Apokalypse Mars: 6 Romane Science Fiction Fantasy - Jo Zybell - E-Book

Apokalypse Mars: 6 Romane Science Fiction Fantasy E-Book

Jo Zybell

0,0

Beschreibung

Apokalypse Mars: 6 Romane Science Fiction Fantasy von Jo Zybell Über diesen Band: Dieser Band enthält folgende Romane von Jo Zybell: Ein Gott aus der Vergangenheit Lennox und die verfluchte Stadt Lennox und der dunkle Feind Lennox und das Reiseziel Mars Lennox auf dem roten Planeten Lennox und das Erbe der Alten Eine kosmische Katastrophe hat die Erde heimgesucht. Die Welt ist nicht mehr so, wie sie einmal war. Die Überlebenden müssen um ihre Existenz kämpfen, bizarre Geschöpfe sind durch die Launen der Evolution entstanden oder von den Sternen gekommen und das dunkle Zeitalter hat begonnen. In dieser finsteren Zukunft bricht Timothy Lennox zu einer Odyssee auf...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 1075

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Apokalypse Mars: 6 Romane Science Fiction Fantasy

von Jo Zybell

Über diesen Band:

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Apokalypse Mars: 6 Romane Science Fiction Fantasy

Copyright

Die Apokalypse wartet nicht: Science Fiction Fantasy Großband 4/2021

Die Apokalypse wartet nicht: Science Fiction Fantasy Großband 4/2021 | Jo Zybell

Copyright

Ein Gott aus der Vergangenheit

Lennox und die verfluchte Stadt

Lennox und der dunkle Feind

Planet Mars sehen und sterben: Science Fiction Fantasy Großband 5/2021 - 3 Romane

Planet Mars sehen und sterben: Science Fiction Fantasy Großband 5/2021 - 3 Romane

Copyright

Lennox und das Reiseziel Mars

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

Lennox auf dem roten Planeten

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

Epilog

Lennox und das Erbe der Alten

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

Sign up for Jo Zybell's Mailing List

Further Reading: 30 Sternenkrieger Romane - Das 3440 Seiten Science Fiction Action Paket: Chronik der Sternenkrieger

Also By Jo Zybell

Dieser Band enthält folgende Romane von Jo Zybell:

––––––––

Ein Gott aus der Vergangenheit

Lennox und die verfluchte Stadt

Lennox und der dunkle Feind

Lennox und das Reiseziel Mars

Lennox auf dem roten Planeten

Lennox und das Erbe der Alten

Eine kosmische Katastrophe hat die Erde heimgesucht. Die Welt ist nicht mehr so, wie sie einmal war. Die Überlebenden müssen um ihre Existenz kämpfen, bizarre Geschöpfe sind durch die Launen der Evolution entstanden oder von den Sternen gekommen und das dunkle Zeitalter hat begonnen.

In dieser finsteren Zukunft bricht Timothy Lennox zu einer Odyssee auf...

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)

© Roman by Author / COVER LUDGER OTTEN

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Folge auf Twitter:

https://twitter.com/BekkerAlfred

Erfahre Neuigkeiten hier:

https://alfred-bekker-autor.business.site/

Zum Blog des Verlags

Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!Verlags geht es hier:

https://cassiopeia.press

Alles rund um Belletristik!

Die Apokalypse wartet nicht: Science Fiction Fantasy Großband 4/2021

Jo Zybell

Die Apokalypse wartet nicht: Science Fiction Fantasy Großband 4/2021

UUID: f65ec9fe-6892-4750-859f-3a75b6145948

Dieses eBook wurde mit StreetLib Write (http://write.streetlib.com) erstellt.

Table of Contents

UPDATE ME

Die Apokalypse wartet nicht: Science Fiction Fantasy Großband 4/2021

Jo Zybell

Dieser Band enthält folgende Romane von Jo Zybell:

––––––––

Ein Gott aus der Vergangenheit

Lennox und die verfluchte Stadt

Lennox und der dunkle Feind

Eine kosmische Katastrophe hat die Erde heimgesucht. Die Welt ist nicht mehr so, wie sie einmal war. Die Überlebenden müssen um ihre Existenz kämpfen, bizarre Geschöpfe sind durch die Launen der Evolution entstanden oder von den Sternen gekommen und das dunkle Zeitalter hat begonnen.

In dieser finsteren Zukunft bricht Timothy Lennox zu einer Odyssee auf...

Copyright

––––––––

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)

© Roman by Author / COVER Steve Mayer nach Motiven von Martin Heade

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

––––––––

Folge auf Twitter:

https://twitter.com/BekkerAlfred

––––––––

Erfahre Neuigkeiten hier:

https://alfred-bekker-autor.business.site/

––––––––

Zum Blog des Verlags!

Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!

https://cassiopeia.press

Alles rund um Belletristik!

Ein Gott aus der Vergangenheit

Das Zeitalter des Kometen #1

von Jo Zybell

––––––––

Der Umfang dieses Buchs entspricht 131 Taschenbuchseiten.

––––––––

Tim Lennox und sein Geschwader sollen den herabstürzenden Kometen beobachten, der die Erde in ein Trümmerfeld verwandeln wird. Aber die Jets werden von den gewaltigen Kräften in das Inferno mit hineingezogen. Als Lennox wieder zu sich kommt, scheint er sich auf der Erde zu befinden, allerdings in einer anderen Zeit, denn die hier lebenden Menschen kämpfen mit Schwertern, Pfeil und Bogen. Und es gibt Gegner, die er nie zuvor gesehen hat. Nur eine Frau scheint ihm völlig zu vertrauen und helfen zu wollen: Marrela.

––––––––

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

1

Das Ding sah aus wie ein glühendes, Funken sprühendes Spermium. Innen gleißend weiß und an der Spitze von milchigem Orange. Es zog einen langen, glitzernden Schweif hinter sich her, dessen Licht in alle Richtungen spritzte. Als würde es brennen, das Ding. „Wie ein bengalisches Feuer“, dachte Tim.

„Wahnsinn! Wahnsinn!!“ Die Stimme des Professors gellte in Tims Helm. „Der absolut fetteste Wahnsinn, den ich je gesehen habe!!“

Seine Stimme schraubte sich in hysterische Tonlagen und überschlug sich fast. Wie immer, wenn Blythe erregt war. Und das war er oft. Zu oft für einen leitenden Wissenschaftler der US Air Force, fand Tim.

„Dann schauen Sie genau hin“, knurrte Tim. „Es wird das letzte Naturschauspiel sein, das Sie in Ihrem Leben zu sehen kriegen!“

„Er ist absolut prächtig!“ Der Professor schien ihn gar nicht gehört zu haben. „Er ist absolut schön! Göttlich! Wunderschön! Wahnsinn! Wahnsinn ...“

„Wunderschön ...“, äffte Tim den Astrophysiker nach. „Göttlich ...“ Er hatte schon immer Schwierigkeiten mit Jake Blythes aufgekratzter, abgehobener Art gehabt. In diesem Moment hätte er ihm gern ins Gesicht geschlagen. Doch der Mann saß hinter ihm, im Sessel des Navigators.

Der digitale Balken des Höhenmesser schob sich eben der Siebzigtausend-Fuß-Marke entgegen. Der Mach-Meter stand bei 5,2. Mit fast sechsfacher Schallgeschwindigkeit jagte der Aufklärungsjet durch die Stratosphäre. Eine dichte Wolkendecke verhüllte die Landmasse Nord- und Mitteleuropas. Nur ganz im Süden eine blaue Sichel, in die ein stiefelartiges Gebilde hineinragte: Ein Stück Mittelmeer und Süditalien.

„Schauen Sie sich’s doch an!“, schrie der Professor. „Haben Sie je so etwas Göttliches gesehen?“

„Bullshit, Professor!“ Tim platzte der Kragen. „Das wunderschöne Teufelsding wird in weniger als zwanzig Minuten unsere gute, alte Erde rammen. Und dann wird es nichts mehr geben, was irgendjemand als wunderschön bezeichnen kann!“

Tim brüllte. Die unglaubliche Anspannung der letzten Tage und Stunden machte sich plötzlich Luft. „Weil danach nämlich niemand mehr da sein wird, der irgendetwas wunderschön finden kann!“ Der Kloß, der ihm schon seit Stunden im Hals schwoll, löste sich auf. Tränen stiegen ihm in die Augen. Seine Finger verkrampften sich um den Steuerknüppel.

Er stieß einen Fluch aus – dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Er musste die Maschine heil zur Basis zurückbringen. Auch wenn er nicht wusste, was für einen Sinn das noch haben sollte.

Ein Blick zum Head-up Display: 16.23 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Für 16.42 Uhr erwartete man den Einschlag.

Zwei Blicke nach links und rechts zum Cockpit hinaus. Links der kobaltblaue Rumpf eines Jets. Daniels flog in Sichtweite knapp hundert Fuß über ihm. Tim konnte sogar das schwarze Gesicht des Lieutenants erkennen.

Nightingales Maschine konnte er nirgends entdecken. Der Bordradar aber zeigte Tim an, dass sie auf gleicher Höhe hinter ihm flog.

Zum hundertsten Mal fasste er das aus dem Weltall heranrasende, glühende Spermium ins Auge. Es war jetzt fast so groß, wie eine Kaulquappe. Mit bloßem Auge konnte man seine Eigenbewegung nun schon wahrnehmen. Tim presste die Lippen zusammen. Er hasste das glühende Ding. Als wäre es ein lebendiges Wesen.

Es hieß Alexander-Jonathan. Und war ein Komet. Ein galaktischer Felsbrocken von dreiundzwanzigtausend Meter Durchmesser. Dreiundzwanzig Kilometer. Würde er jetzt auf Mitteleuropa liegen, würde Tims Jet fast seine Oberfläche streifen. Und Tims Maschine flog in der Stratosphäre! Mit einer Geschwindigkeit von annähernd hundertfünfzigtausend Kilometern pro Stunde raste Alexander-Jonathan der Erde entgegen.

