Die vergessene Plage - Wilma Müller - E-Book

Die vergessene Plage E-Book

Wilma Müller

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Beschreibung

Etwas zu vergessen, macht es nicht ungeschehen. Die Geschichtsschreiber haben mich vielleicht vergessen, aber das hier ist meine Geschichte. Kurz und knapp: Ich bin eine der ägyptischen Plagen, meine zehn Brüder sind auch Plagen, nur haben sie einen Gastauftritt in der Bibel bekommen, ich nicht. Ziemlich unfair. Doch das war längst vergangen, jetzt standen wir einer viel größeren Herausforderung gegenüber: Einem Leben als Menschen: Familienkrach, verbotene Freundschaft, überraschende Liebe und - die Apokalypse. Klingt nach echt viel Chaos? Jap. Ganz schön aussichtslos? Auch. Eine Chance nicht vergessen zu werden? Vielleicht.

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Wilma Müller, geboren 2003, hat gerade ihr Abitur bestanden. Mit 13 Jahren begann sie ihre Ideen zu Papier zu bringen. „Die vergessene Plage“ ist ihr vierter Fantasyroman. Außerdem stammt die Kinderbuchreihe „Bougoslavien“ – eine Katzenwelt aus ihrer Feder.

Für den Osterhasen, ohne den ich nie dieses schicke Cover gewonnen hätte.

Biblische Verkörperungen

Plagen:

1. Assan

→ Wasser zu Blut

2. Florian

→ Frösche

3. Kasimir

→ Stechmücken

4. Finn

→ Ungeziefer

5. Noah

→ Viehpest

6. Gustav

→ Geschwüre

7. Hagen

→ Hagel

8. Rex

→ Heuschrecken

9. Darko

→ Finsternis

10. Joshua

→ Tod aller erstgeborenen Menschen und Tiere

11. Amelia

→ Vergessen

Sünden / Hauptlaster:

1. Christopher

→ Hochmut

2. Devin

→ Habgier

3. Henry

→ Wollust

4. Eira

→ Zorn

5. Gudrun

→ Völlerei / Maßlosigkeit

6. Lydia

→ Neid

7. Stella

→ Trägheit

Apokalyptische Reiter:

1. Colin

→ Anarchist, Korruption; Attribute: Pfeil und Bogen; Pferd: weiß

2. Bob

→ Krieg, Gewalt; Attribute: Schwert; Pferd: rot

3. Mark

→ Teuerung, Hungersnot; Attribute: Waage; Pferd: schwarz

4. unbekannt

→ Tod, Pest; Attribute: Sense; Pferd: aschfahl

Das Buch mit sieben Siegeln:

1. Siegel

→ entfesselt den ersten Apokalyptischen Reiter

2. Siegel

→ entfesselt den zweiten Apokalyptischen Reiter

3. Siegel

→ entfesselt den dritten Apokalyptischen Reiter

4. Siegel

→ entfesselt den vierten Apokalyptischen Reiter und die Heerscharen der Hölle

5. Siegel

→ beschwört die Seelen der Märtyrer

6. Siegel

→ lässt die Erde beben, die Sonne schwarz werden, den Mond sich blutrot färben und die Sterne auf die Erde fallen

7. Siegel

→ läutet das Ende der Welt ein, durch sieben Engel mit Posaunen und einen weiteren mit einem Rauchfass

Inhaltsverzeichnis

Prolog

63 Stunden bis zur Apokalypse

61 Stunden bis zur Apokalypse

59 Stunden bis zur Apokalypse

58 Stunden bis zur Apokalypse

55 Stunden bis zur Apokalypse

56 Stunden bis zur Apokalypse

42 Stunden bis zur Apokalypse

41 Stunden bis zur Apokalypse

40 Stunden bis zur Apokalypse

38 Stunden bis zur Apokalypse

36 Stunden bis zur Apokalypse

35 Stunden bis zur Apokalypse

34 Stunden bis zur Apokalypse

33 Stunden bis zur Apokalypse

17 Stunden bis zur Apokalypse

14 Stunden bis zur Apokalypse

12 Stunden bis zur Apokalypse

9 Stunden bis zur Apokalypse

7 Stunden bis zur Apokalypse

6 Stunden bis zur Apokalypse

4 Stunden bis zur Apokalypse

3 Stunden bis zur Apokalypse

2 Stunden bis zur Apokalypse

1 Stunde bis zur Apokalypse

0 Stunden bis zur Apokalypse

1 Stunde seit der Apokalypse

3 Stunden seit der Apokalypse

4 Stunden seit der Apokalypse

Epilog

Nachwort

Prolog

Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Ich war keine Heldin. Nie könnte ich etwas anderes sein als eine Plage. Aber warum war kein Held gekommen, um uns aufzuhalten? Wo waren Helden, wenn man sie brauchte?! Oder wenigstens ein Engel! Allerdings waren diese gefiederten Idioten meistens nicht wirklich zu etwas zu gebrauchen. Trotzdem wäre ich gerade über jede Unterstützung froh.

Oh Mann! Heute war echt nicht mein Tag gewesen. Mein erstes Date war zu einer Katastrophe von biblischen Ausmaßen geworden, ich hatte mich mit meinen Geschwistern gestritten, dass die Fetzen nur so flogen, ich war drei Mal ordentlich zusammengeschlagen worden, hatte etwas echt Wichtiges verloren und jetzt kauerte ich in einem halb zerfallenen Gebäude und wartete nur noch auf den Untergang der Welt. Viel schlimmer ging es gar nicht mehr.

Na ja, vielleicht doch. Fast hätte ich vergessen, dass draußen in den Bäumen eine regelrechte Heerschar von Fledermäusen auf mich wartete. Widerwärtige Flatterviecher! Und ich hatte ein gebrochenes Bein. Entkommen sah also schlecht aus.

Verschwommen konnte ich durch das verschmierte Fenster den bleichen Vollmond am Himmel sehen. Wie lange würde es wohl noch dauern, bis er blutrot wurde? Das hier war die Nacht ohne Morgen. Die einzige Frage war, ob ich mit den anderen sterben würde oder schon früher.

Von der Decke seilte sich eine kleine Spinne ab. Schwach lächelnd hob ich die Hand. Sanft landete das hübsche Tierchen auf meiner Handfläche.

Lilli hätte eine Chance zu entkommen. Sie könnte vielleicht noch etwas tun. Diese Dämonen wären ein Kinderspiel für sie.

Doch ich hatte sie vor langer Zeit begraben und ich wusste nicht, ob ich meine eigenen Dämonen überwinden und sie zurückholen konnte.

„Amelia!“, gespenstig hallte seine Stimme durch die Ruine. Kurz schloss ich meine Augen und zerquetschte die kleine Spinne in meiner Faust. Nein. Heute nicht. Lilli musste vergessen bleiben.

63 Stunden bis zur Apokalypse

„Hundert Jahre sind nur ein Wimpernschlag im Leben eines Elben. Ich habe Geduld. Ich kann warten“, hörte ich zwei synchrone Männerstimmen.

Mit einem Stöhnen richtete ich mich auf. „Darko. Den Film hast du doch schon tausend Mal gesehen!“, beschwerte ich mich und streckte meinen steifen Rücken. Gestern hätte ich nicht so lange an dieser Tasche nähen sollen. Ich war am Schreibtisch eingeschlafen und keiner meiner tollen Brüder hatte es für nötig gehalten, mir auch nur ein Kissen zu bringen.

„So einen Klassiker kann man immer wieder gucken“, entgegnete mein Bruder ohne den Blick vom Fernseher zu wenden. Augenrollend meinte ich: „Man könnte glatt denken, dich hätte Stella erwischt.“

Jetzt hatte ich die volle Aufmerksamkeit meines Bruders. Aufgebracht schaute er mich an: „Hey! Vergleich mich nicht mit einer von denen!“

Nein, das Gespräch würde ich jetzt nicht nochmal führen. „Ihr gebt ihnen einfach keine Chance. Wir sind genauso verkorkst. Apropos verkorkst, wo sind eigentlich die anderen beiden?“, mit diesen Worten stand ich auf und setzte mein ausgiebiges Strecken fort. Gerade war wirklich mein ganzer Körper verspannt.

„Assan ist schon Arbeiten und Hagen versucht es diesmal bei einem Radiosender“, informierte mich Darko und widmete seine Aufmerksamkeit dann wieder dem Film. „Heute Mittag ist das Familienessen im Maneki-Neko-Palace. Glaubst du die beiden denken dran?“, fragte ich und räumte dabei meinen Schreibtisch auf. Im Schlaf hatte ich da einiges durcheinander gebracht.

„Mhm“, bekam ich eine desinteressierte Standardantwort. Gedankenverloren hob ich eine Schere hoch, die ich letzte Nacht scheinbar runter gekickt hatte. Im Hintergrund lief die typisch tänzelnde Elben-Musik. Rau laberte irgendein Ork etwas. Darko konnte sogar Orkisch und Elbisch…

Er hätte so viel mehr werden können, das hätten wir alle. Und doch hockten wir in dieser Wohnung, die für vier Personen viel zu klein war und kamen gerade so über die Runden. Als Menschen zu leben konnte schon hart sein.

„Denkst du, du schaffst es ruhig zu bleiben?“, besorgt ging ich zu ihm rüber und setzte mich neben meinen Bruder aufs Sofa. „Deswegen gehen wir doch zu Moses. Dann kann es nicht eskalieren“, entgegnete Darko mit einer Mischung aus Schnauben und trockenem Lachen. „Du weißt genau, dass sie Momoka heißt und nicht Moses. Außerdem könntest du immer noch mit dem Messer auf unsere Brüder losgehen“, verständnisvoll lächelnd legte ich einen Arm um Darko und lehnte mich an ihn. Ein bisschen Trost konnte er jetzt wahrscheinlich gut vertragen.

