Aufbruch zu den Sternen - Arthur C. Clarke - E-Book

Aufbruch zu den Sternen E-Book

Arthur C. Clarke

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Zum Mond und zurück

Die Prometheus ist das erste Raumschiff, das in der Lage ist, Astronauten zum Mond und wieder zurück zur Erde zu bringen. Dr. Dirk Alexson ist Historiker, er soll dem Aufbruch der Prometheus 1978 beiwohnen und zugleich das wichtigste Ereignis der Menschheitsgeschichte für die Nachwelt dokumentieren. En détail erfährt er auch die technischen Hintergründe der Mission, die er ebenso in seinen Bericht einfließen lässt wie die Aufbruchsstimmung vor dem Abflug und seinen eigenen Wandel vom bloßen objektiven Beobachter zu einem enthusiastischen Befürworter der Raumfahrt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 286

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



ARTHUR C. CLARKE

AUFBRUCH ZU DEN STERNEN

Roman

Vorwort

Nach Apollo

Am 20. Juli 1969 erstarrten all die zahllosen Science-Fiction-Storys über die erste Landung auf dem Mond wie Fliegen im Bernstein. Wir haben nun die Gelegenheit, diese Geschichten aus einer neuen Perspektive zu beurteilen und mit einem wiedererwachten Interesse: Denn wir wissen jetzt, wie es wirklich bewältigt wurde, und können die Qualität der Voraussagen nachprüfen.

Entgegen einer allgemeinen Auffassung ist die Voraussage nicht die vorrangige Absicht der Science-Fiction-Autoren; nur wenige – wenn überhaupt jemand – haben beschrieben, »was einmal sein wird«. Die meisten Autoren spielen mit neuen Ideen und bauen ihre Geschichten auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Entwicklungen auf. »Was wäre, wenn …?«, ist der Gedanke, der allem Geschriebenen in diesem Bereich zugrunde liegt. Was wäre, wenn ein Mensch unsichtbar würde? Was wäre, wenn wir in die Zukunft reisen könnten? Was wäre, wenn es irgendwo im Universum intelligente Lebensformen gäbe? Dies sind die Sandkörner, um die der Autor seine bescheidene Perle wachsen lässt. Niemand ist mehr überrascht als er selbst, wenn die Entwicklung zeigt, dass er tatsächlich ein zukünftiges Ereignis richtig vorausgesagt hat.

Allerdings muss eingeräumt werden, dass die Geschichten über die Raumfahrt eine Ausnahme bilden. Auch wenn die ersten Werke wie Cyrano de Bergeracs Die Reise zu den Mondstaaten und Sonnenreichen als reine Fantasy anzusehen sind, basierten die meisten der in den vergangenen hundert Jahren geschriebenen Erzählungen so weit wie möglich auf exakter Wissenschaft und vorhersehbarer Technologie. Die Autoren glaubten tatsächlich, dass sie einen Blick in die Zukunft taten und sie in groben Zügen beschrieben. Mehr noch, die Pioniere der Astronautik bedienten sich der Fiktion bei dem Bemühen, ihre Ideen der Öffentlichkeit vorzustellen und nahezubringen. Ziolkowski, Oberth und Wernher von Braun haben irgendwann einmal Space Fiction geschrieben. Dabei haben sie die Zukunft nicht nur vorhergesagt, sondern sie haben sie gleichzeitig geschaffen und geprägt.

Ich muss gestehen, dass ich Ähnliches im Sinn gehabt hatte, als ich mich mit diesem Buch beschäftigte. Geschrieben wurde es im Juli 1947 während meiner Sommersemesterferien als Student am King's College in London. Die endgültige Fertigstellung nahm genau zwanzig Tage in Anspruch, ein Rekord, den ich seitdem nie mehr erreicht habe. Der kurze Zeitraum erklärt sich aus der Tatsache, dass ich vorher länger als ein Jahr für das Buch recherchiert und Notizen zusammengetragen hatte; der Roman stand praktisch schon fertig in meinem Kopf, ehe ich den Schreibstift zum ersten Mal auf das Papier setzte. (»Schreibstift« trifft genau zu; das Originalmanuskript, das aus einer Reihe von handgeschriebenen Schulheften besteht, die ich noch aus meiner Dienstzeit bei der Royal Air Force zur Verfügung hatte, befindet sich nun in der Bibliothek der Universität Boston.)

