mädchen begrüßten den Gast im Chor. Auch Aleidis trat nun näher. Sie hatte den jungen Mann von der Tür aus gemustert und fragte sich, wie alt er wohl sei und was er hier wollte. Aleidis knickste leicht und begrüßte Amaury. „Guten Tag Amaury, mein Name ist Aleidis.“

Amaury war kurz sprachlos. Aleidis schien ihm das schönste Mädchen zu sein, dass er je gesehen hatte. Wally beobachtete dies etwas besorgt. Es fehlte ihr noch, dass Amaury ihr seine Tochter wegheiratete. Auch Aldur nahm die Tragweite seiner Entscheidung wohl gerade erst bewusst wahr. Er klopfte Amaury auf die Schulter und rief betont gut gelaunt: „Jetzt kennst du die ganze Familie. Mehr sind wir leider nicht mehr. Herzlich Willkommen. Meinst du, du hältst es mit uns aus Amaury?“

Amaurys Augen ruhten immer noch auf Aleidis. „Da bin ich mir sicher, Aldur. Habt Dank, dass ihr mich so freundlich willkommen heißt.“

Bei dem Klang seiner Stimme war Aleidis auf eine eigenartige Weise zu ihm hingezogen. Sie klang zwar rau, aber auch warm. Außerdem hatte er einen leichten Akzent, der von dem Freiburger zwar abwich, aber zu verstehen war. Zu gern hätte sie ihn gefragt, woher er kam, doch sie wusste nicht, wie sie ihn ansprechen sollte.

„Komm Aleidis, lass uns Abendessen machen. Hast du noch ein Brot bekommen?“

„Ja Mutter.“

Die Zwillinge beauftragte Mutter Blankenburg, dass sie sich wuschen, damit sie nach dem Essen nicht so viel Straßendreck mit ins Bett nahmen. „Wir müssen zusammenrücken. Amaury bekommt die obere Kammer. Er wohnt hier, solange er für den alten Ludger arbeitet.“

Aleidis Herz machte bei der Nachricht einen Hopser. Sie erschrak über sich selbst und wusste gar nicht, was ihr gerade geschehen war. Doch die Freude war nicht gänzlich ungetrübt, denn es bedeutete auch, dass sie Kammer hergeben musste.

Die Zwillinge nahmen Amaury in Beschlag und die Mutter musste beim Essen Ruhe einfordern. Aleidis sprach das Tischgebet. Dann schnitt sie dem Vater das Brot, damit er es mit einer Hand gut essen konnte. Wie üblich widmete sich Aleidis nach dem Essen der Küche. Amaury hatte sich bereit erklärt, den Zwillingen eine kurze Geschichte zu erzählen. Er freute sich, dass die Mädchen Gefallen an ihm gefunden hatten und fühlte sich wie ein großer Bruder, der er nie hatte sein dürfen. Als Kuni und Gundi schliefen, bat Amaury darum, selbst auch ins Bett gehen zu dürfen. Er war müde von dem Fußmarsch und den vielen neuen Eindrücken. Außerdem wollte er am nächsten Tag früh beim Glasmaler erscheinen.

Aldur

Auch die Eltern und Aleidis legten sich bald hin. Während sich Aldur vor Schmerzen nicht rühren konnte, schliefen seine Frau und Tochter bereits. Aldur Blankenburg war ein gottesfürchtiger Mann, doch manchmal haderte er mit seinem Schicksal. Er sorgte sich jetzt schon, dass er Amaury am nächsten Morgen nicht zu Ludger begleiten konnte. Nach einem guten Tag folgten zwei bis drei schlechte. Und die Schmerzen finden gerade erst an.

Schlaflos grübelte er vor sich hin. Er hatte die Blicke zwischen Aleidis und Amaury bemerkt und sein Scherz mit der Bächleromanze kam ihm nun wie eine schicksalhafte Wendung vor. Genau so haben sich Walburg und er angesehen, wenn sie zufällig im Garten aufeinandertrafen. Sie waren so jung und wussten gar nicht, was sie schüchtern machte. Aldur war eigentlich als Haudegen bekannt. Doch Walburg brachte seine sanfte Seite hervor und hat den Heißsporn in ihm heruntergekühlt. Er sah sie im Garten sitzen mit Stickzeug in der Hand. Sie hat schöner gestickt, als er malen konnte. Nicht, dass er es oft versucht hätte, er wusste, dass es ihm nicht lag. Aleidis hatte das gute Händchen und Talent von Walburg geerbt.

