Am Abgrund des Lebens - Peter Kleine - E-Book

Am Abgrund des Lebens E-Book

Peter Kleine

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Beschreibung

Irgendwann musste er ja kommen, der ungeliebte Tag des Regierungswechsels im Haus Mondial. Matthias, der langjährige Chef und Patriarch des Weltkonzerns hatte es ja unsäglich lange herausgezögert, das Steuer seines Imperiums aus der Hand zu geben. Doch mit der unvermeidlichen Altersgrenze von 80 Jahren wuchs letztlich doch seine Bereitschaft, die Firmengeschicke an seine Töchter zu übertragen. Auf der wunderschönen Mittelmeerinsel Capri sollte die Transaktion anlässlich des 80. Geburtstags feierlich vollzogen werden. Vorgesehen war, dass jede der drei Töchter mit einem Drittel des Unternehmens bedacht würde. Doch es kam vollkommen anders als geplant. Während sich die beiden älteren Schwestern durch eine unverfrorene Heuchelpraxis ihren Anteil sicherten, ging die jüngste Tochter Cordelia leer aus, da sie ihrem Vater nicht die erwartete Ehrerbietung zeigte. Nachdem die Übertragung des Unternehmens somit auf nur zwei Personen vollzogen worden war, begannen die älteren Schwestern einen Vernichtungsfeldzug gegen ihren nunmehr machtlosen Vater und die enterbte Schwester. Aus dem feierlichen Akt eines Generationswechsels im Weltkonzern Mondial war ein gnadenloser Krieg um Geld, Macht und Sex geworden.

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Inhaltsverzeichnis

VORWORT - DIE ADAPTION

PERSONENREGISTER

LEAR

MATTHIAS, FAMILIE VON TRAUNFELS, TÖCHTER UND EHEGATTEN, GEFOLGE

FRIEDRICH WEIßENBURG, EDGAR UND EDMUND IN CAPRI

RÜCKBLICK

GLOUCESTER (liest)

GONERIL UND OSWALD, GMUND (TEGERNSEE)

GONERIL

GONERIL, REINHILD IM RÜCKBLICK

KENT

MATTHIAS VON TRAUNFELS, JAKOB ESTHER (DR. CAIUS), OSWALD

NARR

EDMUND WEIßENBURG, FRIEDRICH WEIßENBURG, EDGAR WEIßENBURG, REINHILD GORONZY, SPÄTER FELIX GORONZY, BEDIENSTETE DES HAUSES GORONZY IN DÜSELDORF

EDMUND

CORNWALL

OSWALD WEHRHAN (ANGESTELLTER), DR. CAIUS, REINHILD UND FELIX GORONZY IN DÜSSELDORF

LEAR

MATTHIAS VON TRAUNFELS, GUIDO SCHWALLE (BEGLEITER), FRIEDRICH WEIßENBURG – SPÄTER DR. CAIUS, REINHILD UND FELIX GORONZY, GONERIL KUTSCHERA IN DÜSSELDORF

MATTHIAS, GUIDO SCHWALLE, DR. CAIUS, FRIEDRICH WEIßENBURG IN CAPRI

MATTHIAS VON BRAUNFELS, GUIDO SCHWALLE

MATTHIAS, GUIDO, SPÄTER JAKOB ESTHER (DR. CAIUS)

EDGAR

MATTHIAS, DR. CAIUS (JAKOB ESTHER), EDGAR WEIßENBURG

KENT

DR. CAIUS (JAKOB), MATTHIAS

NARR

JAKOB, MATTHIAS, GUIDO

KENT

MATTHIAS, CAIUS, GUIDO UND EDGAR

CORNWALL

RÜCKBLICK: EDMUND, FELIX GORONZY, REINHILD IN DÜSSELDORF

GLOUCESTER

GONERIL, REINHILD, FELIX GORONZY, FRIEDRICH WEIßENBURG, BEDIENSTETE DES HAUSES IN DÜSSELDORF

FRIEDRICH IN CAPRI

GLOUCESTER

EDGAR

EDGAR (ARMER TOM) UND FRIEDRICH

GONERIL

GONERIL, REINHILD, FELIX GORONZY, VICTOR KUTSCHERA, OSWALD (HAUSANGESTELLTER)

OSWALD

REINHILD, OSWALD IN DÜSSELDORF

GLOUCESTER

MATTHIAS, FRIEDRICH, EDGAR, DR. CAIUS, GUIDO

FRIEDRICH, EDGAR, OSWALD WEHRHAN

DIE DREI SCHWESTERN: GONERIL, REINHILD, CORDELIA

KENT

BOTE

JAKOB ESTHER, CORDELIA, MATTHIAS, EDGAR

CORDELIA, JAKOB ESTHER, VICTOR KUTSCHERA, GONERIL, EDMUND

EDGAR WEIßENBURG

EDMUND

GONERIL, REINHILD, VICTOR KUTSCHERA, EDMUND AM TEGERNSEE

GONERIL, VICTOR, REINHILD, EDMUND, EDGAR

VIKTOR KUTSCHERA, EDGAR WEIßENBURG AM TEGERNSEE

GONERIL UND REINHILD AM TEGERNSEE

EDMUND, ROOM ATTENDANT

EDGAR

ALBANY

MATTHIAS, JAKOB ESTHER, FRIEDRICH WEIßENBURG, EDGAR WEIßENBURG IM HOTEL ALPENBLICK

ORIGINALFASSUNG VON KÖNIG LEAR

KÖNIG LEAR IN DER LITERATURWISSENSCHAFT

LITERATURHINWEISE

DANKSAGUNG

KLAPPENTEXT

BIOGRAPHISCHE ANGABEN

VORWORT - DIE ADAPTION

König Lear, die weltberühmte Tragödie des Dichters William Shakespeare, wurde erstmals am 26. Dezember 1606 in London aufgeführt. Die Handlung vollzieht sich primär am englischen Königshaus und ist eingebettet in die Feudalaristokratie ihrer Zeit.

