Grab im Meer - Thomas Ebeling - E-Book

Grab im Meer E-Book

Thomas Ebeling

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Beschreibung

Ein mysteriöser Leichenfund im Markermeer ruft Kies van Beek und seine Kolleginnen und Kollegen von der Amsterdamer Polizei auf den Plan. Während der Ermittlungen, die Kies wie gewohnt auf seine Weise durchführt, geschehen unvorhergesehene Dinge und unangenehme Geheimnisse tauchen auf. Kies kann aber auf die Hilfe seiner Freunde bauen...

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ZU DIESEM BUCH:

Die Kriminalpolizei Amsterdam steht vor einem Rätsel. Vier Leichen wurden auf dem Meeresgrund bestattet. Kies van Beek und seine Mitarbeiter nehmen die Ermittlungen auf. Wie immer geht Van Beek eigene Wege. Aber auch sein Umfeld wird von Geheimnissen überschattet...

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Epilog

Glossar

1

Das Wasser war trotz der sommerlichen Lufttemperaturen kalt. Er trug seinen dicken Neoprenanzug und Handschuhe. Die Taucherausrüstung lag neben ihm im Boot. Vorne im Bug des Schlauchbootes lag das schwere Paket, das er in der Garage zwischengelagert hatte. Heute Nacht musste es sein. Neumond. Die Gezeiten standen im Moment still, ein kurzer Moment zwischen Ebbe und Flut. Als er die Stelle erreicht hatte, stoppte er den Außenborder und ließ den Anker fallen. Die Bordlichter wiesen das Boot als Fischereifahrzeug aus. Nun musste er sich beeilen, die Flut würde bald einsetzen. Der GPS-Tracker hatte ihn wieder auf wenige Meter genau an die Stelle geführt. 10 Meter Wassertiefe. Er legte schnell die Ausrüstung an und warf einen schweren Sack an einer Leine mit Boje über Bord. Dann ließ er sich ebenfalls ins Wasser gleiten. Seine Taucherlampe erhellte das trübe Wasser nur sehr wenig. Nur wenige Minuten später kam er wieder hoch, stieg an Bord und wuchtete das große Paket über die Steuerbordseite. Er schwang sich hinterher und verschwand in den schwarzen Fluten.

2

Drei Monate waren seit dem Abschluss des letzten Falles vergangen. Die Leiter der Amsterdamer Polizei hatten die erfolgreichen Abteilungen von Kies van Beek und Matthijs Breuer zusammengelegt, denn die Sonderkommissionen hatten ihren Zweck erfüllt. Noch über lange Zeit mussten die Computerspezialisten der Nationale Politi Beweise sichern und Viren und Bots aus dem System der Polizei filtern.

Der Täter, der die Morde und Straftaten wie in einem Virtual-Reality-Spiel begangen hatte, saß in U-Haft und wurde dort von jeglichen Medien ferngehalten. Sein Name war Davy Kuipers. Auf sein Konto gingen nun acht Morde, zwei versuchte Morde, sowie viele andere Straftaten und noch nicht absehbar viele Betrugsdelikte. Bei der Vorführung vor den Haftrichter hatte er wie ein kleiner Junge geweint.

Kies nahm sich nun öfter frei, hatte sein Boot wieder in Schuss gebracht und hatte sich bei ein paar Leuten erst mal entschuldigt, wie zum Beispiel bei dem Küstersehepaar aus Naarden, die er belogen hatte, um an den Kirchenschlüssel zu kommen. Zunächst war vor allem die Frau des Küsters sehr negativ ihm gegenüber, aber als er seine Geschichte über den Verlust seiner Familie, die bereits vor Jahren verunglückt war erzählte, ging ihr doch das Herz auf und sie konnte ihm verzeihen. Er lud sie zu einer kleinen Ausfahrt mit seinem Boot ein, bei der er sie auch bekochte, was beiden sehr gut gefiel. Für ihn selbst war es auch wie eine Art Traumatherapie, die ihm half, besser mit seiner Vergangenheit zurecht zu kommen.

Dazu kam natürlich die Beziehung zu Hannah, die sein Leben komplett auf den Kopf gestellt hatte. Sie war es, die ihn wieder leben ließ. Sie war das Gegenüber, dass er seit Jahren vermisst hatte.

