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Die Expedition nach Andromeda war ein voller Erfolg: Die Synties wurden befreit und machen sich daran, der irdischen Sonne ihre verlorengegangene Kraft zurückzugeben. Doch das wollen die Eisläufer um jeden Preis verhindern, und so kommt es zur Schlacht um Terra.
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Seitenzahl: 478
Ren Dhark
Weg ins Weltall
Band 13
Schlacht um Terra
von
Achim Mehnert
(Kapitel 1 bis 6)
Uwe Helmut Grave
(Kapitel 7 bis 11)
Jan Gardemann
(Kapitel 12 bis 15)
Jo Zybell
(Kapitel 16 bis 20)
und
Hajo F. Breuer
(Exposé)
Inhalt
Titelseite
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
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Impressum
Prolog
Ende des Jahres 2065 steht die Menschheit am Scheideweg: Auf der nach dem Krieg gegen die Roboter des »Volkes« zu einem Eisklumpen gewordenen Erde leben nur noch 20 Millionen Menschen. Relativ gut aushalten läßt es sich nur in der Hauptstadt Alamo Gordo, deren neuartiger Schutzschirm ihr nicht nur Sicherheit gibt, sondern der auch für angenehm hohe Temperaturen sorgt.
Die restlichen 36 Milliarden Menschen wurden nach Babylon umgesiedelt und richten sich dort unter der Regierung Henner Trawisheims neu ein. So wäre auf der Erde eigentlich viel Platz – hätten nicht die Riiin oder Eisläufer ihren Lebensmittelpunkt nach Terra verlegt. Dieses Volk kann nur bei extrem niedrigen Temperaturen überleben – und ist so naturgemäß gegen jeden Versuch, der irdischen Sonne zu ihrer alten Kraft und dem Eisplaneten Terra zu neuer Wärme zu verhelfen.
Genau diesen Versuch aber hat Ren Dhark mit seiner Expedition in die Nachbargalaxis Andromeda unternommen. Denn es gibt nur einen Weg, um die Sonne wieder stark zu machen: Die Synties, tropfenförmige Energiewesen, die im freien All leben und seit vielen Jahren gute Freunde der Terraner sind, könnten interstellares Wasserstoffgas einfangen und in die Sonne stürzen lassen – so lange, bis sie ihre alte Masse und damit ihre alte Kraft zurückgewonnen hat.
Doch die Synties sind von den gefühllosen, eiskalten Echsenwesen des Glandarenvolks entführt und als Energiequelle mißbraucht worden. Zwar gelingt es Dhark, die Synties zu befreien, aber gewaltige Ringraumer des Geheimen Imperiums, einer noch skrupelloseren Macht, die schon vor mehr als tausend Jahren Krieg gegen die Worgun in Andromeda führte, löschen das Volk der Glandaren gnadenlos aus. Beim Versuch, wenigstens einige von ihnen zu retten, geraten die Flashpiloten Pjetr Wonzeff und Harold Kucks in die Hände des Geheimen Imperiums.
Es gelingt den beiden Männern unerwartet rasch, aus der Gefangenschaft zu fliehen, doch Dhark und diePOINT OF sind verschwunden. Eine gefährliche Odyssee durch das unbekannte Sternenmeer führt die beiden schließlich zu einer ehemaligen Stützpunktwelt der Worgun, auf der es nichts gibt außer einer goldenen Gigantstatue. Mit ihrer Hilfe gelingt es, einen Notruf nach Babylon in der Milchstraße abzuschicken. Doch kaum ist dieser Notruf draußen, greifen dreihundert überschwere Ringraumer des Geheimen Imperiums an…
Dhark hält die beiden Piloten für tot und kehrt auf die Erde zurück, wo es Manu Tschobe zu verdanken ist, daß eine geheimnisvolle intergalaktische Kommunikationsanlage dazu benutzt werden kann, die Synties ohne Zeitverlust aus Andromeda ins Sol-System zu holen. Unverzüglich machen sie sich daran, der Sonne neue Materie zuzuführen.
Zwar wird es mehrere Jahre dauern, bis sie wieder in alter Kraft erstrahlt, doch für die Eisläufer unter ihrem »Wahldiktator« Ischko kommt das einer Kriegserklärung gleich. Er zieht seine Großkampfschiffe über Alamo Gordo zusammen. Und dann kommt es zu einer unerklärlichen Energieentfaltung im Schutzschirm über der Stadt, er reißt auf, und ein unbekannter Körper stürzt mitten hinab ins Zentrum von Alamo Gordo. Eine Bombe?
1.
»Das Ding ist aus dem Aufnahmebereich verschwunden!« Bruder Lamberts sonst so kraftvoll-melodische Stimme klang hohl. Der Kurator rang mit den Händen. Die Pigmentflecken in seinem Gesicht wirkten noch etwas heller als sonst und kündeten vom drohenden Weltuntergang.
Ren Dhark blickte auf den Monitor. Das Ding, wie der Kurator es nannte, konnte alles mögliche sein. Zu erkennen gewesen war nur ein etwa mannsgroßer kompakter Gegenstand, der jetzt nicht mehr zu sehen war. Da er durch den zusammengefallenen Kompaktfeldschirm über Alamo Gordo gestürzt war, lag die Schlußfolgerung auf der Hand. Es handelte sich um eine Bombe der Riiin, die es nach zahlreichen erfolglosen Versuchen geschafft hatten, den modularen KFS zu überwinden.
