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Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. »Ungeheuer ist viel. Doch nichts ist ungeheurer als der Mensch.« Die unbeugsame Antigone widersetzt sich dem Befehl Kreons und zieht nachts vor die Tore, um die Leiche ihres Bruders zu begraben. – Sophokles beschreibt in den blutigen Ereignissen seiner Dramen die Gefahren menschlicher Freiheit innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung. Die vitale Vieldeutigkeit seiner Figuren, die zutiefst mitmenschlich sind und doch anmaßend alle Gesetze sprengen, war Vorbild für Bertolt Brecht, Igor Strawinski oder Carl Orff. Bis in die 1970er Jahre als politischer Widerstand inszeniert, sieht man in ›Antigone‹ seither vor allem den Geschlechterkampf.
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Seitenzahl: 68
Sophokles
Antigone
Drama
Aus dem Altgriechischen von K.W.F. Solger
Fischer e-books
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.
Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
ANTIGONE
ISMENE
KREON
HAIMON
EURYDIKE
TEIRESIAS
EIN WÄCHTER
EIN BOTE
EIN DIENER
CHOR THEBANISCHER GREISE
Vor dem königlichen Palast zu Theben. Antigone und Ismene treten auf
ANTIGONE
O teures, mitgebornes Haupt, Ismene, sprich,
Gedenkst du eines jener Wehn von Ödipus,
Das nicht in unserm Leben schon uns Zeus erfüllt?
Denn nichts Bejammernswertes, nichts Abscheuliches,
Nichts Schnödes, nichts Ehrloses bleibt, das nicht bereits
Ich ganz in meiner und in deiner Not gesehn!
Und welchen Ausruf, heißt es, hat nur heute noch
Die ganze Stadt durch unser Oberhaupt gesandt?
Wie? Weißt du mehr von diesem? Oder siehst du nicht
Der Feinde Bosheit nah heran den Lieben dräun?
ISMENE
Von unsern Lieben kam zu mir, Antigone,
Nicht süßes noch betrübtes Wort, seitdem beraubt
Der beiden Brüder beide wir geblieben sind,
Die hin an einem Tage schlug zwiefältge Faust.
Und seit in dieser letzten Nacht das argische
Kriegsheer dahinschwand, hab ich nichts vernommen mehr,
Mir nicht zu neuer Freude noch Bekümmernis.
ANTIGONE
Wohl wußt ich dies und rief dich dieserhalb heraus
Zum Tor des Vorhofs, dir allein es kundzutun.
ISMENE
Was ist’s? Ein tief aufwogend Wort doch sicherlich.
ANTIGONE
Hat unsrer Brüder Kreon den des Grabes nicht
Sogleich gewürdigt, aber den voll Schmach beraubt?
Denn zwar Eteokles hat er, wie man sagt, gerecht
Und guter Ordnung folgend, gleich in Erde wohl
Verhüllt, damit ihm Ehre bei den Toten sei;
Polyneikes’ elend umgekommnen Leib jedoch
Verbeut er, heißt es, unter Heroldsruf der Stadt
Zu klagen noch ins Grab zu tun; nein, diesen soll
Grablos sie lassen, unbeweint, zum süßen Fund
Den Vögeln, welche Fraßbegier herniedertreibt.
Dergleichen habe der edle Kreon, heißt es, dir
Und mir, auch mir ja, sag ich, angekündiget
Und kehre nochmals, allen noch Unkundigen
Es deutlich auszurufen, und betreibe nicht
Für nichts die Sache; sondern wer dagegen tut,
Dem droht des Steinwurfs herber Tod in offner Stadt.
Nun, so verhält sich dieses, und du zeigest bald,
Ob selbst du edel sprossest, ob von Guten schlecht.
ISMENE
Wie aber, Unglückselge, steht es so, vermag
Ich aufzuheben oder mehr zu gründen dies?
ANTIGONE
Sieh, ob du mit es wagen, mit angreifen willst.
ISMENE
Doch welches Wagstück? Sprich, worauf gerietest du?
ANTIGONE
Ob jenen Leib du neben dieser Hand entrückst.
ISMENE
Und den begraben willst du, den die Stadt versagt?
