Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Antiker Reiseführer: Die römische Kaiserstadt an der Donau, mit den Augen des Bernsteinhändlers Livinius Cordinus Rutilius. Drei Kaiser kommen in Carnuntum zu einer Konferenz zusammen. Sie beginnt am 11. November des Jahres 308. Es geht um nichts Geringeres als den Fortbestand des Römischen Reiches. Immer mehr Bürger wenden sich innerlich von Rom ab und der verbotenen Religion zu, dem Christentum. Bereits drei von vier Legionssoldaten stammen von außerhalb der Reichsgrenzen. Die Verweichlichung des Volkes ist nicht länger zu ignorieren. Die Moral, auch in sexueller Hinsicht, lässt zu wünschen übrig. Nach römischem Recht ist die Frau nicht Eigentümerin ihres Körpers. Aber so mancher Ehemann wirft ein blindes Auge auf ihr Verhalten. Ja, auch kritische Töne enthalten die alltäglichen Schilderungen des Bernsteinhändlers Livinius Cordinus Rutilius. Aus einer Epoche, die eine Grab-Inschrift so skizziert: "Bäder, Weine, Liebe richten unseren Körper zugrunde, aber sie machen das Leben aus – Bäder, Weine, Liebe."
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 131
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Lieben, leben und sterben in
CARNUNTUM
Die Kaiserstadt mit den Augen des
Bernsteinhändlers Livinius Cordinus Rutilius
Antiker Reiseführer
Plus: Historisches Pannonien heute
Von Imre Kusztrich
Impressum
IGK-Verlag, 7100 Neusiedl/Österreich
www.igk-verlag.com
Lieben, leben und sterben in CARNUNTUM
Antiker Reiseführer
März 2012
Imre Kusztrich
Copyright: © 2012 IGK-Verlag
Carnuntum-Fotos, Carnuntum-Logo: © Archäologischer Park Carnuntum
ISBN 978-3-9503215-1-7
Mit der erlaubten Freizügigkeit der Schriftstellerei entsteht vor unseren staunenden Augen auf den folgenden Seiten ein Abbild jener Stadt, in der sich das Schicksal des Römischen Reiches fortwährend entschied. Nirgendwo drängten die Völkerstämme des Nordens vehementer nach Süden als da, wo an der Donau der alte Handelsweg für Bernstein auf den Limes stieß. Denn zum lockenden Reichtum Norditaliens war keine Route kürzer und besser als jene über Carnuntum.
In den uns von seinem Schreibsklaven überlieferten Briefen und Aufzeichnungen des Bernsteinhändlers Livinius Cordinus Rutilius spiegeln sich der Scharfblick eines Chronisten, die Weitsicht eines Philosophen, aber auch die Demut eines Menschen im Bewusstsein seiner Begierden und Schwächen wider.
Zur Beschreibung der Legionsstadt nimmt er uns an die Hand an jenem Novembertag anno 308, der vier Imperatoren – einen abgedankten, zwei herrschende und einen durch sie ins höchste Amt zu berufenden - nach beschwerlicher Anreise von ihren Domizilen aus Ost und West zu einer auf vier Wochen angesetzten Konferenz zusammenführt. In den Beschlüssen von Carnuntum wird es um nichts Geringeres gehen, als durch weise Maßnahmen die Macht wieder in starke Hände zu legen und den Fortbestand des Römischen Reichs zu sichern.
Auch diese Frage interessiert den Chronisten: Was wird die Zukunft den hier Lebenden bringen? Geprägt wird sie zweifellos sein von der Religion der Christen, zu der sich immer mehr Bürger bekennen, trotz der Androhung von Folter und Tod. Bedroht wird sie durch raffinierte und überraschende Kampfmethoden neuer Gegner zu Lande und zur See. Und gefährdet durch die versuchte Assimilierung von Nomaden und das gleichzeitige Gegeneinander-Ausspielen fremder Völkerstämme.
