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Das Überleben in Toxx ist schwer genug - aber es wäre sinnlos, würden Matthew und Aruula jede Erinnerung an ihr früheres Leben verlieren. Um das zu verhindern, müssen sie unbedingt ihre Schutzanzüge zurück erlangen. Doch die befinden sich im Haus der Rebellengruppe, das garantiert von den Friedenswahrern überwacht wird. Können sie riskieren, es zu betreten? Sie müssen, denn anders kommen sie niemals zu dem "Babel-Turm", der im Zentrum von Toxx aufragt und ein Geheimnis birgt, das Matt entschlüsseln will ...
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Seitenzahl: 146
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Neuland
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BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Lektorat: Michael Schönenbröcher
Titelbild: Néstor Taylor/Bassol
Autor: Jo Zybell
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-1159-4
www.bastei-entertainment.de
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Am 8. Februar 2012 trifft der Komet „Christopher-Floyd“ die Erde – in Wahrheit eine Arche Außerirdischer, der Daa’muren. Die Erdachse verschiebt sich und ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die Menschheit ist – bis auf die Bunkerbewohner – degeneriert. In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, dessen Staffel beim Einschlag durch ein Zeitphänomen ins Jahr 2516 gerät. Nach dem Absturz wird er von Barbaren gerettet, die ihn „Maddrax“ nennen. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula erkundet er diese für ihn so fremde Erde. Bis sie beide durch ein Wurmloch, das sich im Forschungszentrum CERN gebildet hat, auf eine fremde Welt versetzt werden: auf einen von zwanzig Monden um einen Ringplaneten.
Bereits die Ankunft auf dem Mond Terminus ist mysteriös: Matt glaubt in einem Düsenjet gereist zu sein, Aruula in einem Langboot aus ihrer Heimat. Bei der Ankunft finden sie sich in einer länglichen Kapsel wieder, die Sekunden später zerfällt. Matts Laserpistole ist fort, ebenso Aruulas Schwert. Wer hat sie hierher gebracht, zu welchem Zweck? Und sind auch Xaana und Jacob Smythe, Matts Erzfeind, die zuvor durch das Wurmloch gingen, hier gelandet?
Sie machen sich auf zu einer Stadt am Horizont – und geraten sofort in die erste Gefahr: Ein fliegender Riesenfisch greift sie an. Die Szenerie wiederholt sich in Variationen dreimal, was aber nur Aruula dank ihrer telepathischen Kräfte auffällt. Sollen sie getestet werden?
In einem Waldgebiet werden sie von bizarren Fremdwesen überfallen, die ihnen Plättchen von den Fingernägeln entfernen, mit denen die „Friedenswahrer“, die Herren der Stadt Toxx, alle Neuankömmlinge markieren, um sie zu überwachen. Kaum überqueren sie die Stadtgrenze, können sie die Fremden verstehen: Über Toxx liegt ein Strahlungsfeld, das alle Sprachen übersetzt – und gleichzeitig dafür sorgt, dass man sein früheres Leben vergisst! Dass die Schutzanzüge, die sie vor den Auswirkungen des Wurmlochs bewahrt haben, sie auch vor dieser Strahlung schützen können, erfahren die beiden, als sie eine „Wolfsfrau“ finden, die Xaanas Anzug besitzt. Die Tochter von Matts Freundin Xij war also tatsächlich hier.
Die Gruppe, die Matt und Aruula überfallen hat, entpuppt sich als Rebellenorganisation, die versucht, den Herren, die noch niemand gesehen hat und die technisch hochstehend sind, möglichst viele Neuzugänge zu entziehen. Denn obwohl in Toxx Frieden herrscht, sind deren Methoden unmenschlich: Immer wieder werden Leute abgeholt und kehren mit gelöschten Persönlichkeiten zurück.
Matt will mehr über die Friedenswahrer erfahren, die in einem himmelhohen Turm im Zentrum der 10-Millionen-Stadt residieren sollen. Zuvor jedoch müssen er und Aruula ihre Anzüge zurückerlangen. Aber da schlagen die Friedenswahrer zu und heben das Rebellennest aus. Matt und Aruula können mit knapper Not entkommen und sind nun ganz auf sich allein gestellt …
Neuland
von Jo Zybell
Etwas lauerte, er spürte es doch. Warum sonst zitterten seine Nasenfühler, spannten sich seine Lefzen? Barr drückte die Außenpforte seines Quartiers hinter sich zu. Er spürte die Gefahr, noch bevor er sie sah, hörte oder roch. Kein Schatten, kein Geräusch, kein fremder Duft. Trotzdem verharrte Barr auf der untersten Stufe und lauschte zur oberen Ebene hinauf.