Um einen Zugriff auf die zeitgenössische Umgebung des 20. Jahrhunderts zu finden, ist die vorliegende Bearbeitung der Adelsherrschaft ihrer Zeit entrissen und in die bürgerliche Gegenwart verlegt worden. Die Handlung spielt nun in den Jahren 1961/62. Dabei übernimmt der Eigentümer des Technologiekonzerns Mondial, Matthias von Traunfels, die Funktion des Königs. In der Bearbeitung sind die drei Töchter des Königs mit einflussreichen Wirtschaftskapitänen liiert, die völlig unterschiedliche Interessen verfolgen. Schauplätze der Handlung sind das Familiendomizil der Familie von Traunfels, die Villa Caprese auf der Insel Capri, Italien, die Stadt Düsseldorf (Residenz von Reinhild und Felix Goronzy) und der Tegernsee in Oberbayern (ursprünglicher Sitz der Familie von Traunfels und Residenz von Goneril und Victor Kutschera). Die bei Shakespeare entwickelten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Britannien und Frankreich werden zu einem Handelskrieg zwischen den verfeindeten Parteien in Form einer feindlichen Übernahme gestaltet.

Die Parallelhandlung um den Grafen Gloucester und seine Söhne gewinnt in der Bearbeitung breiten Raum und findet ihren Niederschlag als unheilvolle Familientragödie.

Gemessen an rechtsstaatlichen Fragen zur Bekämpfung von Kriminalität, Körperverletzung und Mord bleibt die Adaption bezüglich formaljuristischer Vorgehensweisen inkonsequent. Dies ist primär darauf zurückzuführen, dass in der Originalversion König und Vasallen nach ihren eigenen Rechtsgrundsätzen verfahren konnten. Die Adaption versucht, einen Kompromiss zu finden zwischen der mittelalterlichen Rechtsordnung einerseits und einer modernen Rechtsstaatlichkeit, die allerdings nicht immer den straf- und zivilrechtlichen Anforderungen der heutigen Zeit entspricht.

Zum besseren Verständnis folgt diesem Vorwort eine namentliche Zuweisung von Charakteren des Originals zu der adaptierten Version. Vor den jeweiligen Kapiteln wird eine Lesehilfe Angaben der beteiligten Personen und des jeweiligen Schauplatzes machen.

Letztlich steht am Ende der Adaption Am Abgrund des Lebens eine detaillierte Zusammenfassung der ursprünglichen dramatischen Version von König Lear.

PERSONENREGISTER

König Lear, König von Britannien

Matthias von Traunfels, Eigentümer und Geschäftsführer des Technologiekonzerns

Mondial

König von Frankreich

Maurice Lafontaine, St. Moritz, Cordelias Freund und späterer Ehemann

Herzog von Burgund

Gereon Weitmar, Zürich

Herzog von Albanien, Gonerils Gemahl

Victor Kutschera, Tegernsee, Gonerils Ehemann

Graf von Kent (Diener Caius)

Jakob Esther (Dr. Caius), persönlicher Vertrauter von Matthias von Traunfels

Graf von Gloster

Friedrich Weißenburg, Traunfels’ Mitarbeiter in Capri

Edgar, Glosters Sohn (Tom of Bedlam)

Edgar Weißenburg, Mitarbeiter in Capri

Edmund, Glosters Bastard

Edmund Weißenburg, Angestellter

Oswald, Gonerils Haushofmeister

Oswald Wehrhan, Gonerils Hausangestellter

Narr

Guido Schwalle, Angestellter der Familie von Traunfels

Goneril, Lears älteste Tochter

Goneril Kutschera, Tegernsee

Regan, Lears zweite Tochter

Reinhild Goronzy, Düsseldorf

Cordelia, Lears jüngste Tochter

Cordelia von Traunfels, St. Morit

Die Szene ist in

Britannien

Die Szene ist in Düsseldorf, Bayern (Tegernsee) und auf der Insel Capri.

Die Adaption spielt im Jahre 1961.

DIE MITTELMEERINSEL CAPRI (ITALIEN)

LEAR:

Derweil erklärn Wir Unsern tiefern Plan.

Gebt mir die Karte. Hört, dass wir das Reich

Gedrittelt haben; und ’s ist fest Unser Vorsatz,

Sorgen und Müh von Unsern Jahrn zu schütteln,

Sie jüngren Schultern aufzulasten, während Wir

Entbürdet kriechen hin zum Tod.

