Alles auf Null - Isobel Starling - E-Book

Alles auf Null E-Book

Isobel Starling

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Beschreibung

Das Leben nimmt eine dunklere Wendung für Sam und Declan … Seit Declan Ramsay vor acht Monaten Sam Aiken, den Sohn seines Bosses kennen und lieben lernte, hat sich sein Leben vollkommen verändert. Für den Mann, den er liebt, tauchte er ein in eine Welt aus Lügen und Geheimnissen. Declans Reise auf dem Weg zu sich selbst nimmt eine dunkle Wendung, und für Sam wird die Welt zu einem Ort schlimmeren Verrats, als er sich je hätte vorstellen können. Während einer Undercover-Mission in einem Outdoor-Sportzentrum in den schottischen Highlands verschwinden zwei Agenten – die Wahrscheinlichkeit, dass sie tot sind, ist hoch. Sir James Aiken schickt seinen Sohn und Declan los, um ihrer Spur zu folgen und herauszufinden, welches Schicksal die Agenten ereilt hat. Die Mission ist für Declan die erste Gelegenheit, seine neuen Fähigkeiten zu erproben, die er während seines MI6-Trainings in Marokko erworben hat, und er kann es kaum erwarten. Aber noch bevor das Paar sich recht auf den Weg gemacht hat, sät Sir James die Saat des Misstrauens und der Uneinigkeit zwischen den beiden. Die Reise zu ihrem Ziel in den Highlands und ihre Entdeckungen im G’wan Adventures Center zeigen, dass Sir James Aiken seinem Sohn nicht die Wahrheit gesagt hat. Die Ereignisse in den Highlands zwingen Sam und Declan, sich ihren tiefsten Ängsten zu stellen und zu verstehen, was sie wirklich vom Leben wollen – und vom jeweils anderen.

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Inhaltsverzeichnis

INHALT

Alles Auf Null

SHATTERPROOF BOND #3

Isobel Starling

Aus dem Englischen übertragen von

Betti Gefecht

WWW.DECENTFELLOWSPRESS.COM

Copyright © 2019-2023 Isobel Starling

Aus dem Englischen von Betti Gefecht

ISBN: 9783757929107

Deutsche Erstausgabe

Alle Reche vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne vorherige schriftliche Genehmigung der Autorin nachgedruckt oder anderweitig verwertet werden. Davon ausgenommen sind Rezensionen: Kurze Passagen können in einer Rezension zitiert werden und als Teil davon auch in Zeitungen oder Zeitschriften abgedruckt werden.

Die Figuren und Ereignisse, die in diesem Buch beschrieben werden, sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Dies ist eine brandneue, werkgetreue Übersetzung von "Return to Zero" von Isobel Starling. Sie ersetzt die zuvor veröffentlichte deutsche Fassung mit dem Titel "Zuruk auf Null".

Copyright © der englischen Originalausgabe 2016

„Return to Zero“ by Isobel Starling

Alle Rechte vorbehalten.

Cover Art Design by Isobel Starling

Vielen Dank an Betti Gefecht.

Ein wundervoller Übersetzer und

ein guter Freund.

INHALT

Kapitel 1 Paket

Kapitel 2 Einheit

Kapitel 3 Der Erstaunliche SAM

Kapitel 4 Saat des Unmuts

Kapitel 5 Würstchendieb

Kapitel 6 So etwas wie Heimkommen

Kapitel 7 Aufstieg UND FALL

Kapitel 8 Es geht bergab

Kapitel 9 In die Wälder

Kapitel 10 Offene Wunde

Kapitel 11 Fuchs

Kapitel 12 G’WAN ADVENTURES

Kapitel 13 DICK Und DARLING

Kapitel 14 Ich danke Ihnen, SIR

KAPITEL 15 WIRED CONNEXIONS

Kapitel 16 Im Schatten

Kapitel17 Köder

Kapitel 18 VerdraHTET

Kapitel 19 Das unzerstörbare Band

Kapitel 20 Ich werde der Mann sein…

Kapitel 21 Das Ende der Welt

Kapitel 22 Von Null auf Held

EPILOG

Über die Autorin

Was bisher geschah…

Sich in den Sohn seines Chefs zu verlieben, sollte sich für den zweiunddreißigjährigen Schotten Declan Ramsay als kein leichter Weg herausstellen. Nicht, wenn fraglicher Chef der Ex-MI5-Agent Sir James Aiken ist.

Declans Leben hat sich in den vergangenen acht Monaten vollkommen verändert – seit er Sir James’ Sohn kennenlernte, den blonden, begabten und spitzbübischen Sam Aiken. Um mit dem Mann zusammen zu sein, den er liebt, taucht Declan ein in eine Welt aus Lügen und Geheimnissen – Sir James befördert ihn in den Stand eines Agenten im Außendienst, sodass er Sam bei verdeckten Operationen für Sir James Geheimorganisation A.L.L. zur Seite stehen kann.

Nach seiner Rekrutierung verbringt Declan sechs Wochen in Marokko, wo er an einem Spezialtraining teilnimmt, getarnt als MI-6-Rekrut. Als er zurückkehrt, ist Sam überrascht von der Veränderung seines Partners. Declan Militärhaarschnitt, seine kräftigere Physis und sein neues Selbstbewusstsein bezüglich seiner Bisexualität verwandeln Sam in ein sexhungriges, nach Worten ringendes Etwas, und ihren ersten gemeinsamen Valentinstag verbringt das Paar mit sexy Rollenspielen.

Aber die Zeit des gemeinsamen Glücks ist nicht von Dauer, denn Sir James hat seine eigenen Pläne mit dem Paar. Declan Reise der Selbstfindung nimmt schon bald eine dunkle Wendung, und für Sam wird die Welt zu einem Ort schlimmeren Verrats, als er sich je hätte vorstellen können.

****

Alles auf

Null

von

Isobel Starling

„Westley und ich sind verbunden durch die Fesseln der Liebe, und du kannst uns nicht verfolgen, nicht mit tausend Bluthunden, und du kannst sie nicht zerbrechen, nicht mit tausend Schwertern.“

Die Braut des Prinzen

von William Goldman

Kapitel 1

Paket

Declan Ramsay schlenderte mit zwei Bechern Tee ins Schlafzimmer. Auf einem der Becher stand „Ich bin Sein!“ und auf dem anderen „Er ist Mein!“. Die Becher waren eins von Sams vielen albernen Weihnachtseinkäufen, zusammen mit „Sein“ und „Mein“-Handtüchern. T-Shirts und natürlich die passenden Herrenslips. Anfangs hatte Declan sich über sich selbst geärgert, weil er die Idee dahinter so zuckersüß gefunden hatte. Aber inzwischen machte es ihm Spaß, die Becher für ihren gemeinsamen Frühstückstee zu benutzen. Er reichte Sam seinen Becher, setzte sich neben ihn ins Bett und begann, seinen Tee zu schlürfen. „Also, hast du von ihm gehört?“

