Anatopia - Wilma Müller - E-Book

Anatopia E-Book

Wilma Müller

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Beschreibung

Mein Leben ist sehr einfach: Neuro-Hunter kommen in mein Rückenmarks-Segment und ich pulverisiere sie. Doch was, wenn ich mehr will? Was, wenn ich wissen will, was jenseits meiner Heimat liegt? Was, wenn ich nicht mehr nur kämpfen will? Habe ich überhaupt eine Chance umgeben von Feinden? Oder bin ich am Ende selbst das Böse?

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Wilma Müller, geboren 2003, hat gerade ihr duales Studium im Bereich Physiotherapie begonnen. Mit 13 Jahren fing sie an ihre Ideen zu Papier zu bringen und das Schreiben ist aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken. 2019 wurde ihr erster Fantasy-Roman „Aufgelöst – Hinterm Nebel liegt die Wahrheit“ veröffentlicht. „Anatopia – Im Kreuzfeuer der Synapsen“ ist ihr erster Roman mit Science-Fiction-Elementen.

Für Frau Müller,

in deren Anatomieunterricht

ich erst auf die Idee hierfür

gekommen bin.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Epilog

Danksagung

Kapitel 1

Mein Leben war schon ganz schön eintönig. Träge saß ich auf den dicken Wurzelfäden der sensiblen Informationen und ließ die Beine baumeln. Weiter konnte ich nicht raus. Undeutlich verlor sich der mächtige Nervenstrang in einem feinen Geflecht und man konnte hier und da sehen, wie ein elektrisches Signal aufblitzte.

Irgendwie erinnerte mich das an Sternschnuppen. Ein friedlicher und verträumter Anblick. Die unerreichbaren Weiten des peripheren Nervensystems. Erregungen, Impulse, Leben… Alles war miteinander verflochten und obwohl ich hier festsaß, war ich doch irgendwie ein Teil davon.

Manchmal war diese Gewissheit alles, was mir einen Sinn gab. Na ja, jetzt übertrieb ich wirklich. Eigentlich war es hier gar nicht so schlimm.

Meine Heimat (um es nicht Gefängnis zu nennen) war das vierte Zervikalsegment, somit trennten uns genau drei Segmente vom Gehirn. Unter uns schlossen sich dann noch die restlichen 27 Segmente an, eben der typische Aufbau des Rückenmarks.

Ständig wurden hier Informationen weitergeleitet und verschaltet, der Highway der Reize. Schon krass. Aber ich wusste nicht, was all die Signale bedeuteten, einen wirklichen Sinn bekamen sie erst im Gehirn. Dort oben musste es fantastisch sein…

„Hey! Fly! Wo bist du wieder mit deinen Gedanken?“, rief meine beste Freundin hinter mir. Mit einem Lächeln drehte ich mich zu ihr um: „Hallo, Glia. Hast du etwa keine Arbeit zu erledigen?“ „Was denn? Willst du mich etwa loswerden?“, erwiderte sie frech. „Neeiin“, entgegnete ich gedehnt und spaßhaft sarkastisch. Ohne sie wäre mein Leben erst so richtig langweilig.

Ich spürte ein Kribbeln in meinen Hinterhörnern und mein Lächeln verblasste. Stimmt ja, es gab noch etwas Anderes, das mein Leben aufmischte.

„Sie kommen“, verkündete ich ernst und wickelte mir meinen Nervenstrang von der Hüfte, den ich meistens als Gürtel trug. Knisternd lud ich ihn mit Energie auf. Er bestand aus puren Neuriten, unisoliert. Das verringerte zwar die Reizstärke, aber dafür musste ich nicht zwingend mit der Spitze treffen, um Schaden anzurichten.

„Pass auf dich auf“, knapp nickte sie mir noch zu, bevor sie schnell wieder ihren Platz auf dem Markt einnahm. Sie war keine Kämpferin, ich schon.

Mit einem Lichtblitz kamen sie an. Gleich sieben auf einmal. Unsere werten Besucher hatten den Tractus spinothalamicus gewählt, die Vorderseitenstrangbahn, die praktischerweise ein gutes Stück von meiner aktuellen Position entfernt lag. Diesen Weg nannte man auch die Schmerzbahn und Schmerzen brachten sie auch.

Ohne zu zögern, fingen sie an zu schießen. Eine Frau von ihnen hatte genauso eine Neuritenpeitsche wie ich. Hatten sie dafür jemanden wie mich aus den Segmenten unter uns getötet? Dass sie dazu fähig waren, stand völlig außer Frage. Neuro-Hunter waren gewissenslose Mörder. Wie Parasiten fielen sie in unser Nervensystem ein und raubten, was sie konnten.

Aber das würde ich nicht zulassen! Das war mein Segment! Sie würden es nicht ausbeuten und zerstören!

Entschlossen flog ich auf. Ein Typ mit einer dicken, dunklen Brille bemerkte mich. Sofort richtete er sein Maschinengewehr auf mich. Noch war ich zu weit weg für einen Angriff. Grell sausten die Schüsse auf mich zu und ich überließ meinen Reflexen die Führung. Seine Waffe war nicht schlecht, aber immer noch zu langsam für mich.

Kinderleicht drehte ich mich durch die Luft und wich jedem Impuls aus. Jetzt war ich an der Reihe. Kräftig holte ich mit meiner geladenen Peitsche aus und traf ihn volle Suppe. Der Schlag schleuderte ihn ein Stück zurück. Entsetzen lag auf seinem Gesicht. Ja, das kannte ich schon. Sie kamen immer mit dieser Selbstgefälligkeit, als müsste ihnen alles gehören und dann upsi, war doch nicht so einfach.

Bye, bye.

Kraftvoll holte ich für den finalen Schlag aus. In den Gläsern seiner Brille sah ich mich selbst, die Personifizierung des Rückenmarks. Vorne zwei Hörner, hinten zwei Hörner, graue Haut und Schmetterlingsflügel, die normalerweise auch grau waren, aber jetzt, da ich sie benutzte, schillerten sie wunderschön bunt.

Daher kam auch mein Name, die Abkürzung von Butterfly. Alternativ hätte ich mich auch Zellkörperfee nennen können, doch Fly war da deutlich beflügelnder. Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, das mich schon ein wenig psychotisch aussehen ließ. Immerhin war ich gerade dabei, diesen nervtötenden Neuro-Hunter zu vertreiben.

Das war eigentlich schon eine ernste Angelegenheit, aber nicht wenn man diesen Kampf ständig führte. Immer wieder kamen neue Killer auf der Suche nach Profit und immer wieder machte ich sie fertig.

Meine Peitsche erwischte ihn und er löste sich in ein kleines, elektrisch geladenes Wölkchen auf. In einer Zaubershow würden für den Trick sicher alle Kinder klatschen. Sah schon putzig aus. Hier hatte ich jedoch keinen Applaus zu erwarten. „Scheiße! Hast du das gesehen?! Dieses Vieh hat Vader mit zwei Treffern gekillt!“, schrie eine Frau mit Reflexbögen. So eine Waffe hatte ich schon ein paar Mal gesehen. Die Schüsse kamen in einem unberechenbaren Bogen immer an ihr Ziel, ähnlich wie Suchraketen. Der hier war ordentlich aufgemotzt, bestimmt konnte er einige Impulse gleichzeitig abfeuern.

