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Eine Kreuzfahrt, die ist lustig ... Drei Schwestern, ein großes Schiff und jede Menge Verwicklungen!
Eine Kreuzfahrt mit ihren beiden streitlustigen Schwestern? Nie im Leben! Schon gar nicht nach dem großen Krach vor fünf Jahren. Ausgetrickst von der Ältesten, landet die 35-jährige Ricarda schlussendlich doch auf dem Schiff, wo sie Juliane und Trixie davon abhalten muss, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Doch trotz aller Skepsis beginnt sie, die Reise zu genießen – was auch an dem sehr attraktiven Ersten Offizier liegen könnte … Aber warum verhält sich der Kapitän so komisch? Und kommt es ihr nur so vor, oder häufen sich die seltsamen Vorfälle an Bord ? Irgendwas ist doch da im Busch, oder?
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Seitenzahl: 268
Buch
Als älteste von drei Schwestern plante Juliane den großen Familienfrieden, als sie Ricarda und Trixie für eine Woche auf das Kreuzschiff Santa Luisa lockte. Doch keine der Schwestern kann die Vergangenheit einfach vergessen. Trixie, die Jüngste, argwöhnt nicht nur ständig Bevormundung, sondern hat auch noch einen Rucksack voller teurer Geheimnisse an Bord geschleppt. Juliane selbst hat ganz offensichtlich etwas zu verbergen, und die 33-jährige Ricarda, eigentlich gewohnt alles im Blick zu behalten und zwischen den Schwestern zu schlichten, verliert schließlich die Übersicht, als sie Patrick kennenlernt – den äußerst attraktiven Ersten Offizier. Als auch noch der Kapitän die Gäste vor jedem Abendessen zu einer Sicherheitsübung drängt und geheime Telefongespräche führt, beginnt Ricarda auf ihre ganz spezielle Art, Nachforschungen anzustellen, und dann geht das Durcheinander erst richtig los ...
Autorin
Dorothea Böhme wurde 1980 in Hamm (Westfalen) geboren. Es hat sie immer schon in die Welt hinausgezogen: Sie studierte in Deutschland und Österreich, verbrachte einige Monate in Ecuador und Italien und arbeitete als Deutschlehrerin in Ungarn. Inzwischen lebt sie in Stuttgart.
Von Dorothea Böhme bei Blanvalet bereits erschienen:
Neben der Spur ist auch ein schöner Weg
Dorothea Böhme
Roman
1. Auflage
Originalausgabe Juli 2015 bei Blanvalet Verlag,
einem Unternehmen der
Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Copyright © 2015 by Verlagsgruppe Random House GmbH,
München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die
Literaturagentur Schmidt & Abrahams
www.schrift-art.net
Umschlaggestaltung und -motiv: www.buerosued.de
Redaktion: Margit von Cossart
LH · Herstellung: sam
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-15778-4
www.blanvalet.de
1
Gesund. Geheilt.Gelungen.
Juliane saß auf ihrer Yogamatte und versuchte, die neuen Wörter zu begreifen, die mit einem G anfingen.
Sie musste sich sammeln. Die Ruhe in dem hellen Raum der Yogaschule tat ihr gut.
Vor ein paar Monaten waren es Wörter mit einem K gewesen, und sie hatte es geschafft, sie in ihr Leben zu integrieren: Krankheit. Krebs. Katastrophe.
Juliane fragte sich, was mit ihr nicht stimmte, weil sie die K-Wörter mit noch nicht ganz vierzig Jahren so gelassen aufgenommen hatte – gelassen, wieder ein Wort mit G. Sie konnte Rückschläge und schlechte Nachrichten verkraften, daran war sie gewöhnt. Schlechte Nachrichten, sogar fürchterliche Nachrichten, hatte sie mit Ruhe aufgenommen, da waren Krankheit und Krebs und die Kündigung ihrer privaten Rentenversicherung nur ein Schulterzucken wert gewesen.
Durch die G-Wörter allerdings wurde sie völlig aus der Bahn geworfen. Und jetzt wusste Juliane nicht mehr weiter. Irgendetwas war doch nicht normal mit ihr.
Freudestrahlend war die Ärztin zu ihr gekommen und hatte ihr die Diagnose überbracht. Sie war gesund,geheilt, die Therapie war gelungen. Darüber müsste sie doch eigentlich glücklich sein. Aber sie? Sie saß eine halbe Stunde vor Beginn in ihrem Yogakurs und versuchte, ihr Leben neu zu planen.
Juliane spürte eine seltsame Unruhe. Die war vermutlich schuld daran, dass sie den anderen Kursteilnehmern, die in diesem Moment hereinstürmten, von ihrer Krankheit und der Heilung erzählte.
»Du hattest Krebs?«, fragte Susanna, die fröhliche Mittzwanzigerin, die ihre Matte immer rechts neben Juliane ausrollte, entsetzt.
»Genau. Hatte. Jetzt ist er weg.«
»Oh Gott sei Dank!« Susanna fiel ihr um den Hals. »Das ist ja schön!«
»Es ist vor allem … überraschend.«
Überfordert von Susannas Begeisterung, wurde Juliane stocksteif. Sie hatte viele Möglichkeiten erwogen, doch keinen Augenblick mit einer vollständigen Heilung gerechnet. Irgendetwas Gravierendes musste sie in ihren Excel-Tabellen übersehen haben.
