Antigone - Sophokles - E-Book

Antigone E-Book

- Sophokles

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Beschreibung

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. »Ungeheuer ist viel. Doch nichts ist ungeheurer als der Mensch.« Die unbeugsame Antigone widersetzt sich dem Befehl Kreons und zieht nachts vor die Tore, um die Leiche ihres Bruders zu begraben. – Sophokles beschreibt in den blutigen Ereignissen seiner Dramen die Gefahren menschlicher Freiheit innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung. Die vitale Vieldeutigkeit seiner Figuren, die zutiefst mitmenschlich sind und doch anmaßend alle Gesetze sprengen, war Vorbild für Bertolt Brecht, Igor Strawinski oder Carl Orff. Bis in die 1970er Jahre als politischer Widerstand inszeniert, sieht man in ›Antigone‹ seither vor allem den Geschlechterkampf.

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Sophokles

Antigone

Drama

Aus dem Altgriechischen von K.W.F. Solger

Fischer e-books

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.

Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.

Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.

Personen

ANTIGONE

ISMENE

KREON

HAIMON

EURYDIKE

TEIRESIAS

EIN WÄCHTER

EIN BOTE

EIN DIENER

CHOR THEBANISCHER GREISE

Vor dem königlichen Palast zu Theben. Antigone und Ismene treten auf

 

ANTIGONE

O teures, mitgebornes Haupt, Ismene, sprich,

Gedenkst du eines jener Wehn von Ödipus,

Das nicht in unserm Leben schon uns Zeus erfüllt?

Denn nichts Bejammernswertes, nichts Abscheuliches,

Nichts Schnödes, nichts Ehrloses bleibt, das nicht bereits

Ich ganz in meiner und in deiner Not gesehn!

Und welchen Ausruf, heißt es, hat nur heute noch

Die ganze Stadt durch unser Oberhaupt gesandt?

Wie? Weißt du mehr von diesem? Oder siehst du nicht

Der Feinde Bosheit nah heran den Lieben dräun?

ISMENE

Von unsern Lieben kam zu mir, Antigone,

Nicht süßes noch betrübtes Wort, seitdem beraubt

Der beiden Brüder beide wir geblieben sind,

Die hin an einem Tage schlug zwiefältge Faust.

Und seit in dieser letzten Nacht das argische

Kriegsheer dahinschwand, hab ich nichts vernommen mehr,

Mir nicht zu neuer Freude noch Bekümmernis.

ANTIGONE

Wohl wußt ich dies und rief dich dieserhalb heraus

Zum Tor des Vorhofs, dir allein es kundzutun.

ISMENE

Was ist’s? Ein tief aufwogend Wort doch sicherlich.

ANTIGONE

Hat unsrer Brüder Kreon den des Grabes nicht

Sogleich gewürdigt, aber den voll Schmach beraubt?

Denn zwar Eteokles hat er, wie man sagt, gerecht

Und guter Ordnung folgend, gleich in Erde wohl

Verhüllt, damit ihm Ehre bei den Toten sei;

Polyneikes’ elend umgekommnen Leib jedoch

Verbeut er, heißt es, unter Heroldsruf der Stadt

Zu klagen noch ins Grab zu tun; nein, diesen soll

Grablos sie lassen, unbeweint, zum süßen Fund

Den Vögeln, welche Fraßbegier herniedertreibt.

Dergleichen habe der edle Kreon, heißt es, dir

Und mir, auch mir ja, sag ich, angekündiget

Und kehre nochmals, allen noch Unkundigen

Es deutlich auszurufen, und betreibe nicht

Für nichts die Sache; sondern wer dagegen tut,

Dem droht des Steinwurfs herber Tod in offner Stadt.

Nun, so verhält sich dieses, und du zeigest bald,

Ob selbst du edel sprossest, ob von Guten schlecht.

ISMENE

Wie aber, Unglückselge, steht es so, vermag

Ich aufzuheben oder mehr zu gründen dies?

ANTIGONE

Sieh, ob du mit es wagen, mit angreifen willst.

ISMENE

Doch welches Wagstück? Sprich, worauf gerietest du?

ANTIGONE

Ob jenen Leib du neben dieser Hand entrückst.