Zwei schottische Hobbyastronomen hatte ihn vor ein paar Monaten entdeckt. Zwei Urlauber in der Karibik namens Marc Alexander und Archer Jonathan. Nach ihnen hatte man den Kometen benannt. Zweifelhafter Ruhm, dachte Tim bitter. Die Männer würden sich nicht mehr lange daran freuen können.

Der Teufel mochte wissen, wieso Alexander-Jonathan die Erdbahn kreuzte! Kein astronomisches Fachbuch, keine noch so alten astronomischen Aufzeichnungen beschrieben einen Himmelskörper, mit dem man das glühende Spermium identifizieren konnte. Keine babylonischen, keine chinesischen, keine ägyptischen. Und die Datenbanken der NASA schon gar nicht. Alexander-Jonathan war aus dem Nichts aufgetaucht.

Sie hatten ihn mit Langstreckenraketen beschossen. Raketen mit atomaren Sprengköpfen. Von Arizona, Kasachstan und der Mongolei aus. Tim und seine Staffel sollten die Wirkung beobachten. Messen und filmen. Die Raketen hatten den Kurs des Kometen geringfügig verändert. Weiter nichts.

„Eagle One an Staffel“, funkte Tim an die anderen beiden Maschinen. „Kurs null neun sieben. Geschwindigkeit auf Mach fünf drosseln. Sinkgeschwindigkeit vierzig Fuß pro Sekunde, Neigung, sechzig Grad. Unser Job ist erledigt. Wir fliegen zurück zur Basis.“

„Roger“, kam es zweimal aus dem Helmlautsprecher. Nightingales und Daniels’ Stimme.

„Kommt gar nicht in Frage, Captain!“, protestierte Blythe. „Sie beschleunigen und steigen! Ich bin noch lange nicht fertig mit meinen Messungen!“

Für einen Augenblick verschlug es Tim die Sprache. Der Mann hinter ihm schien den Verstand verloren zu haben.

„Verflucht, Blythe!“, schrie er. „In wenigen Minuten wird das Miststück in die Erdatmosphäre eintauchen! Exakt zweiunddreißig Meilen von unserer derzeitigen Position entfernt! Wissen Sie, was das bedeutet?“

„Dass ich ihn dann ganz genau beobachten kann!“ Blythe war außer sich. „So etwas sieht man nur einmal in siebzig Millionen Jahren! Einmal in siebzig Millionen Jahren – geht das in Ihr Soldatenhirn rein, Lennox?“

„Aber die Strahlung, Sir“, wandte nun eine Frauenstimme vorsichtig ein.

„Die thermische Strahlung kann uns nichts anhaben!“

„Aber die nukleare, Sir!“ Mary-Lou Custers Stimme. Die Astrophysikerin flog bei Nightingale mit. Sie war stellvertretende Leiterin der astronomischen Abteilung der US Air Force. Und Blythe war ihr Chef. „Nach meinen Messungen besteht Alexander-Jonathan zu 59,82 Prozent aus Uranerz ...“

„Was ist das für eine Haltung, Dr. Custer?“, bellte Blythe. „Sind Sie Wissenschaftlerin oder nicht?! Einmal in siebzig Millionen Jahren ...“

„Sie sind ein Arschloch, Blythe!“, mischte sich Mulroney ein. Der dritte im Wissenschaftlerteam dieses Einsatzes, ein Atomphysiker. „Unten starren acht Milliarden Menschen in den Himmel oder auf die Fernsehschirme. Die meisten zittern vor Angst. Und Sie haben weiter nichts im Sinn, als Ihre idiotischen Messungen!“

„Ich verbitte mir das!“, schrie Blythe.

„Schluss jetzt!“, blaffte Tim ins Mikro. „Ich bin der Einsatzleiter! Wir fliegen zurück nach Ramstein!“

„Irrtum, Captain!“ Blythes meckernde Stimme. „Sie mögen der militärische Einsatzleiter sein, aber ich bin der wissenschaftliche Leiter hier! Und dies ist keine militärische, sondern eine wissenschaftliche Mission! Also fliegen Sie jetzt Vektor eins acht vier und erhöhen Geschwindigkeit und Flughöhe!“

„Bitte, Sir ...“ Wieder Dr. Custers Stimme. „Die Strahlung ist jetzt schon so stark, dass wir keine Funkverbindung mehr zur Luftwaffenbasis haben!“ Die Frau versuchte es auf die sachliche Tour. Nichts, womit man Blythe beeindrucken konnte.

„Das Risiko geh’ ich ein!“

„Aber ich nicht!“, unterbrach Tim barsch. „ Kurs null neun sieben. Mach fünf, vierzig Fuß pro Sekunde, sechzig Grad! Wir fliegen zurück. Punkt.“

„Ich werde Sie vor ein Militärgericht stellen!“, schrie Blythe.

„Tun Sie es – wenn Sie noch eins finden!“ Die Maschinen kippten nach rechts ab und flogen eine langgezogene Hundertachtzig-Grad-Schleife.

„Seht euch das an!“ In Tims Kopfhörern dröhnte der raue Bass von Hank Daniels. Tim sah nach oben. Das blasse Orange an der Spitze des Kometen hatte sich in glühendes Rot verwandelt. Alexander-Jonathan trat eben in die Erdatmosphäre ein!

Sekundenlange herrschte Stille in Tims Helm. Die rote Glutkuppel, die Alexander-Jonathan vor sich herschob, blähte sich zu einer gewaltigen Kugel auf. Dumpfes Rauschen schwoll zu brüllendem Tosen an. Ein strahlendes Orange flutete den Himmel und spannte sich von Horizont zu Horizont.

Tim rang nach Luft – sein Herz trommelte ihm von innen gegen Brustbein und Rippen, als würde es verzweifelt nach einem Ausgang suchen.

„O Gott ...“, hörte er Mary-Lou Custer im Kopfhörer wimmern. „O Gott, o Gott ...“

„Warum?“, schrie Lieutenant Clarence Nightingale. „Warum?! Warum ...“

Und Hank Daniels fing an zu beten. „Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name ...“ Die Stimmen wurden schwächer. Unerträgliches Knistern begann Tims Trommelfelle zu quälen.

Seine Hände am Steuerknüppel zitterten. Der Captain hat Angst, schoss es ihm durch den Kopf. Aber es war nicht nur die Angst: Der Steuerknüppel wackelte, die ganze Maschine vibrierte. Wie heller Glockenschlag dröhnte plötzlich der Rumpf.

„Dass ich das erleben darf!“ Blythes Stimme überschlug sich. „Dass ich das erleben darf ...“

Wie eine abstürzende Sonne fauchte der Komet durch die Atmosphäre. Immer noch hoch über der Jet-Staffel bohrte er sich der Erde entgegen, ein unermesslicher roter Feuerball, dessen Kern weiß loderte.

Tim wandte geblendet das Gesicht ab. „Das ist nicht die Wirklichkeit“, schrie eine Stimme in seinem Kopf. „Das ist ein Film, ein LSD-Trip, ein Fiebertraum ...“

Doch dann sah er, wie die orange glühende Wolkendecke unter ihm aufriss. Nach allen Himmelsrichtungen fegten die Wolken davon – wie von einer unsichtbaren Hand weggewischt. Und Mitteleuropa lag unter ihm – die Alpen, der Rhein, der Schwarzwald, die Schweizer Seen: Alles in gespenstisches Orange getaucht. Und als würde die Nacht über diesen Teil der Welt herfallen, breitete sich ein riesiger dunkler Schatten über das Antlitz der Erde aus.

„Weg hier!“, brüllte Tim.

„Ich möchte wissen, wo er aufschlägt!“ Blythes jubilierende Stimme. „Die Raketen haben ihn doch aus dem Kurs geworfen. Ich möchte wissen, wo das Wahnsinnsding ...“

„Vektor null acht drei!“ Tim reagierte nur noch wie ein Automat. „Fliegt, so hoch ihr könnt!!“

Die Stimmen der anderen nur noch undeutliches Geraune in seinen Kopfhörern. „... und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben ...“

„Wenn wir in seinen Sog geraten, ist es aus!“ Vor sich sah Tim den kobaltblauen Rumpf eines Jets durch die in leuchtendes Orange getauchte Stratosphäre trudeln. Und schon wurde sein eigener Jet von gewaltigen Kräften aus dem Kurs geworfen.

Das Dröhnen der Maschine, das hysterische Geschrei Blythes, das Knistern in den Kopfhörern und das Brüllen des Kometen – Tims Trommelfelle drohten zu platzen. Er ließ den Steuerknüppel los und versuchte sich den Helm vom Kopf zu zerren.

Alexander-Jonathan durchschnitt die Flugebene der Staffel, jagte in flachem Winkel der Erdoberfläche entgegen. Wie ein feuriger Arm sah er aus. Seine schmelzende Faust schob eine riesige Blase komprimierter und rot glühender Luft vor sich her. An seinem Ende zerfaserter der Feuerarm in Millionen kleiner Sterne und zog schließlich in einer schwarze Wolke einen gewaltigen Schwarm von Gesteinsbrocken hinter sich her.

Der Feuerarm schien zu rotieren – Tim sah ihn von unten, von oben, sah den rotglühenden Himmel über sich, sah die sich verdunkelnde Erde über sich. Doch nicht der Komet rotierte: Tims Jet drehte sich um seine Längsachse.

Tims Finger glitten über die Armaturen, fassten Schalter, drückten Knöpfe, immer wieder entglitt ihm der Steuerknüppel. Er wollte schreien, aber kein Ton drang aus seiner Kehle.