»Das müssen wir feiern«, sagte Isabell, die streng frisierte Managerin auf ihrer linken Seite.
»Ich habe meine Wohnung verkauft. In drei Monaten muss ich den Schlüssel abgeben.« Das war eine der ersten Sachen gewesen, die sie geregelt hatte.
»Du kannst dein Leben jetzt richtig genießen!«, warf die schon etwas ältere Marlene ein, die beim Sonnengruß immer umfiel und sich an ihrer Nachbarin festhalten musste. Jetzt kam sie zu ihr und drückte vor Freude Julianes Arm.
»Meine Lebensversicherung läuft nächstes Jahr aus.« Das Auto hatte sie ebenfalls inseriert.
»Prima, von dem Geld kaufst du dir einfach eine noch viel schönere Wohnung.« Die unbeschwerte Susanna schien auf alles eine Antwort zu haben.
»Nach dem Yogakurs gehen wir ins Café!«, schlug Isabell vor. »Zu Sekt und Torte!«
»Die Ärztin sagt, ich soll ab jetzt besonders gesund leben.«
»Damit der Krebs nicht wiederkommt?« Marlene wiegte bedächtig den Kopf. »Da kannst du tatsächlich selbst Vorsorge treffen.«
»Krebs?« Yvonne, die Yogalehrerin, kam in diesem Moment herein und blieb erschrocken stehen. Sie wollte gerade ihre dicken blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammenbinden, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne und stürzte auf Juliane zu. »Das wusste ich gar nicht!«
»Er ist ja jetzt auch weg.«
Beinahe unwirsch löste Juliane sich aus der nächsten überschwänglichen Umarmung, langsam reichte es mit den Zuneigungsbekundungen. Wieso nahm ihr gesamter Yogakurs solch einen Anteil? Sie interessierte sich doch auch nicht für Susannas chronische Nasennebenhöhlenentzündung oder Marlenes Kniegelenk.
Juliane fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Die gute Nachricht, die sie am Morgen bekommen hatte, warf sie so aus der Bahn, wie die schlechte über ein Jahr zuvor es nicht gekonnt hatte. Was war nur mit ihr los?
»Ich denke, ich werde als Erstes eine neue Wohnung kaufen und wieder in den Job einsteigen.«
»Was?« Sämtliche Kursteilnehmerinnen sahen sie alarmiert an.
Susanna schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nein, nein, auf keinen Fall solltest du wieder die Dinge tun, die dich krank gemacht haben.« Sie tippte bedeutungsvoll an ihre Nase. »Ich weiß, wovon ich spreche.«
»Du musst dein Leben umstellen«, warf Marlene ein.
Auch Isabell pflichtete ihr bei. »Seit meinem Burnout mache ich alles ganz anders.« Sie legte die Hände zur indischen Begrüßung zusammen.
»Ja, doch, du musst auf dich achten. Hast du Familie? Familie tut immer gut«, sagte Marlene.
Juliane nickte, schüttelte den Kopf, nickte wieder. »Vielleicht.«
»Oh, hast du ihnen schon von der guten Nachricht erzählt? Was werden die sich freuen!« Susanna klatschte in die Hände.
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
Marlene zog die Augenbrauen hoch.
»Wir haben uns … gestritten.«
»Das wäre doch eine wunderbare Gelegenheit zur Versöhnung!«, sagte Susanna. »Was ist denn passiert?«
Die Art, wie ihre Augen dabei leuchteten, irritierte Juliane. Am liebsten hätte sie die Frage nicht beantwortet. Aber dann legte Yvonne wieder den Arm um sie. Julianes Unruhe verstärkte sich, und schließlich erzählte sie die ganze Geschichte. Von Anfang an. Bis zu dem letzten Treffen mit ihren Schwestern, nachdem sie als Älteste entschieden hatte, das Haus ihrer Eltern zu verkaufen.
»Da hat Trixie mich gewürgt, und Ricarda hat die Feuerwehr gerufen. Es ist eine völlig verfahrene Situation«, endete sie.
»Nichts ist völlig verfahren«, sagte Marlene.
Isabell und Yvonne nickten, während Susanna schon wieder über das ganze Gesicht strahlte. »Du musst dich mit ihnen versöhnen, das ist doch sonnenklar.« Sie schien eine unerschütterliche Optimistin zu sein. »Und ich habe auch schon einen Plan, wie du das anstellen kannst!«
Juliane wusste, dass ihr der Plan nicht gefallen würde. Sie war sich ganz sicher, dass er ihr nicht gefallen würde. Aber ein gutes Gegenargument hatte sie nicht, nicht einmal dagegen, mit den anderen Kursteilnehmerinnen später im Café ihre Diagnose zu feiern.
Sie musste ihr Leben neu ausrichten. Etwas anderes blieb ihr ohnehin nicht.
2
Christoph ist wohl doch nicht der Richtige gewesen, dachte Ricarda. Sonst hätte der Schock mich aus den Schuhen hauen müssen. Drei Jahre waren sie zusammen gewesen, seit sie sich auf einer Tagung kennengelernt hatten. Sie, die Biologin, er, der Pharmavertreter. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, wie Christoph später immer erzählte. Dabei hatte Ricarda eigentlich nur von einem Scheinwerfer geblendet in seine Richtung geblickt und ihn dabei gar nicht gesehen. Vielleicht hätte sie das als Zeichen werten sollen.
