Andeo, Fischerjunge - Thomas Ebeling - E-Book

Andeo, Fischerjunge E-Book

Thomas Ebeling

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Beschreibung

Andeo, der Sohn des Fischers Padrig hat einen Lebenstraum: Er möchte Fischer werden, so wie sein Vater und der Vater seines Vaters. Alles scheint für ihn vorgezeichnet im Dalamtien des Frühsommers 1914...

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Bilo na sjeveru ili jugo, zapadu ili istoku, najljepše je u Primoštenu.

ZU DIESEM BUCH:

Alle Personen und Handlungen in dieser Geschichte sind frei erfunden. Namensgleichungen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Auch alle genannten Firmen sind fiktiv. Orte und Gebäude sind zum Teil real. Der geschichtliche Hintergrund wurde vom Autor möglichst neutral und objektiv recherchert.

Der Name Andeo ist eine Form des kroatischen »Anđeo« (gesprochen wird das đ dabei wie gi beim italienischen »bon giorno«) und bedeutet soviel wie »Engel«.

Inhaltsverzeichnis

Teil 1: Jugend

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Teil 2: Im Krieg

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Glossar

Quellennachweis

Danksagung

Weitere Bücher des Autors

TEIL 1

Jugend

1

Das kleine Boot wiegte sich sanft in der Abendsonne. Andeo und sein Vater Padrig sahen schweigend in den Sonnenuntergang. Sie waren etwa drei Seemeilen vom Land entfernt und hatten ihre Stellnetze gerade fertig ausgebracht. Heute Nacht würden sie draußen bleiben, um mit dem Seewind nach dem Aufbringen der Netze am Morgen wieder nach Hause zu fahren. Das alte, dreieckige Lateinersegel hatten sie sauber an die Rah gebunden. Hinter ihnen im Osten lag die dalmatinische Küste und ihr Heimatdorf Primošten. Der Ort wurde auch als das »trockene Kap« bezeichnet, da hier lange Dürreperioden vorherrschten. Weit dahinter erhoben sich die Berge, deren karstige Hänge in der Abendsonne rosa schimmerten.

Außer seinem Boot besaß Padrig Vucović auch einen Olivenhain und einen Weingarten. Eigentlich war er somit ein wohlhabender Fischer, denn viele seiner Kollegen hatten bei Weitem nicht so viele Einkommensquellen wie er.

Padrig war aber nie so ganz zufrieden, es hätte immer noch ein wenig mehr Oliven in besserer Qualität, ein bisschen mehr Öl, etwas besseren Wein oder einfach noch mehr und noch größere Fische geben können. Dabei hatte seine Frau Christina den Weinberg mit in die Ehe gebracht und nicht wenige ihrer Nachbarn behaupteten, dass er sie nur deswegen geheiratet habe. Aber wenn es etwas gab, mit dem Padrig zufrieden war, dann mit seiner Frau, die er über alles liebte. Dass sie einen Weingarten mit in die Ehe bringen würde, hatte er gar nicht eingeplant, denn eigentlich hätte dieser ihrem älteren Bruder Tomić zugestanden. Aber Tomić war bei starkem Sturm auf dem Meer vermisst worden und kehrte samt dem Boot der Familie nie zurück.

Christina bekam den Weingarten und nach dem Tod des Vaters auch das Haus der Familie, sodass Padrig mit der Hochzeit zu einem wohlhabenden Fischer geworden war, denn zuvor besaß er gerade mal ein altes Boot und einen kleinen Olivenhain. Bei ihnen lebte noch Christinas Mutter, die, obwohl erst in ihren 60ern, schon sehr gebrechlich war. Sie kümmerte sich um die Hühner und Ziegen und half Christina, so gut sie noch konnte, im Haushalt. Andeos jüngere Schwestern Marijana und Anesa waren 9 und 12 Jahre alt und gingen noch zur Schule. Andeo aber hatte diesen Sommer die Schule beendet und sollte nun auch Fischer werden.

An diesem heißen Juni Nachmittag hatte die ganze Familie geholfen, das Boot ins Wasser zu schieben und mit den Netzen, den Fischkisten und einem kleinen Proviantvorrat, sowie mehreren Steinkrügen Wasser zu beladen. Man musste immer darauf gefasst sein, nicht nach Plan zurückzukommen. Es geschah öfter, daß die Männer abgetrieben wurden, oder längere Strecken gegen den Wind zurückrudern mussten. Dann war es wichtig, genügend Wasser an Bord zu haben. Padrig war sehr vorsichtig und hatte immer genügend Wasser und Essen für mehrere Tage dabei. Heute sah es aber nicht nach viel Wind aus und das Meer lag ruhig da.

»Mal sehen, was wir fangen. Ich bin schon gespannt, was morgen früh in den Netzen sein wird.« Andeo war immer sehr aufgeregt, wenn es zum Fischen hinausging.

»Nur Geduld, mein Sohn«, sagte Padrig, »Geduld ist beim Fischen das Allerwichtigste. Geduld ist auch im Leben das Wichtigste!«

»Und Glück!«, sagte Andeo. Padrig lächelte:

»Und Glück. Aber Glück kannst Du nicht lernen. Geduld kann man üben.«

Dann begann er, eine alte Volksweise anzustimmen. Das Lied handelte von einem Mädchen, daß das Meer liebte und als sie zur Frau wurde, liebte sie einen Mann, der das Meer befuhr.

»Schönes Lied«, sagte Andeo, »woher kennst Du es?«

»Von meinem Vater, und der von Seinem.« Andeo lächelte:

»Dann will ich es auch meinem Sohn beibringen!« Padrig lächelte zurück:

»Gut, dann sing mit!« Sie sangen das Lied immer wieder, bis es schließlich dunkel war und sie die Lampe anzündeten. Bis in die späte Nacht erzählte Padrig Geschichten. Andeo schlief schließlich ein und träumte von dem Mädchen, welches das Meer liebte. Er würde Fischer werden, sein und immer bleiben.

Ante Kovačić war Andeos bester Freund. Schon mit 14 war er so stark, dass er die meisten Männer in der Konoba im Armdrücken besiegte. Er sah aus wie 20 und war ein Riese von einem Kerl. Ante war kein Fischer. Er war der Sohn des Schmieds von Primošten. Man mussnun sagen, dass Primošten eigentlich sogar eine Stadt mit einer Stadtmauer war, aber die besten Zeiten waren vorüber und nicht alle Häuser waren bewohnt und in gutem Zustand. Ante hatte sich eines dieser leeren Häuser hergerichtet und wohnte dort alleine. Er war überhaupt sehr ungewöhnlich. Ante sprach, wenn er mit Andeo alleine war, viel von der Freiheit der kroatischen Volkes und dass er Anarchist werden wollte. Aber wenn jemand anderes dabei war, tat er sehr geheimnisvoll und sagte meist nichts. Sein Vater saß oft in der Kneipe mit anderen zusammen und dann wurde viel gesungen. Aber wenn kein Fremder oder jemand von der Kommandantur in der Nähe war, steckten sie die Köpfe zusammen und diskutierten darüber, ob es nun bald einen Nationalstaat Kroatien geben könnte. Seit vielen Jahren schon gab es Nationalisten in Zara, die aber unter strenger Beobachtung der Königlich-Dalmatinischen Verwaltung standen. Und der König von Dalmatien war der Kaiser von Österreich. Nun forderten ungarische Politiker aber die Magyarisierung des Balkans. Dalmatien und Serbien sowie Montenegro und Bosnien, die Herzegowina und auch Albanien sollten möglichst unter eine Verwaltung, und zwar die Ungarns, kommen. Das Königreich Serbien forderte aber alle Gebiete, in denen Serben lebten, als Staatsgebiet ein. Das war für die kroatischen Nationalisten unerträglich. In den kleine Städtchen Dalmatiens war es wieder etwas anders. Hier war es schon immer etwas internationaler. Aber auch hier war man, wer man war. Serbe, Kroate, Italiener, Deutscher. Die Amtssprache entlang der Küste war seit Jahrhunderten italienisch. Kroatisch und slawisch wurde aber in der Kirche gesprochen und auch das Schulwesen, das unter Aufsicht der katholischen Kirche stand, förderte die Sprache der kroatisch-slawischen Mehrheit. Die Bevölkerungsgruppen kamen im Alltag gut miteinander aus, Vermischungen gab es aber nur wenige. Auf dem Land und in den Dörfern war es früher normal, miteinander und nebeneinander friedlich zu leben. Die nationalistischen Strömungen, die vor einigen Jahrzehnten in den Städten begonnen hatten und nun auch auf das Land kamen, sorgten aber mehr und mehr für Spannungen.