Er hingegen war ganz wie sein Vater. Der Mann fürs Grobe. Aldur konnte anpacken, war furchtlos, stieg in die Höhe und schwamm im Rhein. Als Kind durfte er mit dem Vater durch den Kaiserstuhl fahren. Am Rhein war der Vater einen Moment unaufmerksam und Aldur war im Wasser. Er ertrank nicht. Irgendwie hatte er intuitiv die richtigen Bewegungen gemacht, die ihn nicht nur über Wasser hielten, sondern ihn auch sicher wieder an Land brachten.

Mit seinen sieben Brüdern war Aldur nicht zart umgegangen. Er war der Älteste, Edgar der Jüngste. Die Brüder waren alle nach Basel gegangen. Hatten damals noch keine Familie. Nur er blieb in Freiburg, weil Walburg Aleidis schon unter ihrem Herzen trug.

Die ersten Jahre liefen auch sehr gut. Als die Jungen geboren wurden, hatten sie diese Wohnung bezogen. Sie war einfach, aber in der Stadt. Walburg sorgte dafür, dass die Wohnung immer sauber war. Das unterschied ihr Zuhause von dem vieler anderer Stadtwohnungen. Seine Wally sagte immer, die Bächle sollen doch zu mehr nützlich sein, als Ehen hervorzubringen.

Aldurs Mutter starb ein Jahr nach Aldurs Hochzeit. Er war glücklich, dass sie seine Frau noch kennengelernt hat. Und die Mutter auch. „Du hast es gut getroffen.“ Das sagte seine Mutter oft. Und er gab ihr uneingeschränkt recht. Der Vater starb nur wenige Monate später. Er hatte sich die Cholera geholt. Anfangs sah es so aus, als wenn er noch mal auf die Beine kommen würde, doch Aldur der Ältere hatte keinen Lebensmut. Ohne sein Käthchen wollte er auch nicht mehr sein. Ausgemergelt lag er noch zwei Wochen im Bett, bevor der liebe Gott ihn erlöste. Für die Brüder war dies das Aufbruchsignal. Sie erhörten es und folgten ihm. Gesehen hatte er die Brüder seit damals nicht mehr.

Aleidis war nun zwölf Lenze alt. Fast schon dreizehn. Heiratsfähig eigentlich. Doch sie war auch der Halt der ganzen Familie. Wally trug schwer an ihrem Kummer um die verstorbenen Zwillinge. Sie zeigte es nicht, doch er spürte es genau. Auch er litt sehr unter dem frühen Tod seiner Söhne, doch konnte er eher die Dankbarkeit empfinden, Aleidis und die Zwillingsmädels zu haben. Sein eigenes Schicksal hatte ihn gelehrt, Schmerz zu ertragen.

Aldur versuchte, sich umzudrehen. Es gelang ihm nicht. Auf den Stumpf seines Armes konnte er sich nicht stützen. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen. Also ließ er sich wieder auf den Rücken gleiten und grübelte über das Leben nach.

Im Grunde wäre es gar nicht so schlecht, wenn Aleidis heiratete. Vielleicht fand sie einen Mann, der die Verantwortung auch für ihre Eltern und Geschwister übernahm. Amaury schien zumindest nicht abgeneigt, so eine Rolle einzunehmen. Aldur wollte jedoch nicht zu früh an Hochzeit denken. Immerhin kannte er den Jungen kaum. Wenn er wirklich so gut war, wie er sagte, würde er als Glasmaler in Freiburg sein Auskommen haben. Schade, dass er keine Werkstatt hatte. Oder wenigstens etwas von dem Werkzeug, das ein Glasschneider brauchte. Wenigstens hatte Ludger dem Jungen einen guten Lohn zugesichert.

Amaury und der Glasmaler

Am Morgen kam Aldur wie erwartet nicht hoch. Er hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Die Schmerzen hatten ihn gepeinigt und er rief Aleidis zu sich.

„Aleidis, sei so gut und bringe Amaury zum alten Ludger dem Glasmaler. Geh den einfachen Weg, damit Amaury allein zurückfindet!“

„Ja Vater.“

Wally bereitete dem ein Brot und stellte ihm ein Gebräu aus Lupinen hin, das in ihrem Haus als Kaffee galt. Walburg kannte dies aus ihrer Zeit im Haus der Edlen und durfte sogar einmal echten Kaffee trinken. Der war ihr aber zu bitter und sie kam mit dem Lupinenersatz bestens zurecht. Auch Aleidis aß eine Kleinigkeit, trank aber lieber Tee.

