Am Hof des purpurnen Königs - Silvia Hildebrandt - E-Book

Am Hof des purpurnen Königs E-Book

Silvia Hildebrandt

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Beschreibung

Tauche ein in die gefühlvolle Geschichte des facettenreichen englischen Königs Richard II. und erlebe einen Mann, der im Strudel von Liebe und Macht unterzugehen droht. "Am Hof des purpurnen Königs" ist ein emotionaler historischer Roman über einen ungewöhnlichen Herrscher.

England 1377. Richard ist zehn Jahre alt, als er zum König gekrönt wird. Die Ränkespiele und Intrigen am Hof setzen dem Jungen zu, der als Kindermonarch in einer geradezu grotesken Wirklichkeit aufwächst. Sein einziger Vertrauter ist der Ritter Robert de Vere. Als Richard heranwächst, wird er mit gewaltigen Herausforderungen konfrontiert. Das Volk ist unzufrieden und probt den Aufstand. Richards Lords scheinen sich gegen ihn zu verschwören, um ihre eigene Macht zu sichern. Sie verhöhnen ihn als weibisch und schwach, weil er lieber Bücher liest, statt Kriege zu führen. Richard hingegen spürt, dass er mehr für Robert de Vere empfindet als nur Freundschaft. Seine Zuneigung zu seinem Ersten Ritter stürzt England schließlich in einen Bürgerkrieg …

Die deutsch-rumänische Historikern Silvia Hildebrandt hat mit "Am Hof des purpurnen Königs" einen einfühlsamen historischen Roman geschrieben, der gut recherchiert ist und tief unter die Haut geht. Sie beschreibt einen Mann, der an seiner angeborenen Aufgabe zu zerbrechen droht. Richard II. ist sprunghaft … er ist Förderer der Künste, flammender Liebhaber, aber auch grausamer Tyrann und mental labil.

Wandel mit diesem Roman auf den Spuren eines innerlich zerrissenen Königs, der als Getriebener die Geschicke Englands lenkt.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Silvia Hildebrandt

 

Am Hof des purpurnen Königs

Historischer Roman über Richard II., König von England

 

EK-2 Militär

 

Ihre Zufriedenheit ist unser Ziel!

 

Liebe Leser, liebe Leserinnen,

 

zunächst möchten wir uns herzlich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie dieses Buch erworben haben. Wir sind ein kleines Familienunternehmen aus Duisburg und freuen uns riesig über jeden einzelnen Verkauf!

 

Mit unserem Label EK-2 Militär möchten wir militärische und militärgeschichtliche Themen sichtbarer machen und Leserinnen und Leser begeistern.

 

Vor allem aber möchten wir, dass jedes unserer Bücher Ihnen ein einzigartiges und erfreuliches Leseerlebnis bietet. Daher liegt uns Ihre Meinung ganz besonders am Herzen!

 

Wir freuen uns über Ihr Feedback zu unserem Buch. Haben Sie Anmerkungen? Kritik? Bitte lassen Sie es uns wissen. Ihre Rückmeldung ist wertvoll für uns, damit wir in Zukunft noch bessere Bücher für Sie machen können.

 

Schreiben Sie uns: [email protected]

 

Nun wünschen wir Ihnen ein angenehmes Leseerlebnis!

 

Jill & Moni

von

EK-2 Publishing

Die Griechen belagerten Troja zehn Jahre lang.

Da verweigerte Achilles,

mit seinem Heerführer in Streit geraten,

jegliche Kampfhandlungen.

Sein Geliebter Patroklos,

besorgt um Achilles' Ehre,

flehte ihn an,

in die Schlacht zu ziehen.

Achilles hatte sich jedoch vom Krieg abgewandt.

Schließlich nahm Patroklos die Rüstung und das Schwert des Achilles

und kämpfte vor den Toren Trojas in Achilles' Namen.

Er wurde jedoch vom trojanischen Thronfolger Hektor niedergestreckt.

In tiefer Trauer um den Tod des Geliebten wurde Achilles rasend.

Er tötete Hektor, ehe er selbst seinem Schicksal erlag.

I. Teil. 1376-1377 Prince of Wales

Kapitel 1 Am Hof des Schwarzen Prinzen

Westminster Palace, Juni 1376

 

»R

ichard, du wirst dir noch den Hals brechen!«, rief Henry mir zu. Mein Cousin Henry Bolingbroke war klein und hatte Arme wie Keulen. Ich hingegen war groß und mager, doch ich konnte schneller und besser reiten als er. Henry war in meinen Augen ein grobschlächtiger Barbar. Aber weil er mein Cousin war, musste ich ihn trotzdem liebhaben. Außerdem beschützte er mich, wenn ich etwas Schlimmes getan hatte, und nahm alle Schuld auf sich.

Ich ließ mein Pferd über das Themseufer vor dem königlichen Palast von Westminster preschen. Alles drehte sich im Kreis, mir wurde schwindlig, doch das war mir gleich. Ich wollte es Henry zeigen. Von wegen, ich wäre ein Schwächling! Er hätte es sich zweimal überlegen sollen, mich so zu nennen!

»Richard. Warte auf mich!«, hörte ich ihn hinter mir keuchen.

»Du bist ein Hasenfuß.« Ich lachte ihn aus.

»Pass auf, sonst fällst du in die Themse!«

»Feigling, Feigling!«

»Nein, wirklich. Gib acht.«

Henry war besorgt um mich, und ich fand das überaus beschämend. Ich stoppte mein Pferd kurz vor dem Ufer und wartete, bis er zu mir aufgeschlossen hatte. Auf dem Fluss, der sich durch London schlängelte, waren bereits Handelsschiffe unterwegs. Fischer und die königlichen Wäscher gingen am Ufer ihrer Arbeit nach. Doch niemand beachtete uns. Henry schnaufte noch immer, während er neben mich trabte. Ich brannte darauf, ihn im Rennen zu besiegen. Er würde unter seinem Gewicht zusammenklappen, noch ehe ich mich überhaupt wieder in Bewegung gesetzt hatte.

Ich roch seinen Schweiß, als er zu mir sagte: »Du weißt ganz genau, dass es gefährlich ist, so voranzustürmen. Ich muss doch auf dich aufpassen, hat mein Vater zu mir gesagt. Und grins nicht so!«

»Du musst mich mit ›Prinz‹ anreden. Ich bin der Prince of Wales, hast du das schon vergessen?«

»Ja, aber erst der nächste. Dein Vater ist der Prince of Wales, der Thronfolger Englands.« Langsam normalisierte sich sein Atem und meine Laune sank, da er meinen Vater erwähnt hatte. Mein Vater lag, sich vor Schmerzen windend und vor Schweiß triefend, im Krankenbett. Seit ich mich erinnern konnte, hatte ich ihn öfters krank als gesund erlebt. Ein schöner Prince of Wales war er!

»Der ist doch bald tot«, sagte ich. »Und dann bin ich der Thronfolger.«

Ein abergläubischer Ausdruck machte sich auf Henrys Gesicht breit, als hätte er einen Geist hinter mir erblickt. »Aber er ist doch dein Vater. Bist du denn nicht traurig, dass er stirbt?«

Ich zuckte die Schultern. Was sollte ich darauf antworten? »Ich weiß es nicht.« Mein Vater roch immer nach Mist und deshalb hatte ich beschlossen, dass ich ihn nicht mochte. Und ich stand ihm stets im Weg herum und deshalb hatte auch er wohl beschlossen, dass er mich nicht mochte. Nie konnte ich es ihm recht machen. Meine Haare waren ihm zu kupfern und zu lockig, mein Kinn zu trotzig, meine Nase zu spitz, mein Gesicht zu mädchenhaft, meine Augen zu groß, meine Wangen zu hoch, meine Augenbrauen zu schmal, meine Finger viel zu dünn, um ein Schwert zu halten.

»Oh, es fängt an zu tröpfeln.« Henrys Stimme riss mich aus meinen Überlegungen.

»Ja, und nun?«

»Also, jetzt musst du wirklich zurück. Wenn du auch noch krank wirst, und dein Vater stirbt und du stirbst und Großvater ist auch schon so steinalt, wer wird dann König?«

Nun hatte ich wirklich miese Laune. »Du vielleicht?« Meine Stimme klang schnippisch, aber ich mochte diesen Klang.

»Darüber macht man keine Witze, Richard!«

»Du hörst dich an wie unser Lehrer.«

»Soll ich dir meinen Umhang ausleihen?«

Mir war tatsächlich kalt. Und der Himmel verdunkelte sich zusehends. »Na … na gut …«

Wir ritten im Trab zurück nach Westminster. Den ganzen Weg über sagten wir nichts. Und als wir im Palast ankamen, waren wir schon durchnässt. Regen machte mir aber nichts aus. Ich konnte nicht davon krank werden. Ich war noch nie krank gewesen. Ich würde der nächste König von England werden und deswegen war ich nie krank. Großvater, der jetzige König, würde bald sterben, und Vater würde bald sterben, und mein älterer Bruder war bereits als Kind gestorben. Alle waren auf den Namen Edward getauft gewesen. Und deswegen waren sie schwach und dem Tode geweiht. Nur weil alle Edward hießen, wurden sie krank. Ich kann mich noch daran erinnern, wie mein Vater vor Wut geweint hatte, als mein Bruder gestorben war. Er hatte getobt, mich am Arm gepackt, mich hin und her geschüttelt und geschrien: »Warum mein Edward? Warum er? Er war doch so gesund und kräftig! Warum nicht du, warum bist nicht du an seiner statt gestorben?«

Ich hatte mich gewundert, warum er das nicht verstand; Männer wie mein Bruder, die Edward hießen, starben. Mein Name war Richard. Ein mächtiger Name. Deswegen konnte mir nichts etwas anhaben. Warum das keiner verstand, wusste ich nicht.