In den zwanzig Jahren zwischen der Niederschrift dieses Buchs und der Mondlandung hat sich unsere Welt bis zur totalen Unkenntlichkeit verändert. Die folgenden Seiten mögen als nützliche Erinnerung daran dienen, in welcher Weise sich die Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber der Raumfahrt, vor allem in den Vereinigten Staaten, geändert hat. Im Jahre 1947 erschien es durchaus vorstellbar und sinnvoll, in London ein Raumfahrt-Projekt in Angriff zu nehmen; einer meiner Romanhelden bemerkt dazu: »Ihr Amerikaner seid schon immer reichlich konservativ gewesen, was die Raumfahrt betrifft, und richtig ernst genommen habt ihr eine solche Möglichkeit einige Jahre nach uns.« Diese Behauptung stimmte sogar noch eine ganze Dekade, nachdem ich das Buch beendet hatte – als nämlich Sputnik 1 im Oktober 1957 ins All geschossen wurde. Es ist heutzutage schwer vorstellbar, dass sogar noch Ende der fünfziger Jahre amerikanische Wissenschaftler im Raketenbau die Idee von der Raumfahrt spöttisch belächelt haben. Mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen wurde das Banner der Astronautik von Europäern hochgehalten – oder genauer von ehemaligen Europäern wie Willy Ley, der, welche Tragik, nur wenige Tage vor dem Datum starb, an dem Apollo II seine in vierzig Jahren entwickelten Träume wahr werden ließ.

Die bescheidenen Geldsummen, mit denen nach meiner Auffassung die Raumforschung betrieben werden konnte, werden jetzt ein wehmütiges Lächeln hervorrufen. Niemand hätte im Jahr 1947 vorhersehen können, dass innerhalb von nur zwanzig Jahren nicht Millionen, sondern Milliarden von Dollar jährlich für die Raumfahrt ausgegeben würden und dass eine Landung auf dem Mond vordringliches Ziel der beiden mächtigsten Nationen der Erde sein würde. Damals in den vierziger Jahren erschien es geradezu unwahrscheinlich, dass Regierungen auch nur einen Penny in den Raum schießen würden, ehe die private Wirtschaft ihnen den Weg dorthin gezeigt hätte.

Einige bescheidene Erfolge als unbedeutender Freizeit-Prophet kann ich jedoch verbuchen: Ich legte die erste Mondlandung in das Jahr 1959, und tatsächlich setzte Luna II um 21:01 MEZ am 13. September 1959 im Mare Imbrium auf. Sehnsüchtig beobachtete ich mit meinem Questar-Teleskop in Colombo, wie der Mond im Indischen Ozean versank, konnte jedoch nichts erkennen.

»Aufbruch zu den Sternen« (Prelude to Space) wurde zwei Jahre nach meinem im Jahr 1945 veröffentlichten Aufsatz über synchrone Kommunikationssatelliten geschrieben und war insofern die erste Fiktion, in der die Idee von »ComSats« verarbeitet wurde. Ich habe Grund zu der Annahme, dass der Roman die Männer beeinflusst hat, die diesen Traum Wirklichkeit werden ließen.

Eine Vorhersage, die mich mit großer Freude und Zufriedenheit erfüllt, ist in dem Satz enthalten: »Oberth – nun ein alter Mann von vierundachtzig – hatte die Kettenreaktion initiiert, welche noch zu seinen Lebzeiten zur Durchquerung des Weltraums führen sollte.« Ein Rezensent, der Oberths Ideen in einer wissenschaftlichen Zeitschrift der dreißiger Jahre kritisierte, räumte spöttisch ein, dass sie möglicherweise verwirklicht würden, »ehe die menschliche Rasse ausstirbt«. Ich bin glücklich, melden zu können, dass Hermann Oberth, als nicht ganz so alter Mann von fünfundsiebzig, den Start von Apollo II am 16. Juli 1969 von Kap Kennedy aus verfolgte.

Bei der Niederschrift dieses Romans hatte ich glücklicherweise Zugang zu Berechnungen, die meine Kollegen A. V. Cleaver und L. R. Sheperd (mittlerweile Manager der Rolls-Royce Rocket Division und Chef des »Dragon« High Temperature Reactor Project) zum Problem des nuklearen Raketenantriebs aufgestellt hatten. Diese wurden wenig später in ihrer klassischen Arbeit »The Atomic Rocket« in den Ausgaben September 1948 – März 1949 des Journal of the British Interplanetary Society veröffentlicht, womit die Grundlagen für diesen Forschungsbereich geschaffen wurden. Wenn auch der Bau der Atomrakete länger dauerte, als wir angenommen hatten, wurden die ersten Leistungstests an Bodenmodellen bereits im Jahr 1964 durchgeführt. Flugfähige Versionen werden zur Verfügung stehen, wenn wir sie für den Flug zum Mars benötigen.

