Verraten und Verkauft. Lug und Betrug - Peter Kleine - E-Book

Verraten und Verkauft. Lug und Betrug E-Book

Peter Kleine

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Beschreibung

Robert Cohen ist ein erfolgreicher Geschäftsmann und führt mit seiner Familie ein sorgloses Leben im Überfluss. Als sein einstiger Jugendfreund Paul Austère nach Jahrzehnten der Funkstille um ein Wiedersehen bittet, ahnt niemand, dass der Familienfrieden schon bald ein jähes Ende finden wird. Denn als Robert bemerkt, wie blendend sich seine Ehefrau Pamela mit Paul versteht, entbrennt in ihm eine rasende Eifersucht, die sich zunehmend steigert und in einer verheerenden Mischung aus Paranoia und Tyrannei gipfelt. Als Pamela dann auch noch offenbart, dass sie ein Kind erwartet, verfällt Robert endgültig der Wahnvorstellung, das Opfer einer Intrige zu sein. Von nun an ruht die zerstörerische Macht der Eifersucht über den Eheleuten und zieht sie hinab in einen Strudel aus Melancholie, Tod und Verfall. Wird die zerrüttete Familie je wieder zusammenfinden? Bei diesem Roman handelt sich um eine Adaption von Shakespeares Wintermärchen, welche die Handlung und Charaktere des Originals aufgreift und ins England des 21. Jahrhunderts transportiert.

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Die Abbildungen sind der Zauberwelt der Kulissen des Theatermuseums in Meiningen entnommen. Sie wurden angefertigt im Atelier für Bühnenbilder der Gebrüder Max und Gotthold Brückner aus Coburg für die Aufführungen ab 1878. Hierbei handelte es sich um eine Reihe großformatiger Prospekte, von denen heute noch acht Bilder erhalten sind.

PERSONENREGISTER

Leontes

Robert Cohen, CEO for Cancer Research of the NHS

Mamillius

sein Sohn Marius Cohen

Hermione

Pamela Cohen, Ehefrau

Perdita

Jacinda, Tochter von Robert und Pamela

Camillo

Alexander Casa, Bediensteter im Hause Cohen, später mit Paulina verheiratet

Antigonus

Antony Perrar, Vertrauter von Robert und Bediensteter im Hause Cohen

Polixines

Paul Austère, Neuseeland

Florizel

Gregory Austère, sein Sohn

Old Shepherd

Hoani (Sean), Schäfer in Milford, Jacindas Pflegevater

Paulina

Paulina Perrar, Frau von Antony, später verheiratet mit Alexander Casa

Hermione:

Erzähl ein Märchen, komm …

Mamillius:

Zum Winter passt ein trauriges am besten; ich weiß da eins von Kobolden und Geistern.

Hermione:

Hörn wir das, mein Herr.

(William Shakespeare, Das Wintermärchen, 2. Akt, 1. Szene, 22–26, Übersetzung Frank Günther)

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Teil I

Teil II

Teil III

Teil IV

Teil V

Teil VI

Teil VII

Teil VIII

Teil IX

Teil X

Teil XI

Teil XII

Teil XIII

Teil XIV

Teil XV

Teil XVI

Teil XVII

Teil XVIII

Teil XIX

Teil XX

Teil XXI

Teil XXII

Teil XXIII

Teil XXIV

Epilog

PROLOG

„Verschwörungstheoretiker erzählen Geschichte immer vom Ende her. Sie fragen, wem ein Ereignis oder eine Entwicklung nützt, und identifizieren so diejenigen, die dafür verantwortlich sein müssen. Sie glauben an ein mechanistisches Weltbild, in dem kein Platz für Zufall, ungewollte Konsequenzen oder systemische Effekte ist. Beobachtbare Ereignisse sind für sie die Auswirkungen intentionaler Handlungen und ermöglichen es, auf die Motive der Akteure zu schließen.“

(Michael Bauer, Nichts ist, wie es scheint, Edition Suhrkamp Berlin, 2018, S. 59)

Mit diesen Worten geht der Tübinger Literatur- und Kulturhistoriker der Frage nach Argumentationsstrukturen und -strategien derjenigen nach, für die das Weltgeschehen sich auf dunkle, geheimnisvolle Mächte reduziert, die sich gegen offizielle Erklärungen anerkannter Autoritäten zur Wehr setzen. Für sie vollzieht sich der Ablauf der Geschichte oder einzelner Ereignisse vor dem Hintergrund geheimer Gründe und Absichten, die im Vollzug von den Handelnden oder mächtigen Institutionen verheimlicht werden.