Es wurde gerade erst hell, als Amaury und Aleidis aufbrachen. Sie wies ihn auf die Besonderheiten des Weges hin, damit er den Weg zu ihnen wieder fand, wenn er am Abend mit seiner Arbeit fertig war. Der junge Mann war unsicher in Aleidis Nähe und schwatzte drauflos, um die peinliche Stille, die einen kurzen Moment zwischen ihnen geherrscht hatte, zu beenden.

„Glasmaler nutzen vor allem das Morgenlicht. Um die besten Effekte herauszuholen, schauen wir, wo ein Fenster angebracht werden soll und studieren den Lauf der Sonne. Ist ein Fenster nach Norden ausgerichtet, bekommt es kaum Sonne, dann braucht es helle Farben, damit der Raum nicht zu dunkel wird. Im Osten oder Westen geht die Sonne auf oder unter. Sie strahlt dann rötlich und färbt die Strahlen, die in den Raum fallen zusätzlich ein. Am liebsten sind mir die Fenster, die nach Süden ausgerichtet sind. Dort ist taghelles reines Licht und das Bild im Fenster wird so sichtbar sein, wie es gemalt wurde. Nur noch strahlender und farbenfroher.“

Ermutigt von Amaurys Berichten, erzählte auch Aleidis von ihren Stickarbeiten. Die Edle, bei der die Mutter gearbeitet hatte, gab immernoch Aufträge an Wally heraus. Inzwischen beherrschte Aleidis die Kunst so gut wie Walburg einst.

„Das ist wie mit unseren Stickgarnen. Wir färben sie selbst mit Rahnen, Blüten oder Kräutern. Nur deshalb gelingen uns diese schönen Motive. Am liebsten sticke ich Blumen. Was malst du am liebsten?“

Das Du war ihr nun wie selbstverständlich über die Lippen gekommen und somit besiegelt. Denn auch Amaury hatte die direkte Anrede bisher vermieden, weil er nicht sicher war, was Aleidis erwartete.

„Ich male eigentlich nur Glas an. Die Bilder werden dann ja aus einzelnen Teilen zusammengestellt und mit dem Bleirahmen verbunden. Das Motiv entsteht erst beim Aneinanderreihen der einzelnen Scherben.“

„Das klingt aber auch spannend. Und wenn du einen Auftrag hast, wo das Motiv vorgegeben ist?“

„Dann komme ich dem nach. Wobei mir nur gesagt wird, was abgebildet sein soll, aber nicht wie es aussehen soll. Also wenn zum Beispiel die Geldgeber fürs Münster, was hier in Freiburg ja die Zünfte sind, ein Zunftfenster wollen, so kann ich überlegen ob ich für die Bäcker ein Brot oder einen Backofen ins Bild nehme oder beides.“

„Bist du aufgeregt?“

„Etwas. Doch mir scheint der Meister ein umgänglicher Typ zu sein. Ich habe ihn ja gestern schon kennengelernt.“

„Ja. Vater und Ludger sind wohl so etwas wie Freunde. Schau da vorn ist es. Ich kehre dann um.“

„In Ordnung. Danke Aleidis. Bis heute Abend.“

***

„Guten Morgen Meister Ludger, da bin ich.“

„Guten Morgen Amaury, du bist früh.“

„Ich dachte mir, ich schaue mich um und erkunde, wo das Material lagert, bevor es hell genug ist, um zu arbeiten. Dann kann ich das Tageslicht voll ausnutzen.“

„Du denkst mit, das gefällt mir. Komm, ich führe dich herum.“

Meister Ludger zeigte seine Werkstatt nicht ohne Stolz. Er hatte wirklich gute Werkzeuge und die Gläser, die in bunten Farben an der Wand standen, waren außerordentlich brillant in ihrem Glanz. Amaury freute sich bereits, sich kleine Splitter davon abzuzweigen und tolle Miniaturbilder darauf zu bauen.

Im hinteren Teil der Werkstatt stand, von Tüchern verhüllt, ein fertiges Fenster. Es zeigte die Zunftmotive der Bäcker und war wirklich gelungen.