Die Stimmen der Genossen – sie fehlten! Sonst palaverten sie fast ständig, wenn auch meist nur tuschelnd. Dann erklangen Schritte und Dullis Ballonschädel tauchte am oberen Ende der Stiege auf. Die Lippen seines Schnabelmauls bewegten sich lautlos. Barr begriff sofort: Die Friedenswahrer! Sie waren hier!
Jede Nervenfaser in Barrs langem Körper schrie es ihm ins Gehirn: Sie sind hier! Das Quartier ist aufgeflogen, das Rebellenkommando erledigt! Die Arbeit vieler Umläufe war vergeblich gewesen.
Nein, das stimmte nicht. Jene Neuankömmlinge, denen sie die geheime Markierung abgenommen hatten, waren für die Friedenswahrer immer noch unauffindbar. Wenigstens das.
Dann blitzte es oben, wie zur Bestätigung seiner düsteren Einschätzung. Es zischte, Füße scharrten und trampelten. Dulli schrie wie aufgespießt und stürzte die Stufen herunter.
Barr wartete nicht, bis der Dicke unten ankam – blitzschnell sprang er unter die Stiege, drückte sich in eine der Höhlungen dort und lauschte. Geschrei und Getrampel auf der oberen Ebene rissen nicht ab; ein grelles Licht strahlte so grell die Stiege herunter, dass Barr seinen Schatten auf der Krummwand neben der Höhlung zittern sehen konnte. Der Schein erfasste Dulli, die bewusstlos am Boden lag – oder hatte er sich bei dem Sturz gar das Genick gebrochen?
Wie immer kamen die Greifer der Friedenswahrer von oben, aus dem meist wolkenlosen Himmel über Terminus. Man sah nichts von ihnen außer einem Schatten, und den auch nur aus nächster Nähe. Wie sie aussahen, wusste niemand – weil ihnen bislang niemand entkommen war, der es hätte berichten können. Wenn sie lediglich eine Person abholten, dauerte das Intermezzo nur wenige Ticks. Jetzt aber griffen sie sich seine ganze Truppe und waren dementsprechend länger präsent.
Es würde nicht lange dauern, bis sie sich auch in der unteren Etage des zweistöckigen Gebäudes umsehen würden. Und dann war auch er geliefert!
Barr riss sich zusammen, atmete tief ein und aus, konzentrierte sich auf den Durchgang in den nächsten Raum. Die Gier nach Freiheit und der Wille, eben diesen Willen zu behalten, halfen ihm, seine Angst zu überwinden: Er stieß sich aus der Höhlung ab, huschte tief geduckt über die Schwelle zum nächsten Wölbraum, riss den hohen Materialcontainer dort um und öffnete die ovale Luke dahinter.
Hinein in die Finsternis des Fluchttunnels!
Er musste seinen dürren und langen Körper schier zusammenfalten, um in der Enge des Schachts die Luke wieder zu schließen und zu verriegeln. Er tat es ohne Gewissensbisse: Keiner der Gefährten außer ihm und Dulli war dem ersten Zugriff der Friedenswahrer entkommen, und der fette Dulli – sofern er überhaupt noch lebte – passte nicht durch den Tunnel.
Nachdem er die Luke geschlossen hatte, hangelte er eine Kletterstange hinunter zu einer tieferen Ebene und einer zweiten Luke, die aus fingerdickem Stahl bestand. Er schlüpfte hindurch, schloss die Tür und rammte sämtliche Verschlüsse in die Bügel. Selbst wenn die Friedenswahrer den Fluchttunnel entdeckten – hier war für sie Endstation.
Mit ausgestreckten Armen und Klauen tastete sich Barr durch die Dunkelheit des Tunnels. Es roch erdig und muffig, die Luft war abgestanden, doch sein schmaler Brustkorb weitete sich vor Erleichterung, als er tief durchatmete. Noch mal davongekommen!
Gleichzeitig kam aber auch der Zorn wieder in ihm hoch. Den Neuzugängen war es zu verdanken, dass die Friedenswahrer ihr Versteck gefunden hatten, diesem Maddrax und seiner Freundin Aruula. Blauäugig hatten sie einen Kerl ins Haus geholt, dessen Persönlichkeit gelöscht worden war, nicht ahnend, dass sie die Herren damit hierher geführt hatten. Sie konnte man nur so dumm sein?