Im Labor der Uni Stuttgart, in dem sie gerade an HI-Viren forschte, hatte es an diesem Freitag einen Feueralarm gegeben. Irgendein Student musste ihn ausgelöst haben, als er auf eine Zigarettenpause versehentlich durch den gesicherten Notausgang nach draußen gestürmt war. Deshalb kam sie schon um zwei nach Hause statt wie gewohnt erst am Abend. Da der Feuerwehreinsatz noch Stunden dauern sollte, hatte ihr Chef sie nach Hause geschickt. Ihre Viren mussten sich eben allein vermehren.
Vermehren, ja, das war dann wohl auch das, was Christoph gerade tat, als Ricarda ins Wohnzimmer kam. Er sprang erschrocken auf – nackt war er, genau wie die Frau, die noch auf der Couch lag. Sie hatten nicht das Bett genommen, das war doch irgendwie rücksichtsvoll. Der Rest eher nicht.
»Meine … das ist meine Psychotherapeutin«, stammelte Christoph. »Wegen meiner Depression.«
Ricarda rückte den Gurt ihrer Schultertasche zurecht. »Wirkt es denn?«
»Er macht Fortschritte.« Die Therapeutin, in Ricardas braune Wolldecke gewickelt, nickte.
Was sollte sie dazu sagen? Eine Weile starrte sie die beiden an. »Tja dann«, antwortete sie schließlich.
Als niemand mehr etwas sagte, stellte Ricarda ihre Tasche ab und zog sich die Jacke aus, hängte sie ordentlich über die Sessellehne. Dann ging sie ins Arbeitszimmer und schaltete den Computer an. Abwesend schob sie ihre Brille die Nase hoch, setzte sich an den Schreibtisch und stand wieder auf. Was machte sie hier eigentlich?
Ricarda marschierte zurück ins Wohnzimmer, wo Christoph und seine Therapeutin inzwischen halb angezogen und mit betretenem Gesichtsausdruck nebeneinanderstanden, bis Christoph schließlich das Schweigen brach.
»Nun sag doch mal was.«
»Was soll ich denn sagen?« Sie zuckte mit den Schultern, blickte dann kurz die andere Frau an. »Vielleicht hat sie etwas zu sagen?«
»Mir tut es leid«, warf diese ein.
Ricarda blinzelte. »Danke.«
Juliane hatte ihr immer Manieren eingeschärft. Juliane … Wieso dachte sie jetzt überhaupt an Juliane?
»Siehst du, Ricarda, siehst du?« Christoph wedelte mit den Armen. Ricarda sah gar nichts. Aber Christoph redete sich schon in Rage. »Deshalb hab ich Bettina gevögelt. Du bist immer so verdammt passiv! Immer ruhig, immer besonnen, bloß keine Konflikte austragen, bloß nicht streiten. Wo bleibt denn da die Leidenschaft?« Ricarda blickte sich um. Ihr Strickzeug lag ganz zerdrückt in einer Ecke der Couch. »Es ist also im Grunde deine Schuld, dass ich dich betrogen habe!«, fügte er hinzu.
Diese Argumentation konnte sie als Wissenschaftlerin dann doch nicht durchgehen lassen.
Zum ersten Mal schaute sie die andere an. Sie war dünn, fast knochig, ihre dunklen Haare waren vorher sicher ordentlich mit der Spange zusammengehalten gewesen, die nun am Ende einer Haarsträhne baumelte. Silber mit einem Klippverschluss, wie Juliane sie so gern trug. Wieder Juliane. So oft hatte sie im ganzen vergangenen Monat nicht an ihre Schwester gedacht! Unwillkürlich streckte Ricarda die Hand aus. Juliane hatte ihr immer eingetrichtert, finanziell eigenständig zu bleiben. Die Wohnung gehörte ihr.
Danke, Juliane!
Und dann war es ganz einfach. »Aber wir wollten heiraten! Da kannst du mich doch nicht einfach rausschmeißen!«, jammerte Christoph. »Sie bedeutet mir nichts, gar nichts!«
Das fand Ricarda der anderen gegenüber nun auch unfair. Sie wollte Christoph darauf hinweisen, dass nicht sie diejenige gewesen war, die nackt mit einer Psychotherapeutin auf der Couch gelegen hatte, aber das erledigte besagte Psychotherapeutin für sie.
»Was bist du nur für ein Dreckschwein.« Sie scheuerte ihm eine.
»Ich bin krank! Ich habe Depressionen!«
»Die kannst du anderswo haben.«
Ricarda schloss die Tür zum Arbeitszimmer, lehnte sich dagegen. Ihr war kalt. Sie holte sich die braune Wolldecke aus dem Wohnzimmer, wollte sich hineinwickeln und roch das Apfelparfüm der anderen. Angeekelt ließ sie die Decke fallen und nahm sich eine ihrer alten Strickjacken aus dem Schrank. Solange Christoph jammerte, meckerte und Dinge durch die Gegend warf, blieb sie allein und dachte an gar nichts. Die Psychotherapeutin war gegangen, ihr Handabdruck auf Christophs Wange war noch da. Und die Spange, die silberne mit dem Klippverschluss, lag auf dem Boden.
»Ruf mich an, wenn du dich beruhigt hast, Ricarda. So ein kleiner Ausrutscher, das ist doch nicht der Untergang der Welt!«, sagte Christoph, als sie ihn hinauskomplimentierte.