„Warum liefert Ihr das Fenster nicht aus?“

„Seit den Bauherren das Geld knapp wurde, sollen die Zünfte zahlen. Doch die Bäcker hatten unter den schlechten Ernten der letzten Jahre zu leiden. Sie können nur aus dem Getreide backen, das vorhanden ist. Und leben müssen sie auch von irgendwas. Daher können sie das Prachtstück momentan noch nicht bezahlen.“

Amaury nickte. Er verstand das leidige Problem mit dem Geld. Doch er hätte nicht gezögert, das Fenster auszuliefern. Wenn es hier in der Werkstatt zu Schaden kam, bekäme Meister Ludger gar nichts dafür. Doch noch war Amaurys Position zu unstet, als dass er sich solche Anmerkungen gestatten konnte.

„Und woran arbeiten wir jetzt?“ Amaury hatte sich sehr aufmerksam umgesehen. Es lag keine Arbeit herum.

„Eigentlich steht das Fenster mit der heiligen Jungfrau an. Doch der Auftrag wurde noch nicht erteilt.“

„Habt ihr schon ein Bild vor Augen?“

„Noch nicht ganz klar. Ich versuche gerade, Glas so einzufärben, dass es wie leuchtendes Gold wirkt. Ab und an kommt ein Kaufmann oder Edler vorbei und bestellt ein buntes Butzenglas. Freiburg ist sehr reich an Klöstern, die bestellen auch Glas und bezahlen gut.“

„Beeindruckend. Dann gibt es genug zu tun. Womit darf ich anfangen?“

Ludger nahm sehr wohl wahr, wie vorsichtig sich Amaury ausdrückte. Das gefiel ihm. Sein letzter Helfer, hatte voller Übereifer angepackt und mehr zerbrochen, als geschaffen. Immerhin war der erste Rundgang ohne Schäden verlaufen.

„Du kannst die Bleibänder zu Tropfen biegen. Sie sollen möglichst gleichmäßig werden, etwa so groß wie eine Hand. Ich muss noch mal auf den Markt. Denkst du, dass du allein zurechtkommst?“

Amaury nickte. Ihm war klar, dass dies ein erster Test war. Bleiband konnte man immer wieder neu biegen, wenn er die Arbeit verdarb. So hatte er bislang noch bei jedem Meister seinen Anfang gemacht. Schon beizeiten war ihm die Idee gekommen, für seine Muster eine Art Vorlage zu bauen, um die Rahmen gleichmäßig anfertigen zu können. Normalerweise machte er dies mit Lehm und ließ den fest werden. Er bog die erste Form, füllte Lehm hinein und wenn der fest geworden war, legte er die Bleibänder außen herum. Zum Glück hatte Ludger auf etwas Einfaches bestanden. Er maß mit seiner Hand die nötige Länge eines Bleibandes ab und schnitt sich drei Dutzend Bänder zu. Jetzt war es leicht, die Tropfen zu formen und sie oben zu verbinden, damit sie geschlossen waren.

Ludger war nicht nur überrascht, über die Menge, die Amaury in der kurzen Zeit geschafft hatte, sondern auch über die Sorgfalt. Tatsächlich wirkten die Tropfen fast völlig gleich. Als der junge Helfer sagte, wie er vorgegangen war, wusste Ludger, dass Aldur ihm einen wahren Schatz gebracht hatte. Amaury würde nicht nur schnell, sondern auch gut arbeiten. Nun wollte er testen, wie Amaury mit Glas klar kam. Er brachte ein paar Scherben und zeichnete Linien ein, an denen das Glas gebrochen werden musste. Bei dieser Arbeit schaute er zu und staunte, wie zügig und ordentlich Amaury arbeitete.

„Was war bisher das schönste Stück, das du gefertigt hast, Amaury?“

„Eine Miniatur einer Heiligenfigur.“

„Welche?“

„Den Antonius. Weil meine Eltern beide vom Antoniusfeuer dahingerafft wurden, dachte ich, ich muss ihn besänftigen.“

„Was ist aus der Figur geworden?“

„Ich habe sie auf dem Weg hierher gegen Essen eingetauscht.“

„Schade, ich hätte sie gerne gesehen.“

„Wenn ihr erlaubt, mache ich eine neue. Ich brauche dazu nur kleinste Scherben.“

„Bedien dich Amaury. Ich bin gespannt auf dein Werk. Damit du in Ruhe arbeiten kannst, gehe ich zu Aldur hinüber und bedanke mich noch einmal für seine Hilfe.“