Barr verfluchte die beiden, denen es darüber hinaus als Einzigen neben ihm gelungen war, den Greifern zu entkommen, indem sie diesen Kellanato Phyrst wieder hinaus in die Stadt geschafft hatten. Oder waren die Friedenswahrer schneller gewesen und hatten auch sie geschnappt?
Egal. Jetzt musste er sich darum sorgen, möglichst schnell und möglichst tief unterzutauchen. Dieses Versteck war verloren. Nicht, dass es ihm ebenso erging …
Von violettem Gras umgeben, kauerten sie sich dicht an die grob strukturierte Fassade, zogen die Mäntel um ihre Schultern zusammen und beobachteten gemeinsam das Haus der Untergrundbewegung. Matt spürte, dass seine Nackenhärchen immer noch aufgerichtet waren vor Anspannung.
„Hast du den Schatten auf dem Dach gesehen?“, flüsterte Aruula. Sie trug eine Art Kapuzenanzug, hellgrau und aus weichem, wollartigen Stoff. Darüber eine rotbraune Weste und eine Art Schärpe als Gürtel. Er selbst war nicht weniger exotisch gekleidet. Doch immer noch besser, als nackt durch diese Stadt Toxx schleichen zu müssen. Die Schutzanzüge, mit denen sie hier angekommen waren, hatte Barrs Rebellentruppe ihnen abgenommen, um sie zu verhökern. Zur Deckung der Unkosten.
Matt nickte. „Gesehen ist übertrieben – irgendwas sauste zum Himmel empor. Ich frage mich, ob es eine Art Raumschiff war oder ob die Friedenswahrer die Teleportation beherrschen.“
„Die was?“
Er vergaß immer wieder, dass Aruula das Kind einer barbarischen Welt war und mit seinen Science-Fiction-Begriffen nichts anfangen konnte. „Eine Methode“, versuchte er es zu umschreiben, „in der man von einer Sekunde zur anderen an einen anderen Ort versetzt wird.“
Sie nickte. „Meinst du, sie haben die anderen mitgenommen?“
„Ich bin mir fast sicher, dass man sie dieser Persönlichkeitslöschung unterziehen wird, die Barr erwähnte. Natürlich nicht, ohne sie vorher über uns ausgefragt zu haben.“
„Und wir sind daran schuld.“ Aruula schlug die Augen nieder. „Kein guter Einstand in dieser fremde Welt.“
Matt Drax biss die Zähne zusammen. Diese sogenannten Friedenswahrer hatten Kellanato Phyrst als Lockvogel benutzt, um ihn und Aruula zu animieren, ihn ins Versteck der Untergrundgruppe zu schleppen. Bei der Ankunft auf diesem Mond waren sie von Phryst grundlos angegriffen worden und ihm später auf dem Markt wiederbegegnet, als er lammfromm und friedlich die Straße gesäubert hatte. Kein Zweifel, dass die Friedenswahrer ihn einkassiert und „resettet“ hatten.
„Bei den Rebellen hätten wir uns eh nicht mehr blicken lassen können“, sagte Aruula fatalistisch.
Matt Drax spähte wieder zu dem Gebäude hinüber, einem rechteckigen, zweistöckigen Kasten mit Flachdach. Passanten gingen, hoppelten, schlurften, sprangen oder schlichen an dem Haus vorbei. Keiner sah aus wie ein Mensch, dafür schienen etliche diversen Gruselfilmen entsprungen zu sein. Wie viele verschiedene Spezies mag es in einer Zehn-Millionen-Stadt wohl geben?, ging es ihm durch den Kopf.
„Wir müssen da rein“, sagte er. „Wir brauchen unsere Schutzanzüge.“
„Vor allem du.“ Aruula musterte ihn von der Seite und mit sorgenvoller Miene. „Ich kann mir das Vergessen mit meinem Lauschsinn ja halbwegs vom Leib halten, aber für dich sieht es nicht gut aus.“
Matt nickte grimmig. Vorhin hatte er sogar vergessen, wer Professor Dr. Jacob Smythe war, sein Erzfeind – und einer von zwei Erdbewohnern, die noch vor ihnen durch das Wurmloch auf diesen Mond gelangt sein mussten. Der oder vielmehr die andere war Xaana, die Tochter seiner alten Freundin Xij. Sie vor allem wollten sie finden.
