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Ihr ganzes Leben wird Evi nur herumgestoßen und muss auf den Bauernhöfen ihres Heimatdorfes schwer schuften, ohne jemals Lohn zu erhalten. Die Dörfler glauben noch, ein gutes Werk zu tun, indem sie das Waisenkind bei sich aufnehmen.
Als der Bauer, bei dem Evi nun - längst den Kinderschuhen entwachsen - in Diensten steht, zudringlich wird, schnürt sie ihr Bündel und flieht. Dass sie dann in Tennenbach auf dem Bernederhof sofort Arbeit findet, gut behandelt wird und einen anständigen Lohn erhält, kommt ihr fast vor wie ein Wunder.
Doch bald quält sie eine andere Sorge. Denn sie, eine einfache Magd und ein armes Waisenmadl, verliebt sich in den feschen, reichen Hofbesitzer, der mit der schönen Christine verlobt ist ...
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Seitenzahl: 104
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Die verstoßene Magd
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Impressum
Die verstoßene Magd
Wird für Evi auch einmal die Sonne scheinen?
Von Christa Riedling
Ihr ganzes Leben wird Evi nur herumgestoßen und muss auf den Bauernhöfen ihres Heimatdorfes schwer schuften, ohne jemals Lohn zu erhalten. Die Dörfler glauben noch, ein gutes Werk zu tun, indem sie das Waisenkind bei sich aufnehmen.
Als der Bauer, bei dem Evi nun – längst den Kinderschuhen entwachsen – in Diensten steht, zudringlich wird, schnürt sie ihr Bündel und flieht. Dass sie dann in Tennenbach auf dem Bernederhof sofort Arbeit findet, gut behandelt wird und einen anständigen Lohn erhält, kommt ihr fast vor wie ein Wunder.
Doch bald quält sie eine andere Sorge. Denn sie, eine einfache Magd und ein armes Waisenmadl, verliebt sich in den feschen, reichen Hofbesitzer, der mit der schönen Christine verlobt ist ...
»Blessi, wenn dein Kleines erst da ist, hast du alles schnell vergessen«, sprach die junge Magd beruhigend auf die Kuh ein, die kurz vor dem Kalben stand.
Evi wachte erst seit zehn Minuten bei dem Tier. Der Jungbauer hatte ihr aufgetragen, ihn zu rufen, wenn es Zeit wurde. Aber es war noch nicht so weit. Evi kannte sich da aus.
Keine Arbeit, die auf einem Bauernhof vorkam, war der jungen Magd fremd. Sie war als Waisenkind in der Gemeinde Oberheiding aufgewachsen. Ihre Mutter war im Kindbett gestorben, und ihr Vater war wenig später beim Holzfällen umgekommen.
Niemand hatte das verlassene Madl aus Mitleid aufgenommen. Sogar die mahnenden Worte des Pfarrers waren ungehört verhallt. Bis dann der Bürgermeister ein Machtwort gesprochen und die Bauern murrend die kleine Waise abwechselnd zu sich genommen hatten.
So wurde Evi Jahr für Jahr von einem Bauern zum anderen geschoben und vom einen mehr, vom anderen weniger schlecht behandelt. Sie wurde von klein auf zur Arbeit angehalten, denn niemand wollte sie ganz umsonst füttern.
Und später, als Evi tüchtig zupacken konnte, da wollte auch niemand Lohn zahlen. Wenn man sich nun darum riss, sie auf den Hof zu bekommen, dann geschah es nicht, weil irgendjemand sie gernhatte, sondern nur, weil Evi für Essen und Trinken und für ein Arbeitsgewand, das man ihr stellte, fleißig schaffte.
Evi hatte sich nie beklagt. Bei wem auch? Sie hatte zu niemandem eine enge Bindung. Zutrauen hatte sie nur zu den Tieren und die Tiere zu ihr.
Sie redete mit leisen, beruhigenden Worten auf die Kuh ein, als das Knarren der Stalltür sie aufhorchen ließ. Rasch schaute Evi sich um. Als sie sah, dass der Jungbauer den Stall betrat, stand die junge Magd auf und ging ihm entgegen.
