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Spiritualität heute : Wo der Geist schwindet, da schwindeln die Geister ... Bohème der lumpenproletarischen Intellektuellen : Utopie oder Dystopie? Sentenzialismus : Aphoristische Philosophie Liebe und Erkenntnis : Sartre contra Freud Arkadische Bücherparadiese : Natur- und Kulturidylliker als meistunterschätzte Kulturkritiker und Sozialsatiriker Wie und wovon lebten Philosophen und Aphoristiker? Wird noch existenzielles "Jasperletheater" gespielt? Erfassen Begriffe das Wesen der Sachen, die ihr Unwesen treiben, und auch Unwesentliches - wie deren Kontingenz und Existenz? Essays und Bonmots zu kulturellen und gesellschaftlichen Dringlichkeiten wie Aufdringlichkeiten : "Zeitschrift für europäische Moralistik" Philosophie besinnt sich fürs bildungsbürgerliche Publikum auf moralistische Traditionen Europas oder verkommt zur akademischen Spezialitätenexpertise.
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Seitenzahl: 75
Zeitgeistige Geisterzeit
Intellektuelle Bohème heute
Sentenzialismus : Aphoristische Philosophie
Sekundärliteratur zum Aphorismus
Wir erkennen einander und wollen etwas voneinander wissen
Reformeln, Glasperlen- oder Schäferspiele?
Philosophen und Aphoristiker im Leben
Schmeckt’s?
Alles geht das Tränenbächlein runter
Erfassen Begriffe auch das Unwesentliche?
„Jasperletheater“?
Das publizierte Gesamtwerk
Für Elke
Wo Religionen Baisse melden, verzeichnen Spiritisten, Esoteriker, Mystiker, Astrologen, "Geistheiler" und andere Apokryphen eine Hausse nach der anderen. Wer nicht mehr Einem Gott glaubt, glaubt fast alles andere und wird so etwas wie ein laizistischer Polytheist, innerweltlich wie außerirdisch galaktisch. Wo rational-logische Theologie welkt, blüht (para)psychologische Theosophie oder homöopathische Anthroposophie umso hemmungsloser.
Werden heiß(laufend)e Hochindustriegesellschaften zunehmend materiell und alle Felder des säkularisierten Lebens durchökonomisiert, erwacht zur Balance das prompte Gegenbedürfnis nach irgendetwas „Jeistigerem“, nach Überirdischem, Über- oder Untersinnlichem, nach Engeln und Dämonen, unfehlbaren Glücksamuletten und tischrückenden Séancen, astralleiblichen Ahnenbeschwörungen, größenwahnsinnigen Telepathien und Telekinesen, Tarotkartenlesen und Pendelbefragungen.
Wo der Teufel geleugnet wird, regieren die Zauberhexen, und wo das bisschen Geist schwindet, da schwindeln die begeistert beschworenen Geister, was das Zeug hält. Die Menschen werden willfährige Opfer ihrer eigenen Wunsch- und Schreckbilder, also hilflose Produkte ihrer eigenen phantastischen Projekte und Spuk-Projektionen.
Beliebte Zutaten zu dem tendenziell geisteskranken Eintopf, je nach Konjunktur : Halbverdauter Euro-Buddhismus und Taoismus, Zen-Erleuchtung, Tibetanisches oder Ägyptisches Totenbuch, Hermetismus (nach „Hermes Trismegistos“), indienfernes Yogibär-Yoga, Poona-Instant-Spiritualität, und das meiste dann zu ermäßigten Kosten …
Wo es nur noch Grobsinnliches gibt, vermisst der Feinsinn rasch den Sinn des Ganzen, und wo die nüchternen fünf Sinne überhand nehmen, erwacht ein „sechster Sinn“ für Mystik und Mythen, Magier und Märchen. Wo Gottvater hoch droben totgesagt ist, macht man sich auf den Tiefgang zu den Großen Müttern hinab, zu Mutter Erde und Mutter Natur, aber diese „Magna Mater“ ist eigentlich nur Teufels Großmutter.
Die vermeintlich platte Welt des Materiellen, des nur (Kunst-)Stofflichen wie Finanziellen, sucht sich Tief(gründig)eres, das einem nicht zu hoch ist. Der materielle Flachsinn giert nach geistigem Tiefsinn.
Da werden alle Traditionen rücksichtslos unvorsichtig durchstöbert, nach Belieben geplündert, und jeder „postmoderne“ Heilsbedürftige bastelt sich auf eigene Faust und Verantwortung ein wirres Patchwork-Weltbild zusammen aus den inkompatibelsten Versatzstücken aller Zeiten und Zonen. Das Ergebnis ist dann gewöhnlich auch danach, ein fliegender Flickenteppich aus dubiosesten Geistesfetzen.