Schon heute, an ihren Bürgern, können die Imperatoren warnende Zeichen der Zeit erkennen. Das unleugbare Fortschreiten der Verweichlichung ihres Volkes kann auf der Kaiser-Konferenz nicht unbeantwortet bleiben. Sonst ist für ihre Untertanen der Weg vorgezeichnet in den Worten auf der Gedenktafel für Tiberius Claudius Secundus. Dieser Freigelassene aus dem Hofstaat jenes Kaisers, dessen Namen er in Dankbarkeit angenommen hat, verstarb mit zweiundfünfzig Jahren. Seine Gefährtin Merone ließ diese Lettern in den Stein schlagen:BALNEA VINA VENUS CORRUMPUNT CORPORA NOSTRA SED VITAM FACIUNT B V V(Bäder, Weine, Liebe richten unseren Körper zu Grunde, aber sie machen das Leben aus)
Bei Iuppiter! Wenn sich schon ehemalige Sklaven zu einem solchen Lebenswandel bekennen …
Am Morgen des elften Tages im Monat November des dritten Jahres nach dem ImperatorCaesar Gaius Aurelius Valerius Diocletianus Pius Felix Invictus Augustus(308; Caesar Gaius Aurelius Valerius Diocletianus Pius Felix Invictus Augustus regierte bis 305)sehe ich den Ereignissen mit größerer Erregung als sonst entgegen. Es zieht mich zu dem bunten Treiben im Barackenrevier am Legionslager, mitten hinein in die Anhäufung von Schänken der Weinhändler, Verkaufsbuden der Bäcker, Schuppen der Schuhflicker, Vorratskammern der Krämer, Warenlagern der Großhändler und im Wind flatternder Zeltplanen. Dieser ausufernde Siedlungsraum lebt vom Lager und für das Lager. Von drei Seiten umschließen diecanabae legionis(Barackenviertel am Legionslager)dascastellum(Fort). Den Anblick prägen ohne Zweifel die Schankstuben mit ihren offenen Fronten und der verlockenden Auslage verführerischer Leckerbissen. Die meisten Ladentische sind aus Holz. Einzelne Theken sind gemauert. Feilgeboten werden an jeder Ecke gewürzte Getränke, Traubenmost mit Honig oder eingedickt.
Um die Aktivitäten der Soldaten nicht einzuschränken, stehen die ersten Buden etwa siebzig Doppelschritte von den mächtigen Festungsmauern entfernt.
Wahrlich, ich kann mich kaum satt sehen! Schier unübersehbar ist die Menge der Marktschreier und Handwerker, der Hausierer und Quacksalber, der Schwertschlucker und anderer Artisten, der Seher und Wanderprediger, aber auch der Köchinnen und Näherinnen, der Bäckersfrauen und – ja, auch der Gespielinnen unserer Soldaten. Von Tacitus wissen wir, dass schon das allererste römische Militärlager auf erobertem Boden, in Numantia, Tausende solcher Vertreterinnen käuflicher Lust anzog. Und Manneskraft lockt in Carnuntum nicht nur in der Gestalt des Legionärs. Auch unsere Gladiatoren gelten mit ihrem todesverachtenden Mut als beeindruckendes Sinnbild von Stärke.
Mir scheint, die Zahl all dieser Dienstleister zusammen wächst von Monat zu Monat. Hier findet sich das Passende für jeden Geldbeutel und Geschmack –tabernae(Läden mit Backofen),cauponae(Weinschänken)und reichlichthermopolia(Buden mit warmen Speisen).Ein jeder Händler strebt nach einer kleinen oder großen Rolle in der nie endenden Pflicht zur Betreuung der kämpfenden Truppe und zur Versorgung ihrer Pferde und Maultiere – über das ohnedies bestens organisierte Maß hinaus.
Ihr Ansehen in unserer Kommune ist gering, nicht besser als das der Sklaven, obwohl die allermeisten als Freie oder Freigelassene mehr Rechte besitzen als jene. Viele haben schon den einen oder anderen Feldzug der Grenzverteidiger miterlebt – als wandernde Nachhut, bewaffnet mit Handwerkszeug oder Kochgeschirr. Zu ihnen gesellt sich hier im Rahmen einer Art von stillschweigend geduldeter Familienzusammenführung eine immer größer werdende Schar von heimlichen Gattinnen mit ihren Kindern, die wenigstens eine entfernte Nähe zu diesem oder jenem Legionär anstreben.
