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Traumhochzeit mit kleinen Hindernissen: Der turbulente Liebesroman »Hochzeit in Cheltenham« von Zoë Barnes als eBook bei dotbooks. Eine zuckersüße Überraschung: Im idyllischen Dörfchen Cheltenham hat sich Gemma mit ihrem Freund Rory ein gemütliches Liebesnest gebaut. Als Rory ihr schließlich ganz überraschend einen Antrag macht, den sie ohne Zögern annimmt, scheint ihr Glück perfekt … doch schon bald wird Gemmas ruhiges Leben von stressigen Hochzeitsvorbereitungen durcheinandergewirbelt. Und nicht nur die vielen Entscheidungen zwischen Tüll und Taft versetzen dem Hochgefühl des jungen Paares einen Dämpfer – Roy benimmt sich zunehmend seltsam und Gemma beginnt zu ahnen, was der wahre Grund für seinen plötzlichen Antrag war… Kann die Liebe der beiden allen Hochzeitsturbulenzen trotzen? »Rasant und äußerst unterhaltsam – ein Roman über den Stress, den jede Hochzeit mit sich bringen kann!« Publishing News Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der romantische Wohlfühlroman »Hochzeit in Cheltenham« von Zoë Barnes ist der zweite Band ihrer Cheltenham-Reihe, deren Einzelbände unabhängig voneinander gelesen werden können. LeserInnen von Manuela Inusa und Anne Barns werden begeistert sein. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 660
Über dieses Buch:
Eine zuckersüße Überraschung: Im idyllischen Dörfchen Cheltenham hat sich Gemma mit ihrem Freund Rory ein gemütliches Liebesnest gebaut. Als Rory ihr schließlich ganz überraschend einen Antrag macht, den sie ohne Zögern annimmt, scheint ihr Glück perfekt … doch schon bald wird Gemmas ruhiges Leben von stressigen Hochzeitsvorbereitungen durcheinandergewirbelt. Und nicht nur die vielen Entscheidungen zwischen Tüll und Taft versetzen dem Hochgefühl des jungen Paares einen Dämpfer – Roy benimmt sich zunehmend seltsam und Gemma beginnt zu ahnen, was der wahre Grund für seinen plötzlichen Antrag war… Kann die Liebe der beiden allen Hochzeitsturbulenzen trotzen?
»Rasant und äußerst unterhaltsam – ein Roman über den Stress, den jede Hochzeit mit sich bringen kann!« Publishing News
Über die Autorin:
Zoë Barnes ist ein Pseudonym der britischen Bestsellerautorin Susan Morgan (1957–2009). Sie wuchs in der Nähe von Liverpool auf und lebte danach lange in der Grafschaft Gloucestershire – genauer gesagt im beschaulichen Cheltenham, wo auch viele ihrer romantischen Komödien spielen. Lange vor Helen Fielding und deren »Bridget Jones« war Susan Morgan eine Wegbereiterin der herrlich britischen, humorvollen Unterhaltungsromane. Sie war außerdem als Übersetzerin erfolgreich und stand in ihrer Freizeit als Mezzosopranistin auf der Bühne.
Bei dotbooks veröffentlichte Zoë Barnes: »Hochzeit in Cheltenham«, »Ein Cottage in Cheltenham«, »Frischer Wind in Cheltenham«, »Lieber voll verliebt als wunschlos glücklich«, »Alte Liebe rostet nicht, aber neue Liebe glänzt«, »Die Braut, die sich was traut«, »Die Insel des geheimen Glücks« und »Auf der Spur der Träume«.
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eBook-Neuausgabe Mai 2021, Juni 2024
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1998 unter dem Originaltitel »Hitched« bei Judy Piatkus Publishers Ltd, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2000 unter dem Titel »Schwupps! Verliebt, verlobt … vergiss es« im dtv. Der Roman erschien 2021 unter dem Titel »Du sagst Chaos, ich hör Hochzeitsglocken« bei dotbooks.
Copyright © der britischen Originalausgabe 1998 by Zoë Barnes
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2000 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
Copyright © der Neuausgabe 2021, 2024 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: A&K Buchcover, Duisburg, unter Verwendung eines Bildmotives von depositphotos/lovelyday12, PhotosVac, MianHamza, majaFOTO, rose4, comid_123
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)
ISBN 978-3-98952-153-7
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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!
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Zoë Barnes
Hochzeit in Cheltenham
Roman
Aus dem Englischen von Ulrike Ostrop und Joachim Peters
dotbooks.
Wie alles begann …
Peng!
Der Lederball schoß über den patschnassen Rasen und sprang nur ein einziges Mal auf, bevor er Gemma Greene wie eine Bleikugel vor die Füße klatschte.
»Los, Gemma, los!« schrie jemand von der Seitenlinie.
Gemma konnte nicht erkennen, wer es war; sie sah ja kaum den Ball durch den Regen, der ihr wie ein Wasserfall das Gesicht herunterlief. Irgendwo außen am rechten Flügel sprang Ruth auf und ab und fuchtelte mit den Armen, aber sie war zu weit weg für einen Paß, und eine riesige Mittelfeldspielerin galoppierte wie ein wildgewordener Ackergaul voll auf Gemma zu. Also schüttelte sich Gemma das triefende Haar aus dem Gesicht, schlug wie mit einem Schöpflöffel den Ball mit aller Wucht aus der Pfütze heraus und rannte ihm in Richtung des gegnerischen Tores hinterher.
Es war ein verregneter Mittwochnachmittag im Dezember, in ihrem Slip klebte eiskalter Schlamm, und Gemma hatte nicht mehr so viel Spaß gehabt, seit sie das Turboprogramm an ihrer Wäscheschleuder entdeckt hatte. Das Wohltätigkeitsmatch hatte sich zu einem alljährlichen Ereignis entwickelt: Die Elf der gegenwärtigen Studentinnen der Glevum-Uni trat gegen die der Ehemaligen, die »Old Girls«, an. Zwar fühlten Gemma und Ruth sich mittlerweile eher alt und weniger als Mädchen, aber was machte das schon? Wenn Bev Yates sich noch mit siebenunddreißig in Fußballshorts zwängen konnte, dann konnten sie es mit fünfundzwanzig allemal.
Außerdem ging es schließlich nicht nur um Fußball; man traf Schulfreundinnen wieder, die man ein ganzes Jahr nicht gesehen hatte, tauschte den neuesten Klatsch aus, nahm Komplimente entgegen und vergaß für ein paar Stunden, daß man sich eigentlich wie eine verantwortungsbewußte Erwachsene benehmen sollte.
Das einzige Problem bestand darin, daß mit jedem Jahr, das verging, im Umkleideraum der Old Girls immer weniger bekannte Gesichter anzutreffen waren. Dieses Jahr waren es gerade noch drei: Ruth, Tammy und Gemma – und die sahen sich sowieso jeden Sonntag beim Spiel der Sandford Tigers. Andie lebte jetzt in Beirut; Caroline hatte vor sechs Monaten Drillinge bekommen; Jo moderierte im belgischen Fernsehen eine Talkshow, und Miriam ließ sich zur Rabbinerin ausbilden … Und jetzt hatte sogar Ruth – die selbständige und ach so unkonventionelle Ruth – angekündigt, daß sie und Ally »sich unters Ehejoch beugen« wollten. Unglaublich! Auf einmal schien es, als würde die ganze Welt heiraten. Alle außer Gemma jedenfalls – denn so blöd war Gemma nicht.
Nur noch zehn Meter bis zum Strafraum. Gemma spürte, wie das Blut in ihren Adern pulsierte. Schnelle Drehung nach links, rechts antäuschen, über den Ball springen, Paß zu Bev und wieder zurück – und laufen!
»Auf meinen Kopf, auf meinen Kopf!« brüllte Tammy. Aber die kleine, giftige Verteidigerin brachte sie mit einem blitzschnellen Foul zu Fall, als der Schiedsrichter gerade nicht hinschaute, und Gemma drang, wieder auf sich allein gestellt, in den Strafraum vor. Sie war ganz kurz davor, das Tor ihres Lebens zu schießen.
»Paß auf, Gem … Oh, verdammt!« Zuerst verstand sie nicht, was Bev ihr zurief. Dann sah sie den Fußballschuh auf sich zukommen. Er steckte am Ende eines kurzen, schlammverkrusteten, skrupellosen Beins und war auf dem besten Weg, in der nächsten Sekunde ihren Kopf zu treffen. Ein unbewußter Überlebenstrieb brachte sie dazu, ihm auszuweichen, und einen Augenblick später landete sie mit der Nase voraus im Schlamm.
Ein Pfiff ertönte. Gemma überschlug sich und prustete wie ein gestrandeter Wal. Ruth patschte durchs Mittelfeld auf sie zu und zog sie hoch. »Super, Gem!«
»Was!« Gemma nieste sich Schlamm auf den Ärmel. »Super? Was meinst du mit super?«
»Phantastische Schwalbe.« Ruth grinste. »Oscarreif.« Sie steckte sich eine Strähne aschblonden Haars hinters Ohr, und Gemma fragte sich, wie Ruth Hargreaves es nur immer schaffte, als einzige Spielerin bis zum Schlußpfiff blütenweiße Shorts zu behalten. »Bev möchte, daß du selbst den Elfmeter schießt.«
Und kurz danach stand es eins zu null für die Glevum Old Girls.
