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Nur noch die Synties, unheimliche Energiewesen aus dem All, sind in der Lage, die fast erloschene Sonne zu neuem Leben zu erwecken. Aber die Synties sind verschwunden, vielleicht sogar vernichtet. Nur einer kann sie finden: Ren Dhark. Kompromißlos folgt er ihrer Spur. Doch die führt weit hinaus aus der Milchstraße, fast drei Millionen Lichtjahre weit bis nach Andromeda.
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Seitenzahl: 469
Ren Dhark
Weg ins Weltall
Band 4
Andromeda
von
Achim Mehnert
(Kapitel 1 bis 5 sowie 17 bis 21)
Uwe Helmut Grave
(Kapitel 6 bis 11)
Jo Zybell
(Kapitel 12 bis 16)
und
Hajo F. Breuer
(Exposé)
Inhalt
Titelseite
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
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Impressum
Prolog
Im März des Jahres 2065 steht die Menschheit vor einer Zerreißprobe: Die Bewohner Terras sind nach Babylon evakuiert, wo Henner Trawisheim, der amtierende Commander der Planeten, die Zentrale des neuen Terra schaffen will. Nur noch 20 Millionen Menschen sind auf der mittlerweile völlig vereisten Erde zurückgeblieben.
Doch es ist Ren Dhark und seinen Mitstreitern gelungen, den Abfluß der Materie von unserer Sonne zu stoppen, indem sie die Hyperraumstation zerstörten, die kontinuierlich Masse aus der Sonne abzog und nach Proxima Centauri transferierte.
Als darüberhinaus die Synties, tropfenförmige Energiewesen aus dem All, sich aus alter Freundschaft zur Menschheit und vor allem zu Ren Dhark bereit erklären, die verlorengegangene Masse der Sonne durch neuen interstellaren Wasserstoff zu ergänzen und sie wieder so stark zu machen wie zuvor, scheint der glückliche Ausgang der Katastrophe gewiß.
Trotzdem läßt Henner Trawisheim die Evakuierungsaktion fortsetzen. Traut er den Synties nicht, oder verfolgt er eigene geheime Ziele? Die Frage wird bald überflüssig, als eine unbekannte Kraft die Synties aus dem Sonnensystem absaugt: Ohne die spurlos verschwundenen Helfer ist die Erde nicht mehr zu retten!
Resigniert beteiligt sich Ren Dhark mit seiner POINT OF an der weiteren Evakuierungsaktion. Doch nach ihrem Abschluß will er die Synties suchen, auch wenn er nicht den allerkleinsten Hinweis auf ihren Verbleib hat. Langsam faßt er wieder Mut – als eine bisher unbekannte Spezies aus den Tiefen des Alls auftaucht und die Erde zu ihrer neuen Heimat erklärt! Und dieses Volk scheint wie geschaffen für ein Leben in arktischer Kälte.
Die Eisläufer oder Riiin, wie sie sich selbst nennen, landen an beiden Polen und nehmen die Erde von dort aus in Besitz. Verzweifelt versucht Ren Dhark, auf Babylon Hilfe für die Heimat der Menschheit zu bekommen – doch Henner Trawisheim läßt ihn eiskalt abblitzen. Auch Terence Wallis, der Herrscher von Eden, will seine noch junge Welt nicht in einen Krieg verwickeln.
Auf dem Rückflug nach Terra macht die POINT OFBekanntschaft mit einer unheimlichen Waffe der Eisläufer: dem Relativitätswerfer, der die Zeit rings um ein getroffenes Schiff um den Faktor 104 verlangsamt.
Trotzdem gelingt Ren Dhark der Durchbruch nach Cent Field. Die genaue Überprüfung alter Protokolle führt ihn und seine Gefährten zu einem geheimnisvollen Gerät unter Stonehenge, dessen Vernichtung einen kurzen Frühling in ganz Südengland auslöst und so Millionen Eisläufer das Leben kostet.
Arc Doorn erinnert sich daran, ein ähnliches Gerät schon einmal gesehen zu haben – und nimmt kurzerhand seinen Abschied von der POINT OF, um auf der Erde nach weiteren dieser geheimnisvollen Artefakte zu suchen.
Ren Dhark aber folgt der Spur des Energieimpulses von Stonehenge bis ins Telin-Imperium. Doch dies ist erst der Anfang, denn die weitere Suche nach den Synties wird ihn bis nach Andromeda führen. Doch diesen neuen Flug in die Weiten des Alls will Dan Riker, Rens bester Freund, nicht mehr mitmachen: Auch er nimmt seinen Abschied von der POINT OF!
Während Dhark und seine Getreuen nach Andromeda aufbrechen, wird der Planet Eden von Buccaneers angegriffen. Offenbar wollen sie die geheimen Überlebensräume des »Projekts Arche« zerstören, in denen ausgesuchte Exemplare jeder terranischen Tier- und Pflanzenart die Eiszeit in der Heimat überleben sollen…
Und auf der Welt Lost Paradise bedroht eine gigantische Flutwelle die Ausbildungseinheiten, die das Flottenschulschiff ANZIO dort abgesetzt hat…
1.
Die POINT OF befand sich tief im intergalaktischen Leerraum, 200 000 Lichtjahre vom nächsten bewohnten Planeten entfernt. Eben noch war Ren Dhark in Verzückung geraten angesichts der beiden überwältigenden Feuerräder, die er sah: Milchstraße und Andromeda. Der Ringraumer kam aus der einen Galaxis und war auf dem Weg in die andere.
Nun war schlagartig alles anders geworden. Der Checkmaster hatte einen schweren Fehler, der das gesamte Unternehmen in Frage stellte.
Der weißblonde Kommandant ordnete seine Gedanken. Richtig, es gab Probleme, schwerwiegende sogar, doch noch war man nicht in der Unendlichkeit gestrandet. Das Schiff raste weiterhin im Intervallflug durch den Leerraum. Trotzdem blieb eine entscheidende Frage.