Als würde er in einer Zentrifuge sitzen sah er Himmel, Erde und den Kometen um sich herumwirbeln. Dazwischen das aufblitzende Blau eines anderen Jets, die plötzlich in grün getauchte Sichel des Mittelmeeres, die rot flammenden Alpengipfel und violette Flussläufe ...

Alexander-Jonathan jagte nach Osten, verschwand hinter dem östlichen Horizont, und für einen Moment huschte der orange Schatten von der Erdoberfläche. Sekundenlang erschienen Berge Flüsse, Ebenen fast in ihren ursprünglichen Farben. Nur der Himmel wollte sich nicht mehr aufhellen. Dann explodierte der Horizont ...

Blythe kreischte wie ein Besessener, stakkatoartig und schrill. Tims Brustkorb schien zu platzen und ein Blitz seinen Schädel zu durchbohren. Der Jet hatte plötzlich zwei Spitzen, am südlichen Horizont leuchteten zwei grüne Sicheln, neben zwei stiefelartigen Landmassen. Sämtliche Kontrolllampen schienen sich verdoppelt zu haben. Selbst die eigenen Hände sah Tim doppelt.

Und vom östlichen Horizont her rasten zwei gewaltige, ringförmige Wände aus Feuer und Staub nach Westen, Süden und Norden.

Tim kniff die stechenden Augen zusammen, riss sie wieder auf – und erkannte keine Landschaftskonturen mehr unter sich, sah nur noch Staub und Glut.

Dunkelheit legte sich wie eine Bleischürze auf sein Hirn. Er sah noch die Konturen zweier gigantischer Pilze in den Himmel schießen. Er registrierte noch, dass Blythes Gekreische verstummte. Er nahm noch das rote Blinken auf seiner Instrumentenzentrale wahr. Dann saugte finsterste Nacht sein Bewusstsein ins Nichts!

2

„Marrela“, flüsterte eine Stimme aus der Dunkelheit. „Marrela, komm zu mir.“

Hände legten sich auf ihre Schultern, ihren Rücken. „Barloor ruft dich. Geh zu ihm.“ Die tiefe, knurrende Stimme des Hauptmanns. Marrela konnte seine riesige Gestalt nicht sehen. Genauso wenig wie all die anderen. Aber sie roch die scharfe, säuerliche Ausdünstung seiner Haut. Sorban hockte in der ersten Reihe der Horde. Irgendwo seitlich vor ihr.

Der Druck der Hände auf ihren Schultern und ihrem Rücken nahm zu. Halb von den anderen geschoben löste sie sich aus dem eng zusammengekauerten Knäuel von Menschenleibern.

Die wohlige Wärme der anderen blieb hinter ihr zurück, Kälte griff nach ihr. Sie zog den Fellmantel um ihren Körper zusammen. Auf den Knien rutschte sie über Eis und Stein. Mit der Rechten tastete sie sich an der vereisten Wand entlang durch die Finsternis. Bis zum Eingang der niedrigen Höhle.

Dort atmete jemand. Keuchend und schnell. Barloor. Der Göttersprecher. Er war erregt. Wie immer, wenn er die Geister beschwor. Oder mit einem der Götter redete.

Marrela hörte sein steifes Lederzeug knarren. Durch ein kleines Loch fiel plötzlich ein feiner Lichtstrahl in die Höhle. Barloors haarloses Gesicht wurde sichtbar.

Es war so weiß wie der Schnee, mit dem der Hauptmann und er den schmalen Spalt vor der Höhle verschlossen hatten. Seine Augen funkelten rot. Tausendfach zerfurchte Haut spannte sich über spitze Kiefer- und Wangenknochen und über große Augenhöhlen. Lange, gelbliche Zähne ragten aus dem fast lippenlosen Mund.

„Ich will, dass du lauscht“, zischte er. Sein schmaler Schädel war mit braunem Leder bedeckt. Mit einem schmalen Gurt um die Stirn zusammengebunden lappte es fransenartig über seine knochigen Schultern.

Sein Oberkörper steckte ebenfalls in Leder. In einer Art Poncho. Auch an den Beinen Leder. Eng anliegende Stiefel, die weit über die Knie reichten und mit Lederriemen zusammengebunden waren. Leder – in Marrelas Volk kannte man Leder nicht. In dem Volk, zu dem Sorbans Horde gehörte, trugen alle Göttersprecher Leder.

„Lausche!“, befahl Barloor noch einmal. Dann legte er die gespreizten Finger an die Schneewand – auch seine Hände waren teilweise mit Leder umwickelt – und presste sein Gesicht wieder gegen das Guckloch.

Der Lichtstrahl erlosch. Vollkommene Dunkelheit kehrte zurück. Im hinteren Teil der Höhle wimmerte ein Kind. Zwei, drei andere stimmten ein. Mütter tuschelten. Einer der Krieger knurrte. Die Kinder verstummten.

Marrela beugte sich über ihre Schenkel, steckte den Kopf zwischen die Knie, und lauschte. Sie war die einzige in Sorbans Horde, die lauschen konnte. Wahrscheinlich war sie nur deswegen noch am Leben. Und weil sie gut mit Schwert und Bogen umgehen konnte.

Sorban brauchte jeden, der mit Schwert und Bogen umgehen konnte. Mann oder Frau. Oder Kind. Und er brauchte einen Lauscher. Soweit sie wusste, gab in keiner Horde der wandernden Völker Lauscher. In ihrem eigenen Volk konnten viele lauschen. Doch Marrelas Erinnerung daran war mehr als blass.

Sie schloss die Augen und presste die Hände auf die Ohren. Ihr Herz pochte langsam und ruhig. Sie wiegte ihren Oberkörper sanft hin und her. Aus der Höhle nahm sie das Raunen vieler anderer Herzen wahr. Sorbans Horde.

Sie spürte Angst, Zorn und Hunger. Dann ein fiebriges Gestammel. Ganz in ihrer Nähe. Barloor. Blitze zuckten über ihre Netzhäute. Marrela sah Bilder: Schwerter und Pfeile schlugen in pelzige Körper ein, Eisspalten taten sich auf, und die pelzigen Körper stürzten hinein. Die Bilder beschleunigten Marrelas Atem und ihren Herzschlag.

Es war Barloors Herz, das sie belauscht hatte. Er rief die Götter an, beschwor Orguudoo, den Dämonen der finsteren Tiefe, und verfluchte die Taratzen. Immer, wenn Marrela den Göttersprecher belauschte, griff diese Kälte nach ihr, diese bohrende Spannung.

Marrela riss ihren Geist von ihm los und lauschte zur Höhle hinaus. Und da war es! Ein Gefühl, als würden sich viele kleine Pfeile unter ihre Kopfhaut bohren. Hass, Gier nach Blut und Fleisch, Angriffslust und Zerstörungswut. Die Taratzen! Sie waren ganz nah! Marrela schüttelte sich vor Ekel. „Sie sind da“, flüsterte sie.

Barloor fuhr herum. Wieder wurde der von Schnee verschlossene Höhleneingang in schummriges Licht getaucht. Aus schmalen Augen musterte der Göttersprecher sie. „Bist du sicher?“

Marrela nickte stumm.

An ihr vorbei warf sich Barloor flach auf den Boden. Keuchend murmelte er seine Gebete. „Wudan, komm! Wudan, sei eine Mauer zwischen uns und ihnen! Wudan, sei die Eisspalte die sie verschlingt. Wudan, Wudan ...“

Marrela rutschte ein Stück von dem Mann weg. Sie mochte seine Nähe nicht. Schon als sie als Kind zu Sorbans Horde gekommen und der Göttersprecher noch ein junger Mann gewesen war, hatte sie ihn gemieden.

Wieder barg sie den Kopf zwischen den Knien. Da war noch etwas. Nicht in der Höhle. Auch nicht in der Nähe der Höhle bei den Taratzen. Es war weiter weg. Viel weiter weg. Aber es kam rasch näher.

Marrela spürte es tief in ihrem Bauch. Als würde ein Vogel in ihren Eingeweiden herumflattern. Und sie spürte es in ihrem Kopf. Ein leises Summen, das langsam anschwoll. Etwas Unheimliches passierte da draußen. Etwas näherte sich der Höhle. Etwas, das sich fremd anfühlte, und das sie noch nie erlauscht hatte.

Verwundert richtete sich Marrela auf. Etwas, das sie noch nie erlauscht hatte? An dem betenden Göttersprecher vorbei rutschte sie auf den Knien zum Guckloch in der Schneewand. Sie presste ihre Gesicht in den Schnee und spähte hinaus.

Jenseits der Gletscherspalte erhob sich ein steiler, schneebedeckter Bergrücken. Nebel stieg aus der gut fünf Speerlängen breiten Gletscherspalte und kroch den Berghang hinauf. Schroffe Eisformationen ragten stachelartig aus dem Schnee. Der Nebel hüllte sie langsam ein.

Wirkte Barloors Beschwörung schon? Wenn der Nebel sich verdichtete, würden die Taratzen ihr Versteck nicht finden.

Noch konnte Marrela keine Taratzen erkennen. Aber auch nichts, was auf ein anderes Wesen hindeutete. Nirgends eine Spur oder ein Geräusch, das sich näherte. Hatte sie sich getäuscht?

Sie schloss die Augen und lauschte erneut. Das Summen wurde stärker. Ein feiner Schmerz zuckte unter Marrelas Schädeldecke. Sie öffnete erschrocken die Augen.

Auf dem Schneehang gegenüber schälte sich ein schwarzer Schatten aus dem Nebel. Marrelas Nackenhaare richteten sich auf. Eine Taratze! Der mächtige, pelzige Körper stapfte schaukelnd durch den Schnee. Der lange Schwanz peitschte um ihn herum. Das schwarze Fell war im Brust- und Kopfbereich gesträubt. Ein sicheres Zeichen, dass die Taratze ihre Witterung aufgenommen hatte. Die Taratzen sträubten immer ihr Fell, wenn sie angreifen wollten.