„Nö. Keinen Piep“, sagte Sam. „In keinem meiner Accounts eine E-Mail von James.“ Abwesend scrollte er auf seinem Computertablet. Er nahm einen Schluck von seinem Tee, bevor er den Becher auf dem Nachttisch abstellte. „Aber kein Grund zur Sorge, wirklich. Stattdessen sollten wir lieber dankbar sein und die seltene Ruhepause genießen.“

„Aber meinste nich’ es is’n kleines bisschen … verdächtig?“

Sam gab ein humorloses Lachen von sich. „Überhaupt nicht! James ist Spion bis ins Mark. Alles, was er tut, ist irgendwie verdächtig. Ich bin es gewohnt, dass mein Vater plötzlich von der Bildfläche verschwindet. Den Trick hat er während meiner gesamten Kindheit immer wieder abgezogen“, sagte er. In seiner Stimme lag eine gewisse Kälte. „Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft Belle und ich ,Gute Nacht, Papa‘ sagten, ins Bett tapsten und dann am Morgen Mama in einem unserer Betten fanden, weil er sich mitten in der Nacht aus dem Staub gemacht hatte. Sie hat es immer gehasst, allein zu schlafen“, fuhr Sam wehmütig fort, ganz verloren in seinen nostalgischen Erinnerungen.

„Jedenfalls kannst du dir verdammt sicher sein, dass er sich meldet, wenn er etwas will.“ Sam seufzte. „Gott, meine arme Mama muss den Mistkerl wirklich geliebt haben. Ich glaube nicht, dass ich mit einem Mann zusammen sein könnte, der andauernd auf diese Weise verschwindet.“ Declan hüstelte. Sam sah aus dem Augenwinkel Declans sarkastische Miene und biss sich auf die Lippe.

„Ich habe das einmal gemacht, okay! Aber ich verwandele mich nicht in meinen Vater, falls du das denkst“, protestierte Sam.

„Danke für die beruhigenden Worte, Liebling“, sagte Declan trocken und beugte sich zu Sam hinüber, um ihn zu küssen. Innerlich amüsierte er sich immer noch über Sams Protest.

Es war einen ganzen Monat her, seit Declan aus Marokko zurückgekehrt war, mit verbesserten Fähigkeiten und wiederhergestelltem, männlich-lässigen Hüftschwung. Während seines Trainings hatte Declan beschlossen, dass das Leben eines Geheimagenten eigentlich genau das war, wonach er gesucht hatte. Er war begierig darauf gewesen, eine Arbeit zu finden, die seinem Dasein etwas Abwechslung bescherte und die sowohl seine Muskeln als auch seinen Verstand forderte, anstatt sich wie bisher Tag für Tag mit überprivilegierten, reichen Leuten herumzuärgern. Bei seiner Rückkehr war Declan voller Tatendrang gewesen, ruhelos und mehr als bereit für welche Aufgaben James auch immer für ihn vorgesehen hatte. Aber Sir James Aiken rief nicht an und antwortete auf keine seiner Nachrichten. Zu sagen, dass Declan enttäuscht war, wäre eine Untertreibung gewesen.

Jetzt war Declan wieder zurück in seinem Angestelltenjob bei Aikens, mit Sam als Dolmetscher an seiner Seite. Nach ein paar Tagen Funkstille war er verärgert gewesen, nach einer Woche frustriert, aber nach nunmehr einem ganzen Monat ohne ein Wort von Sir James nahm er es persönlich. Und ganz gleich, wie oft Sam ihm auch versicherte, dass dieses Verhalten für James vollkommen normal war, Declan machte sich ständig Gedanken und wartete auf einen Anruf oder eine E-Mail von seinem Boss wie ein sitzengelassener Liebhaber.

„Liebling, glaub mir, es ist sinnlos, um James’ Aufmerksamkeit zu ringen. Ich sollte es wissen. Ich habe Jahrelang versucht, seine Anerkennung zu gewinnen und der Sohn zu sein, den er wollte. Aber niemand ist bei ihm je gut genug. Ganz egal, wie gut ich mich auf einer Mission anstelle, in seinen Augen fängt jeder nach einer Mission wieder ganz von vorn an. Alles auf Null“, erklärte Sam aus sicherem Wissen heraus. „Und das mit dem Schwulsein … ach, sagen wir einfach, wir sind nicht gerade seine Lieblingsmenschen.“

„Gott, wenigstens die Gelegenheit, ’n Auftrag auszuführen, wäre schon gut“, schnaufte Declan frustriert. „Ich will nur ’ne Chance, das is’ alles. Wenn er mich nur als Schläfer wollte, wozu sollte dann das ganze Training überhaupt gut sein?“

„Aber das war genau das, was ich wollte. Ich sagte ihm, dass ich ein ganz normales Leben will, mit einer Beziehung und einem normalen Job. Ich weiß, das klingt öde, aber vielleicht hält er sich einfach nur an unsere Abmachung und erlaubt uns ein wenig Normalität … ausnahmsweise?“

Daran hatte Declan gar nicht gedacht. Es würde bedeuten, dass irgendwo unter Sir James Aikens dickem, skrupellosen Fell ein schlagendes Herz steckte. Und ein wenig Liebe für seinen einzigen Sohn. Es klingelte an der Haustür. Automatisch stand Declan auf und ging zur Sprechanlage im Korridor.

„Hallo.“

„Ein Paket für Samuel Aiken“, sagte eine raue, männliche Stimme. Declan warf einen Blick auf das Bild der Sicherheitskamera auf dem Wandmonitor. Es zeigte einen Kurier, der eine Swift Co-Weste trug.

„Eine Minute, bitte“, antwortete Declan. „Erwartest du ein Paket, Sam?“, rief er über die Schulter. Ein zweites Mal würde er nicht hereinfallen. Sam kam aus dem Schlafzimmer, mit freiem Oberkörper und in einer dunkelgrauen Schlafanzughose, die sich an seine scharfen Hüftknochen schmiegte.

„Lass ihn herein“, sagte er, und Declan betätigte den Knopf, der die Haustür unten entriegelte. Sam und Declan standen rechts und links der Eingangstür, und beide warteten angespannt auf … irgendetwas. Hatte James ihnen am Ende doch eine Nachricht zukommen lassen?

Als es an der Tür klopfte, zuckten sie beide zusammen und grinsten sich nervös an. Sam war einen raschen Blick durch den Türspion und sah den Kurier – einen grauhaarigen, leicht übergewichtigen Asiaten Anfang fünfzig mit Fred Feuerstein-Bartstoppeln in seinem rundlichen Gesicht. Er hielt ein Paket in der Größe eines Schuhkartons, auf altmodische Weise in braunes Packpapier gewickelt und mit Paketband verschnürt. Als Sam die Tür öffnete, schrak er sofort vor dem Geruch von Schweiß und Zigaretten zurück. Außerdem roch der Mann, als hätte er sich in Dönerfleisch gewälzt. Falls es sich hier um ein versuchtes Attentat handelte, würden die Achselhöhlen des Mannes den Job mühelos erledigen. Der Kurier schob Sam ein Clipboard entgegen. Sam überflog den Lieferschein. Das Feld für den Absender war unbeschriftet.