Natürlich duldet jeder Bürger die Anwesenheit der Lebensgefährtinnen unserer Krieger. Zur Ehelosigkeit verpflichtet, trachten doch viele danach, selbst einen Hauch jener Lebensart zu erhaschen, die sie hier verteidigen. Hier verbringen sie zwanzig Dienstjahre jener bedeutenden Lebensphase, in der sie ihre Nachkommen zu zeugen haben - und auch das ist im Sinne des Reiches, das Soldaten braucht. Viele wählen mit Bedacht eines der Mädchen keltischer Abstammung aus der Region, und ihre Wahl kann ich meistens gut verstehen.
So finden sich zwischen den Schoppen, Buden, Stadeln, Weinschänken, Bäckereien, Werkstätten, Läden, Garküchen und Vorratslagern in großer Zahl auch die bescheidenen Behausungen für die Partnerinnen unserer Legionäre. Denn am Nachmittag haben die Männer ihre täglichen Verpflichtungen zu Drill und Exerzitien mit größter Ernsthaftigkeit absolviert. In Friedenszeiten ist jedem dann der Kontakt mit der Welt außerhalb der Legionsmauern und sinnliche Zerstreuung, vorzugsweise in einer der Thermen oder Arenen, gestattet.
Alle diese Menschen zusammen geben Zeugnis sowohl von der wachsenden Anziehungskraft unserer Stadt, wie von ihrer zunehmenden Zivilisierung. Ihre aus eigenem Antrieb angebotenen Waren und Dienste sind mit Umsicht an den Bedürfnissen der Soldaten ausgerichtet. Da werden Schuhe geflickt, da wird Nahrung zubereitet, da werden billige Schmuckstücke feilgeboten, die diesen Begriff kaum rechtfertigen. Und auch jene Frauen, deren Beschäftigung sich leicht ahnen lässt, da sie Beziehungen nicht abgeneigt sind, nehmen an Zahl zu.
Kein Wort gegenmercatores(Händler)undsequellae!(Gefolge).Es muss jedoch eingeräumt werden: Die Mehrzahl der Individuen in diesem Umfeld verdienen am ehesten ihre Zuordnung zu denlixae(Anhänger),die sich im Schatten jeder Legion des Reiches finden lassen. Es sind bestimmte Menschen – oft Angehörige von weit entfernt angesiedelten Stämmen. Im Endeffekt unterliegen sie der Befehlsgewalt des Legionskommandanten. Aber ihr gemeinsames Merkmal ist es, dass sie mit Vorliebe möglichst jedwede Anordnung ignorieren und vor allem darauf aus sind, mit der Truppe Handel zu betreiben oder ihr irgendwie zu Diensten zu sein. Nicht wenige, die hier im Budengewirr des Lagerdorfes ihr Dasein fristen, gelten den Befehlshabern als bedrohliches Gesindel, das zur Verweichlichung der Soldaten beiträgt.
Doch meinem Auge bietet sich hier ebenfalls Erfreuliches. Jede Ansiedlung im römischen Reich braucht ein gesellschaftliches Zentrum, so auch diese Lagervorstadt. Ich stehe jetzt im beeindruckenden Wandelgang, der ein wahrlich prächtiges Forum umgibt. Dieses Bauwerk – Marktplatz und Versammlungsort in einem, mit Rednertribüne und Porträtstatuen – bildet einen erstaunlichen Gegensatz zu dem eigentlich schäbigen Krämerdorf. Nicht nur das. Die Menschen hier haben am östlichen Rand ihrer Ansiedlung, neben dem Legionslager, ihre eigenetherma(Bad),von Gönnern gestiftet. Und wenn ich meinen Blick zur Morgensonne richte, über die äußersten Wohnbauten hinweg, fällt er auf den ovalen Steinbau eines Amphitheaters. Errichtet wurde es vor allem wegen Darbietungen für die Soldaten. Aber seine Größe verrät, dass auch die Bewohner dercanabae(Budenstadt am Lager)willkommen sind. Und auch der Götter wird durch diese Menschen ausreichend gedacht. Ein großflächiger Tempelbezirk ist Schutzheiligen aus der ägyptischen Stadt Heliopolis gewidmet. Viele Soldaten und ihre Angehörigen stammen von dort. Kein Problem, dass Kämpfer aus vielen Ecken des Reiches ihre eigenen Gottheiten vorziehen – solange die neuen Bürger auch für das Wohl des Römischen Reiches und des Kaisers beten. Mehrere breite Straßen mit jeweiligem Verlauf in östlicher, westlicher, südlicher oder südwestlicher Ausrichtung zerteilen diese Budenanhäufung. Wie eine langgestreckte Klammer umgibt sie das Lager. Wollte man die Strecke von ihrem Beginn bis zu ihrem Ende abschreiten, benötigte man an die tausendvierhundert Doppelschritte. Nur das steil abfallende Erdreich zum Fluss hin, direkt vor der drei Meter hohen Nordmauer des Lagers, wird vom Krämerdorf nicht eingenommen und für immer verschont bleiben. Denn die Kastellumrandung verläuft unmittelbar entlang eines tiefen Abbruch des Geländes hinunter zu den Auen der Donau.