Tammy Winters hinkte durch den Umkleideraum und hielt sich einen blutbefleckten Gazebausch ans Knie. »Metzger«, zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Die reinsten Metzger sind das – und was hat der Schiri eigentlich gedacht, wozu er da ist? Hat er seinen Blindenhund daheimgelassen oder was?«
Gemma und Ruth nickten mitfühlend, und Gemma riskierte einen vorsichtigen Blick auf Tammys Kriegsverletzung. »Bäääh.«
»Trotzdem«, sagte Ruth, während sie sich aus ihrem Trikot schälte und es in den Wäschekorb warf. »Gewonnen haben wir. Und das ist schließlich die Sache wert.«
»Ein paar Stiche, und du bist wieder in Ordnung«, fügte Gemma aufmunternd hinzu.
»Vielen Dank!« Tammy verzog das Gesicht. »Also wißt ihr, ich denk ernsthaft darüber nach, was weniger Gefährliches zu machen. Wildwasser-Rafting oder so was.«
»Das sagst du jedes Jahr«, erklärte Gemma. »Wie wir alle. Und jedes Jahr machen wir wieder mit.«
»Also diesmal mein ich’s ernst«, beteuerte Tammy, als sie sich behutsam auf eine der Bänke sinken ließ und das Gummi aus ihrem dünnen braunen Pferdeschwanz zog. »Hat vielleicht jemand ein bißchen Jod?«
»Macht euch bloß keine Sorgen um Tammy«, sagte Ruth, drehte die Dusche auf und trat unter den Strahl. »Sie liebt den Fußball viel zu sehr, als daß sie aufhören würde.«
Gemma war sich da nicht so sicher. Während das warme Wasser Schlamm, Gras und Sand abspülte, fragte sie sich, wer wohl nächstes Jahr den 93er Jahrgang vertreten würde. Nur noch Gemma und Ruth? Oder womöglich nur noch Gemma? Sie spürte einen Stich von Wehmut, so kurz, daß sie nicht einmal genau wußte, ob da tatsächlich etwas gewesen war.
»Aber recht hat sie schon«, meinte Ruth, streckte einen Arm aus und tastete nach der Seife. »Die Kids sind wirklich Metzger, solche Blutgrätschen hab ich noch nie gesehen. Dabei studiert ihre Mittelstürmerin Theologie!«
»Haben wir eigentlich je solche Schweinereien gemacht?« fragte sich Gemma laut und seifte sich die Arme ein. »Ich kann mich nicht erinnern.«
Ruth streckte den Kopf heraus, warf ihr nasses Haar zurück und blinzelte. »Nur mit den Jungs, Gem, nur mit den Jungs«, lachte sie anzüglich. »Erinnerst du dich noch an die Rugbymannschaft, die wir in Aberystwyth getroffen haben? Mensch, waren das Kaliber…«
»Du wirst ja wohl kaum noch mit fremden Männern rummachen, oder?« hänselte Gemma sie. »Wo du doch jetzt bald eine verheiratete alte Dame bist. Schätze, Ally läßt dich nicht mal mehr für die Tigers spielen, damit dich nicht irgendein geiler Bock in deinen Shorts zu sehen bekommt.«
Ruth schnaubte verächtlich. »Wenn ich Fußball spielen will, dann spiel ich auch Fußball! Außerdem ist Ally keiner von der eifersüchtigen Sorte.«
Gemma tippte sich an den Nasenflügel. »Das sagst du jetzt, aber was ist, wenn er sich nach der Hochzeit plötzlich verändert?«
Ruth brach in Lachen aus. »Ally? Kannst du dir wirklich vorstellen, daß Ally versuchen wird, mich an den Herd zu ketten?«
Gemma versuchte es. Leicht war es nicht. Ally war schon in Ordnung. »Na ja …«
»Blödsinn. Ich würde ihn nie heiraten, wenn er nicht allen meinen hohen Ansprüchen gerecht würde!« Ruth kam aus der Dusche und begann sich abzutrocknen. »Dein Rory dagegen …«
»Was ist mit ihm?«
»Schnapp ihn dir lieber gleich, sonst endest du noch als alte Jungfer…«
»Ich nicht!«
»… mit diesen knielangen Nylon-Pumphosen, die Omas so gerne tragen …«
»Ja«, rief Tammy vom anderen Ende des Raums, »und mit falschen Zähnen und Perücke!«
»Halt die Klappe!« winselte Gemma, der vor Lachen fast die Luft wegblieb.
»Stimmt aber!« fuhr Ruth beharrlich fort. »Ich sag dir, falls Ally den Praxistest nicht besteht, tausch ich ihn gegen Rory ein.«
»Das wirst du nicht!« schnappte Gemma, plötzlich sehr besorgt um den Mann, mit dem sie Tisch und Bett teilte. Und sie richtete den Duschkopf auf Ruth, die mit einem Aufschrei zurücksprang, auf der Seife ausrutschte und auf dem Hintern in einer Pfütze landete.
»Na, na, Kinder«, brummte in ihrer charakteristischen Turnlehrerinnenstimme Bev Yates, deren beträchtlicher Körperumfang den Türrahmen ausfüllte. »Jetzt beruhigt euch doch mal.« Sie drehte die Dusche ab und warf Gemma ein Handtuch zu.
»An-spra-che, An-spra-che« skandierten Stimmen zur Begleitung stampfender Füße. Bev hob die Hände, und wie durch Zauberei ebbte der Lärm ab.
»Ich hab euch nur eins zu sagen«, meinte Bev, während sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht breitmachte. »Glevum Uni null, Glevum Old Girls eins!«
Pfiffe und Gekreische hallten von den Wänden wider, als Gemma von Bev die winzigste und armseligste Trophäe in die Hand gedrückt bekam, die sie je gesehen hatte. »Spielerin des Tages«, sagte Bev strahlend und klopfte ihr auf die Schultern, daß ihr fast die Trophäe in den Abfluß gefallen wäre. »Trinken wir alle auf das nächste Jahr!«
Jemand öffnete eine Flasche. Dann noch eine. Dann ein paar Sixpacks und eine Kiste. Dann sprangen sie alle zusammen ins Bad und sangen »The Good Ship Venus«. Es war wunderbar. Und gleichzeitig war es auf eine seltsame Weise tieftraurig. Noch während sie auf nächstes Jahr trank, fragte sich Gemma, ob es überhaupt ein nächstes Jahr für sie alle geben würde. Sie hatte das merkwürdige Gefühl, daß das Leben all der anderen unaufhaltsam weiter schritt und sie dabei auf der Strecke blieb. Und sie war sich ganz und gar nicht sicher, ob ihr das gefiel.
»Ay-ay-ay-ay con-ga, ay-ay-ay-ay con-ga …«
Die Polonaise schwankte betrunken um Jas’ Terrasse und wieder hinein durch die Tür, wobei sie unterwegs ein paar Nachzügler verlor. Beim Versuch, zur Seite zu springen, konnte Gemma gerade noch vermeiden, ihren Drink über Vics Samtjeans zu kippen, trat ihr dafür aber auf den Fuß. »Aua!« winselte Vic und rieb sich ihre schmerzenden Zehen. »Du mußt es ja nicht unbedingt an mir auslassen.«
»Ich lasse gar nichts an niemandem aus!« rief Gemma und schnappte sich ein Wurstbrötchen von einem Pappteller, der gerade vorbeitanzte. Wenn sie schon Silvester damit verbringen mußte, zuzuschauen, wie Rorys Kumpels sich vollaufen ließen, wollte sie dabei wenigstens nicht verhungern.
Vic lachte in ihren Dip aus biologisch-organischem Blumenkohl. »Jetzt hör aber auf, Gem, dir geht’s doch schon den ganzen Abend nicht gut. Man kann doch auch ohne Kerl seinen Spaß haben.« Sie seufzte durch einen Mundvoll Rohkost. »Ich muß es ja schließlich wissen.«
»Ist ja schon gut.« Eine Strähne braunen Haars machte sich selbständig, und Gemma wischte sie sich nervös aus dem Gesicht. »Ich bin einfach nur ein bißchen deprimiert, okay?«
Gemma wußte, daß sie überreagierte. Es war schließlich nicht Rorys Schuld, daß seine blöde Chefin das gesamte Management in den Lake District geschickt hatte, um im strömenden Regen Spiele zur Stärkung des Teamgeists zu spielen, während der Rest der Welt bis in die Puppen feierte. Es war nicht seine Schuld, daß seine Chefin sich einen Spaß daraus machte, das Privatleben ihrer Mitarbeiter zu zerstören, weil sie selbst keins hatte. Lisa Hepworth, fluchte Gemma still in sich hinein, hoffentlich stehst du gerade bis zum Hals in einem eiskalten Fluß mit einem toten Schaf auf dem Kopf. Das ist der erste Silvesterabend, den wir in vollen sechs Jahren nicht miteinander verbringen, und alles nur deinetwegen.
»Na-na-na-na nah, hey! Na-na-na-na nah, hey!« Rorys Kumpel Jas ließ die Hosen fallen, als die Polonaise über den Kaffeetisch setzte, was einen weiteren Ausbruch heiseren Gegröhles auslöste. »Na-na-na-naah, na-na-na-naah …«
»Schwachkopf«, sagte Gemma und schnappte sich ein weiteres Wurstbrötchen.
