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Seitenzahl: 98
Sophokles
Antigone
Lektüreschlüssel XL für Schülerinnen und Schüler
Von Theodor Pelster
Reclam
Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe:
Sophokles: Antigone. Übers. von Kurt Steinmann. Hrsg. von Mario Leis und Nancy Hönsch. Stuttgart: Reclam, 2016 [u. ö.]. (Reclam XL. Text und Kontext, 19244.)
Diese Ausgabe des Werktextes ist seiten- und zeilengleich mit der in Reclams Universal-Bibliothek Nr. 19075.
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Lektüreschlüssel XL | Nr. 15483
2018 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2018
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961388-8
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015483-0
www.reclam.de
Antigone, die thebanische Königstocher, ist eine der berühmtesten Frauenfiguren der europäischen Theatergeschichte. Ihr Leitspruch »Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da«, aus der Mitte des Dramentextes entnommen, hat immer wieder Beifall gefunden und gehört zum Zitatenschatz der europäischen Kulturgeschichte.1
Die ThematikTragödie des Sophokles, in deren Mittelpunkt Antigone steht, handelt von einer Staatskrise, in der sich Antigone, die Tochter des verbannten Königs Ödipus, entgegen den Anordnungen des neuen Königs für die Bestattung des Bruders einsetzt und sich dabei auf ein höheres göttliches Recht beruft, das den vom Staat erlassenen Anordnungen überlegen sei. Es geht also um Macht und Recht, um eingeforderten Gehorsam und das Recht auf Widerstand gegen herrscherliche Willkür.
Antigone und ihre Geschwister Ismene, Polyneikes und Eteokles sind Gestalten aus der griechischen Der thebanische SagenkreisSagenwelt. Theben, die Hauptstadt Böotiens, einst Mittelpunkt eines Königreichs, heute ein kleines bescheidenes Landstädtchen, ist ihre Heimat. Ihre Eltern sind Ödipus, der aus Theben vertriebene Tyrann, und dessen Gattin Iokaste, die sich selbst das Leben nahm, als die Untaten ihres Mannes bekannt wurden. Die ganze Familiengeschichte gehört zum sogenannten thebanischen Sagenkreis.
Diese Sagen aus geschichtlicher Vorzeit waren die Hauptstoffquelle für die Dramatiker in Athens Blütezeit. Wichtigster Schauplatz für ihre Dramen war Athens Das Dionysostheater in AthenDionysostheater. Hier erfuhren die meisten der uns überlieferten Tragödien ihre erste Aufführung. Die Athener feierten in der zweiten Hälfte des Monats März drei Tage lang ihr wichtigstes Fest: die großen Dionysien. An jedem dieser Tage wurden drei Tragödien und, daran anschließend, ein Satyrspiel aufgeführt. Die Aufführungen begannen am frühen Morgen und zogen sich über den Tag hin.
Drei Tragödiendichter fanden schon in der Antike höchste Anerkennung und gelten auch heute noch als Klassiker: Aischylos, Sophokles und Euripides. Der Tragödiendichter SophoklesSophokles, der mittlere, der nach eigenen Aussagen von Aischylos lernte und später in Euripides einen Konkurrenten erhielt, wurde 497 oder 496 v. Chr. in Athen geboren und starb in seiner Heimatstadt im Jahr 406 oder 405 v. Chr. Insgesamt schrieb er 123 Dramen. Davon sind sieben Tragödien vollständig erhalten. Sie waren schon in der Antike zu einer besonders anerkannten Auswahl zusammengefasst. Die Tragödie Antigone gehört ebenso wie König Ödipus und Ödipus auf Kolonos, weitere Werke des Dichters Sophokles, stofflich zum thebanischen Sagenkreis, der Bedeutung nach zum klassischen Repertoire altgriechischer Tragödiendichtung – und damit zum literarischen Weltkulturerbe.
Aktuell oder antiquiert?Trotzdem ist die Frage berechtigt, ob eine Tragödie, die aller Wahrscheinlichkeit nach im Jahre 442 v. Chr. im alten Griechenland aufgeführt wurde und einen Stoff behandelt, der damals schon uralt war, das Interesse von Zuschauern und Lesern des 21. Jahrhunderts beanspruchen kann. Zugespitzt lautet die Frage, ob das, was in diesen Stücken geboten wird, noch in irgendeiner Weise aktuell oder längst antiquiert ist.