Ja, diesecanabae(Budenstadt am Lager)von Carnuntum, jetzt schon durch mehr als zwei Jahrhunderte geduldet und gewachsen, bedecken mittlerweile ein gewaltiges Areal und übertreffen an Ausdehnung die im Westen gelegene zivile Stadt der weitaus angeseheneren Bürger. Auf jeden einzelnen Legionär – und es sind mehr als sechstausend – sollen schon drei derartige Personen geringeren Ranges und zweifelhafter Abstammung hier angesiedelt sein! Jedes große Lager zieht sie an. Aus ihnen bildete sich früher der Tross, der dem Heer folgt. Eine Schilderung von Cassus Dio beschreibt ein derartiges Spektakel so: „Die Soldaten führten viele Wagen und Lasttiere mit sich, dabei wurden sie von vielen Frauen und Kindern begleitet, sowie von einem stattlichen Sklavengefolge.“
Also in der Lagervorstadt diese viele tausend Köpfe umfassende selbstsüchtige und schwer zu kontrollierende Schar, vor allem am eigenen Vorteil interessiert, und im Lager selbst die überwiegende Mehrzahl der Soldaten unterschiedlicher Herkunft und Abstammung, durch Sold aus fernen Provinzen angelockt und durch Vertrag gebunden: Wahrlich, die damit zusammenhängenden Fragen und die daraus drohenden Probleme nicht nur für Carnuntum, sondern für die Sicherheit und den Fortbestand des ganzen Reiches, werden bei der Zusammenkunft heute keine untergeordnete Bedeutung haben!
Aber nicht dieser Trubel, mir bestens vertraut, lässt mich in dieser Stunde so angespannt sein. Ich, Livinius Cordinus Rutilius, warte darauf, jener Ankömmlinge ansichtig zu werden, die gerade heute ihren Fuß auf den Boden Carnuntums setzen. Ich sage voraus: Mit Sicherheit werden sie gehobenen Standes sein! Ich verstehe mich trefflich auf das Lesen ihrer Gesichter und das Deuten ihrer Gedanken. Nichts Menschliches bleibt mir verborgen. Mit ihnen verbringe ich die wichtigsten Stunden meiner Tage. Sie bereiten mir den Wohlstand.
Mein Geschäft ist der Handel mit der gelben Ambra, den goldenen Tränen der Bäume, dem Hellgold aus dem Norden. Schon der griechische Philosoph Aristoteles berichtet, dass sich diese mysteriöse Substanz durch Reiben elektrisch auflädt. Es liegt an dieser geheimnisvollen Energie, dass wir Römer dieses Material ehrfurchtsvoll als electrum bezeichnen, dem Elektron der Griechen nachempfunden. Und auch die Germanen sprechen in Anerkennung seiner besonderen Brennbarkeit von Börnesteen oder Bernstein, wenn sie ihn vom Mare Suebicum hierher an die Donau bringen. Der Tausch dieses brennbaren Steins gegen denare, aurei oderfolles(Münzen)bringt häufig das Wahre der Menschen zum Vorschein, und ich sehe in die Herzen und Seelen.
Aber gleichwohl fiebere ich nicht guten Geschäften entgegen. Es ist ein besonderer Tag, und das ganze Reich von der Spitze Nordafrikas über die Gebirge Syriens bis Luguvalium, der nördlichen Festung in der Provinz Britannia, blickt auf diese Stadt.
