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Familienchaos, Liebeskummer und jede Menge Trubel: Die schwungvolle Komödie »Die Braut, die sich was traut« von Zoë Barnes als eBook bei dotbooks. Es ist wunderbar, eine Schwester zu haben – es sei denn, sie steht unerwartet vor der Tür … Die Bewohner der gemütlichen Kleinstadt Cheltenham sind sicher, dass Belle das große Los gezogen hat: Die Tochter des sympathischen Pfarrers Gerry wird schließlich bald Kieran heiraten, den sie über alles liebt. Doch dann taucht plötzlich das australische Model Mona im Pfarrhaus auf – und entpuppt sich als Gerrys uneheliche Tochter! Die sonst so durchorganisierte Belle fällt aus allen Wolken … zumal Kieran hellauf begeistert zu sein scheint von ihrer stets gutgelaunten Halbschwester. Während Belle vor lauter Hochzeitsvorbereitungen und dem hämischen Getuschel der Nachbarn schwindelig wird, muss sie sich plötzlich die Frage stellen, ob Kieran wirklich der Mann ist, für den sie ihn immer gehalten hat. Und will sie vielleicht doch noch mehr vom Leben, als seine Frau zu werden? Schnell, amüsant und herrlich bissig: »Ein wunderbarer Roman, um alles um sich herum zu vergessen!« Daily Express Jetzt als eBook kaufen und genießen: die romantische Komödie »Die Braut, die sich was traut« von Zoë Barnes. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 719
Über dieses Buch:
Es ist wunderbar, eine Schwester zu haben – es sei denn, sie steht unerwartet vor der Tür … Die Bewohner der gemütlichen Kleinstadt Cheltenham sind sicher, dass Belle das große Los gezogen hat: Die Tochter des sympathischen Pfarrers Gerry wird schließlich bald Kieran heiraten, den sie über alles liebt. Doch dann taucht plötzlich das australische Model Mona im Pfarrhaus auf – und entpuppt sich als Gerrys uneheliche Tochter! Die sonst so durchorganisierte Belle fällt aus allen Wolken … zumal Kieran hellauf begeistert zu sein scheint von ihrer stets gutgelaunten Halbschwester. Während Belle vor lauter Hochzeitsvorbereitungen und dem hämischen Getuschel der Nachbarn schwindelig wird, muss sie sich plötzlich die Frage stellen, ob Kieran wirklich der Mann ist, für den sie ihn immer gehalten hat. Und will sie vielleicht doch noch mehr vom Leben, als seine Frau zu werden?
Schnell, amüsant und herrlich bissig: »Ein wunderbarer Roman, um alles um sich herum zu vergessen!« Daily Express
Über die Autorin:
Zoë Barnes ist ein Pseudonym der britischen Bestsellerautorin Susan Morgan (1957–2009). Sie wuchs in der Nähe von Liverpool auf und lebte danach lange in der Grafschaft Gloucestershire – genauer gesagt im beschaulichen Cheltenham, wo auch viele ihrer romantischen Komödien spielen. Lange vor Helen Fielding und deren »Bridget Jones« war Susan Morgan eine Wegbereiterin der herrlich britischen, humorvollen Unterhaltungsromane. Sie war außerdem als Übersetzerin erfolgreich und stand in ihrer Freizeit als Mezzosopranistin auf der Bühne.
Bei dotbooks erschienen die folgenden Romane von Zoë Barnes: »Auf der Spur der Liebe«, »Du sagst Chaos, ich hör‘ Hochzeit«,
»Wer in den Seilen hängt, kann endlich richtig schaukeln«, »Das Glück spielt die erste Geige, aber ich bin die Dirigentin«, »Lieber voll verliebt als wunschlos glücklich«, »Alte Liebe rostet nicht, aber neue Liebe glänzt« und »Die Insel des geheimen Glücks«.
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eBook-Neuausgabe Januar 2021
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2006 unter dem Originaltitel »Wedding Belles« bei Piatkus, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Unter Pfarrerstöchtern« bei Marion von Schröder und später unter dem Titel »Die Braut, die sich was traut« im Ullstein Taschenbuch.
Copyright © der englischen Originalausgabe 2006 by Zoë Barnes
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2008 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin/Marion von Schröder Verlag
Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Alexandra Dohse, www.grafikkiosk.de, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von Adobe Stock/Afanasia
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)
ISBN 978-3-96655-435-0
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Zoë Barnes
Die Braut, die sich was traut
Roman
Aus dem Englischen von Sybille Klose
dotbooks.
Für Dawn Clark, die allerbeste Freundin, die man sich nur wünschen kann.Und mit besonderem Dank an The Falcon’s Nest in Port Erin auf der Isle of Man – meinen Lieblingsort auf der ganzen weiten Welt.
Cheltenham, wenige Tage vor Weihnachten
Annabelle Craine blieb im Türrahmen zum Arbeitszimmer ihres Vaters stehen und beobachtete das Treiben ihrer Mutter mit wachsender Verwunderung.
»Mum – was machst du da eigentlich?«
Brenda Craine – ihres Zeichens Pastorengattin, Organisationsgenie und sicherster Stützpfeiler der Kirchengemeinde St. Jude in Cheltenham – hatte bereits seit den frühen Morgenstunden das Bürotelefon ihres Ehemannes mit Beschlag belegt. Als sie die Stimme ihrer Tochter hörte, blickte sie sich kurz um, lächelte flüchtig, bedeutete ihr mit einem »Pst!«, leise zu sein, und fuhr fort, auf ihren Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung einzureden. »Ja, genau so habe ich es mir vorgestellt! In einem hübschen kleinen Kästchen mit einer dieser reizenden Bordüren darum herum, und bitte denken Sie daran, den Namen ›Craine‹ korrekt zu schreiben, ja? Soll ich es buchstabieren? C, R, A … ja, ist recht. Ein alter Name. Manx, wissen Sie? Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Hilfe. Ja. Auf Wiederhören!«
Belle konnte ihre Neugier nicht länger zügeln. Behutsam stellte sie die Pappschachtel mit Christbaumschmuck, die sie in den Händen hielt, auf einem schwankenden Stapel alter Bücher direkt neben der Tür ab. »Mum …«
Brenda, die es sich auf dem Lieblingsplatz ihres Mannes, einem an der Decke befestigten Bootsmannsstuhl, bequem gemacht hatte, wandte sich abermals um. Ihre blauen Augen blitzten, und mitten auf ihren Wangen glühten vor Eifer und Erregung zwei rosige Flecken, was ihrem von blonden Haaren umrahmten Gesicht mehr denn je das Aussehen einer alten Porzellanpuppe verlieh. Verglich man ihre zarte Erscheinung mit der von Belle – schwarze Haare und eine ziemlich kurvenreiche Figur –, so wäre man gewiss niemals auf den Gedanken gekommen, dass es sich bei den beiden Frauen um Mutter und Tochter handelte.
»Ich habe die Zeitungen angerufen, Liebes«, sagte Brenda leichthin, ganz so, als täte sie derlei Dinge jeden Tag.
»Aber wieso denn? Steht irgendetwas an?« Vermutlich eine Wohltätigkeitsveranstaltung zum neuen Jahr, dachte Belle. Aber ist es nicht ein wenig übertrieben, für einen Gemeindebasar sämtliche Zeitungen im Umkreis in Alarmbereitschaft zu versetzen?
Brenda ließ ein glockenhelles Lachen hören. »Ob etwas ansteht? Also, wirklich, Annabelle! Du heiratest bald – schon vergessen?«
»Aber die Hochzeit findet doch erst nächsten Sommer statt«, versetzte Belle. »Es ist gerade mal eine Woche her, dass Kieran mir den Antrag gemacht hat!«
Der Blick ihrer Mutter verschleierte sich, und ein träumerischer Ausdruck trat in ihr Gesicht. »Ich wünschte, dein Vater hätte während einer Schlittenfahrt durch das verschneite Prag um meine Hand angehalten«, seufzte sie wehmütig. »Stattdessen hat er sich das Jugendzeltlager in Wales ausgesucht. Ich war gerade dabei, die Würstchen für das Frühstück zu braten.«
»Es war wirklich eine zauberhafte Überraschung und sehr romantisch«, sagte Belle und dachte an den Schauer der Erregung zurück, der sie durchrieselt hatte, als ihr Freund Kieran, mit dem sie seit nunmehr drei Jahren zusammen war, ihr den wunderschönen Diamantring an den Finger gesteckt hatte. »Aber was hat unsere Hochzeit mit den Zeitungen zu tun?«
Brenda schüttelte den Kopf, dass ihre Locken wippten – auch im Alter von fünfundvierzig Jahren waren ihre Haare noch naturblond –, und ließ ein ungehaltenes Schnauben hören. »Schätzchen, eine Hochzeit zu planen dauert Monate! Du wirst dich wundern, wie schnell die Zeit dahinfliegt. Bevor du weißt, wie dir geschieht, ist das Aufgebot bestellt, und schwupps! – stehst du auch schon vor dem Altar. Dein Vater und ich möchten, dass alle Welt weiß, wie stolz wir sind, dass ihr beide euch endlich verlobt habt. Schließlich haben wir lange genug drauf warten müssen«, fügte sie mit einem leichten Vorwurf in der Stimme hinzu. »Drei Jahre sind eine schrecklich lange Zeit für die Brautwerbung, findest du nicht?«
Brautwerbung! Normalerweise hätte Belles Antwort nicht lange auf sich warten lassen: Nicht jedermann wolle heutzutage im Alter von fünfundzwanzig verliebt, verlobt, verheiratet und wieder geschieden sein! In diesem Fall allerdings wurde jeder Gedanke an eine schlagfertige Erwiderung durch das Unbehagen verdrängt, das das Vorhaben ihrer Mutter in ihr ausgelöst hatte. Nichts hasste sie mehr, als im Rampenlicht zu stehen.