In dieser Geschichte verwendete ich orbitale Rendezvoustechniken und vor allem wieder verwendungsfähige Hilfsraketen, welche hin und her fliegen können. Meiner Phantasie gelang es nicht, die Millionen Dollar teuren Vehikel wie das lunare Modul und die Saturn 5 zu entwickeln, welche nach einer einzigen Mission verschrottet wurden. Jedoch liegt die Zukunft der Raumfahrt in Konzepten, wie sie im vorliegenden Roman beschrieben werden; die Politik, und nicht die Wirtschaft, hat unsere gegenwärtigen Systeme geschaffen, und die Geschichte wird schon bald über sie hinweggehen.

Meine kleine Stichelei gegen Dr. C. S. Lewis resultierte aus einer freundschaftlichen Korrespondenz und einem Zusammentreffen im berühmten Eastgate Pub in Oxford, wo Val Cleaver und ich Dr. Lewis (und dessen Begleiter Professor J. R. R. Tolkien) davon zu überzeugen versuchten, dass nicht alle Möchtegern-Astronauten so sein würden wie der bösartige Weston in Out of the Silent Planet (Jenseits des schweigenden Sterns). Lewis pflichtete schmunzelnd der Feststellung bei, dass wir zwar wohl alle schlechte Menschen seien, die Welt aber ein schrecklich langweiliger Ort sei, wenn jeder Mann gut wäre.

Obwohl ich mir durchaus bewusst bin, dass Propaganda jeglicher Kunst abträglich ist, bin ich dennoch stolz darauf, dass das Grundthema dieses Romans die Absurdität ist, nationale Rivalitäten aus der Erdatmosphäre hinaus in den Weltraum mitzunehmen. Im Jahr 1947 fasste ich dieses Konzept in dem Satz zusammen: »Wir werden unsere Grenzen nicht in den Raum verlegen.« Genau zwanzig Jahre danach verbot die Vereinbarung »United Nations Peace Treaty« die territorialen Ansprüche auf sämtlichen Himmelskörpern.

Dieser Vertrag wurde gerade noch rechtzeitig unterzeichnet. Denn nur zwei Jahre später enthüllten Neill Armstrong und Edwin Aldrin eine Tafel mit der Inschrift:

Here men from the planet Earth first

set foot upon the Moon, July 1969.

We came in peace for all mankind.

Das Vorspiel ist beendet. Das Schauspiel beginnt. Und nun, mit einem freundlichen Gruß an den Mars, auf zum Jupiter …

ARTHUR C. CLARKE

New York

I

Dirk Alexson legte sein Buch aus der Hand und kletterte über die kurze Leiter zum Beobachtungsdeck hinauf. Land war noch nicht in Sicht, dazu war es noch zu früh, aber die Fahrt, die sich ihrem Ende näherte, hatte ihn unruhig gemacht, und er konnte sich nicht mehr recht konzentrieren. Er trat an die schmalen runden Fenster, die in den Vorderrand der großen Tragfläche eingelassen waren, und starrte hinunter auf den gestaltlosen Ozean.

Es war absolut nichts zu sehen; aus dieser Höhe wären selbst die gewaltigsten atlantischen Stürme unsichtbar geblieben. Für eine Weile ließ er seine Blicke über die leere graue Fläche unter sich schweifen und begab sich dann zu der für die Passagiere bestimmten Radaranlage.

Der in rascher Bewegung begriffene Leuchtstreifen auf dem Schirm hatte angefangen, die ersten schwachen Echos aufzuzeichnen, die in seinen Bereich kamen. Land lag voraus – jenes Land, das Dirk noch nie gesehen hatte, obwohl es für ihn manchmal wirklicher war als sein Geburtsland. Von jenen verborgenen Ufern waren seine Vorfahren im Laufe der vergangenen vier Jahrhunderte nach der Neuen Welt aufgebrochen, auf der Suche nach Freiheit und Glück. Und jetzt kehrte er zurück und bewältigte die wüste Strecke, zu der sie ebenso viele beschwerliche Wochen gebraucht hatten, in knapp drei Stunden. Und er kam mit einem Auftrag, an den sie nicht einmal in ihren wildesten Zukunftsträumen gedacht hätten.