Wenn etwa den Verantwortlichen der Gesellschaft unterstellt wird, eine Weltregierung anzustreben, ohne dies aber der Öffentlichkeit mitzuteilen, wird ihnen eine Vernebelungsstrategie, eine Irreführung der Menschheit unterstellt, hinter der sie ihre wahren Ziele zu kaschieren versuchen. Wenn die Steuerung auftretender Krisen von den zuständigen Instanzen nicht anerkannt wird als Mittel zur Behebung und Lösung der drängenden Probleme, diese vielmehr als Vertreter einer Verschwörung angesehen werden, sehen Verschwörungstheoretiker ihre Zeit gekommen. Ihren Gegnern unterstellen sie, endlich das durchsetzen zu wollen, was sie schon immer durchsetzen wollten. Sie werden betrachtet als Manipulatoren, die ihre Zeit nun gekommen sehen, ihre wahren Ziele mit Nachdruck zu verfolgen. Mit blindwütigem Eifer gehen sie ihre Gegner an und entwickeln eine feindselige Haltung all denen gegenüber, die sie als Verschwörer ins Visier genommen haben. Verschwörungen können sich auf hoher politischer Ebene, im gesellschaftlichen Rahmen, auf der Ebene von Wirtschaft und Religion abspielen. Verschwörungen können aber auch privater Natur sein, wenn innerhalb fester Bezugskreise wie Familien oder Freunden das Misstrauen so weit gediehen ist, dass verbalen Erklärungen und Beteuerungen Einzelner nicht mehr geglaubt wird, da man der Meinung ist, dass Lüge, Verrat und Betrug die entscheidenden Motive des Handelns sind. Verschwörern wird systematisch Unwahrheit, Betrug und Verschleierung unterstellt. Nichts ist wirklich, wie es scheint.

Michael Butter bemerkt dazu:

„Es ist kein Zufall, dass Konspirationisten den vermeintlichen Verschwörern häufig eine überbordende oder ‚abnormale‘ Sexualität unterstellen oder dergleichen als Zeichen für Subversion interpretieren. … Was man sich selbst nicht traut oder an sich selbst nicht wahrhaben will, wird den Verschwörern zugeschrieben … Deshalb ist nicht nur der ‚Antikatholizismus schon immer die Pornografie des Puritaners gewesen‘ …, auch der Antisemitismus und Verschwörungstheorien über Illuminaten [Geheimgesellschaft, A. d. V.], Kommunisten und die Neue Weltordnung haben für ihre Anhänger immer auch dieselbe Funktion erfüllt.“

(Michael Butter, Nichts ist, wie es scheint, S. 100)

„Nicht erst in jüngster Zeit, sondern bereits in der Antike und im Mittelalter wurde insbesondere in Italien und Frankreich eifrig am System von Intrigen und Unterstellungen gearbeitet. Bereits vor der Großen Pest 1343 tauchten bösartige Verschwörungstheorien überall auf. In Aquitanien etwa beschuldigte man Aussätzige, im Auftrag der Juden die Brunnen und Quellen der Christen vergiftet zu haben. Aufgrund der Aussage eines Leprösen glaubte man sogar über die Zusammensetzung des Gifts informiert zu sein. Menschenblut, Urin, das Pulver entweihter Hostien und geheimnisvolle Zauberkräuter galten als Bestandteile. Der Aussätzige gab zu Protokoll, ein reicher Jude habe ihm das Gift übergeben und für sein Verbrechen Geld bezahlt. Höhere Summen seien in Aussicht gestellt worden, falls weitere Aussätzige für Mordanschläge gewonnen werden konnten.“

(Klaus Bergdolt, Die Pest: Geschichte des Schwarzen Todes, Beck-Verlag München, 2006, S. 68)

Die vorliegende Erzählung über zwei Familien, deren Väter einst eng miteinander befreundet waren, liegt im Rahmen dieser Verschwörungstheorien. Zwei entscheidende Personen sehen sich plötzlich als Opfer von Intrigen und Verrat, die sie dazu veranlassen, ihre zurückhaltenden Positionen schnell zu verlassen und sich in eine Haltung hineinzusteigern, die sie blind macht für jegliche Korrektur.