»Damit ich es richtig verstehe«, sagte sie gedehnt, »du willst unsere Verlobungsanzeige in den Cheltenham Courant setzen?«
»Aber Kind, nicht nur in den Courant, vor allem in die überregionalen Zeitungen! Nun ja, zumindest in die wichtigsten. Die Klatschblätter habe ich selbstverständlich außen vor gelassen.«
»Aber das ist doch albern. Und vollkommen unnötig.« Belle wand sich. »Warum sollte es irgendjemanden außerhalb von Cheltenham – oder auch nur außerhalb unserer Familie – interessieren, dass Kieran und ich uns verlobt haben? Ich bin nicht Paris Hilton. Ich bin Verkäuferin in einem Seifenladen!«
Ihre Mutter jedoch schüttelte milde lächelnd den Kopf. Sie machte ein Gesicht wie jemand, der von sich glaubt, genug Lebenserfahrung gesammelt zu haben, um in derlei Angelegenheiten bestens Bescheid zu wissen. »Stell dein Licht nicht unter den Scheffel, Annabelle. Du bist die Assistentin des Verkaufsleiters. Und bestimmt möchtest du auch, dass alles seine Ordnung hat.« Ohne Belle die Gelegenheit zu geben, ein »Nein, das möchte ich durchaus nicht!« dazwischenzuschieben, fuhr Brenda fort: »Denk nur daran, wie aufregend es sein wird, deinen Namen in der Times zu lesen!« Den entsetzten Gesichtsausdruck ihrer Tochter ignorierte sie geflissentlich und fügte hinzu: »Ich bin mir sicher, dass sich sehr viele Leute dafür interessieren werden, wenn sie erst einmal die Anzeige gelesen haben. Warte es nur ab.«
***
Weit weg, auf der anderen Seite der Erdkugel, hackten Finger mit scharlachrot lackierten Nägeln emsig auf eine Computertastatur ein und bildeten mit ihrem klappernden Staccato die rhythmische Begleitung zu dem Liedchen, das die Besitzerin der Finger vor sich hin summte. Es war keine besonders wohlklingende Melodie, aber den einzigen Zuhörer der musikalischen Darbietung – einen leuchtend bunten Sittich, der sich mit aufgeplustertem Gefieder in seinem Käfig sonnte – schienen die gelegentlichen Misstöne nicht im Mindesten zu stören.
Die rechte Hand der Frau schloss sich um eine optische Maus, bewegte sie hierhin und dorthin und klickte eifrig. Auf dem Bildschirm erschien die Online-Ausgabe einer Tageszeitung.
»Nichts ist los in der Welt, Rita, rein gar nichts. Derselbe langweilige Kram wie immer.« Der Sittich legte den Kopf schief. »Zeit für die Mittagspause, was meinst du?«
Dennoch konnte sie sich nicht vom Bildschirm losreißen. »Hm … Vielleicht schaue ich noch rasch in der alten Heimat vorbei? Mal sehen, wie es der Sippe geht? Das heitert mich ja meistens auf.«
Wenige Klicks später war sie auf der Website des Cheltenham Courant gelandet. Sofort fiel ihr der Aufmacher auf dem Titel ins Auge: DIESER LUMP FRASS MEINEN GOLDFISCH!
»Was für ein Land, Rita. Und uns halten sie für unzivilisiert! Hör dir diesen Unsinn an: Ein Wettbewerb im Käserollen! Eine Schönheitskonkurrenz für Nacktschnecken! Eine …« Urplötzlich sog sie scharf den Atem ein. »Himmel! Das ist ja … er!«
Sie hatte die Seite mit den Geburts-, Todes- und Heiratsanzeigen aufgerufen. Ganz oben prangte, umrahmt von einem Fries aus Blumen, ein großes Foto. Darauf war ein Mann mittleren Alters zu sehen – der Kleidung nach zu urteilen ein Priester –, der einen Arm um eine junge Frau und den anderen um einen ausgesprochen gut gebauten, sportlich wirkenden jungen Mann gelegt hatte. Das Mädchen strahlte wie ein Honigkuchenpferd und reckte stolz die linke Hand in die Höhe, an der ein Verlobungsring steckte. Der Text unter dem Foto lautete: »Hochzeit im Pfarrhaus: Annabelle Craine, Tochter von Brenda Craine und Hochwürden Gerry Craine, dem Gemeindevorstand von St. Jude in Cheltenham, gibt ihre Verlobung mit dem Journalisten Kieran Sawyer bekannt …«
Ach.
Rita, der Sittich, brach das angespannte Schweigen mit einem fragenden »Kräh?«, erhielt aber keine Antwort.
»Gerry, Gerry, Gerry.« Eine rote Kralle tippte wiederholt auf das Glas des Bildschirms, genau an der Stelle, wo das strahlende Gesicht des Brautvaters zu sehen war. »Ein großes Familienfest. Ich hoffe doch sehr, dass du nicht vergisst, mir eine Einladung zu schicken. Andernfalls sehe ich mich gezwungen, dir einen Besuch abzustatten und dich persönlich daran zu erinnern!«
Pfarrhaus von St. Jude, an einem bitterkalten Januarabend
»Wahrscheinlich haltet ihr mich für eine Nervensäge«, sagte Gerry Craine, »weil ich euch schon tausendmal gefragt habe, aber … seid ihr zwei euch eurer Sache auch ganz sicher?«
Belle Craine blickte in die Augen ihres Vaters und sah darin überbordende Liebe und eine Spur Besorgnis. »Eine Nervensäge? Dad, wie kommst du denn darauf?«, entgegnete sie ehrlich überrascht. »Aber langsam müsstest du wissen, dass wir es wirklich wollen.«
Sie und Kieran tauschten einen verliebten Blick.
»Wir sind füreinander bestimmt, Gerry«, erklärte Kieran fest. »Daran wird sich nie etwas ändern.«
Belle und Kieran saßen auf weichen Kissen im Wohnzimmer des Pfarrhauses auf dem Boden, tranken heiße Schokolade und taten so, als würden sie Brenda helfen, die Gästeliste für die bevorstehende Hochzeit zusammenzustellen. Draußen vor dem Fenster schwebten träge einige dicke Schneeflocken zur Erde.
»Gerry, Liebling! Hör auf, dir Sorgen zu machen«, meldete sich Brenda zu Wort, die eifrig in verschiedenen Adressbüchlein blätterte und die Einträge miteinander verglich. Schließlich galt es sicherzustellen, dass kein noch so entfernter Verwandter oder Freund durch die Maschen schlüpfte. »Du machst unser armes Mädchen nur nervös. Und dir selbst bescherst du ein Magengeschwür.«
Mit Ende vierzig war Gerry Craine noch immer der bestaussehende Pfarrer in ganz Cheltenham: groß und breitschultrig, mit warmherzigen dunklen Augen und dichtem schwarzen Haar, in das sich vor Kurzem die ersten grauen Strähnchen geschlichen hatten. Darüber hinaus war er ein Mann, in dessen Natur es lag, sich über alles Sorgen zu machen.
»Ich möchte nur die Gewissheit haben, dass ihre Entscheidung von Herzen kommt«, verteidigte er sich. »Sie sind noch sehr jung.
Die Ehe ist eine lebenslange Verpflichtung. Man darf sie nicht auf die leichte Schulter nehmen.«
»Hör auf zu predigen, Schatz, wir sind hier nicht in einem deiner Vorbereitungskurse für Brautleute. Du redest mit Annabelle und Kieran, nicht mit irgendwelchen dummen Teenagern!« Stirnrunzelnd fügte Brenda die Namen zweier entfernter Cousins aus Perth zu ihrer Liste hinzu. Dann sah sie auf. »Uns hat es auch nicht geschadet, dass wir jung geheiratet haben«, sagte sie. »Oder bereust du es inzwischen etwa?«
»Nein, nein, natürlich nicht. Es ist …« Gerry machte eine hilflose Handbewegung. »Ach, ich tue einfach nur meine Arbeit«, sagte er mit einem entschuldigenden Lächeln.
»Wir haben lange und gründlich darüber nachgedacht«, bemerkte Kieran mit ernster Stimme. »Obwohl wir eigentlich vom ersten Tag an wussten, dass unsere Beziehung für immer sein würde. Nicht wahr, Belle?«
Belles Antwort auf dieses ungewöhnlich leidenschaftliche Geständnis ihres Zukünftigen war ein spitzbübisches Lächeln. »Nun ja, vielleicht vom zweiten Tag an. Am ersten Tag habe ich nur gedacht: So ein Trottel! Er muss der miserabelste Zeitungsreporter der ganzen Welt sein. Alle halbe Stunde kommt er zurück in den Laden, weil er eine weitere unsinnige Frage zu stellen vergessen hat!« Alle lachten. Selbst Kieran musste schmunzeln. Als er damals vom Ressortleiter den Auftrag erhalten hatte, in dem Geschäft, in dem Belle arbeitete, für einen Artikel über Herrenkosmetika zu recherchieren, hatte er nur einen einzigen Blick auf die hübsche junge Verkäuferin geworfen, und es war sofort um ihn geschehen gewesen. Den ganzen restlichen Tag hatte er damit zugebracht, sich Vorwände auszudenken, die es ihm erlaubten, immer wieder in den Laden zurückzukehren, um mit ihr reden zu können. Vier verschiedene Arten Feuchtigkeitscreme waren über den Tresen gewandert, bevor er sich endlich ein Herz gefasst und sie zum Essen eingeladen hatte.