»Ich versteh gar nicht, wieso du so schlecht drauf bist«, meinte Vic nicht ganz ohne Berechtigung und fuhr sich über das gut einen Zentimeter lange wasserstoffblonde Stoppelhaar, das eine Frisur sein sollte. »Du hast ’nen Job und ’n Haus und ’nen Kerl. Einen netten, gutaussehenden, treuen Typ, der dich anhimmelt. Und stinkreich ist er auch noch.«
»Reich!« spottete Gemma. »Er ist nur der Assistent der Geschäftsführerin, Vic, nicht selbst Geschäftsführer.«
Vic fuchtelte mit einem Zucchini-Baguette unter ihrer Nase herum. »Jetzt hör mal zu, Gem. Wer sein Klopapier bei Marks and Spencer kauft, ist in meinen Augen reich. Paß bloß auf, daß er dir nicht durch die Lappen geht; er ist wahrscheinlich der einzige brauchbare Typ in ganz Cheltenham.«
Ein Anflug von Schuldgefühl drängte Gemmas Selbstmitleid einen Augenblick in den Hintergrund. Die arme Vic. Sie hatte nie viel Glück mit Männern gehabt, schon damals nicht, als sie mit Gemma zusammen zur Schule gegangen war. »Du hast dich doch nicht wirklich von Dave getrennt, oder?«
»Hab ich.«
»Aber ich dachte …«
»Das war, als ich von diesem letzten Konvoi nach Rumänien zurückgekommen bin. ›Vic‹, sagt er, ›du kümmerst dich um Waisen, pensionierte Alkoholiker und behinderte Pudel – wie kommt es eigentlich, daß du für jeden Zeit hast, bloß nicht für mich? Entweder du machst Schluß damit, oder ich hau ab.‹ Das muß ich mir ja wohl nicht bieten lassen, oder? Also hab ich ihn letzten Donnerstag rausgeschmissen.«
»O Vic«, stöhnte Gemma. »Wie willst du je den Mann fürs Leben finden?«
»Wer sagt eigentlich, daß ich das will?« fragte Vic zurück, und ihr kleiner, stämmiger Körper nahm eine trotzige Haltung an.
»Klar willst du.« Gemma liebte es, andere zu verkuppeln. Ihr eigenes Single-Dasein lag nun schon Jahre zurück, und so machte sie sich einen Spaß daraus, für ihre Freundinnen, die noch frei waren, Partner zu suchen. Vic stellte allerdings eine ziemliche Herausforderung dar. Wie sollte man auch eine wasserstoffblonde radikale Vegetarierin an den Mann bringen, deren Vorstellung von gesellschaftlichem Leben darin bestand, heiße Suppe an Obdachlose zu verteilen? Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. »Schau mal, hier sind doch jede Menge Typen, da muß doch wenigstens einer dabei sein, der dir gefällt. Wie wär’s mit … Jas?«
»Klar, mit ’ner Amöbe wollt ich immer schon mal ins Bett.«
Wie auf Kommando donnerte Jas an ihnen vorbei, einen falschen Busen auf die Brust geschnallt und einen Slip über dem Kopf. »Kommt schon, Mädels, wer will mal meine Titten grapschen?«
»Na schön, Jas vielleicht weniger. Gabriel?«
Durch einen Mundvoll Gemüse warf Vic ihr einen bösen Blick zu. »Vergiß es, Gem, ich steh nicht auf Leichen.«
»Dann eben Simon.« Gemmas grüne Augen folgten Simon Welby durch den Raum zu Jas’ chaotischem Buffet, wo er sich ein kleines Glas Weißwein und eine Käsestange holte. Simon war einfach süß. Er war schon seit der Grundschule Rorys bester Freund und sah mit sechsundzwanzig noch immer wie ein zu groß gewachsener Schuljunge aus.
»Simon?« Vics Gesichtsausdruck zeigte, daß sie es einfach nicht glauben konnte. »Aber Gem, der ist doch Immobilienmakler!«
»Stimmt«, mußte Gemma zugeben, »aber ein ausgesprochen netter.«
»Kommt nicht in Frage.«
Gemma kicherte. »Überleg doch mal, vielleicht könnte er dir zu ’ner netten Wohnung verhelfen.«
»Ich will aber keine nette Wohnung! Ich will in meinem Loch bleiben. Und kaufen will ich schon gar nichts – ich bin schließlich Anarchistin, hast du das vielleicht vergessen?«
»Ach, stimmt ja«, lächelte Gemma. »Heißt das jetzt, daß du deine liberale Gesinnung aufgibst und alle deine Doctor-Who-Videos für die Bedürftigen spendest?«
»Jetzt hör aber auf, Gemma. Ein paar Laster muß ein Mädchen noch haben.« Vic kippte den letzten Rest der Blumenkohlsoße hinunter und wischte sich den Mund ab. »Gott, schmeckt das beschissen.«
»Warum hast du’s dann gegessen?«
»Weil’s nichts kostet! Und weil einem außer Fressen sowieso nichts bleibt, oder? Ich meine, wenn man nicht gerade scharf darauf ist, hier wie im Kindergarten rumzuhopsen.«
»Du könntest es ja trotzdem mal mit Simon versuchen.«
»Ich hab’s dir doch gesagt«, konterte Vic, »die häusliche Glückseligkeit überlasse ich dir und Rory.«
Gemma schnitt eine Grimasse. »Wie du das sagst, klingt’s fast so, als wären wir ein altes Ehepaar!«
»Seid ihr doch auch!« gab Vic zurück. »Jedenfalls so gut wie. Genau wie Ruth und Ally.«
»Sind wir nicht!«
»Klar seid ihr das. Wart’s nur ab – in ein paar Jahren trägt Rory Filzpantoffeln mit Reißverschluß und Schottenmuster, und du machst Kreuzstichbilder von süßen kuscheligen Kätzchen.«
Das waren schreckliche, unerträgliche Aussichten. Gemma hielt sich die Hände vors Gesicht und schrie: »Hör auf! Niemals, niemals, niemals!«
Genau diesen Augenblick wählte Jas, um sich an Vic heranzumachen und ihr zärtlich ins Ohr zu rülpsen. »Möchtest du mal an meinem Baguette knabbern?«
»Verpiß dich.«
»Wie Madame wünschen.« Er warf einen angeheitert-lüsternen Blick auf Gemma. »Dein Loverboy ist am Telefon.«
Gemma fiel der Unterkiefer herunter. »Was – Rory?«
Jas zwinkerte ihr zu. »Wie viele hast du denn? Du kannst das Telefon im Flur nehmen.« Leicht schwankend stützte er sich im Blumenkohldip ab, während er ihr vertraulich ins Ohr flüsterte: »Klingt, als ob’s ihm ziemlich beschissen geht, wenn du mich fragst.«
»Ich frag dich aber nicht.« Gemma floh in den Flur und schloß die Tür hinter sich, um wenigstens den größten Teil der Zoogeräusche auszuschließen. Dann nahm sie den Hörer. »Rory? Rory, bist du noch dran?«
»H-hallo Gemma. Na, feierst du auch schön ohne mich?«
Irgendwo im Hintergrund hörte Gemma explodierende Knallkörper und die Kakophonie ferner Fröhlichkeit. »Was zum Teufel läuft bei dir denn ab?«
»Einige der Jungs geben eine kleine … Party Oh, Gem, ich vermiß dich so.«
Gemma wünschte, Rory wäre bei ihr, damit sie ihm die Ohren langziehen könnte. »Wieviel hast du eigentlich schon getrunken, Rory?« Sie glaubte einen traurigen Schluckauf zu hören.
»Nur’n paar. Bin im Pub. Susammen mit keinen Molleg …« Rory unterbrach sich und fing noch mal von vorne an, wobei er die Worte vorsichtig wie ein Seiltänzer auf dem Hochseil aussprach. »Susammen … mit … meinen … Kollegen. Glaub ich jeeenfalls.«
Gemma seufzte. Voll wie ’ne Haubitze. Wann wird Rory je begreifen, daß er nichts verträgt? Morgen hat er wieder Augen wie eingelegte Walnüsse … »Trink ein bißchen Wasser, bevor du ins Bett gehst.«
»Was?«
»Wasser. Jede Menge. Dann wird der Kater nicht ganz so schlimm.«
»Wasser? Was is’ mit Wasser?«
Sie merkte, daß er für gute Ratschläge schon viel zu hinüber war. »Mach doch, was du willst. Ist ja dein Schädel.« Der Arme, dachte sie mit einer Mischung aus Verbitterung und Zärtlichkeit. Total unfähig, auf sich selbst aufzupassen. Typisch Mann.
»Ich vermiß dich, Gem. Vermißt du mich auch?«
Er klang wie ein kleiner Junge, dachte Gemma, und sie konnte nichts dagegen tun, daß ihr Lächeln auf ihre Stimme ab färbte. »Natürlich vermisse ich dich.«
»Ganz ehrlich?«
»Ganz ehrlich.«
»Ehrenwort … Gern, ich weiß nicht mehr, was hab ich eben gesagt?«
»Was ist denn da los, Rory?« Das kreischende Gelächter einer Frau drang durch die Leitung, gefolgt vom Geräusch schneller Schritte. »Was ist denn das für ein Lärm im Hintergrund?«
»Ach, nichts. Wir feiern nur’n bißchen. Gern …«
»Was?«
»Ich hab ’ne Überraschung für dich. Willst du wissen, was?«
»Sag schon.«
»Es is’ … jetzt hab ich’s glatt vergessen …« Plötzlich wurde das Gelächter so ohrenbetäubend, daß Gemma Rory kaum mehr hören konnte.
»Rory?«
»Geh weg, was machst du denn da? Das kannst du doch nicht machen!«
»Rory?« Gemma runzelte die Stirn. »Rory!«
Und dann kam ein wirklich verrücktes gurgelndes Geräusch, das klang, als ob ein Handy die Toilette hinuntergespült würde. Und dann kam gar nichts mehr.
