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Woran erkennt man das große Glück? Die romantische Komödie »Alte Liebe rostet nicht, aber neue Liebe glänzt« von Zoë Barnes als eBook bei dotbooks. Wo zwei sich trennen, lauert die dritte … Seit acht Jahren ist Hannah mit ihrem Nick zusammen – und sieht in ihm längst nicht mehr den strahlenden Ritter, sondern eher ein gemütliches Sofakissen, das endlich zum Lüften auf den Balkon gebracht werden sollte. Sie sind einander so vertraut, ja … aber reicht das, wenn Hannah sich nach knisternder Romantik und Abenteuern sehnt? So beschließen die beiden, sich zu trennen: ohne böse Worte, denn sie wollen unbedingt allerbeste Freunde bleiben. Doch bevor Hannah ihre neugewonnene Freiheit genießen kann, hört sie zu ihrer großen Überraschung, dass Nick schon wieder in festen Händen ist. Wie jetzt? So war das nicht geplant! Hannah ist sicher, dass »die Neue« ganz sicher nicht »die Richtige« für ihren Nick sein kann … und ehe sie recht weiß, wie ihr geschieht, beginnt sie, um ihren Ex zu kämpfen. Oder ist es dafür vielleicht zu spät? »Ein großartiger Roman für alle, die romantische Geschichten mit einer ordentlichen Portion Realität mögen.« Observer Jetzt als eBook kaufen und genießen: der schwungvoll erzählte und lebensweise Romantik-Roman »Alte Liebe rostet nicht, aber neue Liebe glänzt« von Zoë Barnes. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 515
Über dieses Buch:
Wo zwei sich trennen, lauert die dritte … Seit acht Jahren ist Hannah mit ihrem Nick zusammen – und sieht in ihm längst nicht mehr den strahlenden Ritter, sondern eher ein gemütliches Sofakissen, das endlich zum Lüften auf den Balkon gebracht werden sollte. Sie sind einander so vertraut, ja … aber reicht das, wenn Hannah sich nach knisternder Romantik und Abenteuern sehnt? So beschließen die beiden, sich zu trennen: ohne böse Worte, denn sie wollen unbedingt allerbeste Freunde bleiben. Doch bevor Hannah ihre neugewonnene Freiheit genießen kann, hört sie zu ihrer großen Überraschung, dass Nick schon wieder in festen Händen ist. Wie jetzt? So war das nicht geplant! Hannah ist sicher, dass »die Neue« ganz sicher nicht »die Richtige« für ihren Nick sein kann … und ehe sie recht weiß, wie ihr geschieht, beginnt sie, um ihren Ex zu kämpfen. Oder ist es dafür vielleicht zu spät?
»Ein großartiger Roman für alle, die romantische Geschichten mit einer ordentlichen Portion Realität mögen.« Observer
Über die Autorin:
Zoë Barnes ist ein Pseudonym der britischen Bestsellerautorin Susan Morgan (1957–2009). Sie wuchs in der Nähe von Liverpool auf und lebte danach lange in der Grafschaft Gloucestershire – genauer gesagt im beschaulichen Cheltenham, wo auch viele ihrer romantischen Komödien spielen. Lange vor Helen Fielding und deren »Bridget Jones« war Susan Morgan eine Wegbereiterin der herrlich britischen, humorvollen Unterhaltungsromane. Sie war außerdem als Übersetzerin erfolgreich und stand in ihrer Freizeit als Mezzosopranistin auf der Bühne.
Bei dotbooks erschienen die folgenden Romane von Zoë Barnes: »Auf der Spur der Liebe«, »Du sagst Chaos, ich hör‘ Hochzeit«, »Wer in den Seilen hängt, kann endlich richtig schaukeln«, »Das Glück spielt die erste Geige, aber ich bin die Dirigentin«, »Lieber voll verliebt als wunschlos glücklich«, »Die Braut, die sich was traut« und »Die Insel des geheimen Glücks«.
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eBook-Neuausgabe Januar 2021
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2004 unter dem Originaltitel »Split Ends« bei Piatkus, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2006 unter dem Titel »Haarscharf« bei Marion von Schröder.
Copyright © der englischen Originalausgabe 2004 Zoë Barnes
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2006 Ullstein Buchverlage, Berlin/Marion von Schröder
Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Alexandra Dohse, www.grafikkiosk.de, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von Adobe Stock/Afanasia
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)
ISBN 978-3-96655-436-7
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Zoë Barnes
Alte Liebe rostet nicht, aber neue Liebe glänzt
Roman
Aus dem Englischen von Sybille Klose
dotbooks.
Vielen Dank an Tracie Philips für all ihr Hair-Flair!
Für Mum, meine schärfste Kritikerin und meinen treuesten Fan. Ohne dich ist die Welt nicht mehr, wie sie war.
»Ach, Nick, ich liebe es! Es ist perfekt!«
Hannah Steadmans frisch angetrauter Ehemann kratzte sich zweifelnd am Ohr. »Und du meinst nicht, dass es ein bisschen ...«
»Nein, es ist wundervoll! Können wir es kaufen? Ja?«
Hingerissen wie ein sechsjähriges Kind in Disneyland stand Hannah in dem überwucherten Garten, der eine erstklassige Bühne für Jurassic Park: Das Musical abgegeben hätte, und bestaunte die bauliche Katastrophe, die das Haus Nummer 19 in der Foley Road darstellte. Selbst wenn man einige Details gnädig übersah – den kleinen Baum, der aus dem Dach emporwuchs, das ausgeweidete Klavier, das umgekippt auf dem Rasen lag, und die paar Millionen Ratten, die sich offenbar im türlosen Schuppen häuslich niedergelassen hatten –, so war das Haus trotz allem nicht gerade ein Anwärter auf den Titel »Heim des Jahres«. Im Gegenteil: Es war offensichtlich, dass es schon lange überhaupt niemandem mehr als Heim gedient hatte.
Aber Hannah konnte an Nicks Gesicht ablesen, dass auch er es fühlte: die Anziehungskraft des Ortes, den unwiderstehlichen Charme, all die positive Energie, die aus jedem brüchigen Ziegel und jedem Meter rostiger Dachrinne hervorsickerte.
Hannah blickte auf das Baby hinunter, das in ihren Armen schlief, und lächelte. »Es ist ein echtes Familienhaus, Nick«, bettelte sie. »Stell dir nur vor, wie es aussehen wird, wenn wir es renoviert haben.«
Vernünftig, wie er nun einmal war, schritt Nick nachdenklich die Außenmauer des Hauses ab, wobei er sich um ein Haar auf einem Stapel alter Bettfedern aufgespießt hätte. »Wir müssten schon sichergehen, dass die Bausubstanz in Ordnung ist.«
»Ja, ja, natürlich.« Er hört sich an wie mein Dad, der Gute, kicherte Hannah in sich hinein – ein Grund mehr, ihn zu vergöttern. Ganz die trockene Vernunft. »Aber schau dir mal an, wie viel Platz hier ist.«
»Und wir müssten beinahe die ganze Arbeit selbst erledigen. Das bedeutet wahrscheinlich, dass wir so lange in einem Wohnwagen im Garten hausen werden. Für ... ach ... vielleicht sogar für Jahre.« Nick wandte sich um und kitzelte Baby Lottie zärtlich unter dem Kinn. »Wir müssen schließlich auch an die Kleine denken ...«
Hannah umfasste seinen Arm. »Sie wird damit zurechtkommen, Nick. Wir haben das doch schon durchgesprochen, oder nicht? Es ist die einzige Möglichkeit, wie wir uns überhaupt jemals ein Haus nach unseren Wünschen leisten können.«
Er schnippte eine Fliege von seiner Nase und fuhr mit der Hand durch seinen Schopf brauner Locken, den man nur mit etwas Fantasie als Frisur bezeichnen konnte. »Da kommt Arbeit auf uns zu. Jede Menge harter, körperlicher Arbeit.« Er bemühte sich um einen neutralen Ton, aber Hannah erkannte dennoch am Klang seiner Stimme, dass sie ihn bereits für das Haus gewonnen hatte.
»Es ist wunderschön. Und riesig! Wir könnten das zweite unbenutzte Schlafzimmer in ein Kinderzimmer umwandeln. Vielleicht sogar das Dachgeschoss ausbauen. Du würdest dein eigenes Arbeitszimmer bekommen.«
»Hast du dich schon mal im Verputzen einer Zimmerdecke versucht?«
»Ich hatte mich auch noch nie im Heiraten versucht, ehe ich dich traf«, erwiderte sie. »Nick, wir müssen es einfach tun! Es stimmt alles, sogar die Gegend.«
Nick schüttelte den Kopf auf seine gutmütige Na-schön-du-hast-gewonnen-Art und legte ihr den Arm um die Schulter. »Also, wie siehst du die Sache, Lottie? Fehlen deiner Mum vielleicht ein paar Schräubchen, oder was?« Lottie bewegte sich lediglich kurz im Schlaf, ballte ihre winzige Faust und erzeugte ein paar Speichelbläschen. »Ah, schon verstanden, wir beharren auf unserem Recht, zu schweigen, wie? Typisch Frauen, die halten eben immer zusammen.«
Als Hannah ihm ihr Gesicht zuwandte, beugte er sich vor, um sie zu küssen. Aber Hannah blickte stattdessen über ihre Schulter. »Sieh mal, er kommt zurück.«
»Wer?«
»Dieser gruselige Immobilienmakler. Also, was sagen wir ihm?«
Nick setzte ein schiefes Grinsen auf. »Weiß nicht. Was meinst du? Sollen wir ihn fragen, ob er jemanden kennt, der billig einen gebrauchten Wohnwagen loswerden will?«
Beinahe neun Jahre später ...