Überhaupt verbrachte Kies nun viel Zeit in Naarden, der kleinen Gemeinde mit dem barocken Festungskern. Aus der Luft oder auch auf der Landkarte sah das Städtchen aus wie ein Stern. Es war auch für Kies wie ein Zufluchtsort, ein anderer Stern, geworden. Fast an jedem freien Tag war er in Naarden oder im kleinen Hafen auf seinem Boot, um dort mit Hannah oder mit Freunden Zeit zu verbringen. Überstunden hatte er ja in den letzten Jahren ohne Ende geschoben. Zunächst begrüßten seine Vorgesetzten seine Wandlung, es dauerte aber naturgemäß nicht lange, bis ihn Jan Perkis, sein direkter Vorgesetzter immer häufiger vermisste, obwohl die kleinen Auszeiten von höchster Stelle abgesegnet waren.

»Wo steckt Van Beek?«, mussten die Kollegen immer häufiger von ihm hören und: »Kommt der auch nochmal?«

Jedes Mal musste Ten Kammerbrink, Kies‘ junger Kollege, bei ihm anrufen und ihm melden, dass Perkis schon wieder auf 180 war. Kies merkte, dass er bald wieder mehr im Büro sein musste, damit die Kollegen nicht ständig den Ärger von Perkis abbekamen. Aber es stand auch noch der Jahresurlaub an und Kies hatte da schon eine Idee, wie er Perkis milde stimmen könnte. Er würde seinen Urlaub nicht am Stück nehmen, sondern sich ganz nach den Kollegen richten. So etwas liebte Perkis. Er war einfach ein Narzisst. Wenn er das Gefühl hatte, die Leute machten, was sie wollten, dann war es für ihn unerträglich. Wenn jemand aber sich nach den Wünschen der Anderen und vor allem nach den seinen richtete, war er voll und ganz zufrieden.

Perkis selbst wollte ja diesen Sommer noch für drei Wochen nach Afrika.

3

Kies fuhr an diesem schönen Montag Nachmittag gerade in den Yachthafen ein, als sein Mobiltelefon klingelte. Er warf nicht einmal einen Blick darauf und drückte das Gespräch einfach weg, denn das Manöver konnte er nicht abbrechen und er brauchte seine ganze Aufmerksamkeit für das Plattbodenboot. Wieder klingelte es, wieder drückte Kies den Anruf weg. Als er angelegt hatte und das Boot vertäut war, kam sein alter Freund und Hafenmeister Knut Harms angelaufen.

»Hey Kies, wie war die Plesierfahrt?«

»Schön war’s! Jedenfalls solange, bis mein Telefon auf Dauerklingeln ging. Ich hab’s ausgeschaltet.«

»Und darum rufen die Leute jetzt bei mir an. Du hast Hannah versetzt!«

»Was? Quatsch! Wir wollten uns doch erst heute Abend treffen! Was hat sie gesagt?«

Knut grinste:

»Dass ich Dir einen Kuss von ihr geben soll. Komm her, Du alter Weiberheld!«

Knut hatte seine Arme ausgebreitet, die Augen geschlossen und die Lippen zum Kussmund gespitzt.

»Mmh. Komm, Kies, Küsschen!« Knut lachte donnernd.

Kies verzog das Gesicht.

»Eher küss’ ich einen toten Hering, Knut. Wird aber ähnlich schmecken«, alberte Kies.

»Jedenfalls muss ich Dir einen neuen Liegeplatz zuweisen!«, rief Knut herüber.

»Aha, daher weht der Wind. Hat einer von den Yachties einen Bonus ausgeschüttet?«

»Was? Spinnst Du?« Knut schaute beleidigt.

»Komm schon, Knut! Warum soll ich jetzt wo anders hin? Da hat doch einer nachgeholfen!«

»Blödsinn! Am Steg müssen Reparaturarbeiten durchgeführt werden. Da kommt eine Spezialfirma mit Tauchern, die wollen da irgendwas machen. Wurde im Winter übersehen und jetzt ist ja alles ausgebucht. Genau an Deinem Platz müssen sie ihre Baggerschute festmachen. Aber ich hab einen 1A Platz für Dich, obwohl eigentlich alles voll ist!«

»Na gut, Knut. Dann zeig mir mal, wo.«

Knut sprang an Bord.