ANTIGONE
Ja, meinen Bruder und, du wollest oder nicht,
Den deinen; treulos will ich nicht befunden sein.
ISMENE
Unselge! Wider Kreons Strafverkündigung?
ANTIGONE
Nicht hält mich dieser von den Meinen je zurück.
ISMENE
O weh! Den Vater denke, Mitgeborne, doch,
Wie der verabscheut, schmachbehäuft daniederfiel,
In Greuelirrung selbstertappt und reißend sich
Mit selbstempörten Händen aus sein Augenpaar!
Drauf jen’, in einem Namen Weib und Mutter, bringt
Mit aufgewundnem Seile frech ihr Leben um;
Zum dritten tun die Gebrüder an demselben Tag
Unheilverblendet beide brudermörderisch
Mit Wechselhänden gleiches Todeslos sich an.
Nun aber wir allein Zurückgebliebne, sieh,
Wie schlimmsten Tod wir leiden, wenn wir ohne Recht
Der Herrscher Ausspruch und Gewalt beleidigen.
Bedenken mußt du nur zuerst, daß Weiber wir
Erwuchsen, gegen Männer nicht in Kampf zu gehn;
Dann aber, daß wir, untertan weit Stärkeren,
Dies hören müssen und sogar Betrübteres.
Ich also will, anflehend jen’ im Erdenschoß
Um ihre Nachsicht, weil ich hier gezwungen bin,
Der Oberherrschaft Lenkern Folge tun; dieweil
Sich über Kraft zu wagen nie Verstand beweist.
ANTIGONE
Auch fordr ich das mitnichten; auch, wenn selbst sogar
Du wolltest, ungern nahm ich dich zur Helferin.
Nein, handle, wie dir dünket. Ich begrabe den
Allein. Mit Freuden sterb ich dann nach dieser Tat.
Beim lieben Freunde lieg ich dann geliebt, dieweil
Heiligen Betrug ich übte; denn den Untern muß
Ich längre Zeit gefallen als den Hiesigen.
Denn immer lieg ich dort einmal. Du aber, wenn
Du meinst, entehre, was die Götter ehren, auch.
ISMENE
Es ist ja mir auch nicht verehrungslos; jedoch
Den Bürgern Trotz zu bieten, bin ich nicht gemacht.
ANTIGONE
Nimm diesen Vorwand. Aber ich will ungesäumt
Ein Grab dem teuren Bruder aufzuschütten gehn.
ISMENE
O weh des Elends! wie erbeb ich deinethalb!
ANTIGONE
Nicht beb um mich so! Sichre nur dein eignes Los!
ISMENE
Du wirst jedoch nicht andern dieses Werk zuvor
Kundtun? Verbirg es! Gern verschweig auch ich es tief.
ANTIGONE
Weh! Allen ruf es! Viel verhaßter wirst du mir
Nur schweigend werden als es laut verkündigend.
ISMENE
Sehr heiß erglüht dein Busen für Erkaltete.
ANTIGONE
Ich will genugtun, wem ich meist gefallen muß.
ISMENE
Ja, wenn es möglich. Du begehrst, was nie gelingt.
ANTIGONE
So werd ich, wenn ich’s nicht vermag, zurückgestürzt.
ISMENE
Auch nicht von Anfang jage man Unmögliches.
ANTIGONE
Durch solche Reden wirst du nicht nur mir verhaßt,
Nein, ganz mit Recht auch jenem Toten hassenswert.
Drum mich und meines Rates Unverständigkeit
Laß dieses Unheil leiden. Nichts erleid ich doch
So Böses, daß nicht edel mir zu sterben sei.
ISMENE
Nun, dünkt es dir, so eile. Wiß indes, du gehst
Sinnlos, als echte Freundin deinem Freund jedoch.
Beide ab. Der Chor tritt auf
Erste Strophe
CHOR
Strahl der Sonne, das schönste Licht,
So je hier in des Thebervolks
Siebentoriger Stadt erschien!
Du strahlst endlich, güldenen Tags
Augenlid, mir empor, herrlich
Dirkes Flutengeström betretend,
Dem Weißschildgen, welchen daher
Argos sandt in Waffengerät,
Schleunig in dahinstürzende Flucht
Abwärts schüttelnd den Zügel.