Seine Psychotherapie schien tatsächlich angeschlagen zu haben, er hatte schon einen wesentlich positiveren Blick in die Zukunft. Sie schob ihn in den Hausflur, legte dann den Riegel vor.
»Ricarda!«
»Dein Zeug schick ich dir per Post.«
Apropos Post. Hatte da nicht ein Brief für sie auf dem Küchentisch gelegen? Ein seltsamer lilafarbener Brief?
3
»Aufmachen, Polizei!«
Es war sieben Uhr an einem Freitagmorgen, und Trixie hoffte inständig, dass ihr Zimmernachbar nur wieder mal den Fernseher zu laut gestellt hatte.
»Ich komm ja schon, ich komm ja schon!«, hörte sie dann den Kiffer murmeln, die dünnen Wände des Wohnheims ließen sie fast jedes Wort verstehen, das drüben gesprochen wurde.
Die Tür knallte gegen die Wand, sodass ihr ganzes Zimmer zitterte, und Trixie sprang aus dem Bett. Hektisch suchte sie ihre Jeans, das T-Shirt. Verdammt, wieso hatten sie auch gestern so viel getrunken? Sie schlüpfte in ihre Sachen, spritzte sich schnell etwas Wasser ins Gesicht und schnappte sich den Rucksack, den sie in der Nacht unter ihr Bett geschoben hatte.
Trixie, du musst mir helfen, hatte Jonas früh morgens um halb drei gesagt, und Trixie war vom Jack Daniels und den Rhythmen von The Prodigy so high gewesen, dass sie nur genickt hatte.
Klar, Wohnheimsnachbarn halfen sich. Klar, Trixie half Jonas, auch wenn er etwas zu viel kiffte. Dafür hatte er in der Nacht großzügig sein Gras mit ihr geteilt. Und ein kleines Taschengeld sprang doch auch dabei heraus, oder? Klar.
Außerdem war es ja auch nicht so, als wäre Trixie in ihrem Leben bisher nur auf dem Pfad der Tugend gewandelt. Also hatte sie kurz in den Rucksack hineingesehen, genickt und Jonas versprochen, gut drauf aufzupassen. Die Polizei wird mich nicht verdächtigen, Trixie, es ist also völlig ungefährlich, hatte er ihr versichert.
Und jetzt das.
»Wir haben einen Durchsuchungsbefehl.«
Dem Getrampel nach mussten es mindestens vier Beamte sein, die drüben herumstiefelten.
»Hey!«, hörte sie Jonas protestieren. »Handschellen?«
Ach du Schreck.
Trixie versuchte, etwas durchs Schlüsselloch zu erkennen.
»Ich hab damit nix zu tun! Sie wollen mir doch nur was anhängen! Was haben Sie eigentlich für Beweise?«, zeterte Jonas, während ihn zwei Polizisten, einer rechts, einer links, abführten. »Sie verwechseln mich!«
»Natürlich.« In aller Gemütsruhe nickten die beiden Männer.
»Schließen Sie wenigstens mein Zimmer ab, wenn Sie fertig sind?«
»Als ob das jemand freiwillig betreten würde«, antwortete der Beamte, den Trixie für den Chef hielt.
Mittlerweile hatte sich eine kleine Menschentraube gebildet, die anderen Studenten auf ihrem Stock waren aus ihren Zimmern gekommen, teilweise noch im Schlafanzug, verfolgten Jonas’ Abgang und tuschelten miteinander.
Nur Trixie kauerte mit zusammengekniffenen Augen hinter ihrer verschlossenen Tür. Eine blaue Uniform schob sich in ihr Blickfeld, dann klopfte es. An ihrer Zimmertür.
Trixie hielt den Atem an.
»Hey! Jemand zu Hause?«
Ganz leise und vorsichtig stand Trixie auf, beide Hände am Rucksack, damit er ja nicht herunterrutschte und mit einem Krachen auf den Boden fiel. Und bloß weg vom Schlüsselloch, falls der Polizist drüben auf die gleiche Idee kam und ebenfalls hindurchlinste.
»Da wohnt Beatrix Schuster«, half eine der Mitbewohnerinnen des Wohnheims den Beamten. Claudia, die blöde Streberin. »Was wollen Sie denn von ihr?«
Trixie schlich rückwärts zum Fenster. Was für ein Glück, dass sie ebenerdig zum Garten hinaus wohnte. Mit Jonas’ Rucksack wollte sie besser nicht von der Polizei erwischt werden. Das Fenster hatte sie mit einem Griff geöffnet, dann setzte sie sich den Rucksack auf und sprang hinaus auf die Rasenfläche. Jetzt hieß es abhauen, untertauchen, schnell weg, zumindest so lange, bis die Bullen Jonas laufen ließen.
Das einzige Problem war: Wohin sollte sie?
4
»Und wie hab ich dieses Ticket gewonnen?«, fragte Ricarda.
Nachdem sie den lilafarbenen Briefumschlag mit der Aufschrift Kreuzfahrt geöffnet und ein legitim aussehendes Ticket gefunden hatte, war sie sofort zum Telefon gelaufen. Sie haben eine Kreuzfahrt gewonnen… So ein Quatsch, das glaubte doch kein Mensch mehr.
»Ich weiß nicht, bei welchen Gewinnspielen Sie mitmachen, Frau Schuster.«
»Ich habe noch nie bei einem Gewinnspiel mitgemacht!«, antwortete Ricarda. Deshalb rief sie doch an. »Kann es sich vielleicht um ein Versehen handeln? Gibt es noch eine andere Ricarda Schuster?«, fragte sie. Eine Verwechslung war doch immer möglich.