ISMENE

Und den begraben willst du, den die Stadt versagt?

ANTIGONE

Ja, meinen Bruder und, du wollest oder nicht,

Den deinen; treulos will ich nicht befunden sein.

ISMENE

Unselge! Wider Kreons Strafverkündigung?

ANTIGONE

Nicht hält mich dieser von den Meinen je zurück.

ISMENE

O weh! Den Vater denke, Mitgeborne, doch,

Wie der verabscheut, schmachbehäuft daniederfiel,

In Greuelirrung selbstertappt und reißend sich

Mit selbstempörten Händen aus sein Augenpaar!

Drauf jen’, in einem Namen Weib und Mutter, bringt

Mit aufgewundnem Seile frech ihr Leben um;

Zum dritten tun die Gebrüder an demselben Tag

Unheilverblendet beide brudermörderisch

Mit Wechselhänden gleiches Todeslos sich an.

Nun aber wir allein Zurückgebliebne, sieh,

Wie schlimmsten Tod wir leiden, wenn wir ohne Recht

Der Herrscher Ausspruch und Gewalt beleidigen.

Bedenken mußt du nur zuerst, daß Weiber wir

Erwuchsen, gegen Männer nicht in Kampf zu gehn;

Dann aber, daß wir, untertan weit Stärkeren,

Dies hören müssen und sogar Betrübteres.

Ich also will, anflehend jen’ im Erdenschoß

Um ihre Nachsicht, weil ich hier gezwungen bin,

Der Oberherrschaft Lenkern Folge tun; dieweil

Sich über Kraft zu wagen nie Verstand beweist.

ANTIGONE

Auch fordr ich das mitnichten; auch, wenn selbst sogar

Du wolltest, ungern nahm ich dich zur Helferin.

Nein, handle, wie dir dünket. Ich begrabe den

Allein. Mit Freuden sterb ich dann nach dieser Tat.

Beim lieben Freunde lieg ich dann geliebt, dieweil

Heiligen Betrug ich übte; denn den Untern muß

Ich längre Zeit gefallen als den Hiesigen.

Denn immer lieg ich dort einmal. Du aber, wenn

Du meinst, entehre, was die Götter ehren, auch.

ISMENE

Es ist ja mir auch nicht verehrungslos; jedoch

Den Bürgern Trotz zu bieten, bin ich nicht gemacht.

ANTIGONE

Nimm diesen Vorwand. Aber ich will ungesäumt

Ein Grab dem teuren Bruder aufzuschütten gehn.

ISMENE

O weh des Elends! wie erbeb ich deinethalb!

ANTIGONE

Nicht beb um mich so! Sichre nur dein eignes Los!

ISMENE

Du wirst jedoch nicht andern dieses Werk zuvor

Kundtun? Verbirg es! Gern verschweig auch ich es tief.

ANTIGONE

Weh! Allen ruf es! Viel verhaßter wirst du mir

Nur schweigend werden als es laut verkündigend.

ISMENE

Sehr heiß erglüht dein Busen für Erkaltete.

ANTIGONE

Ich will genugtun, wem ich meist gefallen muß.

ISMENE

Ja, wenn es möglich. Du begehrst, was nie gelingt.

ANTIGONE

So werd ich, wenn ich’s nicht vermag, zurückgestürzt.

ISMENE

Auch nicht von Anfang jage man Unmögliches.

ANTIGONE

Durch solche Reden wirst du nicht nur mir verhaßt,

Nein, ganz mit Recht auch jenem Toten hassenswert.

Drum mich und meines Rates Unverständigkeit

Laß dieses Unheil leiden. Nichts erleid ich doch

So Böses, daß nicht edel mir zu sterben sei.

ISMENE

Nun, dünkt es dir, so eile. Wiß indes, du gehst

Sinnlos, als echte Freundin deinem Freund jedoch.

Beide ab. Der Chor tritt auf

Erste Strophe

CHOR

Strahl der Sonne, das schönste Licht,

So je hier in des Thebervolks

Siebentoriger Stadt erschien!

Du strahlst endlich, güldenen Tags

Augenlid, mir empor, herrlich

Dirkes Flutengeström betretend,

Dem Weißschildgen, welchen daher

Argos sandt in Waffengerät,

Schleunig in dahinstürzende Flucht

Abwärts schüttelnd den Zügel.