Was wird jeden einzelnen Besucher hierher geführt haben? In normalen Zeiten ist es vermutlich ein tapferer Sohn, der in unserer schlachtenerprobtenlegio(Legion, Auslese, Auswahl)XIV Gemina dient. Wahrlich, jeder Vater dürfte stolz auf ihn sein! Oder führt der Weg zur Grabstätte eines Freundes, an der für ein Gebet verweilt werden soll? Zahllose Veteranen lassen sich nach ihrem Dienst in Sichtweite des Lagers und weit entfernt von ihrer ursprünglichen Heimat nieder. Hier finden sie später außerhalb unserer Stadtmauern, wie das Gesetz es vorschreibt, ihre ewige Ruhe. Schon das dritte Gräberfeld jenseits der Grenzen der Zivilstadt musste angelegt werden. Ebenso kann ein väterlicher Besuch gar einem Knecht, einem unter Hunderten für die Pferde der Elitereiter, gelten. Keinesfalls würde ich einen solchen Burschen geringer schätzen. So wie eine barbarische Pfeilspitze noch aus hundert Schritten Entfernung das Kettenhemd an seiner schwächsten Stelle sprengt, so entscheidet sich auch die Widerstandskraft eines Heeres ganz vorne ebenso wie ganz hinten. Achtet mir deshalb einen jeden, der im Rahmen der ihm von den Gottheiten verliehenen Kräfte ernstvoll danach strebt, ihnen zu gefallen!
Mitunter sehe ich aber auch in den Augen so mancher Frau, wenn sie umherblickend nach langer Anreise aus dem Wagen steigt, sogar den Wunsch, die Muskeln eines unserer umjubelten Gladiatoren einmal an ihrem eigenen Leib zu spüren. Denn unsere Gesellschaft verändert sich, und auch ihre besten Schichten. Wir alle kennen den einen oder anderen Bürger, der in der Ausübung selbst seiner allerersten Pflichten versagt und beispielsweise ein blindes Auge auf das beklagenswerte Verhalten seiner Gattin wirft. Ja, groß wurde das Römische Reich, und mit seiner Ausdehnung einher geht eine Reihe von Merkwürdigkeiten, an denen weder die Kaiser, noch die Götter Gefallen finden können.
Unsere Lagervorstadt ist heute eine feste Ansiedlung mit Korporationsrechten. Bewusst habe ich die Wandelgänge der Krämer, die Werkstätten der Handwerker, die Schankbuden der Weinhändler dem geordneteren Anblick in der mehrere tausend Schritte nach Westen entfernten Zivilstadt vorgezogen. Von meinem Standort schätze ich jetzt nämlich zusätzlich den Blick auf den heiligen Berg in der Morgensonne. Er ragt noch fünfzigmal höher in den Himmel als das Lager selbst sich auf dem steil ansteigenden Geländekamm über der Donau erhebt. Auf seinen Hängen und auf dem obersten Plateau wurden im Laufe der Jahrhunderte Tempelgebäude, Säulendenkmäler, Altäre und Sitzstatuen zur Verehrung all jener Gottheiten errichtet, die über das Schicksal von Carnuntum wachen. Ursprünglich wurden diese Kultplätze in der Nähe des Kastells von den Legionären und von den Bewohnern der Vorstadt angelegt. Inzwischen leisten auch die Bürger der Zivilstadt ihren Beitrag, denn auch das Versammlungsgebäude für unsereiuventus(halbmilitärische Jugendorganisation)findet sich dort oben im Schutzbereich der Götter. Verwaltet werden die Anlagen von denmagistri montis(Meister des Berges).Kaum eine andere Stadt kann auf so viele heilige Stätten verweisen. Denn Gelegenheiten gab es genug, den Göttern Dank abzustatten und ihnen zu Ehren eine weithin sichtbare Anlage zu errichten. Jeden Tag bringen ehrfürchtige Bürger Fleisch von Rindern, Schafen, Ziegen und Geflügel als Opfergabe dorthin zu den Altären.
Iuppiter Optimus Maximus Dolichenus, der Leuchtende, der Alles schauende Himmelsgott, Beschützer des Reiches, überstrahlt sie alle. Danach wäre Liber zu preisen, Gott der Fruchtbarkeit, im wahrsten Sinne des Wortes ein Befreier, denn er wird im Wein verehrt, der die Sorgen nimmt. Libera ist sein weiblicher Gegenpart, an Verführungskraft nicht schwächer. Ihr ist auf dem Berg eine eigenecella(heiliger Raum)