»Können Sie mir Ihr Geburtsdatum nennen?«, fragte die Dame von der Kreuzfahrtgesellschaft.
Aber der Abgleich des Geburtsdatums bestätigte, dass sie, Ricarda, eine Kreuzfahrt die Donau hinunter gewonnen hatte. Start war am Montag in Passau. Die Reise würde durch Österreich, Ungarn und die Slowakei führen: Von Passau ging es nach Krems, dann folgten Esztergom, Budapest und auf der Rückfahrt Bratislava, Wien, Melk und Linz
»Verlosen Sie öfter Tickets?«, fragte sie.
»Wir verlosen gar keine Tickets.« Ricarda hatte das Gefühl, die Frau am anderen Ende der Leitung unterdrückte nur knapp ein Seufzen. »Aber hin und wieder werden übrig gebliebene Tickets von Veranstaltern gekauft, die diese dann als Gewinne unter die Leute bringen. Last-Minute-Tickets sind natürlich günstiger«, erklärte sie.
»Und das ist seriös?«
»Das ist hundertprozentig seriös.«
»Ich muss keine Heizdecken, Waschmaschinen oder Ähnliches kaufen?«
»Frau Schuster, wir sind eine Reederei mit langjähriger Erfahrung und über fünfzig Schiffen. Sie können gern in Ihrem Reisebüro nachfragen. Bei uns gibt es keinen Kaufzwang für Heizdecken, keine versteckten Kabinenkosten, selbst die Verpflegung ist im Reisepreis inbegriffen. Kommen Sie einfach am Montag an Bord, und genießen Sie Ihren Urlaub«, fuhr die Frau fort, als Ricarda protestieren wollte. »Den scheinen Sie nämlich dringend zu benötigen.« Und damit legte sie auf.
5
»Du willst dich mit uns versöhnen?«, wiederholte Trixie ungläubig.
Sie hatte es sich gerade mit dem Rucksack, einer Portion Pommes und einem Milchshake im McDonald’s gemütlich gemacht – oder so gemütlich, wie das mit einem Rucksack voller gestohlener Smartphones in einem Fastfood-Restaurant überhaupt möglich war –, als ihr Telefon geklingelt hatte.
Eine unbekannte Nummer. Unbekannte Nummern waren gerade in ihrer Situation nicht unbedingt etwas Gutes. Obwohl sie schon mit dem Schlimmsten, der Polizei, gerechnet hatte, war Trixie drangegangen, und ihr wäre der Becher beinahe aus der Hand gefallen, als es dann ihre älteste Schwester gewesen war. Juliane. Deren Nummer hatte sie vor fünf Jahren gleich aus ihrem Verzeichnis gelöscht.
»Ich weiß, dass das sehr plötzlich kommt«, sagte Juliane jetzt. »Und ich weiß, dass wir in den letzten Jahren nicht das beste Verhältnis hatten.«
Nicht das beste? Sie würde sagen: gar keins. Und das war gut so. »Das letzte Mal, als wir uns gesehen haben, hast du mir einen Schuh an den Kopf geworfen, ich hab dich gewürgt, und Ricky hat die Feuerwehr gerufen.«
»Wir machen alle Fehler.«
Trixie schlürfte lautstark ihren Milchshake.
Juliane räusperte sich. »Jedenfalls sind fünf Jahre genug«, sagte sie dann. »Fünf Jahre Schweigen, fünf Jahre ohne Familie.«
»Hast du einen Hirntumor? Oder Alzheimer?« Die Frage musste Trixie einfach stellen.
»In letzter Zeit hab ich viel nachgedacht, viel über uns, über unser Verhältnis zueinander«, fuhr Juliane fort, als hätte Trixie nichts gesagt. Trixie war sich trotzdem sicher, ihre Zähne kurz knirschen gehört zu haben. »Wir sind Schwestern. Wir sollten zueinanderhalten. Deshalb möchte ich euch auf eine Kreuzfahrt einladen. Acht Tage Donau, acht Tage Zeit für uns. Das würde uns guttun.«
Urlaub mit ihren Schwestern? Trixie sah auf den Rucksack. Sie hatte doch weiß Gott andere Probleme im Augenblick! Zuerst musste sie sich überlegen, wo sie hinsollte. Sie brauchte eine Unterkunft, am besten nicht hier in der Stadt, besser noch nicht mal in diesem Land und … Trixie stellte den Milchshake ab.
»Wann und wo?«
»Ab Montag in Passau. Ich weiß, dass es kurzfristig ist, sehr kurzfristig, und ich weiß, dass du keine Semesterferien hast. Ich weiß, dass …«
»Kein Thema.«
Trixie lehnte sich zurück und stopfte sich mehrere Pommes gleichzeitig in den Mund. Juliane, die Lösung ihrer Probleme. Wer hätte das gedacht?