Hauptsache, dem Adepten behagt diese unmethodische Melange, die allerdings in aller Regel und in raschester Folge durch ebenso beliebige und beziehungslos andere ersetzt zu werden pflegt. − Diese kruden subjektiven Mixturen, pseudowissenschaftlich aufgeputzt, geraten gemeinhin stoffhuberischer und positivistischer als alles traditionell Geistliche.
„Positives Denken“, das ohne alle „negative Dialektik“ auszukommen glaubt, ist kaum zu unterscheiden von der alten rosaroten Brille, die weltfremd lebensuntauglich macht, naiv, autosuggestibel und manipulierbar, heißt es bei den Gewitzteren.
Die „Transzendentale Meditation" (TM) des Guru Maharishi Yogi z.B. hat mit Kants Transzendentalphilosophie wenigstens eines gemeinsam : Beide erfüllen alle „apriorischen Bedingungen der Unmöglichkeit jeder Erfahrung", die diesen Namen verdient. Angezogen fühlen sich vor allem psychisch Verstörte, die durch TM noch viel gestörter werden: Nach der Meditation brauchen sie erst die Psychotherapie, die TM selbst sein will. Die angestrebten „Ferien vom Ich" (ver)führen uns zu einem „kosmischen Bewusstsein", das meist nur komische Bewusstlosigkeit ist. Vom obligaten Egoismus-ohne- Ego geht es oft zum vermeintlich „wahren Selbst". Dieses besteht allerdings nur in der krampfhaft verleugneten Entdeckung, wohl wahrhaft niemals selbst existiert zu haben.
„Unio mystica“, die mystische Vereinigung mit dem vermeintlichen Urgrund aller Dinge wird ersehnt − und amalgamiert sich gern mit den grassierenden Selbstoptimierungsexerzitien, um konkurrenzfitter zu werden auf dem Soft-skill-Markt, ja, die eigene Macht und Potenz zu erhöhen in den gesellschaftlichen Verteilungskämpfen.
Die meisten der vielen spirituellen Sinnsucher dürften arme Würstchen sein, die auf geldgierige Betrüger, inspirierte Scharlatane und ideologische Quacksalber nur zu begierig "abfahren" und hereinfallen. Wenn sie nicht einfach Wichtigtuer(inne)n sind, die Wichtiges und Nichtiges nicht zu unterscheiden wissen. Seriös daran ist eher das „metaphysische Bedürfnis“ selbst als die fragwürdigen Arten, es sich und anderen zu befriedigen.
Im "Spirituellen" heute toben sich wohl meistens bloße Omnipotenzphantasien von desorientierten und eingebildeten Großsprecher(inne)n aus, die als antennenbegabte "Medien" ihre Mitmenschen manipulieren wollen und sogar noch die Quantenphysik für ihre verstiegenen bis verschrobenen Zwecke missbrauchen. Sie geben vor, privilegierten Zugang zu exklusiven geistigen Offenbarungsquellen zu haben, um geheime und lebenswichtige Botschaften an ihre Kund(inn)en weiterzugeben. Sie wissen nur wenig, oft weniger als ihre Adressaten, und was sie wissen, unterscheidet sich kaum vom berüchtigten „Gequatsche der Schwiegermutter“ (Adorno). Spirituell bedeutet heute eher das Gegenteil von geistvoll, hochgeistig und geistreich.
"Das Medium selbst ist die Botschaft", meinte ein Marshall McLuhan vor Jahrzehnten. Eigentlich sind diese zweibeinigen Medien schon selber die Botschaft, die sie gar nicht haben. Sie verkünden nur sich selbst, also nur, dass sie (ganz für andere) da sind und hochwichtig sind. Sie faseln in falscher Trance und mimen die Orakel-Pythia von Delphi, doch was sie weissagen, ist entweder Blödsinn oder Binsenwahrheit. Es gibt an Medien eben nicht nur Internet, Funk und Fernsehen.
"Om mani padme hum" auf Europäisch?
Wer „positive Energien“ und innere „Chakren“ aufspürt, Erdstrahlen mit Wünschelruten verfolgt, auf Bachblütentherapien schwört und nach günstigen Meridianen fahndet, ist leicht zu belächeln, aber der Mensch findet seine Orientierung und Sicherheiten, wo er sie braucht. Der Philosoph Paul Feyerabend, der „Wider den Methodenzwang“ denkt und grundsätzlich alle Forschungsmethoden zulässt, machte sich lustig über alle, die sich gern über solche intellektuell Leichtgläubigen und schlichteren Gemüter lustig machen und erhaben dünken. Die Bildungsprivilegierten haben solche leicht durchschaubaren „Geistheiler“ nur nicht nötig, haben aber eben ihre eigenen Schlafschnuller und Prognosen-Horoskope mit nur etwas anspruchsvolleren Etiketten.
