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Die Kurzgeschichten dieses Buches sind wahrlich Berichte zum Leben, Gott & seiner Politik. Der Autor beschreibt alle Un/Möglichkeiten des menschlichen Seins. doemgespress.webnode.com
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Veröffentlichungsjahr: 2013
Wenn ich zu dir reden könnte …
Über den Versuch einer Liebe in der Weihnachtszeit
Wenn ich zu dir reden könnte – was würde dann passiern? Eigentlich ist diese Frage irrelevant. Denn: Haben wir uns denn nicht – gerade in der Anfangs- zeit – genügend und auch durchaus tiefgehend un- terhalten? Will versuchen, unsere Beziehung in Wor- te zu fassen. Unsere Weihnachtsbeziehung. Denn eigentlich ist, philosophisch betrachtet, ja das gan- ze Jahr Vor-/Weihnachtszeit. Außerdem: Jedesmal, wenn ich dir begegne, im Gespräch einen auch nur ansatzweise zärtlichen Blick zu erhaschen suche, ist es mir, als sei mir das Christkind im Körper einer Er- lebnispädagogikstudentin jüngeren Alters (nämlich du) gerade erschienen. Ein Gefühl wie Weihnachten
– ohne damit die harmoniesüchtigen Melancholiker abschrecken zu wollen.
„Schön dich zu sehen.“ Diesen Satz erhoffe ich mir einfach von dir, seit ich ihn in einem problembela- denen Liebesfilm gehört habe, der von meiner Fern- sehzeitschrift zu meinem Unglück leider nur zwei von drei möglichen Qualitätssternchen erhalten hat.
„Schön dich zu sehen.“ – Vielleicht nehme ich mir ja heraus, es dir zu sagen, wenn wir uns das nächste Mal begegnen. Es geht ja lustigerweise wieder Weihnach- ten entgegen. Ziemlich genau ein Jahr also, nachdem wir uns das erste Mal trafen … in der Straßenbahn auf dem Weg zu unserer gemeinsamen Arbeitsstelle und retour.
Bis jetzt habe ich ja bei den Ansätzen einer intimen Beziehung zum weiblichen Geschlecht die Kurve nie so ganz gekriegt. Und bei dir? Um es scherzhaft auszudrücken: Eigentlich sehe ich nichts, was einer Eheschließung noch im Wege steht. Es ist ja auch allgemein bekannt, dass man sich in der unmittelba- ren heiligen Zeit gut findet. Wobei man gleichzeitig die äquivalent steigenden Scheidungsraten im Blick behalten sollte.
Es ist Ende November, Regen, kalt; wir stehen an der Haltestelle, dick eingepackt unter Regenschir- men und besingen den Winter. Er ist deine liebste Jahreszeit, sagst du; sie hat so was Entgültiges, Ratio- nales, Klares. Das die Sonne fehlt, die schneebedeck- ten Strecken, gebe ich zu bedenken, im Hinterkopf ein kleines Bonmot, das ich nach unserer zehnminü- tigen Bahnfahrt zur Arbeitsstelle zum Besten geben will. Wir schweigen während der Wagon durch re- gennasse Straßen seinem Ziel entgegenzuckelt.
Ein kleiner Liebesbeweis für dich! Mit diesen Worten gebe ich dir meinen nächtelang gesponnenen Plänen folgend eine von mir fotografierte Weihnachtspost- karte. Statt mir voll erfüllter Liebe einen Kuss auf die Wange zu hauchen, wendest du dich ab, sagst, dan- ke, du hättest schon. Versuche dich umzustimmen, sage, du könntest das schon annehmen, wir würden uns wohl sowieso nicht verstehen. Du lächelst, ja, zärtlich. Da müssen wir noch dran arbeiten, an dem Verstehen, sage ich, scharfsinnig wie ich bin. Gehe zur Bank, um meinen spärlichen Kontostand zu überprüfen. Du trennst unsere Wege, gehst weiter, sagst nichts mehr.
Seither habe ich dich nicht gesehen. Wenn ich noch mal zu dir reden könnte, dann … na ja.
Bald ist Weihnachten.
Du hast meine Karte nicht genommen, aber ich brachte meine Intentionen ja zum Ausdruck.
Du heißt Alije.