Amaury vertiefte sich in seine Arbeit. Bald hatte er den heiligen Antonius fertig und von Ludger war noch immer nichts zu sehen. Langeweile war nichts für Amaury und er beschloss, einen kleinen Anhänger zu gestalten, der die Bilder der Stickereien von Wally und Aleidis widerspiegelte. Wie alle Glasmalermeister hatte auch Ludger eine Kiste mit Abfällen, die er sammelte. Manchmal kamen Sammler vorbei, die für die Glashütten außerhalb Bruchglas sammelten. Am Ende ergab das bunte Bruchglas meist eine braune Masse und es wurden Apothekergläser draus gegossen. Amaury suchte nach den kleinsten Scherben in Grün, Blau, Gelb und Weiß und gestaltete einen kleinen Anhänger, der kaum größer war als sein Daumennagel. Als er die letzten Handgriffe tat, kam Ludger zurück. Er bestaunte den heiligen Antonius und auch den Anhänger sehr.

„Was macht man mit dem winzigen Stück?“

„Man kann ihn als Schmuck tragen oder als Glücksbringer verwenden. Wenn ihr erlaubt, würde ich ihn Wally schenken. Zum Dank, dass sie mich bei sich wohnen lässt. Ihr könnt mir das Material vom Lohn abziehen?“

„Nimm nur. Zu wissen, wie groß dein Talent ist, ist mir Bezahlung genug.

Aleidis Sehnsucht

Bis Amaury in die Familie Blankenburg kam, dachte Aleidis nicht übers Heiraten nach. Doch der junge Mann sprach ihr Herz an und Aleidis lernte kennen, was es bedeutete Sehnsucht zu haben. Sie träumte am helllichten Tag davon, wie sie mit Amaury sprach und war oft in Gedanken versunken. Das bemerkte natürlich auch Walburg und schmunzelte vor sich hin. Sie hatte Amaury lieb gewonnen. Er arbeitete eifrig. Meister Ludger war voll des Lobes über seinen jungen Helfer und gab schon bald zu, dass Amaury mehr als Handwerk betrieb. Was er schuf, das war Kunst, so tönte Ludger überall, wenn er über seine Werkstatt und den begnadeten Amaury sprach.

Geschäftstüchtig wie Ludger war, gab er nur noch sehr wenig Bruchglas mit, wenn die Sammler kamen. Alle bunten und schönen Stücke, durfte sich Amaury herausnehmen und Schmuckstücke daraus fertigen. Er beherrschte alle Größen und schuf bunte Laternengläser, ebenso wie Anhänger für Halsketten oder Knöpfe. Besonders beliebt waren Blüten und Tiere. Aleidis war dazu übergegangen, die Reste der Stoffe, die die Edlen für die Stickarbeiten mitgaben, nicht mehr zurückzugeben. Anfangs hatte sie noch gefragt, als ihr aber alle die schmalen Reste ließen, begann sie nach den Bildern der Glasminiaturen Halsbänder zu besticken. Die Halsbänder legte sie bei Ludger vor, der sofort hingerissen war und selbst Halsbänder bei Wally und Aleidis in Auftrag gab.

Zwischen den Aleidis und Amaury entspannen sich daraufhin immer wieder Gespräche über die Motive und Farben. Wenn sich Garne häuften, die nicht verarbeitet wurden, zeigten Wally und Aleidis dem jungen Künstler die und er entwarf entsprechende Motive. Selbst aus den komischsten Farben zauberte er hinreißende Bilder.

Innerhalb weniger Monate hatte sich das Geschäft des Glasmalermeisters komplett verändert. Die Zünfte waren immer noch knapp bei Kasse und Ludger hatte angekündigt, das nächste Fenster fürs Freiburger Münster erst anzufangen, wenn die Bäcker ihres bezahlt und abgeholt hätten. Für Amaury bedeutete das, dass er unermüdlich an den Miniaturen arbeiten konnte und sich bald herumsprach, was er für einzigartige Stücke anfertigte. Noch vor Ablauf eines Jahres musste Ludger eine Art Warteliste führen, damit alle Anfragen abgearbeitet werden konnten.