Es war Freitag – der hektischste Tag der Woche im Salon Haarspalterei –, aber Zeit für einen kleinen Schwatz inmitten all des Tohuwabohus war immer. Vor allem, wenn man selbst zusammen mit der besten Freundin den Laden führte.
Maxine Judd wischte sich den Express-Conditioner von den Händen und nahm von Hannah das Foto entgegen. »Sie ist Nick wie aus dem Gesicht geschnitten«, bemerkte sie. »Man würde nie darauf kommen, dass sie nicht seine Tochter ist – nicht in tausend Jahren.«
»Na ja, sie ist es ja praktisch auch«, betonte Hannah und dachte daran zurück, dass Lottie erst ein paar Monate alt gewesen war, als sie selbst Nick geheiratet hatte. »Wenn du sie fragst, ist er ihr Daddy.«
»Ich kann gar nicht glauben, dass sie mal so klein und winzig war. Schau sie dir nur an, jetzt ist sie schon neun Jahre alt! Bevor du weißt, wie dir geschieht, ist sie schon ein aufmüpfiger Teenager.«
Hannah stöhnte. »Bitte nicht! Lass mich lieber in dem naiven Glauben, dass sie auf ewig ein süßes kleines Püppchen bleiben wird.«
»Darf ich mal sehen?«, fragte die tropfende Kundin im Frisierstuhl.
»Oh, entschuldigen Sie, Gloria.« Hannah hielt ihr das Bild vors Gesicht. Das makellose Make-up der Dame stand in lebhaftem Kontrast zu den nassen, frisch gefärbten Haarsträhnen. »Ist nur ein Foto von Lottie und Nick vor dieser riesigen neuen Achterbahn in Alton Towers.«
Gloria war eine hoch geschätzte Kundin in der Haarspalterei – so hoch geschätzt, dass Maxine ihr stets persönlich die Haare wusch. Nicht nur sorgten Glorias romantische Eskapaden für den pikantesten Klatsch in der Stadt. Sie war zudem ein echtes Luxusweib. Keine Haarbehandlung oder Schönheitstherapie, die sie nicht mindestens zweimal ausprobiert hatte. Und ob nun aufgrund dessen oder durch all den athletisch anspruchsvollen Sex – für ihre dreiundvierzig Jahre sah sie verdammt gut aus.
»Niedliches kleines Mädchen«, kommentierte Gloria. »Aber mit dem Film hat etwas nicht gestimmt, oder? Das Gesicht von Ihrem Nick ist ganz grün.«
Maxine schnaufte amüsiert. »Na los, Hannah, sag’s ihr. Erzähl Gloria, was für ein großer tapferer Held er ist.«
Hannah streckte ihr die Zunge raus. »Nick und Achterbahnen passen nun mal nicht gut zusammen, das ist alles. Er ist grün, weil er sich gerade übergeben hat.«
Gloria kicherte. »Nicht dass er etwa ein Weichei wäre ...«
»Ist er wirklich nicht!«
»Warum bist du denn nicht mit Lottie gefahren?«, fragte Maxine. »Ich dachte, dir gefällt so was, kopfüber bei 160 Stundenkilometern.«
»Versuch mal, das einem kleinen Mädchen zu erklären, das fest davon überzeugt ist, sein Daddy könne übers Wasser gehen! Glaub mir, es musste mit Daddy sein oder gar nicht.«
Maxine grinste. »Ach ja, Daddy hat Superkräfte – er kann auf dem Wasser gehen und sogar ein Bidet einbauen.«
»Mummy aber auch!«
Gloria blickte äußerst mitfühlend drein. »Das glaube ich Ihnen, meine Liebe, nach all den Jahren, in denen Sie Ihr Haus auf Vordermann gebracht haben. Kein Wunder, dass Ihre Nagelhaut völlig ausgefranst ist.«
Überrascht blickte Hannah auf ihre Hände hinab. »Oh.«
Gloria hatte recht.
»Die sollten Sie in Ordnung bringen, Schätzchen. Nicht gut fürs Geschäft! Jedenfalls nicht, wenn man Kosmetikerin ist.«
Eine Stimme ertönte aus Richtung des Empfangstresens im vorderen Bereich des Salons. »Hannah? Deine Pediküre für halb drei ist da.« Ein schlaksiger junger Mann mit Achtziger-Jahre-Haarschnitt deutete auf eine junge Frau, deren Schwangerschaft bereits so weit fortgeschritten war, dass sie sich zurücklehnen musste, um nicht vornüberzukippen. »Soll ich sie raufschicken?«
»Danke, Jason, ich begleite Mrs Donohue selbst nach oben.«
»Wie sieht es denn nun eigentlich mit dem Haus aus?«, erkundigte sich Maxine, einen Toupierkamm zwischen den Zähnen. »Seid ihr endlich fertig mit dem verdammten Ding?«
»Nun ja ... fast.«
»Du liebe Güte, Han, wie lange geht das jetzt schon – sieben Jahre?«
»Acht.«
»In der Zeit hättest du locker ein ganzes Schloss bauen können.«
Mrs Donohue schob ihre massige Gestalt unbeholfen durch den Salon und Hannah eilte an ihre Seite. Irgendwann brauchen wir wirklich einen Laden mit einem Kosmetikraum im Erdgeschoss, überlegte Hannah, während sie der zukünftigen Mutter die Stufen in den ersten Stock hinaufhalf. Oder einen Lift. Sonst muss ich eines Tages noch auf halber Treppe Hebamme spielen.
Aber dieses Problem beschäftigte sie nur oberflächlich. In den Tiefen ihres Gehirns spulten sich immer und immer wieder wie ein beunruhigendes Mantra dieselben Worte ab: Fast. Fertig. Fast. Fertig. Fast. Fertig.
Ja, das Haus war fast fertig, und bald würden sie und Nick und Lottie das vollkommene Familienheim haben, für das sie so hart gearbeitet hatten, acht endlose Jahre lang. Eigentlich sollte sie sich in Siegerpose werfen und den Champagner kalt stellen.
Warum also fühlte sie sich stattdessen einfach nur ... unbehaglich?
Nachdem Mrs Donohue gegangen war und einen überwältigenden Duft von Patchouli-Öl zurückgelassen hatte, streifte Hannah ihre Gesundheitsschlappen von den Füßen und gönnte sich fünf Minuten auf einer ihrer Massage-Liegen.
Kosmetikerin war zunächst nicht Hannahs Wunschberuf gewesen – er wäre ihr nicht einmal im Traum eingefallen, bis sie im Alter von dreiundzwanzig Jahren mit einem Biologie-diplom und einem ungewollten Baby dastand. Hätte ihr mit achtzehn jemand weiszumachen versucht, dass sie mit einunddreißig ihren Lebensunterhalt damit verdienen würde, anderer Leute Bikinizonen zu enthaaren und verkrampfte Deltamuskeln zu massieren, wäre ihre Antwort eindeutig ausgefallen: Die Chancen dafür, dass ich in einem Autoscooter die M1 entlangfahre, stehen eindeutig höher.
Als Teenager hatte sich Hannah immer vorgestellt, in der naturwissenschaftlichen Forschung zu arbeiten – bahnbrechende Entdeckungen zu machen, dem Wohle der Menschheit zu dienen und ähnlich idealistisches Zeug. Aber selbst Dinge, von denen man glaubt, sie stünden fest wie in Stein gehauen, haben die Angewohnheit, sich zu ändern – und man selbst ändert sich notgedrungen mit ihnen. Auch wenn man sich einen liebenswerten, verlässlichen Kerl wie Nick geangelt hat, der sich um einen kümmern und mit liebevoller Fürsorge überschütten möchte, muss man einen Teil seines Lebens selbst gestalten. Und zwar jenseits von Beschäftigungen wie Windeln wechseln und Aufläufe kochen. Von dem Geld, das zur Finanzierung der ewigen Renovierungsarbeiten nötig ist, ganz zu schweigen. Also hatte Hannah aus einer Laune heraus auf die Anzeige in der Zeitung geantwortet, das Stipendium eingeheimst und sich plötzlich auf der Berufsakademie wiedergefunden.
Wo sie Maxine getroffen hatte ...
Nun ja, weniger getroffen als umgerannt, wobei sie Maxines riesige Lockenwickler und Flaschen mit Dauerwellenflüssigkeit schwungvoll die Treppe vom Übungssalon hinunterkatapultiert hatte. Hannah hatte sich entschuldigt, Maxine ihrerseits einige einfallsreiche Flüche ausgestoßen und seitdem waren sie Freundinnen. Maxine hatte Elan, Flair und beträchtliches Know-how, wenn es um Haare ging, während Hannah selbst die störrischsten Augenbrauen in Form zupfen konnte. Als dann Maxines Mann Jay nach einem Unternehmen suchte, in das er investieren konnte, lag die Lösung auf der Hand.
Und die Haarspalterei war geboren.
Während Hannah ihre Hände an einem flauschigen weißen Handtuch trocknete und die letzten Reste Massageöl abwischte, entwich ihr ein langer, tiefer Seufzer und sie ließ sich zurück auf die Liege sinken. Ihr gesamter Körper schien in sich zusammenzuschrumpfen, als habe man die Luft herausgelassen. Die Spannung entwich aus Schultern, Rücken und Armen, und zum ersten Mal an diesem Tag gestattete sie sich, die Schmerzen zu spüren, die das lange Stehen verursacht hatte. Wenn nur jetzt jemand käme, der mir eine Massage und eine Gesichtsbehandlung verpasst, dachte sie. Ein hübscher, großer Adonis mit vollendet geformten Bauchmuskeln und einem klitzekleinen Tanga ...
Sehr realistisch. Wahrscheinlich blieb es doch wieder nur bei Nick, der heute Abend mit einer Tube ABC-Salbe ins Schlafzimmer kam.