Andeo interessierte sich nicht für die Politik, genau wie Padrig. Für Padrig war es schon immer so gewesen, das fremde Herrscher über ihnen standen. Für ihn und Christina war das nicht wichtig. Es zählte, was in der Bibel stand, was der Pfarrer am Sonntag anmahnte und das, was im Meer zu fangen und was in Weinberg, Olivenhain und Garten wuchs. Familie, Haus, Hof und Boot waren für Padrig das, was wichtig war. Mit der Obrigkeit hatte er nie ein Problem gehabt, er war stets mit ihr ausgekommen. Aber er merkte schon, dass sich die Stimmung mehr und mehr aufheizte und die Nachrichten aus Wien und Europa nichts Gutes erahnen ließen. Aber was konnte er schon tun? Kleine Leute waren immer der Spielball der Reichen und Mächtigen gewesen. Wie sollte man das ändern? Nein, er musste sich auf sich, seine Arbeit und auf seine Familie konzentrieren. Das war alles, was zählte. Zufriedenheit, Wohlstand, ein kleines Glück. Aber viele Leute kamen und fragten Pardig um Rat. Sein Wort hatte Gewicht, denn er galt als ein besonnener Mann, anders als die Hitzköpfe in der Konoba.

Aber hier draußen auf dem Meer war alles weit weg und man war mit sich und der Natur alleine. Alle Sorgen und Nöte waren vergessen. Gedankenversunken starrte Padrig nach Osten, wo es zu dämmern begann. Zeit, den Jungen zu wecken. Padrig machte eine kleine Brotzeit fertig und weckte Andeo.

»Aufstehen, Fischerjunge! Frühstück.« Andeo rieb sich die Augen.

»Geht es los?« Er sah sich um, konnte aber noch nicht viel erkennen.

»Erst mal etwas zur Stärkung. Hier, nimm einen Schluck.« Padrig reichte Andeo den Wasserkrug. Damit das Wasser nicht schal schmeckte, war immer etwas Wein dazugemischt. Andeo trank durstig.

»Wenn es etwas heller wird, fangen wir an. Mach die Ruder fertig, wir müssen etwas rudern um zu den Netzen zu kommen.« Sie kauten etwas Brot und Rohwurst. Dann machten sie das Boot fertig, um die Netze hochzuziehen und die Fische herauszunehmen. Andeo kletterte nach vorne zum Bug und hielt sich am charakteristischen lang hochgezogenen Vordersteven fest.

»Siehst Du schon die Schwimmer?«, rief Padrig. Die langen Leinen, an denen das große Netz in 20 Metern Tiefe hing, waren an großen Glaskugeln befestigt, die an der Oberfläche schwammen, in der Morgendämmerung waren sie leicht zu erkennen.

»Ja, wir sind ganz nah dran.« Padrig schwang die Ruder und bewegte das Boot in Richtung der Netze. Mit dem Bootshaken angelte Andeo nach den Leinen.

Sie zogen gemeinsam das Netz Stück für Stück nach oben. Andeos Hände schmerzten, das raue Tau und Netz schnitten tief in seine Handflächen. Trotzdem ließ er nicht los. Padrig sah es und nickt ihm zu:

»Geht’s Andeo?«

»Natürlich, Vater.« Andeo wollte sich nichts anmerken lassen. Fischer müssen hart und zäh sein, das Meer ist es auch. Dann kamen endlich die ersten Fische nach oben.

»Pass’ gut auf, was dran ist, denk an die Stacheln der Doraden und an die giftigen Fische, vor allem den Drachenkopf!«, mahnte Padrig. Ein Stich von einem giftigen Fisch konnte sehr gefährlich sein. Goldbrassen, Wolfsbarsche, auch ein paar Tintenfische waren darunter. Der Fang war nicht schlecht für die Jahreszeit, denn eigentlich war von Herbst bis Frühjahr die beste Saison. Es waren einige gute, große Speisefische dabei. Ein giftiger Fisch zum Glück nicht. Glitzernd zuckten die Fischleiber in der Morgensonne. Padrig und Andeo ließen sie in den großen Fischkasten in der Mitte des Bootes gleiten und verschlossen diesen wieder mit dem Holzdeckel. Der Kasten war mit Löchern nach außen versehen und so konnten die Fische lebend noch ein paar Stunden bis zum Hafen transportiert werden. Im Hafen würden sie dann die Fische schlachten. Nachdem das gesamte Netz wieder an Bord war, verstauten sie es schnell und begannen, das Segel zu setzen, denn der Wind stand günstig und man wusste nie, wie lange er in den Sommermonaten am Morgen anhalten würde. Gerade, als sie Kurs gesetzt hatten sahen sie einen Dampfer auf sie zukommen. Es war ein Torpedoboot der Kaiserlich-königlichen Marine.

»Was sollen wir tun, Vater?«, fragte Andeo aufgeregt, der noch nie ein so großes Boot aus der Nähe gesehen hatte.

»Nichts.«, antwortete Padrig, »Abwarten und Kurs halten. Vielleicht halten sie uns auf, weil sie uns für Schmuggler halten. Aber wir haben ja nichts zu verbergen. Mal sehen, was sie machen.« Das Torpedoboot kam schnell näher, überholte das Fischerboot und stoppte dann auf. Ein Offizier am Bug rief sie über ein Messing-Megafon, daß golden in der Sonne blitzte, an:

»Fischerboot! Sofort beidrehen!« Padrig zog an der Pinne und ließ die Schot los. Das Boot drehte in den Wind und blieb stehen. Padrig grinste.

Das Torpedoboot »Polyp 69F« der Kaiman-Klasse war mit 35 Mann Besatzung und 3 Offizieren unterwegs, um die Küste zu überwachen und den Schmuggel zwischen Italien und Dalmatien zu unterbinden. Dieses Unterfangen war allerdings aufgrund der vielen größeren und kleineren unbewohnten Inseln eigentlich kaum möglich. So begnügte man sich mit Kontrollen und eventuellen Zufallstreffern bei den Fischern und versuchte, deren Aktivitäten zu überwachen. Zudem stammten viele der Offiziere und Mannschaften aus Dalmatien. Man kannte sich.

»Was wollen die, Vater?«, Andeo hatte noch nie ein so großes Boot von Nahem gesehen und war beeindruckt.

»Padrig!«, rief der Offizier, »Habt ihr was gefangen?«

»Goldbrassen und Barsche! Wollt ihr Euren Speiseplan aufbessern, Josip?«

»Kommt an Bord, der Kapitän möchte Euch kennenlernen!«

So kam Andeo dazu, das Torpedoboot nicht nur von außen, sondern auch von innen zu sehen. Das Boot war über 50 Meter lang und fast fünfeinhalb Meter breit. Auf dem Boot konnte man das Vibrieren der Maschine spüren, die Technik war auf dem neuesten Stand.

Die Mannschaft war sehr freundlich und man klopfte Andeo auf die Schultern:

»Na, Junge, möchtest Du auch anmustern?«

Andeo schaute verlegen und suchte den Blick seines Vaters, der nur lächelte.

»Eigentlich möchte ich nur Fischer sein.«

»Ha! Dann wartet bestimmt ein schönes Fischermädchen bei Euch im Dorf auf Dich. Wie heißt sie denn?«

Die Männer hatten ihren Spaß und Andeo wurde rot.