 

Das Krankenzimmer meines Vaters im Westminster roch nach Kot und Urin und ich wollte nur fort und sah die Holzdecke an, um mich von dem Gestank abzulenken. In das Holz waren Lilien geschnitzt. Die Lilien Frankreichs, auf dessen Thron mein Großvater, der König, Anspruch erhob.

Meine Mutter saß neben meinem Vater und heulte. »Er ist doch erst neun. Oh mein Gott, er ist doch nur ein kleiner Junge.« Ich hockte auf einem Stuhl und spürte Sand und Ameisen, die in meinen Hosenbeinen herumkrabbelten.

»Richard …«, hörte ich meinen Vater röcheln.

Meine Mutter wandte mir ihr tränenüberströmtes Gesicht zu und wimmerte: »Richard … komm her … Komm her zu deinem Vater …«

Ich stand auf und mein linkes Bein war wie gelähmt. Jeder Schritt tat weh. Ich verfluchte meine Eltern und wusste nicht, warum sie gerade jetzt wollten, dass ich zu Vater ans Bett trat.

»Komm her, mein kleiner Richard. Vater will dich sehen.«

Ich schlurfte unsicher ans Bett. Doch ehe ich dort ankam, befand ich mich schon in den Armen meiner Mutter, die mich unerträglich drückte. »Oh, mein Richard. Was ist denn mit deinen Beinen?«

»Ich glaube, ich habe Sand im Schuh.«

»Oh …« Sie lächelte. »Dein Bein ist eingeschlafen.«

»Weiß nicht.« Wie konnten Beine einschlafen? Aber um sie zu besänftigen, sagte ich: »Denke schon.«

Endlich entließ sie mich aus ihren Armen und ich stand vor dem Bett meines Vaters. Sein nasses Gesicht blickte mich aus beinahe weißen Augen an. Ich fand das unheimlich und außerdem stank es bestialisch. Ich wollte fort. Wir hatten uns doch sowieso nichts zu sagen.

»Richard …« Er streckte seine Hand nach mir aus und packte mich am Arm. Ich glaubte, gleich würde er mich wieder schütteln, und bereitete mich darauf vor, doch stattdessen streichelte er mein Handgelenk. »Richard … du siehst aus wie ein kleiner Engel … Oh, Richard … es tut mir leid …«

Ich empfand die Situation als sehr beschämend und wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte. »Ja, Mylord.«

»Ich lebe nicht mehr lange. Komm doch näher, Richard, ich kann dich kaum sehen.«

»Ja, Mylord.« Ich wollte nicht, aber schon hatte er mich aufs Bett gezogen. Wenn er doch noch so viel Kraft hatte, warum starb er dann?

»Weißt du, dass du bald König sein wirst?«

Wie aus dem Nichts begann meine Mutter zu kreischen: »Aber, nein, Edward! Dein Vater lebt noch lange.«

»Ach, Joan, mein Vater ist ein alter, schwachsinniger, von seiner Hure Alice ausgelutschter Greis.«

»Edward!«

Ich lachte. Mein Vater hatte schon immer Humor gehabt. Das Einzige, was ich an ihm mochte.

»Versprich mir, dass du ein guter König wirst.« Nun schüttelte er mich doch. Aber das machte nichts. Ich war darauf gefasst.

»Ja, Mylord.«

»Ich … werde dich immer beschützen, auch wenn ich nicht mehr bin.«

»Gut, Mylord.« Ich fragte mich, wann ich endlich das Zimmer verlassen durfte. Ich wollte unbedingt ein Bad nehmen, denn ich hatte Angst, dass der Geruch nach Krankheit an mir haften blieb.

»Du bist stark, Richard, nicht wahr?« Endlich hatte er es also verstanden.

»Ja, nun, das bedeutet mein Name. Richard heißt ›der starke Herrscher‹.«

Er brachte ein schwaches Lächeln zustande und sah mich an, wie er mich noch nie angesehen hatte. Ich war verwirrt und wollte nur baden.

»Auf Wiedersehen, Richard. Ich werde dich vermissen.«

»Auf Wiedersehen, Mylord.« Ich sprang vom Bett und rannte aus dem Zimmer.

 

Meistens hatte ich am Nachmittag im Palast Lateinunterricht. Sir Simon war mein Lehrer und ich mochte ihn sehr. Er war groß, hatte bereits ganz weißes Haar wie ein Geist und lange Arme, die immer um ihn herum schlackerten. Seine Haut war so komisch fleckig, wie ganz altes Pergament. Er hatte ein lustiges Gesicht, das mich an einen Ziegenbock erinnerte, und er roch nach Büchern und diesen Geruch mochte ich wie keinen anderen auf der Welt.

Er unterrichtete mich und Henry und einen Jungen, der Robert de Vere hieß, schon vierzehn und nicht so klug war, weswegen er mit mir und Henry lernen musste. Auch Robert mochte ich. Ich hatte ihm einmal angeboten, wenn er ein Mädchen küssen und ganz sicher gehen wollte, dass der Kuss gut war, dann könnte er vorher an mir üben. Robert hatte nur gelacht und gesagt: »Ich muss nicht mehr üben, Poppy.«

Poppy. So nannte er mich, seit ich mit Vater und Mutter aus Aquitanien nach England gekommen war.

Zuerst war ich böse geworden, weil er »Poppy« zu seinem zukünftigen König gesagt hatte, dann hatte auch ich gelacht. Eigentlich war es ein Mädchenname, aber »Poppy« nannte man auch den Klatschmohn, der auf den Feldern so schön rot blühte. Und ich mochte Blumen.

Sir Simon hatte uns einen Satz zum Übersetzen gegeben und Henry und Robert mühten sich seit über einer Stunde mit ihm ab, während ich mich langweilte.

»Nun, Lord Bolingbroke«, erhob Sir Simon seine Stimme und brachte sich vor Henry in Position. Sir Simon beugte sich zu ihm hinunter, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Ich wusste genau, dass er Henry nicht mochte, weil der schlecht Latein konnte und das wiederum freute mich.

»Gens Meroingorum, de qua Franci reges sibi creare soliti erant, usque in Hildricum regem, qui iussu Stephani Romani pontificis depositus ac detonsus atque in monasterium trusus est.Mylord Henry?«

Henry wrang seinen Ärmel in seinen Händen und sah zu Boden. Robert saß hinter ihm und warf lachend eine Holzmurmel nach seinem Kopf. Leider traf er nicht.

»Die … Merowinger …«

»Was sind die Merowinger, Mylord Henry?«

»Weiß ich nicht … Könige von irgendwas, oder?«

Ich unterdrückte ein Lachen. Robert fummelte aus seiner Tasche eine zweite Holzmurmel und zwinkerte mir zu.

»Gens, was heißt wohl gens?«

»Äh, also … Könige?« Henry sah auf.

»Nein, Mylord Henry.«

Henry wurde sichtlich jähzornig, was hieß, dass Sir Simon bald schimpfen würde. Robert hinter ihm machte ihn mit einer unglaublich lustigen Grimasse nach. Ich musste mir auf die Unterlippe beißen, um nicht laut aufzulachen.

Sir Simon korrigierte Henry: »Es heißt ›die Familie‹, im Sinne von ›das Geschlecht.‹ So wie Ihr zu den Plantagenets gehört. Verstanden?«

Henry nickte, doch ich sah seinem Gesicht an, dass er es immer noch nicht verstanden hatte. Robert machte dessen dümmliches Gesicht nach, schielte noch dabei und ich betete ihn in diesem Moment an. Doch auch Sir Simon wurde auf Robert aufmerksam.

»Sir de Vere!« Jetzt baute sich Sir Simon vor Robert auf, doch das konnte den wenig beeindrucken. Lässig ließ Robert seine Beine baumeln und lehnte einen Arm gegen die Stuhllehne. Auf seinen Wangen konnte man schon einen rotblonden Bart sehen, und ich wollte auch so einen haben und das hatte ich ihm auch gesagt, doch er hatte mir geantwortet, dass ich zuerst Haare zwischen den Beinen bekommen werde und dann erst im Gesicht. Also sah ich jeden Tag beim Baden zwischen den Beinen nach, aber da war noch nichts. Ich fühlte mich allen überlegen, aber solange ich kein Haar zwischen den Beinen hatte, war Robert so viel großartiger als ich.

»Ja, Sir Simon.« Robert war keck und er hatte vor niemandem Angst.

»Wenn Ihr so selbstsicher seid, dann übersetzt Ihr mir doch den Satz.«

Ich wusste, dass Robert es nicht konnte und wollte ihn in diesem Moment beschützen. Henry zog eine rachsüchtige Grimasse.