(William Shakespeare, König Lear, erster Akt, 1. Szene)

Sommer 1961: Von seinem Haus am Tegernsee aus unternahm Matthias von Traunfels den überfälligen Schritt, seine Töchter über seine Zukunftspläne zu informieren. Er tat dies der Reihe nach entsprechend dem Alter seiner erwachsenen Kinder. Den Anfang machte Goneril, die die Älteste war und zusammen mit ihrem Mann eine prächtige Villa in der Nähe des Vaters bewohnte. Das riesige Haus umfasste drei große Wohnungen, die allesamt noch dem Vater gehörten und dessen oberstes Geschoss von ihm bewohnt wurde. Die mittlere Etage war für allmögliche Gäste reserviert, im Parterre lebte Goneril zusammen mit ihrem Ehemann Victor Kutschera. Matthias teilte ihr mit, dass er im Herbst des Jahres die Geschicke seines Unternehmens aus der Hand geben wolle. Um dies aber im Kreis seiner Lieben gebührend zu begehen, plane er, seine drei Töchter für Samstag, den 23. September 1961, und den Folgetag in sein Haus auf die italienische Mittelmeerinsel Capri einzuladen. Goneril möge sich den Termin bitte freihalten, denn beiden Schwestern werde er dasselbe mitteilen.

Von Gmund aus rief Matthias die anderen Töchter an – Reinhild in Düsseldorf und Cordelia in St. Moritz in der Schweiz – und bat sie inständig darum, das Wochenende zu reservieren, um am Vorabend seines Geburtstags seinen Töchtern die Entscheidung über die Zukunft des Firmenimperiums mitzuteilen. Da Matthias sich der Vollendung des 80. Lebensjahres näherte, sah er sich genötigt, eine Regelung für den Fortbestand seines Konzerns zu treffen.

Er bat die beiden älteren Töchter Goneril und Reinhild auch darum, ihre Ehegatten zu dem kleinen, aber wichtigen Familientreffen nach Anacapri, dem erhöhten Teil der Insel, mitzunehmen, da es um eine Angelegenheit ging, die für alle Beteiligten von großer Tragweite sein mochte.

Seit mehr als 15 Jahren besaß Matthias in Capri eine prächtige Villa, die er eigentlich zu selten in seiner Freizeit aufgesucht hatte. Seine Aufgabe als Vorstandsvorsitzender des Familienunternehmens sowie dringende Geschäftstermine hatten ihm nie mehr als einen vierwöchigen Aufenthalt pro Jahr in der Villa Caprese erlaubt. Doch nun im fortgeschrittenen Alter wollte er seinen Ruhestand am Mittelmeer verbringen und in Capri auch zur letzten Ruhe gebettet werden. Aus diesem Grund war es ihm auch eine Herzensangelegenheit, sein großes Imperium, das er im Laufe seines langen Lebens von einem überschaubaren Betrieb zu einem Weltkonzern entwickelt hatte, in geordneter Weise an seine Nachkommen zu übergeben. Den Vorgang wollte er nicht am heimischen Tegernsee, einem Ort des täglichen Privat- und Geschäftsbetriebes, abwickeln, sondern in einer Umgebung, die ihm Ruhe, Besonnenheit und Weitblick gestattete.

Für Matthias von Traunfels hatte sich Capri seinerzeit als geeignetes Domizil angeboten, auf das er durch einen Münchener Immobilienmakler hingewiesen worden war. Die Villa Caprese lag im oberen Teil der Insel, der zum Stadtbezirk Anacapri gehört. Ihm lag viel daran, neben seinem Domizil am Tegernsee einen Ort zu haben, der nicht jederzeit von München aus angesteuert werden konnte, der ihm gleichsam die Möglichkeit unterzutauchen bot. Schon als junger Mensch war er oftmals im Urlaub nach Kampanien mit seiner Hauptstadt Neapel gefahren. Er liebte die Amalfitana, die Küstenstraße von Salerno nach Sorrent, und genoss den phantastischen Blick auf die vorgelagerten Inseln. Aus der Erinnerung an wundervolle Tage in Sorrent entschloss sich Matthias, nach einem Anwesen im sonnigen Süden zu suchen. Das Haus mit seiner einladenden Gartenanlage war in den dreißiger Jahren von einem römischen Großindustriellen gebaut worden, der es allerdings nur selten genutzt hatte. Nach dem Krieg bot er es zum Verkauf an und war hocherfreut, dass es auch in Deutschland Interesse fand. Matthias entschloss sich schließlich zum Kauf des Objekts, da er um die Schönheit der Insel und ihrer einzigartigen Lage wusste. Er glaubte, dass es ihm so auch möglich sei, dem heimischen Betrieb und Urlaubsrummel zu entgehen. Was ihn besonders reizte, war die Tatsache, dass die Insel klein und überschaubar, aber trotzdem sehr abwechslungsreich war. Die Unterschiede zwischen Strand und Bergen, die bizarre Felsenlandschaft und die Tradition der Insel, die bereits in der Antike von Staatsmännern, Großgrundbesitzern und Künstlern geschätzt wurden, fanden sein Interesse. Matthias’ Vorliebe galt dem Anwesen, da es ihm einen atemberaubenden Blick von dem oberen Teil der Insel auf den Golf von Neapel ermöglichte. Auf Anraten des Maklers entschloss er sich dazu, das Haus sowie die Gartenanlage in großem Aufwand umzubauen, um dem technischen Stand der Zeit sowie seinen persönlichen Vorlieben zu entsprechen. Die verschiedenen Ebenen des Gebäudes boten den Gästen des Hauses die Möglichkeit, über eigenständige Eingänge zu ihren separaten Apartments zu gelangen. Er glaubte so, von Zeit zu Zeit Familienangehörige, aber auch Geschäftsfreunde empfangen und beherbergen zu können. Sein enger Mitarbeiter Friedrich Weißenburg wurde gebeten, neben seinem Wohnsitz in Deutschland ein zweites Domizil in Capri einzurichten, da er die Verbindung zwischen Firmensitz in München und der Residenz auf der Insel herstellen sollte. Weißenburg begleitete die Baumaßnahmen in der Villa Caprese, kümmerte sich um die Pflege des Hauses und der Gartenanlage.