Die Personen, die in der Tragödie Antigone aufeinandertreffen, sind Bürger einer Stadt beziehungsweise eines Stadtstaates. Sie leben in einer Krisenzeit und haben alle ihre eigenen Konflikte zu lösen. In problematischen Situationen haben sie Entscheidungen zu treffen, für die sie Begründungen suchen und die sie vor anderen rechtfertigen müssen. Als führende Politiker auf der einen Seite und als gelenkte Bürger auf der andern stehen sie vor den konkreten Grundfragen der PolitikFragen: Was darf der Staat von dem einzelnen Bürger verlangen? Welche Pflichten haben die Bürger gegenüber dem Staat? Wo sind die Grenzen der Selbstbestimmung des Einzelnen, und wo sind die Grenzen der Verfügungsgewalt des Staates? Jede einzelne Frau – hier vor allem: Antigone und Ismene – und jeder einzelne Mann – hier vor allem Kreon, der Herrscher, und Haimon, sein Sohn – haben zu fragen: Was soll ich tun? Und: Was ist die Grundlage meines Tuns?
Diese Fragen werden in dem Drama gestellt, jedoch nicht endgültig beantwortet. Die Konflikte lösen sich nicht wohlgefällig auf; die auf die Bühne gebrachte Geschichte endet tragisch: Kein Grund zur Resignation, sondern Aufforderung zur produktiven Auseinandersetzung!
Eine Entscheidung kann das Theater- und Lesepublikum erst treffen, wenn es sich gründlich mit dem Werk auseinandergesetzt hat. Dabei hat es der Betrachter im Theater sicherlich leichter, da ihm das Stück für gewöhnlich in einer Inszenierung nahegebracht wird, die Wert darauf legt, Interesse zu wecken. Vom Leser werden größere Anstrengungen erwartet.
Ein wichtiger Grund, sich mit dem übersetzten Text einer klassischen griechischen Tragödie zu beschäftigen, ist sicherlich auch darin zu sehen, dass das griechische Theater die gesamte Die Tradition des europäischen TheatersTradition des europäischen Theaters begründet. Wer die Geschichte dramatischer Dichtung kennenlernen will, muss bei den Ursprüngen in der Antike beginnen. Nur so wird er das jeweils Neue und Moderne angemessen einschätzen können.
Bei einer historisierenden Betrachtung darf es jedoch nicht bleiben, wenn man dem Vorwurf entgehen will, einen insgesamt überflüssigen Museumsbesuch in einem Antikensaal mit zufällig erhaltenen Marmorfiguren absolviert zu haben. Es gilt vielmehr, die Herausforderung zur Diskussion anzunehmen, die in den Texten angelegt ist und die sich über Jahrhunderte erhalten hat: »Irgend etwas muss schon dran sein an dem, was geblieben ist … hundert Jahre … tausend Jahre. Etwas, woraus sich wohl doch lernen lässt.«2
Das tragische Ende der Antigone ist Teil der Familiengeschichte, in deren Mittelpunkt Thebens Herrscher Laios und Ödipus stehen. Ohne Kenntnis der Vorgeschichte sind die Zusammenhänge des tragischen Geschehens kaum zu verstehen.
Theben, die reiche Hauptstadt Böotiens, wurde im Auftrag der Götter von Kadmos gegründet. Einer seiner Enkel, Labdakos, übergab die Herrschaft an Die Vorgeschichte: Laios, Ödipus, IokasteLaios, der den Zorn der Götter erregte, als er den Sohn eines Königs entführte. Deshalb war ihm vom Delphischen Orakel angekündigt worden, dass er einst von seinem eigenen Sohn umgebracht werde. Laios glaubte dem Schicksal dadurch entgehen zu können, dass er das Kind, das seine Frau Iokaste zur Welt brachte, aussetzen ließ, nachdem diesem vorher die Füße durchstochen wurden. Doch dieses Kind wurde von einem Hirten gerettet und dem kinderlosen Herrscherpaar in Korinth anvertraut. Hier wuchs es unter dem Namen Oidipus (Schwellfuß) auf.
Als dem Herangewachsenen Zweifel kommen, ob er der leibliche Sohn seiner Eltern ist, Die Vorhersehungbefragt er seinerseits das Delphische Orakel und erhält den Hinweis, er werde seinen Vater töten und seine Mutter heiraten. Um das zu vermeiden, beschließt er, nicht nach Korinth zurückzukehren. Als er auf fremdem Boden in einen Streit verwickelt wird, den er siegreich für sich besteht, indem er seinen Gegner erschlägt, ahnt er nicht, dass damit ein Teil der Prophezeiung erfüllt ist.