Ein Schatten nach dem anderen trollte sich durch den Schnee den Berghang herab. Marrela stöhnte laut.

Der Anführer der Taratzen erreichte jetzt die Gletscherspalte unterhalb ihres Versteckes. Er war noch mehr als einen Speerwurf weit entfernt, aber Marrela konnte die Reißzähne in seiner langen Schnauze erkennen.

Er richtete seinen schwarzen Körper in voller Höhe auf. Nicht einmal Sorban, der Hauptmann, war so groß wie eine durchschnittliche Taratze.

Der Taratzen-Führer streckte die Schnauze in die Luft. Sogar die langen Haare an der lederknaufartigen Schnauzenspitze konnte Marrela zittern sehen. Und seine großen, nackten Ohren stellten sich steif vom Kopf ab und drehten sich lauschend in alle Richtungen.

Ob er ihr Stöhnen gehört hatte? Oder Barloors beschwörende Gebetsrufe? Taratzen hatten ein unglaublich feines Gehör.

Vielleicht waren auch die Frekkeuscher unruhig geworden, weil sie die Nähe der gefräßigen Bestien spürten. Sorbans Horde hatte ihre Reittiere in den oberen Höhlen des Steilhangs untergestellt und die Eingänge mit Schnee verschlossen.

Jetzt drehte sich der Taratzen-Führer um und winkte seine Genossen heran. „Sie haben uns entdeckt“, flüsterte Marrela. Hinter ihr ging ein Raunen durch die Höhle.

Der Taratzen-Führer ließ sich auf seine langen Arme sinken und schaukelte ein Stück den Hang hinauf. Dann wandte er sich wieder hangabwärts. Blitzartig setzte er sich in Bewegung. Um ihn herum spritzte der Schnee auf. In drei, vier Sprüngen schoss er auf die breite Gletscherspalte zu und setzte über sie hinweg.

Der pelzige Körper versank tief im Neuschnee, als er diesseits der Gletscherspalte aufschlug. Marrela hörte den Taratzen-Führer schnaufen und fauchen, während er sich aus der Schneedecke wühlte. Der Nebel hatte sich jetzt vollständig aufgelöst.

Eine Hand legte sich auf ihre Schulter und riss sie vom Guckloch weg. Sorban. Der Hauptmann spähte hinaus. „Dein Zauber hat nicht gewirkt, Barloor!“, knurrte er. „Die verfluchten Taratzen sind da!“

„Natürlich hat mein Zauber gewirkt!“ Barloor drängte Sorban vom Guckloch und schaute selbst hinaus. Er stieß einen scharfen Zischlaut aus. „Orguudoo kommt nicht dahin, wo Fels und Eis die Erde bedecken. Und Wudan will, dass wir uns zu seiner Ehre aus eigener Kraft retten. Er wird uns die Stärke des fliegenden Drachens verleihen.“

Barloor wandte seinen Lederkopf vom Guckloch. Licht fiel auf die massige Gestalt des Hauptmanns. Sein Körper war ganz in schwarzes Fell gehüllt. Schwarzes Haargestrüpp wucherte unter seiner Fellkapuze hervor. Auch das fette Gesicht war über und über mit Haaren bedeckt. Die großen Glubschaugen funkelten grünlich.

Der Hauptmann stützte sich auf sein Schwert auf und starrte durch die Dunkelheit in den rückwärtigen Teil der Höhle. „Wir müssen um unser Leben kämpfen.“

Keiner sagte einen Ton, doch Marrela spürte den fünfzigfachen Aufschrei der Panik.

Und gleichzeitig brannte ein scharfer Schmerz scheitelabwärts durch ihren ganzen Körper. Sie stöhnte auf und ließ sich mit ihrem Oberkörper auf die Schenkel fallen. Ihre Hände wühlten sich in ihr dichtes Haar. Marrela rieb ihre Kopfhaut und schloss die Augen.

Nichts mehr. Der Schmerz war genauso schnell gegangen, wie er gekommen war. Und irgendetwas war anders da draußen. Das fremde Etwas – näherte es sich?

„Was lauscht du noch?“, knurrte Sorban sie an. „Hol dein Schwert.“

„Da ist etwas ...“, flüsterte Marrela. „Etwas Fremdes ... es hat mir wehgetan.“ Barloor und Sorban wechselten misstrauische Blicke.

Ein Schatten tauchte neben Marrela auf. „Dein Schwert, Marrela.“ Radaans Stimme. „Ich werde an deiner Seite kämpfen.“ Radaan war der älteste Sohn des Hauptmanns. Marrela tastete das kalte Metall ihrer Schwertklinge.

„Kinder, säugende Frauen und Schwangere verkriechen sich so tief wie möglich in der Höhle“, befahl Sorban. „Zurpa bleibt bei euch.“

„Ist in Ordnung, Sorban“, antwortete eine tiefe, rauchige Stimme aus der Dunkelheit. Zurpa, die älteste Mutter der Horde. Sie hatte Radaan geboren und war Sorbans Hauptfrau.

„Ich breche jetzt die Schneewand auf. Kranke und Schwache gehen zuerst“, knurrte Sorban. „Mit Speeren und Äxten. Dann die Schwertkämpfer. Dann die großen Kinder mit Pfeilen und Bogen.“

Scharren und Getrampel wurden laut. Die Horde formierte sich. Die durch Verletzungen geschwächten und die kranken Hordenmitglieder – es waren fünf Männer und zwei Frauen – nahmen hinter dem Hauptmann Aufstellung.

Sorban kniete vor dem Schneewall, der die Höhle verschloss, und spähte noch einmal hinaus. „Vier Taratzen haben schon die Spalte übersprungen. Auf dem Hang zähle ich noch einmal dreizehn.“ Er drehte sich zu seiner Horde um. „Kämpft für das Überleben unserer Sippe!“

Er trat zwei Schritte in die Höhle hinein und warf sich gegen die Schneewand!

3

Länger als zwei, drei Sekunden konnte er nicht bewusstlos gewesen sein. Das glaubte Tim. Denn als er die Augen wieder öffnete, trudelte seine Maschine noch immer um ihre Längsachse. Blendendes Weiß traf seine Netzhäute wie Nadelstiche.

Tim presste die Handballen gegen die Augäpfel. „Was ist das?“, hörte er Blythe krächzen. Er zwang sich, die Augen zu öffnen: Stahlgrauer Himmel, ein milchiger Sonnenfleck, Schneegipfel und Gletscherhänge rotierten um das Cockpit.

„Wir stürzen ab, Lennox!“, rief Blythe. „Tun Sie was, um Gottes Willen, tun Sie was!“

Benommen blinzelte Tim auf die Armaturen. Noch immer sah er zwei Höhenmesser, zwei Radardisplays und zwei Mach-Meter. 0,65 Mach zeigte die Geschwindigkeitsanzeige an, und der Leuchtbalken des Höhenmessers rutschte eben über die Zweitausend-Fuß-Marke in den Keller hinunter.

Beides war völlig ausgeschlossen – vor Sekunden noch flog der Jet zehn mal so schnell und mehr als dreißig Mal so hoch. Doch so oft Tim die Augen zusammenkniff, um wieder und wieder die Anzeigen zu kontrollieren – es blieb dabei: 0,65 Mach und inzwischen nur noch achtzehnhundert Fuß!

„Wir verlieren an Höhe!“ Wieder Blythes Stimme. „Tun Sie doch was, Lennox!“ Plötzlich schien er Angst um sein bisschen Leben zu haben.

Tim riss die Steuersäule heran. Seine Finger flogen über die Instrumente. Er schaltete das Schlingerausgleichsgetriebe und das Hilfssystem zur Flugstabilisierung ein. Seine Augen hingen am Head-up Display. Fast blind bedienten seine Hände die Instrumente. Endlich gelang es ihm, den Jet aus seiner Taumelbewegung zu reißen. Die Maschine stabilisierte sich. Jetzt blieb der graue, dunstige Himmel, wo er hingehörte: oben. Und die Schneelandschaft fiel ihnen entgegen.

Doch noch immer verloren sie rapide an Höhe. Zwölfhundert Fuß, warnte der Höhenmesser.

„Ich steig aus!“, brüllte Blythe. Tim versuchte die Triebwerke hochzufahren. Sie reagierten nicht mehr.

Plötzlich ein Knall. Eisiger Wind fegte Tim ins Gesicht und raubte ihm für Sekunden den Atem. Blythe hatte das Kabinendach weggesprengt. Hinter ihm zischte es. Der Captain zog den Kopf ein. Die Rettungsrakete schob den Sitz des Astrophysikers aus dem Rumpf des Jets.

Tim drehte sich um und sah die Kuppel von Blythes Fallschirm hinter sich zurückbleiben. Der Atem gefror ihm in Mundwinkeln und Nasenlöchern. Er überlegte nicht lange – er tastete nach dem Abzugshebel seines Schleudersitzes und betätigte ihn. Nichts tat sich. Nichts. Die Rakete, deren Schubkraft seinen Sitz aus dem Jet katapultieren sollte, zündete nicht.

Panik schoss ihm ins Blut. „Scheiße!“ Tim brüllte seine Verzweiflung heraus. „Verdammte Scheiße!“ Der Eiswind schien durch Nase und Mund bis in sein Hirn zu blasen. Er klemmte die Steuersäule zwischen die Knie und packte den Knüppel mit beiden Händen. Er wollte leben. Verdammt! Leben wollte er!

Nur ein kleiner Teil seines Gehirns registrierte die fremdartige Formation der Landschaft. Schneeriesen, schroffe Gletschermassen und tief eingeschnittene Eisschluchten huschten unter ihm vorbei.