Ihr Handy klingelte gerade in dem Augenblick, als sie darüber nachsann, ob George Clooneys Erfahrungen auf medizinischem Gebiet wohl auch Kenntnisse in Shiatsu einschlossen.
»Hallo! Nick, bist du es?«
»Jup. Wie geht’s?«
Hannah unterdrückte ein Gähnen. »Ganz gut. Was gibt’s denn?«
»Nichts Besonderes. Hab mich nur gefragt, ob du auf dem Nachhauseweg die Torte abholen könntest. Sie haben mich wieder für die Hausaufgabenhilfe nach der Schule eingespannt.«
Hannah setzte sich auf und schwang die Beine von der Liege. »Was – schon wieder? Du hattest doch versprochen, die Torte abzuholen.«
»Richtig, Han, aber ich konnte wirklich nicht nein sagen. Du weißt doch, viele dieser Kinder können ihre Hausaufgaben nicht in Ruhe zu Hause machen, und wenn ich dir erzählen würde, aus welchen Familienverhältnissen einige kommen ...«
Durch Hannahs zusammengebissene Zähne entkam eine Mischung aus Grummeln, Zischen und verzweifeltem Seufzer. Es war nicht nur die Tatsache, dass es für sie einen zwanzigminütigen Umweg inmitten des Feierabendverkehrs bedeuten würde, Lotties Torte abzuholen. Nein. Es war vor allem die Tatsache, dass ihr Mann »es wieder einmal getan« hatte.
»Ist mir völlig egal, ob sie in Marmeladengläsern mitten auf der A40 leben müssen!«, ereiferte sie sich. »Du bist nicht der einzige Lehrer auf der Welt, falls dir das noch nicht aufgefallen ist. Nur der einzige, der nie nein sagen kann. Lass doch ausnahmsweise mal jemand anderen die Verantwortung übernehmen.«
»Nächstes Mal«, versprach er, und sie wusste, dass er es ernst meinte – genauso wie er es die letzten vierzehn Male ernst gemeint hatte. Sie hatte schon den Überblick verloren, wie oft sein Abendessen im Ofen zu einem braunen Haufen verkohlt war. »Bis später.« Dann fügte er, wie einer plötzlichen Eingebung folgend, hinzu: »Ach, und, äh ... ich hab dich lieb.«
»Ja. Klar.«
***
Das Haus Nummer 19 in der Foley Road leuchtete in der Herbstsonne wie ein perfekt geschliffener Edelstein. Jeder Pinselstrich des frischen blau-weißen Anstrichs reflektierte das goldene Licht. In den letzten acht Jahren hatte sich viel verändert. Hätte man zwei Fotografien – betitelt »vorher« und »nachher« – nebeneinandergehalten, hätten die meisten Leute es nicht einmal als dasselbe Haus erkannt. Die gähnenden Löcher waren durch solides Mauerwerk und ein brandneues Dach ersetzt worden. Anstelle des zerfallenen Hinterzimmers, das nur noch durch Lehm zusammengehalten wurde, gab es nun eine wunderhübsche Küche mit Durchgang zu einem Wintergarten mit echten Buntglasfenstern.
Die Verwandlung beschränkte sich nicht auf das Haus allein. Wo sich früher ein undurchdringlicher Dschungel befunden hatte, war jetzt ein schicker, moderner Garten angelegt worden, den Maxines Mann gestaltet hatte. Es war ihm sogar gelungen, die Anlage nicht allzu prätentiös wirken zu lassen. Und auch der Hüpfball und die Reihe von Ställen, die etliche Hasen und Frettchen beherbergten, ließen die steinerne Pergola und den dekorativen Zierteich weniger vornehm erscheinen.
Hannah stieß das Gartentor mit ihrem Hinterteil auf, die Handtasche über die Schulter gehängt, eine Einkaufstüte in der einen und die Torte in der anderen Hand. Jetzt wäre der ideale Zeitpunkt, um mir zu Hilfe zu kommen, Nick, dachte sie. Aber natürlich konnte er das nicht, denn er musste ja einen Haufen Kinder bei ihren Algebra-Hausaufgaben beaufsichtigen. Sie schämte sich ein wenig ob ihrer Verbitterung, aber schließlich durfte auch sie gelegentlich mal unvernünftig und ungerecht sein.
Tapfer stolperte sie die drei Steinstufen zur vorderen Veranda hinauf. Sie benötigte all ihren Einfallsreichtum, um die Haustür zu öffnen, ohne etwas fallen zu lassen, und konnte sich dementsprechend des Triumphgefühls nicht erwehren, das sie überkam, als sie endlich die Tür mit einem beherzten Fußtritt hinter sich geschlossen und die Torte erfolgreich auf dem Dielentisch abgestellt hatte.
»Lottie?« Keine Antwort. »Lottie, bist du da?« Gut, sie hatte also Zeit, die Torte zu verstecken, bevor Lottie aus der Schule kam. Ihre Tochter mochte zwar überglücklich sein, endlich das biblische Alter von neun Jahren erreicht zu haben, aber niemand war jemals zu alt für eine tolle Überraschung.
Der Anrufbeantworter blinkte vorwurfsvoll. Wider besseres Wissen drückte Hannah auf die Abspieltaste.
»Halli-hallo! Granny und Grandpa Steadman hier, wir rufen aus La Belle in Frankreich an. Wollten nur durchklingeln, um dir herzlich zum Geburtstag zu gratulieren, Lottie! Neun Jahre bist du heute! Hurra!« Es folgte eine äußerst dilettantische Darbietung von Happy Birthday. Hannah schüttelte amüsiert den Kopf. Typisch Julie und Clive – sie hatten natürlich vergessen, dass Lotties Geburtstag erst morgen war. Zweifellos waren die beiden sehr nett, aber wenn man eines über sie nicht sagen konnte, dann, dass sie so etwas wie. Durchblick besaßen.
Die zweite Nachricht war von Hannahs Mutter. »Hallo, Liebes, hier ist Mum. Ich komme morgen gegen elf vorbei, falls ich Sandwiches machen soll oder Geleeteilchen oder so. Gib unserer kleinen Prinzessin einen Kuss von Gran und Grandad und sag ihr, wir sehen uns morgen.«
»Geleeteilchen?«
Hannah wandte sich um und erschrak beinahe zu Tode, als sie Lottie direkt hinter sich stehen sah, ein Paar Kopfhörer um den Hals.
»Mum«, sagte Lottie entschieden, »nur kleine Kinder essen Geleeteilchen! Ich bin kein kleines Kind mehr. Ich bin neun.«
Nein, dachte Hannah und fühlte einen Stich des Bedauerns. Du bist kein kleines Kind mehr. Und du wächst so schnell, dass du in null Komma nichts selbst Kinder hast und ich mich wundern werde, wohin die letzten Jahre meines Lebens verschwunden sind.
»Grandma möchte einfach nur, dass du einen schönen Geburtstag hast«, sagte sie. »Und als Grandma klein war, gab es auf Geburtstagspartys eben Geleeteilchen. Geleeteilchen, kleine Kuchen und Brote mit Streichwurst.«
Lottie zog ihre sommersprossige Nase kraus. »Dann müssen all ihre Geburtstage schrecklich gewesen sein.«
Neun Jahre minus einen Tag alt, aber Lotties Ähnlichkeit mit ihrer Mutter war bereits unverkennbar: das gleiche dunkle Haar, das im Sonnenlicht rötlich schimmerte, blasse, fast durchscheinende Haut, kobaltblaue Augen, die von langen, hellen Wimpern eingerahmt waren, und ein Mund, dessen Form sowohl auf ein sonniges Gemüt als auch auf Dickköpfigkeit schließen ließ.
Komisch war nur, dass Lottie es irgendwie geschafft hatte, auch Nick wie aus dem Gesicht geschnitten zu sein – obwohl er nicht ihr richtiger Vater war. Geliebter Daddy oder nicht, es war nicht Nick gewesen, der die Sache mit dem Kondom verpatzt und Hannah in ihrem zweiten Jahr an der Universität geschwängert hatte. Und es war auch nicht Nick gewesen, dessen einflussreiche Eltern ihn sogleich an eine Universität nach Amerika verschifft hatten, und zwar schneller, als man »Ich halt mich da raus!« sagen konnte.
Aber es war Nick gewesen, der auftauchte, als sich Hannah gerade im allertiefsten Tief befand, und der in das große schwarze Loch trat, das Rhys und seine überstürzte Abreise hinterlassen hatten. Nick, der all das für Lottie gewesen war, was ihr biologischer Vater nie sein würde. Vielleicht war es also gar nicht so überraschend, dass sie nun zu seinem Ebenbild heranwuchs.
»Was ist in der Schachtel, Mum?«
»Welche Schachtel?«
»Die, über die du deinen Mantel geworfen hast. Du bist nicht sehr gut im Verstecken, Mum. Als Spionin wärst du hoffnungslos.« Lotties Augen begannen zu leuchten. »Ist das meine Geburtstagstorte?«
»Wer sagt, dass du eine Geburtstagstorte bekommst?« »Mum!«
»Na ja, in der Schachtel könnte doch alles Mögliche drin sein. Sie könnte voller ... Zehennägel sein. Oder toter Frösche.«
»Mum, das ist total eklig!« Lottie versuchte, einen Blick unter Hannahs Mantel zu werfen. »Es ist aber keine mit Baumeister Bob drauf, nicht wahr? Oder mit Mein kleines Pony?« Auf Lotties normalerweise keckem Gesicht zeichnete sich Bestürzung ab. »Grandma Maddrell hat sie doch nicht gekauft, oder?«
Hannah gab Lottie einen sanften Stups auf die Nase. »Zerbrich dir darüber mal nicht den Kopf. Du wirst wohl einfach abwarten müssen. Der große Tag ist schließlich erst morgen.«
Lottie schmollte. »Ich frag Daddy, wenn er nach Hause kommt. Ich wette, er lässt mich nachschauen.«
»Oh, Madame, da irren wir uns aber gewaltig. Daddy wird nämlich gar nicht wissen, wo ich sie versteckt habe.«
***
Das Multiplex-Kino am Stadtrand sah zugegebenermaßen aus wie ein Bau aus Ostberlin in den 1980er Jahren, aber es war ein Geschenk der Götter für alle, die an einem regnerischen Samstagnachmittag eine Horde acht- und neunjähriger Kinder unterhalten mussten. Der neueste Zeichentrickfilm, ein Dutzend Eimer Popcorn und einige Portionen Wassereis mit Himbeergeschmack und einer ganzen Palette an E-Stoffen und schon hatte man das Rezept für eine sorglose Geburtstagsfeier. Sogar die altkluge Melanie-Anne würde wahrscheinlich irgendwann aufhören, mit ihrer Designer-Schuhsammlung anzugeben – solange man sie nur mit genügend Eiscreme fütterte.