Diese Gruppe hatte sich alle Mühe gegeben, sich für den Kampf vorzubereiten. Es tat mir fast leid, ihre Bemühungen mit Füßen zu treten.

Ohne zu zögern, warf eine andere Frau eine GABBA-Granate nach mir. Meine Hinterhörner warnten mich rechtzeitig und die lähmende Waffe traf nur den Boden. Ich musste echt aufpassen, dass ich nicht nachlässig wurde!

„Los! Feuert mit allem was ihr habt! Das wird einen fetten Bonus geben!“, forderte die Frau mit den Granaten die anderen auf und warf die nächste Kugel mit hemmendem Transmitter auf mich. Gleichzeitig schaltete die Angreiferin mit dem Reflexbogen von geschockt auf wildentschlossen und auch die anderen folgten ihrer Anweisung und legten sich richtig ins Zeug. Verdammt!

Ich hätte mit ihnen kurzen Prozess machen sollen! Jetzt kam ich doch ordentlich in Bedrängnis. Irgendjemand traf mich am linken Flügel. Nicht der erste Treffer, den ich einstecken musste, trotzdem brannte es fies.

Wütend ließ ich meine Peitsche knallen, doch der Schlag hatte nicht ganz die gewünschte Wirkung. Miss Granate hatte Myelinscheiden auf ihrer Panzerung, dafür hatte sie sicher Alpha-Motoneuronen getötet. Scheiße! Mich hatte noch ein Schuss erwischt! Autsch!

Und jetzt kamen auch noch Ranviersche Schnürringe ins Spiel! Was war das denn für eine chaotische, bunt gemischte Truppe?!

Auf einmal kam Bewegung in die Nervenfasern, die den Boden bildeten. Wie Killerwurzeln schlangen sie sich um die Beine der Neuro-Hunter. Die Kavallerie! Na endlich! Diese Gliazellen hatten sich auch ordentlich Zeit gelassen. Na ja, zu ihrer Verteidigung: Ihre ersten Kollegen waren sofort von unserem mörderischen Besuch abgeknallt worden.

Ich nutzte den Moment der Überforderung, der sich in der Gruppe ausgebreitet hatte, um die Reflexbogen-Tante auszuschalten. Puff, ein hübsches Wölkchen. Für die Granatenlady reichte es nicht ganz.

Mit einem weiteren heftigen Schlag konnte ich ihre Myelinschicht durchschmoren, aber ernsthaften Schaden hatte sie dabei noch nicht genommen. Glühend schlangen sich unzählige Neuriten um mich. Mit einem Schrei stürzte ich zu Boden. Die Frau mit der Peitsche hatte mich. Voller Hass starrte ich zu ihr, während sie unbarmherzig einen Schock nach dem anderen zu mir schickte.

„Toxic! Lähm die Gs! MC, Si Feuer! Night auf die Graue!“, erteilte meine Kerkermeisterin flott die Anweisungen. Ein eingespieltes Team. Tja, gleich nicht mehr. Acht Ranviersche Schnürringe sausten auf mich zu, blauleuchtend vor Elektrizität.

Bock auf ein kleines Kräftemessen? Überlegen setzte ich die motorischen Eigenschaften meiner Vorderhörner ein oder anders gesagt: Telekinese. Der gute Night (oder war es doch jemand anderes, der mich angreifen sollte?) leistete kaum Widerstand. Vielleicht hatte ich ihn überrumpelt oder er war schlicht nicht stark genug.

Schwupps wurde er von seinen eigenen Ringen umarmt und die Energie war zu viel für ihn. Hallo Knister-Wölkchen! Herrenlos fielen die Ringe auf den Boden. Inaktiv waren sie weiß und unscheinbar.

„Kali!“, schrie einer der Ballertypen panisch, als er sah, was ich aus seinem Mitstreiter gemacht hatte. Herzlichen Glückwunsch, das würde auch dein Schicksal sein!

Krampfhaft griff ich nach den Fasern der Peitsche, die wie ein brennendes Netz auf mir lag. Es tat weh und gleich würde es so richtig zwiebeln. Ich hielt mein eigenes Nervenbündel voll aufgeladen dagegen. Die Energieüberdosis ließ die ungeschützten Neuriten fast alle durchschmoren. Drei, vier hatten es vielleicht noch überstanden, aber damit konnte man nicht mehr wirklich was machen.

Dafür hatte ich allerdings auch einen mordsmäßigen Impuls abbekommen. Mein Kopf fühlte sich an, als würde er rauchen und ich hatte so einen metallischen Geschmack im Mund.

Vollkommen entgeistert starrte die so unbesiegbare Kommandantin auf ihre zerfetzte Waffe. Das war’s dann. Mir fehlte gerade die Kraft, meine Peitsche richtig hochzutreiben, also schlug ich einfach mit etwas niedriger Reizstärke öfter zu. Fehlten noch drei.

Die waren mittlerweile fertig damit, die Gliazellen abzuschlachten, hatten jedoch ihrerseits auch ein bisschen was einstecken müssen. Außerdem schienen jemandem die Granaten ausgegangen zu sein.

„Oh keine Gamma-Aminobuttersäure mehr? Dann ist Toxic ja gar nicht mehr giftig“, erlaubte ich mir einen kleinen hämischen Spruch. Aber noch gab sie sich nicht geschlagen. Wie ihre beiden verbliebenen Kollegen ballerte sie jetzt wild mit einem Gewehr. Wirklich ein enttäuschendes Ende für diesen aufreibenden Kampf.

„Wisst ihr, ihr wart gut. Kreativ, abgestimmt, schnell. Aber jetzt ist es aus, ihr könnt nichts mehr tun“, konnte ich mir auch eine kleine Rede nicht verkneifen und ließ meinen Worten auch prompt Taten folgen.

Blitzschnell drehte ich mich in der Luft wie ein Bohrer und ließ meine Peitsche dann losschnellen. Diese Technik nannte ich Spiralnerv, als kleines Wortspiel für die mächtigen Spinalnerven. Damit pulverisierte ich glatt den granatenmäßigen Neuro-Hunter. Dabei bekam ich zwar auch ein paar Schüsse ab, aber mein ganzer Körper war noch so heiß-kribbelnd von dem gewaltigen Stromschlag, dass ich den Schmerz gar nicht richtig spürte.

Gleichgültig wirbelte ich meine Peitsche auf die letzten beiden. Wie hießen sie nochmal? Ach egal. Sie hatten die ganze Zeit im Hintergrund gestanden, zwei Mitläufer ohne bemerkenswerte Auffälligkeiten. Pech gehabt, ihr seid den falschen Leuten gefolgt.

Bis zuletzt feuerte der Erste auf mich. Eine sinnlose Verschwendung seiner Munition. Nummer zwei war da anders. Seine Verzweiflungstat bestand darin, mich anzustarren wie einen Todesengel und mich anzuflehen: „Bitte nicht.“

Für einen Moment hielt ich inne. In all den Kämpfen, die ich schon ausgefochten hatte, hatte mich nie jemand um Gnade gebeten. Nie hatte jemand daran geglaubt, dass ich auch gütig sein konnte, menschlich…

Ich sollte ihn zu seinen gewissenlosen Freunden schicken, ganz ohne Frage. Aber… Warum musste es immer mit dem Tod enden? Sie töteten uns, wir töteten sie, das war ein ewiges Hin und Her. Vielleicht sollte jemand mal den ersten Schritt tun, vielleicht sollte jemand den anderen eine Chance geben.