»Wie ist es den Eisläufern gelungen, den Schirm zu knacken?« Verzweiflung zeichnete sich auch in Svante Steinsvigs Gesicht ab. Der muskulöse Schwede mit den schulterlangen blonden Haaren sah sich unter den Versammelten um. Seine Hilflosigkeit war ihm unschwer anzumerken. Seine Position als Erdmeister der Gäa-Jünger hatte ihn geprägt, doch mit dieser Situation war auch er überfordert.
»Wir müssen nachschauen«, forderte Arc Doorn.
»Zu spät. Das Ding schlägt jeden Moment auf.«
Was das bedeutete, war allen klar – schlimmstenfalls die Vernichtung der irdischen Hauptstadt – und damit das Ende des Widerstands gegen die Invasoren. Erlosch der KFS, würden die Eisläufer über Alamo Gordo herfallen wie ein Heuschreckenschwarm über ein bestelltes Feld. Ringsum trat Stille ein. Niemand sprach ein Wort. Dharks Gedanken überschlugen sich. Sah so sein Ende aus? Nicht an Bord der POINT OF bei einem Einsatz im Weltall, sondern hilflos in dem Büro, von dem aus er einst selten genug die Geschicke der Menschheit gelenkt hatte? Er verwünschte die Ohnmacht, der die zur Zeit wichtigsten Männer auf Terra ausgeliefert waren. Sie war schlimmer als alles andere. Die Sekunden verstrichen. Nichts geschah.
Dann vibrierte plötzlich der Boden.
Jemand stieß einen Fluch aus angesichts der erwarteten Explosion. Sie erfolgte nicht. Die Erschütterung endete so schnell, wie sie eingesetzt hatte. Alle erwarteten, daß noch etwas geschah, doch die erwartete Katastrophe blieb aus.
»Was war das?« fragte Manu Tschobe, Arzt und Funkspezialist an Bord des Ringraumers.
»Der Aufschlag von… was auch immer. Also doch keine Bombe«, antwortete Dhark mit einem Anflug von Hoffnung.
»Oder lediglich eine Verzögerung beim Zünden«, unkte Doorn.
»Wenn, dann nutzen wir den Aufschub. Ob wir hier in die Luft fliegen oder in unmittelbarer Nähe der Bombe, bleibt sich gleich.« Dhark hob sein Armbandvipho und rief die POINT OF. »Sofortige Mobilmachung. Flash ausschleusen. Wir wissen nicht, was hier geschieht.«
Auch Bruder Lambert reagierte. Er alarmierte seine Wachtruppen und setzte sie in Bewegung. Der unbekannte Gegenstand war durch den höchsten Punkt des KFS senkrecht nach unten gefallen. Es konnte nicht schwierig sein, ihn zu finden.
»Irgend etwas müssen wir tun. Sollen wir Alamo Gordo evakuieren?« fragte Steinsvig.
»Sinnlos, wenn uns womöglich nur ein paar Minuten Aufschub bleiben. Es gibt keine Kapazitäten für eine ausreichend rasche Evakuierung. Bis zum Eingreifen der POINT OF kann es längst zu spät sein.« Dharks Zweifel am Fall einer Bombe wuchsen. Er ahnte, daß ihnen eine Entwicklung bevorstand, mit der keiner von ihnen rechnete. »Mit dem Flash kann ich vielleicht mehr ausrichten.«
»Ich auch. Jetzt sehen wir nach, und davon hält mich nichts mehr ab«, wiederholte Doorn seine anfängliche Forderung.
Dhark verließ das Regierungsgebäude und stürmte ins Freie zu dem Flash, der ihn hergebracht hatte. Er stieg ein. Der Pilot startete, der Flash hob vom Boden ab. Sämtliche Bordinstrumente aktivierten sich durch einen Gedankenimpuls. Doorn benutzte seinen privaten Flash, den er von Terence Wallis erhalten hatte. Beiläufig registrierte Ren, daß Doorn ihm folgte.
»Das gibt es doch nicht«, keuchte der vorgebliche Sibirier über Funk. »Der Schirm baut sich wieder auf. Da meint es jemand verdammt gut mit uns, Dhark. Allerdings wäre mir wesentlich wohler, wenn ich wüßte, was hier geschieht.«
Ren fiel ein Stein vom Herzen. Der Monitor über seinem Kopf lieferte die Bestätigung. Ein leichtes Flirren am Himmel verriet, daß der KFS vollständig wiederhergestellt war. Doorns nagende Zweifel waren berechtigt. Wie war es möglich, daß der Schirm sich ohne Zutun seiner Betreiber erst teilweise ausschaltete und dann wieder aufbaute? Wenn wirklich die Eisläufer für den Ausfall verantwortlich waren, würde er sich kaum von allein wieder aktivieren. Die Lage wurde immer undurchsichtiger. Zumindest war beruhigend, daß die Eisläufer keinen Zugriff auf Alamo Gordo mehr hatten wie noch Sekunden zuvor. Die mögliche lebensbedrohende Gefahr für die Bevölkerung war allerdings noch nicht ausgeschaltet. Das unbekannte Objekt befand sich mitten in der Stadt.
»Ich habe eine Peilung«, las Dhark von seinen Instrumenten ab.
»Leichte Energiesignatur«, bestätigte Doorn. »Ich empfange sie ebenfalls. Es gab schwere seismische Aktivität, doch jetzt ist alles ruhig.«
»Können Sie mit der Signatur etwas anfangen, Arc?«
»Überhaupt nichts. Bei dieser geringen Intensität will das aber nichts heißen.«
Die Männer verzichteten auf Umwege durch die Straßenschluchten. Im Höchsttempo flogen sie über die Gebäude hinweg, um dann am Zielort hinunterzugehen. Der lag im Stadtpark und war mit Flash innerhalb weniger Sekunden erreichbar.