»Ich meine, ich verstehe, dass du so spontan nicht … Was hast du gesagt?«
»Kein Thema, ich komme mit«, wiederholte Trixie, spülte den letzten Rest Milchshake hinunter und griff nach dem Rucksack. Sie hatte jetzt einen Plan und ein Ziel. »Ich warte in Passau auf euch.«
»Aber …«
Juliane schien eine andere Antwort erwartet zu haben, und wenn Trixie an ihren letzten Streit dachte, musste sie zugeben, dass sie vernünftigerweise hätte absagen sollen. Doch ihre Situation ließ keine langen Überlegungen zu. Acht Tage auf der Donau kamen wie gerufen, bis dahin hatte sich die Sache mit Jonas und der Polizei vielleicht schon geklärt. Hoffentlich. Sonst konnte sie einpacken. Sie war mit Diebesgut auf der Flucht. Dagegen waren ihre Schwestern Peanuts. Die Fahrt auf der Donau mit ihnen würde sie schon irgendwie überleben.
»Ricky zu überreden wird allerdings vermutlich schwieriger. Da musst du schon so was wie Erpressung anwenden«, sagte sie noch, bevor sie auflegte.
6
Letztendlich war es ihre Nachbarin Nele gewesen, die Ricarda online ein Bahnticket gekauft hatte.
»So eine Gelegenheit kannst du dir doch nicht entgehen lassen«, ermutigte sie sie, »nicht nach dieser unseligen Sache mit Christoph. Und hast du nicht außerdem noch so viel Pech mit deinem Auto gehabt in letzter Zeit? Ein gewonnener Urlaub ist die Wende zum Glück, du wirst schon sehen. Schließlich gibt es auf diesen Schiffen immer jede Menge attraktiver Männer, die dich über Christoph hinwegtrösten können – von der Schiffsbesatzung gar nicht erst zu sprechen.«
»Etwas Ruhe würde mir sicher guttun«, pflichtete Ricarda ihr bei, wenn auch nicht ganz überzeugt. »Im letzten Jahr habe ich mich nur mit meinen Viren beschäftigt. Ich habe nicht mehr als zwei Tage Urlaub genommen.«
»Eben«, stimmte Nele ihr zu. »Sag das deinem Chef mal. Deine Viren können sicher eine Zeit mal ohne dich. Und wenn du dann noch einen netten Mann vom Schiff mitbringst, arbeitet es sich danach umso besser.«
Dem hatte Ricarda nichts entgegenzusetzen, und so kam es, dass sie mit dem Zug nach Passau gefahren war. Jetzt saß sie im Taxi zum Hafen, ihre große Reisetasche auf den Knien, die Unterlippe zwischen die Zähne gesaugt.
»Sie machen eine Kreuzfahrt?«, fragte der Taxifahrer. »Hat meine Oma auch mal gemacht, hat ihr gefallen.«
Die Oma. Ja, das schien üblich zu sein. Wer interessierte sich schon für eine Flusskreuzfahrt von Passau nach Budapest? Wer hatte die Zeit und das Geld? Menschen über fünfundsechzig.
»Dann werde ich dort sicher Ruhe haben.« Eine Seniorenkreuzfahrt hatte auch ihre Vorteile.
Der Fahrer sah sie durch den Rückspiegel zweifelnd an. »Von Ruhe hat sie nichts erzählt, mehr von jungen Männern.« Dann nickte er. »Aber klar, Ruhe hat man sicher ebenfalls. Was soll man den ganzen Tag auf so einer Kreuzfahrt auch machen außer herumliegen und sich entspannen?«
Genau.
Das Taxi hielt an der Donau, mitten in der Innenstadt. Ricarda konnte das Rathaus erkennen, davor einen kleinen Platz, daneben ein anderes altes Gebäude, und quer über die Straße lag eine Touristeninformation. Nicht weit entfernt befand sich die Schiffsanlegestelle.
»Stimmt so.« Sie drückte dem Fahrer einen Zehn-Euro-Schein in die Hand und stieg aus.
Die Sonne blendete, das Wetter meinte es also gut mit ihr. Ricarda schleppte ihre Reisetasche über den Parkplatz und hätte sie vor Schreck beinahe fallen lassen. Juliane. Juliane und Trixie. Fast einträchtig standen sie nebeneinander und hielten Ausschau nach jemandem. Auf wen konnten die beiden warten, und was machten sie überhaupt hier?
Moment mal … Eine Ahnung beschlich sie. Wer hatte jemals schon eine Kreuzfahrt gewonnen? Und dann noch, ohne an einer Verlosung teilgenommen zu haben … Sie ließ die Tasche fallen. Das durfte doch nicht wahr sein!
»Ricky!«
Trixie hatte sie entdeckt. Sie ruderte wild mit dem linken Arm, während sie Juliane, die irritiert die Augenbrauen zusammenzog, den rechten in die Rippen stieß. Die schlanke Figur unter einem klassischen grauen Hosenanzug verborgen, stach Juliane wie üblich aus der Menschenmenge hervor. Das Gewusel um sie herum schien sie nicht zu berühren, die Leute machten einen Bogen um sie. In völliger Ruhe stand sie neben ihrem Trolley, eine Sonnenbrille, zweifellos von Prada oder Gucci, in den Haaren und eine Tasche, ganz sicher Louis-Vuitton – das hätte zu ihrem Stil und Selbstverständnis gepasst – unter den Arm geklemmt.
»So eine Überraschung.«
Wie jedes Mal, wenn sie ihre gut gekleidete, untadelige große Schwester sah, wurde sich Ricarda ihrer eigenen Makel bewusst. Meist trug sie viel zu lange Jeans, deren Säume deshalb ausgefranst waren, und übergroße Sweatshirts. Sie fand das praktisch, in Julianes Augen aber war ihr Kleidungsstil ein Verbrechen gegen die Mode.