„Warum tun wir uns das eigentlich an?“, resigniert ließ er seinen Kopf in den Nacken fallen. „Das weißt du auch. Wir haben uns schon lange genug gestritten, es wird Zeit, dass wir wieder eine Familie werden“, antwortete ich ihm ruhig. „Letztes Mal haben wir ein halbes Randviertel zerstört“, dachte er missmutig zurück. Ja, daran erinnerte ich mich noch sehr gut.

„Wie du gesagt hast, dieses Mal haben wir ja Momoka. Ihr Selbsterhaltungstrieb sollte die schlimmste Zerstörung verhindern“, versuchte ich eine optimistische Haltung. Allerdings war mir eigentlich klar, dass dieses Treffen nicht reibungslos verlaufen würde. Dafür hatten wir uns in der Vergangenheit einfach schon zu sehr bekriegt.

„Wenn wir ihr die Wahrheit sagen würden, könnte sie noch viel mehr tun“, vielsagend schaute Darko mich an.

Entschieden rückte ich ein Stück von ihm weg: „Oh nein! Wir werden unsere Geschwister nicht verraten! Vor sechs Jahren haben wir uns geeinigt Momoka im Auge zu behalten, sie aber im Unwissen zu lassen. Wenn wir unseren Brüdern jetzt in den Rücken fallen, können wir uns eine Aussöhnung für dieses Jahrhundert abschminken, vielleicht sogar für dieses Jahrtausend! Außerdem, wie stellst du dir das überhaupt vor? ´Hey, Momoka, wir sind die elf Plagen und du bist eine Widergeburt von Moses. Ups. Du bist ja Asiatin, mit diesem Gottesbuch hast du ja gar nichts zu tun. Also nochmal von vorne: Jeder von uns ist die Verkörperung einer biblischen Plage. Da gibt es Wasser zu Blut, Frösche, Stechmücken, Ungeziefer, Viehpest, Geschwüre, Hagel, Heuschrecken, Finsternis, den Tod aller Erstgeborenen und das Vergessen. Und das Beste ist, du kannst uns mit deiner Willenskraft verbieten unsere Kräfte einzusetzen oder uns dazu zwingen sie zu nutzen, allerdings ist das sehr schwer. Als Bonus hast du sogar das Recht auf einen schicken Stock, der Wasser teilen und zu einer Schlange werden kann. Nur den haben unsere Brüder, die wahrscheinlich echt angepisst sein werden, wenn du ihnen die Kräfte verbietest. Womöglich töten sie dich sogar, aber bitte mach es trotzdem.‘ Die denkt doch wir sind verrückt und lässt uns in das nächste Irrenhaus einweisen!“

Beschwichtigend hob Darko die Hände: „Na gut, dann sagen wir ihr halt nichts.“ „Braver Junge“, neckisch grinste ich ihn an. Prompt bekam ich ein Kissen ins Gesicht geklatscht. Lachend stachelte ich weiter: „Ist dir etwa nichts Besseres eingefallen, als ein Kissen?“ Und schon bekam ich die Decke über.

Wie einer der Gladiatoren im alten Rom mit ihren Netzen, versuchte Darko mich zu sich zu ziehen. Bestimmt wollte mich der Scherzkeks kitzeln. Natürlich wehrte ich mich und setzte alles daran wieder aus der Decke rauszukommen. Oh oh! Ich verlor das Gleichgewicht!

Überrumpelt gab ich etwas von mir, was wahrscheinlich in etwa so klang wie: „Uwaaaah!“ Mit einem gedämpften Laut landete ich auf dem Boden.

Laut lachte mein Bruder los. Kichernd versuchte ich mich aufzusetzen. Ohne Erfolg. Die Decke hielt mich zurück. „Ich komm nicht hoch!“, beschwerte ich mich und sah dabei wahrscheinlich aus, wie ein kleiner hilfloser Käfer auf dem Rücken. Albern strampelte ich mich irgendwie aus der Decke frei und dieses Mal kam ich ohne Probleme hoch. Bis dann plötzlich der Wohnzimmertisch im Weg war.

Volle Kanne knallte ich mit meinem Dickschädel dagegen und ein paar Tassen schepperten sogar ein bisschen. „Au!“, rief ich und ließ mich wieder auf den Boden sinken. Für eine kleine Beule standen die Chancen gar nicht mal schlecht.

Auf dem Sofa kriegte sich Darko gar nicht mehr ein vor Lachen.

Wild entschlossen nicht noch länger unterm Tisch zu liegen, griff ich auf die Tischplatte, um mich hochzuziehen. Und was passierte? Ich packte voll in irgendeinen Käsedip, den Assan bei seiner Schnäppchenjagd gefunden hatte.

Jetzt war es vorbei mit Darko. Sein Gesicht lief ganz rot an, er bekam Tränen in die Augen und sein Lachen klang total atemlos und urkomisch. Auch ich musste richtig loslachen.

Eine Zeit lang wälzte ich mich nur kichernd auf dem Boden rum. Ich konnte einfach nicht mehr. Gerade brach die ganze Anspannung der letzten Tage total aus mir raus.

Irgendwann beruhigte ich mich dann doch wieder und dieses Mal schaffte ich es sogar, ganz ohne Zwischenfälle aufzustehen. Yeah!

Auch Darko hatte aufgehört zu lachen. Für einen Augenblick hielt die ausgelassene Stimmung noch, dann wurde der Herr der Finsternis wieder ernst.

„Du könntest es auch tun“, sagte er mit einer tiefen Dunkelheit in seinem Blick. „Was tun?“, fragte ich nach, obwohl ich mir schon denken konnte, was jetzt kommen würde. „Du könntest sie vergessen lassen. Alles könnte wieder wie früher sein. Mir würde es nichts ausmachen Niemand von uns würde diese Erinnerung vermissen“, erklärte er voller Bitterkeit. „Etwas zu vergessen, macht es nicht ungeschehen“, erwiderte ich ebenso düster. „Du könntest mit deinen Kräften so viel bewirken! Aber du setzt sie nie ein!“, in seine Stimme hatte sich ein gewisser Vorwurf geschlichen.

Ich wusste, dass er es nicht so meinte. Die Sache mit dem Familienessen machte uns alle unruhig und besonders Darko hatte es beim letzten Mal schlimm erwischt. Trotzdem trafen mich seine Worte, denn durch sie wurde ich an die eine Wahrheit erinnert, die ich so gerne vergessen hätte.

Irgendwie schaffte ich es dennoch frech zu grinsen und der Situation den Ernst zu nehmen: „Vielleicht habe ich meine Kräfte ja schon öfter eingesetzt und du hast es nur vergessen.“ Mit diesen Worten ging ich einfach aus dem Wohnzimmer und rüber in die Küche. Mal sehen was der Kühlschrank so hergab.

„Amelia? Amelia!“, rief mir mein Bruder leicht unsicher hinterher. Gespielt unbeschwert machte ich nochmal ein paar Schritte zurück und streckte meinen Kopf ins Wohnzimmer: „Keine Sorge. Ich hab nur Hunger. Außerdem kann ich mir nicht noch einen deiner absurden Vorschläge auf leeren Magen anhören. Was kommt als nächstes? Willst du mit unseren Kräften eine Apokalypse 2.0 auslösen, damit es nichts mehr gibt, worum wir uns streiten können?“

Dass der scherzhafte Spruch von eben doch zum Teil stimmte, behielt ich lieber für mich. Momentan hatten wir schon genug Familienprobleme, da brauchten wir nicht noch sowas. Insgesamt war es für alle besser, wenn sie und unser Geheimnis für immer vergessen blieben. Ich hatte mir geschworen nie etwas daran zu ändern. Trotzdem plagten mich die Erinnerungen und Schuldgefühle. Wie es ihr wohl so ging?

Gedankenverloren öffnete ich den Kühlschrank. Eine kalte Einöde empfing mich. Skeptisch zog ich die Augenbrauen hoch. Außer einer Ingwerwurzel, Sojasoße, drei Sorten Marmelade und Ketchup war wirklich nichts mehr da! Wo war denn das ganze Essen hingekommen?! Ich war doch letztens erst Einkaufen gewesen! Hatten meine Brüder etwa heute Morgen eine Fressorgie veranstaltet?!

Musste ich mich eben mit dem zufrieden geben, was gerade da war. Mit einem kleinen Seufzen griff ich mir wenig wählerisch ein Marmeladenglas und schloss den Kühlschrank wieder. Normalerweise würde ich auf ein Brot mit Marmelade auch noch Butter schmieren, aber die war ja momentan aus.

Och nö! Der Brotbehälter war auch leer! Und das Toastbrot hatte Schimmel! Wir hatten echt kein vernünftiges Essen mehr da!

„Ist denn keiner von euch im Stande einkaufen zu gehen?!“, genervt stellte ich die Marmelade in den Kühlschrank zurück, pur würde ich das Zeug nämlich definitiv nicht löffeln. „Ist doch viel einfacher, wenn du es machst“, kam die hämische Bemerkung aus dem Wohnzimmer. Prima! Jetzt war ich schon zur Hausfrau degradiert worden!

„Hast du eigentlich vor, irgendwann auch mal was zu dieser Wohngemeinschaft beizutragen?“, wollte ich jetzt doch ein wenig angepisst wissen. „Irgendwann klingt gut“, antwortete er mir wieder so anteilnahmslos. Mit einem Stöhnen verdrehte ich die Augen, griff nach meiner Einkaufstasche und schnappte meinen Geldbeutel.