Ihm blieb keine Zeit, sich zu fragen, warum ihm das alles so unbekannt vorkam. Jede Hirnzelle, jeder Nervenstrang, jede Faser seines Körpers konzentrierte sich darauf, aus dem Absturz doch noch eine Notlandung zu machen.

Der leuchtende Balken des Höhenmessers sackte haltlos nach unten. Bizarre Eisklippen stürzten ihm entgegen. Dazwischen weite Schneefelder. Tim schaffte es, eines von ihnen anzusteuern.

Er riss seinen Blick von der gnadenlos heranrasenden Landschaft. Seine Augen fixierten die Instrumente. Bei 0,42 Mach und neunzig Fuß Höhe betätigte Tim die Schubumkehr und klinkte den Bremsfallschirm aus. Augenblicklich riss es ihn nach vorn in die Gurte. Ihm wurde schwarz vor Augen.

Der Jet sackte nach unten, bohrte sich in das Schneefeld und pflügte es um. Eine Schneewolke stäubte um Tim herum auf. Er keuchte und hustete. Schnee in den Augen, Schnee in Nase und Mund, Schnee in den Lungen.

Er hörte die linke Tragfläche knirschend an einer Eisklippe entlangscheuern. Dann ein metallener Schlag, ein Ruck ging durch den Jet, die Konturen einer Tragfläche wirbelten pfeifend durch die Schneewolke. Tim spürte, wie sich der Jet um seine Vertikalachse drehte. Etwas traf ihn hart an Brust und Kopf.

Als die Maschine mit dem Staurohr voran über ein Schneebrett kippte und sich in eine Eisspalte bohrte, war Captain Timothy Lennox schon nicht mehr bei Bewusstsein ...

4

Mit lautem Gebrüll stürzten die Horde aus der Höhle. Fell bekleidete Gestalten mit meist schwarzem zottigem Haar: Männer, Frauen und Kinder – etwa achtunddreißig Angehörige der Horde des Hauptmanns Sorban.

Für einen Moment schienen die vier Taratzen diesseits der Gletscherspalte zu erstarren. Doch nur für einen Moment. Dann sträubte sich sofort das drahtige Fell ihrer Rücken und Schädel, und sie ließen sich auf die langen, Arme fallen. Fauchend und kreischend setzten sie in großen Sprüngen den flachen Anstieg zur Höhle hinauf. Der Menschenhorde entgegen.

Marrela rannte hinter Radaan und einem anderen Krieger her den Hang hinunter. Zwischen ihnen und den heranstürmenden Taratzen die Vorhut der sieben Speerträger. Todesmutig stellten sie sich den Bestien in den Weg.

Drei von ihnen wurden einfach überrannt und in den Schnee getrampelt. Den anderen Vieren gelang es, zwei Taratzen aufzuhalten. Die schwarzen Fellschnauzen peitschten mit ihren Schwänzen nach ihnen, und packten die Spitze ihrer Speere mit ihren dürren, langen Klauen.

Die Horde griff die beiden Taratzen an, die die Kette der Vorhut überrannt hatten. Barloor und Sorban rammten einer von ihnen ihre Schwerter in den Bauch. Blut und Gedärm ergoss sich in den Schnee. Die Horde brach in lautes Jubelgeschrei aus.

„Die Spalte!“, brüllte der Hauptmann. „Schießt auf die Gletscherspalte!“

Zischendes Pfeifen in der Luft, ein Hagel von Pfeilen flog über den Kampfplatz und prasselte auf die Taratzen unten an der Gletscherspalte nieder. Eine der Pelzschnauzen wälzte sich quiekend im Schnee. Die anderen schüttelten die Pfeile einfach aus dem Fell. Fünf, sechs weitere Taratzen sprangen durch den Schnee hangaufwärts.

Der Taratzen-Führer, der sich plötzlich allein an vorderster Front und von einem Dutzend Schwertkämpfern umzingelt sah, fauchte und brüllte. Er ließ seinen Schwanz kreisen, wehrte die auf ihn eindreschenden Klingen mit den Armen ab, und versuchte die Schwerter mit den bloßen Pfoten zu greifen. Nackte Pfoten mit langen, gekrümmten Fingern und eisenharten Krallen.

Marrela, Radaan und drei weitere Krieger eilten den vier bedrängten Kämpfern der Vorhut zur Hilfe. Der Körper einer Frau zuckte im Schnee. Der Schwanz einer Taratzen hatte sich um ihren Hals geschwungen.

Ein alter, einarmiger Krieger lag mit aufgerissener Brust im rot gefärbten Schnee. Einem dritten Kämpfer biss eine der beiden aufgehaltenen Taratzen eben die Kehle durch. Sein Blut spritzte im hohen Bogen auf den schwarzen Pelz der Bestie.

Während Radaan und die drei Krieger sich auf die wütenden Taratzen warfen, lief Marrela in einem weiten Bogen um sie herum. Die erstickende Frau zuckte nur noch schwach. Ihr Gesicht und die aus dem Mund hängende Zunge hatten sich violett verfärbt. Ihre Finger umklammerten den nackten Schwanz der Taratzen an ihrem Hals.

Marrela hob ihr Schwert über den Kopf und hieb den Schwanz der Taratzen mit einem Schlag durch. Die schwarze Pelzschnauze schrie gellend, sprang hoch, drehte sich in der Luft und setzte einen Schritt vor Marrela im Schnee auf. Sie riss ihre krumme Schnauze auf, bleckte lange, spitze Zähne und breitete die haarigen Arme aus, um sich auf Marrela zu stürzen.

Plötzlich wurde ihr Körper steif, sie warf den Schädel in den Nacken und sackte zusammen. Marrela sah die Spitze von Radaans Schwert aus ihrem Brustkorb ragen.

Der Sohn des Hauptmanns stand hinter der Taratze. „Du schuldest mir was!“ Marrela traute ihren Augen nicht, aber selbst angesichts des Todes brachte der junge Heißsporn ein Grinsen zustande.

Aber im nächsten Augenblick fiel es ihm wieder aus dem Gesicht. Er starrte an Marrela vorbei, und die Haut unter um seine Augen wurde bleich. „Vorsicht, Marrela!“, brüllte er.

Marrela ließ sich fallen, und hielt gleichzeitig ihre Schwertspitze senkrecht nach oben. Ein schwarzer, stachliger Körper prallte auf sie und drückte sie tief in den Schnee.

Das Gewicht der Taratze presste die Luft aus Marrelas Lungen. Sie rang nach Atem. Drahtige Haare füllten ihren Mund aus. Die Bestie über ihr zuckte ein paar Mal und erschlaffte. Marrela fühlte warme, klebrige Flüssigkeit über ihre Hände strömen. Noch immer hielt sie das Schwert fest. Die Taratze war in die Klinge gesprungen.

Marrela wühlte sich durch den Schnee. Keuchend arbeitete sie sich unter dem leblosen Körper hervor. Sie riss ihr Schwert aus dem Bauch der Taratze und schüttelte den Schnee aus dem Fellmantel und ihrem langen Kraushaar.

Menschliches Gebrüll, das Fauchen der Taratzen und ihre schrillen Schreie erfüllten den Hang zwischen Gletscherspalte und Höhle.

Aus den mit Schnee verschlossenen Höhlen in der Mitte des Steilhanges meinte Marrela metallenes Zirpen und Flügelschlagen zu hören: Die Frekkeuscher! Die empfindsamen Reittiere hörten den Kampflärm und gerieten in Panik!

Marrela sah sich um. Mit einem Blick erfasste sie, dass Sorbans Horde verloren war: Gut zwanzig Taratzen wälzten sich mit fellverhüllten Gestalten in den Klauen im Schnee herum, schlugen mit Schwänzen und Fäusten um sich, oder sprangen die zu kleinen Grüppchen zusammengedrängten Kämpfer an.

Die Kinder oben bei der Höhle versperrten deren Eingang mit ihren kleinen Körper und verschossen ihre letzten Pfeile auf zwei schwarze Bestien, die sich bis auf wenige Schritte an die Höhle herangekämpft hatten.

Barloor stand auf einem eisbedeckten Felsvorsprung, breitete die Arme zum Himmel aus und schleuderte Wudan seine verzweifelten Gebete entgegen.

Unter ihm rang der Hauptmann allein mit einer Taratze, die einen Kopf größer als er selbst war. Sein Schwert steckte außerhalb seiner Reichweite im Schnee, und die riesige Pelzschnauze würgte ihn mit seiner eigenen Amulettkette.

Das Amulett – Sorbans Heiligtum. Mit einem Wutschrei packte Marrela ihr Schwert und rannte durch den Schnee auf den Hauptmann und die Bestie zu.

Das Amulett war es, das Sorban Klugheit und Kraft verlieh. Klugheit und Kraft, seine Horde durch alle Gefahren zu führen. Wenn die Taratze ihm das Amulett entriss, wenn sie den Hauptmann tötete, dann hatte keiner aus der Horde mehr eine Überlebenschance. Keiner würde je das sagenhafte Südland sehen. Auch Marrela nicht.

Sie schrie und schwang das Schwert über ihrem Kopf. Die Bestie sah sich nach ihr um. Gleichzeitig zog sie die Amulettkette noch enger um Sorbans Hals zusammen. Sie bleckte die Zähne. Höhnisches Grinsen verzerrte ihre pelzige Grimasse.

Der Hauptmann röchelte, seine großen Augen traten noch weiter aus den Höhlen, und sein Gesicht hatte die Farbe verfaulten Fisches angenommen. Die Taratze schüttelte Sorbans Schädel, sodass er gegen die vereiste Felswand schlug.

Mit Wutgeheul wollte Marrela sich auf den Schwarzpelz stürzen. Der ließ seinen Schwanz kreisen und peitschte ihn gegen Marrela Beine. Die Schwanzspitze schlang sich um ihre Knie und riss sie in den Schnee. Die Taratze stieß fauchende Triumphlaute aus.