»Können wir Andromeda überhaupt noch erreichen?« Ren schaute sich unter den Anwesenden in der Kommandozentrale um.
»Ich bin skeptisch.« Chris Shantons Miene hatte sich verfinstert.
»Sie glauben, nach der Fehlberechnung des Checkmasters werden weitere Systeme ausfallen, Chris?«
»Ich glaube gar nichts, solange wir keine eingehenden Untersuchungen vorgenommen haben und hinter die Panne des Checkmasters gekommen sind«, antwortete der schwergewichtige Mann mit der Halbglatze, dem Kinnbart und den buschigen Augenbrauen. »Ich weise nur auf das enorme Risiko hin. Von der Milchstraße nach Andromeda sind es beinahe drei Millionen Lichtjahre, von denen wir gerade erst einen Bruchteil hinter uns haben. Der Rückweg ist viel kürzer als der Weiterflug. Kommen wir noch eine Million Lichtjahre weiter und dann passiert etwas, wissen wir, daß wir einen Fehler begangen haben. Ich brauche wohl niemandem zu sagen, wie die Konsequenzen aussehen, wenn wir ohne Sternensog im intergalaktischen Leerraum stranden und womöglich nicht mal mehr mit Transitionen von der Stelle kommen.«
Dhark konnte sie sich bildlich vorstellen, so wie jeder andere. Wenn man zwischen den beiden Galaxien festhing, gab es keine Rettung. Mit SLE konnte die POINT OF bis zum Eintreten des natürlichen Todes sämtlicher Besatzungsmitglieder weiterfliegen – vorausgesetzt, sie war bis dahin nicht längst ertobit –, ohne sich einer der beiden Galaxien entscheidend zu nähern. Schließlich wäre nur noch Artus da, um das Schiff zu steuern, und auch er würde eines fernen Tages ausfallen, ohne das Ziel erreicht zu haben.
Im Grunde ging es um eine simple Sache, nämlich einen Lastenverteilungsplan für die auf Eden an Bord genommenen Tofiritvorräte. Die Pläne, die die Kadetten Steve Hawker und Yannic Trudeau erarbeitet hatten, unterschieden sich grundlegend von denen, die der Checkmaster erstellt hatte. Eigentlich wäre das nur eine banale Routineaufgabe für ihn gewesen, doch er hatte sich besorgniserregend verrechnet.
»Warum fragen wir nicht denjenigen, den die Sache betrifft?« schlug Jimmy vor. Das Brikett auf Beinen, wie der pechschwarze Roboterhund in Form eines Scotchterriers genannt wurde, kauerte scheinbar gelangweilt neben seinem Konstrukteur.
»Gute Idee«, fand Artus. Der äußerlich humanoide Großserienroboter, dem man nicht ansah, daß er durch die Vernetzung von 24 Cyborg-Programmgehirnen, von denen eines offenbar nicht so wie die anderen 23 funktionierte, zu einer echten Künstlichen Intelligenz geworden war, hatte die dünnen röhrenförmigen Arme vor der Stahlbrust verschränkt. Wie immer trug er sein grünes Stirnband mit dem goldenen A. »Checkmaster, deine Fehlberechnung ist dir bewußt?«
»Natürlich ist sie das – jetzt. Man hat mich ja oft genug darauf hingewiesen.« Das Bordgehirn der POINT OF klang beleidigt. »Hätte ich den Fehler rechtzeitig selbst bemerkt, hätte ich entsprechend reagiert.«
»Und warum war das nicht gleich so?«
»Offenbar gibt es eine Lücke, die meine eigenen Diagnoseprogramme nicht bemerkt haben. Dieser Zustand gilt auch jetzt noch. Ich weiß, daß sie da ist, kann sie aber weiterhin nicht selbst beheben. Nur Hawker hat diesen Fehler entdeckt. Ich kann mir nicht erklären, wie ihm das gelungen ist. Er muß über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügen.«
Der 1,85 Meter große kräftige Kadett mit den blonden Haaren und den eisblauen Augen lächelte zufrieden. Es reichte ihm, daß sein Lastenverteilungsplan eine solche Wirkung nach sich zog. Nun schwieg er und lauschte den Koryphäen, die ohne seine Berechnungen noch völlig ahnungslos gewesen wären. Das Lob des Checkmasters ging ihm natürlich runter wie Öl.
»Du bist also nicht in der Lage, den Fehler zu beheben, Checkmaster«, grübelte Shanton. »Kannst du ermessen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, daß wir durch diesen Fehler in eine bedrohliche Situation geraten?«
»Das wäre nur möglich, wenn ich ihn analysieren könnte. Ich wiederhole noch einmal, daß mir das nicht möglich ist. Ich halte den Fehler aber nicht für besonders relevant. Er liegt bestimmt schon lange vor, und bisher habe ich ganz passabel funktioniert.«
Bestimmt… ganz passabel. Dhark fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Allein die Ausdrucksweise des Checkmasters klang wenig beruhigend. Wohl und Wehe des Schiffs und seiner Besatzung hingen von dem Bordgehirn ab, da konnte Ren derartige Unsicherheiten nicht akzeptieren.
Shanton war der gleichen Ansicht. »Mit solchen Aussagen können wir uns nicht zufriedengeben. Selbst wenn es sich um einen einmaligen Ausrutscher handelt, brauchen wir eine Bestätigung. Daß ein solcher Fehler überhaupt vorkommt, hat einen Grund. Der Checkmaster vertut sich nicht mal eben wie ein Mensch, weil er abgelenkt ist. Ich befürchte eine unangenehme Überraschung, die uns weiteren Ärger bescheren kann, wenn wir sie nicht finden und korrigieren.«
Dhark nickte. »Was schlagen Sie vor?«
»Befragen wir Hawker, wie er den Fehler gefunden hat.«
Der junge Kadett wirkte in seiner Zivilkleidung in der Zentrale wie ein Anachronismus zwischen den Männern in ihren schlichten Bordkombinationen. Es schien ihn nicht zu stören. Er war bekannt für seine Selbstsicherheit, die zuweilen an Überheblichkeit erinnerte.