»Wir nähern uns der Aufschlagstelle«, sagte der Pilot. »Was treiben die Eisläufer da?«
»Es sind nicht die Eisläufer«, gab Dhark zurück.
»Wie kommen Sie darauf? Was erwartet uns sonst?«
Dhark gab keine Antwort, weil er keine hatte. Nur eins stand fest. Wäre den Invasoren der Durchbruch durch den KFS gelungen, wäre es bereits zur Katastrophe gekommen. Sein Flash erreichte den Stadtkern.
»Du liebe Güte«, entfuhr es Doorn. »Das reinste Trümmerfeld.«
»Aber nicht von einer Explosion.«
Vor Dharks Augen türmte sich der Ringwall eines frischen Kraters mitten im Park. Es sah aus wie nach einem Meteoriteneinschlag. Das unbekannte Objekt hatte ein mehrere Meter tiefes Loch geschaffen, um das ein Wall aus Erdreich und Trümmern aufgeworfen worden war. Aus der Luft war sonst nichts weiter zu erkennen. Der Flash ging tiefer und landete am Rand des Kraters. Neben ihm setzte Doorns Gefährt auf. Dhark und der Worgun stiegen gleichzeitig ins Freie.
Der kräftig gebaute Mann mit den langen roten Haaren streckte eine Hand aus. »Da bewegt sich etwas. Wir hätten Waffen mitnehmen sollen.« Er stockte und schüttelte den Kopf. »Das gibt es doch nicht. Sagen Sie mir, daß ich träume, Dhark.«
Rens Augen weiteten sich. Er konnte ebenfalls kaum glauben, was er da sah.
*
Fehlberechnung!
Nein, falsch. Die Berechnungen stimmten, wie er im Bruchteil einer Sekunde überprüfte. Die Parameter für die Transition waren so angelegt, daß er mitten in Alamo Gordo hätte in den Normalraum zurückfallen müssen, nicht über dem die Stadt überspannenden Schirm. Es gab keinen Fehler. Deshalb war unerklärlich, wie es zu dieser Rematerialisationsverschiebung kommen konnte.
Es blieb keine Zeit, sich länger mit dem Phänomen zu beschäftigen. Der Schirm riß auf, ließ ihn passieren und brach endgültig in sich zusammen. Die Stadt lag ungeschützt unter ihm.
Systemausfall!
Ausgerechnet jetzt.
Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren, doch allein auf geistiger Basis ließ sich das Problem nicht aus der Welt schaffen.
Die Systeme mußten reinitialisiert werden. Vorübergehend war er außerstande, eine weitere Transition durchzuführen. Er konnte nur eines tun.
Neustart!
Das war keine großartige Angelegenheit, doch sie beanspruchte Zeit. Das Kontrollbewußtsein brauchte nichts dazu zu tun. Die Aufgabe bewältigte die Hauptprogrammierung von allein, und sie tat es mit der ihr zur Verfügung stehenden Schnelligkeit. In Sekunden. Der raschen Auffassungsgabe des Kontrollbewußtseins kam die verstreichende Zeitspanne ungleich länger als einem Menschen vor.
Zumal er hilflos und auf Abwarten beschränkt war. Eine Korrektur seines Fallvektors war unmöglich, so daß er erst gar keinen diesbezüglichen Versuch unternahm.
Er hatte keinen Einfluß auf das Ausmaß der zu erwartenden Zerstörung.
Der Erdboden kam rasch näher, die Pflanzen und die gepflegten Beete wuchsen sprunghaft an. Die kinetische Energie trieb ihn in den Boden, die für seine Größe enorme Masse tat ein übriges. Er spürte nichts beim Aufprall, dafür war sein Körper viel zu robust.
Er registrierte lediglich. Die Zerstörung der Parkanlage, in die er stürzte. Die Verdrängung des Erdreichs und das Entstehen des Kraters. Die Bodenerschütterungen, die sich durch einen Teil der Stadt fortpflanzten. Gleichzeitig fuhren seine Aktivsysteme wieder hoch, ohne die er nicht einen Schritt hätte tun können.
Er kam zur Ruhe, lag, wartete. Die Hauptprogrammierung arbeitete wunschgemäß, bis die Systeme soweit hochgefahren waren, daß das Kontrollbewußtsein den Körper übernehmen konnte. Den Rest bewältigten die beiden Komponenten gemeinsam.
Fahrzeuge näherten sich der Einschlagstelle. Er erkannte zwei Flash und erhob sich. Sämtliche Systeme arbeiteten wieder einwandfrei. Sein Körper gehorchte ihm ohne Einschränkungen. Er stieg den aufgeworfenen Wall empor und sah den beiden Männern entgegen, die den Flash verließen.
*
»Simon!«
Keine Bombe, sondern der Wächter.
Dhark starrte die zwei Meter große, rötlich schimmernde Gestalt an, die aus dem Krater stieg. Die Bewegungen der metallischen Gestalt waren elegant und kraftvoll zugleich. Wie lange waren sie sich nicht begegnet? Seit mehr als fünf Jahren nicht, rechnete er nach. Für einen Menschen war das eine lange Zeit, für einen in seinem Tofiritkörper langlebigen Wächter besaß sie eine ganz andere Dimension. Kam es Simon gar so vor, als hätten sie sich erst gestern gesehen? Es war Ren kaum möglich, diese Langlebigkeit und die daraus resultierende Sichtweise nachzuvollziehen, und er konnte sich nicht vorstellen, daß ihm das jemals gelingen würde. Vermutlich war es dafür nötig, diesen Zustand selbst zu erreichen.
»Es ist lange her«, sagte Simon, als hätte er Dharks Gedanken gelesen.