»Ein Mann hat es nicht leicht«, protestierte er gutmütig. »Sobald er seine Traumfrau trifft, bringt er kein vernünftiges Wort mehr über die Lippen, denn alles, was er eigentlich sagen will, ist: ›Heirate mich‹!« Liebevoll blickte er seine Verlobte an. »Jetzt habe ich mich endlich getraut. Und zu meinem großen Glück hat sie ja gesagt!« Dann wandte er sich wieder an Gerry. »Ich verspreche, dass ich mein Leben lang gut auf sie achtgeben werde.«
»Das weiß Dad doch. Nicht wahr, Dad?« Belle, die zu Füßen ihres Vaters saß, tastete nach seiner Hand. Sein Griff war warm und kräftig, ein Zeichen für das feste Band zwischen ihnen. »Er will mich nur beschützen. Manchmal vergisst er darüber, dass wir keine Kinder mehr sind.« Schmunzelnd blickte sie zu Gerry auf. »Kieran und ich kennen uns seit fast drei Jahren. Außerdem ist Kieran nicht mein erster Freund. Und vergiss nicht, dass er ein paar Jahre älter ist als ich.«
»Wozu soll man warten, wenn man weiß, dass man den Menschen gefunden hat, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen möchte?«, fügte Kieran hinzu.
Gerry ließ seinen Blick über die glücklichen Gesichter der anderen schweifen und zögerte noch für einen Moment. Dann erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. »Ich weiß, ich weiß. Ich bin ein typischer überbesorgter Vater. Aber wen wundert es? In meinem Beruf sehe ich viel zu viele Ehen, die scheitern.«
Belles Versprechen kam fest und ohne Zögern. »Unsere Ehe wird nicht scheitern. Das werden wir nicht zulassen.«
Erneut schenkte Gerry dem jungen Paar ein Lächeln. »Ich wünsche dir nur das Beste. Euch beiden.«
»Das wissen wir.« Wieder drückte Belle die Hand ihres Vaters. Wie ähnlich wir uns sind!, dachte sie. Dasselbe Haar, dieselben Züge, derselbe Charakter. Es war kein Wunder, dass sie sich so gut verstanden – und immer schon verstanden hatten. »Aber Kieran ist der beste Mann auf der ganzen Welt, also ist es völlig überflüssig, dass du dir weiterhin den Kopf darüber zerbrichst. Stimmt’s?«
»Genau«, bekräftigte Brenda amüsiert.
Gerry lachte leise. »Nun ja, wenn die Dinge sich so verhalten …«
Ruhe kehrte ein, und Brenda wandte sich nun endgültig ihrer Arbeit zu. Aufgeregt murmelte sie vor sich hin, während sie die Bücher und Papiere, die sie vor sich auf dem Beistelltisch ausgebreitet hatte, eifrig hin- und herschob. »Großtante Margot, Cyril … o nein, nicht Cyril! Hm, nicht einladen können wir ihn auch nicht, er ist immerhin ein Cousin. Emma und John … einen Moment, ist John nicht mit dem Au-pair-Mädchen durchgebrannt, oder war das Andy von Andy und Jane?«
Belle erhob sich von ihrem Platz am Boden und trat zu ihrer Mutter. »Brauchst du Hilfe?«
»Und ob!« Brenda fuhr sich verzweifelt mit den Fingern durch die Haare, sodass ihre Ponyfransen in alle Richtungen abstanden. »Irgendjemand muss Ordnung in dieses Chaos bringen! Bestimmt habe ich einige Verwandte zweimal aufgeschrieben. Und woher weiß ich, dass überhaupt noch alle am Leben sind?«
Brenda schwenkte die mehrere Seiten lange handgeschriebene Liste in der Luft, und Kieran riss vor Erstaunen die Augen auf. »Du grüne Neune – so viele Gäste? Ich weiß ja, dass meine Familie nicht als Maßstab gelten kann, aber die Craines haben sich wirklich ins Zeug gelegt. Mein lieber Schwan.«
Belles Herz krampfte sich zusammen. Sie wusste, dass Kierans flapsige Bemerkung eine tiefe Wunde verbergen sollte. Kieran hatte im Laufe seines Lebens zahlreiche gute Freunde gefunden, aber eine Familie hatte er nicht. Sein Vater war verschwunden, noch bevor Kieran geboren wurde, und seine Mutter – unfähig, sich allein um die Kinder zu kümmern – hatte ihn und seine Schwester in Pflege gegeben. Ihre Kindheit und Jugend hatten sie, manchmal zusammen, aber öfter getrennt voneinander in wechselnden Pflegefamilien verbracht. Inzwischen lebte seine Schwester am anderen Ende des Landes, und die Geschwister sahen sich nur selten. Belle war stolz auf Kieran, weil er allen Widrigkeiten getrotzt und ganz allein, ohne die Liebe und Unterstützung einer Familie im Rücken, so viel erreicht hatte. Dennoch wusste sie, dass er sich manchmal einsam fühlte. Zu Beginn ihrer Beziehung hatte er ihr anvertraut, dass er stets das Gefühl gehabt habe, etwas Wichtiges würde in seinem Leben fehlen – bis er sie kennengelernt hatte. Belle hatte sein Leben endlich vollständig gemacht.
»Ich dachte, wir wären übereingekommen, uns auf Familie und enge Freunde zu beschränken«, bemerkte Gerry.
»Aber das hier sind doch Familie und enge Freunde! Und ein gutes Drittel steht noch gar nicht auf der Liste. Die Gäste, die nur zum Empfang am Abend kommen, habe ich weggelassen.«
Belle schluckte. »Mum …«
Aber Brenda ließ sich nicht beirren. »Man kann schlecht jemanden einladen und sagen: ›Aber sei so gut und lass Frau und Kinder zu Hause!‹ Was macht das für einen Eindruck? Belle hat überall Verwandte, nicht wahr, Schatz? Und Kieran, deine vielen Freunde …«
In Belles Kopf begann sich alles zu drehen. So viele Gäste! Hunderte von Leuten werden kommen, um mich und Kieran in der Kirche anzugaffen! Bei der Vorstellung wurde ihr ganz mulmig zumute. Als Brenda kurz innehielt, um nach Luft zu schnappen, hakte Belle daher beherzt ein: »Mum, müssen wir wirklich die ganze Verwandtschaft einladen?«
»Aber natürlich, wo denkst du hin?« Brenda lachte, als sei das, was ihre Tochter soeben von sich gegeben hatte, das Ulkigste, was sie je gehört hatte.
»Aber warum denn?«
»Na, eben deswegen, Schatz: weil sie unsere Verwandten sind. Sie gehören zur Familie!« Brenda schlug einen Tonfall an, als spräche sie zu einer Vorschulklasse. »Und wir möchten doch nicht, dass sich jemand ausgeschlossen fühlt.«
»Wenn du meinst.« Belle überflog die Liste. »Aber einige dieser Namen sagen mir gar nichts! Wer um alles in der Welt ist Gregory Ansell-Smith? Und wehe, du lädst Marion ein, die dumme Kuh! Hat sie Jax nicht bei ihrer Taufe ins Taufbecken fallen lassen? Die Arme hätte sich beinahe den Schädel gebrochen!«
Brenda seufzte. »Wenn du älter bist, wirst du es verstehen. Man muss diplomatisch sein und darf niemanden vor den Kopf stoßen. Dein Vetter Les zum Beispiel – niemand kann ihn ausstehen, aber wir haben keine Wahl. Er ist ein Vetter ersten Grades, wir müssen ihn einladen. Und wenn er kommt, wird wohl auch die ganze restliche Bagage aus Liverpool anrücken.«
»Doch nicht dieser widerliche Schleimer Sebastian?« Belle schüttelte sich.
Brenda lachte hölzern auf. »Keine Sorge, Liebes, ich werde ihn von den Brautjungfern fernhalten. Und von den … Pagen. Hm. Dann sind da noch die Kollegen deines Vaters. Den Bischof dürfen wir auf keinen Fall unberücksichtigt l…«
»Aber können wir nicht einfach …« Belle stockte, und Kieran sah sie ermunternd an. Auch er schien von Brendas ehrgeizigen Plänen ein wenig überfordert.
Sie holte tief Luft. »Ich würde viel lieber im kleinen Kreis feiern, so wie ursprünglich geplant«, stieß sie hervor und kam sich fast ein wenig schäbig dabei vor.
Moment mal! Wieso eigentlich? Schließlich war es ihre eigene Hochzeit, nicht die ihrer Mutter.
»Dies hier ist …«
»Nein, Mum, ich meine wirklich klein. Und … bezahlbar. Ihr beide seid keine Millionäre, und Kieran und ich schon gar nicht. Warum laden wir nicht einfach nur einige wenige ausgewählte Freunde ein – Menschen, die uns wirklich etwas bedeuten?«
»Das wäre schön«, sinnierte Gerry. »Eine bescheidene und persönliche Feier.«
»Nein, das wäre nicht schön!«, gab Brenda voller Empörung und mit scharfer Stimme zurück. »Wir reden hier von deiner Hochzeit, Belle, von einem einmaligen Ereignis, an das du dich dein ganzes Leben lang erinnern wirst. Wir werden keine halben Sachen machen!«
»Oje.« Belle seufzte schicksalsergeben. »Das hatte ich fast befürchtet.«
***
Es war bereits spät am Abend, als Belles Schwester Jax zur Haustür hereingepoltert kam. Ihre schwarzen Stiefel hatten Sohlen so dick wie Autoreifen, und dazu trug sie ihr Lieblingskleidungsstück, eine kunstvoll zerfetzte Armeehose – ebenfalls schwarz –, die sie sich tief über die Hüften gezerrt hatte, damit alle Welt den silbernen Totenschädel bewundern konnte, der ihr am Bauchnabel baumelte.