Robert lächelte. »Die Inzestfamilie der Franken, die ständig Durchfall hatte …«

»Also, Sir de Vere! Ihr seid nicht mehr zu retten.« Auf Sir Simons Wangen mischten sich zu den weißen nun rote Flecken. Es war blödes Geschwätz, aber es kam von Robert und deswegen fand ich es lustig.

Henry verfiel einem Lachkrampf. Sir Simons Kopf war hochrot, er tobte und ich fand, dass Robert der beste Junge auf der ganzen Welt war.

»Ist denn Mylord Richard der einzige Vernünftige hier?«

»Der König Pupserich furzte zu viel und deswegen wurde er ausgeschissen.«

»Sir Robert!« Sir Simon wandte sich von ihm ab und kam an meine Seite, als ob er bei mir Schutz suchte. Sofort hörte ich auf zu grinsen und wurde wieder ernst. »Ich kann es übersetzen, Sir Simon.«

»Das hab' ich auch nicht anders von Euch erwartet, Mylord.«

»Ich weiß schon seit einer Stunde, was es bedeutet, Sir Simon.«

Er strich mir lächelnd übers Haar. »Ich weiß, Mylord.«

»Er ist der nächste Prince of Wales!«, versuchte sich Henry bei Sir Simon einzuschmeicheln, indem er irgendetwas in den Raum warf. Ich dachte, das ist genau richtig, weil mein Vater nur noch im Bett liegt und bald stirbt und als ich mich erinnerte, dass es um ihn herum nach Fürzen stank, musste ich mich wieder beherrschen, nicht loszulachen. Doch auf einmal war alles ruhig. Sir Simon sah mich aus traurigen Augen an. Ich hatte mir immer gewünscht, dass er mein Vater wäre, aber dann würde ich ja nicht König werden.

»Mylord Richard … kann ich etwas für Euch tun? Irgendetwas, um Euren Schmerz zu lindern?«

Warum denn? Ich hatte den Satz doch schon seit einer Stunde übersetzt und war der nächste Prince of Wales. »Kann ich jetzt meine Übersetzung sagen?«

»Oh, ja … richtig. Nun?«

»Also …« Ich reckte meine Schultern. Ich liebte Latein. »Das Geschlecht oder die Familie der Merowinger, aus der die Franken ihre Könige auszuwählen pflegten, bestand bis zur Herrschaft des Childerich, der vom römischen Papst Stephan abgesetzt und tonsiert und ins Kloster geworfen wurde.« Ich war unheimlich stolz.

»Das ist sehr schön, Mylord Richard. Aber etwas habt Ihr vergessen.«

Was? Aber das konnte nicht sein. Mir war auf einmal heiß. Ich hatte etwas vergessen! Ich hatte versagt.

»Ha, ha!« Henry fühlte sich wieder besser, Robert warf erneut eine Holzmurmel gegen dessen Kopf. Das heiterte mich für eine Weile auf, doch dann spürte ich wieder, wie mir die Tränen kamen. Ich wollte nicht weinen, nicht vor Henry, und ich ging den Satz noch einmal durch, doch er verschwamm in meinem Kopf und ich hasste mich in diesem Moment, weil ich eine Träne auf meiner Wange spürte.

»Das ist doch nicht schlimm, Mylord. Ihr habt in diesen Tagen bestimmt etwas anderes im Kopf als lateinische Übersetzungen.« Er nahm meine Hand und ich zog sie ihm weg. Ich wollte ihn anschreien, dass ich richtig übersetzt hätte, aber weil ich ihn mochte, war das doch eine dumme Idee.

»Was … was hab' ich falsch gemacht?«, schniefte ich und hasste meine Stimme.

»Ist doch egal«, warf Robert ein. »Ich habe Hunger.«

»Iussu Stephani Romani pontificis.«

»Oh … oh ja!« Wie konnte ich das vergessen! »Auf Befehl des römischen Papstes Stephan.«

»Richtig. Sehr gut, Mylord Richard.«

Robert klatschte und imitierte ein Furzgeräusch und ich prustete los, obwohl meine Wangen triefend nass vor Tränen waren, und dann wusste ich nicht mehr, ob ich lachen oder weinen sollte. Also tat ich beides.

Da ging auf einmal die Tür auf und ein königlicher Bote, von denen es hier nur so wimmelte, trat ein. Er verbeugte sich, offensichtlich vor mir, und ich setzte ein so ernstes Gesicht auf, als ob es aus Stein bestünde. Ich fragte mich, ob er meine Tränen sehen kann, und wischte sie schnell weg. Sir Simon drückte mich näher an seine Schulter und in diesem Moment störte mich das.

»Mylord Richard. Es … tut mir so leid«, sagte der Bote. »Euer Vater, unser Lord, der Prince of Wales, weilt nicht mehr unter uns.«

Alles wurde auf einmal totenstill, als ob wir gestorben wären und ich hoffte, dass Robert noch einmal ein Pupsgeräusch machen würde. Dann hörte ich, wie Sir Simon schluchzte und mich noch näher an sich drückte.

»Aber das ist doch nicht schlimm«, sagte ich dann, weil alles viel zu still war. Weil alle auf einmal so bedrückt schienen und ich sie trösten wollte.

Alle sahen mich nun komisch an. Henry kam zu mir und umarmte mich. Robert saß nur weiterhin auf seinem Stuhl, die langen Beine von sich gestreckt, und sah peinlich berührt zu Boden. Also, jetzt war ich Prince of Wales und ich sollte schleunigst Haare zwischen den Beinen bekommen, damit ich ein Mann wurde wie Robert.

»Nicht traurig sein, Richard.« Henry schmiegte seine Wange an meine. »Wir können spielen, dass mein Vater auch deiner ist. Er ist ja dein Onkel.«

Ich drückte ihn von mir. Er war mir zu nah. »Lass mich. Und du musst mich jetzt immer mit ›Mylord‹ ansprechen, weißt du das nicht?«

Robert sah noch immer bedröppelt zu Boden und ich wurde wütend auf ihn, weil er nicht zu mir kam. Ich wollte mit ihm allein sein und sonst mit keinem.

»Ich will hinaus gehen, darf ich, Sir Simon?«, fragte ich dann und hoffte, dass Robert mit mir kommen würde.

Sir Simon lockerte seinen Griff um mich. »Natürlich, Mylord … mein Prinz.«

»Danke.« Ich trippelte aus dem Zimmer und verstand nicht, warum mich alle in diesen Tagen erdrücken wollten. Nur Robert tat nichts und saß einfach nur da.

Diesen Anblick habe ich lange nicht vergessen können.

 

Um mich von dem Tod meines Vaters abzulenken, legte ich mich im Hof des Tower mit der Geschichte des Ritters Parzival unter eine Weide und blätterte lustlos in dem Buch herum. Ich hatte es immer gemocht, diese Geschichte zu lesen, aber heute konnte ich mich nicht konzentrieren und daran war mein Vater schuld. Das störte mich. Aber ich wusste auch, dass von mir nun erwartet wurde, um ihn zu trauern. Also blätterte ich zu der Stelle, in der Parzival die Blutstropfen im Schnee fand, die ihn an seine Gemahlin Conduireamour erinnerten, und ich weinte, weil auch Parzival weinte, und ich nun wusste, was ich ungefähr fühlen sollte.

Also weinte ich, aber weil niemand da war, der mich sah, nützte es nichts.

Aber ich konnte nicht aufhören.

Irgendwann, ich hatte es gar nicht bemerkt, setzte sich meine Mutter zu mir. Alle Leute sagten, dass sie die schönste Frau Englands sei und alle Männer verzaubere, doch sie war einfach nur meine Mutter und schon alt. Und nun sah sie wirklich nicht schön aus, mit diesen verquollenen Augen. Alles andere an ihr war mir aber noch vertraut. Ihre goldenen Haare im Haarschleier, dessen Stoff Bienenwaben gleich gestickt war. Die grünen, durchdringenden Katzenaugen. Ihr grünes Brokatkleid, am Saum durchwirkt mit Hermelin. Der Mantel, der ihre weißen Schultern freigab und an den ich mich manchmal schmiegte.

»Er … er hat deinen Namen geflüstert, als er starb … Och, weine doch nicht, Richard.«

Aber sie weinte selbst. Was für ein dummer Rat das doch war, wenn sie selbst weinte. Außerdem wurde von mir erwartet, dass ich weinte. »Parzival ist so weit weg von seiner Frau und er weiß nicht einmal, dass er einen Sohn hat. Und er hat so viele Fehler begangen und er fühlt sich so schlecht, weil er bei allem versagt hat. Aber niemand hat ihm doch richtig gesagt, was er machen soll. Das ist ungerecht.«

»Ich weiß, Richard.«

Sie wollte mich wieder an sich drücken, doch ich hatte dieses Drücken langsam satt und stand auf.

»Ich habe vergessen, ›Iussu Stephani Romani pontificis‹ zu übersetzen, Mylady.« Deswegen weinte ich noch mehr.