Wer sich verzweifelt ein sinnloses Leben nehmen will, findet keine Hilfe bei den Medien oder der stolzen „Aufklärung“, bei Pillen oder gutem Willen, sondern eher bei einer genauso ratlosen Vertrauensperson seiner Umgebung. Da sind selbst Spirituosen noch weit wirkungsvoller und glaubwürdiger als die spirituellen Ratgeber, die sich heute aufspielen.
Apropos Horoskop-Fetischismus, last not least. Die erste und früheste Religion war wohl der astrotheistische Sternenglaube. „Astrologie ist die Metaphysik der dummen Kerle“, befand der Sozialphilosoph Theodor Adorno abfertigend bündig.
Jeder heute kennt die sattsam bekannten Argumente, welche die moderne Astronomie gegen die traditionelle Astrologie auffährt. Das ist inzwischen common sense, doch was haben die geschäftstüchtig windigen Boulevard-Horoskope zu tun mit der altehrwürdigen Sternbeobachtung und Sterndeutungskunst der vergangenen Jahrtausende?
Nun haben sogar bedeutende neuzeitliche Astronomen wie Johannes Kepler und Isaac Newton sich und anderen immer wieder astrologische Horoskope erstellt, und sie waren nicht obskurantistischer als zeitgenössische Koryphäen, sondern aufgeklärte Geister ohne Sternaberglauben. Anders als Heutige bedachten sie aber noch, dass im Sonnensystem und erst recht intergalaktisch ständig ungeheure Energie-Umsätze stattfinden, in deren Treffpunkt auch unsere Erde steht. Planeten, Fixsterne und galaktische Spiralnebelarme sind urgewaltige Schwungmassen, die einander mit Riesengeschwindigkeiten massiv beeinflussen und das dann zeitlich enorm variabel in Stärke und Richtung, je nach Konstellationen. Erdbewohner sind solchen rhythmisch schwankenden Energie-Umwandlungen dauernd ausgesetzt, und da ist es nur plausibel, dass unterschiedliche menschliche Sensibilitäten und Temperamente je nach Lebensalter sehr unterschiedlich in ihren Lebensläufen darauf reagieren werden.
Wie präzise und wissenschaftlich seriös solche so unbezweifelbar permanenten kosmischen Einwirkungen von Gravitationen, Elektromagnetismen und anderen Kräften (Dunkle Materie, Dunkle Energie?) punktgenau an biographischen Typenschicksalen sich prognostizieren lassen, mag eine andere Frage sein. War darin die Tradition vielleicht schon weiter als die taten- und wissensstolze Gegenwart?
Kurz : Der moderne Astrologie-Verriss scheint halb trivial, wo es gegen Boulevard-„Kosmobiographie“ geht, und halb zu kurz gesprungen. Bedient man nicht nur Vorurteile unserer Zeit gegen den Aberglauben der Vergangenheit, und kennt der „aufgeklärte“ Zeitgenosse die traditionelle Astrologie nun überhaupt gut genug?
So simpel ist die Sache nicht abgetan, findet einer, der weder Astronom noch Astrologe ist und Horoskope weder erstellt noch liest, sondern eben nur ein bisschen nachzudenken sucht.
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Sollte dem „Tui“, dem Paria gegen die Parvenüs, ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesetzt werden, um ihn keinem Erwerbsleben in einer überfordernden Arbeitsgesellschaft auszusetzen? Er will und kann die gesellschaftlichen Verhältnisse, die jeden zum Existenzkampf verhalten, nicht ändern, sondern will nur verstehen, was er und manch anderer nicht ausstehen können, und das Erklärte an ein potentiell verständnisvolles oder einverstandenes Publikum weitergeben. Das ist kein bezahlter Job, sondern eine Sozialhilfe-Existenz in einem Sozialstaat, der sich in hochindustriellen Leistungsgesellschaften den Luxus leisten kann und soll, weder Mob noch Revolutionäre gegen sich zu produzieren, sondern ungefährlichere Widerstandsformen.
Eine Funktion des Sozialstaats ist die Revolutionshygiene oder christliche Nächstenliebe oder einfach nur die Gewährung des Menschenrechts auf eine menschenwürdige Randexistenz in der Gesellschaft außerhalb von ihr. Diese integrierte Exterritorialität oder exklusive Inklusivität des Tui will als systemexternes Subsystem geduldet und alimentiert sein, wenn die Gesellschaft auch diese Bohème umfasst, welche Marx noch als reaktionäres Lumpenproletariat