Kurz machte ich noch einen Abstecher zum Badezimmer. Umziehen musste ich mich nicht, ich war ja „praktischerweise“ auf meinem Schreibtisch eingeschlafen. Nur ein paar Falten hatten sich rein geschlichen. Meine wilde Lockenmähne aufzubürsten hatte ich keinen Bock, also nahm ich einfach eins meiner selbstgemachten, farbenfrohen Kopftücher und wickelte es mit wenigen Handgriffen drum.

Ohne mich zu verabschieden, schlüpfte ich in meine fast durchgelaufenen Schuhe und verließ das Haus. Warm schien mir die Sonne ins Gesicht und ein paar Vögel trällerten unbeschwert ihre Melodien.

Von hier aus war es nur ein Katzensprung bis zum nächsten Lebensmittelladen, den konnte ich auch gut zu Fuß zurücklegen. Außerdem hatte ich sowieso keine wirklichen Alternativen. Hagen und Assan hatten sich unsere Fahrräder unter den Nagel gerissen und ein Auto hatten wir nicht.

Dafür, dass wir schon seit 23 Jahren in diesem Zeitalter unterwegs waren, waren wir nicht besonders gut aufgestellt. Aber wir hatten auch einen ziemlich holprigen Start gehabt. Ist halt immer wieder gewöhnungsbedürftig, wenn man nur zu den Lebzeiten der Moses-Wiedergeburten auf der Erde ist. Der Letzte war etwa ein halbes Jahrhundert vor Momokas Geburt gestorben und in der Zeit hatte sich die Welt ganz schön verändert. Alles war irgendwie viel schneller geworden als früher…

Gedankenverloren ließ ich meinen Blick über die parkenden Autos und winzigen Vorgärten schweifen. In unserer Straße gab es fast nur langweilig weiße Häuser und kaum Grün. Die Gebäude waren dicht an dicht gedrängt und ihr Alter war offensichtlich.

Nur eine Straßenecke weiter sah das schon ganz anders aus. Die Mehrheit der Häuser war zwar immer noch weiß und alt, aber da gab es auch eins in Sonnengelb, eins in Pistaziengrün, Kaminrot war auch dabei und sogar ein Schlumpfblaues! Ich mochte die unterschiedlichen Farben. Dadurch war alles gleich viel bunter und fröhlicher.

Außerdem waren die Grundstücke deutlich größer. Allerdings konnte ich mich da eigentlich auch nicht beklagen. Wir hatten hinter unserer Wohnung noch eine Wiese mit alten Gartenmöbeln und einer moosigen Schaukel, die wir nutzen konnten.

Wenn ich so darüber nachdachte, lebten wir hier gar nicht so schlecht. Hier war es nicht so hektisch wie in einer großen Stadt, aber auch nicht so tot wie in einem dieser kleinen Dörfer in der Umgebung, die irgendwie nur aus einer Straße bestanden. Von der Sache her also der ideale Mittelweg.

Plötzlich klingelte mein Handy und ich zuckte total erschrocken zusammen. Fast hätte ich meine Tasche fallen gelassen. Na ja, wäre jetzt auch nicht tragisch gewesen.

Locker hängte ich mir die selbstgenähte Tasche mit den freundlichen Leuchttürmen über die Schulter und zog mein Handy aus der Hosentasche. „Sportstudio Superfit“, wurde mir auf dem Display angezeigt. Aha. Ich konnte mir schon denken, wer dran war.

Mit einem Grinsen hob ich ab. „Hey! Amelia! Du glaubst nicht wer hier gerade rein spaziert ist!“, legte sie ziemlich aufgebracht los.

„Hallo, Eira. Ich hätte gerade echt nicht erwartet von dir zu hören. Bist du eigentlich als Kunde im Fitnessstudio und nutzt das Telefon oder machst du während deiner Arbeitszeit Privatanrufe? Das ist beides nämlich ein bisschen gegen die Regeln“, erwiderte ich mit fast schon provozierend ruhiger Stimme und schlenderte entspannt weiter.

„Ich bin doch kein Sklave! Dann mache ich jetzt eben Pause! Du bist so eine Nervensäge!“, beschwerte sich Eira leicht wütend. „Tut mir leid. Ich konnte nicht widerstehen. Du gehst immer so schön an die Decke. Also, wer ist gerade bei dir aufgetaucht?“, wollte ich lässig von ihr wissen.

„Dein Schleimbruder mit Stock im Arsch!“, enthüllte mir meine Freundin und klang dabei als würde sie gleich die nächstbeste Person verprügeln. „Da musst du schon ein bisschen genauer werden. Von der Sorte habe ich mehr als einen“, sah ich über ihre Aggression locker hinweg.

Für sie war das ganz normal. Immerhin war sie die Verkörperung der Todsünde Zorn. Auch wenn der Begriff der sieben Todsünden nicht ganz stimmte, eigentlich waren es nur sieben Hauptlaster, die oft zu Sünden führten. Kein großer Unterschied, ich weiß, aber so ein bisschen Haarspalterei muss manchmal einfach sein.

„Dieser wandelnde Scheißhaufen Kasimir mit seinen Stechfliegen! Der kam rein als würde der ganze Laden ihm gehören! Und dann hat mich noch eine seiner Mücken gestochen! Ich würde ihn so gerne zerquetschen wie eins dieser fliegenden Mistviecher!“, steigerte sich Eira langsam aber sicher in ihrer Wut.

„Nein. Das kann ich leider nicht erlauben, nicht heute. Wir haben mittags noch ein Familientreffen bei dem wir versuchen wollen, irgendwie auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Da kann ich keine Stechmückenplage gebrauchen, die angepisst ist, weil sie von einer Todsünde zusammengefaltet wurde“, entgegnete ich und betrat den Lebensmittelladen.

Es war kaum jemand da. Hätte mich auch gewundert. Um die Zeit waren die meisten arbeiten. Auf jeden Fall konnte ich ungestört weiter telefonieren. Selbst wenn jemand Gesprächsfetzen mitbekam, würde er es sowieso nur für irgendeine Quatschunterhaltung halten.

„Heißt das morgen darf ich?“, fragte der Zorn in Person scherzhaft. „Ich hab eine bessere Idee. Wir könnten uns morgen doch mal wieder treffen. Das haben wir schon eine Ewigkeit nicht mehr gemacht. Und wenn ich noch länger nur immer mit meinen Geschwistern zu tun habe, treiben die mich noch in den Wahnsinn!“, mit diesen Worten schaute ich mich nach einer schönen Packung Möhren um.

Das letzte Mal hatte ich vergessen Gemüse zu kaufen und mittlerweile hatte ich richtig Heißhunger auf etwas Gesundes. Vielleicht sollte ich mal anfangen mir Einkaufszettel zu schreiben.

„Ich geh mal davon aus, dass wir uns nicht bei dir treffen werden. Deine Brüder wissen noch nichts von unserer Freundschaft, oder?“, meinte Eira echt gefasst.

„Nein, noch nicht. Wenn sich die ganze Sache mit der letzten Wiedergeburt mal entspannt hat, sag ich es ihnen. Jetzt würden sie wahrscheinlich völlig ausrasten und mich verstoßen. Wenn die schon nur eine Anspielung von wegen Todsünden oder etwas in der Art hören, führen die sich auf wie Gockel. Sie stehen ja ganz weit über den Sünden. Bla bla bla. Jetzt sind wir schon über tausend Jahre auf der Erde und die sind immer noch so null lernfähig!“, zog ich über meine Brüder her.

Es war echt befreiend mal nicht die Diplomatin spielen zu müssen.

„Kein Stress. Ich bin nicht scharf drauf eurem Orden der Klugscheißer und Weicheier beizutreten“, kam es locker von meiner Freundin. „Das hast du ja mal wieder schön ausgedrückt“, erwiderte ich ironisch und steckte eine Gurke zu den Möhren.

Morgen würde ich mir daraus einen schönen Salat machen. Natürlich würde ich auch ein bisschen was pur naschen. Ich liebte Rohkost einfach.

Reichlich früh fiel mir ein: „Sollen wir vielleicht morgen etwas gemeinsam kochen? Ich bin hier gerade am Einkaufen und könnte was mitbringen.“ „Klar“, stimmte Eira fröhlich zu und ich hatte schon Hoffnungen so einen Freundinnen Moment zu haben, wie immer in Filmen und Büchern, doch dann kam ihre Liste: „Chips. Fertigpizza. Schokoeis. Cookieeis. Am besten auch noch normale Cookies, diese kleinen Salzbrezeln, Käsewürfel und Mini-Salamiwürstchen.“

Mit Kochen hatte das ja echt viel zu tun. Allerdings war es wahrscheinlich auch nicht so die beste Idee mit einer leicht reizbaren Person zu kochen. Wenn da auch nur eine Kleinigkeit schiefging, konnte es schnell zu einem Massaker kommen. Und das hätte mir gerade noch gefehlt.

Bevor ich mir irgendeinen fetzigen Konter überlegen konnte, vibrierte mein Handy auf einmal ganz komisch. Irritiert schaute ich auf das Display. Oh! Nur noch 5 % Akku. Das Laden hatte ich dann wohl auch vergessen.

„Ähm Eira. Mein Handy hat kaum noch Akku. Wir müssen gleich Schluss machen“, teilte ich dem Hauptlaster Nummer vier mit. „Du machst deiner Plage echt alle Ehre“, lachte Eira und durch die leicht verzerrte Verbindung klang das richtig unheimlich.