Da er Witwer war, pendelte er in unregelmäßigen Abständen zwischen Capri und Tegernsee und sah sich in der Position eines Verwalters des Hauses von Traunfels. Lediglich seinen Sohn Edgar hatte er verschiedentlich an seiner Seite, wobei diese Begleitung von den jeweiligen Umständen abhängig gemacht wurde.

Matthias liebte es zu wissen, dass sein italienisches Anwesen stets in guten Händen war, denn bei schwierigen Zeiten zu Hause in seinem Firmenimperium wie auch zu Hause am Tegernsee sehnte er sich immer darnach, einen Hort des Friedens und der Erholung in der Hinterhand zu wissen. Wenn ihm die betriebsinternen Abläufe nicht mehr gefielen, wenn er gelegentlich das Gefühl hatte, dass ihm alles über den Kopf wuchs, war der Gedanke an die Villa Caprese wie ein Trost in schweren Tagen. Allein der Gedanke, eine Zuflucht weitab vom Tagesgeschehen zu haben, schuf ein Glücksgefühl für ihn, das er nicht mehr missen wollte.

Bei Bedarf wurde eine Köchin aus dem Hotelbetrieb Faraglioni beschäftigt, die ein ständiges Grundgehalt bezog und zu erforderlichen Anlässen im Haus kochen und wirtschaften konnte. Sie kümmerte sich auch um die Reinigung des Hauses und stand in ständigem Kontakt zu dem Hausmeister, einem älteren Elektriker, der aus dem Stadtkern der Insel kam. Als sich die Zahl der in- und ausländischen Touristen in den fünfziger Jahren ständig erhöhte, ließ Matthias schließlich eine Mauer um die gesamte Anlage errichten, die nur den Blick nach Norden und Nordosten zum Meer freigab. Zu seinem 70. Geburtstag im Jahre 1951 lud er neben dem engsten Kreis der Familie auch zahlreiche Geschäftsfreunde ein, die er sehr gerne und mit einem gewissen Stolz über die Güte und Bonität seines Unternehmens informierte. Während er die ersten Jahre immer wieder nur zu Urlaubszwecken Zeit in der Villa Caprese verbrachte, hielt sich seine Frau Elisabeth oftmals über Monate in Italien auf, insbesondere zu dem Zeitpunkt, da sie krankheitsbedingt Hilfe und Schonung benötigte.

Sie hatte sich mit den Weißenburgs, aber auch mit einigen prominenten deutschen Bewohnern in der Unterstadt angefreundet. Man feierte zusammen Geburtstag, verbrachte gemeinsame Abende und gab sich mit Begeisterung dem regelmäßig stattfindenden Bridge-Turnier hin. Anfangs beteiligte sich Matthias an dem Kartenspiel, als er letztlich aber das Gefühl hatte, immer allein in der Gesellschaft mit Damen zu sein, entschloss er sich, das Feld zu räumen und sich eine andere Freizeitbeschäftigung zu suchen. So entdeckte er das gute Verhältnis zu Jakob Esther und Guido Schwalle, die zwar offiziell als Angestellte der Firma Mondial geführt wurden, Matthias bei ihren sporadischen Aufenthalten in Capri aber auch als Skatbrüder gute Dienste erwiesen.

Man zählte den 23. Juni, und somit waren es noch glatte drei Monate, um den Töchtern nebst Anhang das Wochenende in Capri zu ermöglichen. Es war Matthias äußerst wichtig, eine gute Entscheidung zu treffen, da sein Unternehmen in der dritten Generation von der Familie Traunfels geführt wurde und es ihm eine Herzensangelegenheit war, sich die Kompetenz und Empathie seiner Töchter und deren Partner bestätigen zu lassen.

Mondial war eine Firma, die vor 116 Jahren von seinem Großvater Berthold Traunfels in Rosenheim gegründet worden war. Anfangs war man mit der Produktion von Feinmechanik und Elektrotechnik befasst. Als später aber die ersten Magnetzünder für Gasmotoren gebraucht wurden, entschloss sich die Familie Traunfels, nach München überzusiedeln, um dort stärker im Fokus des Wirtschaftslebens zu stehen. Matthias’ Großvater war ein typischer Tüftler der Pionierzeit, vertrat allerdings einen hohen ethischen Anspruch, der sich in seiner Unternehmensführung wie auch seinem Privatleben eindrucksvoll niederschlug. So legte er in seinem Betrieb Wert darauf, dass seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ordentlich verpflegt wurden. In seinem Betrieb in Rosenheim und später in München herrschten Disziplin und Eifer. Die fürsorgliche Mentalität des Firmenchefs sorgte dafür, dass das Arbeitsklima über viele Jahre harmonisch und angenehm war und selbst in der Zeit der großen Streiks in Deutschland die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Mondial ruhig blieben. Der Stolz in der Familiengeschichte gipfelte in der Nobilitierung, der Erhebung in den Adelsstand, durch den bayerischen Prinzregenten Luitpold im Jahre 1901. Damit verbunden war eine Änderung des Familiennamens. Man nannte sich fortab von Traunfels und trug den neuen Namen wie eine Galionsfigur sofort in das Handelsregister ein, damit Kunden wie Mitarbeiter von der Aufwertung und Ehrbezeugung durch den bayerischen Monarchen hörten.