»Also, Mister Hawker?« fragte Dhark. »Haben Sie eine Erklärung für den Fehler des Checkmasters?«
»Nein, Commander«, gab der Kadett unumwunden zu. »Das habe ich auch nie behauptet. Er ist mir nur aufgefallen, weil es die entscheidenden Abweichungen von meinem eigenen Lastenverteilungsplan gab. Da ich wußte, daß meine Berechnungen richtig sind, mußte der Checkmaster falsche geliefert haben. So einfach ist das.«
Wenn es nur so einfach gewesen wäre, dachte Ren. Leider kamen sie mit Hawkers Erklärung nicht weiter.
»Ich erinnere daran, daß Hawker nicht der einzige war, dem die Fehlberechnungen des Checkmasters aufgefallen sind«, mischte sich Leutnant Hornig ein, der nach Dan Rikers Abschied von der POINT OF für die Ausbildung der Kadetten verantwortlich war. Nur wenige Besatzungsmitglieder kannten seinen Vornamen Lap, den er tunlichst verschwieg. Er stand nämlich für »love and peace«, wofür die Hippievergangenheit seiner Eltern verantwortlich war. Sie hatten sich bei der Namenswahl nichts gedacht, doch dem Leutnant war der Vorname extrem peinlich. »Trudeau hat den Fehler ebenfalls bemerkt. Er ist im Dienst. Ich kann ihn in die Zentrale rufen, damit er uns seine Erkenntnisse darlegt.«
»Ganz schön peinlich«, fand Jimmy und sah seinen Konstrukteur vorwurfsvoll an. »Zwei Kadetten sind besser als alle klugen Köpfe an Bord. Mit Arc Doorn wäre das nicht passiert. Der hätte dem Checkmaster seine Panne auf der Stelle unter die Nase gerieben.«
»Arc und Doris Doorn sind bekanntlich ebenso wie die Rikers von Bord gegangen, der Checkmaster hat keine Nase, unter die man irgend etwas reiben könnte, und dir bleibt nichts anderes übrig, als mit mir vorliebzunehmen«, giftete Shanton seine Schöpfung an.
»Man kann sich sein Schicksal nicht immer aussuchen«, seufzte Jimmy und trollte sich unter den Sessel von Hen Falluta. Der Erste Offizier saß an der Steuerung des Ringraumers.
»Außerdem ist die Aufmerksamkeit der Kadetten nicht peinlich«, behauptete der Ingenieur, der seit einiger Zeit trockener Alkoholiker war. »Wir anderen haben dem Checkmaster einfach zu sehr vertraut. Das mag etwas blauäugig gewesen sein, aber ich denke, in Zukunft werden wir in dieser Hinsicht die Augen deutlich weiter aufsperren.«
»Es ist nicht nötig, mir das Vertrauen zu entziehen«, beschwerte sich das Bordgehirn. »Trotz allem funktioniere ich weiterhin einwandfrei.«
»Mit dieser Behauptung widersprichst du dir selbst. Denn hast du nicht eben selbst gesagt, daß es eine Lücke gibt, die deine Diagnoseprogramme nicht feststellen?«
»Sie registrieren auch keine weiteren Beeinträchtigungen meiner Funktionen. Wir können unseren Flug gefahrlos fortsetzen.«
Diese Beharrlichkeit gefiel Dhark überhaupt nicht. Entweder konnte oder wollte der Checkmaster nicht einsehen, daß seine sogenannte Lücke eine mögliche Gefahr darstellte. Das eine war so schlimm wie das andere.
»Leutnant, rufen Sie Mister Trudeau«, forderte er Hornig auf.
*
Wenige Minuten später meldete sich der Kadett in der Zentrale. Dhark hatte den Eindruck, das Kraftpaket Trudeau hätte nur auf Hornigs Anruf gewartet, was natürlich nicht möglich war. Selbst mit seiner hohen Intelligenz hatte er nicht voraussehen können, was in der Kommandozentrale geschah.
»Ich melde mich wie befohlen.«
Der 1,80 Meter große Kadett salutierte, was Shanton ein Grinsen entlockte. An Bord der POINT OF herrschten andere Regeln als auf den Schiffen der Terranischen Flotte, auch wenn sie mittlerweile unter anderem der Ausbildung zukünftiger Flottenoffiziere diente. Auf militärische Ränge wurde kaum noch Wert gelegt, seit der Ringraumer und seine Besatzung der TF nicht mehr angehörten, doch auch schon früher war der allgemeine Umgangston eher moderat denn militärisch streng gewesen.
Für die unter Leutnant Hornigs Fittichen stehenden Kadetten galt das allerdings nicht, schließlich sollten sie während ihres einjährigen Bordaufenthalts den letzten Schliff bekommen und praktische Erfahrungen sammeln.
Dhark entging nicht der kurze Blick, den sich Hawker und Trudeau zuwarfen. Die beiden Jahrgangsbesten der Kallisto-Akademie mochten sich nicht. Sie galten als die »besten Feinde« und versuchten ständig, sich gegenseitig zu übertrumpfen. Trudeau, der aus einfachen Verhältnissen und einer ziemlich zerrütteten Familie stammte, hielt Hawker, den einzigen Sproß eines Molekularbiologen an einem großen privaten Forschungsinstitut und einer Lehrerin an einer angesehenen Privatschule, für einen von klein auf verwöhnten Schnösel. Hawker hingegen hielt den Franzosen für einen Emporkömmling, dem seine erlangte Position nicht zustand.