»Lasst den Jungen in Ruhe, Männer! Zeigt ihm lieber mal das Schiff!«, rief der Offizier, den Padrig aus Jugendzeiten kannte. Er hieß Josip und stammte auch aus Primošten, war auf die höhere Schule gegangen und hatte dann die Offizierslaufbahn eingeschlagen können. Das war eine absolute Ausnahme. Die allermeisten Offiziere waren aus den besten Familien, eine Offizierslaufbahn blieb einfachen Seemännern oder Soldaten ohne Adelstitel oder Beziehungen verwehrt. Ein Offizier gab sich auch nie mit den einfachen Mannschaften ab. Die »Polyp« war in Zara stationiert und Josip verdiente gutes Geld bei der Marine. Zudem waren Offiziere der Marine hoch angesehene Männer. Obwohl es früh am Morgen war, lud der Kapitän Padrig in seine Kajüte auf einen Schnaps ein.

Padrig blieb etwa 20 Minuten bei ihm und kam dann mit leicht glasigen Pupillen wieder. In der Zwischenzeit hatte Andeo den Maschinenraum, die Mannschaftsunterkünfte und eine der Schnellladekanonen besichtigen dürfen.

»Andeo! Mach eine Kiste mit Goldbrassen und eine mit Wolfsbarschen fertig und lad’ sie aus dem Boot. Und dann gib sie den Männern!«, rief Padrig ungewohnt laut, »Wir brechen auf!« Andeo war schwer beeindruckt von dem Torpedoboot, verstand aber von der Technik nur wenig. 3000PS brachten die Kessel auf die Welle, 26 Knoten konnte das Boot laufen, wenn die Männer alles herausholten. Das war fünfmal schneller, als ihr Fischerboot bei günstigem Windlaufen konnte. Das war schon toll. Allerdings brauchte der Dampfer dazu eine Menge Kohle, die es in ganz Dalmatien nicht gab. Sie musste mit dem Schiff importiert oder aus Ungarn, zum Beispiel aus Sopron, oder gar aus Rumänien mit der Eisenbahn herbeigeschafft werden. In den größeren Häfen gab es große Kohlebunker. Halden, die Tag und Nacht bewacht wurden, denn Brennstoff war in Dalmatien Mangelware. Zum Heizen verwendete man Holz. Und Holz war sehr wertvoll, schon vor Jahrunderten hatten fremde Herrscher wie die Römer und später die Byzantiner, danach die Venezianer und die Osmanen, die küstennahen Waldbestände Dalmatiens abgeholzt.

Der Wind aber war kostenlos. Leider aber auch unzuverlässig. Padrig hatte es jetzt sehr eilig, denn er erwartete, daß der Seewind diesen Morgen nicht all zulange anhalten würde. Wenn er jetzt ganz einschlief, bedeutete das, dass die beiden rudern mussten und die Fische in der ansteigenden Hitze sterben könnten. Sie hatten immer noch genügend an Bord, um auf dem Markt ein hübsches Sümmchen dafür zu bekommen. Padrig sprach noch mit Josip, es ging anscheinend um eine anstehende Hochzeit in Zara. Andeo beeilte sich, die Fische für die »Polyp« zu schlachten und auszunehmen. Besonders bei den Goldbrassen musste man auf die Stacheln der Rückenflosse achten. Er war sehr geschickt darin und war nach 20 Minuten fertig. Dann übergab er den Matrosen zwei Kisten voller Fische. Als sie vom Schiff abgelegt hatten, war die Mannschaft an Deck und einige winkten zum Abschied.

»Hey Andeo! Gib Deinem Mädchen einen Kuss von mir«, rief einer der Männer und einige lachten und grölten. Dann ertönte ein lauter Pfiff aus der Bootsmannspfeife und ein jeder begab sich schnell auf seine Station. Schnell setzten die beiden Fischer ihr Lateinersegel und nahmen Fahrt auf. Die SMS Polyp setzte ebenfalls ihre Fahrt fort und entfernte sich rasch. Andeo durfte steuern und Padrig setzte sich in den Schatten und döste etwas. Es war sehr leicht, Kurs zu halten, Andeo kannte die Küstenlinie genau und steuerte auf das heimatliche Kap zu. In der Ferne dahinter leuchteten die Berge in der Morgensonne. Padrig war nun fest eingeschlafen, er war Alkohol um diese Zeit nicht gewohnt. Er träumte von Oliven und Wein, reichem Fischfang und einem sorglosen Leben. Das war Andeo ganz recht, er konnte nun die Schot und die Brassen nach seinem Belieben einstellen und so ausprobieren, mehr Fahrt herauszuholen. Andeo hatte ein gutes Gefühl für den Wind und die Segel und träumte davon, mit seinem eigenen Boot über alle Meere zu fahren. Am Besten als reicher Handelskapitän. Mit Waren aus Fernost und Amerika. Auf den schnellen Klippern der Ostindischen Kompanie. Oder als Pirat im chinesischen Meer. So fuhren sie, begleitet von Träumen und Tagträumen, nach Hause. Es war nun schon nach 8 Uhr und sie waren spät dran. Der Wind flaute bereits ab und sie hatten immer noch mehr als eine Meile zu fahren. Padrig war wach geworden und sah sich um:

»Wie lange habe ich geschlafen, Andeo?«

»Weiß nicht genau, Vater, aber der Wind lässt nach und ich glaube, daß er bald ganz weg ist.«

»Ja, das stimmt. Und es wird warm. Lass uns die Ruder ausbringen und zusätzlich rudern. Ich fange an, wir wechseln uns dann ab.« Padrig zog kräftig an den Riemen und Andeo spürte, wie das Boot gleich merklich an Fahrt zunahm. Nach gut 20 Minuten löste Andeo ihn ab. Padrig sah zum Ufer und nickte zufrieden:

»Noch eine halbe Meile, streng Dich an, Andeo.« Der Junge nickte stumm und zog, so fest er konnte am Riemen. Ganz so schnell wie bei seinem Vater wurde das Boot aber nicht, der Wind war zudem ganz eingeschlafen. Padrig deckte den Fischkasten zusätzlich mit einem Teil des Segels ab, das er vorher nass gemacht hatte. Noch waren die restlichen Fische am Leben.

»Ruhig und gleichmäßig«, mahnte Padrig, »sonst bist Du in fünf Minuten am Ende.« Andeo nickte und ruderte das schwere Boot in Richtung Heimathafen.

»Ich sehe Deine Mutter schon am Liegeplatz. Wir haben es gleich geschafft.«

Andeo, der mit dem Rücken zur Fahrtrichtung ruderte, lächelte. Mutter würde stolz auf ihn sein, wenn er das Boot in den Hafen ruderte. Sie hatten ja außer den Fischen ja auch gleich Geld von See mitgebracht und das konnte kaum jemand von sich behaupten.

Und was würde Ante staunen, wenn er ihm heute Mittag von dem Kriegsschiff erzählte. Normalerweise durfte niemand auf so ein Schiff. Er konnte es kaum erwarten und zog noch kräftiger an den Riemen.

»Wo bleibt ihr so lange? Ich hab‘ mir Sorgen gemacht. Die anderen Fischer sind längst zurück und haben ihre Fische verkauft«, rief Christina schon von Weitem.

»Wir haben gute Geschäfte unterwegs gemacht, Liebling!«, rief Padrig freudig vom Boot aus. Er warf die Leine zum Festmachen einem anderen Fischer, der an der Mole stand zu und sprang dann aus dem Boot.

»Na, viel habt ihr ja nicht gefangen, Padrig«, meinte der Kollege.

»Was kümmerts Dich? Wir haben unterwegs schon die Hälfte verkauft. Heute ist ein guter Tag!«

Padrig umarmte Christina und gab ihr einen Kuss aber Christina schob ihn weg: »Was soll das? Vor allen Leuten! Außerdem stinkst Du nach Schnaps! Schäm Dich!« Christina war wütend. Das lag aber vor allem daran, dass sie ungewohnt lange hatte warten müssten und sich um ihren Mann und ihren Sohn gesorgt hatte.

Nachdem das Boot festgemacht und entladen, das Segel abgeschlagen und alles wieder nach Hause gebracht worden war, ging Andeo zu seinem Freund Ante, der in der Schmiede seines Vaters arbeitete. Er erzählte ihm von seinem Besuch auf dem Torpedoboot und von den Marineseeleuten. Ante staunte nicht schlecht und hätte zu gerne auch an der Besichtigung teilgenommen. Immer wieder fragte er Andeo nach Einzelheiten und Andeo war überrascht, wie viel Ante über das Boot, seine Technik und Bewaffnung wusste. Antes Vater schickte Andeo schließlich aus der Schmiede weg, da er Ante zu sehr vom Arbeiten abhielt. Sie verabredeten sich für diesen Abend am Damm. Andeo und Padrig wollten heute Abend nicht hinausfahren, um morgen den Gottesdienst nicht zu versäumen.