»Dein Erscheinen kommt deshalb um so überraschender.«
»Es hätte beinahe zu einer Katastrophe geführt«, bedauerte der Wächter und deutete nach oben. »Zum Glück hat sich der Schirm wieder geschlossen, bevor die Eisläufer einen Vorteil aus seinem Zusammenbruch ziehen konnten.«
Dhark horchte auf. Simons Worte verrieten, daß er zumindest teilweise über die Lage im Sol-System informiert war. Sie verdeutlichten noch etwas anderes. »Du warst für den Ausfall des KFS verantwortlich?«
»Es war ein bedauerlicher Unfall, für den ich keine Erklärung habe. Meine Transition war so berechnet, daß ich in der Stadt hätte herauskommen müssen. Ich weiß nicht, wieso ich mitten im Schirm materialisiert bin. Offenbar existiert ein Faktor, der eine Unvereinbarkeit bedeutet, welche den Schirm dann aufgerissen und mich zu einem Neustart meiner Systeme gezwungen hat.«
»Du bist in Ordnung?«
»So sehr in Ordnung, wie es jemand wie ich nur sein kann. Der Aufschlag hat dem Wächterkörper nichts ausgemacht. Du weißt um seine Widerstandskraft gegenüber mechanischer Gewalteinwirkung. Sie ist extrem groß. Ich habe keinen Schaden davongetragen.«
Dhark merkte auf, als er Geräusche vernahm. Er drehte sich um und gewahrte mehrere sich nähernde Fahrzeuge mit Bruder Lamberts Wachtruppen. Sie hielten in wenigen Metern Entfernung an, und die Männer sprangen mit erhobenen Waffen ins Freie. Ren hob eine Hand und bedeutete ihnen, daß keine Gefahr bestand. Selbst wenn Simon ein Feind gewesen wäre, hätten sie ihm nichts anhaben können. So gab es zumindest das Risiko, daß sie den Wächter zu einer unerwünschten Reaktion provozierten.
»Was ist das?« rief einer der Männer.
»Nicht was, sondern wer«, sagte Simon lakonisch.
»Simon, ein Freund der Menschheit«, beeilte sich Dhark zu sagen, um die Schärfe aus der Situation zu nehmen. »Er ist selbst ein Mensch.«
»Ein Mensch? Sieht der vielleicht aus wie wir? Der ist alles mögliche, aber keinesfalls ein Mensch.«
»Einst war ich nicht anders als ihr«, relativierte Simon die Aussage. »Nun aber bin ich ein…«
»Ein Wächter!« rief ein anderer von Lamberts Männern. »Ich habe von ihm gehört.«
»Dann wißt ihr, daß er keine Gefahr für uns bedeutet.« Dhark wandte sich wieder dem unerwarteten Besucher zu. Er betrachtete dessen glatten, fugenlosen Kopf und wünschte, in einem Gesicht lesen zu können. Doch Simon besaß keines, was ihn unglaublich fremd erscheinen ließ. Es war schwer vorstellbar, daß in dem Tofiritleib eine menschliche Komponente steckte, das Bewußtsein eines Terraners. »Dein Auftauchen kommt überraschend für uns alle. Was führt dich auf die Erde?«
»Ich habe eine wichtige Mission zu erfüllen.«
»Ein wichtige Mission?« horchte Doorn auf. »Hier auf der Erde? Darüber wüßte ich gern mehr.«
Simon bewegte den Kopf und erwiderte ausweichend: »Gab es hier eine Zeitanomalie?«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
Der Wächter schwieg. Offenbar war er nicht bereit, den Grund für seine Anwesenheit zu nennen. Das gefiel Dhark nicht. Sie wußten viel zu wenig über den Wächterorden, über seine Hintergründe und Ziele – genaugenommen gar nichts. Wer garantierte dafür, daß der Orden keine Gefahr für die Menschheit darstellte?
Nein, Dhark schüttelte den Kopf. Er vertraute dem Metallischen. In Orn hatte Simon die Zerstörung seines Schiffs in Kauf genommen, um die Zyzzkt zu besiegen.
»Du glaubst, daß eine Zeitanomalie für deinen Fehlsprung verantwortlich sein könnte?« fragte Ren.
»Es wäre eine mögliche Erklärung.«
»Nicht ausgeschlossen, wenn die Eisläufer ihre Relativitätswerfer aktiviert haben«, überlegte Doorn. Die Waffe der Fischköpfe, die ihre Bezeichnung Chris Shanton verdankte, bewirkte eine Zeitverzerrung, die Verlangsamung eines beschossenen Schiffes um den Faktor 104.
Dhark nickte und kontaktierte die POINT OF. »Gibt es ein Gefecht im Weltall?« erkundigte er sich.
»Die Ortung meldet schwere Kämpfe jenseits der Mondbahn, weit draußen im Sonnensystem«, antwortete Hen Falluta. »Durch die massive Energieentfaltung und die relativ große Distanz können wir mit näheren Informationen nicht dienen.«
Das war zwar nicht viel, aber immerhin etwas. Ohne die Einrichtungen des Ringraumers hätten die Menschen von dem Gefecht gar nichts mitbekommen. Henner Trawisheim hatte im Zuge des Exodus von der Erde sämtliche Geräte zur Raumüberwachung in Cent Field demontieren und nach Babylon verschiffen lassen. Terra war quasi blind und taub für alles, was draußen im All geschah. Dhark bedankte sich, befahl volle Einsatzbereitschaft für die POINT OF und unterbrach die Verbindung.