Sie entwickeln einen Rausch und eine rasende Grundposition, die sie temporär außerhalb aller externen Sichtweisen zu einer Art Amoklauf veranlassen. Was sie unterschwellig schon immer als latente Haltung besaßen, wird durch einen äußeren Anlass entfaltet und entwickelt eine Eigendynamik, die durch nichts und niemanden mehr zu kontrollieren ist. Für die Protagonisten der Erzählung gilt, was Michael Butter über die Geschichten der Verschwörungstheorien ausführt:

„Sie handeln vom Kampf zwischen Gut und Böse, vom Konflikt zwischen im Geheimen agierenden Übeltätern, die die ahnungslose Masse manipulieren, und den wenigen, die dem Komplott auf die Schliche gekommen sind und nun alles tun, um die Verschwörung zu vereiteln.“

(Michael Butter, Nichts ist, wie es scheint, S. 57)

Opfer von Verschwörungen laufen auf zu Egomanen, die jegliche Kontrolle über sich verloren haben und in ihrem Wahn blind geworden sind. Michael Butter vertritt die Auffassung, dass ein Feindbild die Verschwörung um einiges attraktiver macht. Er zitiert die amerikanischen Wissenschaftler Nancy Rosenblum und Russell Muirhead, die ihre Studie A lot of people are saying … nannten und dabei auf die Technik des amerikanischen Präsidenten Trump als „conspiracy without theory“ verwiesen.

Das heißt, dass Verschwörungen auch ohne Theorien konstruiert werden können. Es bedarf in diesen Fällen nur einer klaren Behauptung, Herleitungen oder Belege sind vollkommen entbehrlich (vgl. „Vorsicht, Verschwörung“, Interview mit Michael Butter, in: Die Zeit: Geschichte, 3/2020, S. 115).

Auch für die beiden Protagonisten Robert und Paul ist es ein Leichtes anzunehmen, dass eine perfide Gruppe nicht immer benannter Personen hinter der beobachteten Fehlentwicklung steckt. Sie finden unabhängig voneinander einen Sündenbock, eine feindliche Projektion, die sie verantwortlich machen, sie selbst aber entlastet und freispricht. Es liegt eine klare Rollenverteilung vor, die angeklagte Personengruppe kann attackiert und besiegt werden.

Robert Cohen alias Leontes und Paul Austère alias Polixines handeln aus derselben Grundhaltung heraus. Ohne jegliche Legitimation oder gesicherte Beweislage entwickeln sie ein Feindbild, das im Rahmen eines zugespitzten Lagerdenkens operiert und ein ungeheures Aggressionspotential in sich birgt.

Die Handlung bei Shakespeare wie in der vorliegenden Bearbeitung weist eine bittere Ironie auf: Der Aggressor der Handlung macht denjenigen zum Opfer und Verschwörer, der nachher umgekehrt als Täter auftritt und alle anderen der Verschwörung gegen ihn und sein System bezichtigt.

Somit wird klar, dass Verschwörungen nicht nur abhängig sind von einem bestimmten Personenkreis und dessen Charakterzügen, sondern auch von der Konstellation der Umstände, von Sachzwängen und vom personellen Umfeld.

So können für die beiden Hauptpersonen erst nach Abklingen der auslösenden Umstände und entsprechenden zeitlichen Schamfrist wieder solche Voraussetzungen eintreten, die sie zu reflektierender Gelassenheit und einer revidierten Sichtweise führen. Blindwütigkeit verliert ihre Bedrohlichkeit, wenn die Anlasse entfallen, Missverständnisse beseitigt und neue, erhellende Umstände eingetreten sind.

Leontes (Robert), der König von Sizilien, verfügte über ein repräsentatives Zimmer mit prachtvollem Blick auf die Küste.

Camillo:

Der König von Sizilien kann dem

von Böhmen gar nicht überherzlich

begegnen.