Matthias wuchs zwar in großbürgerlichen Verhältnissen auf, wusste aber, dass bei Übernahme des Firmenimperiums eine überdimensionale Aufgabe auf ihn zukam. Seine Eltern versuchten, ihren Sohn, der schon früh als Erbe des Konzerns feststand, auf diese Aufgabe vorzubereiten. So wurde er in frühen Jahren nach Eton in England geschickt, wo er das gehobene Leben der englischen Aristokratie kennenlernte. Er war kein übermäßig guter Schüler, absolvierte aber dennoch in Eton seine Abschlussexamina mit zwei A- und drei O-Levels. Diese Abschlüsse standen für erfolgreiche Leistungen in den einzelnen Fächern. Besonders gute Ergebnisse hatte er in Mathematik und Physik erzielt, was ihn schließlich auch zum Studium des Faches Physik an der Ludwig-Maximilian-Universität in München führte. Im Ersten Weltkrieg zog er als Kriegsfreiwilliger nach Frankreich, wo er Jahre in den unseligen Schlachtfeldern von Verdun verbrachte. Weniger aufgrund der politischen Entwicklung, aber im Angesicht der Materialschlachten in den Schützengräben der Westfront begrüßte er das Ende des Krieges und widmete sich alsbald den beruflichen Herausforderungen des Familienbetriebs. Er fühlte sich abgestoßen von den Arbeiter- und Soldatenräten, die allerorts, besonders aber auch im heimischen München, aufkamen und war beruhigt zu sehen, dass die politische Entwicklung in Deutschland schließlich wieder in bürgerliche Bahnen verlief. Wie viele Unternehmer seiner Zeit war auch er ein Freund der Deutschnationalen und hoffte inständig, dass ihnen irgendwann einmal der Durchbruch gelingen würde.

Nach dem Krieg heiratete er und wurde in schneller Folge Vater von zwei Töchtern. Eine dritte Tochter wurde erst Jahre später geboren. Aufgrund seines Engagements in seinem Betrieb, aber auch aufgrund des mangelnden Interesses an kleinen Kindern kümmerte er sich recht wenig um die Erziehung seiner Töchter. Als die Kinder älter waren, durften die beiden Älteren gelegentlich mit ihm zur Jagd in den Bayerischen Wald, um Cordelia kümmerte er sich äußerst wenig, zumal sie es auch nicht darauf anlegte, wie die Älteren dem Vater unter die Augen zu gehen und wohlgefällig zu erscheinen.

Im Familienrahmen entwickelte er sich immer mehr zu einem strengen Patriarchen, der Widerspruch kaum duldete und sehr autoritär auftrat.

Er konnte jähzornig und unbeherrscht reagieren, wenn er auf unerwartete Situationen stieß. Insbesondere Widerspruch seiner MitarbeiterInnen sowie Familienmitglieder konnte eine unberechenbare Wut in ihm auslösen, die oftmals auch zur Verängstigung seiner Umgebung führte. Dass er dabei seinen moralischen Kompass, der ihm sonst immer sehr wichtig erschien, aus dem Auge verlor, kümmerte ihn nicht weiter. Widerspruch und Überraschungen brachten seine emotionale Grundhaltung oft völlig durcheinander und verleiteten ihn zu unberechenbarem Handeln. Es war nicht so, dass er durch sachliche Einwände oder Begegnungen in seinem rationalen Denken beeinflusst würde, vielmehr war es eine grundsätzliche Erschütterung seiner emotionalen Konstitution. Dominierendes Denken und Handeln bestimmten seine Gefühlswelt so stark, dass jegliche Form der Abweichung bei ihm eine heftige Erschütterung auslöste.

Matthias achtete auf gutes Benehmen und Formen, von den Familienmitgliedern wie auch den Angestellten seiner Firma verlangte er Respekt und gute Manieren. Seine Frau Elisabeth genoss sein absolutes Vertrauen, und Treue und Loyalität in der Ehe waren für ihn eine Selbstverständlichkeit. Als die drei Töchter älter wurden, entwickelte er eine klare Sympathie für Cordelia, die in ihrer Zurückhaltung und Bescheidenheit dem von ihm favorisierten Lebensstil einer jungen Frau entsprach. Die beiden älteren Töchter sonnten sich im Wohlstand der Familie, machten ihre Einkäufe in Wien oder Mailand und spielten ihre Rolle als wohlhabende Erben exzessiv aus. Sie wussten zwar, dass die Übernahme von Verantwortung eines Tages auf sie zukommen würde, das patriarchalische Gehabe ihres Vaters ließ sie jedoch in der Gewissheit, dass dieser Zeitpunkt noch nicht gekommen sei. Als Matthias im Alter von über 70 Jahren allerdings eine Reihe unternehmerischer Fehlentscheidungen traf und auch seine körperliche Physis Zweifel an seiner Handlungsfähigkeit aufwarf, wurden die Rufe lauter, das Ruder des Konzerns in jüngere Hände zu legen. Als Elisabeth von Traunfels zwischenzeitlich verstarb, war es insbesondere seine Tochter Cordelia, die in verhaltener, aber beständiger Form den Vater immer wieder darauf hinwies, an sich und sein Unternehmen zu denken.