In ihrem Kielwasser folgte ein hünenhafter junger Mann, der so viele Piercings im Gesicht trug, dass sie bei jeder seiner Bewegungen wie ein bizarres Glockenspiel anschlugen.
»Sieh mal.« Kieran knuffte Belle in die Seite. »Doktoressa Frankenstein und ihr Monster.«
»Sei nicht so gemein!« Belle versuchte, ein Kichern zu unterdrücken, erreichte aber nichts weiter, als dass ihr der Glühwein, an dem sie gerade nippte, beißend in die Nase schoss. »Au! Jetzt sieh nur, was du angerichtet hast«, nuschelte sie und hustete laut.
Jax bedachte ihre ältere Schwester mit einem Blick voller Argwohn. »Wenn ihr mich schon wieder verarscht, seid ihr dran, ihr Pissnelken«, verkündete sie sachlich.
»Solche Wörter möchte ich in diesem Haus nicht hören, Schatz!«, rief Brenda aus dem Flur, wo sie gerade mit Razors knöchellangem ledernen Trenchcoat kämpfte, den sie auf einen Haken hängen wollte. Ihre Ermahnung war mehr Reflex als ein ernst gemeinter Versuch, auf das Verhalten ihrer Tochter einzuwirken. Selbst Brendas Optimismus kannte seine Grenzen.
»Wo ist Dad?«, fragte Jax in die Runde. Eigentlich war sie naturblond wie ihre Mutter, hatte ihre kurzgeschorenen Haare jedoch leuchtend blau gefärbt und zu einer Frisur zurechtgezupft, die in Form und Farbe unverkennbare Ähnlichkeit mit der Auslegware im Wartezimmer des Craine’schen Hausarztes hatte.
»Er macht Krankenbesuche«, gab Belle bereitwillig Auskunft. »Warum?«
Die Nachricht kam nicht gut an. »Was? Er ist unterwegs? Schon wieder? Aber er muss mich und Razor nach Circencester fahren!« Sie senkte ihre Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »In der alten Zehntscheune wird gefeiert. Mit Übernachtung. Wir müssen nur unsere Schlafsäcke mitbringen.«
Normalerweise hütete sich Belle, zu den Freizeitaktivitäten ihrer Schwester Stellung zu nehmen. Aber irgendwo war Schluss. »Wo hast du deinen Verstand gelassen?«, sagte sie. »Du weißt genau, dass Dad dir niemals erlauben würde, auf eine Scheunenparty zu gehen!«
Jax verschränkte die Arme vor der Brust und legte die Stirn in tiefe Falten. »Wenn er glaubt, dass wir die Nacht bei Razors Tante Jen verbringen, schon«, gab sie zurück.
»Du willst Dad eiskalt belügen?«
»Als hättest du das noch nie getan!«
»Habe ich auch nicht!«
»Pah. Heuchlerin!«
Die beiden Schwestern funkelten sich an. Schließlich war es Razor, Jax’ breitschultriger Freund, der das zornige Schweigen brach. Zu seinem furchteinflößenden Äußeren hätte das raue Organ eines Menschen gepasst, der Rollsplitt oder rostige Nägel zum Frühstück verspeiste. Tatsächlich aber war seine Stimme nicht nur ausnehmend sanft, sondern er sprach auch noch in einem vollendeten Privatschulakzent, den er seit Jahren vergeblich loszuwerden versuchte. Reiche Eltern und eine gute Kinderstube konnten einem wirklich das ganze Leben versauen.
»Hallo, Mrs Craine«, sagte er und räusperte sich, als Brenda – vom Kampf mit dem tonnenschweren Mantel noch leicht erhitzt – ins Wohnzimmer kam. »Gut sehen Sie heute wieder aus.«
»Danke, Marcus.« Brenda schenkte ihm ein freundliches Lächeln. Sie weigerte sich standhaft, ihn Razor zu nennen. Dann musterte sie ihn eingehender. »Ist mit deiner Augenbraue alles in Ordnung? Das sieht mir ganz nach einer Entzündung aus.«
Razor errötete und betastete die Stelle vorsichtig mit dem Finger. »Ja, ich glaube, die Stelle ist ein wenig vereitert«, räumte er verlegen ein. »Hm. Hätte die Nadel vorher wohl lieber sterilisieren sollen.«
»Ach, Marcus, du dummer Junge! Ich hoffe nur, du hast regelmäßig Tetanusspritzen bekommen. Komm her, ich kümmere mich darum.« Brenda legte den Stapel Adressbücher beiseite und zog Razor in Richtung Bad und Erste-Hilfe-Kasten davon.
Belle, Kieran und eine erboste Jax blieben zurück.
»Der arme Razor«, sagte Kieran schließlich, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte.
Jax verzog verächtlich das Gesicht. »Razor ist ein Milchbrötchen.«
»Du sprichst aber nicht besonders nett von deinem Freund«, stellte Belle fest.
»Halt’s Maul. Du bist auch ein Milchbrötchen. Ihr seid alle Milchbrötchen.«
»Keine Sorge, Jax, das wächst sich aus«, sagte Kieran mit einem schelmischen Grinsen. »Du wirst nicht dein Leben lang so unausstehlich bleiben. Das sind nur die Hormone.«
Erstaunlicherweise wurde Jax puterrot und wusste nichts zu erwidern. Wann immer Kieran das Wort an sie richtete, wurde ihr ganz heiß und kalt, und ihr sonst so tatkräftiges Gehirn schien sich in Pudding aufzulösen. Natürlich wäre sie lieber tausend grausame Tode gestorben, als es irgendjemandem gegenüber zuzugeben – am allerwenigsten gegenüber Kieran selbst.
Belle rammte ihrem Verlobten den Ellbogen in die Rippen. Sie hatte sich – und ihrer Mutter – geschworen, sich die nächsten sechs Monate mit ihrer Schwester zu vertragen. Bis zur Hochzeit sollte Frieden herrschen, und wenn es sie umbrächte.
O ja, dachte sie. Wenn es so weitergeht, wird bestimmt einer der Beteiligten sein Leben lassen müssen.
»Wir haben heute Abend Pläne für die Hochzeitsfeier geschmiedet«, begann sie, um einen versöhnlichen Tonfall bemüht.
Jax hatte sich mittlerweile in den Ohrensessel ihres Vaters gelümmelt. »Na und?«, sagte sie verächtlich. »Was habe ich damit zu tun?«
»Wir haben uns gefragt, ob du vielleicht auch jemanden einladen möchtest. Nicht wahr, Kieran?«
Wieder war ein Rippenstoß nötig, um Kieran die passende Antwort zu entlocken.
»Haben wir das? Ach so, ja, selbstverständlich. Bestimmt gibt es jemanden, den du gern dabeihättest. Razor vielleicht?«
»Nein. Sonst noch was?«
»Wir möchten, dass es auch für dich ein schöner Tag wird«, fuhr Belle todesmutig fort.
»Sicher. Ich werde mich glänzend mit euren strunzdummen Spackofreunden verstehen.«
»Und wir würden uns freuen, dich in die Feier einzubeziehen. Ehrlich gesagt hatte ich sogar gehofft …« Belle rief sich die entsprechenden Worte ihrer Mutter ins Gedächtnis – Es wäre so schön, Liebes! Es würde den Tag für mich perfekt machen! – und zwang sich dazu, aufrichtig und begeisternd zu klingen. »Kieran und ich haben gehofft, dich als unsere Brautjungfer gewinnen zu können.«
Einen Augenblick lang starrte Jax ihre Schwester mit offenem Mund an. Dann warf sie den Kopf zurück und brach in schallendes Gelächter aus. Sie brüllte und brüllte vor Lachen, bis ihr die sorgfältig in mehreren Schichten aufgetragene Mascara die Wangen hinabrann.
***
Anders als der sportbegeisterte Kieran hatte Belle körperlicher Ertüchtigung nie viel abgewinnen können. Ganz im Gegenteil: Sie hasste Sport. Freiwillig bei Wind und Wetter draußen herumzuhopsen oder sich zwecks Muskelaufbau in komplizierte Foltermaschinen einzuspannen, hatte sie stets als Gipfel der Sinnlosigkeit empfunden. Schon früh hatte sie gegen jede Form von Sport eine glühende Abneigung entwickelt. An ihrem letzten Schultag hatte sie ihr gesamtes Turnzeug noch auf dem Schulhof feierlich verbrannt und sich geschworen, nie wieder einen Fuß in eine Sporthalle zu setzen.
Trotz aller guten Vorsätze jedoch traf man Belle Craine zurzeit regelmäßig im Fitnessclub an, wo sie eine Stunde ihrer kostbaren Freizeit damit verbrachte, Gewichte zu stemmen und auf dem Laufband zu schwitzen. So auch heute. Schuld daran war der Spezialkurs »Braut in Bestform«, den das Fitnessstudio anbot. Der zweimonatige Kurs bestand aus einer Reihe einstündiger Trainingseinheiten, vollgepackt mit grausamsten Martern, über deren korrekte Ausführung ein strenger Trainer mit Argusaugen wachte. Und damit nicht genug: Außer dem rigorosen Sportprogramm bekam man auch noch einen Diätplan aufgebrummt! Nicht, dass Belle sich daran gehalten hätte. Im Gegenteil: Sie scheute sich nicht, während einer kurzen Verschnaufpause verstohlen an einem Schokoriegel zu knabbern, den sie mit in den Fitnessraum geschmuggelt hatte.
Wie gut, dass sie ihre beste Freundin Ros bei sich hatte, die eine wahre Sportskanone war. Sie konnte ihr ein klein wenig moralische Unterstützung zuteilwerden lassen. Ohne Ros’ tatkräftige Ermunterung hätte sie es höchstwahrscheinlich nicht einmal über sich gebracht, die Schwelle des Studios zu überschreiten.