Hannah und Nick saßen zusammen an einem Ende der Reihe, wo sie jedoch nur dem äußeren Anschein nach den Film verfolgten. Cartoonpiraten und ihre Prinzessinnen waren noch nie Hannahs Fall gewesen. Sie beide waren um fünf Uhr früh von Lottie geweckt worden, und ohnehin war Nick derartig müde nach all den Überstunden, die er in der Schule geleistet hatte, dass er kaum seine Augen offen halten konnte.
Hannah knuffte ihn im Halbdunkel. »Nick«, zischte sie.
»Hmpf?«
»Wach auf, du verpasst den Film.«
»Wirklich? ‘tschuldigung.« Er rieb sich mit dem Handrücken die Augen und streckte seine langen Beine aus. O Gott, dachte Hannah peinlich berührt, ich hab gar nicht gemerkt, dass er die Hose anhat.
»Wo hast du die her?«, fragte sie anklagend.
»Wen?«
»Diese fürchterliche Cordhose.« Sie zupfte an dem abgewetzten grauen Stoff. »Ich war mir sicher, sie in die Tüte für die Altkleidersammlung gesteckt zu haben.«
»Stimmt«, gestand Nick. »Ich hab sie wieder rausgeholt.«
»Aber sie ist abscheulich!«
»Mir egal. Ich mag sie.« Seine normalerweise unbeschwerte Stimme klang vorwurfsvoll. »Sie ist bequem.«
»Ja, und sie ist auch ungefähr fünf Zentimeter zu kurz, und was ist mit den ...«
Aus der Mitte der Reihe erklang ein missbilligendes »Schhh!« und prompt verstummten beide wie eingeschüchterte Viertklässler. Auf der Leinwand umgarnte die von Tom Cruise synchronisierte Figur gerade die Prinzessin, während ein Dutzend kleiner Mädchen mit offenen Mündern auf die Leinwand starrte und davon träumte, das nächste Mal an ihrer Stelle zu sein.
Aber Hannah betrachtete noch immer Nick.
Acht Jahre älter als sie, stand er einige Monate vor seinem neununddreißigsten Geburtstag. Er war immer noch jung, streng genommen. Aber wenn Nick ein Buch wäre, dann definitiv kein Nummer-eins-Bestseller. Eher ein ausgemustertes Charles-Dickens-Exemplar mit lädiertem Umschlag.
Neununddreißig – aber geht stramm auf die fünfzig zu, dachte sie, während sie das unordentliche Ensemble an Flohmarktklamotten betrachtete, das Nick Steadmans Version einer Garderobe darstellte. Er könnte ganz anständig aussehen, wenn er nur ein bisschen Wert auf sein Äußeres legen würde. Sein ungekämmtes Haar war von Natur aus gewellt, glänzend und haselnussbraun, und sein Gesicht war zwar nicht im klassischen Sinne schön, aber es strahlte eine Art ehrlicher Liebenswürdigkeit aus, die dafür sorgte, dass man sich in seiner Nähe warm und geborgen fühlte. Gerade die Eigenschaft, die sie vor all den Jahren so anziehend gefunden hatte und die nun, in dunklen Momenten, ein Gefühl in ihr hervorrief, als würde sie in warmer Milch ertrinken.
Das war ungerecht und sie wusste es. Nun, Nick hätte es sicher nie in die Kartei einer Modelagentur geschafft, aber er hätte wirklich anständig aussehen können – wenn er sich nur darum scheren würde. Aber Nick scherte sich nie, dachte Hannah wehmütig. Selbst bei ihrem ersten Date war er in einer alten Strickjacke aufgetaucht, die vorn ein Loch hatte, welches offenbar durch ein Missgeschick mit einer ätzenden Flüssigkeit entstanden war. Aber damit musste man sich abfinden, wenn man einen Chemielehrer heiratete, und noch dazu einen, der sich weit mehr um den Rest der Welt kümmerte als um sich selbst.
Das war eigentlich eine Tugend, musste Hannah zugeben. Manchmal allerdings ertappte sie sich dabei, dass sie wünschte, er könne wenigstens sie vom Rest der Welt unterscheiden und ihr ein wenig mehr Aufmerksamkeit gönnen. Es kam ihr unangenehmerweise genauso vor, als würde man darauf warten, dass die Keksdose herumgereicht wurde, und wenn man endlich an die Reihe kam, musste man feststellen, dass jemand anders bereits sämtliche Schokoplätzchen aufgegessen hatte.
»Schokolade?« Sie stupste Nick mit der Schachtel an und er griff hinein und nahm sich ein Stück.
»Danke.«
»Die Kinder scheinen sich zu amüsieren. So viel dazu, dass der Film angeblich ›nur was für Babys‹ ist.«
»Hm.«
»Mum wartet wahrscheinlich in der Pizzeria mit der Geburtstagstorte auf uns. Schade, dass deine Eltern nicht kommen konnten.«
»Es ist einfach die falsche Jahreszeit für sie. Mit der Weinlese und allem. Aber ich bin sicher, sie kommen uns danach mal besuchen.«
Vor einigen Jahren hatten sich Nicks Eltern ihren Traum erfüllt und bewirtschafteten nun im tiefsten Périgord ein kleines Gut mit eigenem Weinberg. In Wahrheit kam es Hannah eher wie ein Albtraum vor, mit Rüsselkäfern, misstrauischen Einheimischen, Waldbränden und tausendundeinem anderen Unglücksfall. Aber die Steadmans schienen geradezu aufzublühen. Manchmal glaubte Hannah, dass Nick sein Lebensziel darin sah, das unbeschwerte Chaos im Leben seiner Eltern durch seine Ruhe auszugleichen.
Hannah lehnte sich zurück und starrte auf die gigantischen Figuren auf der Leinwand. Ich wünschte, ich wäre eine Prinzessin, sinnierte sie. Keine richtige, das wäre viel zu umständlich. Nein, eine Märchenprinzessin so wie du, du glückliche ...
»Kuh«, kommentierte sie laut, als der Piratenkönig die Prinzessin auf seine starken Arme nahm und sie von der Tanzfläche hinwegtrug, fort zu seiner Galeone, die, bemannt mit einem Haufen rauer Schurken, wartend vor Anker lag. »Ich wette, du wärst gern an seiner Stelle«, sagte sie an Nick gewandt.
Aber Nick antwortete nicht. Den Kopf zurückgelehnt, den Mund geöffnet, die Knie voller Popcorn, schnarchte er friedvoll.
***
»Charlotte! Wo ist denn unsere kleine Geburtstagsprinzessin?«, strahlte Erica Maddrell, warf die Arme um ihre Enkelin und erstickte sie beinahe an ihrem enormen Busen. Nur gut, dass Lotties Gesicht darin verborgen war, denn die Schamesröte war ihr ins Gesicht gestiegen – angesichts einer solchen Szene vor ihren Freundinnen! Von seiner Großmutter in einer Pizzeria zu Tode geliebt zu werden – selbst in einem teuren Schuppen wie Pizza Belissima in Cheltenham – war definitiv uncool. Insbesondere, wenn die eigene Großmutter erst Anfang fünfzig war, aber trotzdem Polyesterkleider mit Blumenmuster und klobige Schuhe bevorzugte. Und Charlotte genannt zu werden, was niemand anders jemals tat, war auch nicht wirklich super.
Wenn irgendjemand sich glücklich schätzte, endlich ein gesetztes Alter erreicht zu haben, dann war es Erica. Ihr ganzes Leben hatte sie sich bemüht, schlank und adrett zu sein, und war darin meistens gescheitert. Kaum war sie vierzig geworden, hatte sie dies als grünes Licht dafür betrachtet, ungehemmt Buttercremetorte essen zu können. Da ihr Ehemann Derek grundsätzlich nie auf irgendjemandes Körperform achtete, selbst im entkleideten Zustand, hatte sie zu Hause nicht mit bitteren Konsequenzen rechnen müssen. Dementsprechend war Erica nunmehr molliger und viel glücklicher als jemals zuvor in ihrem Leben. Und dessen Krönung war ihre hübsche, kluge und entzückende Enkeltochter.
Auch Lottie verehrte ihre Großmutter. Sie war liebenswert und weich und fröhlich und ermahnte sie nie, wenn sie mal beim Essen in der Nase bohrte. Aber manchmal begriff sie einfach nicht, welche hochkomplizierten Details damit einhergingen, ein cooles neunjähriges Mädchen zu sein.
Die Pizzas waren köstlich und sogar Melanie-Anne war von der Torte beeindruckt: Ein wahres Flammenmeer von Kerzen krönte ein atemberaubendes Zuckergussmodell der Hogwarts Zauberakademie. Mum und Dad sagten oder taten nichts Peinliches, niemand musste sich übergeben oder benötigte dringend sein Asthmaspray, und alles lief einwandfrei, bis die Großeltern Lottie ihr Geschenk überreichten.