Es war für Matthias klar, dass die Entscheidung zugunsten einer Aufteilung eine Zersplitterung der Firmenstruktur bedeuten würde. Dieses war nach Ansicht seiner Berater aber durchaus vertretbar, da die verschiedenen Sparten des Konzerns jetzt schon recht selbstständig arbeiteten. Insbesondere das Gewerk Maschinenbau hatte inzwischen eine große Eigendynamik entwickelt, die er bei der Erbteilung auch zu berücksichtigen plante. Das andere Feld war der Schiffsbau, der insbesondere in den entwickelten Ländern großen Absatz bei privaten und öffentlichen Auftraggebern fand. Und schließlich waren es die großen Bauprojekte, die insbesondere in der Sowjetunion, den Balkanstaaten und der Türkei für hervorragende Bilanzabschlüsse sorgten.

Eigentlich hielt er alle drei Töchter und die Ehepartner Gonerils und Reinhilds für intellektuell und moralisch qualifiziert, seinen Konzern zu übernehmen. Dennoch aber wollte er die letzte Entscheidung von einer Anhörung im familiären Rahmen abhängig machen, wer von ihnen die erforderliche Güte und Würde besaß, in seine großen Fußstapfen zu treten.

Es waren seine Berater, namentlich Jakob Esther, die ihn immer wieder darauf hinwiesen, dass er die Zukunft von Mondial nicht dem Zufall überlassen dürfe, sondern noch zu seinen aktiven Zeiten Vorkehrungen zur Übergabe in jüngere Hände treffen müsse. Nur der Verweis auf das zunehmende Alter ermutigte einige Mitarbeiter, dieses Argument in Besprechungen und Konferenzen zur Sprache zu bringen.

So entwickelte er für sich eine Strategie, die er mit niemandem zuvor abgestimmt hatte. Er suchte nach einer Methode zur Ermittlung der Wertschätzung seiner Person und seiner Arbeit. Dabei kam es ihm gar nicht in den Sinn, dass diese Vorgehensweise möglicherweise Ausdruck einer Eitelkeit und Selbstverliebtheit sein könnte. Er glaubte vielmehr, dass ihm die Beantwortung der Frage eindringlich demonstriere, wer willens und fähig sei, das Unternehmen in der Weise fortzuführen, wie er es übernommen und über viele Jahre weitergeführt habe.

MATTHIAS, FAMILIE VON TRAUNFELS, TÖCHTER UND EHEGATTEN, GEFOLGE

Der 23. September nahte. Matthias traf zwei Tage vor dem Stichtag in Italien ein. Er gestand seinem Begleiter Jakob Esther, den er gewöhnlich als seinen Adlatus bezeichnete, dass er mit einiger Anspannung dem entscheidenden Termin entgegenblickte. Natürlich lag es auf der Hand, wie die Unternehmensteilung aussehen würde. Die Drittelung seines Imperiums entsprach zwar der Struktur der Firma. Doch wollte er unbedingt den formellen Akt einer Aufteilung unter den Töchtern vollziehen. Als engagierter Katholik ließ er sich dabei von religiösen Vorgaben leiten, wo ein Sakrament erst im Vollzug einer symbolischen Handlung Bedeutung und Wirksamkeit erlangte. So sollten die Töchter ihm gegenüber noch einmal hochoffiziell erklären, ob sie ihn liebten, den Firmenbesitz gewissenhaft zu führen gedachten und in Treue zu den alten Vorgaben des Firmengründers das Erbe der Familie achten und ehren wollten. Es sollte auch an ein feierliches Gelöbnis erinnern, das er noch aus seiner Zeit als Soldat der Bayerischen Armee kannte. Matthias bereitete das Treffen anlässlich seines Geburtstags mit Präzision und Engagement vor, denn er wollte nichts dem Zufall überlassen. Zu diesem Zweck hatte er Jakob Esther, die Ehepartner seiner älteren Töchter sowie die beiden mit Cordelia befreundeten Gereon Weitmar aus Zürich sowie Maurice Lafontaine aus St. Moritz im Schweizer Engadin eingeladen. Um den Vorgang festzuhalten, sollte ein Notar, der eigens aus München angefordert wurde, hinzukommen und sowohl den Verlauf der Befragung wie auch die finale Entscheidung protokollieren.

In der Villa Caprese befanden sich schon Vater und Sohn Weißenburg, zwei Personen, die sich um den Innen- und Außenbereich des Hauses kümmerten. Nach der Überfahrt von Neapel ließ sich Matthias mit dem Taxi zu seinem Anwesen chauffieren, um mit Freude festzustellen, dass der Vorgarten einen äußerst gepflegten Eindruck hinterließ und sich trotz der Dürre des Sommers mit blühenden Bougainvillea, Lavendel, Oleander zeigte. Beide Statthalter, Vater und Sohn, begrüßten ihren Herrn sowie seinen ständigen Begleiter Jakob mit großer Freude und geleiteten sie in die untere Etage, wo sich die Schlafzimmer befanden.

Friedrich und Edgar Weißenburg stammten aus dem bayerischen Starnberg und hatten viele Jahre in der Firma Mondial in Deutschland gearbeitet, als ihnen das Angebot gemacht wurde, statt der Beschäftigung in der Montagehalle in München auf der Insel Capri zu arbeiten. Friedrich hatte das Schlosserhandwerk gelernt und war für den technischen Ablauf des Hauses zuständig, Edgar trug bei Mondial für den Außenbereich Verantwortung. Nach einiger Überlegung und Rücksprache mit der Familie entschlossen sie sich, das Angebot anzunehmen und ihren Lebensmittelpunkt nach Capri zu verlegen. Der zweite Sohn der Familie Weißenburg, Edmund, war später nach Italien nachgereist, aber zuvor nicht gefragt worden, ob auch er Interesse am sonnigen Süden hätte. Auch er besaß dieselbe Ausbildung wie sein Bruder Edgar, war im Vergleich zu ihm allerdings immer im zweiten Glied. Ihm war es immer ein Bedürfnis gewesen, das zu machen, was seinem Bruder erlaubt war, ihm offenkundig aber nicht vergönnt zu sein schien.