»Ich werde später auch mal zur Marine gehen, Vater will es aber nicht erlauben. Wenn ich volljährig bin, kann er nicht mehr über mich bestimmen!« Ante wollte schon lange fort von Primošten. Er wollte die Welt sehen und das ging, so meinte er, am Besten beim Militär.

»Also, ich weiß nicht, Ante. Die Besatzungen der Torpedoboote sehen auch nur unsere heimatliche Küste. Denkst Du, dass die mehr sehen als ein Fischer? Die Boote sind in Pola, Zara, Lussin oder Spalato stationiert. Da sind sie wie in der Kaserne und ansonsten tagelang auf See. So viel Abenteuer und Ferne gibt’s da nicht.« Andeo war zwar auch ein Träumer, aber auch sehr realistisch und dachte rational.

»Dann geh’ ich eben zur Handelsmarine, da geht’s dann richtig weit weg. Ich habe gehört, bis China.«

»Das klingt schon toll. Ich möchte auch weit reisen. Aber ich möchte auch immer wieder nach Hause zurückkommen.«

Beide sahen in den Sternenhimmel. Unzählige Sterne erleuchteten das Firmament. Die bald würde der Mond aufgehen und einen Teil davon verdecken. Aus dem Ort klangen Geräusche wie Gesang, Gelächter und Klirren von Gläsern. Es war Samstag Abend und viele der Bewohner saßen vor ihren Häusern und auf den Plätzen.

»Du hast recht, Andeo. Ob Norden, Süden, Westen oder Osten, am Schönsten ist es in Primošten!«

Beide lachten laut und schlugen sich gegenseitig auf die Schultern.

2

Diesen Sommer hatten beide die Schule beendet und hatten begonnen, bei ihren Vätern in die Lehre zu gehen. Das war damals nichts Ungewöhnliches, der Sohn des Bauern wurde Bauer, der Sohn des Schneiders Schneider und der Sohn des Kramers Kramer. In Primošten gab es zu dieser Zeit jeden Handwerksberuf, der wichtig war. Den Schmied, um Beschläge für Türen und Boote oder Hufeisen herzustellen, den Tischler, der Möbel, Türen und Särge baute, den Fischer, den Schuster und den Schneider. Den Böttcher und den Bootsbauer, den Segelmacher und den Maurer. Jeder hatte sein Auskommen, aber niemand wurde damit reich. Und schon ein kleines Missgeschick, eine Krankheit oder ein Unfall, konnte einer Familie den Ernährer nehmen und in den Ruin stürzen. Einen Arzt gab es in Primošten zwar auch, doch seine Mittel waren sehr begrenzt. Dass aber der Schneider Italiener war und der Tischler Serbe, war Andeo eigentlich nie bewusst gewesen. Dass der Arzt im Dorf in Wien und Budapest studiert hatte, wusste jeder, dass er aber eigentlich Deutscher war, hatte nie eine Rolle gespielt. Trotzdem nahmen Streitereien wegen der Herkunft verschiedener Leute mehr und mehr zu. Italiener bezeichneten viele immer öfter als Spione und Landesverräter. Serben wurden von den Österreichern generell als Landesverräter und Anarchisten bezeichnet und die Kroaten waren bei den Ungarn als zweitklassige Bauern verrufen. Bis zu diesem Sommer hatte es zwar nach seiner Erinnerung Hänseleien auf dem Schulhof mit dem Sohn des Schneiders gegeben, der von den Älteren als »Spaghettifresser« oder »Itaker« bezeichnet wurde, aber nun nahmen die offen Anfeindungen gegenüber der jeweils anderen ethnischen Gruppe zu. Die italienische Minderheit an der dalmatinischen Küste war zudem unter Generalverdacht, Schmuggel zu betreiben, was auch sehr seltsam war, denn fast jeder sprach selbst italienisch. Es war die Amtssprache entlang der Küste.

Das gefiel Andeo überhaupt nicht, oft war er bei Mario zu Gast gewesen und hatte die leckeren Nudeln gegessen. Mario war ebenfalls bei seinem Vater in die Lehre gegangen, da es keinen anderen Schneider in den Nähe gab. Und er hatte eine wunderschöne Schwester, Maria. Eigentlich war er nur mit Mario befreundet, um Maria öfter zu sehen. Sie hatte nicht nur blonde Haare, was an sich schon sehr außergewöhnlich in Primošten war, sondern auch noch Augen, blau wie der Himmel. Eigentlich war sie das einzige Mädchen, das er kannte, das so aussah. Andeo wusste aber nicht, wie er sie hätte ansprechen sollen, darum ging er den Umweg über Mario. Er schämte sich ein bisschen dafür, denn Mario mochte ihn sehr gerne. Was er wusste, war, dass Maria sehr gerne Kätzchen mochte. Das Problem war, dass Eduardo, ihr Vater, Katzen hasste. Er bekam Ausschlag und juckende Augen, wenn er sie nur in der Nähe hatte. Eduardo war ein freundlicher und herzlicher Mann, aber Katzen? Alle in eine Sack und ersäufen! Das war sein Motto. Lieber Tausend Mäuse im Haus als eine Katze. Maria hatte einmal ein niedliches kleines Kätzchen gehabt und im Schuppen versteckt. Leider ließ sich das Tier nicht einsperren und streunte herum. Als Eduardo in den Schuppen musste, bekam er sofort juckende Augen. Er rannte heraus und brüllte, während seine Augen zuschwollen:

»Wo ist das Vieh, ich werde es erschlagen! Wer auch immer eine Katze in meinen Schuppen gelassen hat, der soll sich in Acht nehmen!« Die Katze wurde nie wieder gesehen. Maria weinte tagelang.

Darum hatte Andeo einen Plan gefasst. Er würde im verlassenen Haus ein kleines Katzenparadies einrichten, wo er mit Fischresten die herrenlosen Katzen des Ortes anlocken würde. Dann könnte er Maria diesen Katzenort zeigen.

Im Untergeschoss, das zum Meer hin ein großes, offenes Tor hatte, wo die früheren Bewohner ihr Boot und ihre Netze im Winter gelagert hatten, würde Andeo eine Schaukel installieren. Es sollten auch Bänke und Sitzgelegenheiten aus Holzkisten und ein kleiner Tisch hinein. Überall würde er Kerzen aufstellen, so, dass es Abends schön beleuchtet war. Mit dem Blick auf das Meer würde es Maria bestimmt gefallen.

Das Problem war, dass Mario immer dabei sein würde, denn er musste auf die etwas jünger Schwester aufpassen. Wie konnte er also Mario loswerden und alleine mit Maria sein? Es war alles sehr kompliziert. Außerdem gab es oben im verfallenen Haus Schlangen. Aber die würden die Katzen bestimmt vertreiben. Waren ja schließlich nur harmlose Nattern. Na gut, einige davon waren giftig. Und Maria hasste Schlangen. Je mehr Andeo nachdachte, desto komplizierter wurde sein Vorhaben.

Aber er würde diesen Sommer auf jeden Fall versuchen, Maria näher zu kommen, denn sie sollte im Herbst als Dienstmagd zu einem reichen Kaufmann nach Zara gehen. Dann würde er sie so schnell nicht wieder sehen. Selbst wenn er mit Padrig, seiner Mutter und seinen Schwestern mal nach Zara fahren würde, war es unwahrscheinlich, sie dort besuchen zu können. Er konnte ihr nur schreiben.

Dass diesen Sommer alles anders werden würde, spürte Andeo schon seit langem. Aber den dunklen Schatten, der sich trotz der Sommersonne über ganz Europa legte, konnte er natürlich damals noch nicht erkennen. Es war Sonntag und der Sommer schon mit all seiner Kraft an der dalmatinischen Küste eingetroffen. Die Serben feierten den Veitstag, den Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld gegen die Osmanen. Sogar der Pfarrer hatte in seiner Predigt von der Verteidigung des Glaubens gegen die Osmanen geredet. Als sie nach der Kirche nach Hause kamen, hatte Padrig keine gute Laune.