Ich entschied mich dieser jemand zu sein. Klang doch nach etwas Neuem und Aufregendem.

„Ich bin Fly und ich werde dich leben lassen, aber nur unter der Bedingung, dass du keine Gewalt mehr gegen uns ausübst, also weg mit der Knarre!“, verkündete ich engelsgleich und landete leichtfüßig direkt neben ihm.

„Du… Was?!“, verständnislos sah er mich an. „Ich bin Fly, du Neuro-Hunter, mir Waffe, wir Frieden“, formulierte ich es auf idiotisch und streckte auffordernd meine Hand aus. Immer noch etwas zögerlich folgte er meiner Anweisung.

„Bist du ein Gamer?“, fragte er mich unsicher. Ein Gamer? „Ist das alles für dich etwa nur ein Spiel?“, abfällig musterte ich dieses Würmchen. Scheinbar war meine Einschätzung doch falsch. Sie waren alle gleich und ohne sie waren wir besser dran.

„Nein, nein, nein! So war das nicht gemeint! Ähm… mein Name ist Sirius, aber du kannst mich auch Si nennen… Meine Freunde nennen mich Si…“, abwehrend hatte er die Hände gehoben und aus Furcht ein paar Schritte rückwärts gemacht. „Sirius“, wiederholte ich abwägend.

Ich hatte ehrlich keine Ahnung, was ich von ihm halten sollte. „Ja, so wie der Stern“, antwortete er und versuchte etwas wie ein Lächeln, das ordentlich verschreckt aussah. „Du hast Angst“, stellte ich schlicht fest, ohne zu wissen welche Reaktion ich darauf erwarten sollte.

„Du bist unglaublich stark. Du hast alle andern einfach dem Erdboden gleich gemacht und das könntest du mit mir auch jederzeit machen. Normalerweise verliert man bei einer Niederlage immer alles. Es gibt keine Ausnahmen…“, am Ende redete er mehr mit sich selbst, als mit mir, aber ich konnte es trotzdem nicht lassen, es zu kommentieren: „So ein schwarzweiß-Denken verbaut dir verdammt viele Möglichkeiten, Sisi.“

„Tut mir leid, ich bin einfach nur… überrascht“, meinte er vorsichtig und sah mich immer noch so an, als würde ich ihm jeden Moment den Kopf abreißen. Vielleicht würde es helfen, wenn ich meine Waffe auch ablegte. Von wegen Ausgeglichenheit und so.

Er zuckte ordentlich zusammen, als ich die Peitsche bewegte, doch als ich sie um meine Hüfte schlang statt ihn zu grillen, wurde das Fragezeichen in seinem Gesicht nur noch größer.

„Erzähl mir was von dir“, forderte ich ihn möglichst locker auf und weil der Gute ziemlich ratlos wirkte, grenzte ich es noch mit einer Frage ein: „Warum bist du hier, Sisi?“ „Ähm… Ich will ins Gehirn“, antwortete er extrem unsicher. „Und warum?“, bohrte ich weiter nach und verschränkte respekteinflößend die Arme vor der Brust.

„Um die Welt zu retten“, antwortete er schlicht und auf einen Schlag verdammt ernst. „Muss ich dir alles aus der Nase ziehen? Wie wäre es mal mit ein paar Zusammenhängen, Sisi?!“, langsam verlor ich ein kleinwenig die Geduld. „Ich heiße Sirius“, verbesserte er mich regelrecht frech. Unterwürfig und ängstlich hatte er mir besser gefallen.

„Antworten“, erinnerte ich ihn und ließ meine Hand bedrohlich zu meiner Peitsche wandern. „Du verstehst auch wirklich gar keinen Spaß“, ließ er sich davon nicht einschüchtern. Woher kam diese Wendung um 180 Grad?

„Soll ich dir zeigen, wie spaßig ich sein kann?“, drohte ich ihm jetzt ganz offen. „Das fände ich wirklich schön. Ich würde dich gerne näher kennenlernen. Du bist einzigartig… Fly“, flirtete er jetzt etwa mit mir?! Dieses Kompliment! Dieses kleine Lächeln! Ich war total überfordert!

„Komm. Lass uns ein Stück spazieren“, auf eine unerwartete sanfte Art auffordernd hielt er mir die Hand hin. Damit hatte er mich völlig kalt erwischt. Ohne nachzudenken griff ich seine Hand und schlenderte los. Meine Finger kribbelten immer noch von dem krassen Impuls von dem ich mich treffen gelassen hatte, doch da war irgendwie noch mehr…

Auf einmal blieb er stehen und ließ meine Hand wieder los. Verwirrt sah ich ihn an. Generell war gerade alles verwirrend. Was war hier nur los?

„Fly, du hast mich daran erinnert, warum ich hier bin. Und ich danke dir für mein Leben, aber ich kann nicht bleiben. Auf Wiedersehen“, bevor ich ihn aufhalten konnte, verschwand er einfach. Er war bis ans Vorderhorn gegangen, um die Nervenzellen der grauen Substanz zu nutzen.

Verschaltet in der Pyramidenbahn war er über ein Alpha-Motoneuron blitzschnell auf dem Spinalnerv nach da draußen geschickt worden. Eine leuchtende Erregung, wie eine Sternschnuppe…

Kapitel 2

„Was ist denn los? Haben dich diese Versager so hart erwischt, dass du mir nicht mehr beim Schleppen helfen kannst?“, redete Glia ganz locker mit mir, als wäre nichts passiert. Was war überhaupt passiert? Ich verstand diesen Kerl nicht. Er war nett gewesen, irgendwie. Mochte er mich?

Ähm… Lieber sollte ich mich fragen, was er damit meinte, dass er diese Welt retten wollte. Würde er wiederkommen? Er wollte zum Gehirn, bestimmt hatte er bis hierhin auf seinem Weg schon viel gesehen. Ich könnte ihn fragen, wie es außerhalb aussah… Er war irgendwo da draußen. Wie zauberhaft die Impulse flackerten, so frei.

Etwas knallte hart gegen meine Hinterhörner, nicht schmerzhaft, aber verdammt unangenehm. „Was?!“, verständnislos drehte ich mich um. „Was ist los Fly?“, wollte Glia mit in die Hüften gestemmten Händen von mir wissen.

„Musste das sein? Hättest du nicht einen auf warm und einfühlsam machen können?“, grummelte ich und strich mit meiner Hand über meine kribbelnden Hörner. Mechanische Reize machten meiner Gefahrenantenne gar nichts.

„Du kennst mich doch“, erwiderte sie nur mit ihrem frechen Grinsen. Schnaubend rollte ich mit den Augen. „Also was ist passiert?“, wollte sie von mir wissen und drehte dabei die zerfetzte Neuriten-Peitsche prüfend in den Händen.

„Na ja… da war so ein Typ…“, fing ich etwas zögerlich an. „Was? Ein einziger Typ hatte all das Zeug?! Krass! Ich hätte schwören können, es wäre eine ganze Gruppe gewesen“, anerkennend pfiff Glia und räumte dabei lässig weiter.