»Ich hoffe, er ist groß genug«, sagte ihre Großmutter besorgt. »Es war so schwierig, einen in deiner Größe zu finden, ich kann mir gar nicht vorstellen, warum.«
Lottie schon. Als sie das Papier zerriss und den Inhalt freilegte, begannen ihre Gäste zu kichern. Lottie wäre am liebsten unter den Tisch gekrochen. Ihr Mund öffnete und schloss sich wie das Maul eines gestrandeten Goldfischs.
»Es ist ein Barbie-Sweatshirt«, erklärte ihre Großmutter stolz, als sie sah, dass der überglücklichen Lottie die Worte fehlten. »Wir wissen doch, wie sehr du an deiner Barbiepuppe gehangen hast.«
Hannah tauschte einen Blick mit Nick. Mit Verzweiflung in den Augen sah auch Lottie ihren Dad an und bemerkte den flehenden Ausdruck auf seinem Gesicht. Sie schluckte. »Danke, Grandma, wirklich hübsch«, sagte sie mit einem vollendeten Lächeln, das jeder Schauspielschülerin zur Ehre gereicht hätte.
»Stimmt doch, oder?«, fügte sie mit einer Spur von Aggression hinzu, als Melanie-Anne amüsiert grunzte. Verdutzt verschluckte sich Melanie-Anne an einer Johannisbeere, und man musste ihr auf den Rücken klopfen, was Hannah gerade genug Zeit ließ, den flauschigen rosa Pulli verschwinden zu lassen und das Gesprächsthema zu wechseln.
Eins musste Hannah Nick zugestehen: Er konnte gut mit Kindern umgehen. Sie fragte sich, wo er die ganzen Zaubertricks gelernt hatte, die er so geschickt vollführte, dass sogar Martin – der sich sonst allzu bewusst war, der cleverste Junge der Schule zu sein – verstummte, während er gebannt und mit großen Augen zusah.
Lotties Gesicht sprach Bände. »Sie ist wirklich stolz auf ihren Daddy«, bemerkte Hannah, während sie eines der Türmchen von Hogwarts abbrach und das Dach abbiss.
Erica nickte und lächelte. »Eine Schande nur, dass sie ihren richtigen Daddy nicht kennt«, seufzte sie.
»Mum!«
»Ist doch wahr, Liebling! Jedes Kind braucht seinen Vater, stimmt’s Derek?«
Derek war zu sehr damit beschäftigt, sich über das Ei zu amüsieren, das gerade in Martins Mund aufgetaucht war, um zuzuhören. »Na ja, ich bin mir jedenfalls sicher, er würde mir zustimmen.«
»Aber Nick ist ihr Vater«, protestierte Hannah. »Klar, er ist nicht ihr biologischer Vater, aber was soll’s? Er ist definitiv ihr Daddy. Sie liebt ihn wie verrückt.«
»Natürlich tut sie das«, stimmte Erica zu. »Und er ist ein sehr netter Mann, dein Nicholas.« In ihrer Stimme schwang ein deutliches »Aber« mit – sicher nicht böse gemeint, doch es störte Hannah trotzdem. Wenn irgendjemand Nick kritisieren durfte, dann sie selbst und sonst keiner.
»Warum führen wir jedes Mal an Geburtstagen und Weihnachten diese Diskussion?«, fragte sie müde.
»Tun wir das?«
»Das weißt du ganz genau!«
»Ach, Liebling, ich denke, zu solchen Gelegenheiten wird mir immer wieder bewusst, wie es hätte sein können, wenn ... Na ja, du weißt schon.« Sie tätschelte Hannah mütterlich die Schulter. »Trotzdem, du bist glücklich so, oder nicht? Letzten Endes ist das alles, was zählt.«
»Natürlich«, stimmte Hannah zu. Normalerweise hätte sie die Angelegenheit sofort aus ihren Gedanken verbannt, so wie sie es jedes Jahr tat. Aber diesmal dachte sie sogar noch daran, als sie sich später erschöpft die Treppe zum Schlafzimmer hochschleppte.
»Delbert Mackenzie, wenn ich das noch einmal sehe, wird es bis zum Ende des Halbjahres beschlagnahmt, verstanden?«
»Ja, Sir. Ich steck’s weg, Sir.«
Der Junge stopfte den Gameboy Advanced zurück in seinen Rucksack und machte sich schleunigst durch den Korridor davon.
»Und nicht rennen!«
Die Worte hallten von den Wänden wider und verloren sich im brodelnden Stimmengewirr eines typischen Montagmorgens an der Alderman-Braithwaite-Schule.
»Er ist kein übler Bursche, aber man muss ein Auge auf ihn haben – gib ihm den kleinen Finger und er nimmt die ganze Hand. Oder sogar den Arm. Ein richtiges Schlitzohr! Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der sich so kreative Ausreden für vergessene Hausaufgaben ausdenkt. Na, kommen Sie, Colin, jetzt stelle ich Ihnen mal den Rest des Kollegiums vor.«
Nick schritt voran, den Korridor in Richtung Lehrerzimmer entlang. Der junge Mann an seiner Seite war fast zehn Zentimeter größer, wirkte im Vergleich zu Nick aber dennoch klein und unsicher. Es war, als stünde »Mein erster Tag« in Großbuchstaben auf seiner Stirn geschrieben. Nichtsdestotrotz leuchtete das Gesicht des frischgebackenen Lehrers vor Eifer.
Normalerweise fingen die neuen Lehrkräfte im September an, aber nachdem Mr Sparrow in einer kompromittierenden Situation mit Miss Raeburn ertappt worden war, gab es im Kollegium zwei Lücken, die dringend geschlossen werden mussten. Man konnte sich außerordentlich glücklich schätzen, dass man mitten im Herbsthalbjahr einen qualifizierten Physik- und Chemielehrer wie Colin Rooney gefunden hatte, und Nick war sich dessen bewusst. Als kommissarischer stellvertretender Leiter des naturwissenschaftlichen Fachbereichs war er fest entschlossen, sicherzustellen, dass sich sein neuer Schützling wohl genug fühlte, um eine Weile auszuharren.
Das Lehrerzimmer präsentierte sich wie üblich als eine überfüllte Räuberhöhle. Die Auslegware auf dem Fußboden war durch Kaffeeflecken völlig verfärbt und das Notizbrett zugepflastert mit privaten Kleinanzeigen für gebrauchte Fiestas und 2CVs.
»Hier ist also die Zentrale der Macht«, verkündete Nick. »Nehmen Sie sich einen Kaffee und dann gehe ich mit Ihnen Ihren Stundenplan durch.«
Colin schlenderte zum Tisch hinüber, auf dem die Kaffeemaschine stand. »Irgendeine bestimmte Tasse?«
Nick war gerade durch die überschwänglichen Kommentare auf Colins Arbeitszeugnissen abgelenkt. »Hmm? Nein, welche Sie wollen.«
»Nicht die dort!«, schnappte eine schwarze Frau mit deutlichem französischen Akzent und entriss ihm den Becher mit dem Wallace-und-Gromit-Motiv. »Die gehört mir. Sie werden sich Ihre eigene mitbringen müssen.«
Colins Gesicht fiel in sich zusammen.
»Nicht erschrecken«, riet Nick, während er seine eigene Tasse aus der unteren Schublade eines Aktenschranks nahm, der mit der Aufschrift »Prüfungen« versehen war, und sie Colin reichte. »Claudette bellt, aber sie beißt nicht. Nicht wahr, Claudie?«
»Ah! Das hätten Sie wohl gern!«, sagte Claudette schnippisch, aber ihre Miene wurde ein wenig weicher.
Nick senkte seine Stimme. »Und sie weiß, wo der geheime Vorrat an Büromaterial versteckt ist, also stellen Sie sich gut mit ihr. Nun, was halten Sie davon? Physik, neunte Klasse, gleich als Erstes am Montagmorgen.«
»Äh ... klar. Super.«
Nick grinste bedauernd. »Das werden Sie nicht mehr sagen, wenn Sie die Klasse erst einmal kennengelernt haben. Es sind schon ein paar richtige Übeltäter dabei. Vielleicht sollte ich Sie mit Graham tauschen lassen, dann könnten Sie ganz entspannt den Chemiekurs in der elften Klasse übernehmen.«
Colin zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Ach was, werfen Sie mich einfach ins kalte Wasser. Früher oder später muss ich mich den Störenfrieden sowieso stellen.«
Nick lachte. »Sie klingen genauso wie ich, als ich damals anfing. Randvoll mit sprühendem Idealismus.«
»Keine Sorge«, mischte sich Graham ins Gespräch, während er sich Marmelade von der Tweedkrawatte wischte. »Das treiben wir Ihnen ganz schnell aus.«
»Wie lange sind Sie denn schon im Schuldienst?«, fragte Colin, seinen Kaffee schlürfend.
»Noch nicht so lange, wie man vielleicht denken könnte«, erwiderte Nick. »Ich war nämlich Zahnarzt, bevor ich hier angeheuert habe.«
Colins Unterkiefer klappte herunter. »Zahnarzt! Sie meinen, Sie haben all das aufgegeben für ... dies hier?«
»All was?«, fragte Nick lachend. »Sie meinen all den Stress und die Langeweile? Ah, verstehe. Sie reden vom Geld. Ob Sie’s glauben oder nicht, es gibt wirklich Wichtigeres.«
»Wenn Sie das sagen ...« Colin war alles andere als überzeugt.
»Schon in Ordnung. Er ist wahnsinnig«, sagte Graham, der gerade mit einem Modell der Clifton-Hängebrücke vorbeiging.