»Mister Trudeau«, begann Hornig. »Es geht noch einmal um Ihren Lastenverteilungsplan. Bekanntlich deckt er sich weitgehend mit dem Ihres Kameraden Hawker.«
»Ich gebe mein Wort, daß wir nicht voneinander abgeschrieben haben.«
»Darum geht es nicht. Ich bin überzeugt davon, daß Sie beide Ihre Pläne unabhängig voneinander erstellt haben. Mich interessiert, wie Sie den Rechenfehler des Checkmasters erkannt haben.«
»Das habe ich gar nicht, Sir.« Trudeau wirkte ratlos. »Ich habe meinen Lastenverteilungsplan nach bestem Wissen und Gewissen und rein logischen Gesichtspunkten erstellt. Als ich das tat, hatte ich keine Ahnung, daß er sich von den Berechnungen des Checkmasters unterscheiden würde. Das erfuhr ich erst später. Ich gestehe, daß ich selbst ein wenig überrascht war, als ich davon hörte. Allerdings ließ mich das nicht an meinen eigenen Berechnungen zweifeln.«
»Sie haben also keine Ahnung, wie der Fehler in den Berechnungen des Checkmasters aussieht?« mischte sich Dhark ein. »Oder worauf er zurückzuführen ist?«
»Nein, Commander. Wie gesagt, meine eigenen Berechnungen hatten mit denen des Checkmasters nichts zu tun.«
»Wenn Trudeau es wüßte, hätte ich es ebenfalls herausgefunden«, murmelte Hawker.
»Sie hat Commander Dhark nicht gefragt, Kadett«, wies Hornig den vorlauten Offiziersanwärter in seine Schranken. »Noch eine unaufgeforderte Bemerkung, und der nächste Strafdienst ist Ihnen sicher, gleichgültig ob Sie gerade Freizeit haben oder nicht.«
»Zu Befehl, Sir.« Hawker biß die Lippen zusammen und schwieg. Offenbar hatte er seine Lektion zumindest für den Augenblick gelernt.
Ren indessen war nicht zufrieden. Die Aussagen der beiden Kadetten halfen nicht dabei, Licht in diese Angelegenheit zu bringen. Beide hatten sehr gute Lastenverteilungspläne ausgearbeitet und damit den Fehler des Checkmasters aufgezeigt, ohne sich dieses Fehlers allerdings überhaupt bewußt zu sein. Die von ihnen erhoffte Erklärung gab es nicht. Der Kommandant gab Hornig einen knappen Wink.
»Wegtreten, meine Herren!« wies der Leutnant die Kadetten an. »Und kommen Sie bloß nicht auf die Idee, mir noch einmal zu erklären, Sie befänden sich in Ihrer Freizeit, Mister Hawker. Ohne entsprechenden Befehl ist die Kommandozentrale für Sie wie für jeden anderen Kadetten künftig tabu. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Hawker und Trudeau bestätigten und verließen die Zentrale.
»Und nun?« kommentierte Jimmy den Mißerfolg aus sicherer Deckung.
»Nun wird es Zeit, daß wir die Sache richtig angehen und eine eingehende Untersuchung vornehmen«, zeigte Shanton sich tatendurstig. »Wir müssen den Checkmaster auf Herz und Nieren testen, auch wenn uns das eine Menge Zeit kostet, die wir eigentlich nicht haben.«
»Das ist ja nichts Neues.« Auch Dhark sah keine andere Möglichkeit als eine Untersuchung durch die Spezialisten. »Machen Sie sich an die Arbeit, Chris. Diese Sache hat absolute Priorität. Sie bekommen dafür jeden Mann, den Sie brauchen.«
Shanton wußte bereits, wen er haben wollte.
*
Keine zwanzig Minuten später war das Spezialistenteam in der Zentrale versammelt. Neben Shanton selbst gehörten ihm Artus, der Ingenieur Ruyter, der Techniker Igor Varnuk, die Physiker Hu Dao By, Darren Jonkers und Pal Hertog sowie der Kybernetiker Dr. Jo Getrup an. Dhark fühlte sich beinahe ein wenig überrollt von soviel geballter Fachkompetenz, dennoch vermißte er Dan und Anja Riker schmerzlich. Besonders Anja galt als führende Expertin auf dem Gebiet der W-Mathematik, über die sie mehrere Abhandlungen geschrieben hatte. Sie hatte zahlreiche Einzelsitzungen mit dem Checkmaster hinter sich und wäre eine große Hilfe bei den bevorstehenden Untersuchungen gewesen. Sie war es auch gewesen, die durch ein kleines aber feines Programm eine akustische Sprachausgabe ermöglicht und ihm damit eine eigene Stimme verliehen hatte.
Dhark seufzte und verdrängte die quälenden Gedanken. Sie verschleierten lediglich seinen Blick auf das Wesentliche. Er mußte sich damit abfinden, daß sein bester Freund und dessen Frau nicht mehr an Bord waren, auch wenn es bestimmt noch eine Weile dauern würde, bis ihm das gelang. Der Commander fühlte sich einsam.
Mit einem Ohr verfolgte er, wie Shanton seinen Mitarbeitern das Problem erläuterte und auf schnelle Erfolge drängte.
»Sie erwähnten eben, daß der Checkmaster sich trotz seiner im Nachhinein auch für ihn selbst zu erkennenden Fehlberechnung intakt fühlt«, erinnerte Varnuk in seiner langsamen, schleppenden Sprechweise. »Hoffentlich sperrt er sich nicht aus Sturheit gegen die Zusammenarbeit.«
»Das habe ich gehört«, meldete sich das Bordgehirn. »Ich sperre mich gegen gar nichts, sondern stehe selbstverständlich für eine uneingeschränkte Zusammenarbeit zur Verfügung – auch wenn ich den betriebenen Aufwand für unnötige Zeitverschwendung halte. In dieser Hinsicht gehe ich mit Shanton konform.«
»Das wollte ich nur geklärt wissen«, zeigte sich Varnuk zufrieden.