Irgendwie machte mich das gerade richtig aggressiv. Pampig verbesserte ich sie: „Es war ja auch eine Gruppe!“ „Und was war an dem einen dann so besonders?“, stellte sie mit einem verwirrten Stirnrunzeln genau die Frage, die mich selbst auch überforderte.

„Ach, vergiss es“, grummelte ich nur und wandte mich wieder den unergründlichen Weiten des peripheren Nervensystems zu. „Ich könnte immer noch Hilfe gebrauchen“, meldete sich meine unverbesserliche Freundin. „Das Wegräumen und Aufbereiten ihrer Waffen ist doch sowieso deine Aufgabe und du hilfst mir bei meiner auch nie. Immer wenn die Neuro-Hunter an unsere Tür klopfen, verkriechst du dich. Ich fühle mich schon ein wenig ausgenutzt“, meinte ich so halb ernst, während ich mir die Ranvierschen Schnürringe packte.

Schwebende Energieknotenpunkte… Die Dinger würden sicher auch als Heiligenschein durchgehen oder wenn sie sich fächerförmig um einen herum ausbreiteten, sah das sicher super eindrucksvoll aus. Mal abgesehen davon, dass sie verdammt praktisch waren. Schade, dass ich die Waffen der Neuro-Hunter nicht benutzen konnte, die hatten schon krasses Zeug.

„Tut mir leid, vom Heldentod halte ich nichts und du weißt genau, das würde passieren, wenn ich mich diesen Killern mit meinem Werkzeug entgegenstellte. Du willst mich doch nicht auf dem Gewissen haben, oder etwa doch?“, konterte sie auf meinen Spruch von eben, den ich schon fast wieder vergessen hatte.

„Nein, das würde mir nie einfallen“, erwiderte ich extra ironisch. Geschäftig waren einige der anderen werkenden Gliazellen mit dem Abtransport meiner Kampfausbeute beschäftigt.

Manchmal fragte ich mich, warum sie so waren: Absolut gleichgültig. Sie taten ihre Arbeit ohne je ein Wort zu sagen, sie wurden nie wütend, sie lachten nicht und wenn ein Neuro-Hunter sie erwischte, bildeten sich neue, die genauso aussahen und genauso drauf waren.

Ich hatte wirklich schon alles versucht: Grimassen, Witze, Streiche. Keiner von ihnen hatte je reagiert. Glia war die Einzige mit der ich reden konnte… und Sirius.

„Bist du dir sicher, dass es dir gut geht? Du wirkst so weggetreten…“, bemerkte meine Freundin meine seltsame Stimmung. „Es ist nichts“, log ich nicht sehr überzeugend, was ihr bohrender Blick auch nochmal bestätigte.

Also gut, dann würde ich ihr eben mein Herz ausschütten: „Das hier kann doch nicht alles sein! Ich mache nichts anderes als kämpfen und rumgammeln! Ich hab keine Ahnung, wie es da draußen aussieht! Ich will mehr! Ich will richtig leben! Ich will etwas erleben!“

„Fly“, mit einer Mischung aus Genervtheit und Mitgefühl seufzte sie: „Das hatten wir doch schon so oft. Wir sind im Krieg. Du kannst hier nicht weg. Wer würde dann unser Segment gegen die Neuro-Hunter verteidigen? Wir gehören hierhin, das ist eben so, daran kannst du nichts ändern.“

„Und was, wenn doch?“, entgegnete ich herausfordernd: „Ich hab mit einem von ihnen gesprochen.“ „So einen richtigen Dialog?“, fragte Glia nochmal nach. „Nein, Lippenlesen“, konterte ich ironisch: „Na was denn sonst?“

„Normalerweise ist das doch nur ein Austausch von Drohungen“, stellte sich meine Freundin unterdurchschnittlich geistreich an. „Deswegen ist es ja auch etwas Besonderes“, ungewollt schlich sich ein leicht motziger Unterton in meine Stimme. Das war einfach ganz und gar nicht die Reaktion, die ich erwartet hatte!

Eigentlich wusste ich nicht einmal genau, womit ich gerechnet hatte, aber definitiv nicht dieses lasche Irgendwas! Und jetzt kommentierte sie es nicht einmal! Sie sah mich einen Moment schweigend an und bückte sich dann, um noch eine lose Nervenfaser aufzuheben! Das konnte jetzt doch nicht ihr Ernst sein!

„Halloho! Erde an Glia! Hast du nicht gehört? Ich habe mit einem geredet!“, versuchte ich es nochmal. „Und hast du ihn danach ausgeschaltet?“, auf einmal war sie völlig abweisend. „Nein“, antwortete ich trotzig.

„Das ist kein Spiel. Du kannst keinen von ihnen einfach so davonkommen lassen. Wenn er zurückkommt, und das wird er, musst du es beenden. Wir oder sie. Etwas anderes gibt es nicht“, hielt sie mir todernst einen Vortrag. Das passte gar nicht zu ihr.

„Was ist daran denn so schlimm? Wir haben nur geredet, er hat niemanden verletzt!“, rechtfertigte ich mich, auch wenn es streng genommen nicht ganz stimmte. Vor unserer kleinen Unterhaltung hatte er ein paar dieser eintönigen Abwehr-Glias abgeknallt, was zwar nicht nett war, aber bei diesen persönlichkeitslosen Zombies konnte ich das fast schon verstehen.

„Du kannst die Regeln nicht ändern“, mit diesen weisen Worten zog meine beste Freundin einfach ab. Fassungslos starrte ich ihr hinterher. Was war nur mit ihr los?! Das war nicht meine Freundin! Das war nicht die Glia, wie ich sie kannte…

„Was glotzt du denn so blöd?!“, fuhr ich eine andere Gliazelle an, die zufällig in meine Richtung sah. Ohne jede Emotion ging sie mechanisch weiter ihre Arbeit nach. Wütend ließ ich die Ranvierschen Schnürringe wieder fallen und stapfte davon.

Ich ging bis zu den äußersten Wurzelfäden des Hinterhorns. So gerne hätte ich irgendwo gegen geschlagen oder mich wenigstens an einen Ort zurückgezogen, an dem ich wirklich ganz alleine war und mich ungestört abreagieren konnte. Aber ich stand hier. Ich war immer nur hier…

Sirius war einfach verschwunden. Warum tat ich es nicht auch? Warum?

„Da bin ich wieder mein Schmetterling“, hörte ich auf einmal seine Stimme hinter mir und zwar ganz schön selbstüberzeugt. Wenn man vom Teufel spricht. „Es war keine gute Idee von dir wiederzukommen!“, mit diesen Worten wirbelte ich herum und verpasste ihm einen Tritt der gesessen hatte. Sauber fegte ich ihn von den Beinen. Und da war sie wieder, die Angst. Meine Hand hing über dem Griff meiner Peitsche in der Luft. Es wäre so einfach. Es wäre wie es immer war. Wir oder sie.

Für einen langen Wimpernschlag sah ich mir einfach nur sein Gesicht an. Recht kantige Gesichtszüge, jedoch ohne Brutalität auszustrahlen, schmale Lippen, die gerne öfter lächeln würden und smaragdgrüne Augen, die wahrscheinlich mehr von seiner Unsicherheit verrieten, als ihm bewusst war.