»Sogar der Pfarrer redet vom Krieg, auch wenn diese Schlacht schon 500 Jahre her ist. Wir sind nicht mehr von den Osmanen bedroht. Höchstens von Dummköpfen!« Christina schaffte es aber immer wieder, Padrigs Laune zu heben.

»Jetzt wascht Euch alle erst mal die Hände und dann gibt es etwas zu Essen. Padrig, hol zur Feier des Tages einen guten Wein von unten, schließlich ist Sonntag, wir sind alle gesund, haben genug zu Essen und ein Dach über dem Kopf. Danken wir dem Herrgott dafür und dass wir heute zusammen sein können. Und nun genug von Politik und Kriegsgerede.« Padrig lächelte und entschuldigte sich:

»Du hast recht. Uns geht es gut, und das ist eine Gnade. Heute Abend fahren wir wieder hinaus und fangen viele Fische und ihr bestellt den Garten. Was wollen wir mehr?«

Beim Essen fragte Padrig Andeo auf den Kopf zu:

»Was willst Du eigentlich mit dem verfallenen Fischerhaus? Ich habe gehört, dass Du dich da herumtreibst. Pass nur auf, dort wimmelt es vor Schlangen.« Andeo wurde rot:

»Ja, Vater, Ich weiß. Ich wollte dort einen Unterschlupf für die streunenden Katzen einrichten, damit sie sich tagsüber vor der Hitze verstecken können.«

»Deine Ehrlichkeit ist löblich, wenngleich Deine Idee dumm ist. Niemand kümmert sich umstreunende Katzen. Und Du auch nicht. Du machst Dich zum Gespött der Leute. Kannst Du Deine Freizeit nicht anders nutzen? Zum Lesen zum Beispiel. Oder hast Du zu viel freie Zeit?« Die Schwestern kicherten. Andeo widersprach:

»Nein Vater, ich habe gut zu tun. Und ich bin auch nicht faul. Aber alle Geschöpfe haben ein Recht auf Leben, auch die Streunerkatzen. Ich brauche dafür auch kein Geld. Und was die Leute denken, ist mir egal!“

Padrig sah Andeo streng an: »Von wem Du das wohl hast!«

Christina mischte sich ein:

»Von Dir, Padrig. Eigenständig und frei zu denken hat er von Dir! Ich denke, wir sollten das alte Fischerhaus kaufen!«

»Was? Bist Du verrückt? Wozu?« Padrig sah Christina verwirrt an.

»Es hat einen schönen Garten. Und in ein paar Jahren braucht Andeo etwas Eigenes. Ich hab gehört, er liebt ein Mädchen.« Andeo lief dunkelrot an.

»Das stimmt nicht!«, stammelte er.

»Oho! Das sind ja Neuigkeiten.« Padrig zwinkerte Christina zu. Die Schwestern kicherten noch mehr und stießen sich gegenseitig mit den Ellenbogen in die Rippen. Sogar die Oma, die eigentlich nicht mehr so viel mitbekam, lächelte.

»Ja, ja. Die Jugend.«

»So ein Quatsch! Wer behauptet denn so was? Dem werd ichs zeigen!« Andeo sprang auf und rannte zur Treppe.

»Das stimmt nicht, ich hab mich nicht in Maria verliebt...«

Kaum hatte er es ausgesprochen begannen alle anderen laut zu lachen.

»Entschuldige, Andeo, es war nur Spaß. Natürlich bist du nicht verliebt. Setz dich wieder, es gibt noch Kuchen zum Nachtisch.« Christina stand auf und nahm die Hand Andeos.

»Und wenn, ist es keine Schande.« Sie umarmte ihren Sohn und gab ihm eine Kuss auf die Stirn.

Den Nachmittag verbrachte die Familie im schattigen Hinterhof des Hauses. Es war sehr heiß geworden. Immer wieder ging Andeo zum Brunnen, um kühles Wasser zu schöpfen. Den Krug tranken sie schnell aus, damit das Wasser nicht warm wurde. Später am Nachmittag gab es Tee und kleine Strudel, die Oma am Vortag gebacken hatte.

Schon bald würden sich die Männer der Familie für die abendliche Ausfahrt mit dem Fischerboot bereit machen. Als die Sonne nur noch einen Handbreit über dem Horizont stand, legten sie ab. Wieder begann eine Nacht auf dem Meer unter tausenden von Sternen. Wieder sangen sie die alten Fischerlieder und brachten ihre Stellnetze aus. Es war nun die kürzeste Nacht des Jahres und bereits um 4 Uhr begann es zu dämmern.

»Meinst Du, wir treffen wieder auf das Kriegsschiff? Ich bin sicher, dass sie ihren Fisch bereits aufgegessen haben.« Andeo spähte in alle Richtungen.

»Das glaube ich nicht. Ich habe Josip vorher lange nicht getroffen und es wäre schon ein komischer Zufall ihn bereits nach zwei Tagen wieder zu sehen. Andererseits konnte ich mit ihm nur wenige Worte wechseln. Er könnte Dich zur Marine bringen.«

»Vater, das will ich nicht. Ich bin kein Soldat. Ich bin Fischer!«

»Du willst Fischer werden! Noch bist Du ein Fischerjunge«, lachte Padrig, »aber gut, ich verstehe Dich. Eine Offizierslaufbahn wäre etwas Tolles und Josip könnte eine gute Beziehung dafür sein. Aber wenn Du lieber ein kleiner Fischer sein möchtest. . . Ausserdem, wenn es wirklich Krieg gibt...« Andeo horchte auf:

»Alle reden von Krieg! Wieso denn? Warum wollenalle Krieg?«

»Niemand will Krieg. Außer den Mächtigen. Und die, denen man erzählt, dass sie Krieg zu wollen haben. Die Menschen entfernen sich voneinander. Es bilden sich immer mehr Gruppen. Volksgruppen. Italiener, Serben, Kroaten, Völker, die frei sein wollen, Völker die andere beherrschen wollen, die Österreicher, die Ungarn, die Deutschen, die Italiener, die Osmanen. Untereinander schließen die Mächtigen Verträge ab, wer wen unterstützt, gegen wen, was sie dafür bekommen. Vor zwei Jahren kämpften Serben, Griechen und Bulgaren noch mit unserer Hilfe gegen die Osmanen, letztes Jahr begannen sie schon, sich gegenseitig zu bekämpfen. Wir einfachen Leute sind nur der Spielball. Macht man aus uns Soldaten, kann man uns fortschicken und irgendwo für irgendetwas oder irgendwen töten lassen. Man macht uns dann zu Mördern. Es kann schnell geschehen, dass man einem Nachbarn oder sogar Freund gegenübersteht.«

»Das kann mir nicht passieren, Vater. Ich werde ja kein Soldat. Ich werde ja Fischer«, meinte Andeo nachdenklich.

Padrig sah in an und lächelte: »Ja, das stimmt. Das kann Dir ja nicht passieren.«

Als sie am nächsten Morgen wieder im Hafen ankamen, warteten nur wenige Leute. Christina war nicht da. Padrig wunderte sich und schickte Andeo vorweg, um zu sehen, was los war. Zu Hause war nur die Großmutter, die aber auch nicht wusste, wo die Mutter und die Mädchen waren. Als Andeo an der Kirche Svetj Jurai vorbeikam, bemerkte er, dass viele Leute drinnen waren und beteten. Was war denn das? Hatte er einen Feiertag vergessen? Andeo betrat auch die Kirche und ging hinten zu den Nachbarn, die auch da waren.

»Was ist denn heute für ein Feiertag, oder ist das eine Totenmesse?«, flüsterte Andeo dem Nachbarjungen Baris ins Ohr.

»Hast Du es nicht gehört? Auf das Thronfolgerehepaar wurde in Sarajevo ein Attentat verübt. Sie sind beide tot. Es heiß, es seien Serben gewesen. Das könnte Krieg bedeuten.« Andeo schlich sich wieder leise hinaus und rannte dann so schnell er konnte zu seinem Vater zurück.