Ricarda strich sich eine Strähne ihrer dunklen Haare aus der Stirn, ihr Zopf hatte sich auf der langen Fahrt aufgelöst. Wie begrüßte man die eigene Schwester, mit der man fünf Jahre nicht gesprochen hatte? Mit einem Handschlag? Oder sollte sie ihr im Geiste der letzten Zusammenkunft etwas an den Kopf werfen? Ricarda seufzte. Es hatte seine Gründe, dass Julianes Nummer nicht mehr in ihrem Handy gespeichert war.
»Cool, dass du da bist!« Trixie löste das Begrüßungsdilemma, indem sie Ricarda um den Hals fiel. Auch sie hatte Ricarda die letzten Jahre nicht gesehen.
Ricarda blinzelte, räusperte sich. »Ich wusste ja nicht, dass ihr auch kommt.«
»Sie haben eine Kreuzfahrt gewonnen – das glaubt doch wirklich keiner außer dir«, schnaubte Juliane.
Dann schien sie sich aber an etwas zu erinnern, streckte die Hand aus und drückte Ricardas Schulter. Murmelte sie sogar eine Entschuldigung, oder war das Einbildung? Ricarda entschied, dass es Einbildung war.
»Hast du etwa für meine Karte bezahlt?«, fragte sie.
Juliane winkte ab. Bevor Ricarda protestieren konnte, sie wollte nicht in der Schuld ihrer Schwester stehen, lachte Trixie.
»Ist ja wohl das Mindeste, was sie tun kann. Hat ja genug Geld vom Hausverkauf, nicht?«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte die blonden Locken. Das kleine Mädchen ist erwachsen geworden, dachte Ricarda. Die schulterlange Frisur stand ihr gut, in den letzten Jahren war sie in ihre Gesichtszüge hineingewachsen. Fünfundzwanzig und keine Spur mehr von Babyspeck.
Bevor Juliane noch auf Trixies Provokation mit dem verkauften Haus eingehen konnte und das erste Gespräch seit Jahren endete wie das letzte, unterbrach Ricarda ihre Schwestern schnell.
»Eine Kreuzfahrt, das wollte ich immer schon machen! Entspannung, Erholung und Ruhe, wie schön.«
»Eine Flusskreuzfahrt!« Trixie stöhnte. »Bei dem Wort Kreuzfahrt hatte ich mich schon so gefreut, Mittelmeer, pralle Sonne, Luxusdampfer, supercool. Aber das da?« Trixie deutete mit dem Daumen auf die Donau hinter ihnen. »Geht’s noch langweiliger?«
»Ein bisschen Kultur würde dir nicht schaden, Beatrix«, sagte Juliane.
»Nenn mich nicht so, Juli.« Trixie kniff die Augen zusammen. »Außerdem studiere ich Ethnologie. Mehr Kultur geht gar nicht.«
Ricarda fasste sich an die Schläfen. Wenn sie jetzt auf dem Absatz umdrehte, würden sich die beiden dann umbringen?
»Susanna aus meinem Yogakurs hat gesagt, dass Bildungsurlaub jetzt sehr im Trend ist und sicher keine Domäne für alte Leute mehr«, sagte Juliane. »Es wird dir schon nicht schaden, deinen Horizont zu erweitern.«
»Yogakurs? Seit wann machst du Yoga? Und außerdem … Du bist doch die Erste, die sich über die ganzen Omas und Opas aufregen wird.«
Ricarda seufzte. Wie war das mit der Ruhe? Ihr wurde schlecht.
»Oh, das Boarding beginnt!« Juliane drehte den Kopf. »Oder wie auch immer das bei Schiffen heißt.«
»Natürlich, die Vielfliegerin.« Trixies Stimme triefte nur so vor Sarkasmus. »Eine Geschäftsreise nach der anderen, da kennt man sich mit dem Jetset aus.«
»Ich glaube, ich werde seekrank.« Ricarda drängte sich zwischen ihre Schwestern. »Vielleicht sollten wir die Reise absagen.«
»Natürlich nicht.« Juliane sah sie entsetzt an.
Auch Trixie schüttelte den Kopf. »Wartet zu Hause jemand auf dich, oder was hast du gegen acht Tage Urlaub?«, fragte sie.
Christoph… Schmerzlich wurde Ricarda bewusst, dass sie in eine leere Wohnung zurückkehren würde. Nicht dass sie diesen betrügerischen Mistkerl hätte zurückhaben wollen, aber sie hatte sich nicht umsonst so schnell zu dieser Kreuzfahrt überreden lassen. Eine Auszeit vom Alltag würde ihr guttun. Auch wenn die Ruhe von ihren Schwestern gestört werden würde. Aber vielleicht, ganz vielleicht würde es mit den beiden ja nicht so schlimm werden. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der sie sich gut verstanden hatten …
»Schon gut.« Sie schulterte ihre Reisetasche.
»Ja dann.« Trixie klatschte in die Hände. »Acht Tage Schwesterlichkeit … Auf in den Kampf! Die Letzte in der Kabine bekommt das obere Bett!«
7
»Herzlich Willkommen auf der Santa Luisa«, begrüßte ein alternder Kapitän die Gäste.
Ricarda verlagerte die Reisetasche von der rechten auf die linke Schulter. Sie standen inmitten der anderen Gäste, um aufs Schiff zu kommen, und kamen nur langsam voran. Trixies Enthusiasmus war schon nach drei Metern gebremst worden.