Im Liegen holte Marrela aus und schlug zu. Die Klinge traf den harten Oberschenkel der Bestie. Die Taratze quiekte laut. Reflexartig zog sie den Schwanz ein und riss so Marrela näher heran. Die Frau packte ihr Schwert wie einen Spieß und rammte es dem Schwarzpelz in die Flanke. Die Taratze ließ von Sorban ab und warf sich seitlich in den Schnee.

Auf einmal erfüllte ein leises Summen die Luft. Es schwoll an und wurde zu einem orkanartigen Pfeifen. Als würde ein Sturm durch die Eisklippen fegen.

Der Kampflärm verstummte. Alle blickten sie in den trüben Himmel. Menschen und Taratzen. Alle. Selbst die Verwundeten. Keiner bewegte sich, keiner gab mehr einen Laut von sich. Auch die erregten Frekkeuscher in den verschlossenen Höhlen waren nicht mehr zu hören.

Das Pfeifen verwandelte sich mehr und mehr in dröhnendes Brüllen. Es klang wie das Donnern der großen Fluten, die Marrela vor vielen Jahren im Westland erlebt hatte.

Und plötzlich fiel ein Schatten auf den Berghang vor der Höhle. Und ein seltsamer Vogel schob sich über den zerklüfteten Berggipfel. Sehr hoch flog er. Höher, als man einen Speer werfen konnte.

Er bewegte keine Flügel, er hatte weder Federn noch Flughäute – ganz starr war er, und flog trotzdem. Sein Körper war schlank. Er erinnerte Marrela sofort an die großen Fische, von denen man sich auf den Inseln ernährte, auf denen sie ihre Kindheit verbracht hatte.

Und der Körper des starren, brüllenden Vogels war blau. Blauer noch als das Wasser des großen Flusses unter dem Eis. Er zog einen feurigen Schweif hinter sich her.

Das dröhnende Gebrüll des blauen Vogels machte einen solchen Lärm, dass es in den Ohren weh tat. Marrela und die meisten anderen pressten ihre Hände gegen die Ohren.

Die Taratzen fingen an zu fiepen und zu kreischen. Einige wälzten sich im Schnee hangabwärts. Andere folgten ihnen schaukelnd oder hinkend oder mit großen Sprüngen. Ihre Ohren waren weit empfindlicher als die der Menschen.

Panik brach unter den Bestien aus. Schreiend flohen sie hinunter zur Gletscherspalte. Eine nach der anderen übersprang sie. In wilder Flucht rasten sie durch das Schneefeld des gegenüberliegenden Hanges.

Auch die von Marrela verletzte Taratze robbte greinend den Hang hinunter.

Marrela kümmerte sich nicht um sie. Fasziniert und erschrocken zugleich hing ihr Blick an dem blauen Vogel. Er sank dem Eisgebirge entgegen. Plötzlich erlosch sein Feuerschweif. Von jetzt auf nun. Eine weiße Kugel blähte sich hinter ihm auf. Dann verschwand er hinter dem Gletscherkamm.

Marrela blickte sich um. Alle Taratzen waren geflohen. Nur vier Kadaver blieben zurück. Auch einige Mitglieder der Horde sah sie im blutgetränkten Schnee liegen.

„Wudan!“, brüllte Barloor plötzlich. „Wudan hat mich erhört! Das war einer seiner Abgesandten!“ Er sprang von der vereisten Felsnadel in den Schnee. „Wudan hat uns gerettet!“

Bewegung kam in die Horde. Die Männer und Frauen fingen an zu tuscheln und durcheinander zu reden. „Gelobt sei Wudan! Ehre sei Wudan!“ Sie folgten Barloors Beispiel, ließen sich auf die Knie sinken, warfen sich mit ausgebreiteten Armen in den Schnee, und priesen den Obersten ihrer Götter.

5

Stundenlang waren sie anschließend damit beschäftigt, ihre Toten im Schnee zu begraben. Fünf Männer, drei Frauen und einen halbwüchsigen Knaben hatten sie verloren. Sie taten es schweigend und unter dem Gemurmel ihres Göttersprechers. Barloor betete und beschwor die Geister der Getöteten.

Marrela sah, dass fast alle immer wieder verstohlen zum Himmel blickten. Jeder Mann der Horde, jede Frau, jedes Kind schien nur noch an eines zu denken. An den blauen Göttervogel mit der donnernden Stimme und dem Feuerschweif. Auch Marrela sah ihn ständig vor ihrem inneren Auge.

Als sie sich dran machten, die toten Taratzen zu enthäuten und zu schlachten, gab es nur noch ein Gesprächsthema: Der blaue Feuervogel. Barloors Autorität überzeugte jedes einzelne Hordenmitglied. Am Abend zweifelte nicht einmal der mürrische Hauptmann mehr daran, dass der Feuervogel ein Unsterblicher aus Wudans Götterheer gewesen ist.

Marrela und einige Frauen gruben das Fleisch in den Schnee ein, damit es gefror. Die Abfälle schichteten sie zu einigen Haufen auf.

Ein paar Krieger kletterten in die Steilwand und brachen die Schneewände vor den Höhlen mit den Reittieren ein. Nacheinander holten sie die zwölf Frekkeuscher an die Höhleneingänge.

Marrela sah hinauf in die Wand. Die kurzen, pelzigen Fühler der Tiere wurden sichtbar. Sie streckten ihre schlanken, fast eiförmigen Köpfe aus den Höhleneingängen. Bis auf die Gebisszangen und die großen, dunklen Facettenaugen waren die Köpfe von einem dichten, dunkelgrünen Pelz bedeckt.

Aufgeregt äugten sie in alle Richtungen, entdeckten schließlich die Fleischabfälle unten, auf dem Hang vor den Höhlen, und sprangen aus der Steilwand. Dabei entfalteten sich rasselnd ihre Flügel. Sie schwirrten herab und landeten um Marrela und die Frauen herum auf ihren sechs langen Beinen.

Ihr ganzer Körper war mit einem feinen, grünen Pelz bedeckt. Nur die unteren Glieder ihrer Beine nicht. Die weiblichen Frekkeuscher waren größer als die männlichen. Dafür wuchsen den Männchen lange, rötliche Stacheln auf den Gebissscheren.

Die Frekkeuscher falteten ihre fächerartigen Hinterflügel unter den kurzen, dunkelgrünen Vorderflügeln zusammen. Sie setzten sich auf die Sprungbeine und stützten sich mit den Mittelbeinen ab. Mit den feingliedrigen Klauen der Vorderbeine steckten sie sich die Fleischabfälle zwischen die Kauscheren.

Die sitzenden Frekkeuscher überragten Marrela um etwa die Länge eines durchschnittlich großen Kriegers.

Nach Einbruch der Dunkelheit kauerten sich alle Mitglieder der Horde in der Schlafhöhle zusammen.

„Wudan hat uns seit Monden begleitet, und wir merkten es nicht“, verkündete der Göttersprecher. „Habe ich’s euch nicht immer gesagt? Ihre Ungläubigen! Wudan hat unsere Flucht vor den Taratzen behütet! Seit wir aus dem Land jenseits des großen Flusses aufbrachen!“

Er schwieg ein Weilchen, um seine Worte wirken zu lassen. „Als wir den großen Fluss überquerten, waren wir dreiundsechzig“, fuhr er schließlich fort. „Zehn Krieger und Kriegerinnen starben auf dem langen Marsch durch das Eisgebirge im Kampf gegen die Taratzen. Und heute verloren wir noch einmal sieben unserer Gefährten.“

Wieder eine Pause. Marrela spürte eine Woge des Schmerzes und der Trauer aus der Dunkelheit der Höhle. „Nur noch sechsundvierzig sind wir jetzt.“ Barloor sprach jetzt leiser. „Aber das wichtigste ist: Sorbans Horde hat überlebt!“ Seine Stimme hob sich. „Dank Wudans Hilfe! Er allein hat uns bis hierher gebracht! Heute hat er verhindert, dass deine Sippe ausgerottet wird, Sorban! Und er wird uns auch ins gelobte Südland begleiten!“

„Gelobt sein Wudan!“, kam es vielstimmig aus der Dunkelheit. „Gelobt und gepriesen sei der allgewaltige Wudan, und das ganze Heer seiner allgewaltigen Götter!“

„Warum ist er weitergezogen?“ Eine raue Frauenstimme meldete sich zu Wort. Zurpa, die Älteste der Frauen und Radaans Mutter. „Warum hat er sich nicht bei uns niedergelassen?“

„Wir ertrügen seinen Anblick nicht“, antwortete der Göttersprecher. „Seid glücklich, dass er euch gewürdigt hat, ihn vorbeiziehen zu sehen.“

Andächtige Stille trat ein. Marrela lauschte in die Dunkelheit. Sie spürte Ehrfurcht und Schrecken. Noch nie hatte jemand gehört, dass sich ein Gott gezeigt hätte.

„Es sah aus, als würde der Göttervogel landen wollen“, sagte Marrela.

„Vielleicht will er uns persönlich begleiten“, knurrte Sorban. „Ich meine – so, dass er mitten unter uns ist, und wir ihn sehen können.“

„Und mit ihm reden können“, bekräftigte Radaan eifrig.

„Narren!“, wehrte Barloor ab. „Ihr wisst nicht, was ihr redet!“

„Vielleicht hast du recht“, rief die alte Zurpa. „Aber wenn Wudan einen seiner Götter schickt, um uns sicher ins Südland zu geleiten – vielleicht hat der Gott dann eine Gestalt angenommen, die wir ertragen können.“

„Welcher der Götter mag es wohl sein?“ Radaans Stimme zitterte vor Ehrfurcht.