»Ich hätt dich schon früh genug gerufen«, sagte sie und wollte sich an ihm vorbeidrücken.
Der Hofsohn hielt sie am Arm fest.
»Brauchst net gleich wegzurennen, wenn ich komme, Evi. Kannst mir doch ein bisserl Gesellschaft leisten. Wer weiß, wie lange das noch mit der Blessi dauert. Komm, wir setzen uns auf die Futterkiste.«
»Nein, lass mich!« Das Madl wollte sich von ihm losreißen, aber er packte stärker zu.
»Stell dich net so zickig an, Evi! Du hast bestimmt längst gemerkt, dass ich dich mag. Komm her!« Der kräftige Bursch schlang die Arme um die Magd und küsste ihre Wange.
Evi stemmt mit aller Macht ihre Fäuste gegen die Brust des Jungbauern.
»Lass mich sofort los!«, forderte sie.
Er lachte übermütig.
»Wenn du mir das Busserl net freiwillig gibst, raub ich es mir«, drohte er. Seine Arme hielten sie wie mit Schraubstöcken umfangen, und sein braun gebranntes Gesicht näherte sich dem ihren immer mehr.
Evi warf den Kopf hin und her.
»Lass mich los, oder ich schreie!«, keuchte sie. Aber da presste der Bursch seine Lippen schon auf ihren Mund und erstickte jeden Laut. Es war ein harter, schonungsloser Kuss, und Evi war vor Schreck wie gelähmt.
Erst als der Bursch an den Knöpfen ihres Kleides nestelte, erwachte der Widerstand des Madls erneut. Evi schlug seine Hand weg.
»He!« Der Hofsohn starrte sie überrascht an.
Den Augenblick nutzte Evi, um fortzulaufen. Doch nach wenigen Schritten hatte der Jungbauer sie eingeholt. Er riss sie so wild herum, dass sie stolperte und in das Stroh einer leeren Box fiel.
Sofort war der Bursch an ihrer Seite.
»Mach's net so dramatisch, Evi. Am Ende krieg ich doch, was ich haben will. Du bist auch net anders als die anderen. Zuerst tut ihr Madln immer so, als ob es euch zuwider wär. Und hinterher seid ihr ganz wild drauf.«
Während er sprach, hatte Evi ihre Kraft gesammelt. Jetzt sprang sie auf. Doch blitzschnell packte der Bursch zu und riss sie zurück. Sie wälzten sich im Stroh. Evi wehrte sich verzweifelt. Als sie eine Hand freibekam, schlug sie dem Bauernsohn ins Gesicht, dass es nur so klatschte.
»Das wirst du büßen!«, knirschte er und rieb sich die Wange.
»Kümmere dich lieber um die Blessi«, erinnerte Evi ihn an die Kuh, die nun kläglich muhte und sich unruhig bewegte.
Hätte die Ohrfeige den Jungbauern nicht schon ernüchtert, wäre sein Pflichtbewusstsein beim Muhen der Kuh erwacht, denn das Vieh war für jeden Bauern das Wichtigste.
»Ruf den Xaver, der muss mir helfen«, trug er der Magd auf, die in einigem Abstand von ihm im Stallgang stand und ihre Kleider ordnete. Sie schüttelte sich das Stroh aus den Haaren, bevor sie ging.
***
Heiß brannten die Tränen in Evis Augen. Ihr Gesicht glühte. Sie schöpfte tief Atem, als sie in die kühle Abendluft hinaustrat. Doch sosehr sie sich auch zusammenriss, das Zittern ihrer Glieder ließ nicht nach. In ihrer Kehle steckte ein Schluchzen.
Der Hofsohn stellte ihr seit Langem nach. Doch so dreist wie heute war er noch nie geworden.
Ich halt das nicht aus, dachte Evi. Keinen Tag länger halte ich es aus. Arbeit mögen sie von mir verlangen, bis zum Umsinken meinetwegen. Aber das? Nein, das nicht!
Sie hatte sich herumstoßen lassen, weil sie dachte, sie sei es denjenigen schuldig, die sie aufgezogen hatten. Dankbar und fleißig hatte sie zu sein. Das wurde ihr immer gepredigt.