Dhark hingegen fand, daß der Checkmaster immer noch eingeschnappt klang, bockig beinahe. Immerhin schaltete er nicht auf stur, wie er es in der Vergangenheit bei verschiedenen Anlässen getan hatte.
»Wir beginnen mit den üblichen Standardprüfroutinen«, instruierte Shanton seine Mitarbeiter.
»Das wäre zu leicht und zu oberflächlich«, unkte der in Korea geborene Mongole By. »So einfach kommen wir dem Checkmaster nicht bei.«
»Das erwarte ich auch nicht. Trotzdem fangen wir klein an. Ich will nicht die geringste Auslassung begehen und dann irgendwann merken, daß wir viel zu halbherzig vorgegangen sind.« Shanton kam zu Dhark herüber.
»Ist das wirklich nötig, Chris?« zweifelte Ren. »Sie sagten selbst, daß wir eigentlich keine Zeit haben.«
»Und der Checkmaster hat mir sogar großzügig zugestimmt. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das schematische Durchgehen sämtlicher Prüfroutinen nötig ist oder nicht. In ein paar Stunden sind wir klüger. Deshalb auch gleich meine Vorwarnung. Ich habe meinen Leuten zwar gesagt, daß ich möglichst rasche Erfolge sehen will, aber ich bleibe realistisch. Wenn wir Pech haben, ziehen sich die Untersuchungen über Tage hin, und wenn wir noch mehr Pech haben, wissen wir dann immer noch nicht, woran wir sind. Selbst unsere größten Experten brauchen Zeit, um das komplexe Thema, mit dem wir hier konfrontiert sind, zu erfassen. Deshalb habe ich einen Vorschlag.«
»Ich höre.«
»Wir sollten zu unserer eigenen Sicherheit die Triebwerke abschalten und unbeschleunigt weiterfliegen, bis wir wissen, was los ist. Wir sind schnell genug, unser Schwung wird uns weitertragen. Die Intervalle bleiben als Transitionsbremse weiterhin oben.«
»Einverstanden.«
Dhark gab die entsprechende Order an Falluta und erhob sich aus dem Kommandantensessel. Wenn die Fachleute Zeit brauchten, in der er sich ohnehin wie das fünfte Rad am Wagen vorkam, konnte er etwas anderes tun als Däumchen drehen. Denn es lag eine Aufgabe vor ihm, vor der er sich bisher ein wenig gedrückt hatte. Es wurde Zeit, daß er die Sache endlich hinter sich brachte.
Ohne jemandem zu sagen, wohin er ging, verließ er die Zentrale.
*
Es war still im Bereich der Mannschaftsquartiere. Dhark zündete sich eine Zigarette an und ging durch einen einsamen Gang, ohne auf ein Besatzungsmitglied zu treffen. Nach langer Zeit wurden ihm wieder einmal die Abmessungen des Ringraumers bewußt, die man in der Bordroutine leicht vergaß, besonders wenn man sich die meiste Zeit in der eigenen Kabine, der Kommandozentrale oder hin und wieder in der Messe aufhielt. Bei einer Ringstärke von 35 Metern Durchmesser ließ sich in jedem Abschnitt der Röhre ein mittlerer Kaufhauskomplex unterbringen. Wenn man an Bord für ein paar Stunden seine Ruhe haben wollte, war es kein Problem, diese auch zu finden, selbst wenn man sich dazu nicht in die eigene Kabine zurückzog.
Der Kommandant blieb vor einer verschlossenen Tür stehen und betrachtete sie nachdenklich. Kein Laut drang von der anderen Seite in den Korridor. Dazu hätte der Bewohner auch einen Heidenlärm veranstalten müssen. Ren straffte seine Gestalt und betätigte den Türsummer.
Einige Sekunden vergingen, bis sich die Tür öffnete. Ein grauhaariger Mann von stämmiger bis untersetzter Statur stand in der dahinterliegenden Kabine. Man hätte ihn leicht für einen Menschen halten können, wenn man seine wahre Herkunft nicht kannte. Tatsächlich handelte es sich um einen Tel vom Planeten Baravia. Die Humanoiden glichen rein äußerlich schwarzhäutigen Nordeuropäern, was ihnen die Bezeichnung Schwarze Weiße eingebracht hatte. Die wahren Unterschiede wurden erst bei einer eingehenden Untersuchung deutlich. Im Gegensatz zu Menschen hatten Tel nämlich zwei Herzen, zwei Kreisläufe und zwei Nervensysteme.
Im Range eines Gard stehend, was einem terranischen Stabsfeldwebel entsprach, hatte der Tel zuletzt zwangsrekrutierte Soldaten auf Corim ausgebildet. Anstelle seiner Uniform trug er Zivilkleidung, die er an Bord erhalten hatte.
»Hon Wolt«, begrüßte Dhark den gut Siebzigjährigen, der vermutlich als einziger das Bohrschreckenmassaker auf Corim überlebt hatte.
»Renon Darak«, empfing der Tel ihn spöttisch. Unter diesem Namen hatte Ren sich auf Corim als Tel ausgegeben. »Kommen Sie, um den Spieß umzudrehen? Das haben Sie doch schon getan. Sie haben mich festgesetzt. Das ist mir in meinem bisherigen Leben in dieser Form noch nicht passiert, und ich gestehe, daß mir der Zustand zuwider ist.«
»Ich habe Sie nicht festgesetzt, sondern Ihnen eine Unterkunft zuteilen lassen. Das ist ein erheblicher Unterschied.«
»Es ist weniger ein Unterschied denn eine Frage der Definition. Nennen Sie meine Anwesenheit in dieser Kabine, wie Sie wollen. Gestatten Sie mir nur, daß ich meine eigene Sichtweise bevorzuge. Oder haben Sie sich auf Corim etwa auch nicht festgesetzt gefühlt, sondern wie in einem selbstgewählten Quartier, das Sie jederzeit verlassen konnten? So gesehen, waren Sie freiwilliger da, als ich es hier bin. Sie sind nach Corim gekommen, nicht Corim zu Ihnen.«
»Darf ich reinkommen?« bat Dhark, ohne auf die Spitze einzugehen.