»Darf ich?« fragte er und ging an die Pinne.

»Nur zu, Du alter Salzbuckel! Ich mach die Leinen los.«

Dann sah er nach, wer da schon wieder gestört hatte. Es war Ten Kammerbrink, sein junger Kollege bei der Polizei. Kies rief ihn zurück.

»Sorry, Ten. Ich war gerade beim Manöver, konnte nicht ran. Macht Perkis wieder Stress?«

»Nee«, kam es aus dem Telefon, »mein Vater ist gestorben. Ich muss nach Hause.«

Kies schluckte.

»Tut mir leid, Ten. Natürlich, lass alles stehen und liegen. Ich komm‘ dann ins Büro. Kann ich was für Euch tun?«

»Ja, nee, danke Dir. Ich melde mich. Tot ziens!«

Kies legte auf. Er hatte Tens Vater nur einmal gesehen. Da war dieser schon lange aufgrund eines Schlaganfalles ans Bett gefesselt. Er hatte sich seit dem nicht mehr bewegen, nicht selbstständig essen und nur schwer sprechen können. Aber er war bei vollem Bewusstsein, zeitlich und räumlich orientiert. Ein grausames Schicksal. Dennoch schien die Familie immer Hoffnung auf Besserung gehabt zu haben. Auch sprach Ten von Lebensqualität, die immer noch vorhanden gewesen sei. Adalbert Kammerbrink hing an seinem Leben, dass doch für Außenstehende nicht mehr lebenswert erscheinen musste. Kies konnte das zunächst nicht nachvollziehen, doch hätte er damals auch alles getan, wenn seine Frau und sein Sohn den Unfall überlebt hätten. Und selbst wenn sie schwerst behindert zum Pflegefall geworden wären...

»So, da wären wir!«, rief Knut und riss damit Kies aus seinen Gedanken.

»Was? Hier? Direkt neben Scheißhaus und Treibstoffbunker? Hör auf! Hier ist Tag und Nacht die Hölle los. Da hab‘ ich echt keinen Bock drauf!« Kies war sauer.

»Ja, was denkst denn Du, Alter? Sei froh, dass ich noch Platz habe. Du kannst ja auch an die Boje. Dann musst Du eben tendern. Ich hab auch einen Monat Rabatt auf die Liegeplatzgebühr rausgeschlagen. Also mecker nich‘ rum, Skipper!«

4

Kies saß am Kaffeetisch und nestelte an seinem Hemdkragen. Er hasste es, Hemden mit Schlips zu tragen. Aber heute war er es dem Kollegen schuldig gewesen, bei der Beerdigung seines Vaters angemessen gekleidet zu erscheinen. Adalbert Kammerbrink war heute Mittag beigesetzt worden. Vera Kammerbrink, Tens Mutter, hatte darauf bestanden, Kies und die junge Kollegin Antje Vollenhoven, die ebenfalls mit zur Beerdigung gekommen war, danach zum Kaffee in das kleine Reihenhäuschen der Familie einzuladen. Es waren nur wenige Verwandte da, die Familie Kammerbrink war nicht sonderlich groß. Ausser Ten war nur der jüngere Bruder seines Vaters, Meert Kammerbrink und seine Söhne, Tens Cousins, nebst Ehefrauen gekommen. Darum hatte Vera alle zu sich nach Hause zu Kaffee und Gebäck geladen, denn sie hatte nicht in ein öffentliches Lokal gewollt. Kies wäre sich ohne Antje sehr deplatziert vorgekommen. Die beiden Beamten der Amsterdamer Polizei hatten aber schon vorher abgesprochen, nicht länger als aus Höflichkeitsgründen nötig zu bleiben.

»Ja, Vera. Nun hat das lange Leiden von Adalbert ein Ende gefunden, Gott hab ihn selig«, sagte Meert Kammerbrink, »Wenn ich irgendetwas für Dich tun kann, sag Bescheid. Nun, da wir beide alleine sind...«

Ten zog die Brauen hoch. Ausgerechnet Onkel Meert! Der war schon lange scharf auf seine Mutter. Selbst als sein Vater im Krankenbett lag, hatte er nicht aufgehört, ihr Avancen zu machen. Der alte Sack! Ten war kurz davor, es Meert mal vor Allen zu sagen. Aber noch hielt er sich zurück. Kies blickte kurz zu Antje, diese nickte ihm zu: Zeit zum Aufbruch!