»Oscar. Oscar, nein, das kannst du doch nicht essen!« Das große weiße Kaninchen blickte mit unschuldigen rosa Augen zu Gemma hoch, während es seelenruhig rotes Lametta mampfte. Es war ja schön und gut, ein stubenreines Kaninchen als Haustier zu halten, aber Oscars Appetit auf alles von Pappschachteln bis zu Elektrokabeln war mitunter ziemlich lästig. Gemma trug ihn in die Küche, schloß die Tür und ging ganz, ganz langsam zurück ins vordere Zimmer, weil sie bei jeder schnellen Bewegung das Gefühl hatte, daß ihr gleich der Kopf abfallen würde. Soviel zu dem Mittel gegen Kater, das sie Rory empfohlen hatte – nur schade, daß sie vergessen hatte, es selbst auszuprobieren. Und das nach dieser Party.
Im vorderen Zimmer von Rorys und Gemmas Reihenhaus wechselten gemütliche Unordnung (wenn Gemma mit der Hausarbeit dran war), symmetrische Aufgeräumtheit (wenn Rory an der Reihe war) und totales Chaos (wenn keiner von beiden Zeit hatte) einander ab. Heute sah es schlimmer als gewöhnlich aus. Über den ganzen Teppich verstreut lag Nippes vom Weihnachtsbaum herum, auf dem Ikea-Regal stapelten sich Papiergirlanden, und das hölzerne Zebra auf dem Kamin war unter all den vertrockneten Stechpalmen- und Mistelzweigen kaum mehr zu sehen.
Normalerweise hätte Gemma mit dem Entfernen des Weihnachtsschmucks bis Dreikönig gewartet, aber dieses Jahr hatte sie irgendwie das Gefühl, daß Weihnachten früher vorbei war. Sie mußte am nächsten Tag schon wieder arbeiten, und ohne einen Rory, der sich über Fichtennadeln in der Unterhose beschwerte, war ohnehin keine rechte Weihnachtsstimmung aufgekommen. Gemmas Laune war eher gedämpft.
Heute wollte er nach Hause kommen. Gemma versuchte sich einzureden, daß sie sich gar nicht so große Sorgen machte; schließlich war sie in den paar Tagen allein doch bestens klargekommen, oder etwa nicht? Sie hatte ihre eigenen Freunde, ihre eigenen Interessen, ihr eigenes Leben. Und das war nur gut so. Ich werd Rory doch nicht auf die Nase binden, daß es mir ohne ihn total dreckig gegangen ist, dachte sie.
Sie betrachtete das Chaos um sich herum. Fünf leere Kaffeebecher, ein angeknabberter Keks und fünf Streifen Beinwachs mit Haaren dran. Könnte schlimmer sein. Am besten alles in einen Müllbeutel, unter der Treppe verstecken und irgendwann später sortieren. Dann noch eine schnelle Runde mit dem Staubsauger, und Rory würde nie draufkommen, daß sie die letzten vier Tage nur auf dem Sofa rumgehangen hatte.
Als sie aufstand, sah sie sich selbst im Spiegel über dem Kamin. Hmm. Bei Tag betrachtet erschien ihr Gesicht nach der Feier nicht gerade im günstigsten Licht. Ihre blasse, leicht sommersprossige Haut erinnerte in ihrer wachsigen Transparenz an toten Kabeljau, ihr ungewaschenes Haar war mit einer alten Strumpfhose hochgebunden, und war das da an ihrer Nasenspitze vielleicht ein neuer Pickel? Sie beugte sich vor und streckte die Zunge heraus. Sie war grau und pelzig wie die verschimmelte Wurst, die sie hinter dem Kühlschrank gefunden hatte. Mach dir nichts vor, Gemma, sagte sie sich, du bist heute geradezu gefährlich sexy.
Gerade als sie sich den letzten Schokoladenweihnachtsmann in den Mund schieben wollte, hörte sie, wie die Hintertür aufging. Dann Rorys Stimme. »Hallo Oscar. Na komm schon kuscheln.«
Typisch, dachte Gemma. Er ist vier Tage weg, und was macht er als erstes? Er knutscht das Karnickel ab. Sie rief nicht nach ihm, ohne genau zu wissen, warum nicht – aber die zweite Geige hinter Oscar wollte sie auf keinen Fall spielen. Außerdem war ihr Mund voll Schokolade. Wenn Rory Wert auf sie legte, konnte er sie ja suchen.
Dann hörte sie ein raschelndes Geräusch, als wenn jemand in Plastiktüten herumwühlte, und danach einen leichten dumpfen Schlag. »Da hast du ’ne Karotte. Gern? Gern, wo bist du denn?« Die Wohnzimmertür ging auf, und Rory steckte den Kopf herein. »Ah, hier bist du, Gem.« Sein Gesicht verzog sich zu einem leicht nervösen Grinsen. »Krieg ich keinen Kuß?«
Gemma warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Ich bin mir nicht sicher, ob du einen verdient hast«, schniefte sie.
Rory kam ins Wohnzimmer und schloß die Tür hinter sich. Er sah ziemlich kaputt aus, fand Gemma. Seine Jogginghose war ganz steif vom Schlamm, und sein Rugbyhemd hatte er verkehrt rum an. Sein dunkelbraunes, immer recht eigensinniges Haar bildete auf einer Seite des Kopfes einen ziemlich idiotisch aussehenden Schopf, der sie an das Ohr eines Koalas erinnerte. Sein kantiges Kinn bedeckte ein Stoppelbart, und selbst seine schelmischen grauen Augen hatten ihren Glanz verloren. Zum ersten Mal in seinem Leben wirkte der sonst so perfekte Rory absolut hilflos. »Ach Gem, das mit dem Anruf tut mir leid.« Er kratzte sich am Kopf. »Dieser Idiot vom Einkauf hat sich mein Handy geschnappt und ins Aquarium geworfen.«
»Ach ja. Und öffentliche Telefonzellen gibt’s im Lake District wohl keine, was?«
Rory machte eine schuldbewußte Miene. »Ich weiß, ich weiß. Ich hätt ’ne Zelle suchen und dich zurückrufen sollen. Aber ich war ein bißchen …«
»Besoffen?«
»Total. Und am nächsten Tag haben sie uns dann wieder den Berg raufgeschleppt, und runtergekommen sind wir erst heute, und da hab ich gedacht, jetzt kann ich auch gleich warten, bis ich zurück bin. Ich hab’s dann noch von der Autobahn aus probiert, aber du warst nicht da.« Rory legte seinen Arm um Gemmas Taille. »Tut mir echt leid.«
»Das will ich hoffen!« Gemma gab ihm widerwillig einen Kuß und widerstand der Versuchung, ihn auf der Stelle hoch ins Schlafzimmer zu zerren.
»Ich hab dich vermißt.«
»Wie sehr?«
Rory packte sie, verschlang fast ihren Mund und ließ erst wieder von ihr ab, als sie beide nach Luft schnappten. »So sehr.«
Gemma schaute ihm liebevoll in die Augen. »Rory.«
»Hmm?«
»Du riechst nach Schaf.«
»Tatsächlich?« Rory schnupperte an seinem Ärmel. »Macht dich wohl nicht besonders an, was?«
»Würde es vielleicht, wenn ich ein Schaf wäre.« Gemma schmolz dahin, als sie sich an Rorys stoppelige Wange kuschelte. »Und wo ist jetzt die Überraschung, die du mir versprochen hast? Oder war das nur besoffenes Gerede?«
Rory schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, die gibt’s wirklich.«
»Wo ist sie dann?«
»In der Küche. Oscar hat sie.«
Gemma stutzte und warf Rory einen verdutzten Blick zu. »Oscar?«
»Komm mit.« Rory zog sie in die Küche. »Ich werd’s dir zeigen.« An der Küchentür hielt er ihr die Augen zu und schob sie vorwärts. »Rechts.« Dann zog er plötzlich seine Hände weg. »Jetzt kannst du hinsehen.«
Gemma blinzelte. Rory wartete sichtlich gespannt auf ihre Reaktion. »Na?«
»Was na?«
»Was siehst du da?«
Sie sah sich in der Küche um. »Den Abwasch von drei Tagen …«
Dann sah sie Oscar auf dem Küchentisch, wo er in aller Ruhe an einer Karotte knabberte. »Mensch, Rory, du sollst ihn doch nicht auf den Küchentisch setzen; stell dir vor, er fällt runter und tut sich was – was hat er denn da um den Hals?«
»Sieh doch mal nach.«
Gemma beugte sich über das Kaninchen. Um seinen Hals war ein rotes Band geschlungen, durch das etwas Glänzendes gefädelt war, wie eine Medaille von den Olympischen Kaninchenspielen. Als sie es erkannte, begann ihr Herz wie wild zu klopfen. »Rory. Was …?«
»Das ist ein Ring«, half Rory ihr auf die Sprünge.
»Das seh ich, aber …«
»Ein Ring, Gem. Ein Verlobungsring.«
Sie starrte ihn nur an und wußte nicht, ob sie in Ohnmacht fallen oder in Gelächter ausbrechen sollte. »Soll das ein Witz sein?«
Rory sah ziemlich verzweifelt aus. »Okay, ich mach’s, wie es sich gehört.« Er schob einen Stuhl zur Seite, ließ sich auf ein Knie fallen, rutschte auf dem nassen Schlamm am Hosenbein aus und landete auf allen vieren. »Gemma«, sagte er, während ihm eine Locke feuchten Haars über ein Auge fiel. »Gemma … willst du mich heiraten?«
Ein paar Tage später aßen Gemma und Vic an der Café-Bar Tipsy Fox hinter dem Theater zu Mittag. Vic hing förmlich an Gemmas Lippen. »Scheiße. Und was hast du geantwortet?« Mit offenem Mund kauend, kam Vic Gemma vor wie ein Betonmischer im Kleinformat.