Das leuchtende Abbild von Land's End hatte sich bereits halb über den Radarschirm geschoben, ehe Dirk die ersten Umrisse der vortretenden Küste erkannte – dunkle Flecken, die sich in nebligen Weiten verloren. Obgleich er nichts von einem Richtungswechsel verspürt hatte, wusste er, dass das Flugboot jetzt den langen Schräghang hinuntersausen musste, der zu dem vierhundert Meilen entfernten Londoner Flughafen führte. Noch ein paar Minuten, dann würde die Luft sich verdichten, und er würde wiederum das leise und beruhigende Rumpeln der großen Düsen vernehmen.

Cornwall war nichts als ein verwischter grauer Fleck, der so schnell hinter dem Schiff zurückblieb, dass keine Einzelheiten auszumachen waren. Man hätte meinen können, dass König Marke noch immer auf den grausamen Klippen dort unten stand und auf das Schiff mit Isolde wartete, während Merlin auf den Hügeln noch immer mit den Winden Zwiesprache hielt und an seinen Untergang dachte. Zu der Zeit, als die Maurer den letzten Stein in Tintagels Mauern fügten, hatte das Land aus dieser Höhe wahrscheinlich genauso ausgesehen.

Im Augenblick stürzte das Flugboot auf eine Wolkenlandschaft von derartig blendendem Weiß zu, dass es die Augen schmerzte. Zuerst schien es, als wäre diese Landschaft nur durch ein paar geringfügige Geländewellen unterbrochen, aber als sie sich ihm entgegenhob, merkte Dirk alsbald, dass die Wolkenberge himalajanische Ausmaße hatten. Einen Augenblick danach lagen ihre Gipfel bereits hoch über ihm, und die Maschine bahnte sich ihren Weg durch einen riesigen Pass, der beiderseits von überhängenden Schneewänden flankiert war. Als die weißen Klippen auf ihn zugerast kamen, lehnte er sich unwillkürlich zurück, nahm jedoch, als er sich rings von quirlenden Nebelmassen umgeben sah und nichts mehr erkennen konnte, seine alte Lage wieder ein.

Die Wolkenschicht war anscheinend sehr dick gewesen, denn von London selber erhaschte er nur einen flüchtigen Anblick und war noch gar nicht darauf vorbereitet, als die Maschine auch schon sanft zur Landung aufsetzte. Dann drangen die Geräusche der Außenwelt auf ihn ein – metallische Lautsprecherstimmen, Lukengeklirr und vor allem die ersterbenden Kadenzen der großen Turbinen, die langsam zur Ruhe kamen.

Der feuchte Beton, die wartenden Lastwagen und die grauen, tiefhängenden Wolken wirkten ernüchternd und vertrieben die romantischen und abenteuerlichen Eindrücke, die er während der Fahrt gehabt hatte. Ein Sprühregen fiel, und als der lächerlich kleine Traktor mit dem gewaltigen Schiff davonfuhr, ähnelte es mit seinen glänzenden Flächen mehr einem Tiefseeungeheuer als einem Geschöpf der Luft. Die Düsenhauben begannen zu dampfen, als das Wasser von den Tragflächen auf sie heruntertropfte.

An der Zollabfertigung wurde Dirk zu seiner Erleichterung bereits erwartet. Als sein Name von der Passagierliste gestrichen wurde, trat ein untersetzter Mann mittleren Alters mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.

»Dr. Alexson? Freut mich, Sie kennenzulernen. Mein Name ist Matthews. Ich soll Sie zu unserer Dienststelle in Southbank bringen und mich überhaupt um Sie kümmern, solange Sie hier in London sind.«

»Mir nur lieb«, lächelte Dirk. »Ich nehme an, dass ich mich bei McAndrews dafür bedanken kann?«

»Richtig. Ich bin sein Assistent in Public Relations. Hier – geben Sie mir Ihre Tasche. Wir nehmen den Tunnelexpress; das geht am schnellsten und ist das einfachste. Man gelangt auf diese Art in die Stadt, ohne die Vororte zu berühren. Einen Haken hat es jedoch.«

»Was denn?«

Matthews seufzte.