»Was ist denn da los?« wunderte sich Doorn. »Wer kämpft da gegen die Eisläufer? Oder gehen die Fischköpfe etwa aufeinander los? Das wäre zu schön, um wahr zu sein.«
»Die ziehen an einem Strang. Dafür sorgt schon Großadmiral Ischko.«
»Ein bißchen wird man ja wohl träumen dürfen. Aber wenn es nicht die Eisläufer sind – wessen Schiffe treiben sich denn sonst noch im Sol-System herum? Wozu verfügen wir über ein dichtes Netz aus Ast-Stationen, wenn sie abgeschaltet sind und zu nichts taugen?«
»Wir schauen nach«, entschied Dhark entschlossen. Hier drohte keine Gefahr durch eine abgeworfene Bombe, wie sie zunächst befürchtet hatten. Und die Eisläufer waren immer noch nicht in der Lage, den die Stadt überspannenden Schirm zu knacken. Also konnte die POINT OF im Weltraum nach dem Rechten sehen. Bevor er den Befehl durchgeben konnte, meldete sich Falluta schon wieder.
»Starke Verbände der Eisläufer greifen Havanna an – Bodentruppen. Sie nähern sich der Stadt von Florida kommend übers Eis. Das sieht nicht gut aus.«
Dhark zögerte keine Sekunde. »Wir kommen zurück. Start, sobald wir an Bord sind. Begleitest du uns, Simon?«
»Ja, denn ihr seid Teil meiner Mission«, verriet der Wächter.
Die Worte klangen gespenstisch in Dharks Ohren. Was wollte Simon mit ihnen ausdrücken? Im Augenblick blieb keine Zeit, darauf einzugehen. Auch das Gefecht im Weltraum mußte warten. Ren rief einen weiteren Flash herbei, der Simon aufnahm. Gemeinsam traten sie den Rückweg zur POINT OF an.
*
Der Ringraumer brauchte für den Flug von Alamo Gordo nach Havanna nur wenige Minuten. Dhark beobachtete das Land in der Bildkugel. Außerhalb der Hauptstadt sah es überall gleich aus. Unter dem Schiff flog die weiße Landschaft dahin. Er fragte sich, ob er sich jemals an diesen Anblick gewöhnen würde. Selbst nach Monaten und Jahren war er befremdlich. Die Decke aus Schnee und Eis machte eine Orientierung schwierig, doch die Instrumente der POINT OF wiesen klar den Weg nach Havanna.
»Ich registriere Lebenszeichen«, sagte Tino Grappa, der aus Mailand stammende Ortungschef, mit der ihm eigenen Ruhe.
Hen Falluta nahm eine Schaltung vor, und in einem Ausschnitt der Bildkugel entstand eine Vergrößerung. Dhark entdeckte mehrere von Hunden gezogene Schlitten, die sich einen Weg durch den Schnee bahnten. Dick vermummte Menschen kauerten auf den primitiven Fahrzeugen, die auf der vereisten Erde längst wieder zur Normalität geworden waren. Auf den Pritschen stapelte sich Gepäck.
»Sie fliehen vor den Eisläufern«, folgerte Falluta. »Sie haben in aller Eile ihre Habseligkeiten gepackt und suchen das Weite.«
»Hoffentlich lassen die verdammten Invasoren sie in Ruhe«, warf der rothaarige Leon Bebir ein. »Denen traue ich jede Schweinerei zu. Der Vertrag, den der Kurator mit ihnen ausgehandelt hat, ist die Folie nicht wert, auf der er fixiert wurde.«
»Wir sind hier, um den Menschen zu helfen«, antwortete Dhark entschlossen. Er verfolgte die Richtung der Fliehenden, die von Bruder Lambert vor dem Angriff gewarnt worden waren. Zum Glück stießen sie nicht mit den vorrückenden Eisläufern zusammen. »Welchen Kurs nehmen die Flüchtlinge, Leon?«
»Wenn sie ihn nicht ändern, sind Artemisa und Güines ihre Ziele.«
Dhark wußte nicht, ob in diesen Orten weitere Menschen lebten. »Orten wir Eisläufer, die andere Städte als Havanna ansteuern?«
»Negativ.«
Damit blieb, zumindest für den Augenblick, die Bedrohung in einem überschaubaren Rahmen. Trotzdem war Ren nicht bereit, das Vorrücken der Invasoren zu tolerieren. Der Korridor, durch den sie vorstießen, stand den Menschen zu. Bebir hatte durchaus recht, was den ausgehandelten Vertrag anging. Dhark nahm eine geringfügige Kurskorrektur vor. In einem weiteren Ausschnitt der Bildkugel war die Panzerarmee der Eisläufer zu sehen.
»Die fahren einiges auf.« Simons Stimme klang düster. Er stand mit verschränkten Armen in der Zentrale und verfolgte das Geschehen bewegungslos. »Halten wir sie auf?«
»Worauf du dich verlassen kannst.« Dhark rief die Waffensteuerungen. »Auf Angriff vorbereiten. Direkte Treffer vermeiden – vorläufig. Wir schütteln sie kräftig durch. Wenn sie die Warnung nicht verstehen, ergreifen wir härtere Maßnahmen.«
Jean Rochard aus WS-Ost und Bud Clifton aus WS-West bestätigten. »Die Kerle werden gleich merken, daß sie sich auf dünnem Eis bewegen. Auf brennendem Eis, um genau zu sein.«
Doorn lächelte grimmig, während Simon seine Starre aufgab und den gesichtslosen Kopf neigte. Drückte die Geste Skepsis aus? Dhark wünschte, er hätte die Körpersprache des Wächters verstehen können.
Unerwartet meldete sich der Erste Funker Glenn Morris. »Wir empfangen einen Funkspruch von Lametta-Ischko.«
»Das bedeutet nichts Gutes«, unkte Doorn.