Wolt drehte sich um, ging zurück zu einem Sessel, in dem er offensichtlich gesessen und gelesen hatte, und ließ sich hineinfallen. Auf dem Tisch lag ein aufgeschlagenes Buch über die Erde mit vergilbten Seiten. Ren folgte dem Tel und ließ sich auf einem freien Sessel neben ihm nieder. Sein beiläufiger Blick fiel auf den halbverdeckten Buchumschlag. »Mauern der Macht« war der Titel, der Autorenname nicht zu sehen.
»Was wollen Sie?« fragte der Gard kurz angebunden.
Dhark löste sich aus der Buchbetrachtung und klopfte mit den Fingerspitzen gegeneinander. Bildete er sich das nur ein, oder ging von Wolt eine unterschwellige Ablehnung aus?
»Ich möchte mit Ihnen reden. Die Ereignisse sind über uns hinweggerollt, und wir sind noch nicht dazu gekommen. Ich finde, daß die Zeit dazu gekommen ist, denn wir haben eine Menge zu besprechen. Aber wenn ich Sie störe, gehe ich und komme später wieder.«
»Jetzt oder später, das macht keinen Unterschied. Ich kann mich Ihnen nicht entziehen. Dies sind Ihr Schiff, Ihre Besatzung, Ihre Waffen. Was würden Sie denn vorschlagen, wie ich mich, auf mich allein gestellt und unter lauter Feinden, verhalten soll, wenn deren Anführer mich zu verhören wünscht?«
Dharks Miene verhärtete sich. Er hatte sich getäuscht. Wolt brachte ihm keine unterschwellige, sondern deutlich zur Schau getragene offene Ablehnung entgegen.
Er fragte sich, ob der Tel sich wirklich in der beschriebenen Rolle sah oder ob er schauspielerte, um seinen Gastgeber aus der Reserve zu locken.
»Sie sind nicht unter Feinden«, versicherte Ren. »Ich komme auch nicht, um Sie zu verhören.«
»Bei uns nennt man das so, aber ihr Terraner verwendet wohl lieber eine euphemistische Umschreibung wie Unterhaltung. Dabei kommt es auf dasselbe raus. Doch ich muß Sie enttäuschen, ich kann Ihnen keine Informationen liefern. Ich bin zwar Soldat, aber nur ein einfacher Unteroffizier. Por Somin hat seine Untergebenen nie mit in seinen Augen wichtigen Informationen versorgt. Wenn es Ihnen darum geht, haben Sie den falschen Tel entführt.«
»Wir haben Sie nicht entführt«, versuchte Dhark seinen Gesprächspartner zu beschwichtigen. »Wir haben Sie gerettet. Hätten wir Sie nicht mitgenommen, wären Sie ebenfalls den Bohrschrecken zum Opfer gefallen, so wie es Por Somin ergangen ist.«
»Nicht nur ihm, sondern allen Tel auf Corim.« Ein düsterer Schatten legte sich in Wolts Gesicht. »Diese verfluchten Bohrschrecken. Unsere Leute sind alle tot, richtig?«
»Ich fürchte ja. Glauben Sie mir, ich hätte gern alle Ihre Leute gerettet, aber dazu hatten wir keine Möglichkeit.«
»Wenn das so ist, warum halten Sie mich dann an Bord Ihres Schiffs gefangen?«
»Ich versichere Ihnen noch einmal, daß Sie kein Gefangener sind. Wir betrachten Sie als unseren Gast, und ich bitte Sie, sich ebenso zu sehen.«
»Sie werden zugeben, daß das schwerfällt.« Wolt macht Anstalten, sich wieder zu erheben, blieb aber sitzen. Er deutete zum Ausgang. »Ein Gast bin ich also. Was machen Sie, wenn ich Ihre Gastfreundschaft ergreife und meine Kabine verlasse, um mich in Ihrem Schiff umzusehen?«
»Diese Möglichkeit stand Ihnen die ganze Zeit über offen. Ihre Kabine ist nicht verschlossen, und es sind keine Wachen davor postiert.«
»Wir wissen beide, daß ich trotzdem bei jedem Schritt überwacht worden wäre.«
Dhark lächelte verbindlich. »Ebenso wissen wir beide, daß das an Bord eines Ihrer Raumschiffe nicht anders wäre, sollte jemals ein Mensch einen Fuß darauf setzen. Aber dort würde einem Menschen überhaupt nicht die Möglichkeit geboten, sich umzusehen, ohne Gefahr zu laufen, als Spion eingestuft und entsprechend behandelt zu werden.«
Ren beobachtete sein Gegenüber genau. Ihm war klar, daß sich seine Worte, so sehr sie auch stimmten, als Brüskierung auslegen ließen, wenn dem Tel daran lag.
»Sie haben Dan Riker und mir das Leben gerettet, als sie den Roboter auf Corim daran hinderten, uns eine für den menschlichen Metabolismus tödliche Dosis Serocetincholaryn zu spritzen«, fuhr er fort. »Sie sind sogar einen Pakt mit uns eingegangen, der die alte Kultstätte auf Corim betraf. Wieso haben Sie das getan, wenn Sie uns in Wirklichkeit als Feinde betrachten?«
»Interpretieren Sie nicht zuviel in diese Tatsachen hinein. Rein taktisch habe ich im Sinne des Telin-Imperiums gehandelt. Ich habe mich nur gegen die verfluchten Bohrschrecken und die verfluchten Rebellen gestellt.«
Wolt begleitete ihm verhaßte Dinge gern mit einem »verflucht«, wie er überhaupt eine zuweilen recht derbe Sprache sein eigen nannte.