»Ich glaube, langsam beginnt es Wirkung zu zeigen«, sagte Ros fröhlich und strich sich ihr glänzendes braunes Haar aus dem Gesicht. »Deine Oberschenkelmuskeln sind bereits deutlich straffer geworden. Richtig schön definiert.«
Mit kritischem Blick musterte Belle die angesprochenen Körperteile, die nach einer zwanzigminütigen Höllenfahrt auf einem Spinningbike unkontrolliert bebten wie zwei Portionen Götterspeise. »Du musst mir nichts vormachen«, sagte sie tapfer. »Ich bin nun einmal ein Fettklops. Daran lässt sich nichts ändern.«
»Du bist nicht fett und ein Klops bist du schon gar nicht!«, widersprach Ros und lachte auf. »Du bist einfach nur … kurvig.«
»Das nennt man fett«, beharrte Belle.
»Wohlgeformt.«
»Ein Moppelchen.«
»Angenehm gerundet.«
»Seht alle her! Der erste lebende Marshmallow.«
»Red keinen Unsinn! Du hast wenigstens eine frauliche Figur.« Ros ließ die Karotte sinken, an der sie verhalten genagt hatte, und wackelte mit den Brüsten. Zumindest versuchte sie es. »Schau dir meinen Busen an. Das heißt – wenn du zufällig gerade ein Elektronenmikroskop zur Hand hast. Er sieht aus wie zwei Erbsen, die jemand versehentlich auf einem Bügelbrett hat liegen lassen!«
Sie kicherten, und Belle teilte den Rest der verbotenen Schokolade auf. »Also schön, ich habe verstanden: Niemand ist perfekt. Aber wenn ich so weitermache, schaffe ich es nicht einmal bis in die Mittelmäßigkeit. Und jetzt packst du auch noch deine Siebensachen und verschwindest einfach ans andere Ende der Welt. Wer oder was soll mich dann noch motivieren?«
»Du selbst natürlich! Denk einfach nur daran, was Kieran für Augen machen wird, wenn er dich am Tag eurer Hochzeit sieht. Wenn ich schon extra für dich zurückgeflogen komme, um deine Brautjungfer zu spielen, erwarte ich, dass du absolut umwerfend aussiehst!«
Belle zuckte mit den Schultern. »Im Hochzeitskleid sieht jede Frau gut aus.«
Ros zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Ohne auch?«
Ach, Ros, ich werde dich vermissen, dachte Belle wehmütig, während sie sich weiter unterhielten. Seit ihrem letzten Schuljahr waren sie eng befreundet, und beide hatten sie den Abschluss mit der gleichen brennenden Sehnsucht erwartet: Endlich raus aus der Schuluniform und rein ins wahre Leben! Bei Ros jedoch hatte sich schon bald die Ernüchterung eingestellt. Den Büroalltag empfand sie bereits nach kurzer Zeit als öde und stumpfsinnig, und als ihr das Schicksal ein Geschenk in Form einer kleinen Erbschaft machte, hatte sie die Gelegenheit beim Schopf gepackt und beschlossen, ein Jahr Urlaub zu nehmen, um die Welt zu bereisen.
Belle konnte sie gut verstehen. Aber warum musste Ros ausgerechnet jetzt fortgehen?
»Ich bin zu einem Entschluss gekommen«, eröffnete sie ihrer Freundin. »Du darfst nicht fliegen. Du musst die Reise abblasen und hierbleiben. Andernfalls werde ich niemals durchhalten. Ich werde alles hinschmeißen, mich tagein, tagaus mit Kuchen vollstopfen und am Tag der Trauung so fett sein, dass man mich zum Altar rollen muss.«
»Tut mir leid, die Tickets sind bereits gebucht.« Ros wurde nachdenklich, dann platzte sie heraus: »Warum kommst du nicht einfach mit?«
»Was? Ich?« Belle hustete, weil ihr eine Erdnuss in die Luftröhre geraten war.
Ros klopfte ihr auf den Rücken. »Wenn dir der ganze Trubel auf die Nerven geht, lass alles stehen und liegen, wirf ein paar Klamotten in deinen Rucksack und verschwinde. Es ist leichter, als du denkst. Dein Leben gehört dir, Belle. Nicht Kieran oder deiner Mutter. Dir ganz allein.«
Eine flüchtige Sekunde lang schien die Aussicht unsagbar verlockend. Kein Druck, keine Verwandtenschwemme, keine peinlichen Anzeigen in der Times. Stattdessen Abenteuer, fremde Länder, aufregende Begegnungen, neue Herausforderungen … Aber noch bevor diese Sekunde ganz verstrichen war, wusste Belle, dass die Vorstellung nichts war als ein albernes Hirngespinst. Sie als Weltreisende? Völlig undenkbar! Viel zu gefährlich und aufregend. »Das ist lieb gemeint, Ros, aber ich verzichte.«
»Du bist ein Feigling!«
»Das ist unfair. Darum geht es doch gar nicht«, widersprach Belle leicht verletzt. »Ich bin glücklich mit Kieran. In sechs Monaten werden wir heiraten und zusammen ein neues Leben anfangen. Das ist es, was ich will und was ich immer gewollt habe. Du solltest das am allerbesten wissen.« Halb forschend, halb verunsichert blickte sie Ros in die Augen. Ihre Freundin würde sie doch verstehen? »Ich bin keine Draufgängerin so wie du. Mir liegt nichts an Abenteuern. Ich bin einfach nur … ich weiß nicht … ein ganz stinknormales Mädchen.«
Ros schüttelte den Kopf und schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Stinknormal gibt es nicht.«
»Wenn du ich wärst, würdest du das nicht behaupten.«
»Also gut!« Ros hob in einer übertriebenen Geste der Verzweiflung die Hände gen Himmel. »Ich habe mein Bestes versucht. Du wolltest nicht hören. Aber eins sage ich dir: Nächste Woche um diese Zeit werde ich im Flugzeug sitzen, komme, was da wolle, und dir wird nichts anderes übrig bleiben, als ohne mich weiterzuschwitzen. Aber ich weiß genau, dass du es schaffen kannst!«
»Könntest du nicht wenigstens ein oder zwei Wochen länger bleiben? Ich brauche dringend jemanden, der mich daran hindert, dem Wahnsinn zu verfallen. Oder meine Schwester umzubringen«, fügte sie halblaut hinzu.
»Was hat Jax denn jetzt schon wieder angestellt?«
»Ich habe sie gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, meine Brautjungfer zu sein – Mum wollte es so. Ich habe sie wirklich ganz nett und höflich gefragt, ich schwöre es! Erst hat sie laut gelacht – ungefähr eine halbe Stunde lang. Und dann hat sie gesagt, sie würde sich lieber eine lebende Wespe in die Nase stecken.«
»Sie hat also keine Lust.« Ros zuckte mit den Schultern. »Na und? Das ist ihr Pech, nicht deins. Ich wette, du hast Tausende von Cousinen, die alles dafür geben würden, deine Brautjungfer zu sein. Und eins musst du zugeben: Die Rolle ist Jax nicht gerade … auf den Leib geschrieben.«
Belle seufzte. »Ich habe aber nur eine Schwester. Manchmal ist sie eine wahre Pest, aber es würde Mum unheimlich viel bedeuten zu sehen, wie sie mir voran in einem hübschen Kleid zum Altar schreitet.«
»Jax? Schreiten? In einem Kleid}« Ros verdrehte die Augen. »Tut mir leid. Das kann ich mir einfach nicht vorstellen.«
»Ich mir auch nicht«, sagte Belle achselzuckend. »Also, was soll ich tun?«
»Eine halbe Stunde an den Gewichten!«, befahl Ros heiter. »Und dann ab auf das Laufband. Schließlich willst du deinem Zukünftigen Ehre machen, oder nicht?«
Bei Green Goddess ging es an diesem Montagmorgen im Januar recht beschaulich zu. Die Angestellten hatten nicht viel zu tun, aber Waylon Smith war nicht umsonst der Verkaufsleiter mehrerer Filialen geworden: Er fand immer etwas, um seine Untergebenen zu beschäftigen – und sei es nur, dass er sie Seifenstücke und Badekugeln zählen ließ. Als Antwort darauf hatte Belle früh gelernt, immer einen möglichst betriebsamen Eindruck zu erwecken.
»Warum beschwerst du dich überhaupt?«, fragte Lily Broome, die gerade damit befasst war, eine Pyramide aus Badekugeln neu aufzuschichten, nachdem eine Kundin mit Zwillingskinderwagen sie zum Einsturz gebracht hatte. »Sei doch froh! Ich wünschte, Rick würde zu mir kommen und sagen: ›Schatz, ich möchte gern richtig viel Geld für dich ausgeben!‹ Andererseits«, räumte sie nachdenklich ein, während sie sich den langen braunen Zopf über die Schulter warf, »würde ich nicht wollen, dass er es ausgerechnet für eine Hochzeit ausgibt. Einen hübschen kleinen Sportwagen vielleicht … ach, na ja, sobald wir Kinder haben, müssen wir ohnehin jeden Pfennig sparen. Heutzutage muss man Millionär sein, um sich Nachwuchs leisten zu können.«
»Oder um eine Hochzeitsfeier auszurichten«, hakte Belle ein. »Und glaub mir, meine Eltern sind keine. Also gut, die Schneiderin ist eine Freundin meiner Mutter, deswegen nimmt sie kein Geld für das Kleid, und der Caterer hat versprochen, uns einen Sonderpreis für das Buffet zu machen, weil mein Vater Pfarrer ist. Aber zweihundertfünfzig Gäste! Die nächsten zwanzig Jahre werden Mum und Dad keinen Urlaub mehr machen.«
Sie seufzte, schüttelte den Kopf und fuhr damit fort, die Verkaufszahlen des vergangenen Wochenendes in die dafür vorgesehenen Buchungsformulare einzutragen. Was Naturkosmetika anging, befand sich Green Goddess in der Branche an vorderster Front, aber auf andere Unternehmensbereiche schien sich dieser Innovationsgeist nicht zu erstrecken: Die Buchhaltung jedenfalls steckte noch mit beiden Beinen im neunzehnten Jahrhundert fest.