Es ist schon ein Kreuz mit den Frauen. Ja, wirklich! Wie viele Male bin ich als mehr oder weniger erfolg- reicher, noch junger, dynamischer Unternehmer mit dem weiblichen Geschlecht in beiderseitigem Ein- verständnis auf Tuchfühlung gegangen. Mit dem Erfolg, das mindestens Einer, nämlich ich, mit ge- brochenem, ja, geborstenem Herzen zurück blieb. Viel habe versucht, den Schmerz zu überwinden. Ich war beim Psychologen, schlucke gegen meinen Willen hochpotente Psychopharmaka, bin in neu- rologischer Behandlung. Was hilft? Noch habe ich keine eindeutige Antwort auf diese Frage gefunden. Immerhin: Ich befinde mich nun in einigermaßen festen Händen. Vielleicht ein Koloss auf tönernen Füßen; aber egal. Wie heißt e noch so schön: Le- ben ist riskant, aber Risiko ist herrlich … No risk no fun … Lieber eine Blinde im Arm als eine Taube auf dem Dach … etc. etc. et cetera pp. Und meine Angebetete heißt jetzt Soraya. Eine zierliche Schön- heit – so recht will sie gar nicht zu mir passen – aus Ägypten. Wir haben Spaß zusammen; lachen, wei- nen und auch unser Liebesleben ist in Ordnung. Einzig: Meine vormals stets so unrühmlich verflos- senen gehen mir nicht aus dem Kopf, geruhen, mir manch schlaflose Nacht zu bescheren. Warum ich diese doch etwas lächerlichen, vorpubertären Ereignisse erwähne, von der die Meisten ja ein Lied singen können?
Nun – ich wollte zwei Beispiele geben von einer et- was aus der Art geratenen, ja, leicht peinlichen Vor- kommnissen auf der Suche nach dem großen Glück. Sie hießen Franziska, Ellen, Anna, Nike, Elli, Kar- lotta – meine Pappenheimerinnen. Von den letzten beiden will ich Zeugnis geben. Elli, Karlotta – seid mir bitte nicht böse wenn ihr das hier lest. Aufgrund meines massiven Werbens um euch – mal mehr, mal weniger – wisst ihr: Ich bin stark gefühlsbelanden, in emotionalen Dingen äußerst sensibel. Also: Hetzt mir nicht gleich eure Anwälte auf den Hals. Schließ- lich bin ich gewerkschaftlich organisiert; erfreue mich einer beruflichen Rechtsschutzversicherung. Im Fall eines gerichtlichen Nachspiels werde ich die auch in Anspruch nehmen, auch als Stoff für eine neue Geschichte. Also bitte: Lieb sich sein!
Beginnen wir mit Kalotta, ach, Karlotta. Niedlich anzusehen war sie, wie sie da klein, schüchtern, un- scheinbar im Russischkurs saß, den ich eine Zeit lang zur Verbesserung meiner Sprachkenntnis besuch- te. Ich war verliebt. Zu Anfang begnügte ich mich damit, ihr während des Unterrichts immer wieder verstohlene Blicke zuzuwerfen. Täuschte ich mich, oder erwiderte sie diese ab und an auch mit einem leisen Lächeln? Jedenfalls bin ich ja ein Mann der Tag. Todesmutig, mit zittriger Hand, unter höchster emotionaler Anspannung schob ich ihr während des Unterrichts einen Zettel zu, mit dem Vorschlag, mal einen Kaffee trinken zu gehen. Durch einen Zet- tel lehnte sie ab, woraufhin ich Esel kallrot wurde, mich der Lächerlichkeit preis gab und nichts erreicht hatte. Irgendwie war ich dann noch an ihre Telefon- nummer gekommen, rief sie wieder und wieder an, bis ihr Vater mir mit roher Gewalt drohte. Karlotta hatte einen Freund, das war nicht zu übersehen. Ir- gendwann stellte ich meine Stalkingtätigkeit ein, kam ohne gerichtliche Konsequenzen davon und war fortan wieder (und noch) der „Lonely Wulf“, der ja in der heutigen Zeit keine Ausnahme darstellt. Dann kam Elli.
Elli, das Mordsweib mit nicht unbeträchtlichen Kör- permaßen. Sie war nicht zu übersehen, drängte sich mir zwanglos auf – und zog drei Wochen später auch schon bei mir ein. Nicht für lange! Ihre unver- blümte Ruhrpottschnauze beeindruckte mich den- noch. Etwa so ging bei uns der Tag los: „Wat willsu alter Wixa denn von mir? Wir ham doch gestern nur mitn paa Friends Patti gemacht!“ Nein, lange konnte das nicht gutgehen. Obwohl mir ihre durchaus sen- siblen Seiten in Form einer gesunden Leck mich am Arsch-Stimmung nicht verborgen blieben. So fand ich nach einer lautstarken Auseinandersetzung, bei der auch einige ihrer heiß geliebten Bierflaschen zu Bruch gingen und nach der ich mich für ein paar Tage verabschiedet hatte, eine Nachricht in meiner verlassenen Wohnung, am denkmalgeschützten Dortmunder Borsigplatz, auf dem Küchentisch. Krakelig geschrieben, nicht ohne einen Funken Pen- nerphilosophie: „Viel tut mir voll leid. Bin jetz da, wo der Pfeffer wächst. Wünsch‘ dir alles Gute, viel Glück und auch Erfolg. Alles Scheiße, deine Elli!“ Gab mich mit den Zeilen zufrieden. Nach Elli habe ich nicht weiter geforscht. Das war mir dann doch zu aufregend. Und: Jetzt habe ich ja Soraya, die afri- kanische Schönheit mit ihrem Dackelblick. Werden wir beiden Hübschen denn zusammen alt?