Irgendwie wollte ich nicht, dass auf seinem Gesicht Angst stand. Er wirkte so menschlich. Und er war die Abwechslung, nach der ich mich so lange schon sehnte. Glia hatte unrecht. Ich konnte die Regeln ändern! Regeln waren da, um gebrochen zu werden! Ich schrieb mein Leben selbst!

„Das war nur ein Scherz“, breit grinste ich ihn an und nahm eine lockere Haltung ein. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass dein Humor…“, mit verzogenem Gesicht fing er an sich wieder aufzurichten, doch dann stockte er. Was? Hatte er für einen Augenblick tatsächlich vergessen, dass wir auf befeindeten Seiten standen und normal mit mir geredet? Und jetzt hatte er natürlich Angst, dass die Folge seiner Offenheit der Tod sein würde.

„Außergewöhnlich ist“, beendete er seinen Satz mit Samthandschuhen. „Du kannst ruhig sagen, was du denkst. Du findest das gar nicht lustig. Aber den Tritt hast du verdient, du bist einfach so abgehauen! Nicht sehr nett“, machte ich ihm einen Vorwurf, der hoffentlich nicht zu verletzt klang.

Er sollte sich bloß nichts einbilden! Ich könnte ihn immer noch jeder Zeit töten! Theoretisch.

„Es tut mir leid“, mit dieser aufrichtig klingenden Entschuldigung nahm er mir schlagartig den Wind aus den Segeln. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ein Neuro-Hunter entschuldigte sich bei mir, einem Rückenmarksträger. Der Tag ging in die Geschichtsbücher ein!

„Wie wäre es mit einer Begründung, warum du mitten im Gespräch verduftet bist und jetzt wieder auf der Matte stehst?“, forderte ich ihn auf und verschränkte meine Arme eine Spur streng und autoritär vor der Brust. „Das ist eine berechtigte Frage“, zu dieser wertlosen Äußerung packte er noch ein möglichst wertschätzendes Nicken, als würde ich dann nicht merken, dass er damit nur Zeit schinden wollte.

„Spar dir die Energie, dir eine Lüge auszudenken. Ich rate dir, gleich mit der Wahrheit rauszurücken“, und schon war ich wieder im Drohmodus, dabei sollte das doch eigentlich einen gemeinschaftlichen Versuch von etwas wie Frieden darstellen. „Ähm…“, gab er gedehnt von sich und ich konnte förmlich sehen, wie es in seinem Kopf ratterte.

Das musste ja eine miese Wahrheit sein, wenn er sich so sträubte sie preiszugeben. Gekünstelt seufzte er, um sein Nachgeben zu untermalen: „Ich war von dem Kampf sehr fertig und musste schleunigst geheilt werden.“ „Was für eine langweilige Lüge! Jetzt bitte die Wahrheit“, entgegnete ich unbeeindruckt.

Kurz sah er mir ganz aufgewühlt und eine gute Spur ertappt in die Augen, dann wandte er befangen den Blick ab: „Ich wollte dich auf meine Seite ziehen, um mit dir dieses Segment zu erobern. Du bist eine wertvolle Waffe.“

Pfiffiges Geständnis mit einem plausiblen Grund, warum er zuerst eine Lüge vorgeschoben hatte. Er gab einen Scheiß auf mich und wollte mich nur benutzen. Ganz schön verletzend, wenn es wahr wäre.

„Schon besser“, lobte ich ihn lässig: „Aber du bleibst ein schlechter Lügner. Spuck es endlich aus, sonst muss ich dir wieder weh tun.“ „Es tut mir leid. Das ist das Geheimnis der Neuro-Hunter, wenn ich es dir verrate, bringe ich sie alle in Gefahr. Nimm’s nicht persönlich, aber ich kann es dir nicht anvertrauen“, obwohl er mir damit im Grunde überhaupt nichts sagte, war ich von seiner Offenheit schon ein wenig beeindruckt.

„Denkst du, du kannst es mir irgendwann erzählen?“, wollte ich viel zu verständnisvoll wissen. Überrascht sah er mich an. Klar, er hatte mit der nächsten Drohung gerechnet. Was sonst. Doch dieses miese Vorurteil glich er mit einem zweiten Anfall von purer Offenheit und Ehrlichkeit wieder aus: „Wenn ich dir alles sage und du hast, was du willst, bringst du mich dann um?“

„Vielleicht“, antwortete ich mit einem kleinen Lächeln. Mal im Ernst, diese Todesstimmung war doch viel zu düster und musste dringend aufgelockert werden. „Vielleicht rüste ich in der Zeit ja auch richtig auf und töte dich“, konterte er schelmisch. „Versuch es ruhig. Ich besorg schon mal eine Packung Taschentücher für danach“, machte ich frech weiter.

„Ich würde doch nie vor einer hübschen Frau weinen“, schlitterte er in eine Übergangszone aus scherzhaft und schmalzig. Und ich ließ die unbeschwerte Stimmung mit Volldampf gegen eine Wand fahren: „Ich bin keine Frau.“

Im nächsten Moment bereute ich diese Worte schon. Warum hatte ich diesen ausgelassenen Traum nicht noch ein wenig weiter bestehen lassen? Konnte ich etwas Schönes und Freies nicht einfach genießen?

„Und was bist du dann?“, fragte er mich ganz ernsthaft und tiefgründig. Na? Was war ich? Eine Wächterin? Eine Kriegerin? Eine Mörderin? Eine Gefangene? Eins war klar, ich war nicht das, was ich eigentlich sein wollte… Mega deprimierend.

„Dein schlimmster Alptraum“, erwiderte ich schlagartig wieder zum Spaßen aufgelegt. Ich hatte genug von meinen düsteren Gedanken.

„Wie überwältigend schön müssen dann erst meine normalen Träume sein?“, schleimte sich dieser verkorkste Angsthase wieder volle Latte bei mir ein. „Übertreib es nicht“, ermahnte ich ihn semi-ernst. „Schon gut“, beschwichtigend hob er die Hände: „Aber für einen Alptraum bist du wirklich nicht sehr monströs.“

„Findest du mich etwa nicht respekteinflößend und stark?“, verstand ich ihn absichtlich falsch und machte wieder Anstalten meine Peitsche zu greifen. „So habe ich das nicht gemeint und das weißt du“, dieses Mal ließ er sich nicht so leicht einschüchtern und er ging sogar noch weiter: „Du bist ganz schön unberechenbar. Scherze, Drohungen… Ziemlich wankelmütig.“

„Ich rate dir, dass das ein Kompliment war“, mit dieser halben Drohung bestätigte ich eigentlich nur seine Feststellung. „Aber natürlich“, versicherte er mit einer Prise Ironie. „Du bist die zweite Person, mit der ich überhaupt rede, ist doch klar, dass meine Sozialkompetenzen eine Katastrophe sind“, rechtfertige ich mich nachträglich.

„Du redest also nicht mit den anderen…“, angestrengt suchte er nach einem Oberbegriff für uns. Ich konnte es ihm nicht verübeln, mir würde auch nichts einfallen. „Ich habe eine Freundin, Glia. Sie gehört zu den Reparateuren. Bei ihr sind auch die Schätzchen, die deine Vorgänger hiergelassen haben“, erzählte ich ihm offen.