Gemma pickte sich eine Olive aus ihrer Pizza und steckte sie in den Mund. »Ich hab gesagt, bist du besoffen? Rory hat’s bestritten, aber ich hab gesagt, du mußt besoffen sein. Dann hat er gemeint, er hätte nur ein schnelles Bier auf dem Heimweg getrunken, im Red Horse…«
Vics Gesicht war die Spannung anzusehen. »Aber was hast du gesagt? Zum Heiraten?«
»Was hätte ich schon sagen sollen? Ich hab gesagt, ich denk drüber nach.« Gemmas Mundwinkel zuckten, als sie sich an den Augenblick erinnerte. »Und am nächsten Morgen bin ich dann zum Frühstück runtergekommen, und er hatte in Buchstaben-Nudeln über die ganze Tischdecke Willst du mich heiraten Gem geschrieben. O Vic, das war echt Wahnsinn.«
Vic schüttelte ungläubig den Kopf. »Wahnsinn!« Sie hielt mitten in der Kaubewegung inne, als sei ihr gerade etwas Schreckliches zugestoßen. »Du hast doch wohl nicht ja gesagt? Sag bloß nicht, du hast eingewilligt!«
Gemma lachte. »Natürlich nicht!« Sie senkte den Blick und starrte mit größtem Interesse auf ein Stück Peperoni. »Aber ich … hab auch nicht direkt abgelehnt.«
Mit grimmiger Entschlossenheit legte Vic Messer und Gabel nieder. »Gemma …«
Gemma blickte sie an. »Ich weiß, ich weiß.«
»Wer hat noch mal gesagt, sie würd sich lieber die Ohren abschneiden als zu heiraten? Und wer hat Ruth und Ally empfohlen, sich mal auf ihren Geisteszustand untersuchen zu lassen?«
Gemma schnitt eine Grimasse. »Also gut, das war ich.«
»Volltreffer. Der Preis gehört dir.«
»Aber Vic, das war ja auch, bevor Rory mich gefragt hat, ob ich ihn heiraten will. Plötzlich kommt mir alles so … anders vor.«
Vic rollte die Augen. »Mach schon weiter, das muß ich hören.«
»Es hat mich einfach zum Nachdenken gebracht, das ist alles. Darüber, worauf unsere Beziehung eigentlich hinausläuft. Das geht jetzt schon sechs Jahre, Vic. Vielleicht ist es wirklich höchste Zeit, übers Heiraten nachzudenken, Vic. Außerdem lieben wir uns – und es ist ja nicht so, daß wir die Absicht hätten, uns jemals zu trennen, verstehst du?«
Vic stieß ein leises Stöhnen aus. »Wie ich’s dir prophezeit habe. Filzpantoffeln? Wuschelkätzchen?«
»Und ich hab dir gesagt – niemals! Außerdem«, erklärte Gemma, »hab ich mich ja noch gar nicht entschieden.«
»Nein?« Vic klang skeptisch.
»Nein. Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Das ist schließlich ein schwerwiegender Entschluß.«
»Das kannst du laut sagen«, bestätigte Vic finster. Sie nahm einen kräftigen Schluck Guinness. »Hör mal, Gem. Wir sind doch gute Freundinnen, oder?«
»Die besten.«
»Ich sag doch gar nicht, daß du nicht heiraten sollst, okay? Ich bin mir nur nicht sicher, ob du weißt, auf was du dich da einläßt. Denk doch nur an die Hochzeit von Ruth und Ally.«
Gemma hatte gehofft, Vic würde Ruth und Ally aus dem Spiel lassen. Deren Hochzeit entwickelte sich allmählich zum klassischen Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte – und dabei lagen immer noch vier Monate Familienfehden vor ihnen, bevor sie ihren großen Tag feiern konnten. Wer hätte gedacht, daß so nette, normale, vernünftige Menschen sich wegen ein paar Blätterteigpasteten und einem weißen Smoking derart in die Haare geraten könnten?
»Es muß ja nicht so ablaufen.« Gemma fragte sich schon, wen sie eigentlich überzeugen wollte – Vic oder sich selbst. Sie griff in ihre Handtasche und nahm das kleine würfelförmige Schächtelchen heraus. Dann öffnete sie es. Auf einem Bett aus dunkelrotem Samt lag ein Ring mit einem einzelnen Diamanten. Spontan steckte sie ihn an den Finger und neigte den Kopf so, daß der Stein das Licht reflektierte. »Schau mal, Vic. Ist der nicht wunderschön?«
»Ja, Gem, das ist er.« Vics Blick hing an dem großen, glitzernden Edelstein, und einen Moment lang hatte Gemma ein schlechtes Gewissen, weil sie vor ihr damit prahlte. Vic war schon mit sechzehn einmal verlobt gewesen und hatte seither keinem Mann mehr so richtig vertrauen können. »Und wenn du um jeden Preis heiraten willst, freue ich mich auch für dich.«
Gemma fühlte sich ein wenig im Stich gelassen. Sie hatte sich mit Vic getroffen, um mit ihr ein Stückchen mädchenhafte Aufgeregtheit zu teilen, und nicht, um sich eine Moralpredigt anzuhören. Vielleicht hätte sie sich eher Ruth anvertrauen sollen. »Zu freuen scheinst du dich nicht gerade«, sagte sie leicht verschnupft und legte den Ring in die Schatulle zurück. »Ich dachte, du magst Rory.«
»Tu ich auch! Von allen Typen ist er noch einer der besten, und du hast wirklich Glück mit ihm.«
»Na also!«
»Aber heiraten …« Vic schüttelte den Kopf und hob dann das Glas. »Na schön, auf dein Begräbnis!«
Als Vic eine schlüpfrige Geschichte über eine Braut, einen Brautführer und ein Glas Instantbrühe erzählte, besserte sich Gemmas Laune wieder. Bis sie zur Bar hinübersah.
»O nein, er hat mich gesehen.«
»Wer – der mit der Bill-Clinton-Frisur und der Jackson-Pollock-Krawatte?«
»Genau.« Da Gemma schlecht so tun konnte, als hätte sie ihn nicht erkannt, warf sie ihm ein Lächeln zu. Eine Flasche mexikanisches Designer-Bier in der Hand, kam er auf sie zu.
»Hallo, Gemma, lange nicht gesehen. Wo haben Sie sich denn versteckt?«
»Ach, Sie wissen schon. Nichts Besonderes. Schön, Sie mal wiederzusehen, Quentin«, log Gemma. »Vic, das ist Quentin Rodbrook. Er leitet die PR-Agentur, mit der HomeQuest letztes Jahr mal zu tun gehabt hat.«
»Oh«, brummte Vic, die für vorgetäuschte Begeisterung noch nie was übrig gehabt hatte.
»Quentin, das ist Vic Lamden. Sie leitet die Arche – Sie wissen schon, die Anlaufstelle für Obdachlose. Wenn sie nicht gerade Lkw fährt.«
Quentins buschige Brauen zogen sich spöttisch nach oben. »Lkw?«
»Ich bin gerade mit einem Hilfskonvoi in Rumänien gewesen«, erklärte Vic. Das war eines ihrer Lieblingsthemen. »Der nächste soll im März starten – übrigens suchen wir noch nach Sponsoren. Vielleicht hätten Sie ja Interesse?«
»Sponsoren?« Falls sie Quentin Rodbrook auf dem falschen Fuß erwischt hatte, ließ er es sich nicht anmerken. »Also … freut mich, Sie kennenzulernen, Vic. Meine Agentur hat auch schon einiges für die Obdachlosen getan, stimmt’s, Gemma?«
Gemma schenkte ihm ein höfliches Lächeln. Sie fand Rodbrook eigentlich halbwegs anständig, jedenfalls für einen PR-Fritzen, aber Public Relations war nicht ihr Ding. Ihre Wege hatten sich nur gekreuzt, weil sie als Texterin für HomeQuest Southwest, eine Wohnungsvermittlung für Bedürftige, arbeitete, und Quentins Agentur hatte sie in eine große, multinationale und natürlich steuerlich absetzbare Wohltätigkeitskampagne eingebunden.
»Das kann man wohl sagen«, bestätigte sie. »Und es war wirklich interessant, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ganz anders als das, was ich sonst mache.« Zumindest das entsprach der Wahrheit.
»Freut mich, daß es Ihnen Spaß gemacht hat.« Quentin nahm eine tiefen Schluck aus seiner Bierflasche. »Haben Sie eigentlich mal über mein Angebot nachgedacht?«
»Tut mir leid«, antwortete Gemma zögernd. »Es schmeichelt mir ja, daß ich bei Ihnen so hoch im Kurs stehe, aber die Antwort lautet immer noch nein.«
Quentin nahm es mit einem gutmütigen Schulterzucken hin. »Man kann’s ja mal versuchen.« Dann wandte er sich Vic zu. »Wissen Sie, Miss Lamden, Ihre Freundin ist eine verdammt gute Texterin; sie hat ein echtes Talent, Ideen in Worte zu fassen. Sie könnte in einer der großen Londoner Agenturen Karriere machen, wenn sie nur wollte.«
»Was nicht der Fall ist«, warf Gemma hastig ein. Sie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als zu so einem stressigen Haifischbecken von Büro im West End zu pendeln, wo du heute noch Star des Monats bist und morgen schon auf der Straße stehst.