„Wo hasse das abgeholt, Kumpel? Hab’ nix bestellt“, sagte Sam mit einem gedehnten East Londoner Akzent.

„Ich hol’ vom Depot. Wo die Sachen herkomm’ weiß ich nix drüber. Geht mich nix an.“

„Tja, wehe ich hör was ticken“, witzelte Sam und machte ein dusseliges Gesicht. Der Kurier kicherte und hielt sich den Karton ans Ohr.

„Nee, bestimmt ’n Paar Schuhe oder irgendwas. Überraschung vonner Freundin?“

„Ja, irgendwas", plapperte Sam ihm nach. Dann kritzelte er eine unleserliche Unterschrift und nahm das Paket entgegen. Er war sofort überrascht, wie leicht es war. „Danke auch, Kumpel, schön’ Tach noch“, sagte er und gab das Clipboard zurück. Dann schloss er die Tür.

Declan beobachtete den Wandmonitor, während der Kurier ging und die untere Haustür sich hinter ihm schloss. Dann öffnete er die Wohnungstür und überprüfte den Hausflur und das Treppenhaus. Nichts war zurückgelassen worden. Declan kam sich ein bisschen melodramatisch und übervorsichtig vor, aber er hatte so ein Bauchgefühl. Irgendetwas ging vor sich. Irgendetwas, das weitere, bedeutende Veränderungen in sein Leben bringen würde. Er konnte nur noch nicht genau den Finger darauflegen. Declan spürte dieses spezielle Kribbeln schon, seit er aus Marokko zurückgekehrt war, so als befände er sich noch in der Warteschleife und würde ohne Landeerlaubnis in der Luft kreisen. Sam schien nicht besonders beunruhigt über die mangelnde Kontaktaufnahme seitens James zu sein, aber Declans Leben hatte in den vergangenen Monaten eine Riesenwende genommen und die Art, wie er die Dinge und sich selbst betrachtete, war nun eine vollkommen andere. Lange verborgene Erinnerungen waren während seinem „Verhör“ ans Tageslicht gebracht worden. Und die aufblitzenden Erinnerungsfetzen, über die Declan nicht zu sprechen wagte, zerrten an seinen Nerven und verursachten ihm Unbehagen.

Sam nahm das Paket mit in die Küche, wo er eine Schere aus der Krimskams-Schublade holte, das Paket auf die Arbeitsplatte stellte und die Schnur durchschnitt. Auf dem Karton selbst war kein Aufkleber der Kurierfirma und auch kein Absender. Sam schnitt das braune Packpapier an nur einer Seite des Pakets auf, um das Klebeband und eventuelle Fingerabdrücke oder DNA-Spuren darauf zu erhalten. Dann zog er eine cremefarbene Schachte von der Größe eines Schuhkartons heraus. Sam sah neugierig zu Declan auf, der schweigend und mit vor der Brust verschränkten Armen dastand.

„Hättest du gern die Ehre?“, fragte Sam sarkastisch.

Aber Declan hob beschwichtigend die Hände. „Nee, mach nur. Ich glaub, das kriegt Der erstaunliche Sam schon hin“, kicherte er.

Es waren keine sichtbaren Drähte an dem Karton, kein Ticken zu hören, und sie war leicht wie eine Feder. Sam würde sich wegen seines übervorsichtigen Vorgehens beim Öffnen des Pakets schön dämlich vorkommen, sollte sich herausstellen, dass die Schachtel leer war. Aber er war so trainiert worden. Er öffnete erneut die wundersame Küchenschublade und holte eine Grillzange heraus.

„Du weißt, dass ich dich liebe, oder?“, sagte Sam so dramatisch, als wären es seine letzten Worte.

Declan schüttelte den Kopf über Sams Albernheit und schürzte die Lippen.

„Auf drei. Bereit?“ Declan nickte. „Eins …“ Sam hob ruckartig den Deckel hoch, und Declan trat reflexartig zurück und hob die Hände vors Gesicht.

„Du sagtest auf drei“, beschwerte er sich und kam sich vor wie ein Idiot. Sam kicherte erleichtert, als jegliches Feuerwerk ausfiel. Er benutzte die Zange, um ein Stück weißes Seidenpapier zu entfernen, das den Inhalt bedeckte. Als Sam sah, was in der Schachtel lag, atmete er scharf aus und trat einen Schritt zurück.

„Was?“, sagte Declan alarmiert, als er sah, das Sam kreidebleich wurde.

„Nichts“, antwortete Sam. Er setzte eine emotionslose Miene auf, dann klappte er den Deckel des Kartons wieder zu. Er enthielt eine Schlinge aus Fallschirmschnur. Genauso eine, wie ihm vor fast drei Monaten in der Coburg Bar jemand heimlich in seine Jackentasche gesteckt hatte.

„Ich muss los. Ich muss das ins Labor bringen“, verkündete Sam kühl. Sein Blick war starr und leer und meilenweit weg.

Declan empfand plötzlich überwältigende Frustration. „Was zum Henker bedeutet das hier, Sam? Jesus, ich weiß nich’ mal, wo das beschissene Labor is’!“, brüllte er wütend.

Sam war schockiert von dem Zorn in Declans Stimme. Und er fühlte sich schuldig, weil er mit seinem Partner – dem einen Menschen, dem er vertrauen sollte – so ein Mantel-und-Degen-Spiel trieb. Declan hatte jedes Recht, alles über das A.L.L.-Labor und die Lagerhalle zu erfahren.

„Zieh dich an“, forderte Sam ihn auf, dann drehte er sich um und verließ die Küche.

****

Kapitel2

Einheit

Es war zehn Uhr fünfundvierzig an einem bedeckten Tag im Mai. Ein Samstag. Declan hatte vorgehabt zu tun, was jedermann, der eine feste Beziehung hatte, an einem Samstag so tat – es sich daheim mit der besseren Hälfte gemütlich machen und dann gemeinsam irgendetwas Entspannendes unternehmen. Declan gefiel es, an Samstagen ein bisschen was einzukaufen und vielleicht ein Brunch in einem netten Café zu genießen. Später auf ein Bier in den Pub und irgendein Spiel zu schauen, Fußball oder Rugby, und sich dann etwas um den Haushalt zu kümmern, sodass alles für die kommende Arbeitswoche sauber und ordentlich war.

Declan mochte seine Samstage mit Sam. Er mochte jeden Tag mit Sam, aber die Samstage waren für ihn zu etwas Besonderem geworden, weil es stressfreie Tage waren. Weil sie nicht ins Büro mussten und sich in der Öffentlichkeit wie ein Paar verhalten konnten. Es lag eine seltsame Intimität darin, gemeinsam Lebensmittel einzukaufen. Declan liebte es, einen Partner zu haben, für den er kochen konnte, und er genoss die „Mmh“- und „Aah“-Laute, die Sam von sich gab, wenn er von den Rezepten kostete, mit denen Declan herumexperimentierte. Declan hätte sich keinen perfekteren Testesser wünschen können. Weshalb der Umstand, dass seine angenehme Samstagsroutine so unangenehm unterbrochen worden war und sie nun mit dem Range Rover in Richtung des Flughafens Heathrow fuhren, ihn etwas aus der Bahn warf.