Jakob kannte Friedrich und Edgar Weißenburg natürlich seit langem. Nach seiner Ankunft in Capri tauschten sie sich aus über den Flug, die Überfahrt sowie die wundervolle Atmosphäre der beschaulichen Insel. Jakob berichtete, dass er gerne einmal die Blaue Grotte sehen wollte, die ihm bisher nur vom Hörensagen bekannt sei. Dem stehe augenblicklich nichts entgegen, bemerkte Friedrich, da der Wind in diesen Tagen ganz schwach und das Meer ausgesprochen ruhig sei. Wenn sie interessiert seien, könnten sie ja eventuell am Donnerstag einen Termin für den Besuch der berühmten Grotta Azzurra finden.

„Warten wir es ab“, entschied Friedrich Weißenburg, der sich an Matthias Traunfels wandte und ihm erklärte, dass für den wichtigen Vorabend und das große Fest am Sonntag alles vorbereitet worden sei. „All unsere Gäste schlafen entweder hier oder im benachbarten Hotel Faraglioni. Wir haben das Catering für 18.00 Uhr bestellt. Dr. Grewing von der Anwaltskanzlei Freising und Partner aus München wird am Freitag hier eintreffen.“

„Ich danke Ihnen allen, meine Herren“, entgegnete Matthias. „Vorerst werde ich mich ein wenig zurückziehen und erwarte dann das Abendessen gegen 18.00 Uhr.“

„Das ist natürlich kein Problem, Herr von Traunfels“, bemerkte Edgar Weißenburg beflissen, „wir haben uns um alles gekümmert. Im Haus wird gekocht, die Hausdame Signora Graciella aus dem Faraglioni wird jeden Augenblick hier eintreffen.“

„Um das Essen und die Bewirtung kümmert sich Herr Esther“, bemerkte Matthias. „Ich erinnere daran, dass wir Weine aus der Region kredenzen, das heißt, ich erwarte ausreichenden Wein der Sorte Fiano de Avellino, Capri Bianco sowie Aglianico und Taurasi. Man möge dem Umstand Rechnung tragen, dass wir uns in Italien und nicht im Rheingau befinden.“

„An gutem Wein soll kein Mangel sein, Herr von Traunfels“, erwiderte Weißenburg. „Sie können sich auf uns verlassen.“

Beruhigt ging Matthias auf sein Zimmer, um sich von den Strapazen der Reise zu erholen.

Zwischenzeitlich herrschte große Hektik im gesamten Anwesen, denn neben dem örtlichen Partyservice kamen Floristen, Dekorateure, Handwerker und Sicherheitsbeamte ins Haus, um dafür Sorge zu tragen, dass für die Feier am Wochenende alles ordentlich vorbereitet war und nichts Hinderliches entgegenstand.

Am Freitag trafen die Gäste aus Deutschland und der Schweiz ein: Goneril und Victor Kutschera vom Tegernsee, Reinhild und Felix Goronzy aus Düsseldorf und Cordelia aus St. Moritz. Cordelia war nicht verheiratet, aber umgeben von zwei jungen Männern, die um ihre Sympathie buhlten. Maurice Lafontaine war von Beruf Hochschullehrer für International Affairs an der Universität St. Gallen. Er hatte Cordelia anlässlich einer Party im benachbarten Zürich kennengelernt. Auch Gereon Weitmar lebte in Zürich. Auf seiner Visitenkarte wies er sich als Investment-Banker mit zahlreichen akademischen Titeln aus, wie es in den angelsächsischen Ländern oftmals üblich war.

Matthias hatte verfügt, dass seine jüngste Tochter wie auch deren Freunde im Faraglioni übernachten sollten, Goneril und Reinhild würden mit ihren Ehemännern in der Villa Caprese logieren.

Die Freude war groß, als Matthias am Abend feststellen konnte, dass alle seine geladenen Gäste die Insel ohne Schwierigkeiten erreicht hatten. Auf der Terrasse des Hauses mit Blick auf das stahlblaue Meer standen die Gäste zusammen und begrüßten den wunderschönen Spätsommerabend mit einem Glas Champagner. Der Vater ließ es sich nicht nehmen, eine kleine Ansprache zur Begrüßung zu halten und seiner Freude darüber Ausdruck zu verleihen, dass so viele geladene Gäste seiner Einladung gefolgt waren. Er suchte kurz das Gespräch mit seinem Münchener Anwalt, den er zu einem Vorgespräch am nächsten Tag gegen 15.00 Uhr bat. Er teilte ihm mit, dass er sich nun jedoch zurückziehen wollte, und wünschte allen Anwesenden einen angenehmen Abend.