»Ja, Frau Kammerbrink, äh, vielen herzlichen Dank für die Einladung. Wir müssten dann wieder, Sie wissen schon. . . die Pflicht ruft«, sagte Kies und ärgerte sich gleich über seine unbeholfenen Worte.

»Ach, Sie müssen schon weg? Aber natürlich. Ich danke Ihnen für Ihren Besuch und ihr schönes Gesteck, dass Sie mit ihrer Kollegin gebracht haben. Es bedeutet mir viel, dass unser, ich meine, mein Ten so gute und aufmerksame Kollegen hat«, sagte Frau Kammerbrink gefasst. Beide bedankten sich und verabschiedeten sich von der Gastgeberin. Ten bot sich an, die beiden Kollegen zur Türe zu begleiten.

»Ich muss hier raus!«, sagte Ten im Gang des Reihenhauses. »Könnt Ihr nicht sagen, dass wir alarmiert wurden und sofort zum Einsatz müssen?«

»Bleib locker, Ten. Deine Maam braucht Dich jetzt hier. Sie muss ja diese Meute auch wieder los werden.«

»Und mein Single-Onkel soll auch zusehen, dass er Land gewinnt! Seine Frau ist ihm ja schon vor Jahren davon gelaufen, kein Wunder. Wenn der sich jetzt an Mama ran macht, mach‘ ich ihn platt!« Aus dem Wohnzimmer drang Gelächter. Der Onkel war eben auch ein Entertainer.

»Oh, Mann! Jetzt kommen wieder seine blöden Witze. Das ist eine Trauerfeier! Ich dreh‘ durch!«

Ten sprach trotz seiner Erregung leise, er flüsterte fast. Er wollte seiner Mutter eine Eskalation ersparen. Antje und Kies sahen sich betroffen an. So hatten sie Ten noch nie erlebt. Er wirkte wütend, verzweifelt und gleichzeitig hilflos.

»Äh, na gut, wir müssen dann...«

Kies schaltete noch in der Tür sein Mobiltelefon an. Es klingelte sofort.

»Hallo, Ans. Was gibt’s?«

Kies blieb stehen und hörte minutenlang dem Anrufer zu. Dann legte er mit einem: »Okay, bis dann!«,auf.

»Antje, wir müssen gleich los. Leichenfund im Markermeer. Und es ist nicht nur eine!«

»Nehmt mich mit, bitte!«, flehte Ten Kies an.

»Ten, Du bist heute freigestellt, Du bleibst hier. Ich halte Dich auf dem Laufenden. Versprochen!«

5

Ans hatte Kies und Antje zum Westerdok beordert, dort wartete ein Polizeiboot auf sie und fuhr mit ihnen zum Fundort. Dieser lag im Markermeer, einem abgetrennten Teil des Ijsselmeeres, eine knappe Seemeile östlich der Insel Marken in einer Tiefe von etwa dreieinhalb Metern. An der Stelle lagen bereits mehrere größere und kleinere Boote und ein Bergeschiff vor Anker. Taucher suchten das Gebiet weiträumig ab, Bojen warnten ankommende Boote und Schiffe. Es gab einen Sperrbereich in dem nur das Bergeschiff und ein Polizeiboot lagen. Direkt unter dem Bergeschiff, einer großen Schute mit Kran, lag der Fundort von mindestens vier Leichen.

Mit einer automatischen Kamera versuchte man, im trüben Wasser Bilder vom Meeresgrund zu machen, um die Stelle genauer zu sichten.

Ein Hobbyangler hatte hier einen skelettierten Schädel zu Tage befördert. Er hatte sofort die Polizei verständigt, die mit Tauchern die Stelle abgesucht hatten. Dabei waren die Überreste von mehreren Leichen gefunden worden, die mithilfe von u-förmig gebogenen Eisenstangen auf dem weichen Grund fixiert gewesen waren. Zudem waren die Körper anscheinend in starke Eisenketten gewickelt gewesen.