„Ich weiß es nicht.“ Barloor schwieg eine Zeitlang. Als würde er nachdenken. „Vielleicht Sigwaan. Man sagt, er fliege manchmal auf einem großen Vogel, wenn er die Erde besucht. Ja, Sigwaan wird es sein.“

„Vielleicht hat Zurpa recht“, knurrte Sorban. „Und wenn Sigwaan bei uns wäre, würden die verfluchten Taratzen nicht mehr wagen, uns anzugreifen.“

„Es ist gefährlich, Sorban, sehr gefährlich.“ Die Stimme des Göttersprechers nahm einen beschwörenden Klang an. „Nie hat ein Mensch gewagt, einem Gott gegenüber zu treten.“

„Wir wagen es“, beschloss der Hauptmann. „Morgen werden wir uns auf den Weg machen, und den Gott und seinen Feuervogel suchen.“

Am nächsten Morgen stellte Sorban eine Truppe von sechs Kriegern und Kriegerinnen zusammen und schickte sie in die Eisklippen um den Gott zu suchen. Barloor führte sie an. Auch Marrela und Radaan waren mit dabei.

6

Ein Feuerwerk von Traumbildern schoss durch Tims Hirnwindungen.

Er bog mit seinem Ford Mustang in die Straße ein, in der seine Eltern wohnten. In die Willow Street in Brooklyn Heights. Als er aus dem Wagen stieg, sah er, dass sein Elternhaus unter einem riesigen Schneeberg versunken war.

Dann wieder saß er im Hörsaal von Westpoint. Vor den großen Fenstern der Militärakademie dichtes Schneetreiben. Er stritt sich mit dem Dozenten, einem Colonel, über die absurdesten Fragen. Ob die Antarktis in den Alpen liege, ob es regelwidrig sei, beim Footballspiel seinen Gegner mit Eiszapfen zu traktieren, und ob Gott den Weltuntergang zulassen würde.

Plötzlich verfärbte sich das Schneetreiben vor dem Fenster des Hörsaals, wurde orange und schließlich leuchtend rot. Und ein gleißender Feuerball schwoll rasend schnell an. Tim öffnete den Mund, um zu schreien – aber kein Ton drang aus seiner Kehle ...

Panische Angst würgte ihn. Er riss die Augen auf und rang nach Luft. Gierig, wie ein Erstickender. Er sah nichts. Es war stockdunkel. Er spürte aber den Schnee an Kinn, Stirn und Nase.

Er versuchte sich zu drehen, doch überall feuchter, harscher Schnee. Neben sich, über sich, dicht vor seinem Gesicht: Schnee, Schnee, Schnee. Er wusste nicht, ob er träumte, oder ob der Schnee Wirklichkeit war.

Er versuchte seinen Kopf in den Nacken zu legen, um wenigstens nicht mit dem Gesicht im Schnee zu liegen. Jede Bewegung schmerzte. Und immer wieder fiel sein Kopf nach vorn in den Schnee.

Tim dämmerte es, dass sein Jet sich nicht in horizontaler Lage befand, sondern in einem steilen Winkel nach vorn geneigt auf einem Bergrücken, in einer Schlucht oder sonst wo hing.

Es gelang ihm, die Arme aus dem Schnee vor der Instrumentenzentrale ziehen. Er wollte sich auf die Armlehnen des Pilotensessels stützen, um sich durch den Schnee aus dem Cockpit zu stemmen.

Ein stechender Schmerz schoss ihm durch den Brustkorb. Schwindel zerrte an seinen Magennerven. Als wäre er durch ein Gummiband an seine Albträume gefesselt, wurde sein Bewusstsein zurück in die Ohnmacht gerissen.

Es war Nacht. Tim sah zwei Menschen auf der Terrasse seines Hauses in Washington stehen. Seine geschiedene Frau und Jake Blythe. Sie küssten sich, und Tim betrachtete das Paar verwundert. Er trat aus dem Haus und beobachtete, wie seine Exfrau dem Professor das Gummiband von dessen blondem Haarzopf löste und seine langes Mähne zerwühlte.

Blythe hörte Tims Schritt und schob Liz von sich. Er blickte Tim an. Ein höhnisches Grinsen lag auf seinem schmalen Gesicht. Seine unnatürlich großen und weit hervortretenden Augen funkelten wie die eines Wahnsinnigen. Er deutete zum Himmel. Tim sah auf – ein rotglühender Feuerball raste durch den Nachthimmel. Direkt auf sein Haus zu. Er zog einen glitzernden Schweif hinter sich her. „Ist er nicht wunderschön?“, rief Blythe.

Und plötzlich befand sich Tim im Hangar der Luftwaffenbasis von Ramstein. Jake Blythe und er waren eben in ihren Jet gestiegen. Der technische Offizier vom Dienst stand unter dem Jet und überprüfte die Verankerung einer riesigen Bombe unter dem Rumpf des Jets.

Tim wusste, dass es eine Wasserstoffbombe war, und er wusste, dass er den Auftrag hatte, sich mit der Bombe unter dem Jet auf Alexander-Jonathan zu stürzen. Und sein Herz klopfte so wild, dass er glaubte, es würde ihm in der Brust zerspringen.

Links und rechts sah er Clarence Nightingale, die blonde Mary-Lou Custer, Dave Mulroney und den dunkelhäutigen Hank Daniels aus ihren Maschinen steigen.

Nebeneinander schritten sie auf das Schott des Hangars zu. Ihre Helme trugen sie unter den Armen. Das Schott schob sich scharrend auseinander. Unzählige Menschen standen auf dem Flugfeld vor dem Hangar. Alle starrten sie in den Himmel.

Tim erkannte seine Eltern, seine ehemalige Frau, seinen besten Freund Ginger Chassedy und viele andere Menschen, die ihm nahe standen. Selbst seinen Religionslehrer aus der Primary School entdeckte er unter Leuten vor dem Hangar.

Seine Pilotenkameraden Daniels und Nightingale und die beiden Wissenschaftler stellten sich zu den Menschen und blickten wie sie in den Himmel. Der leuchtete in einem glühenden Orange.

Das Leuchten verstärkte sich. Wieder fiel Panik über Tim her. Er wollte die Triebwerke des Jets starten. Aber seine Hände klebten wie festgewachsen an der Steuersäule.

Und dann der ungeheure Feuerball. Alexander-Jonathan. Vor dem Hangar über dem Flugfeld erschien er am Himmel. Die orangene Kuppel, die er vor sich herschob, fegte die Wolken auseinander. Hinter sich hörte Tim ein meckerndes Lachen – Professor Jacob Blythe.

Der Komet raste auf die Menschen zu, dann explodierte die Welt vor dem Hangar, und eine lodernde Feuerwalze schoss in den Hangar hinein ...

Schreiend wachte Tim auf.

Es war hell. Nicht vollständig, aber so hell, dass er etwas sehen konnte. Sein heißer Atem hatte ein Kuhle in den Schnee vor seinem Gesicht geschmolzen. Oberhalb der Kuhle, in Höhe seiner Stirn, war der Schnee tiefrot gefärbt.

Tims Schädel schmerzte, jeder Atemzug verursachte ihm ein Stechen im Brustkorb. Und er fror erbärmlich. Seine Knie schlotterten, seine Zähne schlugen aufeinander.

Und er hatte Durst. Sein Mund, seine Zunge, seine Kehle – als würde ihm ein Kaktus im Rachen stecken, so fühlten sie sich an. Tim riss den Mund auf, presste die Lippen gegen den Schnee und biss sich ein Stück ab. Gierig aß er das eiskalte Nass.

Das ganze Cockpit war voller Schnee. Bis über den Helm bedeckte er ihn. Tim zog die Hände aus dem Schnee und begann ihn von sich weg zu drücken. Jede Bewegung verursachte ihm unerträgliche Schmerzen im Brustkorb.

Sobald der Schwindel ihm wieder aus dem Bauch in den Kopf stieg, machte er eine Pause. Nur nicht wieder das Bewusstsein verlieren. Er würde unweigerlich erfrieren.

Tim schaffte es, den Schnee so weit aus dem Cockpit zu schieben, dass er freie Sicht bekam. Immer wieder wurde ihm schwarz vor Augen. Tief atmete er durch, um gegen die Ohnmacht anzukämpfen.

Er sah alles wie durch einen trüben Schleier hindurch: Unter sich die Eisspalte, in die sich das Staurohr des Jetbugs gebohrt hatte, gegenüber das Schneeplateau vor der vereisten Felswand, und über und neben sich die skurrilen Felsformationen. Wie eisbedeckte Knochen ragten sie aus dem Steilhang, über den Tims Jet in die Eisspalte geschlittert war.

Die unheimliche Landschaft erinnerte Tim an Filmaufnahmen der Antarktis. Aber seine Staffel flog über Nordeuropa, und nicht über dem Südpol. Er hatte doch noch das Mittelmeer und Italien gesehen, als die Druckwelle des Kometen seinen Jet aus dem Himmel gerissen hatte.

Bei dem Gedanken an den Kometen stieg ihm der nächste Schwindelanfall aus den Gedärmen in den Kopf. Und augenblicklich huschten seine Traumbilder über seine innere Bühne. Sein Atem flog, sein Herzschlag beschleunigte sich. „O Gott“, stöhnte er. „O Gott, dieser verfluchte Komet ...“

Tim kniff die Auge zusammen und riss es wieder auf. Unter seiner Schädeldecke rotierte ein Karussell. Tim versuchte den Schwindel und den Gedanken an den Kometen abzuschütteln. Er wollte sich zwingen, eine logische Erklärung für das Phänomen dieser gespenstischen Eislandschaft zu finden.

Doch Tim gab es schnell auf. Er begriff nichts. Und er hatte einfach keine Kraft, sich weiter den Kopf zu zerbrechen.