»Das ist nicht schlimm, Richard.«

Nun war ich wütend, weil es doch schlimm war. Ich stampfte mit dem Fuß auf, weil sie nichts verstand. »Doch. Es ist schlimm, weil der Satz einen ganz anderen Sinn hat. Es ist wichtig, wer die Befehle gibt, vor allem, wenn man einen König absetzt.«

»Ja, Richard, ja …«

Ich hasste es, wenn Leute sagten, sie hätten etwas verstanden, und man sah ihnen genau an, dass sie es nicht taten.

»Wo ist Robert?«

Sie versuchte zu lächeln. »Du möchtest jetzt, dass Sir Robert bei dir ist?«

»Ja.« Dumme Frage! Sonst hätte ich doch nicht nach ihm gefragt.

»Ich werde ihn holen lassen, Richard.«

»Ja.«

»Oh, Richard!«

»Mylady! Lasst mich!« Sie wollte mich umarmen, und ich wollte das nicht.

Sie trat einen Schritt von mir zurück, sah mich aus tränenden Augen an und faltete die Hände vor ihren Lippen. »Ach, mein kleiner Richard.«

Robert kam etwa eine halbe Stunde später. Ich hatte in meinem Parzival weitergelesen und war an einer spannenden Stelle angelangt, so dass ich nun nicht mehr sicher war, ob ich Robert sehen wollte.

Unsicher stand er vor mir und ich musste mich zwingen, mein Buch wegzulegen. Es war ein schöner, warmer Tag und ich war gerne hier draußen, im Rosengarten, neben der Weide. Ich mochte es, wie der Wind in den Blättern rauschte, weil es mich an das Meer erinnerte. Das Meer in Bordeaux, dem Ort, an dem ich meine frühe Kindheit verbracht hatte.

»Ich sollte mich verbeugen, nicht wahr … Mylord?« Robert tat es einfach. Warum hatte er denn überhaupt gefragt?

»Ja«, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel, aber er hatte es ja schon getan.

»Ihr seid nun der Prince of Wales.«

»Ja.« Ich war genervt von mir, weil mir nichts anderes einfiel, das ich sagen konnte. Doch dann wusste ich es: »Du kannst weiter ›du‹ zu mir sagen. Aber nur du allein! Henry nicht!«

Auf einmal löste er sich aus seiner Starre. »Weißt du, Poppy, es ist wirklich geschmacklos von Sir Simon, dass er dich Texte lesen lässt von Absetzungen von Königen. Bald bist du König und weil du noch jung bist, werden alle versuchen, dich abzusetzen.«

Ich wusste nicht, was er sagte. Aber ich dachte nicht, dass der Text, den wir übersetzten, blöd war, weil ich das Leben Karolus des Großen spannend fand.

»Hast du noch die Murmeln?« Ich würde sie brauchen als König. Ich würde sie nach denen werfen, die ich nicht mochte und die mich nicht mochten. Wie meine beiden erwachsenen Halbbrüder, die mich dauernd aufzogen und zu mir immer »Weichling« sagten.

»Ja, sicher.« Er kramte sie aus seiner Gürteltasche und überreichte mir einen Beutel. »Sind aber nicht mehr viele drin.«

»Oh … schade …«

»Ich kann dich aber lehren, mit dem Schwert zu kämpfen oder mit Pfeil und Bogen.«

Ich hoffte, dass ich das Schwert meines Vaters bekommen würde, weil es so schön war und außerdem hatte es so schöne Juwelen am Griff. Ich hoffte auch, dass ich seine Rüstung erhalten würde. Sie war mir ein wenig zu groß, aber nur ein wenig, denn ich war zwar nur neun, aber fast genauso groß wie Robert mit vierzehn.

»Ja, bring mir das Kämpfen bei.« Ich überlegte. »Jetzt muss ich wahrscheinlich heiraten, weil ich der Prince of Wales bin.« Ich bekam Kopfweh, weil alles um mich herum auf einmal so kompliziert erschien. Aber auch schön. Ich war der Prince of Wales!

»Ein Mädchen!« Roberts Augen leuchteten.

»Bäh!«, sagte ich nur.

»Hoffentlich ist sie rot. Schönes, langes, gelocktes, rotes Haar. Wie Feuer, und ein Duft von Erdbeeren, hmm!« Er leckte sich über die Lippen.

»Alle Mädchen sind dumm.«

»Aber weich!«, schwärmte Robert.

Ich wusste nicht genau, was er meinte. Also dachte ich an meine Mutter. Sie war allerdings weich.

»Wie sollte denn die zukünftige Königin von England aussehen, he?«

Ich wusste sofort, was er meinte. Ich war jung und unerfahren, aber nicht dumm. »Also … ich weiß nicht so recht, aber sie sollte auf jeden Fall witzig sein. Nicht so ernst wie die Mädchen hier. Glaubst du, es gibt lustige Mädchen?«

»Bestimmt! Es gibt einen Haufen Mädchen auf dieser Welt. Darunter wird sich wohl eine für dich finden.«

»Ich muss aber eine Prinzessin heiraten.«

»Es gibt einen Haufen Prinzessinnen. Auch lustige.«

»Wirklich?«

»Ganz sicher.«

Ich war beruhigt. Und dann fiel es mir wieder ein; ich wusste doch etwas von Mädchen. Parzivals Mädchen war wunderschön. Sie war blond. Also wusste ich nun, was ich wollte: eine blonde Prinzessin, die lustig war.

 

Nach diesem Gespräch hatte ich es mir in den Kopf gesetzt, mir eine schöne, humorvolle Prinzessin auszusuchen, und konnte meine Augen nicht von Henrys umherkichernden Schwestern lassen. Wenn sie mich sahen, kicherten sie nicht, sondern blickten mich traurig an, und ich rümpfte die Nase. Ich wollte, dass sie weiter kicherten und weil ich nun der Prince of Wales war, sagte ich ihnen: »Ich bin der Prince of Wales und ich befehle euch weiter zu kichern!«

Und so taten sie es.

Ich wuchs noch einmal ein ganzes Stück, war aber noch immer nicht so groß wie Robert, weil auch er noch wuchs, was ich sehr erstaunlich fand, da er doch schon erwachsen war. Ich bekam weiches, rotes Haar zwischen den Beinen und teilte dies stolz meiner Mutter mit und sie erwiderte wehmütig: »Gott lässt Euch vor der Zeit altern, weil er weiß, welche Last auf Euren Schultern liegt.« Ich war verwirrt von ihren Worten, da sie mich auf einmal so ehrfürchtig ansprach. Auch, weil ich nicht wusste, was sie damit meinte. Und weil ihr Blick seit dem Tod meines Vaters so fremd war.

Ich zeigte Robert meine Haare zwischen den Beinen, aber er war unbeeindruckt und schämte sich.

Meine Haare auf den Beinen wurden dicker, aber das fand ich gar nicht gut. Das fand ich ausgesprochen eklig. Wenn ich mit der Hand darüberfuhr, kratzte es und ich wollte diese Haare entfernt sehen und wieder so weiche Haut auf den Beinen haben wie früher. Aber ich hatte noch immer keinen Bart und fand die Welt sehr, sehr ungerecht. An manchen Tagen nervte mich alles und es nervte mich vor allem, dass Henry noch immer nicht richtig Latein konnte und so viele Fehler beging. Manchmal nervte mich auch Sir Simon, weil er mich ständig trösten und mir alles abnehmen wollte, und so sagte ich nur: »Ich bin Richard, der Prince of Wales, und deswegen kann ich alles alleine und brauche keine Hilfe, weil ich stark bin.« Natürlich verstand er die Logik dahinter nicht, aber das wunderte mich auch nicht. Ich wusste ja, dass mein Name aus der deutschländischen Sprache kam und rihhi harti »starker Herrscher« bedeutete.

Es hatte schon einmal einen König Richard von England gegeben und der wurde »Löwenherz« genannt. Ich grübelte nachts, wenn ich nicht schlafen konnte, auch über tolle Beinamen, aber bisher war mir nichts eingefallen.

Was ich in diesen Tagen, nach der unglaublich öden Beerdigung meines Vaters, spannend fand, war das dauernde »Psst! Psst!«, das im Palast geflüstert wurde, wenn man auf meinen Großvater und seine Geliebte Alice Perrers zu sprechen kam. Ich traf meinen Großvater nicht oft, aber wenn wir im Thronsaal waren, sah ich ihn, alt und schwachsinnig, und seine Geliebte neben ihm. Sie wich ihm nicht von der Seite, streichelte andauernd über sein weißes Haar.

»Großvater hat eine Geliebte und wegen ihr ist meine Großmutter gestorben«, sagte ich eines Tages zu Sir Simon.

Dieser schien entsetzt, wusste aber nicht, wie er sich verhalten sollte.

»Sie macht ihn so blödsinnig, weil sie ihn zwischen seinen Beinen auslutscht.« Das hatte ich von Robert. »Und Henrys Vater, der Duke of Lancaster, hat auch eine Geliebte, aber das ist nicht so schlimm, weil Henrys Mutter nicht mehr lebt und seine Stiefmutter doof ist.«

»Mein Prinz …« Sir Simon war kalkweiß im Gesicht. Seine Flecken sahen jetzt besonders bunt aus. Wir saßen beide im Rosengarten und ich freute mich, weil der blaue Rittersporn so schön blühte.