Nachdem die Fische und andere Wasserbewohner alle weichen Bestandteile der Körper beseitigt hatten, waren die Knochen und Eisenteile nach und nach mit Sediment bedeckt worden.

Mithilfe des Bergeschiffes und eines Saugrohres wurde nun versucht, den maritimen Friedhof freizulegen.

Auf Monitoren verfolgten Beamte der Mordkommission auf der Brücke des Bergungsschiffes den Fortgang der Arbeiten. Es war aber nur sehr wenig zu erkennen. Zu viel Sediment wurde aufgewirbelt und machte die Sicht im ohnehin trüben Wasser noch schlechter.

»So geht das nicht, Toni!«, rief Inspector Matthijs Breuer dem Wasserbauingenieur zu.

»Wir zerstören alle Spuren! Stoppt die Saugaktion. Es muss anders gehen!«

Der leitende Ingenieur Toni Braanstempel sah Breuer an. Sein Schnauzbart wackelte bedenklich, wenn er hochkonzentriert mit dem Unterkiefer mahlte. Doch dann nickte er kurz und gab das Kommando abzubrechen.

»Hallo Kies, hallo Antje!«, begrüßte Breuer die beiden Neuankömmlinge.

»Holla, Kies. In Uniform? Ein seltener Anblick. Ach, stimmt ja, Ihr kommt von der Beerdigung. Wie geht es Ten und seiner Mutter?«

Da persönliche Freundschaften zwischen Ten und Ans sowie zwischen Matthijs und Kies bestanden, war das Team schnell eine gut funktionierende Truppe geworden. Auch die junge Aspirantin hatte man gut in dieses Team integrieren können.

»Soweit, den Umständen...«, Kies brach ab und räusperte sich:

»Ähem. Also, was habt Ihr, Matthijs?«, fragte er.

»Wir haben die Überreste von mindestens 4 Leichen. Das Gebiet wird noch weiter abgesucht, bevor wir mit Spundwänden das Gebiet um den Fundort trockenlegen. So können wir es besser untersuchen. Das wird zwar sehr teuer werden, aber wir haben grünes Licht von De Groot und dem Ersten Hooftcommissaris. Das hier ist sehr außergewöhnlich!«

Staatsanwalt De Groot war ein Mann der schnellen Entscheidungen. Er hatte stets zu den Ermittlern gestanden, auch wenn die Luft schon mehrmals dadurch für ihn dünn geworden war. Heute morgen war nach dem Auffinden des Schädels alles sehr schnell gegangen. Da Kies, Ten und Antje auf der Beerdigung und bis 15 Uhr von allen Aufgaben entbunden waren, hatte Matthijs in Absprache mit De Groot alles in die Wege geleitet.

»Sehr gute Arbeit, Matthijs! Vielen Dank. Habt Ihr sonst schon was?«, fragte Kies.

»Der Schädel ist schon auf dem Weg in die Pathologie. Ich hoffe wir finden die Identität der Personen schnellstens heraus. Ansonsten haben wir nur die Ketten und die Eisenstangen. Ziemlich verrostet. Wir tippen auf Baustahl. Beziehungsweise Armierungseisen, die normalerweise für Betonierarbeiten eingesetzt werden. Rundmaterial, ursprünglich 8 mm dick. Wurden anscheinend händisch in der Mitte zu Klammern gebogen, so, dass ein U von fast einem Meter Länge und etwa 15cm Breite entstand. Die Enden sind angespitzt. Eine Herkunft ist nur sehr schwer zu klären, die Dinger gibt’s in jedem Baumarkt, aber auch auf jeder Baustelle. Die Ketten sind ebenfalls Massenware, 8mm, Stahl, verzinkt. Deswegen besser erhalten als der Baustahl. Sonst nichts, keine Kleidungsreste. Die Opfer wurden anscheinend unbekleidet abgelegt und dann mit jeweils 5 Eisen auf dem Grund fixiert. So wie es aussieht, je eines an jedem Arm, jedem Bein und am Hals.“

»Wie lange lagen die Opfer im Wasser?«, wollte Kies wissen.