(Das Wintermärchen, 1. Akt, 1. Szene, 20)

„Pamela, ich mag es nicht glauben. Mir fehlen die Worte, aber Paul Austère hat angekündigt, dass er uns gerne in der kommenden Woche für einige Tage besuchen möchte. Paul Austère, kannst du dir das vorstellen? Paul, mein alter Freund aus Kinderzeiten. Ich kann es gar nicht fassen.“

„Ja, mein Lieber, kannst du dir das denn nicht vorstellen? Du hast mir doch immer erzählt, ihr hättet euch so blendend vertragen, bis schließlich die Geschichte mit der Goldmünze aufgetaucht sei. Damit sei fast alles zu Ende gewesen.“

Paul wunderte sich über so viel Erinnerungsvermögen seiner Frau, denn er hatte in den vergangenen Jahren immer wieder von Paul erzählt, die unselige Geschichte mit der Münze aber nur einmal beiläufig zur Sprache gebracht. Es war in Cambridge während ihrer gemeinsamen Studienjahre gewesen. Robert hatte aus seinem Elternhaus seinerzeit einige Münzen geerbt, die er normalerweise zu Hause in seinem Schreibtisch aufbewahrte. Eine der Münzen wies das Abbild der griechischen Göttin Aphrodite auf. Diese Sammlung mehr oder weniger wertvoller Münzen hatte er einmal seinem Freund Paul gezeigt, der darum gebeten hatte, sie für ein paar Tage behalten zu können. Als die Münzen nach etwa zwei Wochen noch nicht zurückgegeben worden waren, fragte Robert nach und bat Paul um Rückgabe. Am nächsten Tag kamen die Münzen schon zurück – mit einer Ausnahme: Es fehlte die nackte schöne Aphrodite, die – mit Vorder- und Rückansicht auf beiden Seiten zu sehen – zweifelsohne der attraktivste Teil der Sammlung war. Sofort registrierte Robert den Verlust und monierte diesen gegenüber Paul.

„Du weißt, dass Vivien Kunst studiert und sich auch für deine Sammlung interessiert hat. Sie bat darum, Aphrodite noch ein wenig länger behalten zu können, da es sich um eine künstlerisch sehr wertvolle Darstellung handelt.“

„Mein Lieber“, konterte Robert sogleich, „ich habe die Sammlung dir und nicht deiner Vivien geliehen. Versteh das bitte! Morgen möchte ich die fehlende Münze wiederhaben.“

Paul geriet sichtbar unter Druck und erklärte, Vivien sei im Moment nicht da, aber in der kommenden Woche werde er alles klären. Robert wurde recht ungehalten und sagte mit scharfem Ton: „Ich erwarte von dir zum einen, dass du nicht weitergibst, was mir gehört. Zudem hast du mir gar nicht mitgeteilt, dass deine Freundin sich für die nackte Frau auf meiner Münze interessiert. Wenn die Münze nächste Woche nicht zurück ist, ist es mit unserer Freundschaft aus.“ Da Paul wusste, dass mit Robert in manchen Fragen schlecht Kirschenessen war, setzte er alle Hebel in Bewegung und übergab die fehlende Münze zwei Tage später an Robert. Das war nun 17 Jahre her.

Nun aber hatte Paul sich angesagt für einen mehrtägigen Besuch in Chorleywood, dem Wohnsitz der Familie Cohen. Er sei für einige Tage offiziell in London, wolle dann aber noch ein wenig entspannen und – wenn es recht sei – bei Robert und seiner Frau privat logieren. Seit mehr als acht Jahren sei er nicht mehr in England, dem Land seiner Kindheit, gewesen. Robert habe er seit seinem Umzug nach Neuseeland, d. h. seit mehr als 15 Jahren, nicht mehr gesehen.

Robert freute sich und erzählte Pamela von ihren Kindheitserlebnissen und ihrer gemeinsamen Schulzeit. Sie hatten immer in der Schule zusammengesessen, waren bei Klassenfahrten unzertrennlich gewesen und beide zum Jurastudium nach Cambridge gegangen. Nach dem Examen hatte es Paul aber schnell nach Wellington/Neuseeland gezogen, da seine Eltern schon Jahre zuvor Großbritannien verlassen hatten, um auf der anderen Erdhälfte ihr Glück zu versuchen.

Paul wollte heute natürlich erst in London seine Aufgabe erfüllen, wurde vom Staatssekretär für Commonwealth-Angelegenheiten und von mehreren hochrangigen Wirtschaftsführern empfangen. Der offizielle Aufenthalt in der Hauptstadt war für eine Woche vorgesehen. Darnach wollte er sich einige freie Tage in der alten Heimat gönnen.