»Wisst Ihr«, wechselte ich das Thema, weil ich nicht wollte, dass sich Sir Simon schlecht fühlte, »meine Prinzessin soll ein weißes Gewand zu unserer Hochzeit tragen. Und an den Säumen muss Pelzbesatz sein. Und sie soll Handschuhe aus Pelz tragen, weil ich das wunderschön finde. Natürlich braucht sie auch eine Kopfbedeckung. Und ich werde nie eine Geliebte haben.«

Er wusste anscheinend nicht, was er daraufhin sagen sollte, und blieb stumm. Ich hatte mir meine Hochzeit so schön ausgemalt und wollte, dass er mich lobte.

»Und an diesem Tag soll auch Robert eine Prinzessin heiraten. Dann heiraten wir beide am selben Tag, ist das nicht schön?«

»Mein Prinz«, sagte er nur und ich war enttäuscht.

»Großvater kann auch seine Alice heiraten, wenn er möchte. Natürlich, wenn er dann noch lebt. Ich will unbedingt, dass meine Hochzeit schön wird.« Mädchen waren noch nicht so spannend, wie mit Robert zusammen zu sein, aber schon viel spannender als Bücher zu lesen. Latein fand ich mit der Zeit immer langweiliger. Allerdings hatte ich keine Ahnung, wie ich ein Mädchen überhaupt ansprechen sollte. Ich überlegte mir immer so schöne Worte, aber wenn ich vor einem stand, bekam ich schwitzige Hände, mein Magen krampfte sich zusammen, mein Herz schlug wie wild und mein Hals war ganz trocken, so dass ich keinen Ton herausbekam.

»Was sagt man zu Mädchen, wenn man sie heiraten möchte?«, fragte ich also Sir Simon, weil er mein Lehrer war.

»Ich fürchte, ich kann Euch da keinen Rat geben.« Sir Simon versuchte sich wieder zu fangen.

»Oh.« Letztendlich war es ja auch egal. Ich war der Prince of Wales, der nächste König von England. Alle sagten, ich sähe genauso schön aus wie meine Mutter und so würden alle Mädchen sich in mich verlieben und ich bräuchte gar nichts tun.

 

 

Kapitel 2 Kriegerkönig

Sommer 1376

 

E

s war unvermeidbar, dass ich mich mit dem König, meinem Großvater, näher beschäftigte. Er hatte nur noch zwei Zähne in seinem Mund und sie waren gelb und schwarz und faul und stanken nach Kotze. Er roch, wie mein Vater gerochen hatte, und ich versuchte, das Gesicht nicht zu verziehen. Seine Krone saß schief auf seinem weißen Haupt. Ich fand die Krone aber sehr schön. Ich versuchte dorthin zu sehen, doch immer wieder klebte mein Blick an seinem Mund fest. Seine Geliebte Alice versuchte ihn mit Haferbrei zu füttern, doch es ging viel daneben und trocknete an seinem Kragen an, vermischt mit seiner Spucke, die ihm ebenfalls aus dem Mund tropfte.

Er mampfte, schmatzte und irgendwann sah er mich auch an. Aus den Büchern hatte ich erfahren, dass er der größte und tapferste Ritter und König seiner Zeit war. Er war mit vierzehn König geworden, hatte seine Mutter, die in seinem Namen regieren wollte, in die Schranken gewiesen, hatte einen Krieg mit Frankreich begonnen, weil er auch König von Frankreich werden wollte, und hatte mehr Kinder gezeugt als irgendjemand sonst. Ich hatte auch erfahren, dass sein Vater Edward II. ein Schwächling gewesen war, weil er zu viel Zeit mit einem ganz bestimmten Ritter verbracht hatte. Alle sagten, er sei schwach und weibisch gewesen. Deswegen hatte man ihn ermordet. Alle Edwards waren schwach, krank, stanken und starben.

Großvaters Augen fixierten mich nun und ich fand das unheimlich. Seine Stimme war auch unheimlich: »Wer … Alice … Wer ist dieses Mädchen?«

Ich kochte vor Wut, weil er mich »Mädchen« genannt hatte, doch ich sagte nichts.

Alice schöpfte noch einen Löffel Haferbrei in seinen Mund. »Das ist Euer Enkel, Richard of Bordeaux, mein Lieber. Ihr habt ihn rufen lassen.«

Er erinnerte sich wieder und wischte Alices Fütterungsversuche mit seiner Hand beiseite. »Ach ja. Der, der seine Nase immer in irgendein Buch steckt.« Sein Blick war nun klarer, seine Stimme fester. »Habt Ihr etwas über meinen Vater Edward II. gelesen?«

»Mylord, nicht!«, säuselte ihm Alice ins Ohr, doch er achtete nicht darauf.

»Ja, habe ich, Eure Majestät. Ich lese sehr viel.« Ich verbeugte mich.

Er entließ Luft durch seine Zähne und hörte sich an wie ein Pferd. »Humbug, so viele Bücher. Nun, wisst Ihr, wie mein Vater starb?«

»Eure Majestät, im Gefängnis wurde Edward II. eine heiße Eisenstange in den Hintern geschoben, bis in seinen Hals und aus seinem Mund wieder heraus.« Ich verbeugte mich erneut. Alice sprang auf, sie hatte hochrote Wangen und zupfte an Großvater Ärmel. »Edward! Bitte, was soll das? Edward!« Ich fand es dumm, dass ich ihn »Majestät« nannte und sie nicht.

»Alice. Dieser Junge hat Schneid. Er traut sich Sachen auszusprechen, wo andere nur sagen: ›Edward, oh bitte, Edward, das dürft Ihr nicht sagen!‹« Er lachte und sein beinahe zahnloser Mund erschien dabei riesig. »Dass Euch so etwas nicht passiert, mein Prinz!« Er lachte, bis er husten musste. Dann lachte er nicht mehr und tunkte seinen Finger in den Haferbrei.

»Jawohl, Eure Majestät. Mir kann nicht passieren, was Eurem Vater Edward II. passiert ist. Ein Richard ist immer ein guter König. Einem Richard schiebt niemand eine glühende Eisenstange in den Hintern.« Ich wusste, dass es eine Provokation war. Und es machte mir Spaß.

Er stutzte, lutschte an seinem Finger, an dem der Haferbrei klebte, und lachte wieder. »Ihr habt Humor, Richard. Ihr seht aus wie ein Mädchen, aber Ihr habt Humor!«

»Edward. Regt Euch nicht auf, das tut Eurem Körper nicht gut«, redete Alice weiter auf Großvater ein.

»Ihr habt den Charme Eurer Mutter, Richard.«

»Mylord!«

Dann wurde Großvaters Blick wieder glasig. »Wo ist eigentlich mein Sohn Edward, dieser Lausebengel? Gleich fängt seine Unterrichtsstunde an und er treibt sich schon wieder in den Ställen mit irgendeinem Mädchen herum!«

»Ach, Mylord …« Alice schlang ihre Arme um ihn; ich musste grinsen.

»Er ist vor einigen Tagen gestorben, Eure Majestät«, erinnerte ich ihn. Alice giftete mich tonlos an und Großvaters Blick wurde sehr, sehr sentimental und auf einmal brach er wie ein kleines Kind in Tränen aus und weinte um seinen Sohn Edward. Tja, das kommt davon, wenn man seinem Sohn so einen schwachen Namen gibt, dachte ich und beschloss in diesem Moment, dass mein Sohn auch Richard heißen würde.

Ich war neun, fand Roberts Furzgeräusche lustig, war der Prince of Wales, plante meine Hochzeit und wusste schon, wie mein erster Sohn heißen würde. Kein Mensch sollte es jemals wagen, mir irgendetwas in den Arsch zu schieben.

 

Ein paar Wochen danach, als es August wurde und die Tage heißer, lag ich wach und konnte nicht einschlafen, weil mir auf einmal klar war, dass ich meinen Vater nie wieder sehen würde. Ich war erstaunt, weil ich auf einmal so traurig war und weinte. Ich vermisste seine Scherze und musste mir eingestehen, dass ich ihn doch gemocht hatte. Ich begriff auch, dass er mich gemocht hatte.

Henry neben mir im Bett hatte sich im Schlaf bepisst und er stank nach Mundgeruch und ich weinte, weil mein Bruder Edward tot war und ich nie wieder mit ihm spielen konnte, und ich weinte, weil mein Vater Edward tot war und ich nie wieder über seine Witze lachen würde, und ich weinte, weil mein Großvater Edward so alt war und auch bald sterben würde. Ich weinte auch um meinen Urgroßvater Edward, mit dem ich zwar nichts anfangen konnte, aber er musste bestimmt bei seinem Tod ungeheure Schmerzen gehabt haben. Und außerdem weinte ich, weil Henry neben mir anfing, furchtbar zu schnarchen und weil es im Zimmer so heiß war und ich nicht schlafen konnte, obwohl ich so müde war. Zusätzlich hatte ich noch Heimweh, weil ich mich daran erinnerte, dass es in meinem Herzogtum Aquitanien immer so heiß war.