Sein Weg führt ihn nach Theben, wo eine Sphinx, ein sagenhaftes Unwesen, die Stadt bedroht. Ödipus befreit die Stadt, wird als Retter gefeiert, der die Geschicke des Gemeinwesens führen soll, da der Thron seit kurzer Zeit verwaist ist. Er übernimmt die Herrschaft, heiratet die verwitwete Königin Iokaste und zeugt mit ihr vier Kinder: Antigone, Ismene, Polyneikes und Eteokles.
Abb. 1: Stammbaum der Antigone
Dann wird Theben von der Pest befallen. Das Delphische Orakel erklärt, die Stadt werde erst von dieser Pest befreit, wenn der Mord an König Laios, dem Vorgänger des Ödipus, aufgeklärt sei. Die Untersuchungen ergeben, dass Ödipus unwissentlich seinen eigenen Vater erschlagen hat, als er auf dem Rückweg vom Delphischen Orakel mit einem adligen Herrn in Streit geriet, der ihn vom Weg treiben ließ. Nun ist auch klar, dass Iokaste, die Gattin seines Vorgängers, zugleich seine Mutter und seine Gemahlin ist.
Als Iokaste diese Schmach erfährt, erhängt sie sich. Ödipus sticht sich die Augen aus und lässt sich in die Verbannung schicken. Kreon, der Schwager von Ödipus, übernimmt die Regierungsgeschäfte bis Polyneikes und Eteokles alt genug sind, um zu herrschen. Dann aber geraten die beiden in Streit, Eteokles behauptet sich. Polyneikes geht nach Argos, sammelt Truppen und zieht gegen Theben, um die Stadt für sich zu gewinnen. Im Zweikampf fallen beide. Kreon und die Kinder des ÖdipusKreon, der Bruder der Iokaste und Onkel von deren Kindern, übernimmt nun als der einzig Nachfolgeberechtigte die Herrschaft in Theben. Seine ersten Verfügungen betreffen die Frage, wie mit den Gefallenen, den beiden Söhnen des Ödipus, nämlich Polyneikes und Eteokles, umzugehen sei. Den einen ächten, den anderen ehrenvoll bestatten? Antigone und Ismene, die Schwestern der Toten, sind von der Verordnung unmittelbar betroffen. Mit einem Dialog der Schwestern beginnt die gespielte Handlung.
Abb. 2: Eteokles und Polyneikes
Ölgemälde von Giovanni Battista Tiepolo, ca. 1725–30
Antigone, die Tochter des Ödipus, erinnert ihre Schwester Ismene an die Schicksalsschläge, die diese Familie – vor allem Ödipus und seine Gattin Iokaste – erlitten hat, und bereitet Ismene auf eine neue Herausforderung vor: Kreons Gebot Kreon, »des Heeres Führer« (V. 8), ihr gemeinsamer Onkel, habe verkündet (V. 8), dass von den beiden Brüdern, die um die Stadt Theben gekämpft haben und dabei gefallen sind, der eine – Eteokles – als Verteidiger Thebens mit Ehren bestattet werden solle. Den anderen aber – Polyneikes, Verräter und Feind der Stadt – »solle keiner / im Grabe bergen und bejammern« (V. 27). Dem, der dieses Gebot (V. 31) übertrete, drohe Tod durch »Steinigung« (V. 36). Antigones ReaktionAntigone fühlt sich verpflichtet, entgegen diesem Verbot Polyneikes die letzte Ehre zu erweisen: »Schön ist mir nach solcher Tat der Tod« (V. 72); sie kann jedoch Ismene nicht zur Mithilfe überreden. Diese will sich »denen, die im Staat das Sagen haben« (V. 67) fügen, fühlt sich auch als Frau zu schwach, um gegen ein Männerwort anzugehen, und möchte nicht ein weiteres Glied in der Leidenskette der Familie werden. Antigone dagegen fühlt sich »denen drunten« (V. 75), also den Verstorbenen und dem Gott des Hades, mehr verpflichtet »als denen hier« (V. 75), auch wenn diese Herrscher über die Stadt sind, und bleibt bei ihrem Plan.
Das Gespräch findet vor dem Haus der Königsfamilie am Morgen (V. 103) statt – unmittelbar nach der Nacht, in der Eteokles und Polyneikes gefallen sind (V. 13) und Kreon als der neue »Führer« (V. 8) die Herrschaft angetreten hat. Die gesamte folgende Handlung wird vor diesem Haus an dem nun folgenden Tag gespielt.
Angesichts der aufgehenden Der Sonnengesang der Thebaner