Genau hier hakte Quentin ein. »Warum arbeiten Sie dann nicht einfach für mich, und ich bezahl Ihnen ein Gehalt wie in London? Ein faireres Angebot kann ich ihr doch wirklich nicht machen, Vic, oder? Könnten Sie nicht versuchen, Gemma endlich zur Vernunft zu bringen?«
Vic lachte in ihr Guinness. »Gemma und Vernunft? Da können Sie lange warten.«
»Wie ich schon sagte.« Gemmas Stimme klang fest. »Vielen Dank für das Angebot, aber ich habe mich bereits entschieden.«
»Und wenn Gemma sich einmal für etwas entschieden hat«, fügte Vic hinzu, »dann für alle Ewigkeit.«
Der Star of Bengal war ein fester Bestandteil von Rorys und Gemmas Leben, seit sie in Cheltenham wohnten. Das Restaurant war immer wieder anders eingerichtet, aber immer auf extravagant kitschige Art und Weise – einer der Gründe, warum Rory und Gemma das Lokal so mochten. Jedesmal, wenn sie hierher zum Essen kamen, schien wieder irgend etwas köstlich Grauenhaftes hinzugekommen zu sein. Von wegen Rauhfaser – im Star gab es im ganzen Foyer üppig grüne Dschungeltapeten und an der Bar einen ausgestopften Mungo. Die Toiletten waren mit ägyptischen Hieroglyphen tapeziert, und neben der Bar pinkelte ein goldener Engel in allen Regenbogenfarben schillerndes Wasser in eine mit verwirrten Goldfischen gefüllte Glasschüssel.
»Wenn ich noch mehr esse«, verkündete Gemma, während sie ein weiteres Stück vom Naan-Brot abbrach, »paß ich nicht mehr in meine Fußball-Shorts.«
Rorys Miene hellte sich sichtlich auf. »Heißt das etwa, daß du dann aufhörst, einen Ball durch die Gegend zu dreschen, und statt dessen deine ganze Zeit darauf verwendest, mich zu verwöhnen?«
»Nein, das heißt nur, daß ich mir eine größere Hose kaufen muß. Außerdem«, frotzelte Gemma, »werde ich das Fußballspielen nur aufgeben, wenn du das Golfspielen aufgibst.«
Sie wußte, daß sie damit einen Nerv getroffen hatte. Entsetzen spiegelte sich in Rorys Gesicht. »Aber das kann ich doch nicht! Es ist so …«
Da er offenbar Probleme hatte, die richtigen Worte zu finden, half Gemma ihm weiter. »Dumm? Langweilig? Teuer?«
»Nein, es ist faszinierend! Irgendwann packt es dich einfach, und dann kommst du nicht mehr davon los.«
»Gleich erklärst du mir noch, daß es ein Spiel für richtige Männer ist.«
»Aber natürlich!«
»Klar«, spottete Gemma, »für langweilige alte Männer mit Bierbauch und grauenhaften Hosen. Ehrlich, Rory, ich mach mir langsam Sorgen um dich. Wenn du erst mal Lacoste-Hemden trägst, bist du mich los.«
Rory brach den Kopf einer Riesengarnele ab. »Du hörst spätestens dann auf zu spotten, wenn ich im Geschäftsleben ’ne große Nummer bin und dir deine eigene Fußballmannschaft kaufe.«
»Danke, ich hab schon ein Tischfußballspiel«, erwiderte Gemma.
Schweigend aßen sie ein paar Minuten weiter. Die Lautsprecherbox über Gemmas Kopf berieselte sie mit dem »Sitar Disco Mix Volume 3«. Gemma beobachtete Rory über den Rand ihres poppadom, eines knusprigen, dünnen Fladens. Rory war nicht besonders gut darin, auf cool zu machen. Sie spürte förmlich seine Anspannung.
Sie legte die Überreste ihres poppadom ab. »Was ist los, Rory?« fragte sie, obwohl die Frage eigentlich überflüssig war.
Rory spielte mit den Erbsen auf seinem Teller herum. »Nichts. Außer, daß du mir schon eine ganze Woche lang eine Antwort schuldest.«
»Ah.« Gemma ließ sich in ihren Stuhl zurückfallen.
»Hör mal, Gem.« Rory legte die Gabel ab. »Wenn die Antwort nein lautet, warum bringen wir’s dann nicht einfach hinter uns und machen so weiter wie bisher?«
Gemmas Herz schlug ein wenig schneller. Seltsam, wie man eine ganze Woche lang etwas im Kopf durchkauen kann, bis man absolut sicher ist, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, um dann im entscheidenden Moment beim bloßen Gedanken daran weiche Knie zu bekommen. Sie spielte Rory den Ball geschickt zurück. »Ich weiß ja, daß du mich heiraten willst. Aber warum? Und warum gerade jetzt?«
Rory beugte sich über den Tisch und nahm ihre Hand. »Das hab ich dir doch erklärt, Gem. Ich möchte, daß du meine Frau wirst, weil ich dich liebe. Und du liebst mich doch auch, oder?«
Die Frage war so dumm, daß Gemma völlig verblüfft war. »Das weißt du doch!«
»Also?« Als Gemma nicht gleich antwortete, machte Rory ein betretenes Gesicht. »Du willst also nicht?«
»Nein … Ich meine, ich sage nicht unbedingt nein und auch nicht ja«, erwiderte Gemma langsam. »Ich frage mich doch nur, ob wir uns das auch gründlich überlegt haben.« Gemmas verängstigte Hälfte hoffte insgeheim, daß Rory zu dem Schluß käme, dies sei nicht der Fall. »Ist die Tatsache, daß man sich liebt, ein ausreichender Grund zu heiraten?«
»Ich kann mir keinen besseren vorstellen. Du vielleicht?«
»Nein«, gab Gemma zu. »Aber wir leben jetzt schon sechs Jahre zusammen; was spricht eigentlich dagegen, einfach so weiterzumachen?«
»Wenn du das möchtest. Aber …«
»Ja?«
Rory drückte ihre Hand. Das war ein schönes Gefühl. »Es ist schwer in Worte zu fassen, Gem. Ich will einfach vor der ganzen Welt erklären, daß ich mit dir eine feste Bindung eingehen möchte. Ich will, daß jeder weiß, wie sehr ich dich liebe und wie stolz ich darauf bin, daß du bei mir bist.«
Gemma spürte, wie sie rot wurde. Rory war ein prima Typ – intelligent, gutmütig, sexy und warmherzig –, aber es war sonst nicht seine Art, so leidenschaftlich zu sein, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Im Lauf der Jahre hatte sich zwischen ihnen ein angenehmes, entspanntes Miteinander entwickelt, vielleicht nicht unbedingt voll knisternder Begierde, aber durchaus glücklich und auf beruhigende Weise vorhersehbar. Deshalb machte es ihr jetzt beinahe angst, zu erfahren, daß seine Gefühle so tief waren.
Sie versuchte, es von der lockeren Seite zu nehmen. »Wir haben doch schon eine gemeinsame Hypothek über fünfundzwanzig Jahre. Ist das vielleicht keine Bindung?«
»Das ist doch nicht dasselbe wie verheiratet zu sein!«
»Richtig«, gestand Gemma ein. »Aber man kommt ziemlich schwer wieder raus.« Sie steckte ihre Finger zwischen Rorys und genoß die Nähe. In diesem Augenblick hätte es ihr völlig genügt, mit ihm ganz allein im weiten Universum zu sein. Niemand und nichts existierte mehr außer ihnen beiden. »Die Sache ist nur die … Ich will nicht, daß wir heiraten, nur weil alle unsere Freunde verheiratet sind oder weil wir mit unserem Leben sonst nichts mehr anfangen können.«
Rory nahm ihre beiden Hände in die seinen und sah ihr tief in die Augen. »Gern, ich möchte dich heiraten, weil ich dich liebe, und nicht wegen irgendwelcher anderer Leute. Nicht wegen Ally und Ruth oder Martin und Lotty oder sonstwem außer dir. Aber wenn du mich nicht heiraten willst, geht das auch in Ordnung. Das ändert nichts daran, daß ich immer mit dir zusammenbleiben möchte.«
Lautes Klirren ließ sie zusammenzucken; jemand hatte einen Stapel Teller fallenlassen. Dann produzierte der Kassettenrecorder mitten in »Ra Ra Rasputin« Bandsalat. Es war nicht gerade der romantischste Hintergrund, aber als Gemma Rory in die Augen blickte, empfand sie sehr viel für ihn. »Rory …«
»Ja, Gem?«
»Dein Ärmel hängt im tarka dhal.«
Mit einem geflüsterten »Oh, Scheiße« zog er seinen Arm zurück, und Gemma versuchte, die ölige beigefarbene Schmiere von seinem Jackett abzuwischen.
»Wer soll sich denn um dich kümmern, wenn ich’s nicht tue?« sagte sie zärtlich. »Wer soll dir die Klamotten waschen, wenn du ein unappetitlicher alter Knacker bist?«
In seinen Augenwinkeln bildeten sich Lachfältchen. »Das würdest du für mich tun?«
»Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, wenn ich deine Frau bin. Gehört doch zum Job, oder?«
»Du meinst …?«
»Ja, Rory«, sagte sie und nahm ihren ganzen Mut zusammen, um es auszusprechen. »Das heißt, daß ich dich heiraten werde. Und jetzt steck mir schon den Ring auf den Finger, bevor ich’s mir anders überlege!«
Sie gingen auf der Promenade zurück durch die mit weißen Lichterketten geschmückte Allee. Heute nacht kam es Gemma vor, als hätten sie die ganze Stadt nur für sich allein. Sie schmiegte sich dicht an Rory »Das gefällt mir«, seufzte sie. »Laß uns noch nicht nach Hause gehen.«
Rory warf ihr einen überraschten Blick zu. »Wollen wir nicht vor dem Kamin kuscheln?«
»Ich friere heute nacht überhaupt nicht. Du hältst mich ja warm.«
Die Sterne glitzerten am frostigen Himmel, als sie in die menschenleere High Street einbogen. Gemma fühlte sich ausgesprochen beschwingt, aber das hing nicht mit den drei Flaschen Kingfisher zusammen, die sie intus hatte.