Heute ist mein ganz persönlicher Ärztetag. Nein! Keine dieser populären Medizinerveranstaltungen mit Messecharakter, an denen man tagelang durch kilometerweite Hallen streift um an ungezählten Fachständen seinen Gesundheitszustand vom Fach- publikum – mit tatkräftiger Unterstützung der Phar- malobby – auf Herz und Nieren prüfen lässt. Nein, nicht sowas. Heute gehe ich zum Arzt. Oder, bes- ser: zu gefühlten hundert Ärzten. Mein eingewach- sener Zehennagel gibt mir schon beim Aufstehen das Gefühl, heute etwas für meine Gesundheit tun zu müssen. Jetzt oder nie! Heute gehe ich zum Arzt um mich mal wieder so richtig schön kranksalbadei- en zu lassen. Mein Programm: 8 Uhr – Tierarzt. Ja, denn mein kleiner, süßer, schwarzer Kater Onassis braucht mal wieder eine Generalüberholung. Und vielleicht ne kleine Vitaminspritze, woll, haha. 11
Uhr: Zahnarzt. Meine Füllungen halten zwar noch. Aber: Man kann ja nie wissen, nicht. 13 Uhr: Neu- rologe. Ich fühle mich in letzter Zeit ein wenig an- triebslos. Vielleicht kann ja der Seelenklempner Ab- hilfe schaffen. 15 Uhr: Hautärztin. Denn: Nicht nur mein eingewachsener Zehennagel, auch die Warze unter meinem linken Vorderhuf macht mir – ich will nicht sagen zu schaffen, ist aber doch leicht unangenehm. 17 Uhr – so es ich und die Öffnungszeiten der Doktoren mitmachen: Ohrenarzt. Um mich mal wieder ordentlich durchpusten zu lassen. Darauf neigt sich der Tage auch schon dem Ende entgegen und ich kann wohlig-wonnig nach Hause zurückkeh- ren, in dem befriedigenden Wissen, etwas für meine Gesundheit getan zu haben. Also dann. Mir geht es immerhin einigermaßen gut.
Schnappe mir Onassis und fahre mit ihm etliche Ki- lometer durch die Stadt zu meinem guten, alten Tier- arzt Franzen. Der hebt ihn unter heftigem Protest auf den Behandlungstisch, untersucht ihn, gibt ihm schon im Voraus die obligatorische Vitaminspritze, denn Onassis ist etwas hager geraten, um nicht zu sagen schwächlich. Das liegt nicht an Unterfütte- rung (Er verschlingt Tonnen Katzenfutters jeden Tag), sondern mehr an seiner unzureichenden Nah- rungsverwertung. Kriegt die Vitaminspritze. „Er hat Flöhe“, stellt Franzen fest, entfloht ihn und gibt mir mit auf den Weg, auch mal auf meine Haare zu ach- ten. Mein Gott! Mir jucken ja schon alle Felle …
Bin beim Zahnarzt. Der stellt paradontöse Verwach- sungen bei meiner Kauleiste fest. Rat: Öfter mal die Zähne putzen, Spezialzahncreme besorgen, nächste Woche zwecks Kariesentfernung wieder kommen.
„Jetzt, wo Sie’s sagen, Herr Dokter“, grummele ich wenig begeistert, „beim Draufbeißen tut’s arg weh.“ Wieder ein Zipperlein mehr. Aber ich muss ja noch weiter. Mein Neurologe wartet nicht, lässt mich aber selbiges stundenlang tun. Man kann ja Zeitschriften lesen so lange und sich auf den neuesten Stand der Welt der Schönen und Reichen bringen. Kurzum: Der Rat meines Neurologen ist, ich solle mich doch zwecks Stressabbaus für eine Woche in die Psychia- trie einweisen lassen. Er wird für später einen Platz für mich reservieren. Kaum bin ich draußen krie- ge ich einen nervösen Nervenzusammenbruch aus Angst vor dem, was kommen mag. Aber meine Ärz- teodyssee ist noch nicht zu Ende.