»Vater!«, rief er schon von Weitem: »Sie sind alle in der Kirche. Es hat ein Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand von Österreich und seine Frau gegeben!«

»Um Gottes Willen! Los, beeil Dich Andeo, wir müssen den Fang ausräumen.«

»Gibt es Krieg, Vater?«

»Ich hoffe nicht, Andeo, ich hoffe nicht!«

3

An den nächsten Tagen war es seltsam ruhig. Die Menschen gingen ihrer Arbeit nach, und immer, wenn sie am Rathaus vorbeikamen, schauten sie auf das Brett mit den amtlichen Bekanntmachungen. Ausführlich wurde über das Attentat berichtet, über die Reaktionen in Wien und Budapest, aber noch war nur von einer Krise die Rede. Noch gab es keine Mobilmachung oder Kriegserklärungen. Jeder hoffte, dass es ruhig bleiben würde, nur einige Hitzköpfe sprachen offen über die Schande, dass man doch Rache nehmen müsse und sich nicht feige verkriechen dürfe. Das war vor allem die Meinung der Österreicher und Deutschen in der Gemeinde. Vor den Kommandantur waren zwei Wachposten aufgezogen, sie hielten Tag und Nacht Wache.

Der Thronfolger war politisch zutiefst konservativ, militant erzkatholisch und gegen den Trialismus gewesen, einem eigenen südslawischen Staat als dritte Säule der Monarchie im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn aus Bosnien, Dalmatien und Kroatien. Die Idee eines Trialismus hätte einen Südslawischen Staat vorgesehen, was viele Nationalisten auf dem Balkan begrüßt hätten. Dagegen wehrten sich viele konservative Politiker in Österreich-Ungarn. Aber auch Serbien wollte selbst alle slawischen Brüder vereinigen und von der Knechtschaft fremder Herrscher befreien.

Ungarn dagegen wollte den gesamten Balkan »magyarisieren« und in das ungarische Königreich einverleiben. Das war aber nur ein Teil der Probleme auf dem Balkan und in Südosteuropa. Auch ein gesellschaftlicher und sozialer Umbruch hatte in den letzten Jahrzehnten begonnen. Konnte man zumindest regional früher an der Bauerntracht, an Gebräuchen und Sitten oder ganz einfach an der Kopfbedeckung, wie dem Fes erkennen, welcher Religion, welcher Volksgruppe die Menschen zugehörig waren, so löste sich dies von den Städten ausgehend langsam auf. Viele Ältere und Konservative sahen darin einen Verfall der Sitten und Werte. Dabei war dieser Umbruch eigentlich von Oben gewollt, ohne jedoch den Menschen mehr Selbstbestimmung oder soziale Gerechtigkeit zu geben. Die Moderne und der Imperialismus rieben sich in ganz Europa.

Padrig hatte zu Hause oft davon erzählt, er versuchte jede Information aufzusaugen, die er bekommen konnte. Es war für den einfachen Bürger sehr kompliziert. Alle Parteien versuchten, mit populistischen Parolen für ihre Sache zu werben. Die einfache Lösung für all diese Probleme erschien den Meisten der Krieg. Andeo besuchte oft Ante, der immer mehr von der Freiheit der Slaven erzählte, von einem eigenen Land, am besten anarchistisch verwaltet. Aber Andeo dürfe niemanden davon erzählen, das sei schließlich »Hochverrat« und man würde dafür »aufgeknüpft«. Andere wollten alle Serben wegschicken oder am Besten gleich erschießen. Wohin Andeo kam, überall begannen die Menschen unfreundlich über andere zu reden. Andeo fühlte sich plötzlich in seinem Heimatort nicht mehr wohl.

»Zu wem hält denn Dein Vater?« wurde er gefragt.

»Ist er ein Serbenfreund?«, oder: »Steht er treu zum Kaiser?« Andere fragten:

»Für wen entscheidet sich Padrig? Er ist doch so schlau. Wer wird den Krieg gewinnen?« Andeo sagte immer nur:

»Ich weiß nicht, Vater ist niemandes Feind. Er hasst niemanden!«

»Er wird sich bald entscheiden müssen«, kam dann von den Leuten.

Ein paar Tage später beim Abendessen erzählte Padrig, was die Männer vor der Kommandantur gesprochen hatten:

»Wenn es Krieg gibt, werden sie alle wehrfähigen Männer zur Kommandantur rufen. Dann werden diese Männer gemustert. Das bedeutet, sie werden untersucht und für kriegstauglich erklärt oder nicht. Zuerst werden sie alle jungen Männerab 19 Jahre holen. Über 32-jährige werden sie wahrscheinlich nicht holen. Irgendwer muss ja noch die Arbeit machen. Aber es wird bald soweit sein.«

»Musst Du auch zur Musterung, Vater?«, wollte Anesa wissen.

»Hm, ich muss mich mal erkundigen, aber wie gesagt, ältere, verheiratete Männer werden sie doch nicht holen. Bis man aus uns Soldaten macht, ist der Krieg doch längst vorbei.«

»Du bist erst 36, oder Vater?«

»Genau, und Andeo ist, Gott sei Dank, noch viel zu jung, er wird im Dezember erst 15. Ich glaube nicht, dass wir betroffen wären.«

»Warst Du beim Militär, Vater?«, fragte Anesa.

»Ja, mit 19 war ich ein Jahr bei der Marine, so wie viele der Fischer.«

»Und, war es schlimm da?«

»Man hat uns nicht schlecht behandelt. Ich war auf der »Magnet«. Ich habe viele Freunde gefunden. Josip zum Beispiel. Der stammt aus einer angesehenen Familie mit sehr guten Beziehungen. Die Magnet war damals nagelneu und ich war beim ersten Einsatz vor Kreta dabei. Allerdings haben wir damals, ausser zur Übung, keinen einzigen Schuss abgefeuert.«

»Aber, wenn sie jetzt jeden holen wollen, dann haben sie doch auch nicht für alle Uniformen und Gewehre, oder?«, fragte Andeo, der wie immer sehr rational dachte.

»Woran Du alles denkst! Das weiß ich nicht. Das ist eine gute Frage. Wir Landsturmpflichtigen mussten damals unsere Ausrüstung selbst bezahlen und hatten deswegen alle abgetragene, gebrauchte Uniformen und Monturen. Und wir bekamen kein Geld. Wir mussten alles selbst stellen. Jetzt hätte ich gar keine Uniform mehr. Ich hab meine nach meiner Dienstzeit weitergegeben. Wenn sie einen Krieg beginnen, werden sie schon Ausrüstung für alle haben.«

»Dann musst Du eben in Deinem Sonntagsanzug in den Krieg, Papa!«, rief die Jüngste. »Schließlich kann man nicht in alten Lumpen in die Schlacht ziehen!« Trotz allen Ernstes des Themas mussten alle herzlich lachen.

»Ja, meine Kleine, in Lumpen kann man nicht in die Schlacht ziehen!«, antwortete Padrig.

Nur wenige Tage später hing eine große Bekanntmachung in deutsch, ungarisch, kroatisch und italienisch an der Tafel der Kommandantur:

»An Meine Völker!«

stand darüber. Es war die Kriegserklärung an das Königreich Serbien. Dadurch, dass Serbien mit Russland verbündet war und Russland wiederum mit England und Frankreich, Österreich-Ungarn aber mit dem Deutschen Reich, bedeutete das eine Kettenreaktion, die in einen internationalen Krieg mündete. Kurz darauf hatten sich alle landsturmpflichtigen Männer der Jahrgänge 1878 bis 1895 zur Musterung zu melden. Versäumnisse wurden als Landesverrat betrachtet.

Auch Padrig musste somit hingehen. Da er bei der Marine gewesen war, hoffte er ebenfalls, dorthin zu kommen. Er schrieb einen Brief an Josip, in der Hoffnung, dass dieser sich für ihn verwenden könnte. Aber gleich bei der Musterung erfuhr er, dass es für die Marine nur wenig Bedarf gab, und alle zunächst zu den Infanterieeinheiten in Zara geschickt werden würden. Eilig wurden überall diese Landwehrdistrikte errichtet, denn eigentlich war das österreichisch-ungarische Militär gar nicht auf einen Krieg vorbereitet. Auf dem Musterungsbefehl stand, dass sich alle Landsturmpflichtigen umgehend bei ihren Meldestellen einzufinden hätten.