Der große Tag nahte, und die geladenen Gäste nahmen am Morgen nach dem Frühstück noch einmal die Gelegenheit wahr, sich auf der Terrasse des Hauses oder in den angrenzenden Gärten zu amüsieren und zu scherzen, denn der anstehende Abend versetzte sie alle in eine Spannung, die sie eigentlich gar nicht ernst nehmen wollten. Es schien doch klar zu sein, dass die Teilung des Imperiums nach arithmetischen Grundsätzen zu je einem Drittel unter den drei Töchtern vollzogen werden würde. Andererseits hinterließ der große Aufwand für die erwartete Aktion ein gewisses Unbehagen bei allen Beteiligten, denn man fragte sich schon, warum der alte Herr so förmlich und geheimnisvoll verfuhr, wo doch die zu vollziehenden Entscheidungen auf dem Tisch lagen. Es war auch bekannt, dass ein Notar aus der Anwaltskanzlei Freising und Partner aus München anwesend war, der der gesamten Aktion natürlich einen hochnotpeinlichen Charakter verlieh.

Zum vereinbarten Zeitpunkt fand sich Dr. Grewing mit den nötigen Unterlagen in der Villa Caprese ein. Traunfels begrüßte ihn am repräsentativen Eingangsportal des Hauses und führte ihn in sein Büro im Untergeschoss mit einem phantastischen Blick über das Meer.

Es war nicht so, dass dieser Schritt ohne eine Vorgeschichte zustande gekommen war, denn Freising und Partner, die Münchener Kanzlei, betreute Mondial schon seit vielen Jahren. Sie hatten zahlreiche Firmenentscheidungen juristisch begleitet und den Inhaber gelegentlich auch vor Fehlentscheidungen gewarnt. So hatte Letzterer die Firmenübergabe eigentlich auch mit einem kühnen Federstrich vollziehen und seine Entscheidung unmittelbar nach seinem 80. Geburtstag bekanntgeben wollen. Der Patriarch war nun beraten worden, die Nachfolgeregelung nicht isoliert und rein intuitiv zu treffen, stattdessen zumindest einen offiziellen Anhörungstermin anzusetzen, um dann das Ergebnis seiner Überlegungen bekanntzugeben. Natürlich könne man leicht ausrechnen, wie die Entscheidung ausfallen werde, doch zur Wahrung des Familienfriedens sei es höchst ratsam, die Nachfolgeregelung so transparent wie eben denkbar zu treffen. Streit innerhalb eines Familienunternehmens könne im schlimmsten Fall zur Gefährdung des gesamten Konzerns führen und die gesamte Familienkultur und unternehmerische Initiative zunichtemachen. Schweren Herzens hatte Matthias sich auf diese Einlassungen eingelassen und konzediert, dass eine überschaubare Öffentlichkeit hergestellt werden könne.

Für die Unterredung mit Grewing waren Kaffee und Gebäck bereits vorbereitet, und der alte Herr eröffnete das Gespräch: „Sie registrieren bitte nach Ankunft der Familienmitglieder die Namen der Anwesenden wie auch die Sitzordnung. Ich werde nur mit meinen Töchtern sprechen und sie um eine Antwort bitten. Jegliche Kommentare der anwesenden Herren verbitte ich mir von vornherein. Sollte sich wider Erwarten jemand von ihnen in das Gespräch einmischen, protokollieren Sie das bitte.“

„Gibt es eine bestimmte Sitzordnung?“, wollte Grewing wissen.

„Ja“, antwortete Traunfels sofort. „Wir werden im Konferenzzimmer um den rechteckigen Tisch sitzen, Sie, meine Töchter und ich. Ich selbst werde vor Kopf Platz nehmen, Goneril und Reinhild sitzen zu meiner Rechten, Cordelia und Sie sitzen auf der linken Seite. Die Schwiegersöhne und Freunde Cordelias sitzen hinter den Töchtern, nicht jedoch am Tisch. Als einziges Nicht-Familienmitglied wird Herr Jakob Esther in der zweiten Reihe seinen Platz haben.

Nach dem Empfang auf der Terrasse will ich die Beteiligten in das Konferenzzimmer bitten, wo wir in der beschriebenen Weise Platz nehmen werden. Ich begrüße noch einmal offiziell zur Familienkonferenz und richte dann mein Wort an die Töchter – und zwar in der Reihenfolge des Alters: Goneril zuerst, dann Reinhild und schließlich Cordelia.“

Matthias sprach noch einmal in der gewohnten Manier als Firmenchef. Er wirkte ein wenig angespannt und wandte sich mit einem kurzen Blick an den Notar: „Gibt es von Ihrer Seite noch Fragen?“

Grewing verneinte und erklärte, er habe verstanden und meinte, es sei alles abgesprochen und geklärt.

„Dann danke ich Ihnen vielmals und erwarte Sie wieder um 18.00 Uhr zum Empfang.“

Soweit sie nicht ebendort logierten, trafen die Gäste wenige Minuten vor 18.00 Uhr in der Villa Caprese ein. Goneril trug ein rotes Kleid und hatte ihre langen Haare zu einer Hochsteckfrisur geordnet. Reinhild hatte sich einen weißen Rock und eine rote Bluse angezogen, wohlwissend, dass sie ihrem Vater damit gefallen würde. Sie trug ihre blonden Haare sehr kurz, hatte aber eine Rose in das Haar geflochten, die farblich mit der Bluse abgestimmt war. Ihre Ehemänner waren mit hellen Anzügen gekleidet, trugen ihre schwarzen Hemden offen und hatten bei den angenehmen Temperaturen auf ihre Krawatten verzichtet. Zuletzt traf Cordelia mit ihren beiden Verehrern ein. Sie hatte sich recht bescheiden gekleidet, trug einen beigefarbenen Rock und dazu eine weiße Bluse. Ihre Haare trug sie wie meistens mit einem Knoten zu einem Pferdeschwanz gebunden.