„Ja, ja. Tu mir bitte den Gefallen und mach gleich wirklich Pause, dann kannst du dich mit einer Hantel abreagieren. Und damit meine ich nicht, du sollst jemandem die Hantel überziehen“, sagte ich schmunzelnd. „Mach dir keine Sorgen. Ich bin die Selbstbeherrschung in Person“, entgegnete sie frech und legte einfach auf. Höflichkeitsfloskeln wie „Hallo“ und „Tschüss“ waren ihr eben noch nie besonders wichtig gewesen.

Gut gelaunt steckte ich mein Handy wieder ein und setzte meinen kleinen Einkaufsbummel fort. Mit Eira zu reden war immer wieder schön. Viele Kontakte hatte ich noch nicht geknüpft und neben meinen Geschwistern war sie die Einzige, die wirklich wusste, wie die Dinge lagen. Oder zumindest fast. Mein dunkles Geheimnis kannte nicht einmal sie.

Wie ich es hasste, wenn diese Erinnerung hochkam. Grummelig holte ich mir eine Laugenstange. Gerade war ich doch noch so fröhlich gewesen! Warum musste mich meine Vergangenheit immer so runterziehen?!

Genervt von mir selbst stapfte ich durch die Regale. Vor den Chips und Salzbrezeln blieb ich stehen. Sollte ich mir ein bisschen Frustessen kaufen? Nötig hätte ich es auf jeden Fall. Und man musste sich im Leben schließlich auch mal was gönnen können. Außerdem war das Zeug im Angebot.

Gerade als ich mir eine Packung Chips in meinen handgemachten Stoffbeutel stopfen wollte, sah ich im gegenüberliegenden Regal Erdbeeren. Kurzerhand stellte ich die Chips wieder zurück und holte mir stattdessen Erdbeeren. Die waren auch lecker und sogar noch gesund. Jackpot.

Dann mal ab zur Kasse. Oder auch nicht.

„Ähm! Hallo! Weiß du vielleicht wo die Milch ist?“, fragte eine ziemlich nahe Stimme. Redete der etwa mit mir? Sicherheitshalber drehte ich mich um.

Tatsächlich. Keine zwei Meter von mir entfernt stand ein Typ, der mich direkt anschaute. Oh man. Jetzt wünschte ich mir, ich hätte mir zu Hause doch mehr Zeit genommen, um mich schick anzuziehen. Der Kerl sah echt heiß aus.

Er war das perfekte Mittelmaß zwischen Muskelprotz und Spargeltarzan, dazu kantige Gesichtszüge und kurze, dunkle Haare, die weich im Licht glänzten. Doch es war sein warmes Lächeln, das mich für einen Herzschlag so aus dem Konzept brachte. Und natürlich die Tatsache, dass er mich überhaupt angesprochen hatte, sonst wollten immer nur irgendwelche alten Omas und Opas mir Gespräche aufdrücken. Zum aller ersten Mal hatte ein fremder, gutaussehender Typ an mir Interesse gezeigt.

Na ja, jetzt übertrieb ich vielleicht ein wenig. Er hatte mich ja eigentlich nur nach der Milch gefragt. Ach stimmt ja! Darauf sollte ich vielleicht mal antworten!

„Öh… Das Regal bis nach hinten durch und dann auf der rechten Seite“, erklärte ich schnell und fuchtelte dabei ein bisschen mit dem Zeigefinger rum. „Ah. Danke“, sagte er ohne auch nur die geringsten Anstalten zu machen sich zu bewegen. „Magst du eher Vollmilch oder fettarme Milch?“, wie war ich bitte schön auf diese Frage gekommen?! Ich verhielt mich gerade echt wie der letzte Volltrottel!

„Ich mag beides. Ich schmecke da allerdings auch keinen großen Unterschied“, gab er mir freundlich Auskunft und lehnte sich lässig gegen ein Regal im Durchgang: „Meistens mache ich die Milch sowieso in meinen Kaffee. Trinkst du gerne Kaffee?“

Sollte das etwa die Hinleitung für eine Verabredung zum Kaffeetrinken werden? Wie reagierte man auf sowas? Irgendwie war ich gerade mega nervös.

Plötzlich gab es ein dumpfes Knacken und das ganze Regal klappte in sich zusammen. Laut polterten sämtliche Sprühsahnedosen auf den Boden.

Perplex starrte der Randalierer einen Wimpernschlag lang das Chaos an, dann bückte er sich und fing an die Dosen aufzuraffen. Sofort stellte ich meine Tasche ab und half ihm dabei.

Irgendein Marketing-Typ hatte sich da ordentlich ausgetobt. Es gab Einhorn-Sahne mit einem dicken Regenbogen auf dem Etikett und wolkenleichte Sahne scheinbar in hellblau gefärbt, dazu dann noch sommersüße Sahne und Teddybären Sahne. Also wirklich alle möglichen Arten von Sahne, die im Endeffekt wahrscheinlich alle so ziemlich aufs Gleiche rauskamen.

Aufgeregt kamen zwei Angestellte angeflitzt. Wäre ja auch schwer gewesen den Krach zu überhören. Fahrig entschuldigte sich der süße Chaot und zu viert stellten wir das recht klapprige Regal wieder auf.

Nachdem das erledigt war, schulterte ich meine gut gefüllte Einkaufstasche wieder und machte mich mit einem ziemlich gemurmelten „Dann mal Tschüss“ auf den Weg zur Kasse.

Ein Teil von mir wünschte sich so ein bisschen, dass mir dieser Fremde hinterher lief und mich aufhielt, wie immer in diesen zuckrigen Liebesfilmen. Aber er tat es nicht. Na ja, war auch in Ordnung. Schon allein die Tatsache, dass er mich überhaupt angesprochen hatte, war irgendwie aufregend und auf jeden Fall schmeichelhaft.

Auch an der Kasse begegneten wir uns nicht. Konsequent unterdrückte ich den Drang mich verstohlen nach ihm umzusehen. Ich kannte ihn ja auch gar nicht! Alles war gut so wie es war, ich hatte meine Familie und eine wirklich gute Freundin. Was brauchte ich schon mehr?

Mit den Gedanken immer noch bei dieser verrückten Begegnung hängend, verließ ich den Supermarkt wieder und machte mich auf den Weg nach Hause. Davon musste ich Eira unbedingt erzählen, wenn ich mein Handy wieder aufgeladen hatte!

Auf einmal hörte ich schnelle Schritte hinter mir und eine angenehm tiefe Stimme rief: „Hey! Warte! Du hast was vergessen!“ Als ich mich umdrehte, grinste ich dabei wahrscheinlich wie ein Honigkuchenpferd. Er war mir doch hinterher.

„Hier“, sagte er mit einem netten Lächeln und gab mir eine Sommersüß-Sprühsahnedose. „Die hab ich gar nicht vergessen“, erwiderte ich ein wenig unsicher. „Passt doch zu deinen Erdbeeren“, meinte er charmant: „Außerdem hat diese Sahne dich doch regelrecht angefallen. Das war ein Zeichen.“ „Wenn du das sagst… Danke“, etwas verlegen lächelte ich ihn an.

Unschlüssig standen wir einen Moment lang einfach nur schweigend rum. Schließlich beendete er diesen merkwürdigen Augenblick: „Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.“ „Ja, vielleicht“, kam es wenig einfallsreich von mir und zum zweiten Mal gingen wir auseinander. In meiner Magengrube kribbelte es ganz komisch und am liebsten hätte ich ihm nachgesehen, doch das war mir zu kitschig und albern.

Mit einer Mischung aus Stirnrunzeln und Grinsen schüttelte ich den Kopf. Für heute hatte ich ja schon mit reichlich chaotischen Ereignissen gerechnet, aber nicht auf diese Weise. Ich konnte es immer noch nicht ganz glauben. Meine Begegnung mit ihm kam mir immer noch so surreal vor. Und ich kannte noch nicht mal seinen Namen! Bescheuert!

61 Stunden bis zur Apokalypse

Zu Hause steckte ich als aller erstes mein Handy ans Ladekabel, sonst vergaß ich das am Ende wieder. „Geh aus dem Bild!“, beschwerte sich Darko, als ich dabei kurz vorm Fernseher vorbei lief. Dieser Stubenhocker kannte den Film doch eh in- und auswendig!

Aber um einen Streit vom Zaun zu brechen, war ich gerade zu gut drauf. Also machte ich mich friedlich ans Einräumen meiner Einkäufe. Dabei fiel mir noch etwas ganz Besonderes an meiner geschenkten Sprühsahnedose auf: Der verwegene Fremde hatte mit Edding seine Nummer drauf geschrieben. Ziemlich klischeehaft, aber trotzdem süß.

Mit einem kleinen Lächeln schüttelte ich die Flasche und genehmigte mir eine Ration Sprühsahne. Das hatte zwar nichts mit einem gesunden Frühstück zu tun, aber sowas durfte auch mal sein.

Fröhlich holte ich mir als vitaminhaltigen Ausgleich eine Möhre. Um meine ausgewogene Ernährung komplett zu machen, schnappte ich mir noch meine Laugenstange. Ups. Ich hatte vergessen Brot mitzubringen. Wenn Schusseligkeit ein Hauptlaster wäre, wäre ich echt gut dabei.

Während ich meine Möhre knabberte schaute ich auf die Uhr. Beim Einkaufen hatte ich ja echt ordentlich rumgetrödelt! Aber bis zu unserem Familienessen war noch massig Zeit, um sich beim Warten total verrückt zu machen.