Sie zwinkerte Ricarda zu. »Käpt’n Iglo.«
Mit seinem kurz gehaltenen Vollbart sah der Kapitän tatsächlich aus wie der Fischstäbchenwerbeträger. Wie passend für einen Seemann.
»Hier werden Gemeinschaftsleben und Zusammengehörigkeitsgefühl noch großgeschrieben. Niemand ist hier allein!«, salbaderte der Kapitän.
Ricarda sah ihre Schwestern an. Was hatte Juliane denn da für einen Esoteriktrip gebucht? Das mit der Versöhnung schien ihr ja wirklich wichtig zu sein.
Aber Juliane blinzelte verwirrt und schüttelte dann unwillig den Kopf. Offenbar hatten Gemeinschaftsleben und Zusammengehörigkeitsgefühl nicht in der Programmbeschreibung gestanden.
Sie rückten in der Reihe der Gäste ein Stückchen vor und konnten einen Blick auf den Ersten Offizier werfen, der hinter dem Kapitän stand.
»Hallloooo.« Das O zog Trixie noch länger als das L. Sie schob ihre überdimensionale Sonnenbrille in die blonden Locken. »Dunkle Haare, traurige Augen, ist das nicht genau dein Typ?« Sie stieß Ricarda den Ellenbogen in die Seite.
»Traurige Augen?«
Ein Schulterzucken. »Du stehst doch auf diese depressiven Männer.«
Wieder dachte Ricarda an Christoph und zuckte dann auch mit den Schultern. »Den letzten hab ich rausgeschmissen.«
»Das wurde auch Zeit«, mischte sich nun Juliane von hinten ein.
»Du kanntest Christoph doch gar nicht!«
»Ich konnte deine Freunde noch nie leiden. Er war bestimmt nicht besser als die anderen.«
Inzwischen waren sie in der Reihe so weit nach vorn gekommen, dass sie direkt vor dem Kapitän standen, und Ricarda blieb Juliane eine Reaktion schuldig. Die Mundwinkel des Ersten Offiziers zuckten. Da hatten sie ja mal wieder einen hervorragenden Eindruck gemacht. Ricarda rückte ihre Brille zurecht und versuchte zu lächeln.
Trixie kicherte. »Vielleicht findet sich ja doch mal ein vernünftiger Kerl«, sagte sie und schenkte dem Offizier ein Augenzwinkern.
Ricardas Wangen wurden heiß, und sie beeilte sich, an Deck zu kommen. Bevor sie auch nur anfangen konnte, sich zu orientieren, zog Juliane mit ihrem silbernen Trolley an ihren Schwestern vorbei und schnalzte mit der Zunge.
»Ich zeige euch die Kabinen.«
»Weil wir allein so orientierungslos sind«, flüsterte Trixie, folgte Juliane aber trotzdem durch die Tür, die unter Deck führte.
»Hier wohnt ihr.« Juliane klopfte an die Kabine mit der Nummer 214. »Ich bin dort drüben.« Sie zeigte auf die gegenüberliegende Tür. »Falls ihr etwas braucht.«
»Danke, Mama«, antwortete Trixie spöttisch.
In Julianes Wange zuckte ein Muskel, und Ricarda öffnete hastig die Kabinentür. Das Thema Eltern kann doch wirklich warten, dachte sie. Am besten bis zu meinem Todestag.
»Wieso kriegt sie eine eigene Kabine, während wir uns diese Besenkammer teilen müssen?«
Trixie ließ ihren Rucksack auf das untere der beiden Stockbetten fallen – nannte man die nicht Kojen? – und sah sich in dem zugegebenermaßen winzigen Raum um.
»Weil sie zahlt.« Ricarda beäugte die Leiter, die zum oberen Bett führte, kritisch. Hoch war es zwar nicht, aber wenn sie ihre Brille nicht trug …
»Eben!« Trixie stemmte die Hände in die Hüften.
»Was ›eben‹?«
»Wenn man schon Leute einlädt, dann ist es eine Frechheit, sie mit der dritten Klasse abzuspeisen.«
Ich hätte doch am Steg umkehren sollen, dachte Ricarda. Vielleicht mit dem netten Taxifahrer und seiner Oma einen Kaffee trinken und dann zurück nach Hause fahren.
»Ich geh mal kurz an Deck«, sagte sie.
»Mit deiner Reisetasche?«
»Dann hast du mehr Platz beim Auspacken.«
Ricardas Strickzeug war in der Tasche, das war für sie überlebenswichtig. Auf Trixies hochgezogene Augenbrauen hin ließ sie die Tasche dann doch auf den Boden gleiten – fünfzehn Kilo Reiseutensilien waren vielleicht wirklich ein bisschen viel, um sie mit sich herumzuschleppen. Aber vor Trixie das Strickzeug herausholen? Ihre kleine Schwester würde sich totlachen. Nein, da würde sie eine andere Beschäftigung finden müssen.
Als sie nach draußen trat, legte sie schützend eine Hand über die Augen. Außer ihr hatte anscheinend das halbe Schiff beschlossen, sich das Ablegen von Deck aus anzusehen. Dicht gedrängt standen die Leute an der Reling. Und offenbar hatte Julianes ominöse Susanna recht: Kreuzfahrten waren nicht nur etwas für alte Leute. Wenn Ricarda dann noch an die Besatzung und speziell den Ersten Offizier dachte …