„Und das verrätst du mir einfach so?“, überrascht hatte er die Augenbrauen hochgezogen. „Warum auch nicht? Wenn du versuchst sie mit Gewalt an dich zu reißen, bist du tot“, erwiderte ich mit einem lockeren Schulterzucken. Bedächtig nickte er und ich Wahnsinnige knuffte ihn doch tatsächlich ausgelassen in die Seite. Für diese hirnlose Geste bekam ich von ihm ein kleines, echtes Lächeln. Doch dann gewann der Neuro-Hunter wieder die Oberhand: „Wäre es für dich in Ordnung, wenn ich jetzt wieder gehe?“

„Was denn, du fragst mich um Erlaubnis?“, ich versuchte es frech und unbekümmert klingen zu lassen, aber es war mir bei Weitem nicht so gleichgültig wie ich vorspielte. Ich hatte noch so viele Fragen! Und er war so gut wie meine einzige richtige Gesellschaft!

„Ich will nicht, dass du denkst, es wäre wegen dir“, nahm er erstaunlicherweise Rücksicht auf meine Gefühle: „Ich wurde gerufen.“

Ein bitteres Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus: „Unser Gespräch wurde übertragen und jetzt willst du mit ihnen besprechen, wie es möglich ist, die Waffen ungesehen zu stehlen und mich damit umzubringen.“

Enttäuscht schüttelte ich den Kopf. Doch ich war nicht enttäuscht von ihm, sondern von mir. Ich hätte das von Anfang an wissen müssen. Ich hätte nicht zögern sollen. Er war ein Neuro-Hunter. Er wollte uns alles nehmen. Wie hatte ich nur glauben können, dass sich diese unumstößliche Regel ändern würde?

„Nein! Fly! So ist es nicht!“, beteuerte er mit wachsender Panik und dieses Mal sollte er auch Angst haben. Knisternd floss tödliche Elektrizität durch meinen Neuriten: „Du bist immer noch ein schlechter Lügner.“

Kapitel 3

Alles in mir kochte. Dumme Hoffnung! Dumme Träume! Dummes Herz! Pfeilschnell zerschnitt meine Peitsche die Luft. Ich konnte in den Augen des Neuro-Hunters sehen, wie sein Leben an ihm vorbei zog, dieses blanke Entsetzen, ein Moment, der zu tausenden wurde.

Dabei hatte ich noch gar nicht auf ihn gezielt, das war erst zum warm werden gewesen. Jetzt war meine brodelnde Wut bereit auszubrechen. Mit einem fürchterlichen Kampfschrei verpasste ich ihm den ersten Hieb.

Der elektrisierte Treffer brachte wieder Leben in ihn. „Fly! Nein! Bitte!“, flehte er und versuchte noch wegzukriechen. Dieses Mal nicht! Erbarmungslos gab ich ihm den Rest. Und puff! Von ihm blieb nichts als eine bittere Erinnerung und ein paar Funken, die schnell verglüht waren.

Schweratmend stand ich da. Ich hatte ihn wirklich getötet. Dieser Ausdruck in seinen Augen… Die Spiegelung meines Nervenfortsatzes kurz bevor es endgültig vorbei gewesen war… Warum fühlte ich mich so mies?! Er hatte es verdient gehabt! Es war das Richtige gewesen! Es war meine Pflicht gewesen! Eigentlich müsste ich mich rechtschaffen und zufrieden fühlen!

Mit einem emotionsgeladenen Schrei schlug ich meine Peitsche auf die Axone, die als weiße Substanz hier den Boden bildeten. Nur ein kleines Stück und er hätte über eine Nervenbahn verschwinden können… Wäre er doch nur nie wieder gekommen…

Scheiße! Jetzt brannten mir sogar schon Tränen in den Augen!

„Hey, Fly! Was ist denn los?“, fragte mich meine Freundin aus dem Nichts. Krampfhaft versuchte ich diese verdammten Tränen zurückzuhalten. „Nur ein weiterer Neuro-Hunter“, presste ich steif hervor. „Ein Neuro-Hunter oder der Neuro-Hunter?“, bohrte sie nach und legte mir verständnisvoll die Hand auf die Schulter. Vor ein paar Minuten hatte das doch noch ganz anders geklungen…

„Er ist tot, so wie die anderen, bist du jetzt zufrieden?!“, ruppig schüttelte ich ihre Hand ab und stapfte davon. „Es tut mir leid, wie ich vorhin drauf war, es ist nur eben unsere Aufgabe hier…“, versuchte sich diese penetrante Nervensäge zu rechtfertigen, doch dafür hatte ich gerade keinen Nerv: „Schon gut! Ich versteh‘s ja! Und jetzt solltest du vielleicht mal deiner Aufgabe nachgehen und dich um die Waffen kümmern!“

Ohne ein weiteres Wort verzog sie sich endlich. Und da war ich wieder, allein und wütend. Mein Leben lief so fantastisch! Ich wusste nicht, ob es Minuten waren oder Stunden. Ich wusste nicht, ob ich wütend war oder traurig. Ich wusste nicht, ob das wirklich Empathie für einen gewissenslosen Killer oder einfach Selbstmittleid war. Ich wusste nur, dass ich hier war und dass ich das immer sein würde. Und diese eine Gewissheit, die ich hatte, machte das alles nur noch viel schlimmer.

Andere konnten ihren Problemen davonlaufen, ein Tapetenwechsel, ein ganz neues Leben… Verloren schlang ich meine Arme um die Beine. Vor mir leuchteten all die elektrischen Signale des peripheren Nervensystems. Etwa so musste sich ein Fisch in einem Aquarium fühlen. Eine ganze Welt in Sichtweite und doch unerreichbar…

Und ich war eine Platte mit Sprung, die immer das gleiche Thema abspulte! Ich war gefangen, ich erlebte nichts Richtiges, heul!

Meine Hinterhörner kribbelten wieder. Na gut. Würde ich diese Gefühlsscheiße an denen auslassen. Kampfbereit griff ich nach meiner Peitsche. Sie hatten den Fasciculus gracilis gewählt. Dummerweise stand ich gerade auch im hinteren Rückenmarksbereich. Pech gehabt. Die drei Neuro-Hunter waren hinüber, bevor sie sich überhaupt richtig wehren konnten, ein langweiliger Kampf.

„Fly“, versuchte es Glia nochmal und kam angelaufen. In diesem Hamsterrad konnte ich ihr nicht ewig aus dem Weg gehen. Damit ich dabei wenigstens nicht ganz blöd dastand, bückte ich mich, um Ranviersche Schnürringe aufzuheben. Scheinbar waren die Dinger im Moment im Trend.

„Ich hab nachgedacht“, fing die Bastlerin ja sehr verheißungsvoll an, solche Gespräche konnten nichts werden: „Du solltest nicht hier bleiben.“ Unsicher sah ich auf. Meine Stirn war so krass gerunzelt, dass ich mir gut vorstellen konnte, dass selbst meine Vorderhörner schief standen.

„Soll das ein Scherz sein?“, fragte ich verwirrt, denn das war meilenweit von ihrem schelmischen Gesichtsausdruck entfernt, auch schelmisch-ernst war das eindeutig nicht. „Nein, das ist mein Ernst. Ich seh doch, wie unglücklich du hier bist. Irgendwann wird dich das kaputt machen. Du solltest gehen“, erwiderte sie ganz sanft und fürsorglich oder mit anderen Worten: Sie war das genaue Gegenteil von meiner schlagfertigen, stoischen Freundin.