Für die Männer aus Primošten was das das K.K. Landwehr Infanterie Regiment »Zara« Nr. 23, 5. Gebirgs-Infanteriebrigade – 47 Infanteriedivision – XVI. Armeekorps. Zunächst sollten die Männer also nach Zara zur Grundausbildung. Es wurde bekannt gegeben, dass man sich dort binnen einer Woche einzufinden hatte.

Padrig war in diesen Tagen sehr schweigsam. Er hatte Angst, wollte aber für seine Familie stark sein, damit sie mit Zuversicht auf ihn warten konnten. Am Tag seiner Abreise saßen sie am Morgen alle zusammen.

»Ich bin mir sicher, dass die Sache in wenigen Wochen vorbei sein wird. Bis wir ausgerüstet und gedrillt sind, wird die ganze Sache erledigt sein. Serbien kann niemals gegen Österreich-Ungarn bestehen.« Christina drückte seine Hand:

»Hoffen wir das Beste. Gott wird Dich beschützen.«

»Ich werde nun alleine zum Fischen raus fahren«, sagte Andeo, »aber ich werde immer unsere Lieder dabei singen.«

Padrig lächelte:

»Das ist gut, auch ich werde sie singen und in Gedanken immer bei Euch bleiben, egal was passiert.«

»Wir werden Dir jeden Tag schreiben, Vater«, sagte Anesa.

»Na, da werdet ihr viel Papier brauchen, es genügt auch einmal in der Woche.«

„Dann schreibe ich für Dich ein Tagebuch, in das ich alles schreibe, was in Primošten passiert, das schicke ich Dir dann. Dann weißt Du immer Bescheid.«

»Das wäre toll. Aber vergesst nicht Eure Aufgaben für die Schule und dass Ihr Eurer Mutter jetzt mehr helfen müsst als bisher.«

»Ich werde mit Andeo hinausfahren, bis wir einen Helfer gefunden haben, Padrig. Ich lasse nicht zu, dass Andeo alleine hinausfährt, so wie Tomić damals.«

»Ich verstehe. Aber riskiert nichts. Nichts ist es wert, Euch zu gefährden. Und wie gesagt, ich komme bald wieder!«

Als das Postschiff später den Anker lichtete, standen alle am Kai und winkten. Anders als in den großen Städten jubelte niemand den scheidenden Soldaten zu. Aus jeder Familie war mindestens ein Vater oder ein Sohn gemustert worden. Insgesamt gingen an die 40 Männer an Bord, um damit nach Zara zu fahren. Aus Antes Familie musste sein 4 Jahre älterer Bruder Nico gehen, der klein und schmächtig war. Ante, der Riese und Nico, der Hänfling, hatten sie immer gespottet.

Nur wenige Tage später kam bereits ein Brief an, in dem Padrig schrieb, dass er gut angekommen sei. Es gab noch keine Uniformen und Stiefel für die Männer, und so mussten sie tatsächlich in Zivilkleidung marschieren und exerzieren. Sie mussten 100 Befehle auf deutsch lernen, die jeder Soldat im Vielvölkerstaat beherrschen musste. Alle Offiziere waren sehr streng, Fehler wurden hart bestraft. Allerdings hatte Padrig das Gefühl, dass man mit den Älteren etwas nachsichtiger war, da niemand glaubte, »alte Männer« an der Front zu brauchen. Das 2. Battalion war kurz nach Kriegsbeginn als Garnison nach Šibenik verlegt worden. Nun bestand sogar die Hoffnung, dass auch Padrig ganz nahe der Heimat stationiert werden könnte. Diese Nachrichten stimmten die Familie wieder etwas zuversichtlicher. Christina und Andeo waren mittlerweile schon mehrmals zum Fischen hinausgefahren und hatten viel gearbeitet. Christina war sehr müde, da sich auch noch um den Haushalt kümmerte. Oft schlief sie mittags in der Hitzepause ein bis zwei Stunden. Es fehlte einfach eine volle Arbeitskraft. Im Garten war außer Gießen im Sommer wenig zu tun, das versahen am frühen Morgen die Mädchen. Abends zum Essen waren alle zusammen, bevor die Fischerboote am späten Abend wieder hinausfuhren. Dann kam der August und Russland trat an der Seite von Serbien in den Krieg ein. Als der August zur Hälfte vorüber war, begannen die Nachrichten über Kämpfe und Kriegshandlungen zuzunehmen. Auch Gefallenenlisten wurden ausgehängt. Noch standen keine bekannten Namen darauf.

Christina hatte mittlerweile nochmals an Josip geschrieben, der auch geantwortet hatte. Josip hatte geschrieben, dass er hoffte, auf die »Magnet« versetzt zu werden, die nun überholt und bald wieder mit neuer Mannschaft in Dienst gestellt werden sollte. Dann könnte er sich für eine Versetzung von Padrig zur Marine einsetzen. Ausserdem hatte er geheiratet, in der allgemeinen Aufregung war die Nachricht und eine Einladung nicht nach Primošten gelangt. Josip war sehr glücklich, er wollte in den nächsten Wochen mit seiner jungen Frau nach Primošten reisen um alle Verwandten und Freunde zu besuchen. Allerdings waren einige der alten Freunde jetzt eingezogen worden und würden wohl auch bald an die Front müssen.

Als dann endlich wieder Post von Padrig kam, war die Familie sichtlich erleichtert. Er war zum Nachschub eingeteilt worden, hatte mittlerweile seine Uniform und Stiefel erhalten. Padrig hoffte immer noch auf die Versetzung zur Marine, da sein Regiment jeden Tag den Marschbefehl erwartete. Trotzdem war er zuversichtlich, dass er als Nachschubsoldat kaum an Kampfhandlungen beteiligt werden würde. Die österreichisch-ungarische Armee hatte ihren Feldzug nach Serbien begonnen und alle Offiziere waren überzeugt, dass man die zahlenmäßig unterlegenen Serben schnell schlagen würde. Padrig aber hatte Bedenken, dass man angesichts der Armeegrößen auf jeden Fall mit einem blutigen und langem Krieg rechnen musste. Es standen sich insgesamt über eine halbe Million Soldaten gegenüber und die Serben würden ihre Heimat erbittert verteidigen. Bereits bei den ersten Kämpfen hatte sich gezeigt, dass es ein schweres Ringen gegen die kampferprobten Serben werden würde.

In Primošten nutzte Andeo die Sommerabende, an denen er nicht zum Fischen hinausfuhr, um das Haus am Meer aufzuräumen. Er hatte es entrümpelt und den Boden im ehemaligen Bootshaus gereinigt. Es war ein schöner Steinboden zum Vorschein gekommen, der unter Schutt und Müll nicht zu erwarten gewesen war. Andeo hatte auch eine Schaukel aus Tauen und Schiffsplanken gebaut. Es war angenehm kühl in dem Haus,auch in der größten Mittagshitze konnte man es gut darin aushalten. Es hatten sich bereits einige Katzen eingefunden, und scheinbar ging sein Plan auf, dass diese die Schlangen vertrieben. Andeo hatte allerdings tagsüber kaum Zeit, die Arbeit war seit Padrigs Weggang viel mehr geworden. Seine Mutter hatte in diesem ersten Monat bereits einige Kilo abgenommen und tiefe Augenringe zeugten von kurzen Nächten und viel zu viel Arbeit.