Belle holte den Taschenrechner heraus. Haargel hatte leicht zugelegt, Fußbalsam wurde weniger nachgefragt als üblich, und die Verkäufe der neuen schwarzen Gesichtsmaske mit echtem Süßholzextrakt stagnierten immer noch, und das, obwohl der Preis um dreißig Prozent gesenkt worden war.
Assistentin der Verkaufsleitung in einem Geschäft für Naturkosmetik zu sein war vielleicht nicht gerade der Gipfel der beruflichen Erfüllung, aber Belle machte ihre Arbeit nicht nur Spaß, sie nahm sie auch sehr ernst. In Wahrheit nahm sie die meisten Dinge sehr ernst, was sicherlich zum Teil damit zusammenhing, dass sie einen Geistlichen als Vater hatte.
»Ich verstehe dich trotzdem nicht«, beharrte Lily. »Ich dachte, du willst unbedingt heiraten. Seit Monaten redest du von nichts anderem!«
»Natürlich will ich das.« Belle warf den Kugelschreiber hin und fuhr sich durch ihre schulterlangen schwarzen Locken, die danach noch zerzauster aussahen. »Ich mache mir nur Sorgen. So viel Geld, das ist doch Irrsinn! Mum und Dad können es sich eigentlich nicht leisten, Unsummen für meine Hochzeitsfeier auszugeben. Und ich will es auch gar nicht.«
»Für manche Eltern ist das Ehrensache. Sie lassen sich solche Dinge gern etwas kosten. Willst du denn alles selbst bezahlen? Du und Kieran, ihr schwimmt doch auch nicht gerade im Geld.«
»Nein«, sagte Belle trübsinnig. »Dazu kommt, dass wir uns gerade nach einem Haus umsehen. Und jetzt hat sich Mum auch noch in den Kopf gesetzt, dass die ganze Welt erfahren soll, dass ihre Tochter heiratet – als sei ich eine Berühmtheit! Sie hat sogar eine Anzeige in der Times geschaltet, kannst du dir das vorstellen? Ich wäre fast gestorben vor Scham.«
Lily rümpfte ihre sommersprossige Nase. »Jeder nach seiner Fasson, wie es so schön heißt. Aber wenn dir das alles nicht gefällt, warum sprichst du nicht ein Machtwort? Sag ihr, dass du dir die Sache ganz anders vorgestellt hast.«
»Dafür ist es jetzt wohl zu spät.« Belle fummelte an ihrem Kugelschreiber herum. »Ich hatte mir ja fest vorgenommen, ihr ins Gewissen zu reden, ehrlich, aber dann hat sie angefangen, mir vorzuschwärmen, wie wunderbar es sei, endlich die Hochzeit ihrer ältesten Tochter planen zu dürfen – die schönste, erfüllendste Erfahrung ihres ganzen Lebens! O Gott, ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht, ihr die Wahrheit zu sagen.« Resigniert hob sie die Schultern. »Ich hoffe nur, dass wir beim Catering wirklich einen Rabatt bekommen.«
»Es gibt doch noch Jax. Warum bittest du deine Mutter nicht, dass sie dich einfach überspringt? Sie könnte ihre Pläne für eine Weile auf Eis legen und in ein paar Jahren die Hochzeit deiner Schwester organisieren.«
Fast hätte sich Belle vor Lachen verschluckt. »Jax? Heiraten? Leib und Seele an eine niedere Lebensform wie einen Mann verkaufen? Ich bitte dich, Lily! Mein kleines Fräulein Schwester fühlt sich schon geknechtet, wenn man sie bittet, eine Pizza in die Mikrowelle zu schieben!«
Lily hatte die letzte Badekugel auf der Spitze der Pyramide platziert. Vorsichtig trat sie einen Schritt zurück und begutachtete ihr Werk. »Tja, dann bleibt dir wohl nichts anderes übrig, als brav die Klappe zu halten und dich in der Aufmerksamkeit zu sonnen, die deine bewundernden Verwandten dir zuteilwerden lassen«, sagte sie.
»Das ist es ja gerade. Ich hasse es, im Mittelpunkt zu stehen! Jax ist die Diva in der Familie. Ich sitze lieber irgendwo still in der hintersten Reihe und sehe mir alles aus sicherer Entfernung an.«
»Hm.« Lily schritt ihre Pyramide ab und nickte befriedigt. »Wow! Wer würde noch behaupten wollen, das Dasein einer Verkäuferin sei trist und ohne Erfüllung? Schau sie dir an! Sie steht wie eine Eins.«
»Sehr hübsch. Aber wenn die dritte Schicht weiß sein soll, was hat dann die eine rosafarbene Kugel dazwischen zu suchen?« Belle zeigte mit dem Finger auf die Stelle. »Hier, siehst du?«
»Wo? O nein! Ach, verflixt. Konntest du das nicht für dich behalten?«, schimpfte Lily. Zögernd streckte sie die Hand nach der Kugel aus. »Vielleicht wenn ich sie ganz vorsichtig herausnehme …«
»Bist du verrückt? Willst du, dass alles gleich wieder in sich zusammenkracht? Lass sie einfach, wo sie ist.«
»Ich werde aber immer hinschauen müssen!«
»Dann stell irgendetwas davor! Eine Preistafel oder so.«
Beide blickten sie sich suchend im Laden um. Plötzlich rief Lily: »Ha! Genau das Richtige!« Sie zerrte eine große, aus Sperrholz ausgesägte und bunt bemalte Braut hinter dem Aufsteller für Make-up hervor, entstaubte sie flüchtig mit dem Ärmel und baute sie direkt vor der Pyramide auf. »Na, was sagst du? Jedes Mal, wenn du von der Kasse aufsiehst, wird sie dich an deinen großen Tag erinnern!«
»Herzlichen Dank.« Belle war drauf und dran, etwas ausgesprochen Unfeines zu sagen, als Waylon die Eingangstür aufstieß und mit dem Hintern zuerst, eine schwerbeladene Sackkarre hinter sich herziehend, in den Laden gestolpert kam.
»Ein wenig Hilfe käme nicht ungelegen!« Er wandte sich um und beäugte misstrauisch seine Angestellten. »Ich hoffe, Sie beide haben nicht einfach nur herumgestanden und Maulaffen feilgehalten, während ich weg war.«
»Natürlich nicht, Chef. Wir haben … absatzfördernde Maßnahmen implementiert. Stimmt’s, Lily?«
»Genau. Ganz genau. Bis zum Umfallen und in jeder Ecke.«
Waylon erspähte die hölzerne Braut und nickte befriedigt. »Aha. Nun, immerhin können Sie Anweisungen umsetzen, das freut mich«, räumte er, wenn auch mit spürbarem Widerwillen, ein.
Lily und Belle sahen ihn verständnislos an.
»Die Zentrale in Gloucester hat schon durchgeklingelt? Natürlich – woher hätten Sie sonst wissen sollen, dass ich Sie bitten wollte, die Braut deutlich sichtbar aufzustellen?«
»Äh …«
»Die neue Themendekoration, ganz hervorragend. Und jetzt können Sie mir gleich helfen, das Zeug ins Lager zu schaffen, bevor noch ein Kunde darüber fällt. Der Fahrer hat schon wieder ins Büro der Verwaltung geliefert statt direkt an unsere Adresse, dieser Armleuchter!«
»Was für eine neue Themendekoration?«, erkundigte sich Belle, während sich die drei mit vereinten Kräften daranmachten, die Kisten fortzuschleppen.
»Brautfrühling«, gab Waylon zurück und klopfte sich das nach Pfirsich duftende talkumfreie Körperpuder vom schwarzen Hemd. »Kosmetik und Accessoires für die Jahreszeit der Liebe. Man wird uns sogar eine Kosmetikerin herschicken, die direkt im Laden Gesichtsbehandlungen durchführt und die Kundinnen ganz nach ihren Wünschen schminkt.«
Belle stöhnte hörbar. Gab es denn gar kein Entkommen? »Aber es ist doch erst Januar!«, protestierte sie schwach.
Lily kicherte und tätschelte Belle freundschaftlich die Schulter. »Wenn man verliebt ist, herrscht ewiger Lenz!«, flötete sie. »Das solltest du doch am besten wissen.«
***
Jacqueline Craine hatte nicht mehr auf ihren vollen Namen gehört, seit sie sich im Alter von zwölf Jahren mithilfe von zwei Eiswürfeln und einer Stecknadel die Ohren durchstochen, die Haare mit der Gartenschere ihres Vaters gestutzt und dem sprachlosen Rest der Familie verkündet hatte, dass sie fortan ausschließlich als »Jax« anzusprechen sei.
Es war wie verhext: Brenda Craine hatte sich sehr viel Mühe gegeben, hübsche, wohlklingende, anständige Namen für ihre Töchter auszusuchen, die ihnen den Weg in die feine Gesellschaft ebnen würden, so wie es ihr eigener proletarischer Vorname, Brenda, nie vermocht hatte. Und was hatten die beiden damit gemacht? Sie, sobald sie sprechen konnten, bis zur Unkenntlichkeit zu »Belle« und »Jax« verstümmelt.