Sowohl für Ludger, wie auch für Amaury und seine Herbergsfamilie brach eine gute Zeit an. Sie litten keine Not. Ludger war sehr fair, wusste er doch, dass sein eigener Wohnstand nur auf Amaurys Talent beruhte. Er entlohnte ihn großzügig und somit auch Aldur und seine Familie. Denn Amaury gab fast seinen ganzen Lohn bei Wally ab und unterstützte die Familie damit, wo es nur ging. Durch die Aufträge von Ludger hatten Wally und Aleidis jedoch auch eigene Einnahmen und sie waren dankbar, dass Aldur ihnen Amaury ins Haus gebracht hatte.

Wally hatte schlimme Zeiten erlebt und hielt das Geld beisammen. Sie sorgte für Mann und Kinder, dass sie satt waren und anzuziehen hatten. Jeglicher Luxus wurde versagt, weil sich Zeiten auch schnell ändern konnten.

Der junge Amaury Hardt fühlte sich wohl bei der Familie und zu Aleidis besonders hingezogen. Er hatte den Eindruck, dass auch Aleidis sich für ihn interessierte. Wie oft errötete sie, wenn er das Wort an sie richtete oder schreckte aus einem Tagtraum auf, wenn er die Stube betrat.

Die Zwillinge neckten Aleidis damit, dass sie so offensichtlich für Amaury schwärmte und auch Aldur blieb dies nicht verborgen.

Inzwischen zählte Aleidis dreizehn Lenze, viele Mädchen heirateten in dem Alter. Ja sie galten, ein bis zwei Lenze weiter schon als alte Jungfern und mussten sich fragen lassen, ob sie keiner freien wollte. Aldur beschloss, bald mit Amaury darüber zu sprechen und dann für die beiden die Heiratserlaubnis einholen zu lassen. Und natürlich musste er mit Wally sprechen, denn auch wenn er der Hausherr war, legte er großen Wert auf die Meinung seiner lieben Frau.

Aldurs Krankheit

Während sich Aleidis immer mehr ihren Sehnsüchten und Träumen hingab, die sich allesamt um ein Zusammenleben mit Amaury drehten, ging es Aldur zeitweise schlecht. Die Schmerzen in seinen Beinen waren so schlimm, dass er sich manchmal nicht aus dem Bett erheben konnte. Das lange Liegen schwächte ihn zusätzlich und bald litt er unter einem so festsitzenden Husten, dass er das Gefühl hatte, ersticken zu müssen.

In Freiburg grassierte die Därre. Selbst die Edlen blieben nicht davon verschont. Ob Aldur sie auch hatte, wusste niemand. Aber das Husten klang furchtbar und oft hörten sie Wally panisch rufen, Aldur solle um Himmels willen Luft holen. Alle waren besorgt und Amaury beschloss, zur Minzpinz zu gehen und sie um Rat zu fragen. Als er mit Aleidis darüber sprach, zweifelte sie an der Idee.

„Meinst du nicht, die Mönche in den Klöstern könnten auch helfen?“

„Können sie denn den Edlen helfen, die an der weißen Pest erkranken?“

Aleidis schwieg. Was sollte sie auch gegen so ein starkes Argument hervorbringen?

„Aleidis, ihr habt genug Geld, dass ihr eine Weile leben könnt. Ich spreche mit Meister Ludger. Wenn ich Glück habe, finde ich auf dem Münster eine Kutsche, die mich ein Stück mitnimmt. Die Bauern aus dem Umland kommen ihre Waren hier feilbieten.“

Als Amaury sah, dass Aleidis gegen ihre Tränen kämpfte, zog er sie an sich und drückte sie fest. Es war das erste Mal, dass die beiden sich so nahekamen. In Aleidis öffnete dies die Schleusen und sie weinte hemmungslos. Amaury streichelte ihr über den Rücken und versprach, bald wieder zurückzukommen. Sie solle ein paar Sachen zusammenpacken, dann würde er morgen früh losziehen. Aleidis versprach, ihm ein Bündel zu schnüren, schneuzte einmal kräftig und wandte sich ab. Der junge Mann lief schnell zu seinem Meister und bat um Einsicht.

Ludger, der Aldur seit Jahren kannte und schätzte, war sofort einverstanden. „Zieh nur mein Junge. Du tust gut daran, mehr auf die Minzpinz zu vertrauen als auf die Mönche. Sag Wally, wenn sie in Not sind, sollen sie kommen. Wenn du zurück bist, wirst du mir schon abarbeiten, was ich eventuell vorstrecken muss.“

„Danke Meister, Ihr seid sehr großzügig.“ Ludger winkte ab und blinzelte. Aldur war so etwas wie ein Freund und es rührte ihn sehr, dass Amaury sich um dessen Schicksal sorgte.