Ich wollte zu Robert, also schlich ich mich aus dem Bett, zog einen Umhang über und öffnete ganz leise die Türe, so dass meine Diener in den Nebenkammern nicht aufwachen würden. Niemand sonst war in den Gängen und so gelangte ich, ohne irgendjemandem etwas erklären zu müssen, zu Robert. Ich öffnete seine Tür und trat ein. In seinem Zimmer brannte nur eine Fackel und so mussten sich meine Augen an die Lichtverhältnisse erst gewöhnen.

»Robert. Ich kann nicht schlafen«, sagte ich, obwohl ich auf einmal todmüde war. Er hörte mich nicht, aber ich hörte ein Grunzen in seinem Bett und als sich meine Augen an das Licht gewöhnt hatten, sah ich seinen Rücken, unter ihm ragten die Beine einer Frau heraus und sie stöhnte, weil anscheinend auch ihr viel zu heiß war.

Ich wollte nicht, dass eine Frau in diesem Zimmer war und weil ich der Prince of Wales war, konnte ich allen alles befehlen. »Sir Robert! Ich kann nicht schlafen!«, sagte ich nun sehr laut und Robert und dieses Mädchen erschraken. In Windeseile hatten sie sich mir zugewandt. Das Mädchen bedeckte mit der Bettdecke die Brüste und Robert sah mich nur an. Er war ganz nackt und ich musste auf seinen Penis starren.

Das Mädchen sah unsicher zu Robert hoch und sagte etwas, das ich nicht verstand. Robert wurde daraufhin wütend und warf sie aus dem Bett: »Hau ab!«, grunzte er. Sie zog sich schnell einen Überwurf an und trappelte aus dem Zimmer. Ich sah noch immer Roberts Penis an und verglich ihn mit meinem. Das entmutigte mich wirklich sehr.

»Richard«, sprach er mich dann an und sein Penis machte eine komische Bewegung wie eine Blume, die man nicht gießt und die ihren Kopf dann hängen lässt, nur viel schneller. »Gott, Richard, entschuldige.« Er konnte sich nun wieder normal bewegen und zog sich etwas über. Ich bemerkte, dass er etwas fahrig war und plötzlich kam er mir sehr fremd vor.

»Ich kann nicht schlafen«, sagte ich noch einmal.

»Dann mach die Augen zu und denk an nichts.« Er hörte sich nicht normal an. Er hörte sich sehr unwirsch an und das ging gegen mich.

»Hab' ich schon versucht«, erwiderte ich trotzig.

»Ach, was weiß ich … Dann reib deinen Schwanz so lange, bis du schlafen kannst.« Er schnaufte und wühlte in seinen Bettlaken herum.

»Hab' ich schon gemacht. Ich kann trotzdem nicht schlafen.« Damit überraschte ich ihn. Kann er mich doch gernhaben, dachte ich, aber einen Prinzen von Wales beleidigt man nicht mit so einem Tonfall.

»Herrgott!«, sagte er nur und ich wusste nicht, wie er das meinte. »Hast du sie gesehen? Hast du ihre Brüste gesehen? Du liebe Zeit, du hast mich gerade um die Nacht meines Lebens gebracht. Gott, hast du ihre Hüften gesehen? Du kannst dir nicht vorstellen, was sie mit ihnen machen kann!«

Nein, konnte ich wirklich nicht. Ich fand es auch nicht wichtig, weil sie nur eine Küchenmagd und keine Prinzessin war. Auf einmal wusste ich nicht, was ich von ihm wollte und warum ich hier war.

»Ich habe jetzt Lust zu reiten, Robert.« Das stimmte nicht ganz, mir fielen vor Müdigkeit fast die Augen zu.

»Dazu hätte ich auch Lust!«, grinste er.

»Gut, dann lass uns hinausgehen, in die Ställe.«

»Ach, du bist noch ein Kind.«

»Ich habe schon rote Haare zwischen den Beinen. Ich bin kein Kind mehr!«

»Ja, ja.«

»Magst du mich nicht mehr?«

»Doch, doch.«

»Pass nur auf. Wenn du mich nicht mehr magst, schieb ich dir eine glühende Eisenstange in den Arsch, so dass sie aus deinem Mund wieder herauskommt!«

Er machte große Augen und wusste wohl nicht, ob er belustigt oder entsetzt sein sollte. »Du hast eine blühende Phantasie«, sagte er schließlich, denn er war nie um ein Wort verlegen.

»Und du bist dumm und hast gar keine.« Ich streckte ihm die Zunge raus und lief aus dem Zimmer. Nun wusste ich nicht, was ich wirklich tun wollte. Ich war so müde, allerdings wollte ich aus Trotz nicht schlafen gehen. Der Palast lag totenstill da, nur ein paar Wachen flüsterten oder schnarchten und ich wollte, dass alle aufstanden und etwas taten. Wenn ich König bin, kann ich es ihnen tatsächlich befehlen, ging mir durch den Kopf. Ich konnte den Tag kaum noch abwarten.

Auf einmal fielen mir meine Halbbrüder ein und ich war mir sicher, dass sie um diese Uhrzeit noch wach waren. Sie blieben immer bis spät auf und gingen erst zu Bett, wenn die Sonne bereits aufging.

Sie residierten in Zimmern im Turm meiner Mutter und ich trat ein. Eine Menge Kerzen brannten noch, Thomas und John saßen am Tisch und prosteten sich zu. Zwischen ihnen standen einige leere Weinkörbe. Von meinen beiden Halbbrüdern mochte ich Thomas mehr, obwohl er mein Vater hätte sein können. Er hatte nur noch wenige Haare auf dem Kopf und einige Zähne fehlten ihm, aber er war viel netter als John. John hatte meinen Vater sehr gemocht und mein Vater hatte John gemocht und John hatte immer so getan, als wäre mein Vater seiner, und dafür hasste ich ihn. Wir sahen uns ziemlich ähnlich, hassten uns aber bis aufs Blut.

»Sieh an! Da ist ja das kleine Muttersöhnchen. Müssen kleine Kinder nicht um diese Zeit schlafen?«, sagte John und hickste. Thomas lachte auf und schenkte sich Wein nach.

Ich setzte mich neben sie auf den Boden. »Ich bin der Prince of Wales!«

»Wo liegt dieses Wales? Im Märchenland?«, rülpste John. Sie waren schon betrunken und ich fand heraus, dass man, wenn man betrunken ist, so gut wie alles lustig findet.

»Nein, westlich von England.« Ich wickelte mich enger in meinen Umhang, weil mir auf einmal kalt war. »Kann ich auch mal probieren? Aber ohne Wasser.«

»Oh! Wir verschwenden unseren guten Tropfen doch nicht für so einen kleinen Piepmatz!«, sagte John. Thomas legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm.

»Ich bin der Prince of Wales!«, sagte ich noch einmal und versuchte so zu klingen wie Henrys Vater, John Lancaster, wenn er seine Bediensteten im Palast herumscheuchte. Er war so etwas wie ein Vorbild für mich.

»Ja, ja, hier, du Hosenscheißer.« John schenkte ein wenig Wein in einen Becher und reichte ihn mir. Ich hob den Becher an meine Lippen und roch den würzigen Geruch. Ich probierte ein wenig und es schmeckte tatsächlich köstlich. »Sehr gut«, sagte ich deswegen, obwohl ich plötzlich husten musste.

»Ja, nicht wahr?« Sie prosteten sich wieder zu und ich hielt ihnen meinen Becher hin, damit sie auffüllten.

Wir saßen noch nicht lange zusammen, aber plötzlich kam meine Mutter herein. Sie hatte kleine Augen vom Schlaf, aber sie war sehr wütend. Obwohl meine Halbbrüder schon so alt waren, behandelte sie sie immer noch wie Kinder. »Ihr beiden, müsst ihr eigentlich immer so laut … Wie bitte? Was fällt euch ein?« Sie hatte mich entdeckt und ich saß unsicher auf dem Boden, mit dem Becher in meiner Hand, den ich noch immer ausgestreckt hielt.

»Er kam her und hat uns befohlen, dass wir ihm etwas abgeben sollen«, sagte Thomas schmunzelnd. »Ma Dame, er ist kein Kleinkind mehr, seht ihn Euch doch an.«

»Immerhin ist er der Prince of Wales und wir müssen seinen Befehlen gehorchen.« John kicherte.

»Ihr seid Taugenichtse!« Sie kam auf mich zugewatschelt und packte mich an beiden Handgelenken, sanft, aber bestimmt. »Nun, kommt, Richard, ich begleite Euch zu Bett. Und mit euch beiden rede ich später!«

»Ich will nicht, Mylady.«

»Riche ist der Prince of Wales, Mylady«, lallte John.

»Es ist schon spät, Richard, und Eure Augen fallen zu.«

Ich wollte aber noch nicht zu Bett. Nur kleine Kinder gingen so früh schlafen, ich wollte weiter hier bei Thomas und John sitzen und Wein trinken, weil ich mich schon wie ein Mann fühlte. Der Griff meiner Mutter wurde fester. »Nun kommt schon.«

»Nein!«, kreischte ich so laut ich konnte und brach in Tränen aus. Rotz lief in meinen Mund und Tränen meinen Hals hinunter und in meinen Ausschnitt. Sie versuchte mich in Richtung Tür zu zerren, doch ich stemmte mein rechtes Bein so fest ich konnte gegen den Boden und trat mit meinem linken Bein gegen sie. Dabei rutschte ich auf dem Stroh, das über den Boden verstreut lag, aus.