Der empor, von dem Zwist und dem Rechtswettstreit

Polyneikes’ erregt, auf unser Gebiet

Scharf schreiend daher, wie über das Land

Stürmend ein Aar, flog,

Mit dem Flügel beschirmt weißglänzenden Schnees,

Viel tragend der Wehr

Nebst mähnebefiederten Helmen.

Erste Gegenstrophe

Der ob unserem Dach mit blut-

Roten Lanzen umher den rings

Siebentorigen Mund umgähnt’,

Entwich, eh er unseres Bluts

Ganz den gierigen Schlund sättigt’,

Eh der ragenden Türm Umkränzung

In Pechglut Hephaistos gerafft.

So die Fers’ umgab mit des Kampfs

Tosendem Gewühl, gegenempört,

Schwer ankämpfend der Drache.

Denn prahlender Zung Aufblähn hört Zeus

Mit Verabscheun an. Drum weil er geschaut

Den heraneilenden Heerstromeserguß,

Goldtönend und voll hochmütiger Pracht,

Her schwang er die Glut auf den Kühnen, der hoch

An die Zinnen bereits,

Siegshall zu erheben, empordrang.

Zweite Strophe

Aber geschlagen entsank er daniedertaumelnd,

Welcher in rasender Wut und die Flamme schwenkend,

Im Rausch tobend, den Sturm

Uns herschnob feindseligen Hauchs.

Aber hier hob und dort

Wechselnd empor anderen Kampf Ares im Aufruhr,

Gleich hochvorragendem Streitroß.

Und die Sieben, um sieben umstrittene Tor’

Anstürmend der Mann auf den Mann, liehn dar

Dem besiegenden Zeus die gediegene Wehr.

Nur die, so gezeugt von demselbigen Mann

Und derselbigen Frau, haßwürdig zugleich

Zwei siegende Speer ausstreckten, betraf

Gleich tödliches Los in Gemeinschaft.

Zweite Gegenstrophe

Aber es kam ja die namengeschmückte Nike,

Gnadebegabend die wagenberühmte Thebe!

Drum werd heute dem Krieg

Auch nicht mehr Andenken gereicht.

Durch der Stadt Tempel nun

Wallet umhertanzend in Nachtreigen, und führ uns

Der Erschütterer Thebes, Jakchos!

Aber es naht schon der Beherrscher der Stadt,

Des Menoikeus Sohn uns, Kreon, bewegt

Durch neues Geschick, so die Götter gesandt,

Dorther, und er wälzt Ratschlüsse gewiß,

Weil eben daher zum Versammlungsort

Er die Greise berief,

Durch Heroldsruf es verkündend.

Kreon tritt auf

KREON

Ihr Männer, endlich hat der Götter Macht die Stadt

Aus viel empörten Wogen uns emporgelenkt.

Euch aber sammelt ganz allein aus allem Volk

Hier meine Botschaft, weil ich weiß, daß Laios’

Machtvolle Thronen allezeit ihr treu verehrt,

Dann aber, während Ödipus die Stadt gelenkt,

Und da auch der verstorben, bei der Söhne Reich

In solcher Denkart bliebet unerschütterlich.

Da durch ein zwiefach Todeslos auch diese nun

An einem Tag hinsanken, selbst sich treffend und

Getroffen durch der Bruderhand Besudelung,

Sind mein die Thronen jetzo nebst der Obermacht

Um jener Toten nächste Blutsgenossenschaft.

Unmöglich freilich spähst du nun an jedem Mann

Gemüt und Denkart und Verstand recht aus, bevor

Ihn Amt und Herrscherwürde wohlgeprüft erwies.

Denn wer, zum Lenker eingesetzt der ganzen Stadt,

Nicht stets den besten Ratbeschluß ergreifen mag

Und aus Verzagtheit seine Zung einschließend birgt,

Der scheinet jetzt unwürdig mir und lange schon.

Und welcher andre Freunde je noch höher hält

Als sein Geburtsland, keines Werts eracht ich den.

Denn ich – vernehm es Zeus, der stets Allschauende –,