»Natürlich haben Sie das. Trotzdem haben Sie auch uns geholfen. Ich sehe darin einen großen Schritt hin zu einer möglicherweise längerfristigen Zusammenarbeit.«
Der Tel kniff die Augen zusammen. In seinem Gesicht war zu erkennen, daß er nicht wußte, was er von den Worten halten sollte. »Wenn Sie das so sehen, helfen Sie mir nun ebenfalls, und fliegen Sie mich zu einem Planeten des Imperiums. Sie können mich in einem unbewohnten Landstrich absetzen und wieder verschwinden, bevor unsere Leute mich aufnehmen.«
»Sie verkennen Ihre Lage«, antwortete Dhark kopfschüttelnd. »Sie können nicht zurückkehren, ohne große Probleme zu bekommen. Wie wollen Sie Ihre Flucht von Corim erklären? Nehmen Sie es mir nicht übel, aber Sie müßten eigentlich tot sein. Ob es uns gefällt oder nicht, die Bohrschrecken haben auf ganz Corim niemanden am Leben gelassen. Der Schutzverband gegen die Feinde Telins wird wissen wollen, wieso ausgerechnet Sie als einziger Tel das Massaker überlebt haben. Mit Ausreden kann man dem SFT nicht kommen. Dazu sind seine Agenten zu clever.«
Bei der Nennung des Geheimdienstes von Cromar sah Wolt auf. Denn natürlich hatte Dhark recht. Wenn der von Tun Argop geleitete Geheimdienst sich auf eine Spur setzte, ließ er nicht locker, bis seine Agenten zufriedenstellende Informationen lieferten.
»Ich könnte die Wahrheit sagen, nämlich daß Sie mich gerettet haben. Das würde ein positives Licht auf die Menschen werfen.«
»Ganz bestimmt nicht.« Dhark befürchtete sogar, daß damit die Schwierigkeiten erst begannen. »Das Eingreifen der POINT OF war illegal. Wir hätten gar nicht auf Corim sein dürfen. So gesehen könnte man uns zurecht der Spionage beschuldigen, auch wenn wir bekanntlich ein anderes Ziel hatten, das mit den Tel nichts zu tun hat. Jedenfalls würden der Vank oder der SFT offiziellen Protest auf Babylon einlegen. Es würde diplomatische Verwicklungen geben, die sich unsere beiden Völker nicht leisten können.«
Der Gard legte die Stirn in Falten. »Sie haben recht. Das Verhältnis zwischen den Tel und den Terranern ist nicht frei von Spannungen, woran auch unsere Rebellen schuld sind.«
Dhark wunderte sich, daß Wolt das Rebellenproblem einem Terraner gegenüber eingestand. Er war eine interne Problematik der Tel, die andere Völker nichts anging und deshalb nicht publik gemacht wurde. Andererseits stand die Tatsache, daß die Tel-Rebellen die Erde nicht nur in der Vergangenheit angegriffen, sondern ihr erst kürzlich wieder gedroht hatten, offen im Raum.
»Es gibt eine Menge Ansatzpunkte für gegenseitige Schuldzuweisungen. Wenn beispielsweise unser illegales Eingreifen auf Corim publik würde, könnte das zu schweren Belastungen des ohnehin gespannten Verhältnisses führen. Dieses Risiko dürfen wir nicht eingehen.«
»Sie wählen das richtige Wort – Risiko. Denn mehr ist es nicht. Es ist genauso gut möglich, daß man Ihnen offiziell danken wird, weil Sie einem Bewohner des Imperiums das Leben gerettet haben.«
Mit dieser Einschätzung lag Hon Wolt zweifellos völlig falsch. »Durch unser Vorgehen wurde das Pyramidenmonument auf Corim zerstört. Darüber wird niemand hinwegsehen. Auch nicht über die Tatsache, daß Sie uns geholfen und sich deswegen mitschuldig gemacht haben.«
»Sie würden mich also verraten, um einen eigenen Vorteil zu erringen?«
»Unsinn. Sie wissen besser als ich, daß der SFT nicht dumm ist. Tun Argop wird von allein darauf kommen, daß Sie in diese ganze Angelegenheit verstrickt sind. Selbst wenn man Ihnen nichts nachweisen kann, werden Sie diesen Makel nicht mehr los.«
»All Ihre Worte ergeben nur einen Sinn. Sie werden mich auch gegen meinen Willen weiterhin festhalten«, folgerte Wolt zerknirscht. »Behaupten Sie immer noch, ich sei kein Gefangener?«
Ren mußte zugeben, daß sein Gast damit im Grunde gar nicht so falsch lag. Er hatte lange über einen Ausweg aus diesem Dilemma nachgedacht und war zu einer Lösung gekommen, die gar nicht so schlecht war. Als Dan Riker und er auf Corim in ihren Tel-Masken für den Verteidigungskampf gegen die Rebellen zwangsverpflichtet worden waren, hatte er am eigenen Leib erfahren, daß Wolt ein erstklassiger Ausbilder war.