Mit meinem bescheidenen Frühstück setzte ich mich zu meinem Bruder und guckte schweigend noch den Rest von Hobbit zwei. Bei seinen Lieblingsstellen sprach Darko immer mit und weil er sich diesen Fantasy-Schinken schon so oft reingezogen hatte, hätte sogar ich den Text auswendig nachplappern können.

Am meisten genoss er die Schlussszene. „Hört mir zu! Wisst ihr denn nicht, was kommen wird?“, fieberte Darko richtig mit, obwohl er nur allzu genau wusste, was kommen würde. Dann zischte er mit ganz tiefer Stimme die Stelle des mörderischen Drachens: „Ich bin Feuer. Ich bin… der Tod!“ Und schließlich kam noch der entgeisterte Hobbit: „Was haben wir getan?“

Ein kalter Schauer lief mir den Rücken runter und die Härchen auf meinen Armen stellten sich auf. Irgendwie fühlte ich mich angesprochen, dabei gab es keinen Grund dafür. Dieser Film war Fiktion, frei erfunden. Und trotzdem hatte ich die furchtbare Vorahnung, dass etwas kommen würde und es war meine Schuld…

Nein. Das bildete ich mir nur ein. Entschieden verdrängte ich diesen beunruhigenden Gedanken und ging zu meinem Schreibtisch, um mich ein bisschen mit meiner Arbeit abzulenken. Heute musste diese Tasche noch fertig werden. Während im Abspann „I see fire“ von Ed Sheeran lief, griff ich mir die fast fertige Tasche. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Darunter hatte eine gehäkelte Erdbeere gelegen. Mit schiefgelegtem Kopf nahm ich das kleine Stofffrüchtchen in die Hand und betrachtete es ganz genau. Wie kam dieses Ding hier hin? Ich konnte mich nicht daran erinnern, es gemacht zu haben…

Tief atmete ich durch und versuchte mich zu beruhigen. Das hatte noch nichts zu sagen. Alles war in Ordnung. Oh nein. Bitte nicht.

Auf der Tasche entdeckte ich einen gestickten Schriftzug: „Etwas zu vergessen, macht es nicht ungeschehen.“ Finster strich ich mit meinen Fingern über diese Mahnung, dann nahm ich den Nahtauftrenner und pfriemelte den schwarzen Faden aus dem Stoff. Wenn man es nicht wusste, könnte man glatt meinen, dort hätte nie etwas gestanden.

Doch das hatte es und ich musste wissen warum. Was hatte ich letzte Nacht geträumt? Angestrengt versuchte ich die trübe Erinnerung zu finden. Komm schon. Konzentriert schloss ich die Augen. Eigentlich hatte ich das nie wieder tun wollen.

Aber es wäre mehr als nur dumm, diese ungute Ahnung zu ignorieren. Diesen Fehler würde ich nicht noch einmal begehen. Nein. Nie wieder durfte es so weit kommen wie letztes Mal. Es war an der Zeit sich zu erinnern.

Ich lag auf einer Wiese, die Luft war erfüllt von süßem Blütenduft. Über mir erstreckte sich ein dicker Regenbogen und mit einem glockenhellen Wiehern galoppierte ein Einhorn darüber.

„Trinkst du gerne Kaffee?“, fragte mich der gutaussehende Typ aus dem Supermarkt. Fröhlich richtete ich mich auf und drehte meinen Kopf zu ihm. Im Schneidersitz saß er neben mir und hielt eine Kaffeetasse in der Hand. Lächelnd streckte ich meine Hand nach der Tasse aus.

Plötzlich verwandelte er sich in ein Skelett. Der grinsende Totenkopf neigte sich zur Seite und die Tasse fiel aus seinen Knochenfingern. Mit einem Klirren zerbrach das weiße Porzellan auf dem Boden. Doch in ihr war kein Kaffee sondern Blut, braunes, klumpiges Blut. Widerwärtig verteilte es sich auf den Steinfliesen. Schlagartig war es viel dunkler. Im Hintergrund hörte ich ein Ticken, wie von einem Metronom. Tranceartig schaute ich auf und blickte direkt in die gelben Augen einer schwarzen Winkekatze. Alles wurde von einem gewaltigen Fauchen erschüttert. Mit jedem Pfotenschlag der Winkekatze schlug eine enorme Kraftwelle gegen mich und drängte mich zurück.

Blitzschnell fand ich mich draußen auf der Straße wieder. Durch ein Fenster konnte ich mich und meine zehn Brüder an einem langen Tisch sitzen sehen. Verächtliche Blicke wurden getauscht und es war mehr als nur deutlich, dass wir keine heile Familie waren.

Ohne, dass es mich auch nur im Geringsten berührte, drehte ich mich weg und ließ meinen Blick durch die Straße vor meiner Wohnung schweifen. Geografisch war das natürlich völliger Schwachsinn, der Maneki-Neko-Palace lag in einem völlig anderen Teil der Kleinstadt als unsere bescheidene Bleibe.

Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz am Hinterkopf. Benommen kippte ich vornüber. Grob wurde ich auf den Rücken gedreht und trotz dröhnendem Schädel konnte ich meinen Angreifer erkennen. Hagen! Was!?

Bevor ich auch nur den Mund aufmachen konnte, verpasste er mir einen Schlag mit der Faust und alles wurde schwarz.

Keuchend schlug ich die Augen auf. Es dauerte einen Moment bis ich wieder richtig im Wohnzimmer angekommen war. Ein paar Nadeln hatte ich zu einer Zwölf zusammen gelegt. Der Anblick dieser Zahl und ihre potenzielle Bedeutung jagte mir einen eisigen Schauer über den Rücken. Sofort steckte ich die Nadeln zurück in das Nadelkissen.

„Amelia?“, fragte Darko irgendetwas zwischen fürsorglich und skeptisch. „Ähm… Ja… Ich hab mich erschreckt… Äh… Da ist eine Hummel… gegen… das Fenster… geflogen“, stammelte ich mir ein Lügenmärchen zurecht und schenkte ihm über die Schulter ein wackliges Lächeln.

Bohrend musterte er mich einen Moment, dann zuckte er die Schultern und stellte die Sprache von Herr der Ringe 2 ein. Sehr interessante Reihenfolge für einen Mittelerde-Marathon.

Vielleicht gefiel ihm ja auch die Symmetrie von zwei zweiten Teilen hintereinander oder es war schlicht und ergreifend der erste Film gewesen, den er zur Hand gehabt hatte. Ja, das zweite ergab deutlich mehr Sinn. Besonders in dieser Lebensspanne war er nicht so der große Denker. Allerdings hatte ich es schon vor ein paar Jahrhunderten aufgegeben, ernsthaft zu versuchen die Handlungen meiner Brüder nachzuvollziehen.

Hatte ich eigentlich gerade den ganzen Abspann verpasst oder hatte Darko einfach nur vorgespult? Mir gefiel der Gedanke gar nicht, so lange weg gewesen zu sein. Na ja, was heißt hier lange? Es hatte mal eine Zeit gegeben, da hatte ich ganze Tage in dieser vagen Traumwelt verbracht. Aber das war ein anderes Leben gewesen, ich war nicht mehr diese Person.

Genug davon. In der Vergangenheit zu leben war mindestens genauso schlimm, wie der Zukunft nachzuhängen. Also. Was wollte mir diese Vision sagen?

Der Anfang war ziemlich klar. Das Einhorn, der Regenbogen, beides war auf den Etiketten der Sprühsahnedosen gewesen. Zu dieser ulkigen Begegnung zählten dann auch der Kaffee und natürlich der sexy Fremde selbst. Bei diesem Abschnitt hatte ich wahrscheinlich die Erdbeere unterbewusst gehäkelt, immerhin hatte ich Erdbeeren gekauft.

Und die Sache mit dem angespannten Familienessen war mir schon von vorneherein klar gewesen. Bestimmt ging dieser ekelhafte Blut-Kaffee-Mix auf Assans Rechnung. Seine Plage war es eben Wasser in Blut zu verwandeln und Kaffee bestand ja zum Teil aus Wasser. Mit Blut schmeckte diese braune Brühe sicher noch schlimmer, als normaler Kaffee eh schon.

Aber was hatte es mit dieser schwarzen Winkekatze auf sich? Wer hatte uns da beobachtet? Wieso hatte mich Hagen k.o. geschlagen? Warum hatte sich der nette Typ aus dem Supermarkt in ein Skelett verwandelt?

Blöd nur, dass alle drei Interpretationsansätze andere Handlungsaufforderungen hatten. Das war doch Kacke! Warum mussten Ausblicke in die Zukunft immer so nichtssagend sein?! Erst im Nachhinein ergab das alles immer wirklich Sinn!

Egal, ich würde weiter versuchen dieses verwirrende Puzzle zusammenzusetzen. Kamen wir zu dem Teil mit Hagen. Eigentlich war er ziemlich beherrscht. Aus einer Laune heraus würde er nie handgreiflich werden, ich musste also etwas richtig Schlimmes getan haben, damit er mich ausknockte.

Oh nein! Was, wenn ich die Kontrolle über meine Kräfte verlor? Jahrtausendelang hatte ich meine Kräfte nicht mehr genutzt, was, wenn das Folgen hatte? Noch fühlte sich alles normal an. Aber es würde alles erklären. Mit meinen Kräften könnte ich den netten Fremden innerlich töten und um mich aufzuhalten, würde Hagen mich ausschalten. Vielleicht war ja genau diese Vision der Auslöser! Nach so langer Zeit hatte ich meine Kräfte wieder eingesetzt, was, wenn ich jetzt nicht mehr aufhören konnte?!