Auf dem Münsterplatz standen ein paar leere Karren. Er fragte die Händler und Bauern, wo sie hinziehen würden und wann es losgehen sollte. Mit einem Bauern aus dem Markgräflerland besprach er, dass er mitfahren wolle. Dafür musste er sich aber beeilen. Flink überquerte er den Platz und schritt eilig durch die Gassen, die er inzwischen sehr gut kannte. Aleidis hatte Wort gehalten und ein Bündel gepackt. Aus der hinteren Kammer hörten sie Aldur schwer Röcheln und Husten.

„Aleidis meine Liebe, sei stark. Ich bin bald zurück und dann bitte ich um deine Hand. Natürlich nur, wenn du das auch willst.“

„Amaury?“ Sie hauchte seinen Namen mehr, als dass sie sprach.

„Willst du?“ Amaury klang ungeduldig.

Schüchtern nickte Aleidis. „Nichts lieber als das. Pass auf dich auf und komm gesund wieder.“

„Das mache ich. Ich muss, sag deiner Mutter einen Gruß, ich möchte sie nicht stören, sie wacht bei deinem Vater.“ Amaury nahm das Bündel, drückte Aleidis etwas in die Hand und lief Richtung Münsterplatz davon.

Aleidis Wangen wurden nass von den Tränen. Sie stand reglos da und erwachte erst aus ihrer Starre, als Wally aus der Kammer kam, um dem Vater frisches Wasser zu holen.

„Aleidis mein Kind, was ist los?“

„Amaury ist weg. Er holt die Minzpinz für Vater.“

„Er ist ein guter Junge.“

„Ja. Das ist er. Und er will mich heiraten, wenn er zurückkommt.“

Wally drückte ihre Tochter spontan an sich. Sie freute sich aufrichtig. Hatte sie das doch auch schon lange gehofft. Als die Mutter die Kammertür hinter sich zuzog, blickte Aleidis auf das, was Amaury ihr zugesteckt hatte und ein Ausruf des Staunens entfuhr ihr. Sie hielt ein Abbild ihrer selbst in der Hand. Aus Glas in einem Bleirahmen, der kunstvoll gedreht war. Sie hielt das Schmuckstück gegen das Licht und es wirkte, als wenn Aleidis Gesicht lebendig wurde. Sie küsste das Glas vorsichtig und steckte es in die Rocktasche.

Amaurys Weg

Der Bauer hatte Wort gehalten und auf Amaury gewartet. Er wusste, dass Amaury der Glaskünstler war und hoffte, dass der ihn mit einem Schmuckstück bezahlte. Genau das hatte Amaury auch vor. Er hatte sich eine Handvoll kleiner Anhänger eingesteckt, die er nachts fertigte, wenn er nicht schlafen konnte. Sein Meister hatte kein Problem damit, dass er sich Material mitnahm. Er verdiente sehr gut an Amaury und ließ ihm alle Freiheiten. Seit geraumer Zeit baute er Miniaturkirchenfenster, die er in gebrannte Lehmplatten schob. Ein Schlitz hielt die Fensterchen und wenn ein Talglicht dahinter leuchtete, wirkte es, als würde man in einen Dom oder ein Münster hineinschauen. Den Backstein bearbeitete Amaury noch während der Fahrt. Der Bauer fragte nicht. Überhaupt war es eine schweigsame gemeinsame Reise. Jeder hing seinen Gedanken nach und selbst die Ochsen vor dem Karren, schienen mechanisch einen Fuß vor den anderen zu setzen.

„Noch etwa eine Stunde, dann sind wir dort. Willst du bei uns nächtigen?“

„Danke für das Angebot. Aber da ich nun ausgeruht bin, weil ich nicht laufen musste, möchte ich lieber nicht rasten und die Nacht hindurch laufen.“

Der Bauer nickte brummend. Bedauerte die Entscheidung allerdings sehr. Er hatte gehofft, noch einen Nachtzins aus dem Glasmaler herauszuholen. An der Kreuzung zu seinem Gehöft sagte er zu Amaury: „Die Minzpinz soll zuletzt fast auf der Höhe des Blauen gesehen worden sein.

---ENDE DER LESEPROBE---