Die Befürchtung hatte auch Dhark. »Durchstellen!«
»Mischen Sie sich nicht ein!« plärrte der amtierende Wahldiktator der Riiin. Seine aus kehligen Lauten bestehende Sprache erinnerte an das Blubbern aufgewühlten Wassers. »Ich verlange, daß Ihr Ringraumer sich zurückzieht. Ansonsten lasse ich für jede Ihrer Aktionen eine verbliebene Stadt der Terraner vernichten, und zwar ohne Vorwarnung.«
Die Männer in der Zentrale sahen sich bestürzt an.
Niemand zweifelte daran, daß Ischko seine Ankündigung in die Tat umsetzen würde, wenn es nicht nach seinem Willen ging.
»Was soll das?« gab Falluta empört zurück. »Sie greifen auch Havanna an und töten die Bewohner. Das lassen wir nicht zu.«
»Dieser Angriff dient nur als Warnung. Niemand wird getötet. Die Stadt ist menschenleer.«
Bevor Falluta erneut aufbrausen konnte, brachte Dhark ihn mit einem Wink zum Schweigen. »Stimmt das, Tino?« fragte er. »Halten sich keine Menschen mehr in Havanna auf?«
Grappas Bestätigung kam Sekunden später. »Havanna ist verlassen. Sämtliche Bewohner sind geflohen. Ich orte allerdings noch etwas anderes. Eine Rakete rast aus der Atmosphäre auf die Stadt zu.«
»Ein Nuklearsprengkörper?«
»Keine genaue Klassifizierung möglich.«
»Das können wir nicht hinnehmen, Dhark«, versetzte Doorn. »Wenn wir die Eisläufer einmal gewähren lassen, haben sie nächstes Mal überhaupt keine Skrupel mehr. Das kennen wir ja von denen. Reicht man ihnen den kleinen Finger, nehmen sie die ganze Hand.«
»Wir erhalten Sichtkontakt«, meldete Bebir.
In der Bildkugel zeichnete sich die dem Erdboden entgegenrasende Rakete ab. Noch blieb Zeit, das wuchtige Geschoß mit Nadelstrahl zu zerstören. Es juckte Dhark in den Fingern, einen entsprechenden Befehl zu erteilen, um Ischko zu zeigen, daß mit ihm nicht zu spaßen war. Andererseits war die Drohung eindeutig, und die POINT OF konnte nicht alle Städte vor einem Angriff schützen. Dhark kniff die Lippen zu zwei blutleeren Strichen zusammen.
»Commander?« drängte Clifton, Rens alten Titel benutzend.
»Nicht feuern!«
Dhark verwünschte seine Entscheidung, doch er konnte keine andere treffen. Das wäre fatal gewesen. Die Vernichtung menschlicher Siedlungen mit der Verwüstung von Großstädten der Eisläufer zu vergelten war keine Option für ihn. Dhark war kein Massenmörder.
Er zog die POINT OF in eine Schleife, brachte sie von Havanna weg und drosselte die Geschwindigkeit. Die Rakete hatte die Stadt fast erreicht. In Gedanken zählte der Kommandant die Sekunden bis zum Aufschlag. Die Rakete explodierte vorher, knapp einen Kilometer über dem Boden.
Für eine Sekunde überstrahlte ein Blitz alle anderen Darstellungen in der Bildkugel. Dann reagierten die automatischen Filter und sorgten für normale Sichtverhältnisse.
»Was war das denn?« entfuhr es Bebir.
Nach dem Detonationsblitz war kein weiteres Feuer zu sehen. Anscheinend war der Blitz beim Zünden der Bombe entstanden. Auf die Stadt wirkte eine unbekannte, unsichtbare Kraft. Die Hochhäuser in Havanna vibrierten, sprengten die Eispanzer, in die sie eingeschlossen waren, und fielen in sich zusammen. Auch die anderen Gebäude zerbröselten regelrecht. Der Anblick war gespenstisch.
»Lediglich eine kleine Explosion«, meldete sich zum erstenmal Chris Shanton zu Wort. Der schwergewichtige Mann mit Halbglatze und Kinnbart hatte bisher verbissen geschwiegen.
»Das nennst du klein?« fragte Doorn seinen Freund.
»Klein und nicht nuklear.«
»Aber nicht weniger verheerend.«
Eine Staubwolke stieg über der Stadt auf. Die Zerstörung hatte nur Sekunden gedauert, doch sie war umfassend. Kein Gebäude war davon verschont geblieben. Havanna war buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht. Kein Stein stand mehr auf dem anderen. Statt dessen starrte Dhark auf eine aus unzähligen Schutthalden bestehende Trümmerlandschaft. Es war ein trostloses Bild, erschreckend und zugleich von einer morbiden Faszination.
»Ich wiederhole Mister Bebirs Frage. Was war das?«
»Ich habe eine Vermutung.« Shanton trat neben Grappa und las die Ortungsanzeigen ab. Dann begab er sich ans Instrumentenpult und führte ein paar rasche Eingaben durch. Er schnaufte und wendete sich von den Ergebnissen ab. »Eine Schallbombe, wie ich es mir dachte. Die Schallwellen haben sämtliche Gebäude in Staub verwandelt, und das ist nicht übertrieben.«
Dhark horchte auf. Diese Waffe der Eisläufer war bisher unbekannt. »Wie wäre die Wirkung auf Menschen gewesen?«
»Von der Tatsache abgesehen, daß sämtliche Bewohner beim Einsturz der Häuser umgekommen wären? Absolut tödlich. Daran gibt es keinen Zweifel. Die Schallwellen hätten alle umgebracht, denen nicht rechtzeitig die Flucht gelungen wäre.«
Shantons Ausführungen bestätigten Dharks Annahme. Ischko bluffte nicht. Er hatte es im Fall von Havanna nicht getan, und das galt auch für andere Städte. Der Großadmiral nahm die auf Terra verstreuten Menschen als Geiseln. Sobald die POINT OF etwas unternahm, zerstörte er die nächste Stadt – und dann würde er nicht warten, bis sie verlassen war.