Natürlich konnte Glia auch mal nett sein, aber nicht so nett und schon gar nicht so gegen die Regeln. Sie hatte mir sicher schon tausendmal gesagt, dass meine Aufgabe wichtig war oder die Gesetze unseres Lebens sonst wie schöngeredet.

Das hier passte einfach so gar nicht. Irgendetwas stimmte mit ihr nicht. „Jetzt guck mich nicht so an!“, beschwerte sie sich wieder typisch Glia. „Hast du bei dem Kampf etwas abbekommen? Ich glaube, dein Gehirnareal für die Entscheidungsfindung wurde gegrillt“, entgegnete ich und am liebsten hätte ich ganz lässig die Arme vor der Brust verschränkt, doch ich hielt ja immer noch die ringförmige Waffe in der Hand.

„Ist es denn so schwer für dich, mir einfach zu glauben?“, genervt stöhnte sie. „Ja“, antwortete ich schlicht. „Memo an mich: Ich habe Vertrauensprobleme“, murmelte sie und klatschte sich dabei kopfschüttelnd die Hand an die Stirn. Jap, sie hatte eindeutig einen Kurzschluss in ihrem Denkkasten!

Völlig ernst und ein wenig aufgebracht wandte sie sich wieder an mich: „Ich biete dir hier die Chance an, dir bei deinem größten Wunsch zu helfen und du stellst nur dumme Fragen! Willst du warten, bis der nächste Neuro-Hunter ein Herz zeigt und dich träumen lässt oder willst du dein Leben selbst in die Hand nehmen?!“

Die Ansprache hatte gesessen. Sie hatte recht! Ich wollte nicht warten und träumen!

„Warum musst du immer recht haben?“, ging ich grinsend auf ihr verrücktes Angebot ein. „So bin ich nun mal“, erwiderte sie mit dem gleichen verschmitzten Grinsen. „Und wie wollen wir das anstellen?“, schaltete ich zur Abwechslung auf zweckdienlich. „Hast du Lust auf ein Umstyling?“, fragte sie immer noch so schelmisch.

„Verkleiden? Das ist die Lösung? Und du denkst mit einem neuen Outfit kann ich die Bahnen auf einmal nutzen?“, ließ ich mich von ihrer Ausgelassenheit nicht anstecken und blieb lieber wieder skeptisch. Das war für mich echt eine große Nummer und ich wollte mir keine falschen Hoffnungen machen und danach in den nächsten rosigen Tiefpunkt rutschen. Enttäuschungen hatte ich fürs Erste genug.

„Ein bisschen mehr gehört schon noch dazu. Ich habe mit dem Kram der Neuro-Hunter etwas gebastelt, das dir den Zutritt zu den Bahnen verschaffen sollte. Die Verkleidung ist nur, damit du nicht jedes Mal kämpfen musst, wenn du auf Neuro-Hunter triffst. Es ist besser, sie halten dich für eine von ihnen, aber an deiner Stelle würde ich mich dennoch so gut wie möglich von ihnen fernhalten“, erklärte sie jetzt auch auf ernster Ebene, trotzdem war da dieses gewisse Strahlen.

Sie freute sich für mich. Und ich… Man! Ich hatte Angst! Verdammte Hacke! Mein größter Traum wurde wahr und ich mutierte zum Angsthasen! Wie dämlich ist das denn?!

„Ich weiß, das ist viel auf einmal. Wenn du willst, müssen wir es nicht sofort machen. Wir haben alle Zeit der Welt“, richtig verständnisvoll legte sie mir die Hand auf die Schulter.

„Seit wann bist du so rücksichtsvoll?“, entgegnete ich neckend. Da schlug wohl wieder meine gestörte Sozialkompetenz durch. „Das verletzt mich jetzt aber sehr. Ich war schon immer eine sanfte Seele“, erwiderte sie theatralisch. Ausgelassen prusteten wir beide los. Wenigstens war ich nicht alleine verrückt.

„Ich bin echt froh, dich als Freundin zu haben“, voller Wärme lächelte ich sie an. „Wir sind einfach eins“, meinte sie ebenfalls lächelnd, doch irgendwie war da noch mehr… Was sagte sie nicht?

„Du willst eigentlich nicht, dass ich weggehe, oder?“, erriet ich ihren seltsamen Gesichtsausdruck. „Nein… Ja… Du bist meine beste Freundin! Natürlich will ich nicht, dass du weg bist und ich werde dich auch tierisch vermissen, aber ich will noch mehr, dass du glücklich bist und das ist in Ordnung. Im Herzen werde ich immer bei dir sein“, nach dieser emotionalen Rede verzog sie das Gesicht, als hätte sie in eine besonders intensive Zitrone gebissen: „Das klang jetzt aber kitschig.“

„Du bist auch meine Freundin und das war schon in Ordnung“, zitierte ich sie mehr oder weniger und umarmte sie fest: „Ich werde dich auch vermissen.“ Als ich sie wieder losließ ergänzte ich mit einem leicht traurigen Lächeln: „Ich würde dich ja bitten mit mir zu kommen, aber dann wärst du nicht glücklich.“

„Jap, mein Platz ist hier. Sehr rücksichtsvoll von dir, dass du mich nicht zu einer irrwitzigen Reise drängen willst“, witzelte sie, halt voll Glia. „Tja, ich war schon immer eine sanfte Seele“, konterte ich schmunzelnd. Ich würde sie wirklich vermissen. Aber ich konnte ja jederzeit wiederkommen. Genau. Das war kein Abschied auf ewig.

„Ich werde dich auf jeden Fall besuchen und dir alles bis ins kleinste Detail erzählen. Mach dich auf einen langen Monolog gefasst“, versprach ich ihr ziemlich aus dem Nichts. Und da war er wieder, dieser merkwürdige, irgendwie melancholische verschlossene Gesichtsausdruck.

„Ich freu mich schon drauf“, ihr Lächeln konnte es nicht verbergen, dafür kannte ich sie einfach zu gut. Ich könnte sie gleich wieder in den Arm nehmen. Dieser Moment war wirklich sehr emotional. Mit mir ging es auf und ab und mein Herz konnte sich gar nicht richtig entscheiden, welches Gefühl dabei im Vordergrund stand. Aber eins wusste ich ganz genau: Glia war die beste Freundin aller Zeiten! Und obwohl wir es eben schon hatten, umarmte ich sie nochmal.

„Ist ja gut“, lachte sie auf und klopfte mir auf den Rücken. „Ich hab nie gedacht, dass wir uns mal trennen würden“, sagte ich, während ich mich anschickte, sie für immer festzuhalten, was natürlich völliger Schwachsinn war. Irgendwie kam mir gerade wieder alles so unwirklich vor. Das war einfach so krass! So unvorstellbar! Ich konnte mich nicht erinnern, je so aufgeregt gewesen zu sein!

„Was denn? Dachtest du, wir sind siamesische Zwillinge? Da hast du aber einiges verpasst“, konterte sie mal wieder mit ihrem Humor. Es war genau wie dieses lachende Rückenklopfen, sie spielte ihre Gefühle runter. Doch das war in Ordnung. Schließlich war ich ihre Freundin und nicht ihre Therapeutin!