Nein! Ich war stärker! Das würde ich nicht zulassen! Meine Kräfte waren vergessen und das würden sie auch bleiben! Um welchen Preis auch immer, ich würde es verhindern.

Plötzlich klatschte ein Kissen gegen meinen Hinterkopf. Verwirrt drehte ich mich zu dem Fernsehjunkie um. „Stress dich nicht so“, meinte er mit seiner desinteressierten Art und heftete seinen Blick wieder auf den Bildschirm.

Trotz diesen mehr als nur beunruhigenden Gedanken in meinem Hinterkopf musste ich lächeln. Darko konnte wirklich ein Schatz sein, auch wenn er es nicht zeigte. Und er hatte vollkommen recht. Es brachte nichts, mich wegen dem was passieren könnte, verrückt zu machen.

Ungeduldig schielte ich zur Uhr. Kurz nach zwölf. Verabredet waren wir für um ein. Die letzten paar Minuten würde ich jetzt auch noch irgendwie durchstehen. Mit den Gedanken immer noch überall und nirgendwo machte ich mich an den letzten Schliff meiner Auftragsarbeit.

Schon immer hatte es mich entspannt irgendetwas mit meinen Händen zu schaffen und am liebsten war mir seit jeher das Werken mit Stoff gewesen. Langsam beruhigten sich meine aufgescheuchten Gedanken wieder.

„Es ist Viertel vor“, erinnerte mich die Plage der Finsternis nebenbei. Was?! Überrascht fuhr ich zusammen und stach mir dabei aus Versehen die Nadel in den Finger. Au! Jetzt hatte ich doch tatsächlich die Zeit vergessen! Verdammt!

„Los! Wir müssen los!“, eilig sprang ich auf. Heute durften wir nicht zu spät kommen! Sonst würden uns unsere Brüder noch vorhalten, dass wir sie absichtlich warten gelassen hätten und gar keine Aussöhnung wollten. Oh Mann! Das würde so ein Desaster werden!

„Ja. Ja“, murmelte Darko und schaltete mit einem Seufzen den Fernseher aus. „Du willst doch nicht etwa so da aufschlagen, oder?“, fassungslos stemmte ich meine Hände in die Hüften. Mein reizender Bruder hatte eine schlabbrige Jogginghose und ein viel zu großes T-Shirt mit der Aufschrift „Ich hab mal wieder Lust dich zu treffen. Mit einem Stein oder so…“ angezogen. Ein noch provozierenderes Oberteil hatte er wohl nicht finden können.

„Was denn?“, uneinsichtig zuckte er einfach mit den Schultern. „Zieh dir schnell was Richtiges über!“, befahl ich ihm hektisch. „Warum denn? Sind doch nur unsere Brüder. Es soll doch ein zwangloses Treffen werden“, herausfordernd funkelte er mich an. „Zieh. Dir. Etwas. Über!“, wiederholte ich keinen Widerspruch duldend.

Jetzt musste ich auch noch einen auf Mutter machen! Vielleicht hätte es uns ganz gutgetan, wenn wir richtige Eltern und sowas wie Erziehung gehabt hätten. Aber es gab ja auch genug Menschen, die trotzdem unmöglich drauf waren.

„Du bist so eine Langweilerin!“, motzte er und schlüpfte widerwillig in einen Hobbit-Pulli, der zwar auch alles andere als schick war, aber immerhin nicht beleidigend. Während ich sprach, joggte ich aus dem Wohnzimmer: „Gut. Danke. Jetzt sollten wir uns beeilen.“

Darko tat mir den Gefallen und zickte nicht weiter rum. Gemeinsam verließen wir im Eiltempo das Haus und kamen in Rekordzeit beim Maneki-Neko-Palace an. Auf dem Hinweg hatten wir kein einziges Wort gewechselt. Unsere Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, auch wenn mein Bruderherz es etwas anders zeigte als ich.

Drinnen saßen an einem langen Tisch schon Assan, Florian, Finn, Gustav, Rex und Joshua. Unruhig drehte Assan sein Wasserglas auf dem Tisch hin und her. Er konnte ein bisschen Unterstützung gut gebrauchen. Vielsagend tauschten die neunte Plage und ich einen letzten Blick bevor wir in die Höhle des Löwen gingen. Wir wären beide viel lieber hier draußen in Sicherheit geblieben.

59 Stunden bis zur Apokalypse

Mit einem richtig üblen Gefühl betrat ich das asiatische Restaurant. Auf der Theke fiel mir sofort die schwarze Winkekatze, die ich auch in meinem Traum gesehen hatte, ins Auge. Sie war nichts Besonderes. Hier waren überall verschiedene Winkekatzen in allen möglichen Größen. Weiße, silberne, goldene, aber nur diese eine schwarze.

Hatte die Farbe von Winkekatzen eigentlich eine besondere Bedeutung oder bestimmten die chinesischen Symbole auf den Schildern, wofür die katzigen Glücksbringer gut waren? So genau hatte ich mich damit noch nie beschäftigt und jetzt war auch keine Zeit dafür.

„Hallo“, begrüßte ich meine Geschwister mit einem hoffentlich nicht allzu künstlichen Lächeln und setzte mich direkt neben Assan. Darko beschränkte sich auf ein kühles Nicken und nahm auf der anderen Seite unseres Mitbewohners Platz. Damit war er soweit wie nur irgend möglich an diesem Tisch von unseren anderen Brüdern entfernt. Fing doch schon echt super an.

Gezwungen versuchte ich ein Gespräch anzufangen: „Assan? Wie war es heute auf der Arbeit?“ „Ja. Nichts Besonderes. Das gleiche wie immer. Laborarbeit eben“, antwortete mir die erste Plage angespannt. Joshua gluckste verachtend in sich rein. Mist! Schwerer Fehler Assans Arbeit anzusprechen.

Bevor Joshua mit seinem Spitzenverdienst als Nobelanwalt prahlte, lenkte ich das Gespräch schnell zu Gustav: „Was machst du eigentlich mittlerweile? Du siehst… verändert aus.“

Seine dünnen, hellbraunen Haare hingen ihm fransig bis über die Schultern. Bei seinem Outfit machte er voll einen auf Öko-Heini. Leinenhemd, Stoffhose, Sandalen. Um seinen Hals hing eine Kette mit Holzkugeln. An jeder Hand trug er drei Ringe und er hatte irgendein Symbol auf dem rechten Handrücken. War das ein echtes Tattoo oder nur so ein Henna-Ding?

Irgendwie passte diese ganze Aufmachung nicht zu dem Gustav, den ich kannte. Genau wie Kasimir und Joshua war er eigentlich immer sehr narzisstisch gewesen und hatte egal wo und wann die teuersten Sachen tragen müssen. Drei astreine Selbstdarsteller.

Im Kern waren sie zwar alle wirklich gute Menschen, aber meistens zeigten sie sich lieber von ihrer plagenden Seite.

„Ich bin ein Wunderheiler für Menschen und Tiere. Das ist ein vollkommen unterschätztes Business. Mit Heilung von Geschwüren habe ich angefangen. Mittlerweile habe ich in der Branche einen richtig guten Ruf und für ein kurzes Telefonat zur Seelenreinigung zahlen mir die Leute gerne 200€“, selbstverliebt nippte Gustav an seinem Mou Tai.

Sehr spirituell, dass er asiatischen Schnaps noch vor dem Essen in sich rein kippte. Und dann die Sache mit den Geschwüren… Keine Ahnung wie ich es schaffte darüber hinweg zu lächeln. Er hatte es zwar nicht so direkt gesagt, aber es war eindeutig, dass er seine Plage, Geschwüre heraufzubeschwören, genutzt hatte, um diesen armen Menschen Geld abzuknöpfen. Einfach unfassbar!

Auch Assan und Darko verkniffen sich irgendwelche Kommentare, doch ihre Gesichter sagten dafür alles. Unsere große Spaltung kam ja nicht von ungefähr.

Wo blieb eigentlich der Rest meiner sonnigen Geschwister? Dass Noah sich verspätet war ganz normal, mit Terminen hatte er es noch nie so gehabt und Kasimir war wahrscheinlich mit irgendwem aneinander gerasselt, hoffentlich nicht Eira. Aber Hagen? Sonst war er doch immer so überpünktlich…

„Und wie sieht es bei dir aus Amelia? Die Landluft bekommt dir gut“, ein wenig herablassend lächelte mich der Wunderheiler an.

„Ich verkaufe selbstgenähte Taschen, Handschuhe, Mützen. Alles Mögliche. Hier gibt es jedes Jahr einen Handwerkermarkt und einen Weihnachtsmarkt, da bin ich immer dabei. Es ist vielleicht nicht so rentabel wie dein Seelen-Voodoo-Zeug, aber ich bin ganz glücklich damit. Sagst du den Leuten eigentlich auch, sie sollen die kleinen Dinge im Leben schätzen?“, ganz hatte ich die spitzen Kommentare nicht aus meiner Antwort verbannen können.

Ich fand es einfach so unmöglich, dass er mit seinen Kräften Menschen und auch Tiere krank gemacht hatte, nur für seinen eigenen Vorteil! Was war nur in meinen Bruder gefahren?!

„Dann lässt du dich also von Assan aushalten?“, fies grinste mich Joshua an. Gerade als ich den Mund für eine Erwiderung aufmachte, kam mir Assan kühl zuvor: „Ich bin gerne für meine Familie da.“

„Ist ja süß“, stichelte die zehnte Plage sarkastisch weiter: „Schiebst du deine Mittelmäßigkeit eigentlich immer auf die Familie?“ Mit Joshua war ich noch nie gut klargekommen und jetzt gerade wäre ich ihm am liebsten an die Kehle gesprungen.