»Kommt, Richard. Wir gehen zusammen schlafen und ich liege noch eine Weile bei Euch. Kommt.«

»Ich will nicht. Lasst mich!« Ich schlug mit den Armen wild um mich, so dass sie mich fast nicht mehr halten konnte. Robert war noch wach und Thomas und John waren noch wach und ich fühlte mich so unglaublich blöd und kindisch, wenn ich jetzt zurück in mein Bett gehen würde, wo diese Männer doch so spät aufbleiben konnten. Das Leben ging trotzdem weiter, wenn ich jetzt schlafen ging, und ich fühlte mich betrogen. Wenn ich schlief, sollten gefälligst alle schlafen.

»Aber morgen müsst Ihr früh aufstehen.« Ihre Stimme war nun sehr streng und sie versuchte mich bei den Schultern zu packen. »Ihr müsst in die Lateinstunde und danach müsst Ihr mit dem Schwert und Pfeil und Bogen üben. Und noch Reitstunden und danach wieder Latein. Ihr werdet morgen zu müde sein, wenn Ihr noch wach bleibt.«

Ich hörte auf zu kreischen, aber noch immer quollen Tränen aus meinen Augen. Ich tat so, als ob ich keine Luft bekäme und hustete. »Warum? Warum ich? Warum immer ich? Ich will das nicht!«

Damit schien ich irgendwie ein Zauberwort ausgesprochen zu haben, denn plötzlich ließ sie mich los, sah mich mit riesigen, traurigen Augen an und strich über meine Wange. »Ach, Richard …«

Um meiner Mutter alles verständlicher zu machen und weil ich müde war, wechselte ich in die Sprache, die ich besser beherrschte: »Ma Dame! Robert avait eu une fille dans son lit! Robert hatte ein Mädchen in seinem Bett.« Seit ich sie gesehen hatte, zitterte ich bei dem Gedanken daran, dass sie sich so nahe gewesen waren. Ich hasste sie, wie ich noch nie einen Menschen gehasst hatte. Ich wollte nicht mehr, dass sie bei Robert war, und ich wollte ihn umarmen und nie wieder loslassen. Ich hatte das Gefühl, sie nahm mir etwas unendlich Kostbares weg. Und ich war verwirrt und böse, weil ich jetzt nur noch schlafen wollte.

Meine Mutter bettete meinen Kopf auf ihre Schulter und ich ließ es geschehen. Sie fühlte sich warm und weich an und ich mochte ihren Geruch nach Rosen. »Nous allons dormir maintenant, Richart.« Wir gehen jetzt schlafen.

»Oui, Ma Dame.«

»Et demain le monde paraît tout à fait différent.«Und morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.

Ich war schon halb eingeschlafen, da gähnte ich noch: »Henri a pissé dans le lit.« Henry hat ins Bett gemacht.

»Mon Dieu. C'est brute!« Mein Gott, wie barbarisch!

»Oui …« Ich wollte noch sagen, dass ich unbedingt bei Robert schlafen wollte, doch da war meine Zunge bereits schwer vor Müdigkeit.

 

 

Kapitel 3 Einer von vielen Bastarden

Herbst 1376

 

A

m nächsten Abend konnte ich meiner Mutter bei Sonnenuntergang entfliehen und beschloss, die ganze Nacht aufzubleiben. Die Fackeln waren bereits angezündet worden, als ich nach einem guten Versteck suchte. Robert und sein Mädchen hatte ich schon wieder vergessen. Aber plötzlich, als ich an den Vorratsräumen vorbeilief, stand er vor mir. Er starrte mich an, und er hielt einen Eimer in der Hand, und hatte wahrscheinlich vergessen, was er damit anfangen wollte.

»Richard!«

Ich zuckte mit den Schultern, weil ich noch immer sauer auf ihn war.

»Komm, Richard!« Er packte mich am Handgelenk und zog mich in die Vorratsräume. Ich freute mich schon, weil ich dachte, dass er mir kleine Hunde oder Katzen zeigen würde und ich mochte ihn wieder.

Er hielt noch immer den Eimer in der Hand, als wäre er an seiner Hand festgeschmiedet. Ich sah zu Boden und zwischen all den Fässern, Kisten und Weinkrügen lag eine dicke Frau im Stroh. Sie schien zu schlafen. Ich erkannte sie; ich hatte sie öfters bei der Schweinefütterung gesehen. Ihr rotes Haar war schmierig und voller Dreck. Sie hatte nasse Arme und ihre Backen hingen ihr herunter, als wäre sie eine alte Großmutter. Obwohl ihr Kleid aus sehr grobem Sackleinen gemacht war, sah man, dass ihr Busen zur Seite herunterhing. Sie hatte einen unglaublich dicken Bauch. Ich wusste nicht, warum ich mich mit so etwas abgeben sollte.

Robert begann zu stottern: »Sie … wir liefen uns über den Weg und auf einmal hat sie angefangen zu schreien.«

»Oh.«

»Dann habe ich den Eimer geholt.«

»Vielleicht mag sie dich nicht. Ich habe dir doch gesagt …«

»Sie bekommt mein Kind, Richard!«

»Oh, was, wirklich?«

Auf einmal schien die Frau aufzuwachen und brüllte wie aus dem Nichts wie ein Schwein, das geschlachtet wird. Aber weil Tag und Nacht irgendjemand im Palast brüllte und Schweine geschlachtet wurden, kümmerte sich niemand sonst um den Lärm.

Robert schepperte mit dem Eimer gegen ein Fass. »Du liest doch so viel. Du musst wissen, was zu tun ist. Los, sag mir was. Tu was!«

Ich erschrak und wollte heulen, weil die Frau so schrie und ich fortwollte und mit Hunden spielen wollte.

»Herrgottsakrament, tu was, Richard!«

Die Frau grunzte, richtete ihre Hüfte auf, und dabei rutschte ihr Rock hoch, so dass ich nun ihren dicken Bauch sehen konnte, auf dem überall lila und braune Streifen waren. Ich überlegte fieberhaft, dann kniete ich mich hin, faltete die Hände und streckte sie gen Himmel. »Oh, heilige Mutter Gottes und heilige Brigitte, helft und beschützt diese Frau …«

»Hier, halt mal den Eimer.«

Robert drückte mir den Eimer gegen den Magen und ich spürte, wie mir schlecht wurde. Beten hatte nicht geholfen, also fing ich an zu singen: »Ja nus hom pris ne dira sa reson. Adroytement,s'ensi com dolans non; Mès par confort puet il fere chançon. Moult ai d'amis, més povre sont li don; Honte en avront, se por ma reançon. Sui ces dewr yvers pris.«

Die Frau hatte aufgehört zu keuchen und sah mich aus grünen Augen an. Nun konnte ich sehen, dass sie nicht wirklich alt war, vielleicht genauso alt wie Robert. Dann schrie sie wieder und immer wieder: »Au! Au! Auaaaaahhh!« Und dazwischen versuchte sie, mit ihrer Hand Robert zu schlagen, der sich in eine Ecke verkrochen hatte.

»Bleib da! Lass mich nicht allein!«

»Oh, mein Gott, sie bekommt mein Kind!« Roberts Augen waren entsetzt aufgerissen und starrten auf ihren Bauch.

Ich wusste nicht weiter, was ich tun sollte. Mehrmals wollte ich wegrennen, weil hier alles so laut und schmutzig war und weil ich eifersüchtig auf die Frau war, da sie Roberts Kind bekam, doch sie tat mir auch leid. Ich mochte es nicht, wenn jemand Schmerzen litt, also hielt ich ihre Hand und versuchte sie zu trösten, und sie rammte ihre Fingernägel in meine Handfläche und wabbelte ihren Körper hin und her, hoch und runter. Ich roch, wie sie pinkelte.

»Robert, du Schwein, hol das Kind heraus! Hol es heraus aus mir!«

»Aua, das tut weh. Lass meine Hand wieder los«, rief ich ihr zu, nein, schrie ich jetzt selbst.

»Oh, mein Gott, Richard, guck doch!« Roberts Stimme klang hysterisch.

Obwohl ich nicht wollte, war ich neugierig und sah zwischen ihre Beine. Dort waren viele Haare und etwas komisches Schwarzes. Ich beugte mich tiefer, um besser sehen zu können, da flutschte auf einmal etwas heraus und ich schloss die Augen, weil Blut und Schleim auf mein Gesicht spritzten. Ich wischte die Flüssigkeiten mit meinem Ärmel ab und öffnete wieder meine Augen. Zwischen ihren Beinen lag nun Roberts Kind und quäkte und neben ihm kringelte sich eine Art matschige, weiße Schlange.

»Du liebe Zeit!« Robert war ganz außer sich und schnappte nach Luft. Die Frau war nun noch wilder geworden, weil sie unbedingt das glitschige Kind haben wollte. Sie rollte sich aufrecht sitzend hin, nahm das Kind in ihre Arme und dabei schmatzte die Schlange und zuckte hin und her.