»Ich sitze tatsächlich in der Klemme«, kam ihm der Gard zuvor. »Ich kann nicht zurück. Damit habe ich meine ganze Zukunft verspielt, denn ich kann nirgendwo unterkommen. Meine militärische Laufbahn ist beendet, meine Karriere, der ich alles geopfert habe, dahin. Meine einzige Chance ist, auf einer unbedeutenden Randwelt des Imperiums unter einem falschen Namen ein neues Leben zu beginnen. Wie gefährlich das ist, haben Sie selbst erlebt. Man weiß nie, wann und wo die Rebellen zuschlagen, wenn sie einen Angriff gegen das Imperium führen oder einen ihrer internen Machtkämpfe austragen. Außerdem käme ich mir da lebendig begraben vor. Da hätten mich auch die Bohrschrecken holen können.«
»Ich sehe noch woanders eine Chance für sie.«
»Sagen Sie bloß nicht, Sie bieten mir politisches Asyl an?« Wolt lachte humorlos auf. »Ich auf Dauer unter den Weißen Affen?« Um Verzeihung bittend hob er die Hände, weil er scherzhaft die abfällige Bezeichnung benutzt hatte, die manche Tel für Terraner benutzten.
Dhark überhörte den Fauxpas. »Die Kompetenz, Ihnen Asyl anzubieten, habe ich gar nicht, jedenfalls nicht sofern es die Erde betrifft. Ich gehöre der irdischen Regierung schon seit fünfeinhalb Jahren nicht mehr an. Aber ich bin Eigentümer und Kommandant der POINT OF. Was an Bord geschieht, bestimme ich selbst, darunter auch die Zusammenstellung der Besatzung. Sie sind ein Spieß der alten Schule, wie man auf der Erde sagen würde. Für einen Mann mit Ihren Fähigkeiten ist auf der POINT OF jederzeit Platz. Wir haben ein Kontingent junger Kadetten an Bord, die noch einiges an Schliff vertragen können.«
Der Tel starrte ihn ungläubig an. Ren sah ihm an, daß er dem Braten nicht so recht traute. Zu einem ähnlichen Angebot war es zuvor wohl auch noch nie gekommen. Schließlich richtete Wolt sich kerzengerade in seinem Sessel auf.
»Sie wollen mich also für Ihr Schiff anwerben. Ich weiß, daß Sie mir dieses Angebot nicht aus einer Laune heraus machen. Sie haben sich das wohlüberlegt. Ihre frühere Freundschaft zu Dro Cimc ist legendär, auch wenn mancher sie nicht versteht.« Wolt winkte in menschlicher Manier ab. »Doch das ist nicht mein Problem. Man schließt nicht viele Freundschaften in der telinschen Militärhierarchie. Sie sind nur hinderlich. Daran habe ich mich immer gehalten. Sollte ich auf Ihr Angebot eingehen, erwarten Sie nicht, daß ich mich als Freund präsentiere. Sie haben es richtig erkannt: Ich bin Ausbilder. Ich muß meinen Leuten während des Dienstes etwas beibringen, nicht nach Feierabend mit ihnen saufen gehen. Sie können mich verwünschen oder hassen, das ist mir egal. Auf die Ergebnisse meiner Ausbildung kommt es an, aber nicht darauf, wie die Kadetten mich beurteilen.«
»Halten Sie mich für einen Mann, der Wert darauf legt, daß ihn jeder gut leiden kann?«
»Wohl kaum.«
»Mit dieser Einschätzung liegen Sie völlig richtig.« Dhark konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Mein Angebot steht. Wenn Sie auf der POINT OF als Ausbilder tätig sind, wird Ihnen niemand hineinreden. Sie unterstehen einzig Leutnant Hornig als verantwortlichem Ausbildungsleiter. Ich bin überzeugt, Sie beide werden gut miteinander harmonieren.«
»In dem Fall bliebe noch eine Sache zu klären: Es wird hoffentlich auch niemand erwarten, daß ich umsonst arbeite. Bisher hat mich das Militär bezahlt. Das ist vorbei. Ich muß also sehen, wo ich bleibe, wenn ich nicht eines Tages am Hungertuch enden will.«
»Selbstverständlich zahlen wir Ihnen Ihre bisherigen Bezüge weiter. Eine spezielle Stiftung versetzt uns in die Lage, solche Ausgaben problemlos zu stemmen. Sie werden keine Einbußen haben, auch nicht bei Ihren späteren Ruhestandsbezügen.« Ren war amüsiert, in welche Richtung sich das Gespräch entwickelte. Der erfahrene Tel-Haudegen klang beinahe wie ein Geschäftsmann. Dabei waren seine Überlegungen durchaus nachvollziehbar.
Dank der von Terence Wallis gegründeten POINT OF-Stiftung konnte Ren sich seine Zusicherung mit gutem Gewissen leisten. Alleiniger Zweck der Stiftung war es, den Betrieb der POINT OF und die Heuer ihrer Besatzung zu gewährleisten und ihr damit Unabhängigkeit von Henner Trawisheim und den irdischen Finanzen zu garantieren. »Wenn Sie irgendwann aus dem Dienst ausscheiden, wird die Stiftung auch für Ihre Pension aufkommen.«
»Ich werde darüber nachdenken.«
»Ich danke Ihnen, Gard.« Dhark erhob sich und ging zur Tür, um die Kabine zu verlassen und in die Kommandozentrale zurückzukehren. Er war neugierig, wie Shantons Koryphäen mit ihren Untersuchungen vorankamen.
»Warten Sie«, hielt ihn Wolt zurück. »Ich habe es mir überlegt. Ich nehme Ihr Angebot an. Was bleibt mir denn für eine Wahl?«
Ren war erleichtert. »Sie werden es nicht bereuen.«
»Aber Sie vielleicht.« Hon Wolts Worte klangen beinahe wie ein Versprechen.
2.
In der Zentrale kamen Chris Shantons Spezialisten keinen Schritt weiter. Bei den bisherigen Prüfroutinen waren keine Fehler aufgetreten. Sie waren zu Shantons voller Zufriedenheit durch den Checkmaster gelaufen, ohne daß irgendwo etwas gehakt hätte. Das Bordgehirn hatte keinen Einfluß darauf, sonst wäre er womöglich auf die Idee gekommen, daß es die Ergebnisse manipulierte, um in einem guten Licht dazustehen. Doch das war unmöglich.
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