»Wenn erstmal der Wein geerntet ist, wird es leichter.« sagte sie immer, oder: »Wenn die Oliven gepresst sind, können wir uns mehr ausruhen.« Die Arbeit wurde nicht weniger. Christinas Mutter wurde krank und musste im Bett versorgt werden. Wochenlang gab es keine Nachricht von Padrig. Jeden Tag sahen sie am Brett des Rathauses nach, ob Bekannte unter den Gefallenen waren, was leider immer öfter der Fall war. Jeder wurde am Sonntag in der Messe bedacht und die Familien ließen auch unter der Woche Sterbemessen halten. Christina rechnete mit dem Schlimmsten. Andeo schämte sich etwas, dass er dauernd an Maria dachte. Er hätte noch viel mehr arbeiten sollen und seine Mutter noch besser unterstützen müssen. Aber Christina schickte ihn abends oft weg, meinte, er soll sich um seinen Traum kümmern. Er sei nur jetzt jung und müsse sich noch nicht die Sorgen der Erwachsenen machen. Andeo sagte dann immer, dass er erwachsen sei. Christina lächelte aber nur und sagte:

„Geh’ jetzt. Und später fahren wir wieder hinaus, Fischerjunge.“ Eine Abends Ende August kam dann auch Maria in das alte Haus. Sie war begeistert von den Katzen und der Schaukel und dem Blick auf das Meer. Es leuchtete rot im Sonnenuntergang und die Wellen rauschten leicht. Sie unterhielten sich lange und Maria streichelte jedes der Kätzchen.

»Ist das schön hier, Andeo. Das ist der Ort, von dem ich in Zara träumen werde.«

»Wann fährst Du hin?«

»Bereits in zwei Tagen, ich soll meine Stellung als Dienstmädchen am 1. September antreten.« Andeo war erschrocken:

»Was? Schon so bald? Wirst Du mir schreiben?«

»Ja, Andeo. Und Du?«

»So oft ich kann. Und eines Tages werde ich Dich besuchen, Maria. Das schwöre ich.«

»Wenn ich Urlaub habe, komme ich nach Primošten. Vielleicht an Weihnachten.«

»Das ist aber lange. Aber ich werde auf Dich warten. Selbst wenn es ewig dauern sollte!« Maria gab Andeo einen Kuss auf die Wange.

»Ich werde nie vergessen, was Du hier für mich gemacht hast, Andeo. Du bist der netteste Junge, den ich kenne.«

Plötzlich hörten sie Mario rufen:

»Maria! Wo bist Du? Maria!«

Andeo legte Maria den Zeigefinger auf die Lippen.

»Psst. Sag nichts. Mario traut sich hier nicht herein, ich hab‘ ihm gesagt, das es hier vor Schlangen wimmelt.«

»Mariiiia!« Die Stimme wurde leiser.

Andeo umarmte Maria und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, so wie es seine Mutter immer tat.

»Was auch passiert. Ich werde Dich immer lieben.«

»Ich Dich auch Andeo, ich Dich auch.« Minutenlang standen sie so da und Andeo dachte, er sei im Himmel. Dann löste Maria die Umarmung langsam und sah Andeo noch einmal in die Augen:

»Auf Wiedersehen, Andeo. Ich muss jetzt los. Ich kann morgen nicht kommen, meine Familie gibt zum Abschied ein Fest.«

»Schade. Und ich bin dann auf dem Fischerboot.«

Noch einmal umarmten sie sich und küssten sich auf den Mund. Dann riss Maria sich los und lief nach Hause. Mit hochrotem Kopf und pochendem Herzen blieb Andeo wie angewurzelt stehen.

Am übernächsten Tag fuhr das Postschiff nach Biograd und Zara pünktlich ab. Da es wegen seiner Größe nicht am Kai von Primošten anlegen konnte, wurden Pakete, Post und Mitreisende mit Booten zu dem auf Reede liegenden Dampfer, der zum ÖL, dem Österreichischen Lloyd gehörte, gebracht. Auch Maria war dabei.

Der September verging und das Wetter wurde weniger heiß und erträglicher. Doch die Bora bließ nun immer öfter und die Fischer mussten an manchen Tagen ganz zu Hause bleiben. An der Front kam die österreichisch-ungarische Armee nur schleppend vorwärts und musste große Verluste hinnehmen. Die Berichte waren zwar immer mit großen vaterländischen Parolen geschmückt, aber daran, an welchen Orten gekämpft wurde, sah man, dass es nicht so recht voranging mit den Bemühungen der Generalität. Im Oktober kam dann ein Brief von Padrig, in dem er Urlaub und eine Versetzung zur Marine ankündigte. Aus irgendeinem Grund wollte man unbedingt erfahrene Seemänner und ehemalige Besatzungsmitglieder der »Magnet« haben, um sie so schnell wie möglich wieder in Dienst zu stellen. Christina war sehr froh, sie war sich sicher, dass Padrig auf dem Schiff nichts passieren würde, denn die K u. K Marine war in der Adria nicht gefährdet. Jeder sagte, man könne nur die Küste und die Häfen schützen, für einen Angriff auf die Alliierten Briten und Franzosen war sie zu schwach und unbedeutend. Und Italien als möglicher direkter Gegner war nicht in den Krieg eingetreten, vielmehr lieferte Italien kriegswichtige Güter an das Kaiserreich. Der Kampf auf dem Balkan war viel näher und bedrohlicher. Immer höher wurden bereits in den ersten Monaten die Verluste und es war kein Ende abzusehen. Die serbische Armee war in den letzten Jahren durch zwei Kriege kampferprobt und die Vielvölkerarmee Österreich-Ungarns war nur schlecht in Gang gekommen. Zusätzlich gab es die zweite Front in Galizien gegen das Russische Zarenreich.

Die Familie fieberte förmlich auf den Urlaub Padrigs hin, der Ende Oktober sein würde. Im wenige Kilometer entfernten Weinberg von Bucavac Veliki war die Ernte eingebracht und die Reben waren gekeltert worden. Es versprach ein guter Jahrgang zu werden. Die Rebsorte Babic war weit und breit bekannt und das Anbaugebiet von Primošten galt als einzigartig wegen seiner Insellage und seiner roten Erde, die, obwohl sehr steinig, einen besonderen Wein hervorbrachte. Christina plante ein kleines Willkommensfest und hatte alle Freunde und Verwandten eingeladen. Padrig sollte mit dem Postschiff am Freitag ankommen und würde bis Montag bleiben dürfen. Dann musste er sich auf den Weg zu seinem Schiff begeben, denn er musste bis Mittwoch in Spalato sein. Seit September war die »SMS Magnet« an der dalmatinischen Küste unterwegs, um diese zu sichern. Von Spalato aus würde die Magnet dann entlang der Küste nach Pola gehen. Das wiederum bedeutete, dass sie das Seegebiet vor Primošten möglicherweise durchfahren würde. Andeo hoffte darauf, das Schiff, auf dem sein Vater Dienst tun würde, wenigstens von Ferne sehen zu können. Ansonsten würde das Schiff in Lussin stationiert sein. Welchen Einsatzbefehl sie dann erhalten sollte, war geheim.

Christina hatte viel zu Essen vorbereitet, es sollte Musik gespielt werden und vielleicht sogar getanzt. Sie hatten seit dem Kriegsausbruch keine Freude mehr empfunden, alles normale Leben war wie gelähmt. Ständig sprachen die Menschen über den Krieg, Verluste und Gefallene. Auch die ersten Verwundeten waren nach Hause gekommen, und immer mehr Männer mussten an die Front. Auch ein Teil der Ernte war bereits vom Militär aufgekauft worden und der zu erwartende Ertrag an Olivenöl war bereits von der Verwaltung geschätzt worden. So konnte niemand Vorräte horten, denn die Kontrollen waren scharf. Jeder, der nicht der »vaterländischen Pflicht« nachkam, wurde bestraft. Das konnte eine Geldstrafe oder sogar Gefängnis bedeuten. Wenn herauskam, dass serbisch-stämmige Familien einen Verwandten bei der feindlichen Armee hatten, wurden sie als mögliche Verräter, Spione oder Kollaborateure verhört. Der Denunziation war Tür und Tor geöffnet. Manch einer tat sich als besonders kaisertreu hervor und versuchte, jeden möglichen »inneren Feind« ausfindig zu machen und anzuzeigen. Aber an diesem einen Wochenende wollte Christina einfach nur für ein paar Stunden den Alltag vergessen und so tun, als wäre alles wie früher. Auch die Familie Kovačić war eingeladen, genauso wie die Familie von Mario und Maria, die Andeo schon mehrmals geschrieben hatte, wie schön Zara sei und wie italienisch. Ante war nicht begeistert, dass die Italiener eingeladen waren, Italien