»Wir verschwinden von hier«, entschied Dhark. Hier konnten sie nichts mehr ausrichten. Er schaltete das Intervallfeld ein und tauchte mit der POINT OF in den Boden. Wenn ihm schon die Hände gebunden waren, sollten die Eisläufer zumindest nicht mitbekommen, was sein Ziel war.
*
»Ich empfange starke Emissionen.« Grappa drehte sich auf seinem Platz vor der Ortung um. »Die Energiesignaturen sind eindeutig. Sie stammen von Riiin-Jägern. Geschätzte Aufmarschzahl mindestens einhundert Jäger.«
»Angriffziel?« fragte Dhark, obwohl er die Antwort ahnte.
»Alamo Gordo.«
»Weitere Schallbomben?«
»Es gibt keinen Hinweis darauf.«
»Es reicht auch so. Ischko juckt das Fell«, zischte Shanton. »Oder die Schuppen. Wenn er glaubt, daß er uns drohen kann…«
»… dann hat er recht«, fiel Dhark ihm ins Wort. Die Einsicht verstörte ihn. Seine Gedanken drehten sich um ein einziges Thema. Es mußte einen Weg geben, den Eisläufern trotz Ischkos Drohung zu trotzen. Anscheinend war es nötig, den Invasoren mit größerer Härte zu begegnen, als das bisher geschehen war.
Falls nötig, mußte man ihnen mit der gleichen Rücksichtslosigkeit begegnen, die sie selbst an den Tag legten.
»Ihr Gesichtsausdruck ist dazu angetan, einem Angst zu machen«, stellte Shanton fest.
Dhark schwieg. Er steuerte die POINT OF unterirdisch nach Alamo Gordo und stieg dann mit geringer Geschwindigkeit nach oben. Die Eisläufer würden vergeblich nach dem Schiff suchen.
»Weitere Meßergebnisse«, verkündete Grappa. »Panzerfahrzeuge. Die Invasoren greifen auch am Boden an. Sie wissen doch, daß der ganze Aufwand vergebliche Liebesmüh ist. Durch den Schirm kommen sie nicht.«
»Hm«, machte Doorn nachdenklich. »Haben wir Großkampfschiffe in der Ortung?«
Der Mailänder nahm ein paar Schaltungen vor und studierte die Ergebnisse. Ungläubig verzog er das Gesicht. »Mehrere der dicken Pötte haben sich über der Stadt in einer geostationären Umlaufbahn versammelt. Woher wußten Sie das?«
»Ich wußte es nicht«, knödelte Doorn. »Ich gebrauche nur meinen Kopf. Die Eisläufer wissen, daß ein Angriff mit Jägern und Panzern aussichtslos ist. Wir haben das schon erlebt. Sie kommen nicht durch. Sie werden sich also nicht die Blöße geben, einen weiteren Versuch zu starten, von dem sie schon vorher wissen, daß er erfolglos bleiben wird. Also führen sie etwas anderes im Schild. Moment, ich muß ein paar Berechnungen am Checkmaster durchführen.«
Shanton gesellte sich zu ihm. »Ich ahne, worauf du hinauswillst. Ich gehe dir zur Hand.«
Die Freunde arbeiteten schweigend und verbissen. Dhark befürchtete schlechte Neuigkeiten. Er kannte Doorn gut genug, um zu wissen, daß der nicht ohne Grund die Pferde scheu machte. An seiner und Shantons zunehmend mißmutiger werdenden Mienen las er ab, daß sich Arcs Befürchtung bestätigte.
Wieder meldete sich Grappa. »Ich registriere Eisläuferschiffe über mehreren Städten.«
»Vermutlich über den Städten, die noch von Menschen bewohnt sind«, folgerte Dhark.
Der Ortungschef nickte. »Ischko wird seine Drohung also wahr machen. Da braut sich was zusammen, denn das ist nicht alles. Ich habe noch etwas entdeckt. Die Kerle bauen nur ein paar Kilometer entfernt in den San-Juan-Bergen eine geheimnisvolle Anlage auf. Wenn mich jemand fragt, tippe ich auf eine massierte Geschützstellung.«
Doorn hob den Kopf. »Das paßt, und es gefällt mir überhaupt nicht.«
»Raus mit der Sprache, Arc«, forderte Dhark. Er hatte das Gefühl, auf glühenden Kohlen zu sitzen.
»Chris und ich haben ein Szenario durch den Checkmaster laufen lassen und sind dabei zu folgendem Schluß gekommen. Wenn sämtliche Geschütze von Panzern, Jägern und Grappas Entdeckung in den Bergen konzentriert einen Punkt des KFS unter Beschuß nehmen und von den zusammengezogenen Großkampfschiffen unterstützt werden, könnte es gelingen, den Schirm zu durchbrechen.«
Dhark vernahm ein paar Flüche. Mit dieser Entwicklung hatte niemand gerechnet.
Er erhob sich aus dem Kommandantensessel, als der Beschuß auf den Schirm endete. Er glaubte zu verstehen, was geschah. Bisher war alles eine Ablenkung gewesen, ein Vorgeplänkel auf den eigentlichen Plan der Invasoren. Es herrschte die Ruhe vor dem Sturm. Die Eisläufer bereiteten sich auf den Großangriff vor, den Doorn berechnet hatte. Wenn ihnen gelang, was sie vorhatten, bedeutete das das Ende.