Aber wenn die Bauernsöhne, von denen sie früher nur gehänselt worden war, nun so anfingen ...
Jetzt liefen dem Madl doch die Tränen übers Gesicht. Im Hausgang wischte Evi das verräterische Nass mit den Händen von ihren Wangen. Kurz zögerte sie vor der Gesindestube, die sich neben der Küche befand. Dann öffnete sie die Tür.
»Xaver, du sollst in den Stall kommen!«, rief sie in den Raum.
»Ach, geht's los mit der Blessi?« Der Knecht rannte an Evi vorbei zur Haustür hinaus.
Das Landwirtschaftsblatt, in dem Xaver bis jetzt gelesen hatte, lag ausgebreitet auf dem Tisch. Einen Moment überlegte Evi, ob sie die Inserate in der Zeitung anschauen sollte, bevor sie ging. Vielleicht suchte gerade jemand eine Dienstmagd?
Aber ein Geräusch im Haus ließ sie zusammenfahren.
Weg! Nur weg!, hämmerte es in Evis Kopf. Sie wollte niemanden mehr sehen, mit niemandem sprechen. Wenn sie sich verriet, würde man sie zurückhalten.
Sie hielt den Atem an und horchte, als Schritte im oberen Stockwerk zu hören waren. Vor Angst bekam sie einen ganz trockenen Hals. Aber die Schritte entfernten sich. Dann schlug eine Tür.
Evis Schlafkammer lag unter dem Dach. Leise ging das Madl die Stiegen hinauf. Und obwohl wegen der kalbenden Kuh nicht zu fürchten war, dass der Hofsohn ihr jetzt folgte, schob Evi von innen den Riegel vor die Tür, bevor sie anfing, ihre wenigen Habseligkeiten zu packen.
Ihr Leben lang hatte Evi nur Kleidungsstücke bekommen, aus denen die Bauerntöchter herausgewachsen waren. Das waren Geschenke, die man ihr großzügig machte. Zu beanspruchen hatte Evi nichts.
Es war noch nicht lange her, da hatte der Bürgermeister sie zu ihrem achtzehnten Geburtstag ins Gemeindehaus bestellt.
»Du bist nun großjährig, Evi«, hatte er ihr erklärt und ihr mit feierlicher Miene ihre Papiere ausgehändigt, die er bis dahin aufbewahrt hatte. Das Familienstammbuch, in dem ihre Geburt und auch der Tod ihrer Eltern beurkundet waren, ihre Schulzeugnisse, ein Impfschein und zwei kleine Fotos, die Evis kostbarster Besitz waren. Das eine Foto zeigte Evis Mutter, das andere ihren Vater.
Bevor Evi diese Unterlagen in ihr Bündel schnürte, betrachtete sie die Bilder und hauchte auf jedes einen leichten Kuss.
»Bittet für mich beim lieben Gott, dass er mich behütet und beschützt«, flüsterte Evi mit zuckenden Lippen.
Sie hatte Angst vor der Fremde. Aber sie wusste, dass sie nicht mehr in der Gemeinde bleiben durfte, in der sie aufgewachsen war. Hier würde jeder sie immer wieder an die Dankbarkeit erinnern, die sie allen schuldete.
An diese Dankesschuld war sie auch erinnert worden, als sie einmal um Lohn für ihre Arbeit gebeten hatte, wie der Bürgermeister es ihr aufgetragen hatte.
Evi fühlte sich gedemütigt und beschämt. Sie hatte nie wieder um etwas gebeten. Aber jetzt wollte sie nicht mehr bleiben. Nie wieder wollte sie so etwas erleben wie vorhin im Stall.
Doch wie kam sie mit ihrem Bündel ungesehen aus dem Haus? Am besten warf sie es aus dem Fenster unten auf die Beete. Dort konnte sie es sich nachher holen. Gedacht – getan! Es gab nur einen dumpfen Laut, als das Bündel im Garten aufschlug. Danach verließ Evi ihre Kammer und eilte lautlos die Stiege hinunter.