Bei Belle war dies ausschließlich aus praktischen Gründen erfolgt – sie hatte nichts Aufsässiges an sich. Aber für Jax stand hinter der Verunstaltung ihres spießbürgerlichen Namens eine politische Aussage. Hätte Jax jemals ihr Alter Ego Jacqueline auf der Straße getroffen, wären beide, so schnell ihre Füße sie trugen, in entgegengesetzte Richtungen davongerannt.
Es war Mittagspause am St. Jude’s Institute – eine der angesehensten Privatschulen der Stadt –, und die älteren Schüler drängten sich im Aufenthaltsraum, um dort ihre Müsliriegel und Joghurts zu verspeisen. Keine zehn Pferde hätten sie, die Aufgeklärten, noch dazu gebracht, sich den Fraß einzuverleiben, der in der Schulmensa angeboten wurde. Gerüchte gingen um, dass bereits auf den Genuss einer einzigen Mahlzeit unweigerlich der sofortige Arterienverschluss folge. Schlechte Ernährung war – neben Sport im Freien bei Regen, Schnee und Hagelstürmen – nur einer der zahlreichen hehren Grundsätze, denen sich eine traditionsreiche private Bildungsinstitution wie St. Jude’s verschrieben hatte.
Stipendiatin Jax plumpste auf einen Stuhl, schwang die Beine hoch und ließ ihre bestiefelten Füße auf die Tischplatte krachen, bevor sie lauthals verkündete: »Ich hasse meine Schwester.«
Ihr Freund Razor, alias Marcus Stamford-Jones, biss zaghaft in sein Baguette. Auf keinen Fall wollte er riskieren, dass sein nagelneues Lippenpiercing in Mitleidenschaft gezogen wurde. Wer den perfekten Anti-Establishment-Look erzielen wollte, musste – so viel hatte er inzwischen gelernt – in Bezug auf Bequemlichkeit und körperliches Wohlbefinden entscheidende Abstriche machen. »Hat sie dich wieder herumgeschubst?«, erkundigte er sich mitfühlend.
Jax bedachte ihn mit einem Blick, der selbst in Medusa persönlich glühenden Neid geweckt hätte. »Herumgeschubst? Mein Gott, Razor, brennst du? Glaubst du allen Ernstes, ich würde mich von irgendjemandem herumschubsen lassen? Und ausgerechnet von einer albernen Anziehpuppe wie ihr?«
»’tschuldige«, sagte er betreten. »Habe wohl nicht nachgedacht …«
»Das ist ja nichts Neues.« Jax beugte sich vor und nahm ungestüm einen großen Bissen von seinem Baguette. »Sie geht mir nur ständig mit ihrem Gequatsche über diese dämliche Hochzeit auf die Nerven.« Jax kaute schmatzend. »Sie meint, die ganze Welt dreht sich nur um sie!«
Razor zuckte mit den Schultern. »Typisch Frau, oder?«
»Was ist typisch Frau?«
Razor stammelte weiter. »Na ja, sie … stehen auf Rüschenkleider und so.«
»Ich stehe nicht auf Rüschenkleider!«, fuhr Jax auf.
»Nein, natürlich nicht, aber … ich meine, du bist ja auch keine …«
»Keine was? Keine Frau?« Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Danke für das Kompliment, Klapsrat!«
Razor seufzte. Er liebte Jax mit jeder Faser seines jungen Herzens, aber manchmal hatte er es wahrlich schwer. Wenn seine Freundin zum Streiten aufgelegt war, hätte sie ihm selbst eine harmlose Behauptung wie die, dass Wasser nass sei, mit wilden Flüchen um die Ohren gehauen. »Ich meine … du bist ja erst siebzehn. Wenn du älter wirst – so alt wie deine Schwester –, dann änderst du deine Meinung vielleicht noch.«
»Vierundzwanzig?« Jax erschauerte. »Scheiße, daran möchte ich nicht einmal denken. Das ist fast schon dreißig! Außerdem ist meine Schwester bereits als Alte mit Hut auf die Welt gekommen. Ihr macht es vielleicht nichts aus, sich in die Sklaverei zu verkaufen, aber ich werde niemals heiraten. Überhaupt – die Ehe sollte verboten werden«, fügte sie mit der selbstgerechten Unbekümmertheit eines gänzlich lebensunerfahrenen Menschen hinzu.
»Aha«, machte Razor.
»Was, aha?«, verlangte Jax zu wissen.
»Einfach nur … aha. Dann ist wohl Boykott angesagt?«
Jax grinste verschlagen. »Dreimal darfst du raten.«
***
In der Redaktion des Cheltenham Courant ging es wie immer hoch her. Wie bei jedem anderen Lokalblatt in jeder anderen Kleinstadt regierten auch hier Personalknappheit, Geldmangel und Zeitnot. Und für einen jungen aufstrebenden Journalisten wie Kieran Sawyer, der danach dürstete, preisverdächtige Artikel über große weltpolitische Fragen zu Papier zu bringen, war die Erkenntnis, dass die Verkaufszahlen seiner Zeitung nur dann in die Höhe schnellten, wenn auf der Titelseite ein pausbäckiges Baby oder ein flauschiges Kleintier abgebildet war, zutiefst deprimierend. So viel zur »Intellektuellenhochburg« Cheltenham – einer Stadt, die berühmt war für ihre Literaturfestivals und in der es mehr Schriftsteller pro Quadratzentimeter gab als Flöhe auf einem Straßenköter.
An diesem Montag brütete Kieran lustlos über seinem neuesten Auftrag: ein mitreißendes Porträt über eine Frau, die es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, sämtliche Weihnachtsgeschenke für das kommende Jahr bereits am zweiten Feiertag einzukaufen. Natürlich war das Thema durch und durch nichtswürdig, aber es war Januar, ein Monat, in dem – ein offenes Geheimnis in Journalistenkreisen – nie etwas geschah. Besagte Dame würde am Samstag in Farbe auf dem Titelblatt erscheinen, ihren struppigen kleinen Shi-Tzu auf dem Arm, ein Elchgeweih im Haar und umringt von liebevoll verpackten Präsenten für das nächste Fest.
Kierans Vorgesetzte Sandra, die Chefredakteurin der Feature-Redaktion, kam an seinem Schreibtisch vorbeigeschlendert, blieb direkt hinter ihm stehen und tippte zweimal mit dem Finger auf den Bildschirm seines Rechners, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.
Kieran schrak auf. »Was? Oh, entschuldige. Ich war ganz woanders.«
»Wo bleibt der Beitrag?«
»Fast fertig. Alles, was fehlt, sind ein paar Zitate. Hätten Sie übrigens etwas dagegen, wenn ich mir heute Nachmittag für ein Stündchen freinehme?«
Ein wissendes Lächeln zog Sandras furchteinflößend geschminkte Lippen in die Breite. Sie bevorzugte dunkle Rottöne, die ihren Mund wie eine blutig klaffende Wunde aussehen ließen und die signalisierten, dass man nicht gut daran tat, sich ihrem Willen zu widersetzen. In der Tat schlugen andere Menschen ihr nur selten etwas ab.
»Was ist es diesmal? Hat Ihnen jemand Freikarten für das neue Striplokal in Gloucester zugesteckt?«
»Nein! Das heißt – ja«, gab Kieran zu und errötete leicht. »Aber ich habe sie gleich an Colin weitergegeben, der hat sie nötiger als ich.« Er grinste kurz, dann fuhr er fort: »Es ist wegen Belle. Oder vielmehr: wegen ihrer Mutter. Ich habe mir das Versprechen abnehmen lassen, ihr heute Nachmittag bei einer etwas heiklen Angelegenheit zu helfen. Sie braucht gewissermaßen moralische Unterstützung.«
»Moralische Unterstützung? Was hat sie vor, will sie sich als Animierdame bewerben?«
Wenn es nur das wäre!, dachte Kieran unbehaglich. »Nein«, gab er mit einer Spur echter Furcht in der Stimme zurück. »Viel schlimmer: Belle und ihre kleine Schwester wollen ein Brautjungfernkleid aussuchen.«
***
Belle bog auf den St. Jude’s Square ein und parkte ihren Wagen vor dem Pfarrhaus. Es war das einzige Heim, das sie je gekannt hatte – wenn man ihre winzige Einzimmerwohnung in der Stadt nicht mitzählte –, und ihr wurde ganz mulmig bei dem Gedanken daran, dass ihre Eltern nach der Pensionierung ihres Vaters notgedrungen würden ausziehen müssen.
Genau wie ihr Vater war auch Belle kein großer Freund von Veränderungen. Warum an den Dingen rütteln, wenn sie in geordneten Bahnen verliefen? Veränderung bedeutete nicht selten Verschlechterung. Dies war eines der wenigen Gebiete, auf denen sie und Kieran sich nicht einig werden konnten: Er war risikofreudig und sehr strebsam und hatte keinerlei Angst davor, Neues auszuprobieren, auch wenn die Gefahr bestand, damit auf die Nase zu fallen. Belle hingegen war ganz und gar kein ehrgeiziger Mensch – und es gefiel ihr so.
Das Pfarrhaus der Gemeinde St. Jude besaß drei geräumige Stockwerke. Es war 1850 erbaut worden, zu einer Zeit, als Pfarrer oft noch große Familien unterbringen mussten. Für Belle, Jax und ihre Eltern war es beinahe schon zu groß, aber dafür wunderschön gelegen: direkt gegenüber der Kirche und den mächtigen Rosskastanien, die sie umstanden und in denen man allmorgendlich vom Fenster aus das muntere Treiben der Eichhörnchen beobachten konnte, die die Stämme auf und ab huschten.