Solange wenigstens Aruula sich an ihr gemeinsames früheres Leben erinnerte, war nicht alles verloren; so konnte sie auch seine Erinnerung auffrischen. Sie hatten herausgefunden, dass die Schutzanzüge die „Vergessens-Strahlung“, die über Toxx lag und gleichzeitig die Kommunikation unter allen Spezies ermöglichte, absorbieren konnten. Sie mussten sie wiederbekommen. Falls die Friedenswahrer sie nicht mitgenommen hatten. Aber das wollte er sich lieber nicht ausmalen.
Zwei eigenartige Figuren blieben drüben vor dem Rebellenversteck stehen; sie sahen aus wie aufrecht gehende und schwanzlose Salamander, die man in Hosen und Jacken gesteckt hatten. Auffällig unauffällig blickten sie sich um und tuschelten miteinander.
„Sieht so aus, als hätten sie vor, in das Gebäude einzudringen“, sagte Aruula.
Im nächsten Moment geschah es auch schon: Die beiden Aliens öffneten die Tür des Hauses.
Ein grelles Licht blitzte auf – und wie aus dem Nichts hüllte plötzlich eine schillernde, durchsichtige Blase die beiden ein. Matt hielt den Atem an. Was geschah da drüben?
Einem grell leuchtenden Balken gleich lief jetzt eine Art Stroboskoplicht von oben nach unten durch die Blase. Und schon im nächsten Moment löste das durchsichtige Gebilde sich wieder auf und gab die Salamanderartigen frei. Die schienen mächtig geschockt, denn sie hasteten in kopfloser Flucht davon, jeder in eine andere Richtung.
„Hast du das gesehen?“ Aruula packte den Stock, den sie von Barr bekommen hatte – Waffen wie Schwerter oder Pistolen waren in Toxx verboten – mit beiden Fäusten. Ihre Stimme zitterte.
„Ich bin ja nicht blind.“ Auch Matt war der Schreck in die Knochen gefahren. Er versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren, atmete den Schock weg, analysierte seine Wahrnehmung. „Diese Blase war mit Sicherheit kein Naturphänomen.“
„Eine Falle der Friedenswahrer, meinst du?“
„Eine Falle sogar, die sie einzig und allein für uns ausgelegt haben.“ Matt wurde es abwechselnd heiß und kalt. „Dieser Balken, der durch die Blase lief – damit wurden die beiden gescannt. Wenn wir darin gewesen wären, hätte sie sich bestimmt nicht aufgelöst, sondern uns bis zur Ankunft der Friedenswahrer festgehalten.“
„Dann sollten wir von hier verschwinden, Maddrax.“ Aruula hob ihren Stock, bog die hohen Halme mit den breiten Blättern zur Seite und spähte sie nach allen Seiten. „Aber wohin?“
Mit einer Kopfbewegung deutete Matt auf einen Torbogen zwei Häuser weiter, eine Hofeinfahrt vermutlich. Ein Streifen des grünbraunen Krauts wucherte bis an ihre Schwelle. In seiner Deckung und tief gebückt huschten sie dorthin.
Jeden Stein spürte Matt Drax unter seinen Sohlen. Von allem, was er am Körper trug, empfand er seine Stiefel am gewöhnungsbedürftigsten: Sie bestanden aus einem festen wollenen Stoff, einer Art Filz. Eigentlich waren es eher Socken als Stiefel. Er nahm sich vor, sie gelegentlich gegen festes Schuhwerk zu tauschen – sofern es das für menschliche Füße überhaupt gab. Vermutlich mussten bei der Artenvielfalt hier die meisten Kleidungsstücke maßgeschneidert werden.
Sie eilten über einen runden Hof, den eine Ansammlung von Fassaden unterschiedlichster Höhe und Länge umgab. Jedes der hellen Gebäude erschien Matt ohne Ecken und Kanten. Aus einem sehr kleinen und dreckigen Kasten streckte ein gelbliches Tier den langen Schädel heraus, bleckte große Zähne, spitzte lange Ohren und stimmte ein gellendes Pfeifkonzert an, das Matt durch und durch ging.
Offenbar war es tatsächlich nur ein Pfeifen, denn eine Sprache hätte das Translatorfeld übersetzt.
Sie hasteten mit Riesenschritten von anderthalb Metern einer Mauer entgegen. Die Schwerkraft war etwas geringer als auf der Erde; dieser Mond musste folglich kleiner sein oder seine Masse geringer.
Aruula sprang über eine krumme Mauer, Matt folgte ihr – in ein Areal voller spindelförmiger, dunkelblauer Gewächse, die ihm bis zur Schulter reichten und an Kohl erinnerten. Wurde hier Gemüse angepflanzt oder war das ein Ziergarten? Schwer zu sagen.