„Heb dir deine ich-bin-etwas-Besseres-ich-habe-mehr-Geldals-Dagobert-Duck-Rede für deine Goldesel-Klienten auf“, genervt verdrehte Darko die Augen. „Oh. Ihr habt also über mich recherchiert“, übertrieben geschmeichelt nahm Joshua einen Schluck Wein, den er wahrscheinlich sogar selbst mitgebracht hatte, weil nichts hier an seinen Standard rankam.

„Das Internet ist echt eine tolle Erfindung. Insgesamt hat diese Zeit schon ihre Vorteile“, mischte sich Rex unparteiisch ein. „Ich finde die verbesserten Autos, Flugzeuge und Züge auch genial. Man kommt so viel schneller von einem Ort zum anderen als früher“, traute sich Florian auch mal was zu sagen.

Finn und er hatten sich noch nie durchsetzen können, hatten es noch nicht einmal versucht. Beide gingen jedem Konflikt aus dem Weg und bei unserem letzten Moses hatten sie einfach die Köpfe eingezogen und sich der Mehrheit angeschlossen. Kleine Feiglinge, aber ich mochte sie trotzdem.

Dankbar über den Themenwechsel stieg auch ich mit ein: „Es ist auch klasse, dass viel mehr für die Menschenrechte und gegen Ausbeutung getan wird. Das war früher einfach nur richtig schlimm.“ „Ja, die Gesellschaft ist auf einem guten Weg“, stimmte mir Assan zu.

„Aber es sind immer noch Menschen. Damals wie heute. Dieser ganze Fortschritt zerstört nur die Welt und ihre maßlose Gier vergiftet ihren Verstand“, abfällig ließ Gustav seinen Blick über die anderen Gäste im Restaurant schweifen.

Mir lag schon sowas auf der Zunge wie „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen“, doch ich schwieg. Wenn ich wollte, dass das funktionierte, musste ich mich ein bisschen zurücknehmen.

Prasselnd ging draußen ein heftiger Regenschauer nieder. Auch meinen Geschwistern fiel es auf. Heute Morgen war noch strahlender Sonnenschein gewesen. So ein Wetterumschwung war zwar nichts Ungewöhnliches, aber Hangen war noch nicht da und es könnte auch feiner Hagel sein…

Langsam fing ich an, mir Sorgen zu machen.

Eine dunkle Gestalt kam durch den dichten Schleier aus Wassertropfen oder vielleicht auch Mini-Hagelkörner über die Straße gelaufen. Misstrauisch kniff ich die Augen zusammen. Kurz bevor er reinkam, erkannte ich dann meinen Bruder Kasimir. Immer noch keine Spur von Hagen. Außer natürlich dieses beunruhigende Wetter.

Verwundert runzelte Kasimir die Stirn: „Wo ist denn unser Wetterfrosch?“ „Er kommt noch“, entgegnete ich überzeugt und unruhig zugleich. Mit einem provozierenden Hauch Skepsis setzte sich Kasimir an den Tisch. „Wo warst du eigentlich?“, fragte ich unschuldig, obwohl ich es zum Teil schon wusste.

„Ich hab mir eine neue Immobilie angesehen. Manche Leute müssen für ihr Geld noch arbeiten“, vielsagend schaute er mich und Darko an. Kam es mir nur so vor oder wurde es noch ein bisschen dunkler? Bis jetzt hatte sich mein Bruder der Finsternis wirklich gut gehalten, besonders gegenüber Joshua. Aber ich war mir nicht sicher, ob er sich noch lange beherrschen konnte.

Für einen Herzschlag war es so als hätte man uns eingefroren. Keiner sagte ein Wort oder bewegte sich großartig. Insgeheim wartete jeder darauf, dass gleich eine große Dunkelheit über uns hereinbrechen würde.

Im Vergleich zu dem was meine Geschwister und ich sonst so draufhatten, klang das im ersten Moment noch ziemlich harmlos. Allerdings würde eine plötzliche Finsternis wahrscheinlich zu einigen Unfällen führen. Vor allem weil Darkos Dunkelheit ein bisschen hartnäckiger war als normale Wetterphänomene, wenn er sich richtig anstrengte, konnte er sogar Licht komplett schlucken.

Auf einmal ging die Tür wieder auf und Hagen kam rein. Ohne dass ich es wirklich gemerkt hatte, war das Sauwetter draußen abgeklungen. Nur noch vereinzelt kamen ein paar Tropfen runter.

Wortlos setzte sich mein durchnässter Bruder neben Darko. Leicht fahrig strich er sich durch seine dunkelblonden, zerzausten Haare. Sonst achtete er doch immer so auf sein Äußeres… Was war passiert?

„Seit wann kommst du denn zu spät?“, fand Kasimir sein nächstes Opfer für stichelnde Kommentare. „Mein Termin hat etwas länger gedauert als geplant. Tut mir leid“, antwortete Hagen ein wenig zerstreut. Ich war nur noch nicht sicher, ob es eine negative oder eine positive Zerstreutheit war. Allerdings hatte ich nicht vor, ihn mit dieser Frage vor unseren anderen Geschwistern bloßzustellen. Dafür war auch noch genug Zeit, wenn wir wieder zu Hause waren.

„Ist der Hagel da von dir?“, entschied sich auch Joshua meinen gestressten Bruder passiv-aggressiv anzugreifen. „Das ist kein Hagel, das ist Graupel. Graupel kann ich nicht kontrollieren“, entgegnete der angehende Meteorologe unterkühlt. „Häh?“, kam es verständnislos von der Stechmückenplage. „Graupel sind zusammenklebende Schneeflocken, Hagel sind Eiskörner. Zwei völlig verschiedene Sachen“, informierte Hagen ihn mit einem eisigen Seitenblick.

Obwohl ich mir immer noch sehr sicher war, dass irgendetwas in ihm vorging, schaffte er es sehr gut unseren Brüdern die kalte Schulter zu zeigen. Er war noch nie so der Emotionale gewesen.

„Jetzt warten wir also nur noch auf Noah“, stellte Assan das Offensichtliche fest. „Mal wieder“, ergänzte Gustav selbstgerecht. „Wir könnten ja schon mal bestellen. Noah stört das bestimmt nicht“, meinte Rex offensichtlich hungrig. „Geben wir ihm noch fünf Minuten Zeit, wenn er dann noch immer nicht da ist, bestellen wir“, schlug ich einen Kompromiss vor. „Na gut. Und was wollen wir so lange tun? Weiter spaßige Lebensgeschichten austauschen?“, mit lässig vor der Brust verschränkten Armen und einer hochgezogenen Augenbraue schaute Rex in die Runde.

„Vielleicht ist so eine kurze Vorstellung wirklich gar nicht so schlecht. In den letzten Jahren haben wir uns wirklich ziemlich auseinander gelebt“, meinte ich betrübt. „Wir sind doch nicht im Kindergarten!“, beschwerte sich Kasimir sofort und Joshua sagte fast gleichzeitig: „Ihr habt doch sehr eng zusammengelebt.“

„Wollen Sie noch etwas trinken?“, fragte eine fast schon schüchterne Stimme. Augenblicklich schauten wir alle zu ihr. Leicht verunsichert stand Momoka mit einem Tablett in der Hand da. An ihrer Stelle wüsste ich sicher auch nicht, wie ich mich gegenüber streitenden Gästen benehmen sollte.

„Ich hätte gerne Sprudel“, orderte ich mit einem freundlichen Lächeln. Dankbar nahm unsere ahnungslose Gebieterin ihren Kuli und ihren Block zur Hand. „Für mich bitte einen Kaffee. Schwarz“, machte Hagen weiter. „Cola“, bestellte Darko knapp. Assan trank noch gerade den letzten Schluck Wasser und hielt ihr dann sein leeres Glas hin: „Ich hätte gerne noch ein Glas Wasser.“ „Überrasch mich Süße“, meinte Kasimir flirtig.

Mit einem finsteren Blick leerte Rex seinen Radler und stellte die Flasche auf ihr Tablett. „Bitte nochmal das Gleiche“, sagte er ohne sie überhaupt richtig anzusehen. Welche Laus war dem denn jetzt über die Leber gelaufen? Musste er etwa an die letzte Moses-Wiedergeburt denken?

Wenn ich so drüber nachdachte, war die Bezeichnung „Moses-Wiedergeburten“ wirklich irreführend. Wir hatten auch schon lange vor ihm Meister gehabt. Bei ihm hatte nur zum ersten Mal jemand unsere Taten langfristig festgehalten, auch wenn in der Bibel einige Tatsachen falsch dargestellt oder wirklich sehr kurz gefasst waren. Nicht gerade die beste Lektüre.

Einen Moment wartete Momoka noch ab, ob jemandem von uns noch Anstalten machen würde zu bestellen, dann ging sie zurück hinter die Theke. Nachdenklich schaute ich ihr einen Wimpernschlag lang nach.

Sie sah so unauffällig aus. Ziemlich klein, schwarze Haare, typisch asiatische dunkle Mandelaugen, nicht wirklich dick, aber auch nicht wirklich dünn. Die meisten würden sie wohl als hübsch bezeichnen, allerdings wohl kaum als herausstechende Schönheit.