»Kneif mich«, sagte sie.
»Warum sollte ich so etwas Schreckliches tun?«
»Weil ich wissen will, ob ich wache oder träume. Hab ich wirklich gesagt, daß ich dich heiraten will?«
Rory runzelte die Stirn. »Hast du’s dir etwa schon anders überlegt?«
»Nein, natürlich nicht.« Sie zog seinen Arm an sich und gab ihm einen dicken Kuß. »Ich hätte niemals ja gesagt, wenn ich es nicht so gemeint hätte. Mir ist nur gerade eingefallen, daß furchtbar viel zu organisieren sein wird.«
»Meinst du? Und ich hab immer gedacht, ich müßte mir nur einen neuen Anzug und ein Sex-Handbuch zulegen.«
»Du hast doch selbst gesehen, was diese ganze Hochzeitsgeschichte aus Ruth gemacht hat; sie ist kurz vorm Durchdrehen. Eine Krise jagt die andere. Ruths Mutter redet nicht mehr mit Allys Mutter, weil sie beide einen Hut in derselben Farbe tragen wollen, eine der Brautjungfern hat sämtliche Schneidezähne verloren, und der Brautführer ist in einer Klinik auf Entzug. Und das alles in dieser Woche!«
»Da ist wohl was dran«, sagte Rory und kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Aber bei uns wird das doch nicht so, oder?«
»Rory, ich hab den schrecklichen Verdacht, das ist bei jeder Hochzeit so!« seufzte Gemma. »Das ist wie ein Virus, das ganze Familien in den Wahnsinn treibt. In einen Augenblick sind wir noch richtig nette, vernünftige Leute, im nächsten springen wir uns gegenseitig an die Gurgel, wenn’s drum geht, welcher Sekt beim Empfang gereicht werden soll. Ich sag dir, am meisten Schiß hab ich davor, es deinen Eltern zu erzählen.«
»So schlimm wird’s schon nicht werden«, meinte Rory.
Gemma holte einen gefalteten Geldschein aus der Tasche. »Ich wette diese Fünf-Pfund-Note darauf, daß deine Mutter Westminster Abbey mieten will.«
»O Gott«, stöhnte Rory »Vielleicht hast du recht.«
Auch wenn sie versuchte, es ins Lächerliche zu ziehen, drehte sich Gemmas Magen schon beim bloßen Gedanken daran um, ihre Verlobung bekanntzugeben. Vielleicht war das einer der wahren Gründe dafür, daß sie und Rory vorher nie auf die Idee gekommen waren zu heiraten. Ihre Familie war keineswegs unvernünftig, und Gemmas Eltern hatten immer schon betont, daß sie für ihre drei Töchter nur das Beste wollten. Aber seit Dads Entlassung war das Geld ständig knapp, und Philip Greene hatte eben seinen Stolz, der mitunter bis zur Halsstarrigkeit ging. Gemma ahnte, daß er darauf bestehen würde, eine Hochzeit zu bezahlen, die er sich unmöglich leisten konnte.
Und dann waren da noch Rorys Eltern, Amy und Eric. Seit Amy in der Lotterie gewonnen hatte, schien ihr nur das Teuerste gut genug. Und da Amy Mallison einen furchtbaren Geschmack hatte und dazu das brennende Bedürfnis, immer und überall im Mittelpunkt zu stehen, befürchtete Gemma von dieser Seite das Schlimmste.
»Wir müssen die Hochzeit im kleinen Rahmen halten«, meinte sie entschlossen. »Klein und billig.«
»Klein!« rief Rory. »Meine Mutter wird das nie akzeptieren, du kennst sie doch.«
»Sie wird«, erwiderte Gemma und versuchte, sich selbst davon zu überzeugen. »Ihr bleibt gar nichts anderes übrig. Bei Pauls Hochzeit hat sie doch auch keinen großen Aufstand gemacht, oder?«
»Nein«, pflichtete Rory ihr bei. »Aber das war, bevor sie Geld hatte. Und es war Paul«, fügte er hinzu und starrte auf seine Füße.
Sie wußten beide, was er damit meinte. Paul Mallison war zwei Jahre älter als Rory, und die beiden Brüder hatten einander immer sehr nahe gestanden. Amy jedoch behandelte sie, als ob sie von zwei unterschiedlichen Planeten stammten.
Amy und Eric waren sechzehn beziehungsweise achtzehn gewesen, als Amys Vater sie zum Traualtar führte. Zwei Monate später hatte sie eine Fehlgeburt, und die Ärzte schlossen eine weitere Schwangerschaft aus. In ihrer Verzweiflung adoptierten die beiden daraufhin Paul. Vielleicht wäre die Geschichte ja gut ausgegangen, wenn sie an diesem Punkt geendet hätte, aber ein Jahr später war Amy dann doch wieder schwanger … mit Rory.
Seit seiner Geburt war Rory Mamis Liebling, und Paul, so schien es Gemma, wurde immer mehr beiseite gedrängt. Als Pauls kleine Tochter Molly mit dem Down-Syndrom zur Welt kam, hatte dies die ohnehin bröckelnde Beziehung zwischen Mutter und Sohn weiter belastet.
Armer Paul. Er tat Gemma wirklich leid. Außerdem wurde sie das Gefühl nicht los, daß auch sie aus Amys Sicht nicht gut genug für Rory war, jedenfalls nicht mehr, seit ihre eigenen Eltern in der sozialen Hierarchie abgerutscht waren. Dennoch: Es war Rorys Hochzeit, und Amy würde jede Gelegenheit nutzen, sich in den Vordergrund zu spielen. Gemma spürte schon, wie ihre Begeisterung für das Eheglück sich langsam in Luft auflöste.
»Sie wird bestimmt mit Geld nur so um sich werfen, meinst du nicht auch?«
Rory nickte. »Wahrscheinlich«, gab er zu.
»Und dann werden meine Eltern das Gefühl haben, ebenfalls großzügig sein zu müssen, was sie gar nicht können. Ach verdammt, Rory«, seufzte Gemma. Sie blieb an der Straßenecke stehen und sah Rory an. »Das will ich alles nicht.«
»Ich doch auch nicht.« Er legte die Hände auf Gemmas Schultern. »Aber was können wir machen? Außer ihnen nichts zu erzählen…«
Gemma spitzte die Ohren. »Meinst du, das geht? Nein. Nein, auf keinen Fall.«
Rory nahm ihre handschuhlose Hand, steckte sie in seine warme Manteltasche und wärmte sie mit den Fingern, als sie um die Ecke von Alexandra Terrace bogen.
»Warum eigentlich nicht? Da war mal ein Typ in unserer Firma, der hat auf den Seychellen geheiratet und es seinen Leuten erst erzählt, als sie von der Hochzeitsreise zurück waren.«
»Und was passierte dann?«
»Sie haben ein halbes Jahr nicht mehr mit ihm gesprochen, aber jetzt kommen sie wieder miteinander klar. Glaube ich jedenfalls.«
»Oh«, sagte Gemma zweifelnd.
»Es ist schließlich unsere Hochzeit, Gem. Wir müssen doch nicht unbedingt das ganze Theater haben, das Ruth und Ally gerade durchmachen. Nicht, wenn wir’s nicht wollen. Wir könnten einfach in der Mittagspause aufs Standesamt gehen …«
»In der Mittagspause?«
»Andere machen das auch. Na schön, besonders romantisch ist das nicht, aber …«
Das Entsetzen stand ihr wohl ins Gesicht geschrieben, denn Rory mußte lachen. »War nur so ’ne Idee. Mir ist egal, wie wir’s machen, ich will dich einfach nur heiraten. Die Hochzeit selbst kann meinetwegen so ablaufen, wie du’s am liebsten hättest.«
Gemma mußte schwer mit sich kämpfen, um seine Idee überhaupt in Betracht zu ziehen. »Aber wenn wir es meinen Eltern nicht sagen, sind sie garantiert tödlich beleidigt. Und deine erst!«
»Keine Frage.« Rory nickte. »Aber das ist ihr Problem.«
Rorys Gelassenheit verblüffte Gemma. »Würde dir das gar nichts ausmachen?«
»Nicht annähernd soviel, als wenn sie die ganze Sache in die Hand nehmen und alles kaputtmachen würden. Das ist schließlich unser Tag, Gem. Wenn sie das nicht begreifen, kann ich ihnen auch nicht helfen.«
Als sie auf ihre kleine rote Haustür zugingen, schwirrte Gemma der Kopf von all den verschiedenen Möglichkeiten. Noch vor einer Stunde war sie jung, frei und unabhängig gewesen. Jetzt war sie verlobt und verwirrt und fühlte sich von Minute zu Minute älter. Konnten sie – oder sollten sie – einfach still und heimlich heiraten? Oder sollten sie nachgeben und den ganzen Horror mit heulenden Brautjungfern, verfeindeten Cousins und Cousinen und betrunkenen Onkeln mitmachen?