Der wolkenlose Himmel über der fremdartigen Metropole färbte sich bereits rot. Abendrot, dachte Matt. Es kam früher als auf der Erde; die Tage und Nächte waren hier kürzer. Er folgte Aruula auch über die nächste Mauer, durch den nächsten Garten und dann zur offenen Eingangspforte einer schiefen Bude aus demselben Baumaterial, das in ganz Toxx vorzuherrschen schien und das an mit Gips überzogene Leinentücher erinnerte.
Hier holte er seine Gefährtin ein und hielt sie an der Schulter zurück. „Moment! Sollten wir wirklich da eindringen?“
Sie sah ihn an. „Sieht irgendwie unbewohnt aus, meinst du nicht auch? Außerdem spüre ich keine lebenden Wesen darin.“
„Aber du hast mir selbst gesagt, dass du bei den meisten Rassen Schwierigkeiten hast, sie zu belauschen“, hielt er dagegen.
„Stimmt“, sagte sie. „Weil ihre Gehirne so anders sind. Aber es ist etwas anderes, ihre bloße Anwesenheit wahrzunehmen. Das klappt zwar auch nicht bei allen, aber doch bei den meisten dieser Wesen.“
Er überlegte kurz, wog die Risiken ab. „Okay“, sagte er dann. „Also weiter.“ Hinter ihr stieg er über eine ausgetretene Treppe in einen Kellerraum hinunter.
Gemeinsam verriegelten sie eine Tür hinter sich und tasteten sich Hand in Hand durchs Dämmerlicht, das durch ein paar Ritzen in Kopfhöhe in den Raum fiel. Sie fanden einen Haufen aus Stoff und Decken, ließen sie sich darauf nieder und verschnauften erst einmal.
Eine Zeitlang hockten sie dort, Arm in Arm und ohne ein Wort zu reden. Draußen dämmerte es, hier unten im Keller wurde es richtig finster, und zum ersten Mal seit der überhasteten Flucht aus dem Rebellenversteck fand Matt Ruhe und Zeit, seine Gedanken zu ordnen.
Über fünfzehn Jahre lang war er über eine postapokalyptische, fremde Erde gezogen, durch eine Welt, die nicht die seine war und an die er sich zwar gut angepasst, aber niemals wirklich gewöhnt hatte. Dieser Mond jedoch übertraf alles an Exotik und Fremdartigkeit, was er jemals erlebt hatte. „Neuland“, murmelte er und lachte bitter auf. „Völliges Neuland.“
„Was?“ Aruula schreckte hoch. Sie war schon eingenickt in seinem Arm.
„Nichts.“ Ihr Körper an seinem erschien ihm als verschwommener Schatten, so düster war es bereits in diesem Kellerloch. Doch er spürte ihn, und er fühlte sich warm und vertraut an. „Schlaf weiter.“
Etwas streifte den dünnen Stoff seiner Stiefel. Er blinzelte ins Halbdunkle. Umrisse eines dünnen und langen Tieres flitzten zur anderen Seite des Kellers. Und da, noch eines – es kam aus der Ecke, wo der Eingang lag, und huschte in die gleiche Richtung wie das erste Tier. Von ihnen weg. Also schienen sie nicht aggressiv oder gefährlich zu sein.
Aruula kuschelte sich in seinen Arm, dessen Hand auf ihrer Taille ruhte. Matt spürte ihre Brüste an seinen Rippen. Er hätte sie gern geküsst in diesem Moment, aber er gönnte ihr den Schlaf, den er sich selbst verbot. Zu riskant bei dem umherflitzenden Viehzeug.
Wo war er mit seinen Gedanken stehen geblieben? Neuland, genau.
Auf dem Mars war er schon gewesen – auch kein Ausflug der alltäglichen Sorte. Aber sonst hatte es ihn nie auf einen anderen Planeten verschlagen, oder gar auf den Mond eines anderen Planeten.
Wo mochte der Ringplanet, um den Terminus kreiste, seine Bahn ziehen? In welchem Spiralarm der Galaxis, in welchem Sonnensystem und wie viele Lichtjahre entfernt von der Erde? Oder gehörte dieses Planetensystem etwa zu einem ganz anderen Universum?
Im Grunde war es völlig gleichgültig – vorläufig jedenfalls. Jetzt ging es erst einmal darum, zu überleben. Und die Erinnerung an früher nicht zu verlieren, an sein Leben vor seiner Ankunft auf Terminus.