»Ach, nichts weiter, nur dass eine überraschende Anzahl von Besuchern, die völlig sicher über den Atlantik gekommen sind, in den Untergrund verschwinden und nie mehr zum Vorschein kommen.«

Während Matthews diese unwahrscheinliche Mitteilung machte, huschte nicht einmal der Anflug eines Lächelns über sein Gesicht. Wie Dirk noch entdecken sollte, war sein merkwürdiger Sinn für Humor mit einer totalen Unfähigkeit zu lachen gekoppelt, eine Kombination, die einen immer wieder aus der Fassung brachte.

»Über eines bin ich mir noch gar nicht klar«, sagte Matthews, als der lange rote Zug anfuhr und die Flughafenstation hinter sich zurückließ. »Es tauchen zwar häufig amerikanische Wissenschaftler bei uns auf, aber soviel ich weiß, arbeiten Sie auf einem ganz anderen Gebiet.«

»Stimmt. Ich bin Historiker.«

Matthews' Augenbrauen stellten eine fast hörbare Frage dar.

»Das mag Ihnen seltsam erscheinen«, fuhr Dirk fort, »ist aber durchaus logisch. Wenn in der Vergangenheit irgendwann Geschichte gemacht wurde, war selten jemand zugegen, der sachliche Aufzeichnungen von den Vorgängen gemacht hätte. Natürlich haben wir heutzutage Zeitungen und Filme – aber es ist immer wieder verwunderlich, wie viele wichtige Einzelheiten trotzdem übersehen werden, einfach weil man sie als gegeben hinnimmt. Das Projekt, an dem ihr hier arbeitet, ist eines der größten in der Geschichte überhaupt, und wenn es gelingen sollte, dürfte es die Zukunft so entscheidend verändern, wie sie noch nie durch ein einziges Ereignis verändert wurde. Meine Universität hat deshalb beschlossen, dass ein berufsmäßiger Historiker dabei sein müsste, um die Lücken auszufüllen, die man sonst vielleicht übersieht.«

Matthews nickte.

»Das klingt ganz vernünftig. Und für uns, die wir ja auch keine Wissenschaftler sind, wird es außerdem eine angenehme Abwechslung sein. Wir sind es ziemlich überdrüssig, dauernd Unterhaltungen zu führen, in denen drei von vier Worten aus mathematischen Zeichen bestehen. Ich nehme aber trotzdem an, dass Sie über technische Dinge ziemlich gut Bescheid wissen, wie?«

Auf Dirks Gesicht spiegelte sich ein leichtes Unbehagen.

»Wenn ich die Wahrheit sagen soll«, gestand er, »so ist es schon fast fünfzehn Jahre her, dass ich mich mit wissenschaftlichen Fragen beschäftigt habe – und auch dann nur oberflächlich. Was ich brauche, werde ich mir hier erst wieder aneignen müssen.«

»Darüber machen Sie sich nur keine Sorgen; wir haben einen Hochdruck-Kursus für erschöpfte Geschäftsleute und geplagte Politiker eingerichtet, da können Sie alles Fehlende nachholen. Und Sie werden sich wundern, wie schnell das geht – Sie brauchen nur aufzupassen, was die Luftakrobaten sagen.«

»Die Luftakrobaten?«

»Mein Gott, kennen Sie diesen Ausdruck etwa nicht? Das Wort ist während des Krieges entstanden und gilt für alles, was mit langen Haaren und einem Rechenschieber in der Westentasche herumläuft und sich wissenschaftlich gebärdet. Ich muss Sie überhaupt gleich darauf aufmerksam machen, dass wir hier eine ganze Menge solcher rein privater Ausdrücke gebrauchen, die Sie sich schleunigst aneignen müssen. Sie hätten am besten gleich noch einen Philologen mitbringen sollen!«

Dirk schwieg. Es gab Augenblicke, da die Größe seiner Aufgabe ihn fast überwältigte. Seit einem halben Jahrhundert arbeitete eine nach Tausenden zählende Schar von Männern an diesem Projekt, das irgendwann innerhalb der nächsten sechs Monate seinen Höhepunkt erreichen würde. Und er würde bei diesem epochemachenden Ereignis zugegen sein, weit draußen in der australischen Wüste auf der anderen Seite der Welt – das war seine Pflicht und sein Vorrecht. Er durfte diese Ereignisse nicht anders als mit den Augen der Zukunft betrachten und musste auf alle Fälle so darüber berichten, dass noch die Menschen kommender Jahrhunderte etwas vom Geist dieses Zeitalters spüren konnten.