„Deinen Firmenausweis hast du dabei, ja?“, sagte Sam beiläufig, während er leise zu einem Song im Radio mit den Fingern aufs Lenkrad trommelte und dabei eine Art fröhlichen Sitztanz aufführte.

„Aye.“

„Gut.“ Sam fing an, den Song mitzusingen. Er hatte eine überraschend angenehme Singstimme.

Declan lauschte Sams Gesang für ein paar Minuten, aber er konnte nicht aufhören, an die Ereignisse des Morgens zu denken. Die fiese Schlinge in dem Karton auf dem Rücksitz verstörte ihn, und er war frustriert von Sams Verhalten – zuerst hatte er mit Entsetzen auf das Paket reagiert, und nun demonstrierte er falsche Sorglosigkeit und sang betont lässig vor sich hin. Declan war sicher, dass Sam ihm etwas vorspielte und das hinter dem Ganzen noch mehr steckte. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, ihn zur Rede zu stellen.

Declan hatte sich vorgestellt, seine Einführung in A.L.L. würde geradliniger ablaufen, so wie in einem Agentenfilm. Man absolviert das Training, bekommt den Ausweis und die Pistole, wird auf eine Mission geschickt und tritt den bösen Jungs in den Arsch. Aber Verzögerungen, Fehlkommunikation und das wahre Leben ließen nun alles zusammenhanglos und unprofessionell erscheinen – obwohl er selbst nicht sicher war, was „professionell“ im Leben eines Geheimagenten eigentlich bedeutete. Declan hatte keine Ahnung, wo sich Sir James’ Hauptquartier befand, wer zum Teufel für die Organisation arbeitete, welche Mittel sie hatten oder wer auf der Liste ihrer Klienten stand. War das alles vielleicht nur eine List? Ein Spiel, dass sich ein Mann ausgedacht hatte, der viel zu viel Zeit und Geld hatte? Declan brauchte handfeste Beweise dafür, dass alles, was man ihm gesagt hatte, der Wahrheit entsprach. Er hatte sich gefragt, was es mit diesem Lagerhaus auf sich hatte, das Sam in den vergangenen Monaten immer mal wieder beiläufig erwähnt hatte. Vielleicht würde er nun endlich lernen, wie groß A.L.L. als Unternehmen wirklich war.

Sam fuhr von der M4 Fernstraße ab, und sie setzten ihre Fahrt östlich von Heathrow in Richtung Uxbridge fort. Declan nahm sein Telefon und rief eine Karte des Gebiets auf Google Maps auf. Offenbar befand sich ihr Ziel irgendwo zwischen Heathrow und RAF Northolt. Wenige Minuten später verließ Sam die Straße nach Uxbridge und bog in ein Gewerbegebiet ein. Declans Kinnlade klappte herunter, als sie vor den Toren eines umzäunten Gebäudekomplexes mit der Aufschrift Allwayz Self Store hielten. Er starrte den Namen ungläubig an, und dann fing er an zu lachen.

„Was?“, fragte Sam, während er das Fenster herunterkurbelte und seinen Firmenausweis durch das Kartenlesegerät zog.

„Der Name, A.S.S. Ass Store!“, platze Declan heraus.

„Ja. Ich fürchte, dein scharfer Schwanz hat meinen Arsch überstrapaziert. Ich wollte mir hier Ersatz beschaffen“, witzelte Sam. Sie lachten beide herzhaft, dann wechselten sie heiße, vielsagende Blicke.

Declan sah sich um. Er hatte zwar erwartet, dass Sam ihn zu einer großen Lagerhalle bringen würde, aber dieser Komplex war gigantisch. Ein zweistöckiges Industriegebäude mit Lagerhallen im Parterre und Büroräumen im ersten Stock. Sam fuhr auf einen Parkplatz, der Parkbuchten für etwa fünfzig Vehikel bot, und die meisten davon waren belegt – an einem Samstag.

„Was zum Henker geht hier vor?“, fragte Declan.

„Hauptsächlich ist es ein Containerlager, aber die Anlage dient verschiedenen Zwecken.“ Sam machte eine kurze Pause, während er nach einer freien Parklücke Ausschau hielt. „Wir haben hier eine Verwaltungs- und Planungsabteilung, die sich um die Details unserer verdeckten Operationen kümmert– angefangen von Decknamen und Tarnidentitäten bis zur Buchung von Flügen und Hotelzimmern. Sie erledigen die geheime DPI. Außerdem gibt es hier sowohl ein forensisches als auch ein technisches Labor.“ Sam spulte die Informationen genauso so lässig ab wie Declan, wenn er einem Klienten ein Haus zeigte.

„Was zum Teufel ist DPI? Klingt versaut.“

„Es steht für Deep Packet Inspection.“

„Aye, klingt immer noch versaut. Darf ich das irgendwann mal mit dir machen?“, sagte Declan und wackelte mit den Augenbrauen.

Sam kicherte. „Ich hoffe nicht! Dafür beschäftigen wir die besten Analytiker! James bietet ein deutliche besseres Gehalt und mehr Zusatzleistungen als die Regierung. Unsere Analytiker filtern zu verschiedenen Zwecken Online-Infos und Daten – hauptsächlich Überwachung zur Terrorismusabwehr. Die Arbeit ist streng geheim, und wir verkaufen die Ergebnisse an Regierungen auf der ganzen Welt. Alles ziemlich Nacht und Nebel.“

Declan war ganz schön verdattert. Er hatte Schwierigkeiten damit zu begreifen, wie gigantisch dieses Häppchen Information war. Sam parkte den Wagen, dann schnappte er sich die Tasche mit dem Karton, und er und Declan marschierten zu den Glastüren des Vordereingangs.

Die Empfangshalle wirkte ein wenig trist. Es gab eine kleine Sitzecke mit einem niedrigen Tisch, auf dem ein Stapel Flyer von Allwayz Self Store aufgefächert war, zwei Beistelltischchen mit jeweils einem Yucca-Topf und einen Wasserkühler – Überraschung, Überraschung – ohne Becher. Die Wände waren beige mit mokkafarbenen Akzenten. Gerahmte Werbeplakate von A.S.S. hingen in leicht schiefen Winkeln an den Wänden, als hätte irgendwann einmal jemand sie versehentlich angestupst und einfach nicht wieder zurechtgerückt. Declan verspürte den spontanen Drang, sie alle rasch wieder geradezurücken. Er biss die Zähne zusammen. Hier musste dringend mal renoviert werden. Aber vielleicht sollte die Einrichtung auch absichtlich altmodisch aussehen.