»Iiiiiiehhhh!« Bis jetzt hatte ich alles nur irgendwie interessant gefunden, aber nun brach ich in Tränen aus, weil mein Gesicht schmutzig war und ich eigentlich nicht hier sein sollte. Ich wollte zu meiner Mutter, auch wenn das hieße, dass ich schlafen gehen müsste, doch das war mir egal. Und ich wollte auch zu meinem Vater.

»Das hast du gut gemacht, Richard«, winselte Roberts Stimme neben mir. Ich spürte seine Hand auf meiner Schulter und schniefte: »Aber ich habe doch gar nichts gemacht!«

»Lass uns etwas trinken.« Er fummelte in irgendwelchen Kisten herum und förderte einen Weinschlauch zutage. Er nahm einen großen Schluck und wollte mir dann den Wein geben, aber ich hielt ja immer noch den Eimer.

»Was soll ich mit dem Eimer machen?«

»Stell ihn da hin.«

»Haben wir was vergessen?«

»Weiß nicht. Egal. Trinken wir auf …« Er warf einen kurzen, angeekelten Blick zu Boden, » … auf meinen Sohn.«

»Bist du sicher, dass wir den Eimer nicht noch brauchen?«

»Lass den verdammten Eimer endlich in Frieden.«

»Hm-hm.«

»Also, wie soll er heißen? Du darfst ihm einen Namen geben.«

»Aber …«

»Los, mach schon.«

»Ich …« In einem plötzlichen Anfall von Eifersucht und Bosheit sagte ich: »Edward.«

Robert trank noch einmal einen kräftigen Schluck. »Exzellent!«

Ich würgte den Wein hinunter, weil Robert es so wollte, aber heute schmeckte er mir gar nicht. Auf einmal fing die Schweinemagd wieder an zu keuchen und zu schnaufen und ich krallte mich an Roberts Gewand. »Nein! Ich will nicht!«

Diesmal dauerte es nicht ganz so lange und ihr Körper würgte einen roten Blutklumpen heraus. Mir wurde noch einmal so schlecht, dass ich beinahe spucken musste, und weinte wieder.

»Der Eimer!«, sagte Robert triumphierend und ich war nun froh, dass alles so gut zusammenpasste. »Ja, der Eimer!«, lächelte ich Robert unter Tränen an, doch er schien mich nicht zu sehen. Er ließ mich los und machte sich am Eimer zu schaffen. Die Frau und das Kind schienen nun wirklich zu schlafen.

»Warum hat sie das gemacht, Robert?«

»Was?«

Ich deutete auf seinen Sohn. »Ein Kind aus sich rausgedrückt.«

»Ha! Das passiert nun einmal, wenn du deinen Schwanz in Frauen steckst, Richard.«

»Müssen Prinzessinnen auch so etwas machen?«

»Prinzessinnen ganz besonders.«

Meine sollte niemals solche Schmerzen durchleiden, aber das sagte ich nicht laut. Robert kam mit dem Eimer zurück und drückte ihn mir wieder in die Hand. Darin lag nun der schleimige Klumpen und ich wollte ihn nicht tragen, aber um Robert nicht zu verärgern, sagte ich nichts. Er krallte sich so viel Wein, wie er tragen konnte, und schob mich in Richtung Tür. »Los, lass uns verschwinden. Bloß weg von hier!«

»Und dein Sohn?«

»Egal … weiß nicht. Die schlafen.«

»Was soll ich damit machen?« Ich streckte ihm den Eimer entgegen, er überlegte, dann lachte er. »Wir werfen es auf den Misthaufen.«

»Gut.«

Mir war so schlecht, dass ich mich kaum auf den Beinen halten konnte, doch ich schaffte es zum Misthaufen und schaffte es sogar, den Inhalt des Eimers dort auszuleeren. Ich wollte tapfer sein, weil Robert mich beobachtete und ich ja schon ein Mann war.

Danach gingen wir ein Stück und ließen uns schließlich erschöpft neben einem Baum nieder und sahen uns an.

»Du hast Blut im Gesicht, Richard.«

»Ich weiß. Aber ich bin ganz tapfer.«

»Du wurdest getauft.« Erst eine Sekunde später merkte ich, dass er einen Witz gemacht hatte, und lachte mit ihm.

»Darf ich mir meinen Namen auch aussuchen?«

Er rülpste. »Du hast doch schon einen.«

»Ja, aber …« Ich verdrehte die Augen, weil er nicht verstand. Vor Wut und Übelkeit konnte ich nicht weitersprechen. »A… b… Aber e…« Ich machte meinen Mund so weit es ging auf, brachte aber keinen Ton heraus.

»Ah, versteh schon. Nun, dann wurdest du heute getauft auf den Namen ›Richard Löwenherz‹, nicht wahr?«

Nein! Nein!

»Und darauf trinken wir.« Er nippte jetzt nur noch an seinem Wein und eine Sekunde später kotzte er ins Gras.

»Nicht Löwenherz, Richard der Große! Ricardus Magnus.«

Er brachte ein müdes Lächeln zustande, dann würgte er gelbe und rote Flüssigkeit hoch. Als er sich wieder gefangen hatte, packte er mich an den Schultern und sah mich ernst an. »Erzähl ja keinem, wohin ich dich heute gebracht habe, verstehst du? Niemand darf etwas erfahren! Erzähl nichts, gar nichts!«

»Ja, versprochen«, antwortete ich feierlich und küsste ihn auf den Mund, weil Verträge und Versprechen von erwachsenen Männern so besiegelt wurden und ich ein Mann war, und dann küsste ich ihn noch einmal auf die Nase, weil sie so lustig aussah, da sie schon einmal gebrochen gewesen war.

»Ich bin verlobt, Richard«, eröffnete er mir auf einmal aus heiterem Himmel. »Als ich genauso so alt war wie du jetzt, da wurde ich Philippa de Coucy versprochen. Ach, ich möchte nicht verheiratet sein.«

»Cousine Philippa, die blöde Kuh!« Etwas Heißes tanzte in meinem Magen herum. In meinen Augen brannte die blanke Wut. Um mich abzulenken, sah ich auf Roberts Hände. Ich wusste, dass sein ganzer Körper voll war mit kleinen, witzigen Sommersprossen, aber in dieser Nacht konnte ich sie nicht erkennen.

»Ich wäre gern verheiratet«, murmelte ich.

»Du kannst dir deine Frau ja durchaus aussuchen. Aber ich! Gott. Philippa! Sie ist hässlich und dumm.«

»Ich will aber nie ein Kind von meiner Prinzessin.« Ich wusste nicht, was ich lallte. Mir war warm, die Welt drehte sich und ich wollte jeden Menschen umarmen. Und ich wollte mehr Wein trinken. Ich mochte auf einmal jeden Menschen, auch die Schweinemagd und Philippa.

»Das wirst du dir ganz bestimmt noch überlegen, Poppy, wenn du erst mal dabei bist.«

»Was …?«

»England braucht doch einen Erben, nicht wahr? Wer soll denn dein Erbe sein und nach dir König von England werden?«

»Weiß nicht. Du?« Ich gähnte. »Außerdem werde ich ewig leben. Ich werde bis zum Weltende König sein, denn ich bin Richard.«

»Du meine Güte!«

»Die Dänen nennen es Ragnarök, weißt du?«

»Was?«

»Das …« Ich verdrehte die Augen, weil er so schwer von Begriff war. »Ach, vergiss es.«

Er war eine Weile still, dann legten wir uns nebeneinander auf den warmen Boden und sahen in die Sterne und er fragte mich: »Was hast du vorher gesungen?«

»Das Lied hat Richard Löwenherz erfunden, als er im Frankenreich gefangen gehalten wurde.«

»Sag bloß! Poppy weiß wirklich alles, nicht wahr?« Er verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und ich machte es ihm nach.

»Ich weiß nicht alles. Nur der Herr Jesus Christus weiß alles.«

»Du kannst schön singen.«

»Ja … aber ich hör mich an wie ein Mädchen.«

»Macht nichts. Sing mir etwas vor. Mir ist so kotzübel, dass ich nicht schlafen kann.«

Ich war verwirrt, weil ich eigentlich die Befehle geben sollte und doch hatte er mich die ganze Nacht herum gescheucht. Ich hatte getan, was er gesagt hatte, und nun sang ich, weil er es mir befohlen hatte. Also sang ich: »Wol dir liebe summerzeit«, obwohl ich nicht alle Wörter verstand und Robert würgte noch ein paar Mal, aber dann schlief er bald ein. Ich spürte seinen Arm um mich, sein Bein stieß gegen meines. Er war schwer, so wie er in den Schlaf gefallen war, und drückte mich so zu Boden, sodass ich nur schwer Luft bekam. Aber es machte mir wenig aus. Ich genoss seine Nähe und legte meine Hand auf seine.

 

Meine Mutter bestürmte mich, als ich wieder zurück war: »Was habt Ihr nur gemacht? Warum seid Ihr voller Blut? Oh Gott, mein Prinz, was habt Ihr letzte Nacht getan? Tut Euch etwas weh? So antwortet doch endlich! Was habt Ihr getan? Hat Euch jemand wehgetan? Seid Ihr hingefallen?«