»Schwer zu sagen. Im Wasser verwesen Körper anders als im Boden oder an der Luft. Zunächst verflüssigt sich das Gewebe schneller, aber es bildet sich eine sogenannte Fettwachsschicht, die den Körper dann konserviert. Allerdings gibt es Tier-, in unserm Fall Fischfraß, der sehr schnell für einen Abbau der Weichteile sorgte. Wir müssen auf die Pathologen und Forensiker warten. Zwischen 5 und 20 Jahren ist wohl alles drin«, gab Breuer zur Antwort.

»Auf jeden Fall sollten die Spundwände bis morgen früh da sein. Dann die Montage und das Auspumpen. Ich habe mit dem Wasserbauingenieur gesprochen. Er ist zuversichtlich, dass alles bis morgen Abend fertig ist. Die Männer werden die Nacht durcharbeiten«, führte er weiter aus.

»Wie habt ihr so schnell eine Firma gefunden, die das so kurzfristig machen kann?«

Kies war erstaunt über die Geschwindigkeit, die hier plötzlich möglich war.

»Eine persönliche Anfrage von De Groot bei einem Freund. Er kennt den Ingenieur aus Schulzeiten«, Breuer grinste. »Gute Freunde...«

Kies blickte Matthijs stirnrunzelnd an:

»Hm. Hat die Presse schon Wind von der Sache bekommen?« Kies hasste es, wenn Berichte von Ermittlungen erschienen, bevor die Polizei etwas bekannt gab.

»Bis jetzt noch nicht, man könnte ja zur Abwechslung mal von unserer Seite eine Nachricht herausgeben.«

»Gut. Ich kümmere mich darum. Gebt Bescheid, wenn wir uns die Sache genauer ansehen können. Ans, Du kommst mit ins Büro, Antje bleibt hier bei Euch. Tot later!«

»Pack‘ Dir dafür auf jeden Fall die Gummistiefel ein. Die Großen!«

Kies machte sich auf den Weg zurück in die Stadt. Er würde mit seinen Vorgesetzten über eine Pressekonferenz reden müssen. Das war tatsächlich eine außergewöhnliche Situation. Solange noch keine Informationen vorlagen, zum Beispiel, wie lange die Toten schon im Wasser gelegen hatten, war eine Pressekonferenz ein wahres Minenfeld. Denn Fragen konnte man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantworten. Kies‘ Vorgesetzter, Hooftcommissaris Jan Perkis, würde begeistert sein. Allerdings war es auch schlecht, keine Informationen herauszugeben. Der immense Aufwand im Markermeer würde schnell Aufsehen erregen. Zu viele Arbeitskräfte waren beteiligt und gegen ein kleines Handgeld würde der eine oder andere bereitwillig von dem Ereignis erzählen.

Im Polizeihauptquartier in der Marnixstraat traf Kies dann auf Perkis und Staatsanwalt De Groot. Kies teilte ihnen den aktuellen Stand mit und erläuterte, warum er eine umgehende Information der Öffentlichkeit für unumgänglich hielt. Dabei müsse man ja nicht unbedingt alles preisgeben, man könne ja auch noch nicht sagen, ob die Leichen dort 5, 10 Jahre oder länger lagen. Perkis war blass. Er wusste, dass alle Fragen bei einer Pressekonferenz an ihn als den leitenden Ermittler gehen würden.

»Und wenn unser Pressesprecher erst einmal eine allgemeine Information über den Fund herausgeben würde? Wenn wir morgen Abend mehr Erkenntnisse haben, können wir dann immer noch damit an die Öffentlichkeit.«

De Groot spielte an seinem Mobiltelefon.

»Ich glaube, das ist nicht nötig. Die Presse hat bereits Wind von der Sache bekommen. Hier ist eine Eilmeldung auf der Webside des Telegraaf: »Leichenfund im Markermeer. Friedhof unter Wasser. Mindestens 4 Leichen wurden heute im Markermeer entdeckt, die Polizei ist mit schwerem Gerät vor Ort.« Dazu Bilder von dem Bergeschiff.«

Perkis fluchte.

»Dann müssen wir sofort eine Pressekonferenz anberaumen. Ich kümmere mich darum.«

»Welche Informationen wollen wir herausgeben? Wir haben noch sehr wenig und das ist vor allem Täterwissen. Wir sollten wirklich nur das herausgeben, was die Presse ohnehin schon weiß!«, sagte Kies.