Ein einsamer Sicherheitsmann in dunkelblauer Uniform stand hinter dem Empfangstresen. Eine Reihe von Überwachungsmonitoren war seine einzige Gesellschaft. Er mochte etwa Ende vierzig sein, mit schütterem braunem Haar und einem wettergegerbtem, blassen Gesicht.

„Lewis. Schön, dich zu sehen“, begrüßte Sam ihn jovial. Der Mann antwortete mit einem Nicken und lächelte zurückhaltend, während er zuerst Sam, dann Declan musterte.

„Gehören Sie … zusammen?“, fragte er in einem musikalischen Waliser Akzent. Auf Sams bejahendes Nicken hin holte er ein großes, in rotes Leder gebundenes Buch hinter dem Tresen hervor und klappte es auf, so als wollte er es Sam zum Unterschreiben reichen. Sam legte seine Handfläche auf den Tabletbildschirm, der sich im Inneren verbarg.

„Es ist Agent Ramsays erster Besuch hier. Er muss im System erfasst und einer Einheit zugeteilt werden“, sagte Sam. Lewis nickte.

„In Ordnung, Sir“, antwortete er, dann wandte er sich an Declan: „Haben Sie Ihren Ausweis, Sir?“

Declan stockte unwillkürlich der Atem. Einen Augenblick lang war er völlig perplex darüber, als „Agent Ramsay“ bezeichnet zu werden. Seine Eier zogen sich zusammen, und sein Schwanz zuckte, als würde er ein OH JA! Ausrufen. Der Titel gefiel ihm. Sehr sogar. Declan musterte Lewis unauffällig. Der Mann war eindeutig ein Ex-Soldat; Declan konnte es förmlich riechen. Er nahm an, dass James viele seiner Mitarbeiter in den Reihen des Militärs rekrutierte. Wie verlangt entfernte Declan seinen A.L.L.-Ausweis von seiner Brusttasche und reichte ihn dem Sicherheitsmann, der die Karte einlas und Declan dann aufforderte, ebenfalls seine Hand auf das Tablet zu legen. Nachdem seine Hand eingescannt war, erhielt Declan seinen Ausweis zurück.

Lewis tippte etwas auf seinem Computerkeyboard, dann sah er zu Declan auf. „Einheit 65. Ihr Übergangspasswort ist Magenta, Sir. Um es zu ändern, geben Sie es einfach ein, danach drücken Sie dreimal die Null und geben Ihr neues Passwort ein. Am besten verwenden Sie eine Kombination aus Buchstaben und Ziffern“, empfahl er. Declan nickte und folgte Sam zu einer roten Seitentür mit der Aufschrift „Nur für Personal“. Sam blieb vor der Tür stehen und schaute zurück zu Lewis, der schließlich mit einem Nicken einen Knopf unter dem Tresen betätigte, um die Tür zu entriegeln. Sam und Declan gingen hinein.

Die Tür führte in einen langen, geschlossenen, weißen Korridor. Declan bemerkte die Kameras über der Tür, die sie soeben durchschritten hatten, und über einer weiteren etwas zehn Meter vor ihnen, der sie sich näherten. Als sie diese Tür erreichten, ergriff Sam die Klinke und nickte zur Kamera hinauf. Der Türöffner summte und Sam drückte die Tür auf.

Sie betraten einen stockfinsteren Raum. Einen Moment lang war Declan desorientiert, aber dann schaltete sich summend und flackernd die Deckenbeleuchtung ein und blendete sie beide kurzzeitig.

Die riesige Haupthalle des Lagerhauses war dicht an dicht gefüllt mit Hunderten einstöckigen, ISO-genormten Stahlcontainern. Die niedrige Hallendecke war ein Gewirr aus Kabeln, Leitungen und Rohren, von denen einige kurioserweise oben aus den zahlreichen, zwölf Meter langen Containern ragten.

Sie waren vollkommen allein, und die Verlassenheit der Halle machte Declan nervös. Das Tap-Tap ihrer Stiefelsohlen war das einzige Geräusch an diesem ansonsten stillem Ort. Die Luft war kühl und roch feucht, gemischt mit einem Hauch Abgasgestank und Moder. Sie kamen an einem Gabelstapler vorbei, der zusammen mit mehreren, schweren Hebebühnen-Fahrzeugen an der Seite abgestellt worden war. Einige davon zeigten das Logo des Flughafens Heathrow … sie waren offenbar stibitzt worden.

Declan folgte Sam weg von der Ladebucht und durch einen schmalen Durchgang zwischen den Schiffscontainern. Bewegungsmelder schalteten die Neonröhren über ihren Köpfen an und beleuchteten den Weg vor ihnen. Declan fiel auf, dass die Container ganz unterschiedliche Türen aufwiesen. Manche hatten Schiebetüren, andere ganz normal aussehende Klinkentüren, und wieder andere schwere Stahltüren mit vernieteten Riegelschlössern.

Schließlich blieb Sam vor Einheit 65 stehen. Offenbar handelte es sich dabei um drei zusammengeschweißte, rostrote Container mit einer schwarzen Eingangstür aus solidem Stahl. Außerdem gab es einen traditionellen Briefkasten und eine Zahlentastatur an der Wand daneben. Sam tippte rasch seinen Code ein und öffnete die Tür. Auch hier schalteten Bewegungssensoren das Licht ein und erhellten das Innenleben der zusammengefügten Container. Sam bückte sich beim Eintreten und hob ein Bündle Post vom Boden auf.

Declan folgte ihm neugierig ins Innere. Erstaunt stellte er fest, dass sie sich in so etwas wie einem modernem modern eingerichtetem Apartment befanden. Die Container waren extravagant ausgestattet worden, die Wände und Decke aus poliertem Zedernholz, und Eichendielen auf dem Boden. Eine gemütliche, graue Couch in L-Form und ein niedriger Couchtisch standen an einer Seite, und an der hinteren Wand befanden sich Regale mit endlosen Reihen von Büchern, unterbrochen von abschließbaren Spinden. Es gab eine elegante kleine Küche in Chrom und rotem Plexiglas, und weiter hinten einen Schlafraum und ein Bad. Declan bemerkte sofort, wie angenehm der Raum temperiert war, und die gefilterte Luft roch gut und nach einem gewissen Hauch von Sam. Declan schloss die Tür hinter sich.

Er war voller Staunen. „Oh mein Gott, das is’ unglaublich hier!“ Er kannte Sam nun seit fast acht Monaten persönlich, aber er hatte nicht einmal den leisesten Verdacht gehabt, dass Sam ein solches Geheimversteck hatte. Bei der Erwähnung des Lagerhauses hatte Declan stets sich stets eine Gewerbehalle mit Stapeln von Kisten vorgestellt, aber niemals das hier.

„Haste hier gewohnt?“

„Habe ich. Es gibt hier schnelles Internet, Kabelfernsehen, Fußbodenheizung, Klimaanlage, ein Bad und eine Küche – praktisch, wenn ich mal für eine Weile untertauchen muss.“ Sam stellte die Tasche mit dem Paket auf den Couchtisch und warf den Poststapel daneben.