Du brauchst Kalorien, dachte er. Dein Organismus braucht Stoff, um nicht wieder das Bewusstsein zu verlieren.

Langsam drehte er sich um. Ganz langsam – um die Schmerzen so gering wie möglich zu halten. Jede weitere Schmerzwelle würde ihm unter Umständen wieder das Bewusstsein rauben.

Mit der Rechten griff er hinter sich zwischen Rücken und Sitzlehne. Dort war ein Teil des Notpaketes in den Schleudersitz eingearbeitet. Er musste an die hochkalorischen Trockenriegel herankommen. Zusammen mit Schnee würde er sie zerkauen und schlucken können.

Ich muss alles versuchen, um durchzuhalten, dachte er. Durchzuhalten bis sie dich geortet haben. Zum Notpaket gehörte auch ein Peilsender.

Und wenn es niemanden mehr gibt, der dich orten könnte?

Tim versuchte die zynische Stimme in seinem Kopf zu ignorieren. Endlich tasteten seine Finger die Verpackung mit der hochkalorischen Trockennahrung. Er zog sie hinter dem Rücken hervor. Erschöpft schloss er die Augen und zwang sich, ruhig und tief durchzuatmen. Brechreiz würgte ihn. Er riss die Augen auf, um nicht ohnmächtig zu werden.

Zwei Schatten bewegten sich über das Schneeplateau vor der gegenüberliegenden Eiswand. Tim hielt sie zunächst für eine Halluzination. Er betrachtete sie ruhig und wartete darauf, dass sie sich so unverhofft auflösten, wie sie erschienen waren.

Aber sie lösten sich nicht auf. Sie näherten sich. Tim erkannte schwarze Pelze, lange Nacktschwänze, steil aufgerichtete Ohren und lange Schnauzen.

„Ein Albtraum“, murmelte er. „Wieder ein Albtraum, weiter nichts.“ Er versuchte sich zu zwingen, aus dem Albtraum aufzuwachen. Als Kind hatte ihm sein Vater erklärt, wie man das macht: Im Traum die Luft anhalten und dann die Augen aufreißen. Ganz weit.

Es nützte nichts. Die beiden pelzigen Gestalten bewegten sich weiter über das Schneeplateau. Noch knapp dreihundert Meter waren sie entfernt.

Tim sah, dass sie aufrecht gingen. Tim sah, dass sie hin und wieder stehen blieben und auf ihn deuteten. Und Tim sah, dass die beiden schwarzen Gestalten das Aussehen von Ratten hatten.

Jetzt drehst du durch, dachte er. Du hast Fieber ...

Als er endlich den Schnee unter den Füßen der rattenartigen Gestalten knirschen hörte, war er sich ziemlich sicher, nicht zu träumen und von keinem Fieberwahn getäuscht zu werden.

Kalter Schweiß strömte ihm über das Gesicht. Sein Atem hetzte keuchend. Tim schätzte seine Pulsfrequenz auf hundertzwanzig. Seine Zähne klapperten so laut, dass es bis zu den beiden Gestalten dort unten zu hören sein musste.

Seine Hand tastete den Rahmen der Sitzfläche seines Pilotensessels ab. Dort irgendwo steckte eine Pistole. Zusammen mit zwei gefüllten Magazinen gehörte auch sie zum Notpaket.

Wieder blitzte stechender Schmerz durch seinen Brustkorb. Tim versuchte hechelnd zu atmen, um den Schmerz unter Kontrolle zu bringen. Das Karussell unter seiner Schädeldecke rotierte schneller und schneller. Die beiden schwarzen Gestalten verschwammen vor seinen Augen. Sie schienen sich aufzulösen.

Also doch ein Traum, dachte Tim. Er spürte, wie seine Widerstandskraft erlosch. Bewusstlosigkeit überschwemmte ihn, wie eine schwarze Springflut. Er ließ sich hineingleiten.

7

Im Gänsemarsch stapften sie über Schneefelder, eisgesäumte Kämme, steile Hänge.

Sie hatten keinen Frekkeuscher bei sich. Die Reit- und Lasttiere hatten eine starke Ausdünstung. Die Taratzen konnten ihre Witterung über große Entfernungen hinweg aufnehmen. Und Sorban wollte einen Angriff der Taratzen auf seinen Suchtrupp unter allen Umständen vermeiden.

Zehn Tiere hatten sie bereits an die Bestien verloren. Viel zu viele. Jedes einzelne war unersetzlich, um Schwangere und kleine Kinder zu tragen. Und um Waffen, Vorräte und Zeltmaterial zu transportieren.

Dafür hatte Sorban ihnen für die Suche nach dem Gott auch Schneeschuhe überlassen. Sie waren aus Grünholz geflochten und wurden unter die Stiefelsohlen gebunden. So versank man nicht im Schnee.

Eine fremde Horde, die an den nördlichen Hängen des Eisgebirges lebte, hatte ihnen diesen Trick gezeigt.

Barloor ging an der Spitze des Suchtrupps. Seine langstielige Streitaxt trug er über der Schulter. Ihm folgten der Sohn des Hauptmanns und Marrela. Beide hatten sich die Fellscheiden mit ihren großen Schwertern auf den Rücken gebunden.

Von den drei Kriegern hinter Marrela waren zwei mit Bogen und einer mit Speeren und Speerschleuder bewaffnet.

Alle waren sie in Felle gehüllt. Alle außer Barloor – der trug wie immer sein braunes, abgeschabtes Lederzeug.

Der verwaschene Fleck der Sonne stand im Zenit, als sie eine Hochebene erreichten. Von hier aus konnten sie nach Süden in zahlreiche enge Täler und auf einige Hänge und Gletscherausläufer blicken. Der blaue Feuervogel war nirgends zu erkennen.

„Wir suchen die seitlichen Abhänge der Hochebene ab“, ordnete Barloor an. Er schickte Marrela und Radaan nach Westen und nahm einen der Bogenschützen mit sich zum östlichen Abhang der Hochebene. Die anderen zwei Krieger wies er an, noch höher in den eisbedeckten Bergriesen hineinzusteigen. „Vielleicht entdeckt ihr Sigwaan von dort oben aus“, sagte er.

Sie trennten sich. Hinter Radaan her marschierte Marrela Richtung Westen. „Du bist eine mutige Kriegerin, Marrela“, sagte Radaan irgendwann. „Und eine schöne dazu.“ Er sprach, ohne sich nach ihr umzudrehen.

Marrela antwortete nichts. Sie hatte schon lange damit gerechnet, dass Radaan um sie werben würde. Seine begehrlichen Blicke, seine anzüglichen Bemerkungen und sein ständiges Bemühen, sich in ihrer Nähe aufzuhalten, oder gar mit ihr allein zu sein – niemand in der Horde, dem das nicht aufgefallen wäre. Die anderen Frauen tuschelten schon.

Marrela fragte sich plötzlich, ob Barloor sie und Radaan bewusst allein losgeschickt hatte. Vielleicht hatten er und der Hauptmann längst heimlich beschlossen, dass sie eine der Mütter von Radaans Kindern werden sollte. Vielleicht erhofften sie sich, dass sie ein Kind zur Welt brachte, das lauschen konnte.

„Mein Vater erzählt, dass die meisten Frauen deines Volkes schön gewesen seien“, sagte Radaan. „Und er erzählt, dass sie tapfere Jägerinnen und Kriegerinnen gewesen seien.“

„Das stimmt“, sagte Marrela knapp. Sie sprach nicht gern über ihre Heimat. Die Sehnsucht tat weh, die dann regelmäßig in ihr aufstieg.

Radaan war ein wenig jünger als sie selbst. Natürlich erinnerte er sich nicht. Damals, als Sorbans Vater und seine große Horde am Meer auftauchten und sie mitnahmen, hatte Radaan gerade laufen gelernt.

Marrela selbst erinnerte sich nur dunkel an die Jahre ihrer frühen Kindheit. Doch dass es keine Hauptmänner auf den Inseln gab, sondern Königinnen – und zwar auf jeder Insel eine – dass wusste sie noch. Sie wusste auch noch, dass es dreizehn Inseln waren, auf denen ihr Volk lebte. Und dass sich ihr Volk deswegen das „Volk der dreizehn Inseln“ nannte.

„Ich bin der älteste Sohn des Hauptmanns“, sagte Radaan. „Bald werde ich die Horde führen.“ Plötzlich blieb er stehen und drehte sich um. „Jeder wird dich achten, wenn du eine Mutter der Hauptmannskinder bist.“

Er musterte sie aus grünen Augen. Wie sein Vater hatte Radaan schwarze Locken. Sein Bart war kurz und flaumig. Nicht einmal achtzehn Winter hatte er gesehen. Fünf weniger als Marrela. Doch er führte das Schwert besser als viele ältere Krieger.

Niemand in der Horde zweifelte daran, dass er nach Sorban Hauptmann werden würde.

„Ich werde darüber nachdenken“, sagte Marrela. Anders als die meisten Frauen der Horde genoss sie das Privileg der Wahl. Schwertkämpferinnen und Jägerinnen durften sich den Mann aussuchen, von dem sie sich begatten lassen wollten.

Und warum eigentlich nicht Radaan? Es war unausweichlich. Und er gehörte zu den stärksten Männern der Horde. Irgendwann musste sie sich entscheiden. Der Sohn des Hauptmanns – es würde nicht die schlechteste Wahl sein.

Eigentlich hätte sie schon längst ihren Beitrag zur Erhaltung der Horde leisten müssen. Aber die Männer mieden sie. Entweder, weil sie eine Fremde war. Oder weil Sorban sie von Anfang an für seinen ältesten Sohn vorgesehen hatte. Marrela wusste es nicht.

„Überlege nicht zu lange.“ Radaan drehte sich um und ging weiter. Der drohende Unterton in seiner Stimme entging Marrela nicht.