Mit einem unguten Gefühl im Magen klinkte Belle das schmiedeeiserne Gartentor auf und ging den Gartenpfad zum Haus entlang. Oje, dachte sie, während sie den Schlüssel im Schloss umdrehte. Hoffentlich hat sie heute bessere Laune. Ihre Godzilla-Nummer ist auf die Dauer wirklich ermüdend.
Ob nun guter Laune oder nicht – daheim war Jax jedenfalls. Das bewies die scheppernde Musik, die aus ihrem Zimmer bis nach unten in die Diele dröhnte. Ihre klobigen Stiefel lagen mitten im Flur, wo ihre Mutter sie forträumen oder ihr Vater darüber stolpern konnte. Belle beförderte sie mit einem Fußtritt zur Seite. Hinter ihrer Schwester herräumen würde sie gewiss nicht – selbst dann nicht, wenn der Familienfrieden davon abhing, ob Jax ihr tatsächlich den Gefallen gewährte, um den sie sie gleich bitten würde.
Brenda und Kieran befanden sich in der Küche. Brenda war damit beschäftigt, mehrere Bleche Scones für das nächste Gemeindefest zu backen, und auch Kieran saß nicht untätig herum, sondern versuchte – nicht minder fleißig –, eine möglichst große Menge des frischen Backwerks zu vertilgen.
»Kieran! Gott sei Dank, du hast es geschafft.«
»Sei gegrüßt, holde Maid. Habe ich dir nicht mein Wort gegeben?« Kieran stand auf, schlang seine Arme um Belle und gab ihr einen langen, krümeligen, buttrigen Kuss. Belles Herz begann wie ein kleiner Schmetterling zu flattern.
»Hallo, Liebling.« Sie leckte sich die Butter von den Lippen. »Ich hoffe, du erwartest nicht, dass ich dir jeden Tag Scones backe, wenn wir verheiratet sind.«
Kierans haselnussbraune Augen funkelten. »Aber natürlich! Und dazu gibt es selbstgemachte Erdbeermarmelade. Aber ohne Stückchen. Die mag ich nicht.«
Belle stemmte in gespielter Empörung die Arme in die Hüften. »Ist das alles?«
»Wo denkst du hin? Selbstverständlich sollte meine Zukünftige die Kunst des Butterstampfens beherrschen und lernen, Fässer mit … wieso siehst du mich so an? Belle!« Hastig sprang er zur Seite, aber vergebens: Ihr Angriff kam zu schnell. »Au. Au, hör sofort auf! Nicht kitzeln!«
Er riss sich los und wich vor ihr zurück, aber Belle setzte ihm nach und jagte ihn lachend mehrmals um den Küchentisch. »Ich höre auf, dich zu kitzeln, wenn du aufhörst, dich wie Heinrich VIII zu benehmen!«
»Und als Allererstes nimmst du deine Ellbogen aus meinem Teig!«, schalt Brenda mit einem breiten Schmunzeln und riss die Rührschüssel an sich, bevor Kierans Pulloverärmel darin versinken konnte. »Ich dachte, ihr wärt hier, um gemeinsam Jacquelines Kleid auszusuchen, nicht um mir im Weg zu stehen.«
Abrupt hielt Kieran an. Sein Gesicht fiel in sich zusammen. »Ach, Brenda, hab Erbarmen.«
»Papperlapapp! Ich weiß wirklich nicht, warum ihr um ein einfaches Gespräch mit einem siebzehnjährigen Mädchen ein solches Aufheben macht«, sagte Brenda obenhin. »Gut, hin und wieder ist sie ein wenig … schwierig – aber sie hat doch praktisch schon eingewilligt. Ach, ich kann es gar nicht erwarten, sie hübsch zurechtgemacht in einem wunderschönen Kleid zu sehen! Das wäre eine Freude …«
Keine Freude, sondern ein Wunder, dachte Belle verdrossen, die dem mit verdächtiger Plötzlichkeit erfolgten Sinneswandel ihrer Schwester noch immer nicht recht trauen wollte. »Na, dann komm, Tiger«, sagte sie und griff Kieran resolut bei der Hand. »Bringen wir es hinter uns. Ihre Unausstehlichkeit wartet sicher schon.«
»Strenggenommen ist sie ja deine Brautjungfer, nicht meine«, sagte Kieran ausweichend. »Vielleicht würde ich bei eurem Gespräch nur stören.«
»Wie rührend«, entgegnete Belle. »Und jetzt Abmarsch, bevor ich dir den Hintern versohle!«
Einen Augenblick lang spielte Kieran mit dem Gedanken, es darauf ankommen zu lassen. Eine Tracht Prügel von der Frau seiner Träume wäre eine überaus verlockende Art und Weise, den Tag ausklingen zu lassen.
Belle stand im Flur vor Jax’ Zimmertür und lauschte den dissonanten Klängen der Band mit dem vielsagenden Namen Machine Head. Es war wie eine Art brachiale Reflexzonenmassage. Sie musste zweimal ansetzen, bevor Kieran verstand, was sie ihm zu sagen versuchte.
»Ich glaube, es ist das Beste, wenn du zuerst reingehst!«, schrie sie und lächelte gleich darauf zuckersüß. »Schließlich hat sie betont, dass sie es nur dir zuliebe tut!«
»Ich?« Kieran war wie vor den Kopf geschlagen. »Was habe ich mit der Sache zu schaffen?«
»Stell dich nicht so an, du weißt genau, dass sie ganz verrückt nach dir ist. Weshalb sollte sie sonst so gemein zu mir sein?«
»Ich dachte, das ist ganz normales Verhalten unter Schwestern!«
»Nein, nein, hier haben wir es definitiv mit einem besonders schweren Fall pubertärer Eifersucht zu tun. Es tut mir leid, Kieran, aber du wirst dich damit abfinden müssen, dass du auf siebzehnjährige Heavy-Metal-Rotzgören mit einem Faible für ausgefallene Haarfarben eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübst.«
»Ich … fühle mich geehrt.«
Belle hämmerte mit der Faust gegen die Tür, wartete etwa zehn Sekunden ab und trat dann ein.
Jax saß an ihrem Computer und war damit beschäftigt, einen Aufsatz für den Geschichtsunterricht zu verfassen. Stumm bewegte sie den Kopf im Takt der Musik auf und ab. Als ihr klar wurde, dass sie nicht länger allein war, wirbelte sie wütend herum, wurde bei Kierans Anblick sofort feuerrot und hackte auf die Stopptaste des CD-Spielers ein. »Was macht ihr hier? Habe ich gesagt, dass ihr reinkommen könnt?«
»Da bin ich überfragt«, erwiderte Belle gelassen. »Bei dem Krach konnte ich nichts hören.«
Jax runzelte drohend die Stirn.
»Aber nun sind wir hier«, fügte Kieran überflüssigerweise hinzu. »Du hast gesagt, wir können jederzeit kommen und über dein Kleid für die Hochzeit reden.«
Der kaum wahrnehmbare Anflug eines diabolischen Grinsens ließ Jax’ Mundwinkel nach oben zucken. »Stimmt. Das habe ich gesagt.«
Belle schwante Schlimmes. »Jax! Sag jetzt bloß nicht, du hast es dir anders überlegt! Ich habe keine Lust, mir von dir auf der Nase herumtanzen zu lassen. Du weißt genau, wie wichtig Mum die Sache ist.«
»Schon gut, schon gut. Ich mache es ja«, sagte Jax beschwichtigend.
Kierans Miene entspannte sich sichtlich. Er setzte sogar ein zaghaftes Lächeln auf. Auch Belle hätte eigentlich erleichtert sein müssen, wurde aber das dumpfe Gefühl nicht los, dass der sprichwörtliche Haken an der Sache bald zutage treten würde.
Sie sollte recht behalten.
»Aber nur unter einer Bedingung!«, sagte Jax triumphierend.
Ich wusste es!, dachte Belle verärgert. »Was für eine Bedingung?«, fragte sie unwirsch.
Jax schwieg, um den Moment voll auszukosten. Endlich hatte sie die beiden in der Hand. Gab es etwas Herrlicheres?
»Jax«, drängte Kieran angstvoll.
Sie erbarmte sich seiner. »Ich möchte mir selbst aussuchen, was ich anziehe«, verkündete sie.
»Ach so.« Ein Seufzer der Erleichterung entfuhr Belle, und sie tauschte einen raschen Blick mit Kieran. Sie hatte viel, viel Schlimmeres befürchtet – etwa, dass Jax darauf bestehen würde, mit einem Motorrad in der Kirche vorgefahren zu kommen oder das Lied »Heil’ge Liebe, überstrahlend alle Lieb« durch »Bring your daughter to the slaughter« zu ersetzen.
»Wenn es weiter nichts ist.« Eifrig kramte sie in ihrer Schultertasche. »Wir haben jede Menge Fotos mitgebracht, die wir dir zeigen wollten – aus verschiedenen Katalogen. Du kannst dir das aussuchen, was dir am besten gefällt. Wir hatten an eine Kombination aus Aubergine und Creme gedacht, aber wenn du …«
»Schläfst du auf dem Baum, oder was?«, schnitt Jax ihr das Wort ab. »Ich möchte es allein aussuchen. Ganz allein, nicht aus einem Haufen Scheußlichkeiten, den ihr zusammengestellt habt.«
»Aha«, sagten Belle und Kieran im Chor.
Jax schlug die Beine über Kreuz, lächelte und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Und ich werde keinesfalls, niemals und unter gar keinen Umständen ein Kleid tragen. Ganz egal, was kommt.«
Blechern plärrte der Radiowecker. Belle öffnete ein Auge, gähnte und streckte sich.
Hmmm, irgendetwas war merkwürdig … Genau: Sie war in ihrem eigenen Bett aufgewacht. Allein.