„Kann man wohl sagen.“

„Ich muss nur ein paar Sachen zum Anziehen holen, wo ich schonmal hier bin. Setz dich und entspann dich solange. Mach den Fernseher an, wenn du magst“, sagte Sam, dann ging er ins Schlafzimmer.

Declan wollte sich nicht setzen. Er wollte sich das faszinierende Innendesign anschauen und herausfinden, wie viele von diesen genialen Containerwohnungen sich an diesem Ort versteckten. Er warf einen Blick auf die Briefe auf dem Tisch – sie waren adressiert an Stefan Boche, Alexander Westley, Sebastien Laurent und Nathaniel Cooper.

Dann studierte Declan die Regale. Die Bücher waren nach Themen geordnet, Sprachen, Länder, Geschichte, Volkstum, Belletristik. Als er die Bücher über Entfesselungskunst sah, tat Declan das Herz weh. Sich vorzustellen, wie Sam als kleiner Junge diese Bücher verschlungen hatte in dem verzweifelten Wunsch, seines Vaters Aufmerksamkeit zu gewinnen, war zu traurig.

„Sind alle Einheiten wie diese?“, rief Declan.

„Gott, nein. Diese hier habe ich draußen ausstatten und dann herbringen lassen. Geburtstagsgeschenk meines Vaters, könnte man sagen. Ich habe dafür das Geld benutzt, das ich zu meinem achtzehnten Geburtstag von ihm bekam.“

„Scheiße. Alles, was ich gekriegt hab’, war ’n Konzertticket und ’n paar CDs.“

Sams privater Wohnbereich mit seiner peniblen Sauberkeit und Ordnung war für Declan ein ziemlicher Turn-on. Es zeigte ihm, dass sie in der Tat perfekt zusammenpassten. Abwesend fragte er sich, ob Sam jemals hier jemanden gefickt hatte. Er ging an der kompakten Küche vorbei ins Schlafzimmer, wo Sam die Schiebetür des Kleiderschranks geöffnet hatte und nun dabei war, Anzüge, Hemden, Schuhe und witzige Unterhosen auszusuchen, die er mit nach Mayfair nehmen wollte.

„Entschuldige, ich dachte einfach, ich kann zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Gib mir zehn Minuten, dann können wir ins Labor gehen“, sagte Sam und warf einen ziemlich schicken Anzug in Preußischblau aufs Bett.

In Declans Kopf wirbelten Fragen, und es machte ihn ein wenig nervös, dass sein sonst so gesprächiger Boyfriend so emotionslos herüberkam.

„Hast du schonmal jemanden hierher mitgenommen?“, fragte Declan und lehnte sich gegen den Türrahmen.

Sam lachte humorlos auf. „Gott, nein! Für die Außenwelt existiert dieser Ort gar nicht. Abgesehen von dem Designerteam, das hier alles ausgestattet hat, bist du der Einzige, den ich je hergebracht habe“, sagte er. „Natürlich weiß James darüber Bescheid, dass ich hier einen Platz habe. Wir alle haben einen. Aber was wir damit machen, und was sich darin befindet, ist streng privat.“

Declan errötete bei dem Gedanken, dass er der Einzige war, dem Sam vertraute. Es beruhigte ihn und verschaffte ihm das warme Gefühl, ausgewählt worden zu sein … jemand Besonderes zu sein. Er wäre gern zu seinem Geliebten hinübergegangen, um ihm auf die einzige Weise für das Kompliment zu danken, die Sinn machte. Aber das unterschwellige Unbehagen, das er bei Sam spürte, brachte ihn zu dem Schluss, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für so etwas war.

„Ich gehe und kümmere mich um mein Passwort. Hol mich auf dem Rückweg ab, ja? Ich hab’ das dumme Gefühl, sollt’ ich mich hier verirren, wird niemand je meine Leiche finden.“

Sam kicherte leise, immer noch mit seiner Kleidung beschäftigt. „Da könntest du recht haben.“

Declans Einheit war nicht so beeindruckend wie Sams. Zunächst einmal handelte es sich nur um einen Einzelcontainer mit einer metallenen Schiebetür, die gespenstischerweise wie eine Guillotine klang, als er sie aufzog. Das Geräusch hallte durch die riesige Halle – wegen der vollkommenen Stille erschien es Declan deutlich lauter, als es hätte sein sollen. Das Innere des Containers war mit Rigipsplatten ausgekleidet und anschließend weiß gestrichen worden, aber das war auch schon alles. Es war eine leere Hülle mit Beleuchtung und Steckdosen, und hinter einer Tür am hinteren Ende des Containers befanden sich eine Toilette und ein Waschbecken. Declan hatte keine Ahnung, was er hier lagern oder aufbewahren sollte. Er hatte seine Besitztümer in der Garage seiner Eltern verstaut, in deren Haus in der Nähe von Edinburgh. Er dachte einen Moment darüber nach, einen Transporter zu mieten und seine Sachen zu holen, aber nein. Dieser neue, unbenutzte Ort würde sein neues Leben repräsentieren und ausschließlich für Dinge benutzt werden, die mit seinen Geheimoperationen zu tun hatten. Es würde Spaß machen, den Container einzurichten.

„Wow, das nenne ich mal eine leere Leinwand!“

Declan zuckte beim plötzlichen Klang von Sams Stille zusammen. „Aye, sieht aus, als müsst’ ich erstmal zu Ikea“, lachte er.

„An einem Samstag? Bist du verrückt geworden?“, keuchte Sam mit gespielter Entrüstung.

Declan schloss ab und erneuerte sein Passwort; dann machten sie sich auf. Sam zog einen großen, bleigrauen Koffer mit seinen Sachen hinter sich her. In der anderen Hand trug er die Tasche mit dem Karton. Erneut wurde Declan durch leere Gänge geführt, die von den Containern zu beiden Seiten gebildet wurden. Das viel zu helle Licht der nackten Neonröhren an der Decke flackerte vor ihnen auf, während sie weitergingen, und erlosch eine Minute später hinter ihnen. Wenn Declan ganz ehrlich war, dann fand er diesen Ort gruselig. Wie ein schwarzes Loch. Diese Lagerhalle hätte überall auf der Welt sein können, anonym und geheim. Wenn mich jemand aus’m Weg schaffen wollte, dann würd’s keiner mitkriegen. Keiner würd’ mich schreien hör’n. Er erschauerte. War das hier, wo sie mich verhört haben?

Sie bogen in einen etwas breiteren Gang ein, vorbei an einem Container nach dem anderen, angestrichen in gedämpftem Grün, Dunkelblau und Rostrot. Declan hatte das sichere Gefühl, dass sich hier jede Menge Geheimnisse verbargen. Am Ende des Gangs leuchtete ein rotes Licht über einer unauffälligen Tür. Sam zog seinen Ausweis durch die Konsole, und Declan tat es ihm gleich. Die Tür öffnete sich in einen weiteren langen, weißen Korridor. Declan hörte mehrere Stimmen und das entfernte Klingeln von Telefonen.