Das Ende der Menschheit auf ihrem Heimatplaneten Erde.
Ich werde es nicht zulassen, dachte Dhark. Gleichgültig, was ich tun muß, um dieses Schreckensszenario zu verhindern. Ich werde es tun.
»Nachricht an Bruder Lambert übermitteln. Wir müssen uns treffen und die Lage besprechen.«
*
Es war eine unüberschaubare Zahl von Fahrzeugen, die sich Alamo Gordo näherten, Hunderte von Panzern am Boden und nicht weniger Jäger in der Luft. Sie kamen von allen Seiten und ließen keinen Zweifel an ihren Absichten. Gemeinsam eröffneten sie das Feuer auf den Schirm, der die Hauptstadt überspannte.
»Diesmal wollen es die Eisläufer wissen«, sagte Steinsvig, der sich in Lamberts Büro aufhielt.
»Dabei haben sie mehr als einmal erfahren, daß es ihnen nicht gelingt, den KFS zu überwinden«, wunderte sich der Kurator. Obwohl er überzeugt davon war, daß die Angreifer nicht mehr Erfolg haben würden als bei ihren vorangegangenen Attacken, gelang es ihm nicht, seine Anspannung zu verbergen. Gerade eben hatte er den Bericht der POINT OF erhalten. Havanna war zerstört, Ren Dhark machtlos gegen die Erpressung der Eisläufer – und nun das.
Von der Stadt aus war der Komposit-Kompaktfeldschirm am Tage fast unsichtbar und nur durch ein leichtes Flirren zu erkennen. Von außen war ein Blick ins Innere unmöglich, was die Eisläufer von Anfang an gewurmt hatte. Es ließ ihnen keine Ruhe, nicht zu wissen, was unter dem Schirm vor sich ging. Sie konnten nur diesbezügliche Vermutungen anstellen oder versuchen, ihn zu durchdringen, so wie sie es jetzt zum wiederholten Male taten.
»Hoffentlich haben sie keine neue Taktik entwickelt«, grübelte der Erdmeister.
»Eine neue Taktik bringt ihnen nichts. Sie brauchen neue Waffen, und die haben sie offenbar nicht. Sonst hätten sie sie bereits eingesetzt.«
Geschützdonner drang durch den Schirm. Wo Energiestrahlen in den KFS fuhren, entstanden verwirrende Lichtkaskaden und Protuberanzen, die auf der Oberfläche des kompakten Energiefelds abgelenkt wurden.
»Wir müssen einen Gegenangriff in Erwägung ziehen«, schlug Steinsvig vor. »Der Tag wird kommen, an dem wir dazu gezwungen sind.«
»Sinnlos«, lehnte Lambert kategorisch ab. Er versprach sich keinen Erfolg von einer solchen Möglichkeit. Im Gegenteil würde er die Menschen, für die er die Verantwortung trug, zur Schlachtbank führen, wenn sie offen gegen die Eisläufer antraten. »Womit denn? Mit unseren paar Gleitern? Mit Bodenfahrzeugen? Die Riiin-Jäger werden uns wie Tontauben abschießen.«
»Wenn wir mit Mister Doorn nur mehr Erfolg bei unserer Suche nach der grünen Technologie gehabt hätten. Dann sähe die Sache anders aus.«
»Das tut sie aber nicht.« Lambert fuhr sich mit der Hand durch die schütteren Haare. »Spielen wir auf Zeit. Sie ist unser Verbündeter. Sobald die Synties Sol ausreichend aufgeheizt haben, können die Eisläufer auf der Erde nicht überleben und müssen abziehen.«
»Bis dahin können sie noch genug Schaden anrichten. Wenn sie gegen die Synties vorgehen, können wir den Energiewesen nicht beistehen.«
Lamberts Gesicht verfinsterte sich. »Malen Sie nicht den Teufel an die Wand, Erdmeister. Dhark wird mit der POINT OF über die Synties wachen.«
»Sie ist ein einzelnes Schiff gegen eine ganze Flotte.«
Der Türsummer unterbrach die Diskussion der beiden Männer. Der Kurator öffnete, und sein Sekretär Gordian trat ein.
»Die POINT OF ist in der Stadt eingetroffen«, erklärte Gordian. »Sie kam aus dem Boden und ist bei der Lagerhalle der Gäa-Jünger gelandet. Ren Dhark bittet um eine Besprechung mit Ihnen und dem Erdmeister, entweder dort oder hier. Er richtet sich ganz nach Ihnen.«
Steinsvig merkte auf. »Ich muß ohnehin mit meinen Leuten reden.«
Lambert nickte. »Einverstanden. Wir begeben uns zur Landestelle. Ich vermute, Dhark will über den Angriff sprechen.«
2.
Ren Dhark teilte dem Kurator, der mit Steinsvig zum Treffpunkt kam, die Erkenntnisse ohne große Umschweife mit. Beide Männer zeigten sich betroffen. Die Pigmentflecken in Lamberts Gesicht verliehen ihm wie üblich einen dämonischen Ausdruck, der im Widerspruch zu seinem ruhigen Wesen stand. Er blieb besonnen, als er die Stimme erhob.
»Wir leiten Gegenmaßnahmen ein, um den schlimmsten Fall zu verhindern.«
»Wie sollen die aussehen?« fragte einer der Jünger, von denen sich einige versammelt hatten. Dhark kannte den schlaksigen Mann als Arlo Guthrie. »Wenn es den Eisläufern erst einmal gelingt, den KFS zu sprengen, sind wir verloren.«
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