»Muss er wohl«, schnaubte Claudette und nahm ihren Stapel Französischbücher. »Er arbeitet schließlich hier.«
»Wie auch immer, ich hab es jedenfalls nur ein paar Jahre durchgehalten, bis ich merkte, dass es ein großer Fehler war«, fuhr Nick fort. »Das hier ist meine Bestimmung – Buße für meine Sünden.« Er blickte auf die Wanduhr und stellte seine Tasse auf den Tisch. »Kommen Sie, ich führe Sie durch den Fachbereich, solange die lieben Kleinen noch in der Versammlung sind.«
Er machte sich auf den Weg den Flur entlang und die Treppe hinauf, den hechelnden Colin im Schlepptau, und fragte sich, ob er wohl den Morgen überstehen würde. Das Schicksal wollte es jedoch, dass sie es nicht einmal bis zum Physiksaal Eins schafften, denn gerade als sie in der naturwissenschaftlichen Sammlung bei einem Glas eingelegter Bandwürmer um die Ecke bogen, ertönte ein ohrenbetäubender Knall.
Als Nächstes schrillte der Feueralarm. Und gleich darauf war die Hölle los.
***
Hannah lachte so sehr, dass sie sich an ihrem Keks verschluckte.
»In die Luft geflogen?«, fragte sie hustend und wischte sich mit schokoladeverschmierten Fingern die Tränen aus den Augen. »Du machst Witze.«
Nicks Gesichtsausdruck sprach eine deutliche Sprache – ihm war definitiv nicht nach Witzen zumute. »Das ist nicht komisch«, sagte er.
»Was? Eine Flasche illegal gebrautes Bier explodiert in der naturwissenschaftlichen Sammlung und die gesamte Schule muss evakuiert werden? Das ist verdammt noch mal zum Totlachen!« Sie atmete tief ein, um ihre stechenden Lungen mit Sauerstoff zu versorgen. »Du liebe Zeit, bleib locker, Nick. Schließlich hast du ja keinen Ärger dafür bekommen, oder?«
Es war nach dem Abendessen und die beiden saßen sich in ihrer nagelneuen Küche am Eichentisch gegenüber wie Gegner in einem Schachspiel.
»Darum geht es überhaupt nicht«, widersprach Nick.
»Worum geht es denn dann?«, erkundigte sich Hannah, obwohl sie genau wusste, was er antworten würde. In letzter Zeit schien sie das immer zu wissen.
»Es geht darum«, führte Nick aus, »dass ich stellvertretender Leiter des Fachbereichs bin ...«
»Kommissarischer stellvertretender Leiter«, unterbrach Hannah, um ihn zu ärgern.
»Was auch immer. Jedenfalls bin ich verantwortlich für das, was im Fachbereich passiert. Habe ich Graham und seinen Kumpels etwa nicht gesagt, es sei unverantwortlich, in der Sammlung Bier zu brauen?«
»Selbstverständlich hast du das«, murmelte Hannah, während sie sich wünschte, diese Unterhaltung niemals begonnen zu haben.
»Habe ich ihnen nicht gesagt, dass das früher oder später Ärger geben würde?« Er wartete ihre Antwort nicht ab. »Aber haben sie auf mich gehört? Hören sie jemals auf mich? Und jetzt haben wir den Salat. Überall zerbrochenes Glas und alles stinkt nach Bier. Was, wenn jemand im Raum gewesen wäre, als es passiert ist? Ein Kind zum Beispiel?«
»Die Schüler dürfen da doch gar nicht rein«, bemerkte Hannah. »Und es wurde niemand verletzt. Hey, trink deinen Kaffee, er wird kalt.«
Nick grunzte und nahm missmutig einen Schluck. »Ich hätte mir denken können, dass du das alles für eine riesige Lachnummer hältst«, bemerkte er.
»Na ja, es soll tatsächlich Leute geben, die Sinn für Humor haben.«
Das saß. Nick fuhr auf wie ein angriffslustiges Stachelschwein. »Ach. Was soll das bitte bedeuten?«
Sie legte ihre Hand auf seine, wie eine Mutter es bei einem widerspenstigen Kind tun würde. »Ich weiß ja, dass du glaubst, du hast in deinem Job unheimlich viel Verantwortung, aber man kann es auch übertreiben.«
»Ich übertreibe aber nicht!«
»Tust du doch. Du fühlst dich für alles verantwortlich. Und ich meine wirklich alles. Du würdest dich auch dafür verantwortlich fühlen, dass der Himmel blau ist, wenn du damit durchkämst.«
Nick war sich bewusst, dass sie den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Er leerte seine Kaffeetasse und stand auf. »Ich dachte, du würdest mich verstehen«, sagte er beleidigt. »Du hast schließlich selbst ein Geschäft.«
»Natürlich verstehe ich dich, das ist ja das Problem. Aber versuch doch einfach, dich etwas zu entspannen! Sonst treibst du noch alle in den Wahnsinn – dich selbst eingeschlossen.«
Nick sah Hannah an, und ihre Blicke trafen sich zum ersten Mal an diesem Abend, sogar zum ersten Mal seit längerer Zeit. Sie hielten sich nicht mehr allzu oft damit auf, einander verliebt in die Augen zu schauen. Nicht dass sie das früher häufiger getan hätten. Ihre Beziehung war seit jeher von einer anderen Art gewesen. Einen Augenblick lang glaubte, nein fürchtete Hannah, dass er irgendetwas Bedeutsames sagen würde. Aber sie hätte es besser wissen sollen.
»Ich muss jetzt los und Lottie bei deiner Mum abholen. Sie müsste schon längst im Bett sein.«
Hannah sah zu, wie er die Autoschlüssel in die Tasche seiner uralten Jeans stopfte und ging. Er hinterließ jede Menge unausgesprochene Sätze und unbeantwortete Fragen. So war es oft, dachte sie. Häufig redeten sie, ohne wirklich etwas zu sagen, oder führten überflüssige Unterhaltungen, da beide bereits wussten, was der andere sagen würde, bevor dieser auch nur den Mund aufgemacht hatte.
Plötzlich fühlte sie sich müde. Sie stellte die Kaffeetassen auf das Abtropfgitter und ging nach oben, um sich abzuschminken. Als sie den Flur zum Schlafzimmer durchquerte, konnte sie nicht umhin, die halb fertige Treppe zu betrachten, die für den ausgebauten Dachboden vorgesehen war – die letzte Aufgabe, die am Haus noch erledigt werden musste. Eine, die sie aus unerfindlichen Gründen nicht in Angriff genommen hatten.
Hannah legte kurz ihre Hand auf die Kiefernholzstufen und ein durchdringendes Gefühl von Traurigkeit beschlich sie. Auf einmal kam es ihr absolut sinnlos vor, wie sich die Treppe vergeblich, einer Reihe unerfüllter Versprechen gleich, in den leeren Raum hinaufwand, dem Loch in der Decke entgegen, mit dem sie und Nick irgendwie nichts anzufangen wussten.
Wie ein Sinnbild für das Baby, das sie nie bekommen hatten.
Später am Abend ging Hannah in den Abstellraum und schaltete den Computer an. Sonst gab es nicht viel zu tun. Lottie war mitten in einer ihrer Tiraden, dass sie überhaupt nicht müde sei, plötzlich eingeschlafen, und Nick bereitete vor dem Fernseher, in dem eine Talkshow lief, seine Unterrichtsstunden für den nächsten Tag vor. Hannah hätte die Decke des neuen Wirtschaftsraums verputzen können, aber das hätte ein Maß an Enthusiasmus und Energie erfordert, das sie derzeit einfach nicht aufbrachte.
Wie üblich waren die meisten E-Mails in ihrem Posteingang Spams. Ihre Stimmung hob sich etwas, als sie feststellte, dass sie eine Nachricht von Reba erhalten hatte. Sie waren zusammen in der Schule gewesen und dann auf dem College, aber während es Hannah danach zurück nach Cheltenham gezogen hatte, war Reba in Edinburgh geblieben.
Reba war eine dieser unglaublichen Frauen, die es schafften, zehn Dinge auf einmal zu erledigen und trotzdem noch Zeit für eine French Manicure zu haben. Unverheiratet, mit drei Kindern von einer Kollektion williger Freunde, hatte es Reba in ihrer Firma rasch zu einer Position im Management gebracht, und sie bestand darauf, ihr Leben genauso zu leben, wie sie es geplant hatte – ohne Komplikationen. Und solche Komplikationen schlossen feste Liebhaber mit ein.
Sie war auch die Sorte Frau, die sich gern überall umhörte. »Wissen ist Macht«, verkündete sie stets mit einem Grinsen, nahm diskret zur Kenntnis, dass ihr Vorgesetzter eine Schwäche für vollbusige Brünette hatte, und belauschte im Restaurant geschickt die Gespräche von Mitarbeitern der Konkurrenzfirma.
Vor allem aber liebte Reba Klatsch. Wer Reba kannte, brauchte kein Netzwerk im Internet, um alte Bekannte aufzustöbern. Sie schien einen direkten Draht zu allen Leuten zu haben, die sie je an der Uni getroffen hatte, angefangen bei dem merkwürdigen Typen, der einhändig in der Hosentasche Orangen schälen konnte, bis hin zur Juwelierserbin, die entführt worden war und ihr drittes Studienjahr mit einem fehlenden halben Ohr begonnen hatte.
Aber vor allem hatte sie einen Draht zu Rhys.
»Hi, Han«, begann die Nachricht. »Du bist dran mit Schreiben, aber wenn ich darauf warte, bin ich tot, bevor du dich aufraffst. Alles in Ordnung bei euch? Haus schon fertig?«
Hannahs Kehle wurde eng. Sie wünschte sich, die Leute würden nicht immer wieder von dem Haus anfangen. Es machte sie nervös. Sie war sich nicht ganz sicher, warum. Sie überflog den Absatz mit Rebas Bericht über ihre Zwillinge, die Windpocken gehabt hatten, bis ihr Blick an einem einzigen Wort hängen blieb: »Rhys«.