Nach Abschluss der Verhandlungen traf er am Freitagabend in Chorleywood ein und wurde von Pamela, der Frau seines Freundes, herzlich begrüßt. Man wies ihm ein sehr geräumiges Zimmer in dem ansehnlichen Anwesen zu und bat ihn darum, sich zum Abendessen – casually dressed – einzufinden. Pamela hatte alles vorbereitet und freute sich, ihren Gast im Haus begrüßen zu können. Die Freude war auch auf Pauls Seite, denn er staunte nicht schlecht zu sehen, welche attraktive und charmante Frau Robert geheiratet hatte. In Schulzeiten war er nicht immer so erfolgreich gewesen, denn viele seiner Versuche, sich attraktiven Mitschülerinnen zu nähern, hatten oftmals peinlich gewirkt, wenn er sich mit großem Imponiergehabe als Alleskönner und Seelentröster aufgespielt hatte. Mit Pamela hatte er offenkundig eine Frau erobert, die über einen ungewöhnlichen Liebreiz und ein betörendes Lächeln verfügte.

„Paul, nimm doch Platz“, begann Pamela. „Wir sind heute Abend zu viert. Denn wir haben unseren Sohn Marius gebeten, uns Gesellschaft zu leisten. Ansonsten freue ich mich riesig, dich einmal persönlich kennenzulernen, nachdem Robert immer wieder von dir berichtet und von deiner ruhigen, bedächtigen Handlungsweise geschwärmt hat. Immer wieder wollten wir nach Neuseeland kommen, aber dann hat es uns doch eher zur Insel Wight und nach Südeuropa verschlagen.“ Paul bemerkte mit Freude, dass er von Pamelas Charme angetan war und sehr aufmerksam ihren Worten folgte. Er beobachtete ihre Gesichtszüge und fand in ihr ein leuchtendes Beispiel dafür, dass wahre Schönheit von innen kommt.

Robert hatte seinem Freund gegenüber Platz genommen und lenkte das Gespräch auf die letzten politischen Fragen, erkundigte sich nach der Begegnung mit den Staatssekretären und den Gesprächen über die Zusammenlegung der Teilministerien zu einem Superministerium der Grundstoffindustrie in Neuseeland. Paul erklärte, die Gespräche in London seien sehr erfreulich verlaufen, so dass er bei seiner Rückkehr nach Neuseeland seinen Vorstandskollegen wie auch den Medienvertretern von dem Entgegenkommen der britischen Seite berichten könne.

„Im Vertrauen gesagt, habe ich dann sogar Aussichten, das neue Ministerium zu übernehmen“, schloss Paul seinen Bericht. Aus verschiedenen Gründen konnte sich Robert dieser positiven Einschätzung anschließen, erfüllte es ihn doch mit Freude und Genugtuung, dass der Besuch seines Jugendfreunds so erfolgreich war. Er wusste noch aus vergangenen Tagen, dass Paul ausgesprochen ehrgeizig war und sich weder in der Schule noch der Hochschule gescheut hatte, seine Freizeit dem Ziel eines Erfolges unterzuordnen. Es war nicht so, dass er sich den Lehrern angebiedert hatte, aber er hatte sehr wohl gewusst, was sie erwarteten und was einer schulischen Karriere dienlich war. Dementsprechend hatte Paul auch als Jahrgangsbester seine Abschlussprüfungen absolviert.

Der Weg zum beruflichen Aufstieg schien vorbereitet zu sein. Robert hatte den Eindruck, dass die alten Gemeinsamkeiten aus Kindheit und früher Jugend bis auf den heutigen Tag Früchte trugen. Pamela schaltete sich in das Gespräch ein und erkundigte sich nach den Lebensverhältnissen in Neuseeland, stellte Fragen nach Pauls Familie und seinen persönlichen Interessen. Dabei zeigte sie sich ihm gegenüber aufgeschlossen und empathisch, was der Gast als äußerst schmeichelhaft empfand. Robert fragte ihn im Laufe der Unterredung, ob er nicht noch ein paar Tage anhängen könne, um einmal mit ihm einen Ausflug nach Wales zu machen, wo sie doch vor vielen Jahren gemeinsam Mount Snowdon erklommen hätten. Zwar höflich, aber entschieden verwies Paul auf seine Verpflichtungen zu Hause und erklärte, dringend zurückfliegen zu müssen, um nach der kurzen Auszeit die Geschäfte wieder übernehmen zu können.