Als sie den Lagerbereich verließen, stellte Declan fest, dass er und Sam in einem fensterlosen Großraumbüro standen – etwa dreißig Schreibtische, jeweils in Gruppen von zwei oder drei zusammengestellt, daran Mitarbeiter in Anzügen, die Daten in Computer eingaben oder in zig verschiedenen Sprachen in die Mikrofone ihrer Headsets sprachen. Es war, als hätten sie ein internationales Callcenter betreten.

Niemand schenkte ihnen Beachtung. Sam marschierte durch den breiten Gang zwischen den Schreibtische auf eine weitere Tür zu, mit Declan an seiner Seite.

„Was geht hier vor?“

„Oh, das sind die Schnüffler, von denen ich dir erzählte.“

Declan hatte immer gedacht, Sam würde seine Arbeit hassen und wäre tief in seinem Herzen Pazifist. Auch hatte er sich gefragt, was Sams politische Neigungen waren und war zu dem Schluss gelangt, dass er ziemlich liberal eingestellt war. Aber jetzt, als Sam so beiläufig sprach, umgeben von Analysten, die sich mit DPI befassten, als würden sie Onlineshopping betreiben, war Declan nicht mehr so sicher.

Ohne Eile setzten sie ihren Weg fort, durch eine weitere, gesicherte Tür und dann eine Treppe hinauf in den ersten Stock. Hier ähnelte der Korridor dem einer medizinischen Einrichtung: Linoleumboden, weiße Wände und zurückhaltendes Licht. Es gab kein großes Schild, das verkündet hätte, dass sie sich nun im A.L.L.-Labor befanden. Es gab überhaupt keine Schilder, nirgendwo. Falls jemand Schilder benötigte, um sich hier zurechtzufinden, dann gehörte er ganz offensichtlich nicht hierher. Nachdem sie ihre Ausweise an einer weiteren Tür eingelesen hatten, erreichten Sam und Declan den Empfangsbereich, wo ein männlicher Sekretär in einer Bürokabine aus schusssicherem Glas an seinem Schreibtisch saß und auf einen Computerbildschirm starrte.

Als der Mann aufsah, beugte Sam sich an das Gitter im Fenster und sagte: „Agent Aiken für Mr. Goldblume.“ Der Sekretär nickte und gab die Information per Telefon weiter. Sam ging auf und ab, während Declan an der Wand lehnte und mit den Augen den Raum kartografierte – die Positionen der Überwachungskameras, Ein- und Ausgänge, die expressionistischen „Gemälde“ an den Wänden. Er fragte sich, wieso das Labor so hohe Security-Standards hatte, aber so schrecklich niedrige, was die Kunst betraf. Sam kam herüber und stellte sich neben Declan.

„Wer ist Goldblume?“

„Forensik-Spezialist und ein alter Freund der Familie. Mein Patenonkel, um genau zu sein. Sein Fachgebiet ist Spurenauswertung. Falls es also auf dem Paket Fingerabdrücke gibt, Haare, Hautschuppen – er findet sie.“

Die weiße Tür an der linken Seite der Kabine öffnete sich, und heraus kam ein schlanker älterer Mann. Er trug einen weißen Laborkittel, darunter eine braune Kordhose und ein himmelblaues Hemd. Er war ein wenig kleiner als Sam und Declan. Seine Augen blickten intelligent über einer Adlernase in einem Gesicht, das in seiner Jugend geradezu teuflisch attraktiv gewesen sein musste. Jetzt aber zeigte es die Zeichen des Alters und vieler schlafloser Nächte in den dunklen, hängenden Tränensäcken. Dr. Jonah Goldblume öffnete seine Arme, und Sam trat auf ihn zu.

„Du meine Güte, Samuel. Was verschafft mir das Vergnügen?“, fragte er mit einem deutlichen, südafrikanischem Akzent.

„Wie geht es dir, Jonah? Tut mir leid, wenn ich unser Geplauder abkürze, aber du musst dir dringend etwas für mich ansehen.“

„Ja, ja, es geht mir gut. Natürlich. Komm mit ins Labor. Wir können dort weiterreden.“ Erst dann hielt der Mann inne und bemerkte den großen, muskulösen, bärtigen Mann neben Sam. Er betrachtete Declan neugierig.

„Oh, Jonah, das ist Declan, Agent Ramsay, mein Partner. Ich zeige ihm alles hier.“

„James hat dir einen Partner zugeteilt?“, rief Jonah aus und zog verwirrt die buschigen Brauen zusammen.

„Ich weiß, es ist schockierend“, witzelte Sam. „Ich habe mir Agent Ramsay ausgesucht … Declan. Und Vater hat zugestimmt. Wer hätte das gedacht?“ Sam zuckte mit den Schultern. Jonah seufzte theatralisch und schüttelte den Kopf, einen Ausdruck von Fassungslosigkeit in seinem Gesicht.

„Passen Sie mir gut auf ihn auf, Diklan. Der Junge ist mir wichtig“, warnte Jonah und bot dem Schotten seine Hand an.

Declan hätte nicht einverstandener sein können. Er sah dem Doktor in die dunklen, klugen Augen und schüttelte ihm fest die Hand. Augenscheinlich zufriedengestellt drehte Jonah sich wieder zu der weißen Tür um. Sam und Declan folgten ihm bis zu einer weiteren Sicherheitstür und in einen leeren Raum, der schließlich zu Jonahs Labor führte.

„Hast du in letzter Zeit etwas von deinem Vater gehört?“, fragte Jonah angelegentlich, während Sam sich neben ihm die Hände wusch. „Der Halunke ist seit drei Wochen nicht mehr zu unseren regelmäßigen Pokerabenden gekommen.!

Diese Information war eigenartig. Jonah war einer von James’ „echten“ Freunden, und James legte extremen Wert auf gute Gesellschaftsformen. Normalerweise würde er anrufen und zumindest einen Geschenkkorb als Entschuldigung schicken, falls er eine Verabredung nicht einhalten konnte.

„Ich bin sicher, er ist außer Landes. Du kennst ihn ja“, sagte Sam, um jegliche Sorge zu zerstreuen. Er schloss den Wasserhahn, trocknete seine Hände ab und schlüpfte in einen Laborkittel.

Declan schmunzelte über den Anblick von Sam und sich selbst in diesen Kitteln. Mit ziemlicher Sicherheit wusste Sam genug Zeug, um sich als Doktor auszugeben. Er fragte sich, ob er das vielleicht sogar schon einmal versucht hatte. Jonah drückte mit dem Rücken die Pendeltür zu seinem Labor auf, und die beiden Agenten folgten ihm hinein. Sam hielt Jonah die Tragetasche hin.