Die Haustür stand noch offen. Das Hoflicht brannte. Ob der Altbauer auch in den Stall gegangen war? Wie es der Blessi wohl ging?
Evi steuerte auf das erleuchtete Stallfenster zu. Wer konnte etwas Verdächtiges darin sehen, wenn sie nachschaute, ob Blessi ihr Kalb inzwischen geboren hatte?
Die Augen der jungen Magd wurden vor Rührung feucht, als sie das Kalb im Stroh liegen sah. Jetzt versuchte es aufzustehen. Xaver und der Jungbauer standen da und schauten schmunzelnd zu. Und dann tappte das Kalb auf staksigen Beinen, die immer wieder einknicken wollten, zu seiner Mutter.
Evi wandte sich hastig ab. Sie lief um das Stallgebäude herum in den Garten. Das Mondlicht erleichterte ihr die Suche nach dem Bündel.
Und dann war es Evi plötzlich, als müsste sie zurücklaufen in den Schutz ihrer Kammer. Auf jedem Hof hatte man ihr immer nur den erbärmlichsten Raum zugewiesen. Aber sie hatte sich dann dort zu Hause gefühlt, weil sie kein anderes Zuhause kannte.
Wenn sie nun ging, lag die Ungewissheit vor ihr, die Fremde, von der die Einheimischen nie etwas Gutes zu sagen wussten.
Doch dieses Zögern dauerte nur wenige Minuten. Dann packte Evi ihr Bündel fester und schlüpfte durch das Gartentor hinaus. Sie warf keinen Blick zurück zum Hof, als sie über die Hangwiese zum Bergwald hinaufstieg.
***
Den Weg durch den Wald kannte Evi. Er führte zum Almgelände hinauf, das unterhalb der Steinerspitze lag. Aber dorthin wollte sie nicht. Oben am Berg bei der zerzausten Wettertanne mit den knorrigen kahlen Ästen musste sie abbiegen, wenn sie nach Tennenbach hinunter wollte.
Tennenbach war der Ort, nach dem die Gemeinde im Hochtal jenseits des Berges benannt wurde. Evi hatte gehört, dass es dort einige große Bauernhöfe gab. Auf einem dieser Höfe hoffte sie, Arbeit zu finden.
Mitternacht war längst vorbei, als Evi bei der Wettertanne anlangte. Wie zum Abschied hatte das Madl noch einmal die Glocken der Dorfkirche von Oberheiding gehört. Und nun bog sie von dem bekannten Weg ab und schritt durch den Staatsforst, der hier begann.
Es ging schon auf den Morgen zu, als Evi sich auf einen Baumstumpf setzte, um ein wenig auszuruhen. Plötzlich fiel gar nicht weit von ihr ein Schuss.
Unwillkürlich ging Evi in Deckung. Sie kroch lautlos ins Dickicht, um nur ja nicht von dem Schützen entdeckt zu werden. Langsam bewegte sie sich auf eine Lichtung zu.
Minuten später erblickte sie voller Entsetzen den Schützen, der damit beschäftigt war, das Wild aufzubrechen, das er erlegt hatte. Es konnte nur ein Wilderer sein, denn weshalb sollte der Mann sonst ein Tuch vor sein Gesicht gebunden haben, das nur die Augen freiließ?
Bald war er mit seiner Arbeit fertig. Er wischte das Messer im Gras ab und verstaute seine Beute in einem Sack. Vorsichtig schaute er sich nun nach allen Seiten um. Dann zog er die Maske vom Gesicht.
Im Mondlicht erkannte Evi grobe, hagere Züge und einen verkniffenen Mund. Jetzt warf der Mann den Sack über den Rücken und kam genau auf Evi zu. Sie wagte nicht, sich zu rühren, und starrte nur mit vor Angst geweiteten Augen dem Unheil entgegen.
Ein furchtbarer Fluch kam über die Lippen des Mannes, als er das Madl entdeckte. Er ließ den Sack fallen und stürzte sich auf Evi.
»Was treibst du hier im Forst um diese Zeit?«, stieß er zwischen den Zähnen hervor.
»Ich komme von Oberheiding und suche Arbeit«, stammelte Evi, die vor Angst schlotterte.