Der empor, von dem Zwist und dem Rechtswettstreit
Polyneikes’ erregt, auf unser Gebiet
Scharf schreiend daher, wie über das Land
Stürmend ein Aar, flog,
Mit dem Flügel beschirmt weißglänzenden Schnees,
Viel tragend der Wehr
Nebst mähnebefiederten Helmen.
Erste Gegenstrophe
Der ob unserem Dach mit blut-
Roten Lanzen umher den rings
Siebentorigen Mund umgähnt’,
Entwich, eh er unseres Bluts
Ganz den gierigen Schlund sättigt’,
Eh der ragenden Türm Umkränzung
In Pechglut Hephaistos gerafft.
So die Fers’ umgab mit des Kampfs
Tosendem Gewühl, gegenempört,
Schwer ankämpfend der Drache.
Denn prahlender Zung Aufblähn hört Zeus
Mit Verabscheun an. Drum weil er geschaut
Den heraneilenden Heerstromeserguß,
Goldtönend und voll hochmütiger Pracht,
Her schwang er die Glut auf den Kühnen, der hoch
An die Zinnen bereits,
Siegshall zu erheben, empordrang.
Zweite Strophe
Aber geschlagen entsank er daniedertaumelnd,
Welcher in rasender Wut und die Flamme schwenkend,
Im Rausch tobend, den Sturm
Uns herschnob feindseligen Hauchs.
Aber hier hob und dort
Wechselnd empor anderen Kampf Ares im Aufruhr,
Gleich hochvorragendem Streitroß.
Und die Sieben, um sieben umstrittene Tor’
Anstürmend der Mann auf den Mann, liehn dar
Dem besiegenden Zeus die gediegene Wehr.
Nur die, so gezeugt von demselbigen Mann
Und derselbigen Frau, haßwürdig zugleich
Zwei siegende Speer ausstreckten, betraf
Gleich tödliches Los in Gemeinschaft.
Zweite Gegenstrophe
Aber es kam ja die namengeschmückte Nike,
Gnadebegabend die wagenberühmte Thebe!
Drum werd heute dem Krieg
Auch nicht mehr Andenken gereicht.
Durch der Stadt Tempel nun
Wallet umhertanzend in Nachtreigen, und führ uns
Der Erschütterer Thebes, Jakchos!
Aber es naht schon der Beherrscher der Stadt,
Des Menoikeus Sohn uns, Kreon, bewegt
Durch neues Geschick, so die Götter gesandt,
Dorther, und er wälzt Ratschlüsse gewiß,
Weil eben daher zum Versammlungsort
Er die Greise berief,
Durch Heroldsruf es verkündend.
Kreon tritt auf
KREON
Ihr Männer, endlich hat der Götter Macht die Stadt
Aus viel empörten Wogen uns emporgelenkt.
Euch aber sammelt ganz allein aus allem Volk
Hier meine Botschaft, weil ich weiß, daß Laios’
Machtvolle Thronen allezeit ihr treu verehrt,
Dann aber, während Ödipus die Stadt gelenkt,
Und da auch der verstorben, bei der Söhne Reich
In solcher Denkart bliebet unerschütterlich.
Da durch ein zwiefach Todeslos auch diese nun
An einem Tag hinsanken, selbst sich treffend und
Getroffen durch der Bruderhand Besudelung,
Sind mein die Thronen jetzo nebst der Obermacht
Um jener Toten nächste Blutsgenossenschaft.
Unmöglich freilich spähst du nun an jedem Mann
Gemüt und Denkart und Verstand recht aus, bevor
Ihn Amt und Herrscherwürde wohlgeprüft erwies.
Denn wer, zum Lenker eingesetzt der ganzen Stadt,
Nicht stets den besten Ratbeschluß ergreifen mag
Und aus Verzagtheit seine Zung einschließend birgt,
Der scheinet jetzt unwürdig mir und lange schon.
Und welcher andre Freunde je noch höher hält
Als sein Geburtsland, keines Werts eracht ich den.
Denn ich – vernehm es Zeus, der stets Allschauende –,