„Das wurde heute morgen in meine Wohnung geliefert. Kein Absender. Ich würde es gern auf DNA-Spuren analysieren lassen. Ich muss wissen, wer es geschickt hat.“

Jonah griff in eine Schachtel mit blauen Latexhandschuhen und zog ein Paar über. Dann holte er den Karton und braunes Packpapier aus der Tasche und trug beides zu einer Glaskammer, legte es hinein und versiegelte die die Tür. Dann drückte er auf einen Schalter neben der Glaskammer. Ultraviolettes Licht erhellte das Innere und ließ winzige Staub-, Haut- und Haarpartikel als kleine, weiße Punkte aufleuchten.

„Wer hat die Gegenstände berührt?“

„So weit ich weiß, nur ich und der Kurier.“

„Ich habe den Deckel der Schachtel angefasst“, fügte Declan hinzu.

„Dann werde ich Proben von Ihnen nehmen, Diklan, wenn Sie so freundlich wären. Sams Proben habe ich bereits.“ Declan unterdrückte ein Schmunzeln, als der Doktor seinen Namen mit diesem südafrikanischen Akzent aussprach.

„Was ist in dem Karton?“, fragte der Doktor.

„Eine rote Fallschirmschnur“, antwortete Sam, und sein Blick begegnete dem gemessenen Blick des Doktors.

Declan fiel auf, dass die beiden einander ansahen, als würden sie mit ihren Blicken etwas kommunizieren, von dem Declan keine Ahnung hatte.

„Sam, das ist unmöglich“, antwortete der Doktor kryptisch. Seine Stimme war leise und beruhigend. „Aber ich werde alles untersuchen und als vordringlichen Fall behandeln, damit du zumindest nachts ruhig schlafen kannst.“

Declan war verwirrt. Er musterte seinen Boyfriend und bemerkte den kaum verhohlenen Ausdruck nervöser Anspannung in Sams Gesicht. Irgendetwas Großes war passiert, und aus irgendeinem Grund hatte Sam Angst. Declan unterdrückte seine Frustration darüber, außen vorgelassen worden zu sein und deswegen außerstande, seinen Partner zu unterstützen. Er wollte vor Sams Patenonkel keine Szene machen. Er wusste nicht, ob der Mann über Sams Homosexualität Bescheid wusste, oder ob Sam vielleicht verheimlichen wollte, dass sie ein Paar waren. Er biss erneut die Zähne zusammen. Diese Fragen würden warten müssen. Wieder einmal!

****

Man hätte das Schweigen mit den Händen greifen können, dass auf der Rückfahrt im Range Rover herrschte. Sie waren bereits auf halbem Weg nach Hause, als Declan schließlich der Kragen platzte.

„Was zum Teufel is’ eigentlich los?“, fragte er mühsam beherrscht.

„Oh, nichts worüber du dir deinen … Kopf zerbrechen musst“, antwortete Sam leichthin. Er hatte sich gerade noch rechtzeitig gefangen, bevor ihm beinahe die Worte „hübschen, kleinen“ herausgerutscht wären. Er biss sich auf die Unterlippe und behielt den Blick fest auf die Straße gerichtet.

„Wag’ es nich’, mich zu beschwichtigen! Für wen zum Teufel hältste dich?“, brüllte Declan. Sam war so überrascht von diesem Ausbruch, dass der Wagen leicht schlingerte. Dann senkte sich erneut Schweigen, und die Atmosphäre war geladen mit Testosteron.

„Ehrlich. Da ist nichts, worüber man sich sorgen muss“, beharrte Sam nach einer Minute.

„Lass den Scheiß. Denkste, ich wär’ blöd? Das Paket hat dir Angst gemacht.“

Sam biss die Zähne zusammen und blieb uncharakteristisch schweigsam.

„Erinners’ du dich nich’ an die kleine Unterhaltung, die wir nach dem Einbruch hatten? Ein gewisser Jemand sagte zu mir: Ich bin dein Partner. Darum geht es in Beziehungen – füreinander da zu sein, wenn etwas Schlimmes passiert. Das gilt für beide Seiten, weißte?“

Sam verzog das Gesicht, als Declan ihn mit seinen eigenen Worten konfrontierte. Er wusste, dass Declan recht hatte. Als sie in die Mount Street einbogen, fand Sam einen Parkplatz direkt vor der Haustür, was ein wahres Wunder war. Sobald Sam geparkt hatte, war Declan auch schon schnell wie ein Windhund aus dem Wagen, ohne weiteres Wort. Als Sam sich umdrehte, sah er ihn das Café neben ihrem Haus betreten. Sam stieg aus dem Auto und holte seinen Koffer heraus.

Als Sam später endlich die Wohnungstür zuschlagen hörte, war er schon eine ganze Weile dabei, den Koffer auszupacken und seine Sachen im Schrank zu verstauen. Er knirschte mit den Zähnen und machte sich innerlich auf einen Streit gefasst.

Declan erschien wenige Minuten später im Türrahmen. Er hielt eine Gebäckschachtel mit einer rosa Schleife drumherum in der Hand. „Lass das. Wir müssen reden“, sagte er ruhig.

Sam war verblüfft. Als er Declans Blick begegnete und die Zuneigung sah, die sich darin spiegelte, verließ alle Anspannung seinen Körper. Es war, als würde dieser Blick die Fesseln der Furcht durchschneiden, die ihn gefangen gehalten hatten, seit er das Paket geöffnet hatte.

Auf dem Couchtisch im Wohnzimmer hatte Declan zwei getoastete Paninis mit Salat bereitgestellt, die er in dem Café gekauft hatte, zusammen mit zwei Kaffees im To-Go-Becher. Die Geste wärmte Sams Herz, und wieder einmal bekam er Schuldgefühle, weil er etwas verheimlicht hatte. Declan stellte die Gebäckschachtel in die Mitte des Tisches, dann zog er Sam in seine Arme.

„Wenn es etwas gibt, das ausgerechnet dir so viel Angst machen kann, muss ich darüber Bescheid wissen. Was immer es is’, betrifft mich genauso. Wir stecken da zusammen drin, also raus damit.“

Sam seufzte tief. Emotionale Erpressung und Gebäck. Verdammt, der Mann hatte es drauf. Er entzog sich Declans Wärme und nahm auf der Couch Platz. Declan setzte sich neben ihn und reichte Sam sein Panini.

„Ich glaube, jemand will mir Angst machen“, begann Sam.

„Tja, das scheint zu funktionieren.“

„Ich schätze schon.“ Sam machte eine Pause, um tief Luft zu holen. „Die rote Schnur steht in Verbindung mit einem alten Fall. Ein Erzfeind. Aber er kann das Paket nicht geschickt haben, außer Swift Co betreibt eine Paketstelle in der Hölle.“

„Also wer, glaubst du, hat es geschickt?“

„Keine Ahnung. Vielleicht jemand auf seiner Gehaltsliste. Aber das ergibt keinen Sinn nach all den Jahren.“

„Dann gibt’s also jemand Gefährliches, der weiß, wo wir wohnen, weiß, dass wir ein Paar sind. Und er bedroht dich. Und ich wette, die Einzelheiten dazu sind geheim.

---ENDE DER LESEPROBE---