„Du weißt genau, was ich meine“, erwiderte ich nur schlicht. „Wann sollen wir es machen?“, wollte sie wieder ganz ernst von mir wissen. „Jetzt“, entschied ich voller Aufregung. Alles in mir kribbelte und prickelte wie verrückt. Das war wie ein richtig heftiger Stromschlag, nur in Gut. Darauf hatte ich so lange gewartet! Es fühlte sich immer noch nicht ganz real an. „Dann los“, mit diesen Worten hakte sich Glia bei mir ein und wir machten uns endgültig auf den Weg zum Markt. Er befand sich genau in der Mitte unseres Segments und hatte einfach alles. Aufbereitete Waffen, Outfits, sonstige Ausrüstung, selbst eine kleine Bar und als besonders süßes Detail gab es sogar eine Art Brunnen im Zentrum: Der Zentralkanal. Streng genommen floss da zwar Liquor und kein Wasser, aber die paar Nährstoffe und Immunkörper, die darin gelöst waren, fielen doch nicht ins Gewicht. Außerdem war diese klare Säule irgendwie schick.

Unser kleiner Markt hatte nur ein Problem: Die Bewohner. Außer Glia und mir waren es nur diese persönlichkeitslosen, austauschbaren Nervensägen. Man könnte es fast für eine Geisterstadt halten, nur in mini, so viele Gebäude waren es nun auch wieder nicht.

Schlagartig bekam ich richtig miese Schuldgefühle, weil ich meine beste Freundin hier alleine lassen würde. Zweifelnd blieb ich stehen. Wie konnte ich gleichzeitig so dringend gehen und bleiben wollen?! Das ergab überhaupt keinen Sinn! „Hör auf dir so viele Gedanken zu machen!“, wies mich Glia zurecht und hatte dabei so ein spezielles, gutmütiges Lächeln im Gesicht. „Ich finde es nicht richtig…“, setzte ich an und als ich sah, dass sie mich gleich unterbrechen wollte, fuhr ich schnell fort: „Lass mich erst ausreden! Ich finde es nicht richtig, einfach so zu verschwinden, als wäre es keine große Sache. Es ist verdammt bedeutend! Wir sollten das feiern! Eine Abschiedsfeier.“

„Du hast recht! Warum bin ich nicht darauf gekommen? Wann bist du so klug geworden?“, ausgelassen grinste sie mich an. Als Antwort knuffte ich sie lachend in die Seite. Wir mussten uns gar nicht absprechen, wie diese Party anzugehen war. Einstimmig marschierten wir in die Bar.

Bunt tanzten die Lichter über die grauen Wände, vom Eingang zog immer wieder ein Schimmern durch das gesamte Gebäude, welches bei der erhöhten Theke endete. An den Rändern standen Bänke mit flachen Kissen und in der Mitte befand sich die Tanzfläche mit einer schraubenförmigen, blinkenden Säule in der Mitte, oder mit anderen Worten: Wir waren quasi in einer Party-Nervenzelle, kurz Panne.

Den Begriff hatte sich natürlich Glia ausgedacht und wir hatten echt schon so oft gewitzelt, wir hätten eine Panne! Jede Menge schöne Erinnerungen. Ich liebte diesen Ort! Der Zellkern diente als Tanzfläche, die DNA war natürlich diese schmucke Säule (die sich sogar drehen konnte), die Mitochondrien waren bequemen Bänke und weil sie die Kraftwerke der Zelle waren, wurde da natürlich auch Kraft aufgetankt mit bunten Getränken und lustigen Snacks. Der Axonhügel war die Theke, bei dem die Informationen umgewandelt wurden (Bestellung→Drinks) und um das Bild komplett zu machen, zeigte der Fluss des Lichts zur Hügel-Theke die Weiterleitung einer Erregung in der Nervenzelle.

Einfach genial! Wie geil wäre das Leben, wenn jede Zelle im Körper so eine abgefahrene Bar wäre? Das Leben wäre eine Party und man müsste nur zur Musik tanzen! Glia setzte dieses Motto auch gleich um.

Ausgelassen griff sie sich meine Hände und zog mich zur Tanzfläche. Dabei hätte sie fast einen der kleinen kugelförmigen Mülleimer-Roboter umgerannt, die hier ähnlich wie Lysosome umher flitzten und alles sauber hielten. Irgendwie waren die kleinen Kerlchen fast schon süß. Wir hatten einem von ihnen mal Augen und Ohren angeklebt, sodass er wie ein verrücktes Haustier ausgehen hatte und ihn Somi genannt. Ein Mülleimer-Haustier…

Was hatten wir alles für schräge Sachen gemacht?

Bei der Erinnerung musste ich einfach loslachen. Mit einem lächelnd fragenden Blick sah meine beste Freundin mich an. „Ich musste gerade an Somi denken“, teilte ich meine Gedanken zwischen zwei Lachern mit ihr. Sofort prustete auch sie los: „Er wollte einfach nicht Sitz machen! So ein unartiges Haustier!“

„Egal wie leidenschaftlich du es ihm vorgemacht hast!“, hemmungslos kicherte ich vor mich hin. Bestimmt war ich vor Lachen schon knallrot. Ich würde nie vergessen, wie sie sich auf den Boden fallen gelassen hatte und dann noch eine Ewigkeit über die Schmerzen in ihrem Steißbein geklagt hatte.

„Aber apportieren konnte er wie ein Weltmeister!“, dachte sie vor Lachen schnaufend zurück. „Wir waren so Müllschleudern!“, ich lachte mir so einen ab! Wir lachten und tanzten, wir tranken, tanzten noch mehr, schwelgten in Erinnerungen und landeten schließlich total platt auf einem Mitochondrien-Sofa.

„Das ist echt eine der krassesten Pannen, die wir je hatten“, meinte ich richtig außer Atem. „Deine Moves an der DNA-Stange sind immer noch so mies, wie am ersten Tag“, musste sie mich natürlich necken. „Und wenn du singst, platzt fast die Zellmembran“, konterte ich verschmitzt.

Auf einmal spürte ich wieder dieses unheilverkündende Prickeln in meinen Hinterhörnern und meine ausgelassene Stimmung verschwand wie all die Neuro-Hunter, die ich schon eliminiert hatte. Puff und weg.

„Die gönnen uns aber auch gar nichts“, versuchte Glia es mit Humor zu nehmen, doch ihr Lächeln konnte man kaum als solches bezeichnen. Jap, ich fand es auch gar nicht lustig, dass uns die Neuro-Hunter immer jeden schönen Moment wegnahmen.

„Ich erledige das, leg du schon mal alles für meine Abreise bereit. Ich komme danach zu dir“, ernst stand ich auf. Ein letztes Mal würde ich meine Pflicht erfüllen, ein letztes Mal würde ich die Hüterin dieses Segments sein, ein letztes Mal würde ich töten.

Kapitel 4

Ich ließ die bunte, unbeschwerte Welt der Bar hinter mir. Die Party war vorbei. Konzentriert ließ ich meinen Blick über meine allzu vertraute Heimat schweifen. Bis ich den Eindringling entdeckte, brauchte ich einen Moment.

Dieses Mal war es tatsächlich nur einer, der sich hergewagt hatte. Normalerweise schwärmten diese Parasiten ja gerne in Gruppen aus. Das würde leicht werden…