Auf New Waterloo Station stiegen sie aus und gingen die paar Schritte bis zur Themse zu Fuß. Matthews hatte recht gehabt, als er behauptete, dies wäre die beste Art, die erste Bekanntschaft mit London zu machen. Der weite Bogen des neuen Themsekais, der erst zwanzig Jahre alt war, gab den Blick stromabwärts frei, und Dirks schweifende Blicke wurden alsbald von der Kuppel der St.-Pauls-Kathedrale angezogen, die unter den Strahlen der plötzlich durchbrechenden Sonne vor Nässe glänzte. Dann schaute er stromaufwärts vorbei an den großen weißen Gebäuden vor Charing Cross, aber die Parlamentsgebäude waren nicht zu sehen und lagen hinter der Biegung des Flusses verborgen.

»Großartiger Ausblick, nicht wahr?«, sagte Matthews. »Wir sind auch ziemlich stolz darauf. Vor dreißig Jahren gab es hier nichts als Werften und Schlammbänke. Nebenbei – sehen Sie das Schiff dort drüben?«

»Welches? Das am anderen Ufer festgemacht ist?«

»Ja. Wissen Sie, worum es sich dabei handelt?«

»Keine Ahnung.«

»Es ist die Discovery, das Schiff, mit dem Kapitän Scott zu Beginn des Jahrhunderts in die Antarktis gefahren ist. Ich muss immer wieder rüberschauen, wenn ich zum Dienst gehe, und frage mich oft, was er wohl zu dem kleinen Ausflug sagen würde, den wir vorhaben.«

Dirk ließ seine Blicke aufmerksam über den anmutigen hölzernen Schiffsrumpf, die schlanken Masten und den zerbeulten Schornstein schweifen. Seine Gedanken verloren sich in der Vergangenheit, und ihm war plötzlich, als wäre der Themsekai verschwunden und als dampfte das alte Schiff an Eisbergen vorbei in ein unbekanntes Land. Er konnte nachfühlen, wie Matthews zumute sein musste, und war sich der Kontinuität, die in der Geschichte waltet, bewusst. Die Linie, die sich über Scott bis zu Drake und Raleigh und noch früheren Forschungsreisenden zurückverfolgen ließ, verlief noch immer ungebrochen: Nur der Maßstab der Dinge hatte sich geändert.

»Da wären wir«, sagte Matthews stolz. »Es ist zwar nicht ganz so imposant, wie es sein könnte, aber als es gebaut wurde, hatten wir nicht viel Geld. Jetzt auch noch nicht, was das betrifft.«

Das weiße dreistöckige Gebäude, das auf den Fluss hinausging, war einfach gehalten und offensichtlich erst vor wenigen Jahren errichtet worden. Es war von weiten Rasenflächen mit einem kümmerlichen Graswuchs umgeben. Dirk vermutete, dass diese Grünflächen bereits für neue Bauten in Aussicht genommen waren. Das Gras schien das auch schon zu ahnen.

Für ein Verwaltungsgebäude war es trotz allem nicht ganz reizlos, und die Aussicht auf den Fluss war einfach herrlich. In der Höhe des zweiten Stockwerks war eine Reihe von Buchstaben angebracht, in ihrer Lesbarkeit genauso praktisch wie der Rest des Gebäudes. Diese Buchstaben ergaben ein einziges Wort. Dirk verspürte bei seinem Anblick ein seltsames Prickeln auf der Haut. Irgendwie war es hier im Herzen einer großen Stadt fehl am Platze, wo Millionen Menschen mit alltäglichen Dingen beschäftigt waren. Es war genauso fehl am Platze wie die Discovery, die nach ihren langen Fahrten am jenseitigen Ufer festlag – und es kündete von einer längeren Fahrt, als sie von der Discovery oder irgendeinem anderen Schiff je zurückgelegt worden war:

II

Das Büro war klein, und er würde es mit ein paar jüngeren Zeichnern teilen müssen aber es hatte den Ausblick zur Themse, und wenn er seiner Berichte und Aktenstücke überdrüssig war, konnte Dirk seine Blicke auf jener großen über Ludgate Hill schwebenden Kuppel ruhen lassen. Mitunter kamen Matthews oder sein Chef auf ein Schwätzchen herein, aber gewöhnlich ließ man ihn ungeschoren und respektierte seinen Wunsch nach Ungestörtheit. Ihm lag daran, in Ruhe gelassen zu werden, bis er sich durch die nach hunderten zählenden Berichte und Bücher durchgearbeitet hatte, die ihm Matthews besorgte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!