»Du errätst nie, was er jetzt macht. Er hat sowieso immer getan, was er wollte. Und mit dem ganzen Geld im Rücken ... Egal – jedenfalls ist er jetzt beim Fernsehen! Moderiert am Wochenende eine Pop-Show für Kinder im Kabelfernsehen, zusammen mit so einer blonden Mieze namens Priscilla. Er ist gar nicht mal schlecht. Auch wenn er ein selbstverliebter Lackaffe ist.
Ich hab letztens mit Jaqcui Newman telefoniert, und die hat behauptet, dieses rothaarige schielende Mädchen aus der Physikvorlesung kandidiere fürs Parlament ...«
Hannah las den Rest der Nachricht, nahm ihn aber nicht wirklich wahr. Nur der Name »Rhys« brannte sich ihr wie eine Säure ein.
Natürlich, Hass war eine Art Säure: etwas Korrodierendes, das an einem nagte, es sei denn, man fand einen Weg, sich davor zu schützen. Hannahs Methode war es normalerweise, jegliche Gedanken an den Kerl zu vermeiden, der seinerzeit ihre Verführung wie eine militärische Operation geplant und ihr vorgegaukelt hatte, er liebe sie. Nur um sich wie ein Phantom in Luft aufzulösen, sobald er von dem Baby hörte.
Es war eine alte Geschichte. Hannah hätte weniger naiv sein können, aber wer war mit zwanzig nicht naiv – mit Ausnahme des kalten, berechnenden, knallhart realistischen Rhys?
Seit damals hatte es zwischen ihnen keinerlei Kontakt gegeben und sie hatte auch keinen gewollt. Im Gegenteil: Hätte sie sich plötzlich im selben Raum mit ihm wiedergefunden, hätte sie höchstwahrscheinlich sofort einen scharfen Gegenstand gegriffen und ihm diesen ohne Umschweife in die nächstbeste Körperöffnung gerammt. Aber obwohl ihr allein der Gedanke an Rhys Übelkeit verursachte, hatte sie dennoch eine seltsame Abhängigkeit in Bezug auf Rebas E-Mails entwickelt. Sie war auf eine grausame Art fasziniert von den kleinen, zusammenhanglosen Stückchen aus Rhys’ Leben. Vielleicht sehnte sie sich danach, eines Tages zu erfahren, dass ihm etwas Schreckliches zugestoßen war. Nicht dass das jemals passieren würde, er war einfach nicht der Typ dafür.
Eins war sicher: Falls sie jemals gehofft hatte, dass er sich irgendwann mit ihr in Verbindung setzen und nach dem Kind erkundigen würde, von dem er so gut wie nichts wusste, dann hatte sie diese Hoffnung inzwischen längst begraben. Selbst als Studentin hatte sie zu viel Stolz besessen, ihn um Geld zu bitten, und in Wahrheit war sie erleichtert gewesen, als er sich nicht meldete. Heute empfand sie schlicht unendliche Dankbarkeit dafür, dass er es nie getan hatte – und nie tun würde.
Hannah schaltete den Computer aus, schlich in Lotties Zimmer, stand dort einige Minuten lang und betrachtete ihre Tochter, die im Mondlicht schlief. Eine kleine Locke hatte sich auf ihr kluges, eigensinniges Gesichtchen verirrt.
Hannah küsste ihre Tochter federleicht auf die Stirn und verließ auf Zehenspitzen das Zimmer.
***
Nick kam spät ins Bett. Hannah lag still und tat so, als schliefe sie, aber er kannte sie zu gut.
»Bist du noch wach?«
Hannah biss sich auf die Lippe.
»Hannah?«
Sie seufzte. »Was denn? Es ist schon spät.«
Er rutschte neben sie und legte ihr seinen Arm um die Taille. O nein, dachte sie. Nicht jetzt.
»Ich hab nachgedacht ... darüber, was wir tun wollten, wenn das Haus fertig ist.«
Hannahs Mund wurde trocken. Sie stellte sich dumm. »Was meinst du?«
Nicks Hand wanderte zu ihrem Bauch. »Ein Baby. Du kannst es kaum vergessen haben, wir haben schließlich oft genug darüber gesprochen!«
Sie wand sich unter seiner Berührung – altbekannt, brüderlich und so gar nicht erotisch. »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt.«
»Aber es sind schon acht Jahre vergangen!«
»Außerdem ... ich bin mir noch nicht sicher. Und wir haben gesagt, nicht bevor das Haus fertig ist, weißt du noch?«
»Aber das meine ich doch gerade – es ist fertig!« Ärger verschärfte Nicks Stimme. »Fertiger wird’s nicht!«
Sanft, aber bestimmt schob Hannah seine Hand von ihrem Bauch und drehte sich auf die Seite. »Ist es nicht«, sagte sie und umklammerte ihr Kopfkissen, als sei es ein Rettungsanker in einem feindlichen Ozean. »Noch nicht ganz.«
Als eine graue Dämmerung über dem Vorstadtviertel Tivoli heraufzog, war Hannah bereits seit zwei Stunden wach, hatte mehrere Tassen Tee getrunken und die Kaninchenställe gesäubert. In Wahrheit hatte sie kaum geschlafen. Die ganze Zeit, während sie dagelegen und Nicks gleichmäßigen Atemzügen gelauscht hatte, arbeitete ihr Gehirn auf Hochtouren.
Jetzt saß sie am Küchentisch und starrte auf die Ställe, die Lotties kleine Streuner beherbergten, und auf den Zwinger, wo Satansbraten, der dreibeinige Rottweiler, schlief und seinen massigen Hintern der frischen Herbstluft entgegenreckte. Ich liebe ihn, ich liebe ihn nicht, murmelte sie stumm vor sich hin. Ich liebe ihn, ich liebe ihn nicht. Eine imaginäre Blume verlor ihre Blütenblätter, dann wuchsen ihr neue und der ganze quälende Vorgang begann von vorn. Und sie war immer noch keinen Deut klüger. In Bezug auf alles um sie herum – in Bezug auf ihr Leben, auf Nick.
Oder wollte sie es sich bloß nicht eingestehen?
Ihre Finger trommelten ruhelos auf die Tischplatte. Ich muss ihn geliebt haben, als ich ihn heiratete, sagte sie sich bestimmt. Aber irgendetwas in ihrem Hinterkopf erwiderte: Viele Leute heiraten aus den falschen Gründen, warum nicht auch du?
Es hatte sicherlich viele falsche Gründe gegeben, auch wenn sie diese damals allesamt ignoriert hatte. Sie war mit einem Baby allein gewesen, hoch verschuldet, nachdem sie sich durchs College gekämpft hatte, nur mit Hilfe der finanziellen Zuwendungen ihrer Eltern und einem Nebenjob im Burger-Restaurant. Und plötzlich war Nick da. Groß, stark, verlässlich.
Hannah dachte an die kurze Phase zurück, in der er ihr den Hof gemacht hatte. Wie sie sich bei seinem Heiratsantrag gefühlt hatte. Als sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten. Der Tag, an dem aus ihr Mrs Nick Steadman geworden war. Aber irgendwie besaß sie keine wirklich deutlichen Erinnerungen mehr an diese Zeit. Ironischerweise konnte sie sich jedoch schmerzhaft genau an jede Sekunde erinnern, die sie mit Rhys verbracht hatte. Und es kostete sie all ihre Kraft, um diese Erinnerungen wieder beiseitezudrängen.
Ich war nie in Nick verliebt, dachte sie. Das ist die traurige Wahrheit. Nicht einmal am Tag unserer Hochzeit. Ich glaubte, ich wäre es, aber ich hab viele Dinge fälschlicherweise geglaubt. Ich war verwirrt, einsam, auf der Suche nach jemandem, der mich rettet ...
Plötzlich fühlte sie sich schuldig und redete sich ein, so könne es keinesfalls gewesen sein. Natürlich hatte sie ihn geliebt! Niemals hätte sie einen netten Mann wie Nick derartig ausgenutzt. Bestimmt nicht.
Nun, wahrscheinlich konnte man das nach all den Jahren einfach nicht mehr feststellen. Und überhaupt, sagte sie sich, worauf es wirklich ankam, war, was sie jetzt fühlte. Das Problem war nur, dass sie gerade daran nicht gern dachte.
Zumindest habe ich mich verändert, dachte sie. Ich habe mich in den letzten acht Jahren sogar so sehr verändert, dass ich mich selbst kaum wiedererkenne. Ich bin selbstsicherer, unabhängiger, ehrgeiziger – und es geht mir gut damit.
Das Problem ist nur, dass sich Nick überhaupt nicht verändert hat.
Philomena Carson war kein ausgeglichener Charakter, das wurde jedem klar, der mehr als einige Minuten im Salon verbrachte. Sie war Mitte vierzig, klein, dunkelhaarig und sprühte förmlich vor unterdrücktem Zorn und Bitterkeit. Sie schnitt sogar zornig Haare. Eindeutig waren kurze, stachelige Frisuren ihre Spezialität.
Die Ursache für Philomenas Unzufriedenheit lag im wahrsten Sinne des Wortes zu Hause. Wahrscheinlich fläzte sich diese Ursache gerade in diesem Moment breitbeinig auf ihrem Lieblingssessel vor dem Fernseher, eine Dose Lager in der einen, die Fußballzeitung in der anderen Hand. Ihr Name war Bernard, sie behauptete, Rückenprobleme zu haben, und hatte in den letzten zehn Jahren nicht einen Tag gearbeitet.