Nach der Einnahme der Abendmahlzeit gingen alle vier zu Bett und verbrachten eine ruhige Nacht.

Hermione:

Wenn du uns suchst,

so triffst du uns im Garten.

(Das Wintermärchen, 1. Akt, 2. Szene, 178 f.)

Am nächsten Morgen verließ Robert früh das Haus, um den dienstlichen Aufgaben im National Health Service in London nachzukommen, erklärte Pamela aber, dass er hoffe, am frühen Nachmittag wieder zurück zu sein. Paul fand sich gegen 9.00 Uhr zum Frühstück ein und war entzückt, mit Pamela allein die Zeit bei Tee, Bacon und Eggs verbringen zu können. Sie erzählte von Roberts großem Engagement im britischen Gesundheitswesen, das er als Justitiar auf Vordermann bringen wolle. Sie selbst sei früher dort auch beschäftigt gewesen, habe aber nach der Geburt von Marius ihre Berufstätigkeit unterbrochen. Sie erkundigte sich bei Paul nach seinen beruflichen Aufgaben in Neuseeland und war besonders interessiert an seinem Engagement im Agrarbereich innerhalb der Commonwealth-Staaten. Paul wunderte sich über ihren Sachverstand, der durch ihre gezielten und intelligenten Fragen in der Sache erkennbar wurde. Besonders aber faszinierte ihn immer wieder das betörende Lächeln der Frau, die er bislang nur vom Hörensagen, persönlich erst seit dem Vortag kannte. Pamela ließ ihn wissen, dass sie ein zweites Kind wünsche und hoffe, dass es bald so weit sei. Als sie ihn fragte, wann er denn wieder abreisen wolle, erklärte er, dass er am Wochenende den Flieger von London Heathrow nehmen müsse. Mit Interesse und Sympathie nahm er zur Kenntnis, dass sein Gegenüber ihr Bedauern über den kurzen Aufenthalt bekundete. Pamela erklärte, man könne doch Ausflüge nach Cambridge oder Bury St. Edmunds machen. Cambridge oder Bury St. Edmunds? Die Vorstellung dieser beiden Orte saß, sie traf einen Nerv bei Paul.

Cambridge – mit diesem Namen verbanden sich für ihn ausgesprochen positive Erinnerungen. So hatte er dort studiert und seine berufliche Karriere vorbereitet. Cambridge, das war nicht einfach eine Stadt mit einer Universität. Jedermann in England und in anderen Ländern wusste, welche Bedeutung den Colleges dieser Stadt zukam. Gerne wäre er auch nach Oxford gegangen, doch hatte man ihn dort leider nicht sofort aufgenommen, so dass ihm stattdessen Cambridge verblieben war. Es war ihm aber klar, dass die beiden Universitätsstädte weltweit eine herausragende Bedeutung besaßen, so dass ihm ein Besuch in der Stadt an dem kleinen Flüsschen Cam sehr attraktiv erschien.

Bury St. Edmunds – auch dieser Ort klang für Paul wie eine Rückkehr zu jüngeren Tagen, da er dort oft als Kind gewesen war. Seine Großeltern hatten dort gewohnt. Die Erinnerungen an den Ort weckten Gefühle der Geborgenheit und Freude. Seit dem Tod der Großmutter sei er dort nicht mehr gewesen, ließ er Pamela wissen. „Na, also“, griff Pamela seine Gedanken auf, „schön wäre es doch, alte Kindheitserinnerungen dort auffrischen und die schönen mittelalterlichen Städte wieder besuchen zu können. Wir können doch übermorgen dort gemeinsam hinfahren, wenn Robert noch einmal in London ist.“ Paul spürte, wie er in eine Zwickmühle geriet, denn er hatte den Rückflug bereits gebucht. „Ich werde es mir noch einmal überlegen“, kam die Antwort. Und er überlegte tatsächlich. Sehr intensiv und engagiert. „Lass uns doch ein wenig vor die Tür gehen“, schlug Pamela vor. „Wir können doch einmal das Tiergehege in Dalton aufsuchen.“ – Nichts sprach dagegen, und so machten sich die beiden auf den Weg, um am Nachmittag zurück zu sein und Robert bei seiner Rückkehr zu begrüßen.