Auf den ersten Blick würde man nie auf die Idee kommen, dass sie die Kraft über die elf ägyptischen Plagen in sich trug (noch so ein irreführender Begriff, wir hatten auch schon in vielen anderen Teilen der Welt gewirkt). Was jedoch vielleicht auch damit zusammenhing, dass es hier nur noch sehr wenige Menschen gab, die die Bibel tatsächlich als bare Münze nahmen. Viele kannten das Gottesbuch des Christentums nicht mal und wenn doch, sahen sie in den meisten Erzählungen nur Methapern oder Überspitzungen von natürlichen Ereignissen. Die würden Augen machen.

Nur wäre es definitiv keine gute Idee das überall herum zu posaunen. Den Fehler hatten wir einmal gemacht und dann nie wieder. Ein kleinwenig lernfähig waren wir ja doch.

Mal sehen wie unser neustes Experiment funktionieren würde. Bis jetzt hatten wir jeder Wiedergeburt ihre Möglichkeiten enthüllt. So war es halt immer gewesen. Und wir hatten schon eine ganze Stange völlig unterschiedlicher Kontrollpersonen gehabt. Manche hatten unsere Plagen nur für kleine, persönliche Rachefeldzüge beansprucht, andere, wie zum Beispiel Moses, wollten größere Exempel statuieren. Einige hatten es kaum geschafft mit ihrer Willenskraft auch nur eine Plage zu kontrollieren und dann gab es welche, die uns mühelos alle nach ihrer Pfeife tanzen gelassen hatten.

Unser letzter Mensch hatte zu zweiter Sorte gehört und fatale Pläne gehabt. Zum ersten Mal haben wir angefangen unsere Rolle in Frage zu stellen, na ja, manche von uns.

„Wir hatten zwar schon Heißere, aber die Bravsten haben meistens die schmutzigsten Vorlieben“, kehrte Kasimir zur Abwechslung seine sexistische Seite raus. Keine Ahnung wie er es schaffte so viele schlechte Charaktereigenschaften in einer Person zu vereinen: Kleinlich, provokativ, frauenverachtend. Ist schon eine Leistung.

„Als hättest du je eine der Wiedergeburten rumgekriegt“, entgegnete Rex und sah dabei so aus, als hätte er der Stechmückenplage am liebsten etwas an den Kopf geschmissen.

Hatte es vielleicht in den vergangen sechs Jahren auch im harten Kern der Plagen gekriselt? Wäre das für eine Familienzusammenführung eher von Vorteil oder nur noch schlechter? Ich glaube im Endeffekt machte es keinen großen Unterschied, ob jeder auf jeden wütend war oder die eine Seite auf die andere. So oder so gab es da noch viel zu tun.

„Auf jeden Fall hatte ich schon mehr Weiber als ihr alle zusammen“, behauptete Kasimir mit einem ekligen Grinsen. „Es zählt nicht die Quantität sondern die Qualität“, erwiderte Joshua und strich dabei über seinen wahrscheinlich mehrere hundert Euro teuren Hemdärmel: „Ich habe momentan ein Supermodel am Start.“ „Was ist an hirnlosen Hungerhaken jetzt so qualitativ?“, herausfordernd funkelte die Stechmückenplage den Tod aller erstgeborenen Lebewesen an.

„Es geht um die Seele eines Menschen, nicht sein Ansehen oder sein Besitz“, spielte sich Gustav als scheinheiliger Wunderheiler auf. „Da müssten wir wohl Darko fragen“, bösartig schaute Kasimir zu meinem finsteren Bruder.

Vor Wut fing er an zu beben. Darko stand kurz vorm Explodieren.

Beruhigend griff Assan nach seinem Arm und raunte: „Darko. Bleib ruhig. Er will doch nur, dass du wütend wirst.“ „Die Jungfrau verhätschelt den Liebeskranken. Klingt nach einer üblen Schnulze für Teenie-Mädchen und alte Hausfrauen“, witzelte Kasimir provozierend weiter. „Hör auf!“, befahl ich ihm, selbst kaum noch beherrscht. „Das ist es nicht wert“, versuchte auch Hagen die neunte Plage im Flüsterton zurückzuhalten.

Laut scharrten Darkos Stuhlbeine über den Boden, als er aufsprang. Vor Wut ging seine Atmung ganz schnell. Draußen sah es aus, als würde die Welt gleich untergehen.

„Ein Ring sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkle zu treiben und ewig zu binden!“, entschlossen stand ich auch auf. Irritiert schaute mich Darko an. Er sah zwar immer noch so aus, als hätte Eira ihm eine ordentliche Portion Zorn verpasst, aber mit diesem Einwurf hatte ich ihn zumindest aus dem Konzept gebracht.

„Willst du Gollum werden?“, improvisierte ich weiter in Metaphern. Verständnislos schaute mich mein aufgebrachter Bruder an. „Werf den Ring in den Schicksalsberg, lass dich nicht von deiner Wut kontrollieren“, kam ich ein wenig holprig zum Punkt.

„Genau. Hör auf die, die für das alles verantwortlich ist. Ohne Amelias verfluchten Aufstand wäre das alles nicht passiert“, kalt schaute Joshua uns an. „Du Mörder!“, schrie Darko durch das ganze Restaurant.

Sofort wanderten alle Blicke zu uns. Jetzt war die Katze aus dem Sack. Vielleicht war ein öffentlicher Treffpunkt doch keine so gute Idee gewesen. Allerdings war es für eine Planänderung schon ein wenig zu spät.

Bevor Darko auf Joshua losgehen konnte, packten Hagen und Assan ihn. „Lasst mich los!“, zischte Darko immer noch vor Wut kochend. „Na na. Wer von uns hat denn unseren letzten Meister ermordet?“, konterte Joshua völlig tiefentspannt. Aufgebracht schaute ich meinen Bruder an. Das war nicht hilfreich!

„Was ist denn hier los?“, verwirrt schaute Noah in die Runde. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass er reingekommen war. Vielleicht war das ja genau das, was wir brauchten. Ablenkung. „Mal wieder Terminchaos gehabt?“, fragte ich ihn gezwungen locker. „Ja… Ähm… Ja“, antwortete er etwas überfordert.

„Wir gehen mal ein bisschen an die frische Luft“, meinte Assan bestimmt und fing an, gemeinsam mit Hagen unseren wütenden Bruder nach draußen zu eskortieren. Ohne sich großartig zu wehren, ließ er es geschehen. Und er hatte seine Kräfte immer noch erstaunlich gut im Griff. Der Himmel sah schon wieder fast normal bewölkt aus.

Unsicher kam Momoka mit unseren Getränken an den Tisch. Wie lange hatte sie eigentlich gewartet, dass unser Streit abflaut? Sie schien sich in ihrer Haut nicht besonders wohl zu fühlen. Ging mir genauso.

„Hier ist eine Apfelschorle“, verunsichert stellte Momoka das Getränk vor Kasimir ab. „Vielen Dank“, immer noch im Flirt-Modus zwinkerte ihr die Stechmückenplage zu. Stumm ging Momoka einfach weiter. Man konnte ihr ansehen, dass sie sich gerade etwas dachte wie: „Das ist nicht mein Leben“.

Plötzlich hüpften zwei Heuschrecken über den Tisch. Überrascht und verwirrt zugleich schnitt unsere Meisterin eine ganz seltsame Grimasse und stolperte über ihre eigenen Füße. Wankend kippte das Tablett zur Seite und die Kaffeetasse für Hagen rutschte runter. Klirrend zerbrach sie auf dem Boden und eine rotbraune klumpige Masse klatschte auf die Fliesen.

Mein Traum…

Nur eine Sekunde später landete der Rest auf dem Tisch. Weit spritzten die Getränke über die dunkle Platte. Trommelnd drehte sich das Tablett noch kurz hin und her, bevor es schließlich regungslos liegen blieb.

Für einen Moment versuchte Momoka noch irgendwie ihr Gleichgewicht zu finden. Dann war dieser Moment vorbei. Mit einem kleinen Quieken stürzte sie mitten auf Rex. Überrumpelt umarmte mein Bruder sie irgendwie. Einen kurzen Augenblick lagen die beiden ganz seltsam aufeinander.

Schnell richtete sich die Asiatin wieder auf. Verlegen strich sie ihre zerknitterten und teilweise nassen Klamotten glatt. Jetzt sah ich auch, dass Rex irgendwas überbekommen hatte. Ich hoffte für ihn, dass es der Sprudel oder das Wasser war, alles andere würde ja tierisch kleben.

„Ähm… Tut mir leid…“, stammelte Momoka, griff sich fahrig das Tablett und stellte die ganz gebliebenen, leeren Gläser und Flaschen wieder darauf. Mittlerweile tropfte das Getränkegemisch auf allen Seiten vom Tisch.

„Äh… nicht schlimm“, meinte Rex etwa genauso nervös und bückte sich, um die Scherben der Kaffeetasse aufzuheben. Nicht gerade seine beste Idee. „Mist!“, fluchte er zischend. Klirrend fiel die Scherbe, an der er sich geschnitten hatte, auf den Boden zurück und sein Blut tropfte zu dem Brei, in den Assan den Kaffee verwandelt hatte.

„Oh! Ich hol ein Pflaster!“, hektisch lief Momoka los. „Es ist nicht so wild!“, rief Rex ihr hinterher, allerdings war ich mir nicht sicher, ob sie es noch hörte. Stöhnend ließ er den Kopf nach hinten hängen.

Jap, das war mal wieder typisch für unsere Familie, das totale Chaos. Fast schon ein wenig beschämt fasste ich mir mit der Hand an die Stirn. Wir schafften es wirklich nicht ein mal uns normal aufzuführen.