Schlimmer noch, wenn sich unterdrückte Spannungen in Wut verwandelten, argumentierte Bernard gern mit den Fäusten. Nicht dass Philomena keine ähnlichen Argumente in petto gehabt hätte – und für jemanden von ihrer Statur besaß sie einen eindrucksvollen linken Haken. Es war reichlich untertrieben, wenn man ihre Ehe als turbulent bezeichnete. Die Leute wunderten sich oft, warum sie nicht einfach die Koffer packte und auf Nimmerwiedersehen verschwand. Wahrscheinlich weil sie nicht wusste, wohin sie hätte verschwinden können.
Aber eine Sache gab es, die Philomena über Wasser hielt. Die Liebe ihres Lebens: Tratsch.
Als Hannah Lottie zur Schule gebracht hatte und im Salon erschien, war Philomena bereits bei ihrem zweiten Schnitt und ganz in eine aufgeregte Unterhaltung mit Gloria, der Quelle aller Skandale, vertieft. Dank ihres eindrucksvollen Liebeslebens, an dem schon beinahe jeder alleinstehende Mann der Stadt teilgenommen hatte, war Gloria so etwas wie eine Ein-Frau-Nachrichtenagentur für Klatsch.
»Also hab ich ihm gesagt: ›Süßer, das würde ich nicht mal mit Gummihandschuhen und Pinzette anfassen. Um Himmels willen, steck das wieder in die Hose.‹«
Philomenas Augen weiteten sich. »Das haben Sie nicht gesagt!«
»So wahr ich hier sitze.« Gloria nahm einen Zug von ihrer schwarzen russischen Zigarette. »Ganz ehrlich, Phil, einige dieser Typen würden ein Stück Seife nicht mal erkennen, wenn es auf zwei Beinen hereinkommen und sich selbst auswickeln würde.« Ihre Augen verschleierten sich. »Und dabei sah er einfach umwerfend aus!«
»Im angezogenen Zustand«, merkte Philomena an.
»Na ja. Was für eine Verschwendung.«
Hannah ging in den Pausenraum, um ihren Mantel aufzuhängen, und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass Tratsch die einzige Möglichkeit für Philomena war, am Leben jenseits ihrer Haustür teilzunehmen.
Lieber Gott, bitte lass mich nicht so enden, dachte Hannah, während sie ihren weißen Kittel anzog und aus dem Pausenraum trat: eingesperrt, ohne Hoffnung, nur das Leben anderer Leute in mich aufsaugend.
Es war wieder einmal ein hektischer Morgen und die Eingangstür zum Salon klapperte und klingelte ohne Unterlass. Dazu kam das Stimmengewirr, das Klicken der Scheren und der Klang des lokalen Radiosenders Chelt FM. Die Betriebsamkeit überraschte kaum, denn donnerstags gab es halbe Preise für Senioren, einen Teller mit leckeren Keksen inklusive. Deswegen konnte man donnerstags auch stets Miss Fabian, Mrs De’Ath und Mrs Lorrimer unter den Trockenhauben antreffen, die sich als Vorbereitung auf ihren wöchentlichen Bingoabend die Haare auf identische Weise waschen und legen ließen.
»Der Tee ist kalt«, bemerkte Mrs Lorrimer und schwenkte ihre Tasse in Richtung Claire, der fröhlichen und unleugbar walisischen Stylistin, die den Salon leitete, wann immer Maxine nicht zugegen war. Wenn man das Wort »Busenfreundin« jemals pantomimisch darstellen müsste, pflegte Nick zu sagen, dann wäre Claire die ideale Kandidatin: Sie müsste einfach nur dastehen. Ihr Herz war so groß wie ihre Oberweite, und sobald es etwas zu feiern gab, fand man sie unweigerlich an der Spitze der Polonaise.
»Natürlich ist er kalt, Sie haben ja die letzte halbe Stunde ununterbrochen gequatscht!« Claire nahm voll gespielter Verzweiflung die Tasse an sich. »Jetzt sagen Sie bloß nicht, dass Sie eine neue haben wollen!«
»Wenn es keine Umstände macht. Und noch ein paar Kekse. Die sind doch immer noch umsonst, oder?«
»Aber nur, weil Sie es sind.«
Miss Fabian leerte ihre Tasse und hielt sie ebenfalls hoch. »Ich nehme auch noch ein bisschen.«
»Ich auch«, stimmte Mrs De’Ath ein. »Aber keins von den Plätzchen mit Karamell, die verkleben mein Gebiss.«
»Wieder zum Bingo heute Abend, meine Damen?«, erkundigte sich Jason, der Azubi, der auf einem Besen reitend an ihnen vorbeitänzelte, wobei er vergeblich versuchte, cool auszusehen.
»Natürlich, mein Lieber«, strahlte Mrs Lorrimer. »Jeden Donnerstag seit zehn Jahren. Haben nie einen Jackpot-Abend verpasst.«
»Aber auch nie wirklich etwas gewonnen, nicht wahr?«, seufzte Miss Fabian. »Abgesehen von diesem Wochenende in Torquay und da musste ich noch Einzelzimmerzuschlag zahlen.«
»Nein, Clarice, Schatz«, korrigierte Mrs Lorrimer. »Wir alle haben deinen Einzelzimmerzuschlag gezahlt. Alles redlich teilen, das ist unser Motto.«
»Wie die drei Musketiere, was?«, kicherte Jason und versuchte, sich davonzustehlen. »Bloß ... äh ... hübscher.«
»Ooooh, habt ihr das gehört? So ein Schlingel!«, flötete Mrs De’Ath geziert, während Miss Fabian ihm diskret in den Hintern kniff. »Na komm, gib uns einen Kuss, das bringt Glück!«
Hannah unterdrückte ein Lächeln. Jason war noch ganz schön grün hinter den Ohren. Und die drei alten Damen waren ihm haushoch überlegen. Sie beschloss, ihm zur Rettung zu eilen.
»Ich glaube, du hast eine Stelle vergessen«, sagte sie, tippte Jason auf die Schulter und zeigte auf ein winziges Haarbüschel auf dem gefliesten Boden.
Mit leerem Blick starrte er darauf. »Oh. Ach ja.«
»Meinst du nicht, du solltest jetzt weiterarbeiten?«, sagte Hannah betont. »Sie entschuldigen, dass ich ihn entführen muss, meine Damen, aber wir können ja nicht zulassen, dass der Salon unordentlich aussieht, oder?«
Jason machte sich mit einem dankbaren Gesichtsausdruck davon und Hannah warf am Empfang einen Blick in das Terminbuch. Einige Nacken- und Rückenmassagen, eine Heißwachsbehandlung, Elektrolyse und ... iiih. Stadtrat Plowright. Sie sah auf, als Philomena auf der Suche nach mehr roter Kolorationscreme an ihr vorbeiging. »Wow, danke. Stadtrat Plowright ist dieses Jahr aber früh dran mit seiner Ganzkörpermassage.«
Philomena zuckte mit den Schultern. »Du gefällst ihm. Was ist daran so schlimm?«
Hannah senkte ihre Stimme. »Er ist ein Schleimbeutel, das ist alles.«
Philomena lachte kurz und trocken auf. »Hannah, meine Liebe, wenn ich zehn Mäuse für jeden Schleimbeutel bekäme, den ich je bedient habe, würde ich diesen Laden führen, nicht du. Mach dir um den keine Sorgen, er ist harmlos. Sieh nur zu, dass er dir ein ordentliches Trinkgeld gibt.«
Hannah dachte immer noch an die bevorstehende Stunde mit Stadtrat Plowright, als sie die Heißwachsbehandlung beendet hatte und sich die Latexhandschuhe von den Händen pellte. Möglicherweise ließe sich eine Ausrede finden, um ihn nicht mehr behandeln zu müssen. Andererseits, vielleicht war sie einfach zu empfindlich ...
Es klopfte an der Tür und Hannah schrak auf. Eine Stunde zu früh? Selbst Stadtrat Plowright konnte nicht derart erpicht auf sie sein.
»Herein.«
Die Tür öffnete sich einen Spalt und ein Schopf dunklen, mit Gips überpuderten Haares erschien. »Hi. Ich dachte, ich klopf lieber an, falls du gerade jemanden hier hast.« Jay trat ein, wobei er sich den weißen Staub von seinem modischen schwarzen Anzug klopfte.
»Hi, Jay. Was ist denn mit dir passiert? Du siehst aus, als wärst du in einen Mehlsack gefallen.«
Maxines Ehemann lächelte sein breites, offenes Lächeln, das Hannah so mochte. »Ach, ich hab nur beim Laden in der Clarence Street vorbeigeschaut. Ich wollte wissen, wie die Jungs mit der Renovierung vorankommen. Eins führt zum anderen, und bevor ich weiß, wie mir geschieht, stehe ich auf einer Leiter und nagle eine Rigipsplatte fest.«
»Ich dachte, du bist der Chef!«
Jay zuckte gutmütig mit den Schultern. »Na ja, tut mir ganz gut, von Zeit zu Zeit selbst mit anzupacken, es erinnert mich daran, wie ich angefangen habe. Außerdem ist die Innenausstattungsbranche stark von der Wirtschaftslage abhängig – man weiß nie, wann man seine handwerklichen Fähigkeiten mal wieder gebrauchen kann.«
Hannah hob eine Augenbraue, während sie die schneeweißen Handtücher für ihren nächsten Kunden bereitlegte. »Das hört sich aber sehr pessimistisch an. Ist irgendetwas passiert?«
»Nein, nur ein Routinebesuch bei der Buchhalterin. Macht mich ganz nervös, diese Frau. Als wäre sie die Polizei und ich kurz davor, mit der Hand in der Kasse erwischt zu werden.«
»Hast du ihr gesagt ...?«