Allmählich wurde ihr Kopf wieder klarer. »Ich glaube nicht, daß ich nur auf dem Standesamt heiraten möchte«, sagte Gemma, während sie in ihrer Tasche nach dem Haustürschlüssel suchte. »Das wäre so, wie gar nicht zu heiraten.«
»Wie wär’s mit einem piekfeinen Hotel?«
Gemma überlegte. »Ich weiß nicht recht … Ich bin mir nicht sicher, ob mir das gefallen würde.«
»Du willst doch wohl nicht kirchlich heiraten?« Rory wirkte ziemlich verblüfft. »Wir sind doch überhaupt nicht religiös!«
»Nein«, seufzte Gemma. »Nein, wohl nicht. Aber das ist doch nicht wichtig, oder? Wie viele von den Leuten, die kirchlich heiraten, gehen tatsächlich zur Kirche?«
Rory schnalzte mit den Fingern. »Ich hab’s!«
»Was hast du?«
»Warum heiraten wir nicht in unserer alten College-Kapelle? Mein alter Freund Kevin könnte uns doch trauen!«
»Meinst du, das ginge?«
»Warum nicht?« Rory war jetzt richtig in Fahrt. »Eine ganze Menge Ex-Studenten heiraten dort. Und Kevin wär’s auch egal, daß wir beide Heiden sind; er ist der unheiligste Vikar, den ich kenne. Denk mal drüber nach, Gem, das wär doch echt romantisch.«
Gemma dachte an ihr erstes Zusammentreffen mit Rory, als sie beide an der Glevum-Uni im ersten Studienjahr waren. Sie lächelte, als sie sich an den Weihnachtsgottesdienst im Kerzenlicht erinnerte, bei dem sie reichlich beschwipst die Treppe der Kapelle hinaufgestolpert war und Rory heißes Kerzenwachs auf den Schoß getropft hatte. Ein paar Monate später hatte Rory mit seiner Ausbildung zum Assistenten begonnen, aber er und Gemma gingen auch weiterhin gemeinsam durch dick und dünn. Sechs ganze Jahre waren seither vergangen, und sie waren noch immer zusammen. Das bedeutete ja wohl, daß sie wenigstens etwas richtig gemacht hatten.
Sie nickte. »Ich glaube, das ist eine gute Idee. Das wäre wirklich etwas Besonderes.« Dann stellte sie sich das Gesicht ihrer Eltern vor, wenn sie und Rory bei ihnen auftauchen und verkünden würden: Ratet mal, was wir gestern gemacht haben. Wir haben geheiratet! »Aber – ich weiß nicht, Rory. Was würden Mum und Dad dazu sagen?«
»Du willst sie dabeihaben, wenn wir heiraten?«
Gemma nickte. »Und deine Eltern auch. Wenn sie doch bloß alle einfach kommen könnten, ohne sich einzumischen.« Sie drehte den Schlüssel im Schloß, und die Tür ging auf.
Rory schaltete das Flurlicht ein und hob ein gefaltetes Blatt Papier vom Abstreifer auf. »Wir könnten doch alles selbst organisieren und es so lange geheimhalten.«
»Was – du willst es ihnen erst in letzter Minute erzählen, wenn sie keine Chance mehr haben, sich einzumischen?«
»Ja, so ungefähr.«
»Aber wie … einigen Leuten müßten wir’s doch sagen.«
»Nur ein paar Freunden, die den Mund halten können.«
Gemma schloß die Tür und folgte Rory durch den Flur. »Wenn wir es erst im letzten Augenblick bekanntgeben, kann womöglich der eine oder andere nicht kommen!«
»Wir würden schon eine Möglichkeit finden, das zu verhindern, da bin ich mir sicher. Falls du das wirklich willst – eine stille Hochzeit nur mit ein paar Freunden und Verwandten.«
»Genau das will ich«, sagte Gemma, zog ihren Mantel aus und warf ihn über eine Stuhllehne. »Das will ich wirklich. Wenn du glaubst, daß es klappen könnte …«
»Ich glaube es nicht. Ich weiß es.« Rory warf einen Blick auf das Blatt Papier in seiner Hand. »Das ist für dich, die Handschrift kenn ich nicht.«
»Dann gib’s her.«
»Erst, wenn ich einen Kuß bekomme.«
»Rory!« Sie schnappte danach, aber er zog es ihr unter der Nase weg.
»Kein Kuß, kein Brief.«
»Erpresser.«
Rory schloß erwartungsvoll die Augen, als sie sich näherte, aber sie wich im letzten Augenblick aus, schnappte sich kichernd das Papier und rannte damit in die Küche. Rory lief ihr nach und jagte sie durchs halbe Haus, bis sie schließlich ineinander verknäult aufs Sofa fielen und Gemma sich dagegen zu wehren versuchte, daß er sie durch ihren Pullover kitzelte.
»Geh weg, Rory, geh weg! Ich will das lesen … Oh, schau mal, das ist von Ruth.«
»Dann hör auf, dich hin und her zu winden; das ist ja, als wollte man auf einer Hüpfburg lesen.« Er hielt ihre Hand fest und las laut. »Gern, Hochzeitskleid-Anprobe 13 Uhr Samstag, Spiel verlegt auf 14.30 Uhr. Komm bitte unbedingt! Bring Deine Schuhe mit, Du gehörst zum Team. Ruth. PS: Ich dreh noch durch, bring bitte Schokolade mit. – Ja, das klingt ganz nach Ruth.«
»Arme Ruth.« Gemma wälzte sich vom Sofa herunter. »Ich ruf sie besser gleich mal an.«
Als Gemma die Nummer wählte, empfand sie echtes Mitleid für Ruth. Aber gleichzeitig fühlte sie sich insgeheim ein kleines bißchen überlegen – weil ihre eigene Hochzeit auch nicht annähernd so ablaufen würde wie die von Ruth und Ally. Ihre Hochzeit sollte genau wie Gemma selbst sein: Klein, aber fein.
»Ruth! Ruth, ist alles in Ordnung da drin?« Ruths Mutter rief nervös durch die Tür, die im hinteren Teil des Ladens für Hochzeitsbekleidung zur Toilette führte. Die Verkäuferin beobachtete die Szene mit einem Ausdruck unterdrückten Entsetzens und hielt das sechshundert Pfund teure Kleid umklammert, als könne Ruths bloße Gegenwart es beschmutzen.
»Diese verdammten Knoblauchgarnelen«, stöhnte Ruths dünne Stimme aus der Kloschüssel. Dann erbrach sie sich ein weiteres Mal mit einem wehklagenden Geräusch, das an den Brunftschrei eines einsamen Wals erinnerte.
»Ich hab dir doch gleich gesagt, daß die komisch aussehen«, kommentierte Tammy, während sie ohne großen Erfolg versuchte, Flecken von rosafarbenem Erbrochenem von ihrem weißen T-Shirt zu wischen. »Du hättest doch besser die Lasagne nehmen sollen!«
»Aber das war vor einer Woche!« protestierte Ruth, als sie reichlich zerzaust und mit hochrotem Kopf aus der Toilette kam. »Die verfluchten Garnelen müßten doch längst wieder draußen sein. Hast du mal was zum Gesichtabwischen, Gem?«
Gemma machte ein paar Papierhandtücher naß und gab sie Ruth. »Meinst du nicht, du solltest mal zum Arzt gehen, wenn das nicht aufhört?«
Ruth warf ihr einen vernichtenden Blick zu. »Kann ich mir ja wohl kaum leisten. Der schreibt mich nur krank, und ich brauch die Überstunden, verdammt noch mal.«
»Du sollst doch nicht fluchen, meine liebe Ruth«, versuchte ihre Mutter sie in einem Flüsterton zu beschwichtigen, den man drei Meilen weit hätte hören können. »Das ist einfach nicht schön. Sie ist sonst nicht so«, fügte sie an die Adresse der Verkäuferin hinzu. »Das muß der Streß sein.« Aber der Gesichtsausdruck der Verkäuferin blieb versteinert.
»Wenn es der jungen Dame nicht gut geht, sollte die junge Dame vielleicht besser ein andermal zur Anprobe wiederkommen.«
»Nein«, sagte Ruth und wischte sich eine Strähne feuchten Haars aus dem Gesicht. »Die junge Dame möchte lieber diese ganze grauenhafte Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich bringen.« Sie warf einen abschätzigen Blick auf das Kleid, das die Verkäuferin vor ihr hochhielt, und schnitt eine Grimasse. »Kommt nicht in Frage.«
»Aber Ruth«, flehte ihre Mutter, »es ist doch wunderbar.«
»Es ist furchtbar!«
Gemma wußte, was Ruth meinte. Es sah aus wie ein aufgeblasenes Elfenkostüm.
»Probier’s doch wenigstens mal an …«
»Nein, Mum.« Ruth bedachte ihre Mutter mit einer halbherzigen Umarmung. »Ich habe gesagt, keine Rüschen, stimmt’s.«
»Gern?« Gemma hätte sehr viel lieber aus der Diskussion herausgehalten.
»Gemma«, sagte Ruths Mutter. »Sie sind doch ein vernünftiges Mädchen. Sagen Sie ihr, daß sie es wenigstens anprobieren soll.«
»Ich … äh … sie sind alle wunderschön«, sagte Gemma, und kreuzte dabei hinter dem Rücken die Finger. »Ich vermute, Ruth kann sich bei der großen Auswahl einfach nicht entscheiden.«
Kaum hatte ihre Mutter sich umgedreht, zischte Ruth Gemma an: »Danke für die Unterstützung!« Gemma zuckte hilflos mit den Achseln. Sie war eigentlich nur hergekommen, um für ihr Brautjungfernkleid Maß nehmen zu lassen, und jetzt sollte sie auf einmal zwischen Ruth und ihrer Mutter vermitteln. Das reichte, um jeden vom Heiraten abzubringen. Beinahe jedenfalls. Sie verspürte ein gewisses Gefühl der Überlegenheit, während sie zusah, wie sich die Situation verschärfte. Zumindest ihre Hochzeit würde ohne diesen ganzen hysterischen Schwachsinn ablaufen.
»Wie wäre es mit einem netten Jasper?« schlug die Verkäuferin vor und zog ein Kleid von Jasper Conran von der Stange. »Elfenbeinfarbener Duchesse-Satin, perlenbesetzte Taille, Tüll-Unterrock …«